Die weitreichende Bedeutung der kieferorthopädischen Behandlung

Werbung
DTA0408_09-10_Wichelhaus
28.03.2008
23:45 Uhr
Seite 9
Orthodontics Special
Vom Kleinkind bis zum Senior:
Die weitreichende Bedeutung
der kieferorthopädischen Behandlung
von Prof. Dr. Andrea Wichelhaus
BASEL – Das therapeutische
Spektrum der kieferorthopädischen Behandlung umfasst
viele Bereiche. Neben der herausnehmbaren und festsitzenden Behandlung bei Kindern
und Jugendlichen, gehören die
Spaltbehandlung und die
(interdisziplinäre) Behandlung schwieriger Zahnfehlstellungen zu den primären Anwendungsbereichen. In den
vergangenen Jahren hat es speziell in der Erwachsenenkieferorthopädie Neuentwicklungen
gegeben. Immer mehr Erwachsene sind daran interessiert,
eine schiefe Zahnreihe doch
noch einmal zu korrigieren.
Bei Kindern und Jugendlichen sind neben genetisch bedingten Fehlstellungen des Kiefers 40 Prozent der kieferorthopädischen Behandlungen auf
Lutschen oder die schlechte
Pflege der Milchzähne zurückzuführen. Auch die Zahl der erwachsenen Patienten nimmt stetig zu. Dabei geht es nicht nur um
Abb. 1: Der offene Biss oder die fehlende Überlappung der Frontzähne
kann durch das Lutschen und/oder
Atmen durch den Mund entstehen.
Dies begünstigt Erkrankungen der
oberen Atemwege.
ästhetische Aspekte, sondern
auch um die Kaufunktion. Um
etwa Platz für Implantate zu
schaffen, ist oftmals eine kieferorthopädische Vorbehandlung nötig.
Kieferorthopädische
Maßnahmen bei Kindern
und Jugendlichen
Zahnfehlstellungen sind bei
Kindern häufig durch ein herausnehmbares System oder
eine festsitzende Spange zu beheben. Welche Form notwendig
ist, hängt vom Alter und vom individuellen Problem ab. Nur in
schweren Fällen oder bei Lippen-, Kiefer- und Gaumenspalten ist eine Operation notwendig.
Die herausnehmbare und
festsitzende Behandlung von
Kindern und Jugendlichen wird
in verschiedene Anwendungsgebiete gegliedert:
1. Interzeptive Behandlung
2. Funktionskieferorthopädische Behandlung
Abb. 2: Innerhalb von einem Jahr
lässt sich der offene Biss durch minimalinvasive therapeutische Maßnahmen schließen und die weitere
Entwicklung der Kieferknochen und
Zähne kann normal ablaufen.
Abb. 3 und 4: Kreuzbiss: der Schmalkiefer im Oberkiefer führt zu einer falschen
Verzahnung im Seitenzahnbereich. Dabei stehen die Oberkieferzähne weiter innen und die Unterkieferzähne weiter außen.
3. Festsitzende Behandlung.
Bei der interzeptiven Behandlung (Abb. 1 bis 6) ist das
Ziel die Korrektur von Zahnfehlstellungen, die durch äußere
Umstände, beispielsweise schädigende exogene Umwelteinflüsse, hervorgerufen wurden.
Hierzu zählen insbesondere der
offene Biss und der Kreuzbiss.
In vielen Fällen können so
umfangreiche Maßnahmen zu
einem späteren Zeitpunkt vermieden werden.
Die funktionskieferorthopädische Behandlung (Abb. 7
und 8) greift orthopädisch in das
Wachstum der Kiefer ein. Dabei
kann das Wachstum des Oberkiefers oder Unterkiefers gehemmt oder gefördert werden.
Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie ist, in Abhängigkeit
von dem Schweregrad der Kieferfehlstellung, dass die Therapie zum richtigen Zeitpunkt begonnen wird. Beim Großteil der
Patienten ist dies im Alter zwischen dem achten und zwölften
Lebensjahr. Wird dieser Zeitpunkt versäumt, ist in vielen Fällen eine orthopädische Beeinflussung der Kieferfehlstellungen nicht mehr möglich und es
können dann nur noch kompensatorische orthodontische Maßnahmen bzw. orthodontischchirurgische Korrekturen durchgeführt werden.
Spaltbehandlung
(Abb. 9 bis 12)
Die Behandlung von Spalten
im Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereich erfordert ein interdisziplinäres Team an der Klinik. Die
kieferorthopädische Behandlung erstreckt sich vom Säuglings- bis ins Erwachsenenalter.
Die kieferorthopädische Aufgabe besteht neben der Wachstumsunterstützung des Spaltkiefers in einer korrekten Einreihung der Zähne in die entsprechende Position, damit im
Anschluss eine korrekte prothetische Versorgung des Spaltbereichs mit Brücken oder Implantaten erfolgen kann.
Interdisziplinäre
Behandlung schwierigerer
Zahnfehlstellungen
Abb. 8: Durch herausnehmbare funktionskieferorthopädische und festsitzende Apparaturen wurde die Kieferfehlstellung korrigiert und ermöglicht nun einen normalen Mundschluss und Abbeißfunktion für den
Patienten.
Abb. 9: Lippen-Kiefer-Gaumenspalte
und Situation der Kiefer im Säuglingsalter.
Abb. 10: Lippen-Kiefer-Gaumenspalte
im frühen Wechselgebiss während
der Behandlung mit herausnehmbaren Geräten zur Nachentwicklung
der Kiefer.
Abb. 11 und 12: Lippen-Kiefer-Gaumenspalte vor und in der Endphase der orthodontischen Behandlung.
Zähnen. Die kieferorthopädischorthodontische Aufgabe besteht
in der Schaffung einer korrekten
axialen Position aller Zähne, die
eine Voraussetzung für die anschließend chirurgische, konservistische und prothetische Versorgung der Zähne darstellt. Soll
beispielsweise ein Implantat als
Ersatz für den fehlenden Zahn
gesetzt werden, muss der Raum
im Knochen groß genug sein, um
das Implantat positionieren zu
können. Dafür ist eine korrekte
Wurzelposition erforderlich.
Zahnfehlstellungen im Erwachsenenalter, die nicht ausschließlich die Zähne, sondern
in einem hohen Maß die Kiefer
betreffen, benötigen eine kombinierte kieferorthopädische und
chirurgische Behandlung. Erst
durch die kieferorthopädische
Vorbehandlung ist es dem Chi-
ª
ANZEIGE
Fließfähiges Nano-Fluorapatit-Composit.
ApaLife ® FLOW
• lichthärtbar
• remineralisierend
• ausgezeichnete Mechanik
• reduzierte Schrumpfung
• für die mikroinvasive, adhäsive Füllungstherapie
R-dental Dentalerzeugnisse GmbH
Informationen Tel.: +49 (0)40-22 75 76 17 • r-dental.com >> ApaLife
R
R
dental
Abb. 5 und 6: Nach forcierter Gaumennahterweiterung und Dehnung des Oberkiefers entwickelt sich der Zahnbogen normgerecht und ermöglicht einen regulären Durchbruch der übrigen Seitenzähne.
(Abb. 13 bis 17)
Schwierige Zahnfehlstellungen sind Zahnfehlstellungsanomalien, die in der Regel nur im
interdisziplinären Team lösbar
sind. Dazu gehören Patienten
mit multiplen Nichtanlagen von
Abb. 7: Die Kieferfehlstellung zeigt ein
deutliches Knochendefizit im Unterkiefer. Dadurch entsteht eine große
Stufe zwischen den Oberkiefer- und
Unterkieferfrontzähnen.
Biß zur Perfektion
DTA0408_09-10_Wichelhaus
28.03.2008
23:45 Uhr
Seite 10
10 Orthodontics Special
ª
rurgen möglich, die Kiefer exakt
zueinander zu positionieren und
damit die Kaufunktion wieder
herzustellen.
Abb. 13: Patientin mit fehlenden Zähnen im Bereich der Oberkieferfront
und Zahnformanomalie (zu schmale
Zähne).
Abb. 14: Nach kieferorthopädischer
festsitzender Therapie, chirurgischer
Implantatversorgung, prothetischer
Behandlung mit Kronen und Keramikschalen (Veneers) zeigt sich ein
funktionell und ästhetisch gutes Behandlungsergebnis.
Erwachsenenkieferorthopädie
Durch die wissenschaftlichen
Neuerungen im Bereich der Diagnostik, Materialforschung und
Biomechanik lassen sich innerhalb des Spektrums der kieferorthopädischen Behandlung Zahnfehlstellungen mit konservativen
Methoden leichter und schneller
behandeln. Kombinierte operative und kieferorthopädische
Verfahren gehören zwar immer
noch zur Routine in der kieferorthopädischen Behandlung, werden jedoch durch neue, konservative Verfahrenstechniken ergänzt. DT
Austrian Edition · Nr. 4/2008 · 4. April 2008
Prof. Dr. Andrea Wichelhaus im Interview
„Die Erwachsenenbehandlung
ist ganz klar zunehmend …“
Sehen Sie einen verstärkten
Trend zu kieferorthopädischen Maßnahmen im Erwachsenenalter?
Ja, auf jeden Fall. In Österreich gibt es keine Kassenversicherung. Das hat zur Folge, dass
viele Patienten in jungen Jahren
nicht behandelt werden. Das dentale Bewusstsein nimmt zu: nicht
nur in der Ästhetik, sondern auch
in der Funktion. Die prothetischen Versorgungen sind ja auch
besser geworden, das heißt, man
braucht bessere Ausgangsbedingungen, um einen Zahnersatz
machen zu können. Wir machen
ganz häufig auch Vorbehandlungen, z.B. vor Implantaten und
prothetischer Behandlung. Das
Bewusstsein hat sich geändert
und die Erwachsenenbehandlung ist ganz klar zunehmend.
Warum und wann sollten sich
Erwachsene, deren Zähne seit
Jahren schief stehen, behandeln lassen?
Natürlich aus funktionellen
Gründen, das ist das, was wir primär sehen. Wenn Zähne falsch
stehen, werden sie häufig auch
falsch belastet. Das kann den
Zahnhalteapparat schädigen,
das Zahnfleisch kann sich frühzeitig zurückziehen oder die
Zähne stehen zu eng, um sie gut
reinigen zu können, was dann zu
einer frühen Karies führen kann.
Der Patient sieht natürlich primär nicht die funktionellen
zahnärztlichen Aspekte, sondern die ästhetischen. Und man
weiß ja, dass die Zähne einen
wichtigen Punkt in der Gesichtsästhetik darstellen.
Abb. 15 bis 17: Kieferorthopädische
und Mund-Kiefer-Gesichtschirurgische Behandlung bei vererbt bedingtem Wachstumsüberschuss im Unterkiefer. Nach der Behandlung besteht
eine normgerechte Verzahnung, die
eine weitere zahnärztliche Versorgung auch in höheren Lebensjahren
erst ermöglicht.
DENTAL TRIBUNE
Stichwort Ästhetik: gerade
auffällige Brackets werden
häufig als ästhetisch störend
empfunden. Welche Möglichkeiten bietet die moderne Kieferorthopädie den Patienten?
Im Prinzip kann man für alle
Patienten etwas anbieten. Neben
den konventionellen Stahlbrackets gibt es keramische Varianten, die man von außen auf die
Zähne kleben kann. Wem das
immer noch zu auffällig ist, dem
kann auch eine feste Spange an
der Zahninnenseite befestigt
werden, sodass man von außen
gar nichts mehr sieht. Dann gibt
es noch eine weitere Alternative,
mit der man jedoch nicht alle
Fehlstellungen wird behandeln
können: das sind durchsichtige
Schienen, die in Form von Kunststoffkappen über die Zähne gestülpt werden. Allerdings sind
die festen Apparaturen präziser
und wirksamer.
Was wird von den Patienten
bevorzugt?
Der Patient möchte natürlich
einen Eingriff, der so konservativ
und wenig invasiv wie möglich
ist. Die Wahl der Apparatur hängt
davon ab, welche Fehlstellung
beim Patienten vorliegt. Wenn die
Zähne nur wenig gedreht sind,
kann ich das mit minimalem Aufwand korrigieren. Bei größeren
Fehlstellungen, wenn beispielsweise Zähne entfernt werden
müssen, weil nicht genug Platz
vorhanden ist, ist eine geklebte
Variante mit festen Brackets besser, weil der gesamte Zahn mitsamt der Wurzel gezielt bewegt
werden kann. Diese Aspekte sind
für die Stabilität des Behandlungsergebnisses entscheidend.
Welche Vorteile haben feste
Apparaturen gegenüber herausnehmbaren Spangen?
Das hat in erster Linie biomechanische Vorteile. Mit herausnehmbaren Apparaturen können die Zähne nur gekippt, aber
nicht körperlich bewegt werden.
Wenn ich den Zahn im Ganzen
an eine andere Position setzen
muss, brauche ich eine festsitzende Zahnspange.
Inwiefern unterscheidet sich
die kieferorthopädische Behandlung eines Erwachsenen
von der eines Kindes?
Rein biologisch gesehen haben junge Patienten eine bessere
Gewebereaktion beim Knochenumbau. Das heißt aber nicht,
dass man kieferorthopädische
Eingriffe bei älteren Patienten
nicht mehr durchführen darf.
Das biomechanische System,
also Kräfte und Drehmomente,
müssen anders aufgebracht
werden und man muss eine andere Technik verwenden. Erwachsenenbehandlungen sind
daher aufwendiger. Aber eine
Behandlung ist generell möglich
und keine Frage des Alters. Mein
ältester Patient war 75 Jahre alt.
Neben der Beseitigung von optisch störenden Fehlstellungen deckt die Kieferorthopädie noch andere wichtige Bereiche ab – Stichwort: Kiefergelenksprobleme/Schnarchen,
etc. Wie gut sind hier die Erfolgsaussichten nach einem
kieferchirurgischen Eingriff?
Kieferchirurgische Behandlungen werden bei Patienten
durchgeführt, die starke skelettale Abweichungen haben, die
man vielleicht im Kindesalter
nicht behandeln hat. Wenn der
Kiefer ausgewachsen ist, kann
man keine orthopädischen Effekte mehr erzielen. Der Vorteil
in einer frühen Behandlung liegt
darin, dass das Wachstum zu beeinflussen ist. Man kann orthopädisch arbeiten. Neben den
festsitzenden Zahnspangen haben auch die herausnehmbaren
ihre Indikation bei Jugendlichen: weniger um Einzelzähne
zu bewegen, sondern mehr um
orthopädische Effekte zu erzielen. Wird das nicht in jungen Jahren durchgeführt und die Abweichung ist stark ausgeprägt, kann
man das im Erwachsenenalter
nur noch operativ beseitigen.
Wenn beispielsweise der Unterkiefer sehr groß ist und die
Unterkieferfront über die Oberkieferfront beißt, kann man den
Unterkiefer in toto nur noch
künstlich brechen und zurücksetzen. Die Erfolgsaussichten
sind bei solchen Eingriffen sehr
gut. In jungen Jahren hätte hier
eine konservative Behandlung
durchgeführt werden können,
im Erwachsenenalter ist nun ein
operativer Eingriff nötig.
Kiefergelenkserkrankungen
treten im Erwachsenenalter auf
und können verschiedene Ursachen haben. Dysfunktionen,
Bindegewebsschwäche etc. Bei
der Behandlung von Kompressionsgelenken beispielsweise
bedarf es immer eines interdisziplinären Teams aus Kieferorthopäde, Prothetiker oder Chirurg.
Auch die Behandlung von
Spalten im Mund-, Kiefer- und
Gesichtsbereich gehört meiner
Meinung nach in ein interdisziplinäres Zentrum und an eine Klinik.
Recht vielen Dank für das
Gespräch! DT
Professorin Dr. med. dent.
Andrea Wichelhaus
Klinik für Kieferorthopädie
und Kinderzahnheilkunde
Universitätskliniken für
Zahnmedizin, Basel
· 1980–1985 Studium der
Zahnmedizin an der Universität Köln und Heidelberg
· 1985 Abschluss Zahnmedizin
· 1987 Promotion Dr. med. dent
· 1989 Spezialisierung im Fach
Kieferorthopädie
Beruflicher Werdegang
· 1990–1999 Oberarzt und
Stellvertretender Direktor
der Abteilung für Kieferorthopädie der Universität Ulm
· 1995 Walter-Engel-Preis zur
Anerkennung der wissenschaftlichen Entwicklungen
in der Kieferorthopädie
· 1995 Preis für die beste Jahrespublikation von der Deutschen Gesellschaft für Kieferorthopädie für den Artikel
„Entwicklung einer neuen
NiTi-Stahl-Aufrichtefeder“
· 1996 Habilitation an der Universität Ulm
· 1996 Forschungsaufenthalt
an der Harvard University,
Department of Orthodontics,
Boston, USA
· Seit 1999 Professor und Ordinaria der Klinik für Kieferorthopädie und Kinderzahnmedizin an der Universität
Basel
Forschungsschwerpunkte
· Entwicklung und Testung
von neuen Federsystemen
und Bögen in der festsitzenden Technik
· Biomechanik des orofazialen
Systems: In-vivo- und Invitro-Studien der Zahnbeweglichkeit
· Effekte von Kräften und Momenten auf die Zähne
· Biokompatibilitätsuntersuchungen von kieferorthopädischen Materialien
· Röntgenologische Studien
über Knochenstrukturen
· Einfluss der Muskulatur auf
funktionelle Prozesse
Kontakt
Prof. Dr. med. dent.
Andrea Wichelhaus
Zentrum für Zahnmedizin
Hebelstr. 3
CH-4056 Basel
Tel.: +41-61/267 26 40
Fax: +41-61/267 26 57
Andrea.Wichelhaus@
unibas.ch
Herunterladen