Prof. Dr. F. Koch Dr. H. E. Porteanu [email protected] [email protected] SS 2005 HÖHERE PHYSIK – SKRIPTUM VORLESUNGBLATT IX -XI– 23.06., 30.06., 7.07., 2005 Kernphysik I - III Die moderne Atom- und Kernphysik hat ihren Beginn am Ende des 19. Jahrhunderts, als die Röntgenstrahlung, Radioaktivität und das Elektron entdeckt wurden. Die Kernphysik ist heute die naturwissenschaftliche Grundlage für die Nutzung der Kernenergie und viele Anwendungen in der Technik und Medizin. 1. Kernradius und Kernaufbau Die Streueigenschaften von α-Teilchen (Heliumkerne) an einer Goldfolie veranlassten Rutherford 1911 ein Atommodell zu formulieren, indem die gesamte positive Ladung und Masse der Atome auf ein sehr kleines Volumen in deren Zentrum beschränkt ist. Aus den Streuexperimenten kann man auch den Radius des Kerns abschätzen zu etwa 10-15 m. Nach der Entdeckung des Neutrons im Jahre 1932 wurde postuliert, dass der Kern aus Protonen und Neutronen aufgebaut ist. Für die Ladung des Kerns gilt: Q=Z⋅e, mit Z: Protonenzahl. Alle Kerne lassen sich also durch zwei Zahlen charakterisieren: Z (Protonenzahl) und N (Neutronenzahl), A=N+Z (Massenzahl) Alle bekannten Kerne kann man somit in ein N-Z-Diagrarnm (Nuklidkarte) eintragen. Man sieht, dass die stabilen Kerne sich auf einer Linie befinden die nahe dem Ursprung, die Steigung 1 hat Lind dann abflacht. Schwere Kerne sind somit neutronenreich (N>Z). 1 Kerne werden dargestellt durch das Symbol des chemischen Elements versehen mit der Massenzahl links oben und der Ladungszahl links unten, z.B. schreibt man für ein Isotop des Sauerstoffs mit Massenzahl 16 und Ladungszahl 8: 16 8 O Für jedes Element (Z=const.) gibt es Kerne, deren Neutronenzahl variiert. Diese nennt man Isotope. Aston baute 1919 den ersten Massenspektrographen und konnte feststellen, dass die meisten Elemente Gemische aus mehreren Isotopen sind. Im Elektronenspektrum machen sich Isotope durch die unterschiedliche reduzierte Masse bemerkbar. In einem Massenspektrographen werden geladene Teilchen in einem Magnetfeld abgelenkt und der sich dabei ergebene Bahnradius aufgezeichnet. Teilchen verschiedener Masse werden unterschiedlich stark abgelenkt. Isotone werden Kerne mit gleicher Neutronenzahl genannt, Isobare heißen Kerne mit gleicher Massenzahl. Streuexperimente stellen die wichtigste Untersuchungsmethode zur Messung von Kernkräften, der Struktur der Kerne und Elementarteilchen dar. Bei Coulombstreuung (ein geladenes Projektil, z.B. ein Heliumkern wird auf einen Targetkern geschossen) ergeben sich bei Messung des Ablenkwinkels der Teilchen Abweichungen vom erwarteten Verhalten, wenn die beiden Teilchen so nahe aufeinandertreffen, dass sie sich berühren. Dies kann - zur Bestimmun der Kernradien verwendet werden. Für Coulomb-Streuung gilt bei Berührung der Teilchen: VSchwelle = 1 4πε 0 wobei Z1, Z2 die Ladungen und R1, R2 die Radien der Stosspartner sind. ⋅ Z1Z 2e 2 R1 + R2 Weitere Information kann man über die Messung von Spektren an Mesonenatomen (Elektronen sind durch ein Meson ersetzt) erhalten. Die Messungen führen zu dem Ergebnis, dass die Radien aller Kerne gut durch den Wert: 1 3 r = r0 ⋅ A , r0 = 1.2 ⋅10 −15 m beschrieben werden können. Das heißt, das Volumen der Kerne ist proportional zu der im Kern enthaltenen Nukleonenzahl (Protonen und Neutronen). Interessant ist es eine Abschätzung der Kerndichte anzuführen. Sie beträgt 1011 kg/cm3. Neutronensterne, die bei Supernovaexplosionen entstehen haben eine so hohe Dichte. 2. Massendefekt und Bindungsenergie der Kerne Ein aus mehreren Teilchen zusammengesetztes System ist dann stabil, wenn seine Gesamtenergie geringer als die der freien Teilchen ist. Bei der Fusion von Nukleonen wird also Energie frei und diese wird als Bindungsenergie B bezeichnet. Nach Einstein gilt die Äquivalenz der Energie mit der Masse und daher ist die Masse des zusammengesetzten Kerns MA um den Massendefekt kleiner. Es gilt: B = ∆Mc 2 = M A − (N ⋅ mn + Z ⋅ m p ) Die Massendefekte können sehr genau gemessen werden. Es ergibt sich, dass die Bindungsenergie pro Nukleon über den gesamten Massenbereich etwa 8 MeV pro Nukleon beträgt (Ausnahme: sehr leichte Kerne) Der genaue Verlauf der Bindungsenergie pro Nukleon ist in nachfolgendem Graphen dargestellt: 2 Hierbei sind die Elemente entlang der Stabilitätslinie der Nuklidkarte zur Bestimmung der Bindungsenergien herangezogen worden. Man stellt fest, dass die Kurve im Bereich um A=60 ein breites Maximum hat. Bei den leichten Nukliden hat das Helium eine hohe Bindungsenergie pro Nukleon. Als Masseneinheit wählt man praktischerweise 1/12 der Masse des Kohlenstoffisotops 12C (die atomare Masseneinheit u). Der Massendefekt kann somit in MeV/c2 oder in u ausgedruckt werden. Eine Erklärung des Verlaufes der Bindungsenergien pro Nukleon wurde von v. Weizsäcker 1935 mit einer halbempirischen Formel gegeben (Tröpfchenmodell). Man lernt aus der Untersuchung, von Spiegelkernen (Kerne, bei denen Protonen- und Neutronenzahl vertauscht sind), dass erstens die Kernkräfte nicht von der Ladung abhängen. Zweitens kommt in der Tatsache, dass die Bindungsenergie pro Nukleon über den gesamten Massenverlauf etwa denselben Wert annimmt zum Ausdruck, dass die Kernkräfte kurzreichweitig sind, d.h. jedes Nukleon wechselwirkt nur mit seinen nächsten Nachbarn. Die v. Weizsäckersche Formel für die Bindungsenergie der Kerne lautet: 2 2 ( 1 N − Z ) 3 Z (Z − 1)e 2 3 B = bVol . ⋅ A − bOb. ⋅ A − ⋅ bSym. − + δB 2 A 5 4πε 0 ⋅ RC bVol. = 16 MeV, bOb. = 17 MeV, bSym. = 50 MeV, δB = 0 (ug), 25 A-1 (gg), -25 A-1 (uu) Die auftretenden Terme sind: • der Volumenterm: folgt direkt aus der Kurzreichweitigkeit der Kernkräfte • der Oberflächenterm: für die an der Oberfläche des Kern-Tröpfchens sitzenden Nukleonen wirken Kernkräfte nur nach innen gerichtet, deshalb subtrahiert sich dieser Term von der Bindungsenergie. 3 • der Asymmetrieterm: Für die stabilen Isobaren ist die Bindungsenergie auf einem Schnitt durch das Isotopental etwa parabelförmig, und wird minimal bei N=Z, für N≠Z wandeln sich die instabilen Nuklide meist durch Betazerfall in stabile Isobare um. • der Coulombterm: Dieser Term lockert die Bindungsenergie aufgrund der Abstoßung der Protonen untereinander. • der Paarungsterm gibt die Energie bei Paarung, von gleichen Nukleonen wieder. Paarung bedeutet ein Nukleonenpaar mit Eigenspin in entgegengesetzten Richtungen. 3. Magnetische und elektrische Momente der Atomkerne Viele Kerne (alle mit ungeradem A) besitzen einen Eigendrehimpuls (Spin) und damit verbunden ein magnetisches Moment µ. Protonen und Neutronen haben Spin ½. Damit sollten beide ein magnetisches Moment von einem Kernmagneton haben. eh 2m p Das magnetische Moment eines Kerns ist etwa 1000 mal kleiner als das des Elektrons (Verhältnis me / mK). In einem äußeren Magnetfeld richten sich die Kernmagnetmomente aus und durch Einstrahlung elektromagnetischer Wellen können sie umgeklappt werden (Kernspinresonanz). Es gilt (in Analogie zum Bohrschen Magneton): µK = Messungen des magnetischen Momentes für Protonen und Neutronen liefern: µp = 2.79 µK (Proton), µn = -1.91 µK (Neutron) Offensichtlich sind die Nukleonen also zusammengesetzt aus weiteren Teilchen mit Ladung. Andernfalls können die Werte des magnetischen Momentes und das magnetische Moment des ungeladenen Neutrons nicht erklärt werden. Man beachte, dass für Neutronen das magnetische Moment negativ und seinem Spin entgegengesetzt ist. Atomkerne haben zusätzlich zu den magnetischen auch elektrische Momente. Abweichungen der Kernform von einer Kugel liefern Multipolmomente, wobei das niedrigste Moment für Kerne im Grundzustand das Quadrupolmoment ist. Der Grund hierfür ist die Invarianz der physikalischen Gesetze gegenüber einer Spiegelung des Koordinatensystems am Ursprung (Parität). Daraus folgt ein verschwindendes Dipolmoment des Kerns. 4. Mesonentheorie der Kernkräfte In der Quantentheorie des elektromagnetischen Feldes (Quantenelektrodynamik) kann die Bindung, zwischen geladenen Teilchen durch den Austausch von Photonen zwischen ihnen beschrieben werden. In Analogie dazu versuchte Yukawa 1935 die Kernkräfte durch den Austausch von Feldquanten zu erklären. Die Unschärferelation ∆E ⋅ ∆t ≈ h erlaubt eine Verletzung des Energiesatzes ∆E für bestimmtes Zeitintervall ∆t. Für ∆E setzen wir mc2. Das Zeitintervall wird festgelegt durch ∆t=r0/c, wobei r0 die Reichweite der Kernkraft ist. Für die Masse des auszutauschenden Teilchens erhalten wir also m = h / r0c . Mit r0=1.5 fm ergibt sich m=260me. Diese Teilchen wurden 1947 tatsächlich gefunden. Das sich aus der Yukawa Theorie ergebende Potential für die Kernkraft ist: V (r ) ∝ e − λr r 4 Die Mesonentheorie ist Kernwechselwirkung. die allgemein anerkannte Grundlage der Theorie der 5. Kernumwandlungen Kerne können Reaktionen mit anderen Teilchen, Kernen und Strahlung eingehen. Für alle Reaktionen gelten der Energie-, der Impuls- sowie der Drehimpulserhaltungssatz, wobei im Sinne der relativistischen Mechanik die Ruheenergie zu berücksichtigen ist. Für geringe kinetische Energien der Teilchen gilt: TA + TB = TC + TD + K − Q Wobei Q die Wärmetönung der Reaktion ist und die Ti die kinetischen Energien der beteiligten Teilchen darstellen. Q wird positiv gerechnet für exogene, negativ für endogene Reaktionen. Bei einer Kernreaktion wird meist ein Teilchenstrom auf ein Target, eine dünne Schicht einer Substanz geschossen. Dabei können Wechselwirkungen verschiedener Art auftreten: elastische Streuung, inelastische Streuung Teilcheneinfang, Teilchenaustausch etc. Die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Wechselwirkungsprozess stattfindet wird durch den Wirkungsquerschnitt beschrieben. Er kann als das Produkt der geometrischen Fläche des Targetteilchens multipliziert mit der Wahrscheinlichkeit für den Eintritt der Wechselwirkung aufgefasst werden. Die Gesamtzahl der Wechselwirkungsprozesse pro Quadratzentimeter Strahlquerschnitt und Sekunde ist gegeben durch: N tot . [cm −2 ⋅ s −1 ] = N i [cm −2 ⋅ s −1 ]⋅ N t [cm −2 ]⋅ σ tot [cm 2 ] Hierbei sind Ni die Zahl der einfallenden Teilchen, Nt die Zahl der Targetteilchen je cm2 und σtot. der totale Wirkungsquerschnitt. Der totale Wirkungsquerschnitt fasst alle zwischen Einfallendem- und Targetteilchen möglichen Reaktionen in Betracht und setzt sich additiv aus den Wirkungsquerschnitten der verschiedenen möglichen Prozesse zusammen. Der Wirkungsquerschnitt besitzt die Dimension einer Fläche (1 barn, "Scheunentor"). Inelastische Streuung und Anregungen im Kern: In einem inelastischen Streuprozess ist das gestreute Teilchen identisch mit dem einfallenden. Durch die Wechselwirkung mit dem Kern hat es allerdings Energie verloren mit welcher der Targetkern in einen angeregten Zustand versetzt wurde. Diese Zustände sind diskret und man kann sie im Spektrum der gestreuten Teilchen als Linien identifizieren. Aus den Anregungsspektren lassen sich detaliierte Informationen über den Aufbau der Kerne (die Kernstruktur) gewinnen. Als Projektil können Neutronen, Elektronen, Pionen u.a. dienen. Prinzipiell kann die Anregung direkt oder über den im nachfolgenden erklärten Compoundkern verlaufen. Ein Beispiel für die Streuung von Protonen an 238U wird in folgender Abbildung gegeben: 5 Compoundkernmodell: Diesem Modell liegt die Vorstellung von einem Atomkern als "Tropfen" zugrunde. Man nimmt ein in den Kern hineinfallendes Teilchen an. Die Energie des Kerns ist dann die Summe aus Einschussund Bindungsenergie. Durch Stöße innerhalb des Kerns wird die Energie statistisch auf die Nukleonen verteilt, der Kern befindet sich im angeregten Zustand. Durch Energieübertrag auf ein einzelnes Teilchen im Kern infolge der thermischen Bewegung der Nukleonen kann dieses den Kern verlassen. In der Regel bleibt hierbei ein angeregter Restkern zurück. Die Anregungsenergie wird in Form von γ-Quanten abgegeben. Die Winkelverteilungen der emittierten Teilchen sind isotrop, da ein Compoundkern "vergisst", wie er entstanden ist. Die Entstehung, eines Compoundkerns wird in nachfolgender Abbildung gezeigt (c-e): 6 Direkte Kernreaktionen unterscheiden sich von den Compoundkernreaktionen dadurch, dass die Bewegung, eines großen Teils der Nukleonen nicht gestört wird. Die Reaktionen spielen sich hauptsächlich an der Oberfläche von Kernen ab. Ein Beispiel hierfür ist eine Stripping-Reaktion. Ein Deuteron (np) trifft auf ein Target und das Neutron wird im Kernfeld von dem Deuteron abgestreift. Das Proton fliegt mit erhöhter Energie (es wurde Bindungsenergie für das Neutron frei) weiter (siehe Abbildung): 6. Mössbauereffekt (rückstossfreie Resonanzabsorption) Die von einer Kernsorte emittierte γ-Strahlung kann von gleichen Kernen unter Umständen wieder absorbiert werden. Allerdings muss dafür die natürliche Linienbreite der γ-Strahlung größer sein, als die Änderung der Energie des γ-Quants, die sich aus dem Energieübertrag an das aussendende Nuklid und der Dopplerverbreiterung der Linie aufgrund der Bewegung der Kerne ergibt. Aus Abschätzungen ergibt sich, dass die Dopplerverbreiterung und die Verbreiterung aufgrund des Energietransfers an den aussendenden Kern viel zu groß ist, um in die natürliche Linienbreite zu fallen. Experimentell beobachtet man, dass trotzdem eine Resonanzabsorption stattfinden kann. Der vom γ-Quant erzwungene Impuls wird dabei auf das gesamte Kristallgitter und nicht auf einen einzelnen Kern übertragen. 7. Häufigkeit der Elemente In nachfolgender Tabelle ist die Häufigkeitsverteilung, der Elemente in der Erdkruste angeführt. 7 Bezieht man die Häufigkeitsverteilung, auf den Kosmos, so stehen an erster Stelle Wasserstoff und Helium. Ab Z=20 scheint die Verteilung der Elemente im Kosmos der auf der Erde zu entsprechen. Aus der Häufigkeitsverteilung, kann man zusammen mit den Lebensdauern für Zerfälle und Wirkungsqerschnitten für Neutroneneinfang, Rückschlüsse auf die Entstehung der Elemente ziehen. 8. Radioaktiver Zerfall Im Jahr 1896 wurde festgestellt, dass die von Uransalzen ausgehenden Strahlen nach Durchdringen von Papier oder Aluminiumfolien Photoplatten schwärzen konnten. Bald darauf wurden die radioaktiven Elemente Polonium und Radium gefunden. Man fand heraus, dass die radioaktive Strahlung aus drei Komponenten besteht, die Materie in unterschiedlichem Maße durchdringen kann. Durch Ablenkexperimente im Magnetfeld wurde gefunden, dass die erste Komponente aus schweren, positiv geladenen Teilchen (α-Teilchen, Heliumkerne) besteht. Die Energien dieser Teilchen besitzen je nach Strahler Werte bis zu 9 MeV. Bei der zweiten Komponente handelt es sich um Elektronen, die Geschwindigkeiten im Bereich der Lichtgeschwindigkeit besitzen (Energie etwa 100 keV bis einige MeV, ß-Strahlung). Die dritte Komponente hat Eigenschaften ähnlich der Röntgenstrahlung, ist aber noch durchdringender (γ-Strahlung). Untersuchungen zeigten, dass alle Elemente über dem Blei instabil sind und sich stufenweise durch Zerfall in stabile Bleiisotope umwandeln. Die künstliche Radioaktivität wurde 1934 bei der Bestrahlung von Aluminium mit αTeilchen entdeckt. Der radioaktive Zerfall ist eine Eigenschaft von Kernen, die von außen nicht beeinflusst werden kann. Die Wahrscheinlichkeit λ für den Zerfall eines Kerns ist unabhängig von der Zeit. Daraus folgt das Zerfallsgesetz: − 0.693 ⋅t T1 / 2 N (t ) = N 0 ⋅ e = N 0 ⋅ e N0 stellt die zum Zeitpunkt t=0 vorhandenen Kerne dar. Die Zeit, in der die Menge der ursprünglich vorhandenen Kerne auf die Hälfte abgeklungen ist, heißt Halbwertszeit T1/2. −λ t Als Masseeinheit für die Radioaktivität gilt heute das Bequerel: l Bq = 1 Zerfall/sec. Ein Gramm Radium besitzt eine gefährlich hohe Aktivität von 3.7 1010 Bq. α-Zerfall: Von instabilen Kernen werden Heliumkerne emittiert. Beim Zerfall erhält der Kern einen Rückstoss. α-Zerfälle sind energetisch erlaubt, wenn die Bindungsenergie eines Heliumkerns und des Tochterkerns zusammen größer als die des Vaterkerns ist. Experimentell wurde festgestellt, dass zwischen der Zerfallskonstante λ und der Zerfallsenergie Ea gilt (kl und k2 sind Konstanten): log(λ ) = k1 + k 2 ⋅ log(Ea ) (Geiger-Nuttal-Regel) 8 Es stellt sich die Frage, weshalb der α-Zerfall nicht sofort erfolgt, wenn er doch energetisch günstig ist. Man nimmt an, dass das α-Teilchen beim Zerfall die Coulombbarriere durchtunneln muss (siehe Abbildung). Der Transmissionskoeffizient beim Tunneln ist stark von der Barrierenhöhe und Barrierenbreite abhängig und dies erklärt den riesigen Bereich der beobachteten Zerfallszeiten für die verschiedenen Nuklide ( 10-7 s bis 1017 a). ß-Zerfall: Beim ß-Zerfall wird ein Elektron (ß--Zerfall) bzw. ein Positron (ß+-Zerfall) emittiert und der Kern wandelt sich um, wobei die Ladungszahl um eins variiert. Die Massenzahl bleibt konstant. Durch Umwandlung eines Protons in ein Neutron oder umgekehrt kann der Kern eine stabilere Konfiguration nahe dem Stabilitätstal der Nuklidkarte einnehmen. Freie Neutronen zerfallen mit einer Halbwertszeit von etwa 12 Minuten in ein Proton. Der umgekehrte Prozess ist für freie Protonen nicht möglich, kann jedoch in Kernen ablaufen. Die Halbwertszeiten von ß-Strahlern liegen im Bereich von µs bis 1015 a. Beim ß-Zerfall findet man überraschenderweise eine kontinuierliche Verteilung der Elektronenenergien. Nur die obere Grenze der Energien entspricht der Zerfallsenergie des Kerns. Zur Erklärung wird angenommen, dass zusätzlich zum Elektron noch ein zweites Teilchen emittiert wird, dass Energie forttragen kann. Dieses Teilchen heißt Neutrino, es unterliegt der schwachen Wechselwirkung. Die volle Reaktionsgleichung für ß- und ß+ Zerfall lautet also: n → p + e − +ν e , (ß- - Zerfall), p → n + e + +ν e , (ß+ - Zerfall) γ-Zerfall: Beim γ-Zerfall geht ein Kern von einem angeregten in einen tiefer liegenden Zustand über. Es ändert sich weder die Massenzahl noch die Ladung des Kerns. Die Anregungsenergie wird in Form von elektromagnetischer Strahlung abgegeben. Die Energien reichen bis zu einigen MeV. Die Halbwertszeiten liegen zwischen 10-16 s und 108 a. Die Anregung des Kerns kann durch eine Kernreaktion oder im Verlauf eines radioaktiven Zerfalls zustande kommen. 9 Zerfallsreihen: Die Kerne 232Th, 235U und 238U bilden mit Halbwertszeiten im Bereich von 109 a einen Bereich hoher Stabilität gegen Zerfall. Sie stellen die Ausgangspunkte für die drei natürlichen Zerfallsreihen dar. Diese sind in folgender Abbildung, dargestellt: 9. Kernspaltung und Kernreaktoren Im Jahre 1938 entdeckte Otto Hahn mit seinen Mitarbeitern die Kernspaltung von Uran. Bei Bestrahlung mit Neutronen entstanden Elemente mit einer Masse, die etwa halb so groß wie die von Uran war. Die Verteilung der Spaltprodukte bei der neutroneninduzierten Spaltung von 235U ist in folgender Abbildung gezeigt: 10 Bei Betrachtung der Kurve der Bindungsenergie pro Nukleon wird klar, dass dabei Energie frei werden muss. Für 238Uran erhält man 217 MeV pro Spaltung. Im wesentlichen kommt diese Energie durch den Coulombterm in der Weizsäckerformel zustande. Dazu betrachtet man die Coulombenergie der zwei erzeugten Kerne in einem Abstand der Größenordnung 1 fm. Im Tröpfchenmodell wir die Spaltung so dargestellt: Der Einfang eines Neutrons regt den Kern an zu Vibrationsschwingungen zwischen einem zigarrenförmigen Ellipsoid und einer Kugel (siehe Abbildung). Die "Oberflächenspannung" möchte den Kern wieder in Kugelform bringen, dem wirkt die Coulomb-Abstoßung entgegen. Nimmt die Abstoßung überhand, so spaltet der Kern. Entscheidend ist, dass der Kern so stark angeregt werden muss, um sich einschnüren zu können. Es ist die sog. Spaltbarriere zu überwinden. Für die Spaltbarkeit sind also von Bedeutung: die Bindungsenergie für ein eingefangenes Neutron sowie die Höhe der Spaltbarriere. Dies unterscheidet die Isotope 235U und 238U hinsichtlich ihrer Spaltbarkeit grundlegend. Die Bindungsenergie ist für 235U 6.5 MeV, da 238U sich ein gg-Kern bildet. Beim Einfang in 238U werden nur 6 MeV frei, da sich ein gu-Kern bildet. Die Spaltbarriere für 236U beträgt 6 MeV, für 239U aber 7.0 MeV. Somit reicht zur Spaltung von 235U bereits ein thermisches Neutron aus, für 238U braucht man schnelle Neutronen mit einer kinetischen Energie von mindestens 1 MeV. Ein weiterer Aspekt bei der Kernspaltung ist die Möglichkeit der Realisierung einer Kettenreaktion. Schwere Kerne sind neutronenreich und bilden bei der Spaltung instabile Nuklide. Es ist sehr wahrscheinlich, dass bei der Spaltung, Neutronen frei werden. Die mittlere Zahl der pro Spaltprozess freigesetzten Neutronen beträgt etwa 2.3. Im Prinzip kann jedes dieser Neutronen eine weitere Spaltung, auslösen, es kommt zur Kettenreaktion. Ein kleiner Teil der Spaltneutronen (0.64%) wird erst nach einer gewissen Zeit nach der Spaltunvon den Spaltprodukten abgegeben (verzögerte Neutronen). Die Emissionszeiten betragen zwischen 0.2 und 55.7 Sekunden. Die verzögerten Neutronen ermöglichen die Kontrolle der Neutronenvervielfachung und damit der Kettenreaktion. Für die Aufrechterhaltung der Kettenreaktion mit konstanter Intensität muss der Neutronenverbrauch gleich der Neutronenproduktion sein. Neutronen sehen durch Absorption oder Entweichen aus dem Reaktorkern verloren. Zur Regelung der Neutronenabsorption werden Stäbe aus Cadmium oder Bor (sehr hoher Neutronenabsorptionsquerschnitt) mehr oder weniger tief in die Spaltzone eingetaucht. Die Neutronenproduktion wird durch die spaltbaren Kerne 235U, 238U und 231Pu, ihren Spaltquerschnitt in Abhängigkeit der Neutronenenergie und der mittleren Anzahl der emittierten Spaltneutronen festgelegt. 11 Bei thermischen Neutronen ist der Spaltquerschnitt gemäß dem 1/v Gesetz am größten. Deshalb ist es günstig einen Reaktor mit thermischen Neutronen zu bauen. Die Energie der Spaltneutronen wird durch inelastische Stöße mit einem Moderator abgebaut. Am effektivsten nimmt man dazu relativ leichte Elemente. Um Natururan (Anteil an 211U 0.7%) zu spalten ist aufgrund der hohen Einfangverluste von leichtern Wasser schweres Wasser als Moderator oder eine Anreicherung von 235U auf etwa 5% nötig. Auch Graphit eignet sich als Moderator (moderiert die Neutronen allerdings auch bei einer Kernschmelze). Die Leistung von einem modernen Kernkraftwerk beträgt etwa 2 GW. Schnelle Brüter basieren auf dem Prinzip, möglichst viel spaltbares 239Pu durch Neutroneneinfang aus 238U zu erbrüten, und zwar mehr als 235U verbraucht wird. Diese Reaktoren arbeiten mit schnellen Neutronen im Bereich von 100 keV und ohne Moderator aus leichten Substanzen. Sie werden mit flüssigem Natrium gekühlt. Nur durch Erbrütung ist es möglich, das gesamte vorkommende Uran und nicht nur das Isotop 235U energiewirtschaftlich zu nutzen. 10. Die vier fundamentalen Wechselwirkungen Die starke Wechselwirkung, bewirkt die Bindung der Neutronen und Protonen im Kern. Die Wirkung dieser anziehenden Kraft erstreckt sich nur über Distanzen von 10-15 m. Die elektromagnetische Wechselwirkung liegt allen elektrischen und magnetischen Vorgängen zugrunde. Ihre Reichweite ist unendlich und sie kann sowohl anziehend als auch abstoßend sein. Sie führt zum Aufbau der Atome und Moleküle. Die schwache Wechselwirkung ist eine zerstörende Kraft. Sie verursacht beispielsweise den radioaktiven ß-Zerfall. Ihre Reichweite beträgt etwa 10-17 m und ihre Stärke wächst mit der Energie der Tei1chen. Der Gravitationswechselwirkung unterliegen wegen ihrer Masse und Energie alle Teilchen. Sie besitzt unendliche Reichweite und sie ist wegen der sehr kleinen Massen der Elementarteilchen im atomaren und subatomaren Bereich vernachlässigbar. 11. Teilchenbeschleuniger Teilchenstrahlen werden heutzutage meist mit Beschleunigern erzeugt. Grundlage dieser Anlagen ist die Bewegung von geladenen Teilchen in elektromagnetischen Feldern. Auch zur Analyse der Energien und Impulse von Teilchen werden elektrische und magnetische Felder benutzt. 12 Der elektrostatische van-de-Graaf Generator sammelt Ladung, über ein Ladungstransportband auf einer Hochspannungselektrode. Ionen aus einer Ionenquelle werden in einer evakuierten Röhre durch das elektrische Feld beschleunigt. Die Spannung wird in gleich große Potentialstufen unterteilt, um Spannungsfestigkeit zu erreichen. Das ganze System ist in einem mit Isoliergas gefällten Drucktank untergebracht, der gegen elektrischen Durchschlag schützt. Einstufige van-de Graaf Generatoren wurden bis 7 MV Spannung gebaut. Ein Tandem-Beschleuniger nutzt die vorhandene Spannung zweimal aus. Dazu erzeugt man zuerst negativ geladene Ionen. Diese werden von der Maschine beschleunigt und in der Mitte der Beschleunigungsröhre werden den Ionen beim Durchgang durch eine dünne Folie Elektronen abgestreift. Die Ionen sind dann positiv geladen und können nochmals beschleunigt werden. Anlagen dieser Art sind mit Spannungen bis zu 20 MV gebaut worden. Das Betatron beruht auf der elektromagnetischen Induktion. Teilchen durchlaufen im konstanten Magnetfeld eine Kreisbahn. Wird das Magnetfeld erhöht, so werden die Teilchen auf ihrer Kreisbahn mit Radius r aufgrund des induzierten elektrischen Feldes (Faraday Gesetz) beschleunigt und auf ihr gehalten, falls das Führungsfeld für die Teilchen halb so groß wie ihr mittleres Beschleunigungsfeld ist. In einem Linearbeschleuniger werden an eine Reihe von Driftröhren abwechselnd positive und negative Spannung angelegt. Ein Teilchen wird so im Bereich zwischen den Driftröhren beschleunigt, danach durchläuft es den feldfreien Raum zwischen den Driftröhren. Das elektrische Feld wird nun umgepolt, damit das Teilchen im nächsten Zwischenraum wieder beschleunigt werden kann usw. Mit Linearbeschleunigern werden sowohl Elektronen, als auch schwerere Teilchen (Protonen) beschleunigt. Der Elektronen-Linearbeschleuniger in Stanford erreicht Energien von bis zu 50 GeV. 13 Auch in Zyklotronbeschleunigern wird eine Hochfrequente Spannung zur Beschleunigung der Teilchen verwendet. Ein magnetisches Feld zwingt die zu beschleunigenden Teilchen auf eine Kreisbahn. Immer wenn die Teilchen den Schlitz (Zwischen den D-förmigen Hälften (Duanten) der Anordnung) erreichen, werden sie beschleunigt. Nach der Hälfte der Kreisbahn wird das Feld umgepolt und die Teilchen wiederum beschleunigt. Um höhere Energien der Teilchen zu erreichen sind entweder stärkere Magnetfelder nötig, oder eine größere Kreisbahn der Teilchen. Im Synchrotron durchlaufen die Teilchen eine Kreisbahn mit großem Durchmesser (bis zu mehreren km). Die Teilchen werden nun von Ablenkmagneten, die an der Teilchenbahn angebracht sind gehalten. Protonen erreichen hier Energien von mehreren Hundert GeV. Verbunden mit der Beschleunigung von geladenen Teilchen ist die Energieabstrahlung (Strahlungsverluste). Bei Linearbeschleunigern kann die Energieabstrahlung aber vernachlässigt werden. Deshalb werden zum Erreichen von extrem hohen Energien (TeV) Linearbeschleuniger geplant. 12. Teilchendetektoren In einer Nebelkammer wird ein wasserdampfgesättigtes Gas adiabatisch expandiert. Das Gas ist dann mit Wasserdampf übersättigt, es scheiden sich aber erst Nebeltröpfchen ab, wenn Kondensationskeime vorhanden sind. Treten in das Kammerinnere schnelle Teilchen ein, so werden auf ihrer Bahn vorhandene Gasmoleküle ionisiert und die Nebeltröpfchen können an den Ionen kondensieren. Die Spur des Teilchens kann durch Lichtstreuung an den Nebeltröpfchen sichtbar gemacht werden. In einer Blasenkammer wird eine Flüssigkeit (z.B. flüssiger Wasserstoff) durch plötzliche Druckabsenkung, zum Sieden gebracht. Bei 5 bis 6 bar ist der Wasserstoff unterkühlt und blasenfrei. Innerhalb weniger ms wird nun der Druck reduziert und die vom Druck abhängige Siedetemperatur sinkt. Die Temperatur der Flüssigkeit ist jetzt höher, als die neue Siedetemperatur und für wenige ms ist die Kammer nun empfindlich für ionisierende einfliegende Teilchen. In Szintillatoren geben einfliegende Teilchen ihre kinetische Energie nahezu vollständig an das Szintillatormaterial (z.B. Zinksulfid) ab. Dieses wiederum gibt die Energie in Form von sichtbarem Licht ab. Die Lichtblitze können mit einem Mikroskop oder mit einem Photomultiplier beobachtet werden. Aus der Stärke des Signals lässt sich die Energie der einfliegenden Teilchen bestimmen. Ein Halbleiterdetektor besteht aus einem p-n-Übergang, in dem sich eine ladungsträgerfreie Zone ausbildet. Durch Anlegen einer Spannung in Sperrrichtung wird diese Zone noch vergrößert. Dringt ein ionisierendes Teilchen in diese Zone ein, so erzeugt es dort Elektronen und Löcher. Diese 14 werden durch das Raumladungsfeld getrennt und es kann ein Strompuls registriert werden, der proportional zur in der ladungsträgerfreien Zone abgegebenen Energie ist. Ein Cerenkovdetektor besteht aus einem Material mit hohen Brechungsindex, in dem Teilchen nüt einer Geschwindigkeit, die größer als die durch das Material bestimmte Lichtgeschwindigkeit ist einen Lichtkegel erzeugen. Geladene Teilchen erzeugen elektromagnetische Wellen mit einer kegelförmigen Front (ähnlich Überschallknall), falls sie sich schneller als mit der materialspezifischen Lichtgeschwindigkeit bewegen. Mithilfe dieses Detektors können Teilchenarten und Energien bestimmt werden. 15