Brustdrüse 18.1 Untersuchungsmethoden 274 18.2 Fehlbildungen 274 18.3 Entzündliche Erkrankungen 274 18.4 Tumoren 274 18.5 Operative Verfahren an der Brustdrüse 280 18.6 Pflege von Patientinnen mit Brustamputation 284 Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Kapitel 18 Brustdrüse 18 Brustdrüse 18.1 Untersuchungsmethoden ▶ Klinische Befunde. Betrachtung (Inspektion) und Betastung (Palpation) der Mamma sind einfache Verfahren, um verdächtige Knotenbildungen in der Brustdrüse zu erkennen. Wichtig sind Veränderungen der Haut (Orangenhaut, Ulkus) sowie die Sekretion aus der Mamille außerhalb der Stillzeit. Diese Zeichen sind Hinweise auf ein malignes Wachstum. Obligatorisch für jede Brustuntersuchung ist die Abtastung der Achselhöhle, um Lymphknotenschwellungen zu entdecken, die Hinweis auf eine Entzündung oder einen Tumor sein können. ▶ Spezielle Diagnostik. Das wichtigste Verfahren im Rahmen der Diagnostik ist die Röntgen-Leeraufnahme in 2 Ebenen (Mammografie). Sie ist zur Früherkennung eines Mammakarzinoms empfindlicher als die Palpation. Die Sonografie der Brust ist zur Abgrenzung flüssigkeitsgefüllter Zysten gegenüber einem Tumor geeignet. Nach sonografischer Lokalisation kann ein verdächtiger Befund durch Punktion und zytologische Untersuchung des Punktats weiter abgeklärt werden (Aspirationszytologie). Die zur Karzinomerkennung sehr geeignete MRT-Untersuchung kommt aus Kostengründen nur bei speziellen Fragestellungen zum Einsatz. Blutuntersuchungen geben keine entscheidenden diagnostischen Impulse. 18.2 Fehlbildungen Abb. 18.1 Mastitis puerperalis. Abszedierende Entzündung in der Stillzeit mit Rötung an der Brustinnenseite. ▶ Therapie. Im Frühstadium versucht man, die Entzündung durch konservative Maßnahmen zu behandeln (Abstillen, Hochbinden der Brust und kühlende Umschläge, Antibiotika, medikamentöse Hemmung des Prolaktins). Bildet sich hingegen ein Abszess, so muss die Eröffnung durch Punktion oder Schnitt mit Drainage erfolgen. 18.4 Tumoren Burkhard Paetz Burkhard Paetz Entwicklungsgeschichtlich bedingt finden sich gelegentlich überzählige Brustdrüsen. Ihre Lokalisation entspricht der „Milchleiste“ bei Säugetieren, wobei die Achselhöhle häufigster Sitz einer Mamma aberrans ist. Von Mammahypertrophie oder -hyperplasie spricht man, wenn die Brust erheblich vergrößert ist. Der hyperplastische Drüsenkörper ist oft schmerzhaft. Ferner leiden die Patientinnen unter haltungsbedingten Kreuzschmerzen. Hier kann eine plastische Verkleinerung des Drüsenkörpers durch Operation helfen (Mammareduktionsplastik). Im umgekehrten Fall, bei Unterentwicklung der Brustdrüse, ist in seltenen Fällen eine Aufbauplastik (Augmentation) durch körpereigenes Gewebe oder ein Kunststoffimplantat gerechtfertigt. 18.3 Entzündliche Erkrankungen Burkhard Paetz 18 Die Entzündung der Brustdrüse nennt man Mastitis. Sie tritt nahezu ausschließlich während der Stillzeit als Mastitis puerperalis auf. Die Infektion entsteht durch Einwanderung der Bakterien in die erweiterten Milchgänge (▶ Abb. 18.1). 274 Merke H ● Der klinisch wichtigste Brusttumor ist das Mammakarzinom. 18.4.1 Fibroadenom Definition L ● Als Adenom bezeichnet man einen benignen Tumor, der vorwiegend aus drüsigen Anteilen besteht. Geht die gutartige Geschwulst hingegen vom bindegewebigen Anteil der Drüse aus, so handelt es sich um ein Fibrom. Meistens liegen Mischformen vor, was der Begriff Fibroadenom verdeutlicht. Fibroadenome sind derbe, glatt begrenzte Geschwülste und gegenüber dem umgebenden Gewebe palpatorisch gut verschieblich. Ihr Durchmesser schwankt zwischen 1 und 5 cm. Betroffen sind vorwiegend junge Frauen (bis 30 Jahre). Obwohl Fibroadenome nicht zur malignen Entartung neigen, sollten sie operativ entfernt und histologisch un- Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Burkhard Paetz 18.4 Tumoren 18.4.2 Milchgangsadenom Definition ● L Milchgangsadenome oder -papillome sind gutartige Tumoren in den Ausführungsgängen der Brustdrüse. Milchgangsadenome können sich durch eine seröse oder blutige Sekretabsonderung aus der Brustwarze bemerkbar machen („blutende Mamma“, ▶ Abb. 18.2). Diagnostische Maßnahmen sind die zytologische Untersuchung des Sekrets, Sonografie, Mammografie und MRT. ▶ Therapie. Bei fehlenden Hinweisen auf Malignität erfolgt die operative Entfernung des Tumors unter Erhaltung der restlichen Brustdrüse. Zusatzinfo ● V In 20 % der Fälle verbirgt sich hinter dem Syndrom der blutenden Mamma jedoch ein Karzinom. In diesen Fällen muss unter den Gesichtspunkten onkologischer Radikalität operiert werden. 18.4.3 Zyste Definition L ● Zysten sind flüssigkeitsgefüllte Hohlräume, die in den meisten Organen gutartig sind. Wie bei jeder Drüse können auch in der Mamma durch Sekretstau Zysten entstehen. Einzelne Zysten (Solitärzysten) sind harmlos. Die Abgrenzung von Tumoren erfolgt durch Sonografie. ▶ Therapie. Bei fehlenden Hinweisen auf Malignität brauchen einzelne Zysten nicht entfernt zu werden. Ist hingegen der gesamte Drüsenkörper im Sinne einer zystischen Mastopathie betroffen, so besteht die Gefahr einer Karzinomentwicklung, die entsprechende Kontrollen und meistens chirurgische Gewebeentnahme erforderlich macht. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. tersucht werden, um einen malignen Tumor sicher auszuschließen. 18.4.4 Mastopathia fibrosa cystica Definition L ● Bei der Mastopathia fibrosa cystica wird die Brustdrüse durch bindegewebige Knotenbildung (Fibrome) und Zysten verändert. Überwiegen die Zysten gegenüber den fibrösen Knoten, spricht man lediglich von zystischer Mastopathie. Ursächlich sind hormonelle Störungen (Östrogeneinfluss), weshalb sich die Veränderungen beidseitig finden. Vorwiegend sind 20- bis 50-jährige Frauen betroffen. Der Drüsenkörper weist palpatorisch multiple, derbe und druckschmerzhafte Knoten auf („Schrotkornbrust“). Typisch sind ferner prämenstruelle Schmerzen und Schweregefühl in der Brust. Heute gilt als erwiesen, dass der im Sinne einer Mastopathia fibrosa cystica veränderte Drüsenkörper gehäuft maligne entartet, nach Jahren also zum Mammakarzinom führen kann. Zusatzinfo ●V Die Mastopathia fibrosa cystica stellt eine Präkanzerose dar! Abb. 18.2 Blutende Mamma. Der Befund wird durch einen Milchgangstumor verursacht und ist verdächtig auf ein Karzinom. ▶ Diagnostik. Bei diesen Frauen ist die Krebsvorsorgeuntersuchung von besonderer Bedeutung. Klinische und röntgenologische Kontrollen beider Brüste sollten 1-mal pro Jahr erfolgen. ▶ Therapie. Verdächtige Bezirke sind operativ zu entfernen (diagnostische Exzision). Nicht selten sind im Laufe der Jahre mehrfache operative Probeentnahmen erforderlich. 18 275 Zusatzinfo ●V Die Krebsfrühdiagnose durch Mammografie ist bei der Mastopathie mit ihrem ohnehin schon stark veränderten Drüsenkörper und zusätzlichen Vernarbungen nach Probeentnahmen unsicher. In derartigen Fällen kann deshalb eine prophylaktische beidseitige Entfernung des gesamten Drüsenkörpers indiziert sein (subkutane Mastektomie). Haut und Brustwarze bleiben bei der prophylaktischen subkutanen Mastektomie erhalten. 18.4.5 Gynäkomastie des Mannes Definition L ● Die Größenzunahme der männlichen Brust wird als Gynäkomastie bezeichnet und kann einseitig oder beidseitig auftreten (▶ Abb. 18.3). ▶ Ursache. Nach der Geburt und zur Zeit der Pubertät ist eine hormonell bedingte Schwellung der männlichen Brustdrüse physiologisch. In diesem Fall ist sie reversibel und nicht behandlungsbedürftig. Beim erwachsenen Mann kann eine Gynäkomastie durch hormonproduzierende Tumoren (z. B. in Hoden oder Nebenniere), Langzeiteinnahme verschiedener Medikamente (z. B. Histamin-2-Blocker, Psychopharmaka), aber auch durch chronischen Alkoholkonsum hervorgerufen werden. In vielen Fällen ist die Ursache jedoch nicht zu ermitteln. Zusatzinfo ●V Besonders bei älteren Männern muss an das Vorliegen eines Mammakarzinoms gedacht werden (▶ Abb. 18.4). ▶ Therapie. Nach Ausschluss endokriner Ursachen wird der betroffene Drüsenkörper durch subkutane Mastektomie entfernt und histologisch untersucht. 18.4.6 Mammakarzinom Definition L ● Unter Mammakarzinom versteht man die bösartige Veränderung der Brustdrüse. Ursache Das Mammakarzinom ist der häufigste Krebs bei Frauen. Frauen, die geboren und gestillt haben, sind seltener betroffen als kinderlose Frauen. Zeigt sich in einer Brust ein Karzinom, so ist das Risiko einer kontralateralen Krebsentstehung erhöht. Selten tritt der Brustkrebs beim männlichen Geschlecht auf (▶ Abb. 18.4). Die Mastopathia fibrosa cystica wird als Vorstufe (Präkanzerose) des Mammakarzinoms angesehen. Der Brustkrebs kann jedoch auch entstehen, wenn der Drüsenkörper frei von mastopathischen Veränderungen ist. Zusatzinfo ●V 10 % der Brustkrebserkrankungen bei Frauen sind erblich bedingt (familiäres Mammakarzinom). Mutationen in den Genen BRCA1 und BRCA2 sind für 50 % der Erkrankungsfälle verantwortlich und können mit molekulargea b 18 Abb. 18.3 Gynäkomastie des Mannes. 24-jähriger Patient. a Präoperativer Zustand mit beidseitiger Brustdrüsenschwellung. b 2 Wochen nach subkutaner Mastektomie beidseits (Mamillenrandschnitt). 276 Abb. 18.4 Mammakarzinom beim Mann. Exulzerierender Tumor mit axillären Lymphknotenmetastasen. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Brustdrüse 18.4 Tumoren Diagnostik Z ● Pflege Beratung. Die klinische Untersuchung mit Inspektion und Palpation ist bei kleinen Tumoren unzuverlässig. Dennoch bleibt der Wert der monatlichen Selbstuntersuchung durch alle Frauen unbestritten. Standarddiagnostik für Mammatumoren sind die Sonografie und die Mammografie. Für ein Karzinom sprechen röntgendichte Knoten mit Mikrokalkeinlagerungen (▶ Abb. 18.5). Die MRT-Mammografie ist in der Erkennung von Karzinomen sensitiver als die konventionelle (Röntgen-)Mammografie. Wegen der wesentlich höheren Kosten ist die MRT-Mammografie nur bei speziellen Fragestellungen indiziert (z. B. erschwerte Beurteilbarkeit bei Narben nach brusterhaltender Karzinomoperation). Präoperativ erforderlich sind eine Röntgenaufnahme des Thorax, eine Lebersonografie (Metastasen?) und ein Knochenszitigramm (bei Verdacht auf Knochenmetastasen). ▶ Tumormarker. Beim Mammakarzinom können die Tumormarker CA 15–3, CEA und MUC-1 erhöht sein. Sie haben unterschiedliche Sensitivität und sind nicht beweisend für den Krebs. ▶ Brustkrebs-Screening. In Deutschland werden alle 2 Jahre Brustkrebsuntersuchungen für Frauen zwischen 50 und 69 Jahre über das Mammografie-Programm finanziert. Die Ergebnisse zeigen, dass die Früherkennung die Mortalität senkt. Von an Brustkrebs erkrankten Frauen sterben tumorbedingt innerhalb der folgenden 10 Jahre nach Diagnosestellung ohne Screening 31 %, bei Teilnahme am Screening 20 % (also 35 % weniger). Symptome Der äußere obere Quadrant der Brustdrüse ist am häufigsten befallen (▶ Abb. 18.6). H ● Merke Erstsymptom ist meistens ein tastbarer Knoten, der von den Frauen durch Selbstuntersuchung oder bei der Körperpflege bemerkt wird. Eine derb-höckerige Konsistenz spricht für malignes Wachstum. Karzinomatöse Knoten sind meistens kaum druckschmerzhaft. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. netischen Methoden nachgewiesen werden. Das lebenslange Risiko einer Mutationsträgerin für Brustkrebs beträgt 70 %. Der Nutzen einer prophylaktischen subkutanen Mastektomie bei diesen Frauen wird kontrovers diskutiert. Bei Inspektion der Mamma sind sichtbare Veränderungen als Zeichen eines ausgedehnten Primärtumors zu werten (Spätsymptom). Typisch ist ein grobporiges Aussehen der Haut (beginnende Infiltration) in Tumornähe, die als Apfelsinenhaut oder Orangenhaut (Peau d′orange) bezeichnet wird (▶ Abb. 18.7). Hat der Tumor die Haut komplett durchbrochen, so entsteht ein Geschwür (Ulzeration oder Ulkus, ▶ Abb. 15.1). Dieser Spätbefund ist selten zu beobachten. Auch Veränderungen der Brustwarze können durch ein Mammakarzinom bedingt sein. Das gilt insbesondere für die eingezogene Mamille, die Sekretabsonderungen (auf Druck) und das Symptom der blutenden Mamma (Blutung aus der Mamille). Fehlende Verschieblichkeit des Knotens gegenüber der Haut und dem großen Brustmuskel (Pektoralisfaszie) ist Folge einer Infiltration in die Umgebung (▶ Abb. 18.8). Hat bereits eine lymphogene Metastasierung stattgefunden, so sind in der Achselhöhle oder oberhalb des Schlüsselbeins oft vergrößerte Lymphknoten tastbar. ▶ Metastasierung. Der Tumor breitet sich direkt durch infiltratives Wachstum in das umgebende Fettgewebe und in die äußere Haut oder in die Brustmuskeln in der Tiefe aus. Die lymphogene Metastasierung erfolgt in die 15 55 15 10 a Abb. 18.5 Mammografie. a Unauffällige Brustdrüse. b Mammakarzinom (Pfeile). 5 18 b Abb. 18.6 Mammakarzinom. Häufigkeitsverteilung in Prozent. (D. Henne-Bruns, M. Düring, B. Kremer: Duale Reihe Chirurgie, Thieme 2007) 277 Abb. 18.7 Mammakarzinom. Beginnende Hautinfiltration (sog. „Orangenhaut“). Lymphknoten der Achselhöhle (axilläre Lymphknoten), die hämatogene Metastasierung mit Fernmetastasen im knöchernen Skelett, seltener in Lunge, Leber und Gehirn. Therapie H ● Merke Die Behandlung des Mammakarzinoms ist multimodal (▶ Tab. 18.1). Die Operation stellt nur einen Baustein des Therapiekonzepts dar. Dieser wird im Einzelfall durch Chemotherapie, Radiatio oder Hormone ergänzt. Die Früherkennungsprogramme und der Einsatz der präoperativen (neoadjuvanten) medikamentösen Therapie ermöglichen es immer mehr Patientinnen, brusterhaltend operiert zu werden. Abb. 18.8 Fortgeschrittenes Mammakarzinom. angestrebt. Abhängig vom Tumorstadium wird heute vorwiegend einer der beiden folgenden Eingriffe vorgenommen: ● brusterhaltende Tumorentfernung mit axillärem Lymphknotenstaging (s. u.) und Nachbestrahlung bei Tumoren bis 3 cm Durchmesser (heute in 70 % das Operationsverfahren der Wahl), ● modifiziert radikale Mastektomie bei größeren Tumoren. ▶ Chemotherapie. Zunehmend wird schon präoperativ eine Zytostatika-Behandlung (z. B. mit Taxan) begonnen, um durch Tumorverkleinerung eine brusterhaltende Operation zu ermöglichen. Bei der adjuvanten postoperativen Chemotherapie ist das Tumorstadium entscheidend für die Indikation, wobei das individuelle Risiko eines Lokalrezidivs oder Fernmetastasen gegenüber der Effektivität der systemischen Behandlung und ihren Nebenwirkungen abgewogen werden muss. ▶ Chirurgische Therapie. Die chirurgische Entfernung des Brustkrebses wird bei allen operablen Patientinnen Tab. 18.1 Multimodale Therapie beim Mammakarzinom. Vereinfachte Darstellung 18 278 Kleiner Tumor < 3 cm Fortgeschrittene Tumoren OP-Verfahren brusterhaltende Therapie Brustamputation neoadjuvante medikamentöse Therapie eher ja eher nein Primärtumorentfernung brusterhaltende OP Brustentfernung (evtl. Brustrekonstruktion in gleicher OP) axilläre Lymphknoten separate Inzision zur Entfernung a) nur Wächterlymphknoten oder b) komplette Axilladissektion komplette Axilladissektion von gleichem Schnitt (nicht bei Fernmetastasen) adjuvante medikamentöse Therapie Chemotherapie Hormontherapie Antikörpertherapie Chemotherapie Hormontherapie Antikörpertherapie adjuvante Strahlentherapie Restbrust (immer) abhängig vom Tumorstadium Folgeoperationen keine evtl. Brustrekonstruktion in zweiter OP Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Brustdrüse 18.4 Tumoren ▶ Hormontherapie. Grundsätzlich wird bei jeder Krebsoperation an der Brust ein Teil des Tumormaterials im Labor auf Hormonrezeptoren (Östrogen- und Progesteronrezeptoren) untersucht. Bei vorhandenen Rezeptoren (rezeptorpositive Patientin) kann eine hormonelle Zusatzbehandlung sinnvoll sein. Am gebräuchlichsten ist das Antiöstrogen Tamoxifen (Präparat: Nolvadex). ▶ Antikörpertherapie. Industriell hergestellte Antikörper (Trastuzumab = Herceptin) reagieren im Brustgewebe mit den Krebszellen und blockieren dort die Tumorzellteilung. Im Gegensatz zur herkömmlichen Chemotherapie wirkt der Antikörper gezielt auf den Tumor und weniger im gesamten Organismus (weniger Nebenwirkungen). Die Antikörpertherapie ist nur sinnvoll bei Tumoren, die einen entsprechenden Rezeptor aufweisen (HER2-positive Tumoren, 20 % aller Mammakarzinome). Zusatzinfo ●V Bei den meisten Mammakarzinomen kommt folgende Standardtherapie zur Anwendung: Brusterhaltende Operation mit Entnahme von Lymphknoten aus der Axilla, Nachbestrahlung der Restbrust, postoperative medikamentöse Behandlung. Prognose Das individuelle Tumorrisiko ist im Wesentlichen durch 5 Prognosefaktoren vorgegeben (▶ Tab. 18.2). Die Mehrzahl der an Brustkrebs erkrankten Patientinnen wird heute durch die multimodale Primärbehandlung geheilt. Wenn Fernmetastasen vorliegen, ist die Krankheit hingegen nicht mehr heilbar. Pflegeüberleitung Z ● I ● Fallbeispiel Mammakarzinom. Frau Mamme (52) holt die Post. Ihre Krankenkasse fordert sie auf, am kostenlosen Früherkennungsprogramm von Brustkrebs teilzunehmen. Für ländliche Gegenden gibt es dafür speziell ausgerüstete LKWs, ausgestattet mit der modernsten Technik. Frau Mamme hat zwar keine Beschwerden, aber sie geht hin. In der Mammografie findet sich in der rechten Brust im oberen äußeren Quadranten ein auffälliger Befund mit Mikrokalk (▶ Abb. 18.5). Man rät ihr zur weiteren Abklärung. Frau Mamme will den beunruhigenden Befund mit ihrer Familie besprechen. Der Hausarzt weist sie in das nächstgelegene zertifizierte Brustzentrum ein. Die Röntgenaufnahme der Lunge und eine Lebersonografie sind unauffällig. Eine Aspirationsbiopsie wird durchgeführt. Das Ergebnis: Frau Mamme hat Brustkrebs. Sie ist schockiert, fängt sich aber wieder, nachdem sie sich im Internet belesen hat und die Informationen mit Betroffenen diskutiert hat. In der Sonografie ist der Tumor ja „nur“ 1,5 cm groß, und Metastasen hat sie nach den bisherigen Untersuchungen nicht. Sie schöpft wieder Hoffnung. Vielleicht muss die Brust doch nicht ab. Frau Mamme wird von einer jungen Ärztin aufgeklärt. Nach interdisziplinärer Beratung wird eine brusterhaltende Therapie vorgeschlagen. Frau Mamme ist erleichtert. Dann hört sie etwas von einem „Wächterlymphknoten“. Das versteht sie nicht so ganz, aber offenbar handelt es sich um ein neuartiges Verfahren (▶ Abb. 18.11). Wenn sie Glück hat und der Wächterlymphknoten nicht befallen ist, müssen nicht so viele Lymphbahnen in der Achsel zerstört werden. Bei Frau Mamme wird eine brusterhaltende Segmentresektion durchgeführt (▶ Abb. 18.10). Der SentinelLymphknoten ist in der Schnellschnitthistologie tumorfrei, es muss also keine komplette Axilladissektion erfolgen. Die Immunhistochemie des Tumorpräparats zeigt eine Positivität für den Östrogenrezeptor. Frau Mamme wird also ein Hormonpräparat einnehmen. Die Ärzte empfehlen ihr zusätzlich eine adjuvante Chemotherapie für einige Wochen und eine postoperative Bestrahlung der operierten Brust, was heute Standard nach brusterhaltender Krebsoperation ist. Frau Mamme hat gute Chancen, den Brustkrebs definitiv besiegt zu haben. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. ▶ Strahlentherapie. Nach brusterhaltenden Krebsoperationen wird immer eine postoperative Bestrahlung des Restdrüsenkörpers durchgeführt. Damit sollen evtl. verbliebene Mikrokarzinome zerstört werden. Man beginnt 2–4 Wochen nach der Operation. Neben Anamnese, eingehender körperlicher Untersuchung, psychosozialer und psychoonkologischer Beratung ist die Mammografie unverzichtbarer Bestandteil der Nachsorge. Sie erfolgt auch an der kontralateralen Brust. Tab. 18.2 Einteilung in Risikogruppen beim Mammakarzinom Prognosefaktoren Niedriges Risiko Hohes Risiko Tumorgröße Tumor unter 1 cm Tumor über 2 cm Nodalstatus nodalnegativ (Lymphknoten nicht befallen) nodalpositiv (Lymphknoten befallen) Grading G1 (histologisch differenziert) G3 (histologisch undifferenziert) Hormonrezeptorgehalt hormonrezeptorpositiv hormonrezeptornegativ Alter höheres Alter junges Alter (unter 40 Jahre) 18 279 Brustdrüse Burkhard Paetz Die wichtigsten Schnittführungen zeigt ▶ Abb. 18.9. Grundsätzlich werden 1 oder 2 Redon-Drainagen in die Wundhöhle eingelegt. 18.5.1 Mamma-PE, Biopsie L ● Definition Probeexzision (PE) ist gleichbedeutend mit Biopsie. Aus einem verdächtigen Bezirk wird Gewebe entnommen, um eine histologische Diagnosesicherung herbeizuführen. Die diagnostische Aussage einer solchen Histologie ist größer als bei dem durch perkutane Punktion gewonnenen Zellmaterial (Aspirationszytologie). 18.5.2 Subkutane Mastektomie Definition Als subkutane Mastektomie bezeichnet man die Entfernung des Drüsenkörpers unter Erhaltung der Haut und Mamille. Von einer submammären Inzision wird der gesamte Drüsenkörper subkutan „ausgeschält“. Der entstehende Hohlraum kann in geeigneten Fällen durch plastisch-chirurgische Maßnahmen aufgefüllt werden. Typische Indikation zur subkutanen Mastektomie bei Frauen ist die ausgeprägte Mastopathie, wobei der Eingriff einer Karzinomprophylaxe entspricht. Bei der Gynäkomastie des Mannes wird die subkutane Mastektomie von einer periareolären Inzision aus vorgenommen. Zusatzinfo 5 ●V In der Karzinomchirurgie wird die subkutane Mastektomie nicht angewendet. 3 1 L ● 4 2 a brusterhaltende Eingriffe 18.5.3 Brusterhaltende Tumorentfernung Definition L ● Die brusterhaltende Tumorentfernung (Tumorektomie) ist die Standardtherapie des Mammakarzinoms mit Entfernung des Tumorknotens unter Belassung des übrigen Drüsenkörpers, der Haut und der Mamille. b Ablatio mammae Abb. 18.9 Schnittführungen an der Mamma. a Brusterhaltende Eingriffe: Die periarioläre Inzision (Mamillenrandschnitt) (1) und konzentrisch dazu verlaufende Schnitte (2) sind für die Entfernung kleiner Tumoren geeignet. Kosmetisch ungünstiger ist eine radiäre Inzision (3), weil sie nicht in den Spaltlinien der Haut verläuft. Über einen gebogenen Schnitt in der unteren Brustfalte (4) (= submammäre Inzision = BardenheuerSchnitt) lässt sich ein Tumor im unteren Drüsenkörper entfernen oder eine subkutane Mastektomie durchführen. Die Narbe wird durch die Brust weitgehend verdeckt. Für die Lymphknotenentfernung in der Achsel kann eine Zusatzinzision (5) erforderlich sein. b Ablatio mammae: Ovaläre Umschneidung der Brustdrüse. Der Schnitt reicht bis in die Achsel, damit auch die axillären Lymphknoten entfernt werden können. 18 280 Abhängig von der Form des entfernten Gewebes spricht man auch von Segmentresektion oder Quadrantenresektion. Bei gutartigen Geschwülsten stellen die brusterhaltenden Eingriffe immer eine ausreichende Entfernung dar. Aber auch bei bösartigen Tumoren ist die brusterhaltende Therapie eine adäquate onkologische Behandlung mit kurativer Zielsetzung (▶ Abb. 18.10). Als zusätzliche Maßnahme müssen jedoch ein axilläres Lymphknotenstaging und eine Nachbestrahlung erfolgen. Voraussetzungen für die brusterhaltende Operation beim Mammakarzinom sind: ● Größe des Primärtumors unter 3 cm Durchmesser ● komplette Entfernung des Primärtumors ● Bestätigung der kompletten Tumorentfernung durch Schnellschnitthistologie ● axilläres Lymphknotenstaging mit histologischer Untersuchung ● postoperativ immer Nachbestrahlung ● zusätzliche Chemotherapie abhängig vom Risikoprofil Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 18.5 Operative Verfahren an der Brustdrüse Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 18.5 Operative Verfahren an der Brustdrüse Abb. 18.10 Brusterhaltende OP. (C. J. Gabka, H. Bohmert: Plastische und rekonstruktive Chirurgie der Brust, Thieme 2006) a Mamillenrandschnitt. Der Tumor ist als Kreis angezeichnet, das zu mobilisierende Drüsengewebe schraffiert. b Tumorentfernung durch Segmentresektion. c Wunden nach Segmentresektion und Entfernung des axillären Wächterlymphknotens. d Befund am OP-Ende mit Redon-Drainagen. Merke H ● Für die brusterhaltende Primärbehandlung des Mammakarzinoms ist die Kombination von chirurgischer Tumorentfernung mit axillärem Lymphknotenstaging und Bestrahlung der Restbrust Standard. 18.5.4 Axilläres Lymphknotenstaging Definition L ● Als axilläres Lymphknotenstaging bezeichnet man die Entfernung von Lymphknoten in der Achselhöhle beim Mammakarzinom mit histologischer Untersuchung zur Bestimmung des Tumorstadiums. Man unterscheidet die (wenig invasive) Sentinel-Lymphknoten-Biopsie von der (invasiveren) Axilladissektion (= axilläre Lymphonodektomie). Der Nodalstatus (axilläre Lymphknoten tumorbefallen oder nicht) ist beim Mammakarzinom von erheblicher Bedeutung, weil er die Prognose und Nachbehandlung wesentlich bestimmt. Deshalb werden Lymphknoten aus der Achsel entfernt und histologisch untersucht. ▶ Sentinel-Lymphknoten-Biopsie. Unter dem SentinelLymphknoten (englisch: Wächter), deshalb auch Wächterlymphknoten genannt, versteht man den ersten Lymphknoten im Abstromgebiet des Tumors. Er lässt sich szintigrafisch und durch Einspritzen von Farbstoff markieren, sodass der Chirurg den Lymphknoten bei der Operation finden und über einen Minischnitt entfernen kann (▶ Abb. 18.11). Der Sentinel-Lymphknoten wird bei lymphogener Metastasierung zuerst befallen. Wenn er tumorbefallen ist, müssen auch die anderen Lymphknoten der Achsel ausgeräumt werden (axilläre Lymphonodektomie = axilläre Lymphknotendissektion). 18 281 Brustdrüse Zusatzinfo ●V ▶ Axilladissektion. Dieser Begriff bedeutet, dass ein Großteil der Lymphknoten in der Achsel operativ entfernt wird (axilläre Lymphonodektomie). Ein kleiner für das Tumorstaging wenig repräsentativer Anteil wird belassen, um die V. axillaris zu schonen und möglichst viele Lymphbahnen zu erhalten. Dadurch sind die früher beobachteten postoperativen Armschwellungen seltener geworden. Zusatzinfo ●V Bei der brusterhaltenden Operation werden die Lymphknoten in der Achsel über einen separaten Schnitt offen oder endoskopisch entfernt. Bei der modifiziert radikalen Mastektomie ist die Lymphknotenentfernung Bestandteil der Tumorentfernung und erfolgt über den gleichen Schnitt. 18.5.5 Ablatio mammae Definition L ● Die Ablatio mammae bezeichnet die Entfernung der gesamten Brust, also von Haut, Mamille und Drüsenkörper. Man spricht auch von Ablatio simplex oder einfacher Mastektomie. Abb. 18.11 Wächterlymphknoten. (D. Henne-Bruns, M. Düring, B. Kremer: Duale Reihe Chirurgie, Thieme 2007) a Präoperative Szintigrafie. Eine radioaktive Substanz wurde neben dem Tumor in die Brust injiziert (großer heller Fleck). In der Achsel färben sich 2 Lymphknoten an. b Ortung des radioaktiven Wächterlymphknotens intraoperativ mit einer speziellen Sonde. c Vor der histologischen Untersuchung wird der exstirpierte Lymphknoten mit der Sonde auf seine Signalintensität geprüft, um sicher zu sein, dass der richtige Lymphknoten entfernt wurde. 18 282 Zur Ablatio (lat.: Abtragung) der Mamma wird die Brust ovalär umschnitten und dann als Ganzes entfernt. Der resultierende spindelförmige Wunddefekt wird durch adaptierende Naht der Wundränder verschlossen. Ohne Ausräumung der axillären Lymphknoten kommt die Ablatio mammae (einfache Mastektomie) als palliative Maßnahme bei metastasierendem Mammakarzinom zum Einsatz, um einem Tumorzerfall durch Exulzeration vorzubeugen. Zusatzinfo ●V Das Wort „Brustamputation“ ist ein (ungenauer) Sammelbegriff für alle nicht brusterhaltenden Operationsverfahren. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Als primäre Abflussstation aus der Mamma repräsentiert der Wächterlymphknoten stellvertretend für alle axillären Lymphknoten den Tumorbefall in der Achsel. Ist der Sentinel-Lymphknoten tumorfrei, kann auf die herkömmliche operative Axillaausräumung verzichtet werden, was für die Patientin hinsichtlich der Morbidität für den gleichseitigen Arm von Vorteil ist. 18.5 Operative Verfahren an der Brustdrüse Definition L ● Die modifiziert radikale Mastektomie entspricht der Entfernung der gesamten Brust einschließlich Pektoralisfaszie mit zusätzlicher Teilausräumung der axillären Lymphknoten. Die Brustmuskeln werden belassen. Man spricht auch von Ablatio mammae mit partieller Axillaausräumung. Die Mamma wird ovalär umschnitten und entfernt. Der Schnitt reicht bis in die Achselhöhle, sodass der wesentliche Teil des axillären Fettgewebes mit den darin enthaltenen Lymphknoten en bloc (in einem Stück) entfernt werden kann (▶ Abb. 18.12). Die Axillaausräumung beschränkt sich bei dem modifiziert radikalen Vorgehen auf das Gewebe unterhalb der V. axillaris. Bei dieser Technik bleiben genügend Lymphbahnen erhalten, sodass das früher häufig aufgetretene Lymphödem des Armes seltener beobachtet wird. Die modifiziert radikale Mastektomie ist die Standardoperation beim Mammakarzinom, wenn eine brusterhaltende Tumorentfernung nicht möglich ist. 18.5.8 Brustrekonstruktion Nach brusterhaltenden Eingriffen ist eine Rekonstruktion nicht erforderlich, weil der volumenmäßig geringe Defekt durch Mobilisierung (Verschiebung) des verbliebenen Drüsenkörpers und durch körpereigene Heilungsprozesse ausgeglichen wird. Wenn eine modifiziert radikale Mastektomie indiziert ist, kann die plastische Rekonstruktion simultan mit der Brustentfernung (primär) oder einige Monate später (sekundär) erfolgen. Es gibt viele operative Verfahren zur Brustrekonstruktion. Nachfolgend eine kleine Auswahl (▶ Abb. 18.13). ▶ Latissimus-dorsi-Schwenklappen. Ersatz des Brustgewebes durch den breiten Rückenmuskel, der mit einer Hautspindel in das Lager der entfernten Brust geschwenkt wird (gestielte Transplantation). Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 18.5.6 Modifiziert radikale Mastektomie ▶ TRAM-Lappen. Ersatz des Brustgewebes mit einem gestielten Lappen aus Haut, Unterhaut und Muskelgewebe vom Unterbauch (Transversaler Rectus-abdominis-myokutaner Schwenklappen). 18.5.7 Hautsparende Mastektomie Definition L ● a Die hautsparende Mastektomie (Skin Sparing Mastectomy: SSM) bezeichnet die Entfernung des Drüsenkörpers mit der Areola und der Biopsienarbe bei Brustkrebs mit Rekonstruktion. Bei dieser Form der Mastektomie wird die bedeckende Haut weitgehend erhalten, und die Brustrekonstruktion erfolgt in gleicher Narkose. Zur Brustrekonstruktion wird körpereigenes Gewebe verwendet oder eine Silikonprothese unter den Pektoralismuskel eingesetzt. Weitere Operationen sind nicht erforderlich. Vorteilhaft ist das gute kosmetische Ergebnis mit Erhalt der unteren Umschlagsfalte. b c Abb. 18.12 Modifiziert radikale Mastektomie. Wunde unmittelbar postoperativ. 18 Abb. 18.13 Brustrekonstruktion. a Latissimus-dorsi-Schwenklappen. b TRAM-Lappen. c Brustaufbau mittels Expandertechnik und späterer Prothesenimplantation. 283 Brustdrüse Unseriöse Anbieter gibt es. Sie erhöhen das Risiko bei ästhetischen Operationen. Eventuell kann die Krankenkasse einen Teil des Entgelts zurückverlangen. ▶ Mamillenrekonstruktion. Auch hier gibt es diverse Verfahren. Am besten ist die Entnahme der halben Brustwarze von der Gegenseite mit zusätzlicher Tätowierung des Warzenhofs (▶ Abb. 18.14). ●V Die Erkennung eines Tumorrezidivs ist nach rekonstruktiven Maßnahmen erschwert. Dennoch kann die Rekonstruktion im Einzelfall eine wesentliche Hilfe bei der psychosexuellen Rehabilitation darstellen. Indikation ist – nach ausführlicher Aufklärung – der ausdrückliche Wunsch der Patientin. In Kliniken, die eine chirurgische Wiederherstellung der Brust als Teil des Therapieplans im Rahmen der Rehabilitationsmaßnahmen anbieten, machen ca. 20 % der Frauen davon Gebrauch. 18.6 Pflege von Patientinnen mit Brustamputation Angelika Cerkus-Roßmeißl Brustkrebs – kaum eine andere Diagnose ist für eine Frau so schockierend und wird als so gravierender Einschnitt in ihr Leben erlebt. Zur Bewältigung dieser lebensverändernden Situation und der einzelnen Therapieschritte bedarf die Frau einer umfangreichen medizinischen, pflegerischen und psychosozialen Unterstützung. 18.6.1 Präoperative Pflege Abb. 18.14 Brustrekonstruktion. (C. J. Gabka, H. Bohmert: Plastische und rekonstruktive Chirurgie der Brust, Thieme 2006) a Patientin nach modifiziert radikaler Mastektomie. b Gleiche Patientin 1 Jahr nach Brustrekonstruktion mit einem gestielten Muskel-Haut-Lappen aus der Bauchwand (TRAM-Lappen-Rekonstruktion) und Mamillenrekonstruktion. ▶ Protheseneinlage. Wenn eine Silikonprothese nach Brustamputation implantiert werden soll, muss das Gewebe vorher aufgedehnt werden, um Platz für die Prothese zu schaffen. Das geschieht über eine Art Ballon, der über Wochen zunehmend aufgefüllt wird (Expandertechnik). Zusatzinfo 18 ●V Es gibt keinen Hinweis dafür, dass Silikonbrustimplantate Krebs, Autoimmunerkrankungen oder rheumatologische Erkrankungen verursachen. Komplikationen wie Kapselfibrose, Ruptur oder Verrutschen des Implantats sind jedoch häufig. 284 Ist die Diagnose vor dem operativen Eingriff noch nicht gesichert, kann dies bei der betroffenen Frau emotionale Phasen von Hoffnung und Optimismus, aber auch Gefühle der Angst und Sorge vor der drohenden Krebserkrankung auslösen. Liegen bereits gesicherte Ergebnisse vor, können Trauer, Hoffnungslosigkeit, Resignation und Verzweiflung dominieren. Dann wird von den Pflegenden ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen und fachliche Kompetenz im Umgang mit den betroffenen Frauen erwartet. Pflege Z ● Beratung. Vor allem nach dem ärztlichen Aufklärungsgespräch benötigen die Frau und ihre Angehörigen evtl. einen Gesprächspartner, um sich auszutauschen, Gedanken zu ordnen und Entscheidungen z. B. zum OP-Verfahren zu reflektieren. Bereits ein aufmerksames Zuhören und das deutliche Interesse für die belastende Situation können für die Patientin unterstützend sein. Neben den allgemeinen präoperativen Vorbereitungsmaßnahmen wird die Patientin zu postoperativen Bewegungseinschränkungen und notwendigen prophylakti- Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Zusatzinfo 18.6 Pflege von Patientinnen mit Brustamputation schen Maßnahmen (z. B. Pneumonieprophylaxe, Lymphödemprophylaxe) beraten. 18.6.2 Postoperative Pflege Bei der speziellen postoperativen Pflege muss eine besondere Aufmerksamkeit auf die Überwachung, Entlastung und Pflege des Operationsgebiets gelegt werden, um eine komplikationslose Wundheilung zu gewährleisten. Eine sekundär abheilende Wunde hätte eine große Narbenplatte zur Folge, die die Beweglichkeit der Schulter und den Lymphabfluss einschränken würde. Die Operationswunde ist mit Einzelknopfnähten oder einer Intrakutannaht verschlossen. Resorbierbare Fäden müssen nicht entfernt werden. Nach Brustamputationen stehen die Nähte wegen der Schnittführung und des fehlenden Gewebes unter Spannung, weshalb die Fäden länger als sonst belassen werden (3–4 Wochen). Vielfach wird nach dem ersten Verbandwechsel die offene Wundheilung bevorzugt. Aus dem Bedürfnis, die Wunde zu schützen, bevorzugen viele Patientinnen jedoch einen Pflasterverband bis zur Fadenentfernung. Drainagen Je nach Operationsausmaß liegen 1–3 Drainagen im Brust- und Achselbereich, um das Wundsekret abzuleiten. Abhängig von der Fördermenge werden die Drainagen (auf ärztliche Anordnung) im Brustbereich zwischen dem 2. und 5. postoperativen Tag entfernt; die axillären Drainagen zwischen dem 4. und 7. Tag. Wundgebiet Das Operationsgebiet wird auf Entzündungszeichen und Schwellungen beobachtet und die Patientin zur Schmerzsituation befragt. Aufgrund der operativen Verletzung des axillären Lymphsystems und der dadurch bedingten Behinderung des Lymphabflusses können sich neben einer generellen Schwellung des OP-Gebiets Lymphzysten bilden, sog. Lymphozelen. Diese gehen meist spontan zurück – wenn nicht, werden sie durch eine Punktion entlastet. Entlastung In den ersten Tagen nach der Operation kann die Patientin den Arm der operierten Seite als schwer, unbeweglich und wenig kontrollierbar empfinden. In dieser Phase muss das Wundgebiet vor Überdehnungen und Spannungen geschützt und die Patientin über Vorsichtsmaßnahmen informiert werden (▶ Abb. 18.15). Um das Wundgebiet z. B. beim An- und Auskleiden möglichst wenig durch ein Heben der Arme zu belasten, sollte die Patientin bis zur abgeschlossenen Wundheilung aufknöpfbare Kleidungsoberteile tragen. Die Pflegenden unterstützt sie im Weiteren besonders: ● bei der Körper- und Haarpflege ● beim Richten der Mahlzeiten ● bei einer bequemen Lagerung Abb. 18.15 Lagerung nach Brustoperation. Der Arm auf der operierten Seite wird in leichter Abduktion des Schultergelenks, etwas angewinkelt auf einem Kissen erhöht gelagert. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Naht Narbenpflege Nach abgeschlossener Wundheilung kann die Narbe mit pH-neutraler, unparfümierter Salbe oder Creme gepflegt werden. Um die Akzeptanz für den veränderten Brustbereich zu fördern, kann sich die Patientin auch selbst eincremen. Sie sollte darauf aufmerksam gemacht werden, dass sich die Brustseite noch geschwollen und hart anfühlen kann, dass das Gewebe während des Wundheilungsverlaufs jedoch zunehmend geschmeidiger wird. Zusatzinfo ●V Durch die operative Verletzung von Nerven und durch die Schrumpfung der Narbe können die Frauen auch noch nach Wochen und Monaten folgende Symptome verspüren, die meist im Laufe der Zeit nachlassen: ● Stiche, Brennen oder Jucken im Wundbereich ● Taubheitsgefühle in der Achselhöhle ● Empfindungsstörungen am Innenarm ● Überempfindlichkeit von Hautbezirken 18.6.3 Prophylaxe von Lymphödem und Fehlhaltung Komplikationen wie ein Lymphödem oder eine Fehlhaltung, die zu einer langfristigen Folgebehandlung sowie Einschränkung der Lebensqualität führen, sollten vermieden werden. Lymphödemprophylaxe Liegt die Patientin im Bett, sollte der Arm der operierten Seite zur Förderung des Lymphabflusses erhöht gelagert werden. Dabei wird der Arm der betroffenen Seite in leichter Abduktion so auf einem Kissen positioniert, dass die Hand auf Herzhöhe liegt, der Achselbereich nicht durchhängt und nicht unter Spannung steht. Um einer Hautmazeration vorzubeugen, wird eine trockene Kompresse in der Achselhöhle platziert. Wegen weitreichen- 18 285 Brustdrüse Fehlhaltungsprophylaxe Nach einer Mastektomie kann der Verlust der Brust zu einem unbewussten Gleichgewichts- und Haltungsausgleich und zu schmerzhaften Muskelverspannungen im Hals-Nacken- und Schulterbereich führen – besonders bei Frauen mit großen Brüsten. Zusätzlich begünstigen Schmerzen in der Achsel und eine damit verbundene eingeschränkte Beweglichkeit des Schultergelenks eine Schonhaltung. Zu beobachten ist eine Tendenz zur Adduktion des Armes mit hochgezogenem Schultergürtel bei gleichzeitig leicht vorgekippter Schulter. Bei Nichtbehandlung kann sich die Fehlhaltung ausdehnen, was zu chronischen Schmerzen führen kann. Deshalb ist eine gezielte physiotherapeutische Behandlung angezeigt. Ziele der Prophylaxe sind die Erhaltung und Verbesserung der Mobilität im Schulter-Arm-Gelenk und eine Haltungsschulung. Bereits in den ersten postoperativen Tagen werden spezielle Übungen für die Beweglichkeit durchgeführt. Sie steigern sich in Intensität und Belastung im Laufe des Klinikaufenthalts. Die Patientin hat eine bessere Kontrolle über die Übungen und ihre Körperhaltung, wenn sie diese vor einem Spiegel ausführt. Neben der Haltungsschulung kann die Arbeit vor dem Spiegel die Patientin unterstützen, sich wieder im Spiegel anzuschauen und sich mit den körperlichen Veränderungen auseinanderzusetzen. Pflege Z ● Nachbehandlung. Lassen Sie sich geeignete Übungen von der Physiotherapeutin zeigen. So können Sie die physiotherapeutischen Übungselemente bei allen Unterstützungsmaßnahmen einbeziehen. 18.6.4 Psychosoziale Begleitung Die Erkrankung Brustkrebs löst Schock und Angst aus und muss erst einmal verarbeitet werden. Häufig quält Frauen die Frage, wie es zu der Krebserkrankung kommen konnte. Die subjektiven Vorstellungen von der Entstehung der Erkrankung sind für die Krankheitsverarbeitung wichtig. Die Pflegenden sind gefordert, eine Atmosphäre zu schaffen, in der die Frau evtl. unter Einbeziehung ihrer Bezugspersonen (z. B. Partner) ihre Vorstellungen, Fragen und ihre Gefühle ausdrücken kann. In diesen Gesprächen kann deutlich gemacht werden, dass es sich bei einer Krebserkrankung um ein unvorhersehbares Schicksalsereignis handelt, das jeden Menschen treffen kann, ungeachtet dessen, in welcher Lebenssituation er sich befunden hat. Umgang mit dem veränderten Körperbild Bei der Wundbehandlung und der Körperpflege kann die Patientin behutsam auf ihr verändertes Körperbild vorbereitet werden. Dem ersten Verbandwechsel kommt demnach eine besondere Bedeutung zu. Nach einer Brustamputation sieht die Frau anstelle ihrer Brust eine Narbe, die sich über die betroffene Brustseite zieht und anfangs geschwollen und wulstig aussehen kann. Auch nach brusterhaltenden Operationen ist es möglich, dass die Brust eine große Formveränderung aufweist. Die Vorgehensweise beim Verbandwechsel sollte vorab mit der Patientin besprochen werden. Sie wird behutsam gefragt, ob sie die Narbe sehen möchte. Nach der Verbandablösung kann ihr ein Spiegel gereicht werden, mit dem sie die Operationswunde auch im Liegen besser anschauen kann. Es kann auch hilfreich sein, der Patientin zunächst eine Beschreibung der Wunde zu geben, um sie dann zu ermuntern, die Brustseite selbst zu betrachten. Merke H ● Manchmal möchten die Frauen die Operationswunde und ihre veränderte Brustseite nicht ansehen und berühren. Das sollte akzeptiert werden, aber seien Sie sich bewusst, dass die Frau Sie aufmerksam beobachtet und Ihr nonverbales und verbales Verhalten beim Anblick der Narbe interpretiert. 18 286 Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. der Folgen verlangt die Lymphödemprophylaxe eine besondere Sorgfalt.