11. Imprinting und Geschlechtsbestimmung

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Vorlesung Chromatin: 11. Imprinting und Geschlechtsbestimmung
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11. Imprinting und Geschlechtsbestimmung
Definition: mit Imprinting oder epigenetischer Prägung ist - im weiteren Sinne - eine funktionelle Differenz
zwischen Allelen eines Gens gemeint, welche nicht in der DNA-Sequenz begründet liegt, also
chromatindeterminiert ist
im engeren Sinne versteht man unter (parentalen) Imprinting das Phänomen, das Chromosomen von
mütterlicher und väterlicher Herkunft funktionell ungleich sind
Imprinting (epigenetische Prägung)
für einen intakten diploiden Organismus ist es z.B. bei Säugern nötig, das imprinting-sensible Gene in je
einer Kopie von der Mutter und vom Vater vorliegen
das ist nicht selbstverständlich: viele Organismen sind z.B. parthenogenetisch
deutlich wird Imprinting z.B. in der ...
(Dia L236 Schildlaus-Spermatogenese)
der väterliche Chromosomensatz muß offensichtlich markiert sein, bekannt ist, das die inaktivierten
paternalen Chromosomensätze hypomethyliert sind
bei Mäusen kennt man Imprinting aus Experimenten, bei denen man die noch getrennten männlichen und
weiblichen Vorkerne der gerade befruchteten Eizelle einzeln ausgetauscht hat
männliche und weibliche ließen sich gegen einen anderen des gleichen Geschlechtes austauschen
(normale Nachkommen), aber zwei weibliche oder zwei männliche Vorkerne ergeben trotz zweier
vollständiger Chromosomensätze keine lebensfähigen Nachkommen, im Gegensatz zu analogen
Experimenten bei Drosophila und beim Zebrabärbling
(Dia L321 Imprintingeffekte bei der Maus)
mischte man lediglich einzelne Chromosomen bei, welche beide von einem Elter kamen (uniparentale
Disomie), so bekam man bei allen Chromosomen Nachkommen, aber bei vielen solchen Austauschen
unterschiedliche Phänotypen je nach Herkunft der Chromosomen
(Geimprintete Gene des Mausgenoms)
solche differentiellen Phänotypen fanden sich nicht bei allen uniparentalen Chromosomen oder
Chromosomenabschnitten, man schätzt heute den Umfang der Gene, welche bei der Maus entsprechend
ihrer elterlichen Herkunft geprägt, also aktiv oder inaktiv sind, auf etwa 600 (etwa 70 davon bekannt), welche
offenbar meist zu mehreren hintereinander auf den DNA-Doppelstrang liegen
diese Prägung bezieht sich demnach primär nicht auf einzelne Promotoren, sondern auf sogenannte
Prägungszentren, welche mehrere benachbarte Gene beeinflussen können
die Prägung hält nur eine Generation und wird bei der
Bildung neuer Keimzellen gelöscht
(Prägungsumschaltung)
(Dia L537 Reetablierung der Methylierung in der Keimbahn)
die Markierung der Prägungszentren bei Säugern erfolgt über eltern-spezifische DNA- und HistonH3Methylierung , wobei im Einzelfall eine bestimmte DNA-Methylierung im Prägungszentrum zur Expression
eines geimprinteten Gens nötig sein kann und zugleich die Expression eines anderen Gens verhindern kann
(Dia L367 Imprinting-Syndrome)
Beispiel: Prader-Willi-Angelman-Syndrom-Gengruppe auf menschlichen Chromosom 15
dieses Beispiel eignet sich sehr gut zur Illustration der Imprinting-Effekte
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die Imprinting-sensible Region besteht aus insgesamt 5 Genen
4 davon sind nur in der väterlichen Kopie aktiv (PWS-Gene) , ihr Fehlen löst das Prader-Willi-Syndrom aus
(geistige Behinderung, Fettleibigkeit, disproportionales Wachstum etc.)
1 weiteres Gen (AS-Gen) ist in einigen Gehirnzellen nur in der mütterlichen Kopie aktiv, seine Inaktivität in
diesen Zellen ist verantwortlich für das Angelman-Syndrom (geistige Behinderung, motorische Störungen,
auffallend freundliches Wesen)
Interessant ist nun, das eine größere Deletion, welche alle 5 Gene wegnimmt, jeweils unterschiedliche
Syndrome erzeugt, je nachdem, welcher Elter das intakte bzw. das deletierte Chromosom an die betroffene
Person vererbt hat
dabei spielt auch differenzielle HistonH3-Methylierung eine Rolle, da das maternale Prägungszentrum die
maternal-spezifische DNA-Methylierung während der Embryonalentwicklung vorübergehend verliert
(Wood and Oakey 2006, Fig.2: Imprinting-Modelle)
Imprinting-Effekte sind auch von einer Anzahl weiterer Organismen (z.B. Arabidopsis, Mais) bekannt
(Huh et al. 2007,Fig.1: Imprinting bei Arabidopsis)
deshalb existiert die Hypothese, das es sich beim Imprinting um eine evolutionär entstandene Nebenwirkung
der Regulation der differentiellen Genexpression handelt, welche bei Säugern möglicherweise funktionell
wurde (vielleicht als Schutz vor genetischer Inkompatibilität zwischen Mutter und Embryo, Ohlson et al.
2001)
nach einer anderen Theorie kommt es dann zu parentalen Imprinting, wenn das initiale Wachstum der
Nachkommen direkt auf Kosten des weiblichen Organismus erfolgt (Plazentale Säuger und Samenpflanzen),
dafür spricht, das wachstumssteigernde Gene meist in der maternalen Kopie, wachstumshemmende Gene
aber meist in der paternalen Kopie inaktiviert werden (Säuger, Arabidopsis)
(Wood and Oakey 2006, Fig.3: Evolution von epigenetischen Prägungen)
es gibt noch andere Theorien zur Entstehung von Imprinting, aber in jeden Fall sollte der Weg der
Etablierung wie gezeigt verlaufen
Geschlechtsdetermination
Imprinting klar chromatinverbunden
Determination des Geschlechtes hat vordergründig nichts mit den Chromatin zu tun, ist aber eng verbunden
mit zwei Themen, welche uns in den nächsten Stunden beschäftigen werden:
a) Gendosiskompensation im homo- oder im heterogametischen Geschlecht
b) Evolution der Geschlechtschromosomen
deshalb hier ein Exkurs in die Entwicklungsgenetik
am umfassendsten ist der molekulare Ablauf der Geschlechtsdetermination wahrscheinlich in Drosophila
studiert worden
(Pomiankowski et al. Fig.1: Geschlechtsbestimmmungskaskade in Drosophila)
bemerkenswert daran ist, das Entscheidungen bei sxl, tra1 und dsx immer auf Ebene der Regulation
alternativen Spleißens stattfinden, die vorgeschalteten Gene sind also stets Spleißregulatoren
noch durch bestimmte Mutationen in dsx kann das Geschlecht in beide Richtungen geändert werden, auch
bei tra1-und sxl-Mutationen erfolgen Geschlechtsumwandlungen
evolutionäre Bedeutung: diese Regulationskette kann kurzgeschlossen werden, d.h. bestimmte neue Allele
können als dominanter Weibchen- oder Männchenbestimmer den Einfluß vorgeschalteter Gene auf die
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Geschlechtsbestimmung unterlaufen
folgerichtig ist z. B. die Rolle des dsx-Gens in der Geschlechtsdetermination auch bei Seidenspinner und
Biene gleich, die vorgeschaltete Regulation aber erfolgt grundsätzlich anders
Warum überhaupt vorgeschaltete Regulatoren? Antwort: um die Entscheidung möglichst eindeutig zu
machen (analog zu digital 0-1) und keine unfruchtbaren Intersexe zu erzeugen, wie sie bei Mutationen der
geschlechtsbestimmenden Gene auftreten können
(Pomiankowski et al. 2004: Fig.3: Modell zur Evolution der Drosophila-Regulationskaskade)
auf der Ebene der chromosomalen Geschlechtsbestimmung gibt es zwei Systeme: XX/XY und ZW/ZZ
allgemein formuliert, gibt es auf molekularer Ebene ebenfalls zwei Systeme: ein dominantes mit einen
geschlechtsbestimmenden, Y- oder W-chromosomalen Gen im heterogametischen Geschlecht (wie beim
Menschen , SRY = sex reversal Y = HMG-Box enthaltendes DNA-bindendes Protein), und ein rezessives
System, welches durch Wechselwirkung von X- oder Z-chromosomalen Genen mit autosomalen Genen das
Verhältnis der X/Z-Chromosomen zu den Autosomen bestimmt (wie bei Drosophila und Caenorhabditis
elegans)
beide Systeme wurden während der Evolution frei kombiniert, sind also nicht korreliert:
System
dominant
rezessiv
XX/XY
fast alle Säuger
Drosophila
ZW/ZZ
Seidenspinner (Bombyx mori)
Schwammspinner
Huhn (wahrscheinlich)
dispar)
(Lymantria
die zwei Schmetterlingsarten zeigen bereits, das auch diese allgemeinen Prinzipien evolutionär instabil sind
nicht in dieses Kombinationsschema paßt die Haplodiploidie, das System der Geschlechtsbestimmung bei
Hautflüglern and einigen anderen Arthropoden:
Haploide Tiere sind männlich und stammen aus
unbefruchteten Eiern, diploide weiblich
das funktioniert bei der Honigbiene durch ein bestimmtes Gen (csd = complementary sex determiner), von
dem sehr zahlreiche Allele vorliegen, so das Diploide praktisch immer heterozygot (Weibchen) und nicht
homozygot (sterile Männchen) sind
überall gleich bleibt, das eine ja/nein Antwort auf einer sehr frühen Entwicklungsstufe des Embryos getroffen
wird und die nachfolgende Regulationskaskade nur noch der Koordination der geschlechtsspezifischen
Genexpression dient
eine Mutation in einem nach dsx geschalteten Gen in der Regulationskaskade bei Drosophila (z.B. maleless,
male-specific lethal 1-3) führt stets lediglich im Geschlecht, wo es aktiv sein sollte, zu Tod oder Sterilität,
kann aber keine Geschlechtsumwandlung mehr auslösen
in vielen genetischen Regulationskaskaden können Umwelteinflüsse wie Licht, Temperatur oder das
Vorhandensein oder Fehlen von Nährstoffen eine Umschaltung bewirken
dies trifft auch auf die Geschlechtsbestimmungskaskade in vielen Tiergruppen zu, ja die Determinierung
selbst kann notwendig von Umweltbedingungen abhängig sein
umweltabhängige Geschlechtsbestimmung findet sich bei der Mehrheit der Reptilien, bei bestimmten
Fischen, Krebsen und Würmern
hier ist entweder die Entwicklungstemperatur des Embryos oder das Vorhandensein von geschlechtsreifen
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Sexualpartnern der Auslöser einer Geschlechtsdifferenzierung oder Geschlechtsumwandlung, es kann auch
ein bestimmtes Alter sein, bei dessen Eintritt das Geschlecht wechselt (bestimmte Fische und Mollusken)
umweltabhängige Geschlechtsbestimmungsmechanismen sind bei Entstehung vermutlich Adaptationen,
eine solcher Mechanismus muß aber nicht anhaltend adaptiv sein, um weiterzubestehen
(Janzen and Phillips 2006, Fig.1: Geschlechtsbestimmungstypen bei Wirbeltieren)
interessanterweise können (z.B. bei bestimmten Asseln) sogar bakterielle Parasiten (Wolbachia) das
Geschlecht beeinflussen, in diesen Fall sind infizierte Tiere immer Weibchen
mehr noch, ein noch nicht molekular identifiziertes springendes Gen, vermutlich aus Wolbachia, findet sich
in vielen Weibchen der Kugelassel Armadillium vulgare und hat ebenfalls dominant weibchenbestimmenden
Charakter
beides hat in vielen Populationen dieser Art bereits zum Verlust des alten W-Chromosoms geführt, das
bisherige Z-Chromosom wird so zum Autosom
zugleich entsteht ein neues, noch undifferenziertes Geschlechtschromosomenpaar (bei der Kugelassel ein
neues ZW/ZZ-System mit einen W-chromosomalen, dominant weiblich bestimmenden Gen) aus dem
Autosomenpaar, wo sich das neue dominante Bestimmungsgen befindet
das Geschlechtsbestimmungssystem ist also hinsichtlich der Schlüsselgene und damit auch hinsichtlich des
Geschlechtschromosomenpaars hochflexibel
das bestätigt die Stubenfliege Musca domestica, welche je nach Population entweder ein gut differenziertes,
also offenbar ursprüngliches XY-Geschlechtschromosomenpaar besitzt, oder aber dominant weiblich bzw.
dominant männlich bestimmende Gene auf nicht differenzierten, anderen Chromosomenpaaren
hier bleibt offen, ob sich die evolutionären Nachkommen der Stubenfliege einmal für ein ZW/ZZ oder ein
neues XX/YX -System entscheiden werden
die Frage, warum die Schlüsselgene der Geschlechtsbestimmung stets die sie tragenden Chromosomen zu
einem ungleichen Geschlechtschromosomenpaar umwandeln, werden wir in der letzten Vorlesungsstunde
behandeln
letztere Chromosomendifferenzierung führte zu Mechanismen, welche die Gendosis der für beide
Geschlechter wichtigen Gene auf dem X- bzw. Z-Chromosom zwischen den Geschlechtern kompensieren
diese Kompensation ist Thema der nächsten Vorlesungsstunde
Veiko Krauß, 8.1.2009
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