Stoffgleichgewicht (Materiegleichgewicht) Die Hauptsätze der Thermodynamik beziehen sich auf die Zustandsfunktionen Temperatur T, innere Energie U und Entropie S. 0. HS 1. HS →T →U dU = δq + δw ΔU = q + w 2. HS →S δq dS ≥ T q ΔS ≥ T Der zweite Hauptsatz erlaubt es, zu bestimmen, ob ein Prozess möglich ist oder nicht. Bei einem isolierten System, z.B. im Universum, wird keine Wärme mit der Umgebung ausgetauscht: δ q = 0 (isoliertes System) dSisoliertes System ≥ 0 dSUniv ≥ 0 Ein Prozess, bei dem die Entropie des Universums SUniv abnimmt ist deshalb thermodynamisch unmöglich. nicht möglich dSUniv < 0 Ein Prozess, bei dem SUniv zunimmt ist thermodynamisch möglich und irreversibel. irreversibel dSUniv > 0 Bei reversiblen Prozessen ist SUniv konstant, bzw. ΔSUniv = 0 . reversibel dSUniv = 0 Solche reversiblen Prozesse sind im Prinzip möglich, aber in der Praxis schwer zu erreichen. Das Entropiekriterium für isolierte Systeme soll im Folgenden dazu benutzt werden, um Bedingungen für Stoffgleichgewicht in einem geschlossenen System zu formulieren. Diese Bedingungen sollen mithilfe geeigneter Zustandsfunktionen des Systems formuliert werden. Die Gleichgewichtsbedingung für isolierte Systeme bedeutet die Maximierung der Entropie. Für geschlossene Systeme ergeben sich spezielle Gesetze. Materie- bzw. Stoffgleichgewichte können sich auf chemische Reaktionen oder Phasenumwandlungen beziehen. In beiden Fällen liegen in allen Phasen konstante Stoffmengen für jede Komponente vor. 1 Entropie und Gleichgewicht Wir betrachten nochmals zunächst ein isoliertes System, das sich nicht im Stoffgleichgewicht befindet. Freiwillig ablaufende chemische Reaktionen oder Stoffaustausch zwischen verschiedenen Phasen im System stellen irreversible Prozesse dar, welche die Entropie des Systems erhöhen. Diese Prozesse dauern an, bis die Entropie des Systems ein Maximum erreicht. Weitere Prozesse könnten die Entropie nur erniedrigen, was aber gegen den 2. Hauptsatz verstoßen würde. Kriterium für Stoffgleichgewicht für ein isoliertes System: Maximierung der Entropie S. Ein geschlossenes System kann Wärme und Arbeit mit der Umgebung austauschen. System und Umgebung stellen insgesamt wieder ein isoliertes System dar. Kriterium für Stoffgleichgewicht für ein geschlossenes System: Maximierung der Gesamtentropie Sges von System und Umgebung. Chemische Reaktionen und Phasenumwandlungen im geschlossenen System werden ablaufen bis S ges = S Syst + SUmg maximiert ist. Meist sind die thermodynamischen Eigenschaften der Umgebung nicht von Interesse. Obwohl ein Kriterium für Stoffgleichgewicht in einem geschlossenen System nun bereits vorliegt, wäre es wünschenswert ein Kriterium zu finden, das sich nur auf Eigenschaften des Systems bezieht. Abb. 1: Geschlossenes System im thermischen und mechanischen Gleichgewicht, aber ohne Stoffgleichgewicht. Abbildung 1 soll helfen, ein gutes Gleichgewichtskriterium zu finden. Das geschlossene System besitzt dieselbe Temperatur wie die Umgebung. System und Umgebung sind vom Rest der Welt isoliert. Das System befindet sich also im thermischen und mechanischen Gleichgewicht, aber nicht im Stoffgleichgewicht. Die Umgebung soll aber ständig im thermodynamischen Gleichgewicht (thermisches, mechanisches und Stoffgleichgewicht) sein. Das System kann mit der Umgebung Energie austauschen (in Form von Arbeit und Wärme), aber keine Materie. 2 Während der chemischen Reaktion oder dem Stofftransport zwischen verschiedenen Phasen im System sollen thermisches und mechanisches Gleichgewicht stets erhalten bleiben. Hinweis: Das bedeutet nicht unbedingt, dass Temperatur und Druck während des Prozesses konstant sein müssen (diese Größen könnten sich langsam ändern, man spricht von währendem Gleichgewicht). Bei einem Wärmeaustausch gilt: δqUmg = −δqSyst Weil die chemische Reaktion oder der Stofftransport innerhalb des Systems, das sich noch nicht im Stoffgleichgewicht befindet, irreversibel ist, muss die Änderung der Gesamtentropie positiv sein: dS ges = dS Syst + dSUmg > 0 Die Umgebung bleibt nach wie vor im thermodynamischen Gleichgewicht. Deshalb ist dort der Wärmeaustausch reversibel: δqUmg dSUmg = T Weil das System nicht im thermodynamischen Gleichgewicht ist, beinhalten die Prozesse eine −δqUmg δqSyst irreversible Änderung. Die letzten drei Gleichungen ergeben: dS Syst > −dSUmg = . = T T δqSyst Deshalb gilt dS Syst > , bzw. T δq (geschlossenes System, thermisches und mechanisches Gleichgewicht) dS > irrev T Von hier ab wird der Index Syst weggelassen, weil sich alle Größen ohnehin auf das System beziehen. Wenn das System das Stoffgleichgewicht erreicht hat, können alle unendlich kleinen Änderungen als reversibel betrachtet werden. δq Im Stoffgleichgewicht gilt deshalb: dS = rev . T Zusammengefasst ergibt sich: δq dS ≥ Clausius Ungleichung T (Änderung der Stoffmenge im geschlossenen System, thermisches und mechanisches GG). Die mit der Umgebung ausgetauschte Wärmemenge ist laut erstem Hauptsatz δq = dU − δw . Diesen Ausdruck kann man in die Clausius Ungleichung einsetzen. Für ein geschlossenes System im mechanischen und thermischen Gleichgewicht folgt also: dU ≤ TdS + δw (Änderung von Stoffmengen im geschlossenen System, thermisches und mechanisches GG). Das Gleichheitszeichen bezieht sich jeweils auf das Stoffgleichgewicht. 3 Freie Energie F und Freie Enthalpie G Der Ausdruck dU ≤ TdS + δw wird nun benutzt, um Bedingungen für Stoffgleichgewicht in Form von Zustandsfunktionen abzuleiten. 1. Fall: Geschlossenes System bei konstanter Temperatur T und konstantem Volumen V. Während der irreversiblen Annäherung an das Gleichgewicht gilt dV = 0 und dT = 0 . Um die Temperatur ins Spiel zu bekommen, wird SdT addiert und subtrahiert: dU ≤ TdS + SdT − SdT + δw Wegen der Produktregel d( uv ) = udv + vdu ergibt sich dU ≤ d( TS ) − SdT + δw Die Beziehung d( u + v ) = du + dv liefert d(U − TS ) ≤ − SdT + δw Zunächst erlauben wir nur Volumenarbeit, δw = − pdV : d(U − TS ) ≤ − SdT − pdV Bei konstanter Temperatur T und konstantem Volumen V erhalten wir d(U − TS ) ≤ 0 (T und V konstant, geschlossenes System, thermisches und mechanisches GG, nur Volumenarbeit) Bei einem geschlossenen System mit konstanter Temperatur und konstantem Volumen wird die Zustandsfunktion U − TS während der freiwilligen, irreversiblen Gleichgewichtseinstellung kontinuierlich kleiner werden. Im Stoffgleichgewicht wird U − TS ein Minimum erreicht haben, dann gilt d(U − TS ) = dF = 0 . Dieses Ergebnis ist offensichtlich eine Konsequenz des 1. und 2. Hauptsatzes. Die Zustandsfunktion U − TS wird Helmholtz-Energie, Freie Energie F oder Arbeitsfunktion A genannt. F ≡ U − TS (39a) A ≡ U − TS Wird der Zustand eines Systems bei konstanter Temperatur verändert, gilt: dF = dU − TdS (40a) 4 2. Fall: Geschlossenes System bei konstanter Temperatur T und konstantem Druck p. Während der irreversiblen Annäherung an das Gleichgewicht gilt dp = 0 und dT = 0 . Um die Temperatur und den Druck ins Spiel zu bekommen, werden SdT und Vdp addiert und subtrahiert, etc: dU ≤ TdS + SdT − SdT − pdV + Vdp − Vdp dU ≤ d( TS ) − SdT − d( pV ) + Vdp d(U + pV − TS ) ≤ − SdT + Vdp d( H − TS ) ≤ − SdT + Vdp Bei konstanter Temperatur T und konstantem Druck p erhalten wir d( H − TS ) ≤ 0 (T und p konstant, geschlossenes System, thermisches und mechanisches GG, nur Volumenarbeit) Bei einem geschlossenen System mit konstanter Temperatur und konstantem Druck wird die Zustandsfunktion H − TS während der freiwilligen, irreversiblen Gleichgewichtseinstellung kontinuierlich kleiner werden. Im Stoffgleichgewicht wird H − TS ein Minimum erreicht haben, dann gilt d( H − TS ) = dG = 0 . Dieses Ergebnis ist ebenfalls eine Konsequenz des 1. und 2. Hauptsatzes. Die Zustandsfunktion H − TS wird Gibbs-Energie oder Freie Enthalpie G genannt. G ≡ H − TS ≡ U + pV − TS (39b) Wird der Zustand eines Systems bei konstanter Temperatur verändert, gilt: dG = dH − TdS (40a) Abb. 2: Für ein geschlossenes System, das nur Volumenarbeit leisten kann, wird die Freie Enthalpie G minimiert, wenn sich bei konstanter Temperatur und konstantem Druck ein thermodynamisches Gleichgewicht einstellt. 5 Die Freie Enthalpie G wird während der Gleichgewichtseinstellung (bei T und p konstant) immer kleiner und erreicht im Gleichgewicht ein Minimum. Gleichzeitig erhöht sich die Entropie im Universum. Die Freie Enthalpie G ist wie U , V und S eine extensive Größe. Zusammenfassung - Bedingungen für spontane Vorgänge und Stoffgleichgewicht: In einem geschlossenen System, das nur Volumenarbeit verrichten kann, ist die Bedingung für spontane Vorgänge und Stoffgleichgewicht bei konstanter Temperatur T und konstantem Volumen V die Minimierung der Freien Energie F und bei konstanter Temperatur T und konstantem Druck p die Minimierung der Freien Enthalpie G . ( dF )T ,V ≤ 0 (41) ( dG )T ,p ≤ 0 Ein geschlossenes System strebt möglichst kleine Werte für F bzw. für G an. Wegen dF = dU − d( TS ) und dG = dH − d( TS ) sind Energieerniedrigung und Entropieerhöhung Triebkräfte für chemische Reaktionen und Phasenumwandlungen. Anmerkung: Für die Entropieänderung in der Umgebung gilt ΔSUmg = Weil der Druck konstant ist, folgt ΔSUmg = qUmg T = − qSyst T . −ΔH Syst . T Wegen G ≡ H − TS gilt bei konstanter Temperatur ΔG = ΔH − T ΔS . Insgesamt ändert sich die Entropie im Universum: ΔSUniv = −ΔH Syst + ΔS Syst = T konstant, nur Volumenarbeit) −( ΔH Syst − T ΔS Syst ) T = −ΔGSyst T (geschlossenes System, T und p Die Abnahme von GSyst während der Gleichgewichtseinstellung (bei T und p konstant) entspricht einer proportionalen Erhöhung der Gesamtentropie (Entropie des Universums). Dies ist sowohl für exotherme Reaktionen (Erhöhung der Entropie in der Umgebung) als auch für endotherme Reaktionen (Erhöhung der Entropie im System) denkbar. Weitere Bedeutung von F Die Bezeichnungen "Arbeitsfunktion" und "Freie Energie" für F haben ihre Gründe. Bevor nur Volumenarbeit zugelassen wurde, konnte formuliert werden (s.o.): dF ≤ − SdT + δw Der Betrag der maximal vom System geleisteten Arbeit bei konstanter Temperatur ist −δwmax = − dF . Für einen endlichen isothermen Prozess gilt − w ≤ −ΔF (42a) (T konstant, geschlossenes System) 6 Das bedeutet, dass die von einem System geleistete Arbeit kleiner oder gleich der negativen Änderung der Zustandsfunktion F ist. Daher rührt die Bezeichnung Arbeitsfunktion. Das Gleichheitszeichen gilt wieder für den reversiblen Prozess. Für eine gegebene Zustandsänderung ist −ΔF eine feste Größe. Daher wird die maximale Arbeit − wmax von einem System nur bei reversibler Prozessführung geleistet. Anmerkung: Der Maximalbetrag an Arbeit kann größer oder kleiner sein als −ΔU , die negative Änderung der inneren Energie des Systems. Für jeden beliebigen Prozess in einem geschlossenen System gilt nach dem 1. Hauptsatz − wmax = − ΔU + q = − ΔU + T ΔS . Die ausgetauschte Wärmemenge entspricht gerade der Differenz zwischen −w und −ΔU . Beispiel: Im Carnot Kreisprozess ist ΔU = 0 und − w > 0 . Erfolgt beim Vorgang eine Entropieabnahme ( q < 0 ), ist − wmax < −ΔU . Ein Teil der Energie aus dem System muss in die Umgebung, damit dort genügend Entropie erzeugt wird, um die Entropieabnahme im System zu kompensieren. Erfolgt beim Vorgang eine Entropiezunahme ( q > 0 ), ist − wmax > −ΔU . Das System nimmt Energie in Form von Wärme aus der Umgebung auf. Weitere Bedeutung von G Bei konstanter Temperatur und konstantem Druck ist das Kriterium für eine spontan ablaufende Reaktion (41): ( dG )T ,p ≤ 0 D.h., Reaktionen laufen freiwillig ab, wenn dabei die Freie Enthalpie abnimmt: ΔG = GPr odukte − GEdukte . Nur wenn ΔG negativ ist, läuft die Reaktion freiwillig ab (exergonisch). Die Rückreaktion wäre dann endergonisch und müsste erzwungen werden. ΔG = ΔH − T ΔS suggeriert, dass man zwei Triebkräfte hat: Abnahme der Enthalpie und Zunahme der Entropie. Tatsächlich ist die eigentliche Triebkraft die Entropiezunahme im Gesamtsystem, im Weltall. Das Wechselspiel zwischen Entropiezunahme und Enthalpieabnahme führt dazu, dass auch endotherme Reaktionen (d.h. Δ H > 0 ) spontan ablaufen können. Das setzt voraus, dass die Entropiezunahme ( T ΔS ) die Enthalpiezunahme (und damit die Entropieabnahme in der Umgebung) überkompensiert. Auch ΔG kann mit der maximalen Arbeit in Beziehung gebracht werden. Wegen G = F + pV ergibt sich dG = dF + pdV + Vdp . Daraus folgt für ein geschlossenes System im thermischen und mechanischen Gleichgewicht dG ≤ − SdT + δ w + pdV + Vdp Bei konstanter Temperatur und konstantem Druck ist dG ≤ δ w + pdV (T, p konstant, geschlossenes System) 7 Arbeit kann in Volumenarbeit und Nicht-Volumenarbeit bzw. Extra-Arbeit δ we (meist elektrische Arbeit) aufgeteilt werden. Damit erhält man dG ≤ − pdV + δ we + pdV dG ≤ δ we ΔG ≤ we bzw. für den Betrag von geleisteter Nicht-Volumenarbeit − we ≤ − ΔG (T, p konstant, geschlossenes System) − ΔG entspricht im reversiblen Fall dem Maximum der Nicht-Volumenarbeit, die das System leisten kann. Daher die Bezeichnung Freie Enthalpie. − we,max = − ΔG (42b) Wenn nur Volumenarbeit geleistet wird, gilt für einen reversiblen, isothermen und isobaren Prozess natürlich ΔG = 0 . Beispiele für Nicht-Volumenarbeit in biologischen Systemen sind die Arbeit bei Muskelkontraktion und die Übertragung von Nervenimpulsen. Bei elektrochemischen Reaktionen hängt die Freie Reaktionsenthalpie ΔGr im reversiblen Fall mit der leicht zu bestimmenden elektrischen Arbeit zusammen: ΔGr = − zFE Hierbei sind z F = e⋅ NA − zF E Anzahl ausgetauschter Elektronen pro Formelumsatz Faradaykonstante (nicht mit Freier Energie verwechseln!) ausgetauschte Ladungsmenge reversible Zellspannung − zFE maximale elektrische Arbeit 8 Die Berechnung der Entropie Wir haben bereits die Temperaturabhängigkeit von S diskutiert und gesehen, dass die Kenntnis von c p eine wichtige Rolle spielt. Aus den Definitionsgleichungen dS = δ qrev T und ( δ qrev )p = dH = c p dT folgt: S( TE ) = S( TA ) + TE cp ∫ TA T dT Wir können die Entropie eines Systems (z.B. einer chemischen Substanz) bestimmen, indem wir die Integration von T = 0 K bis zur Temperatur T durchführen. Dabei wird die Umwandlungsentropie ΔHt für jeden auftretenden Phasenübergang dazuaddiert. Δ St = Tt S( T ) = S( 0 ) + Tmelt ∫ 0 c p,( s ) T dT + Δ H melt Tmelt Tvap ∫ + Tmelt c p,( l ) T dT + Δ H vap Tvap T + ∫ c p,( g ) Tvap T dT (43) Für die Berechnung der Standardentropie S ° wird bis zur Temperatur 298,15 K integriert. Mit Ausnahme von S( 0 ) kann man alle Größen kalorimetrisch bestimmen. Problematisch ist die Messung von c p in der Nähe des absoluten Nullpunkts der Temperatur. Aufgrund von Arbeiten von Peter Debye weiß man jedoch, dass für sehr tiefe Temperaturen gilt: c p ∼ T 3 . Mit c p = aT 3 ist T S( T ) − S( 0 ) = ∫ 0 cp T 1 a dT = ∫ aT 2 dT = T 3 = c p ( T ) 3 3 T 0 Abb. 3: Temperaturabhängigkeit von cp/T und S. 9 S(0) und der 3. Hauptsatz der Thermodynamik Entropieänderungen können mithilfe des 2. Hauptsatzes und cp-Messungen berechnet werden. Wie erhält man absolute Entropien? Um die Standardentropien berechnen zu können, brauchen wir noch einen Zahlenwert für S(0). Am absoluten Nullpunkt ist alle Energie, soweit das möglich ist, dem Körper entzogen. In einem perfekten Kristall ohne Fehlstellen sind bei T = 0 K alle Teilchen regelmäßig angeordnet, die thermische Unordnung ist verschwunden, so dass wir eigentlich annehmen dürfen, dass der Körper die Entropie Null hat. Können wir diese Überlegungen in einem Hauptsatz formulieren? Ähnlich wie beim 2. Hauptsatz gab es dazu mehrere Versuche. Normalerweise werden keine Standardbildungsentropien tabelliert. Jedes Element erhält einen Entropiewert für einen bestimmten Referenzzustand. Dann wird ΔS für den Prozess der Bildung von Verbindungen im Standardzustand berechnet. Referenzzustand: Reines Element in der stabilsten Modifikation bei 1 bar (Standarddruck) und T → 0 K . Die molare Entropie jedes Elements in diesem Zustand sei Null. ° ° Sm, 0 = lim Sm,T = 0 T →0 (Element, ° bedeutet 1 bar) ΔS für die Bildung von Verbindungen kann nicht leicht gemessen werden, vor allem weil die q Reaktionswärme irreversibel ist und ΔS = nicht benutzt werden kann. T 1) Es ist unmöglich, den absoluten Nullpunkt in einer endlichen Anzahl von Schritten zu erreichen. Dass der absolute Nullpunkt unerreichbar ist, kann auch aus dem Carnot-Wirkungsgrad geschlossen T werden: η = 1 − k . Tk = 0 K würde η = 1 ergeben, was dem 2. Hauptsatz widerspricht. Tw 2) T.W. Richards hat 1900 Messungen von ΔG ° vs. T vorgestellt. W. Nernst schloss daraus, dass lim ΔS = 0 sein muss. T →0 Nernst Wärmesatz: Die Entropieänderung, die mit einem isothermen Prozess zwischen kondensierten Phasen verbunden ist, die im internen Gleichgewicht vorliegen, geht für T → 0 K gegen Null. (Bei unterkühltem Helium liegt z.B. kein internes Gleichgewicht vor) 10 Aus diesem Grund ist die Entropie nicht nur von Elementen, sondern auch von chemischen Verbindungen im internen Gleichgewicht im Referenzzustand Null: S0° = lim S ° = 0 T →0 lim S = S( 0 ) = 0 T →0 Eine isotherme Änderung des Drucks wird ebenfalls lim ΔS = 0 zeigen. Deshalb ist die Entropie von T →0 Elementen und Verbindungen bei T → 0 K unabhängig vom Druck Null. Die quantenmechanische bzw. statistische Betrachtung liefert den Ausdruck, der sinngemäß auf dem Grabstein von L. Boltzmann steht. S( 0 ) = k B ln( Ω ) 3) Der 3. Hauptsatz: Setzt man die Entropie jedes Elements in seinem stabilsten Zustand bei T = 0 K gleich Null, so hat jede Verbindung eine positive Entropie. Sie kann bei T = 0 K den Wert Null annehmen und tut dies, wenn die Verbindung als perfekter Kristall vorliegt. 3. Hauptsatz der Thermodynamik Die Entropie aller perfekten Materialien ist bei T = 0 K gleich Null. Entropien von Substanzen, die mittels der Festlegung S( 0 ) = 0 berechnet worden sind, nennt man „Third Law Entropies“. -1 -1 S° / J K mol C (Diamant) 2.4 C (Graphit) 5.7 Cu(s) 33.2 Ag(s) 42.6 Na(s) 51.2 H2O(l) 69.9 Hg(l) 76.0 C6H6(l) 173.3 He(g) 126.2 H2(g) 130.7 N2(g) 192.1 CO2(g) 213.7 NH3(g) 192.5 H2S(g) 205.8 11 Standardentropie S° / J K-1 mol-1 250 200 150 100 50 H2S(g) NH3(g) CO2(g) N2(g) H2(g) He(g) C6H6(l) Hg(l) H2O(l) Na(s) Ag(s) Cu(s) C (Graphit) C (Diamant) 0 Die Standardentropien der Gase (mit Ausnahme von H2 und der Edelgase) sind sehr ähnlich. Die Standardreaktionsentropie Δ r S ° Differenz der Entropien der reinen Reaktionsprodukte, die sich alle in ihren Standardzuständen befinden. Für die Reaktion 0 = ∑ ν J J ist J Δ r S ° = ∑ ν J S J° (44) J Die Freie Standardreaktionsenthalpie Δ r G° Definition: Δ r G° = Δ r H ° − T Δ r S ° Standardreaktionsenthalpie Δ r H ° Standardreaktionsentropie Δ r S ° Die Freie Standard-Bildungsenthalpie ΔbG° 12 ΔbG° ist die Änderung der Freien Enthalpie pro mol Substanz bei der Bildung der Verbindung aus den Elementen, wobei sich alle Substanzen bei der angegebenen Temperatur in ihren Standardzuständen befinden. Für die Elemente wird ΔbG° = 0 festgelegt. ΔbG° / kJ mol-1 ΔbH° / kJ mol-1 C (Diamant) 2.9 1.9 C (Graphit) 0.0 0.0 -237.1 -285.8 H2O(l) 124.3 49.0 C6H6(l) CO2(g) -394.4 -393.5 NH3(g) -16.5 -46.1 H(g) 203.3 218.0 Für die Reaktion 0 = ∑ ν J J ist J Δ r G° = ∑ ν J ΔbGJ° (45) J 13 Kombination von 1. und 2. Hauptsatz Ziel: Ableitung neuer Beziehungen zwischen den Zustandsgrößen. 1. Hauptsatz dU = δq + δw ΔU = q + w Für reversible Änderungen in einem geschlossenen System gilt δq = TdS In Abwesenheit von Nicht-Volumenarbeit gilt δw = − pdV Wir erhalten unter diesen Bedingungen eine Fundamentalgleichung der Thermodynamik dU = TdS − pdV (46) Merke: Diese Gleichung gilt für jeden beliebigen Vorgang (reversibel oder irreversibel), da U eine Zustandsfunktion ist. Irreversibler Fall: δq < TdS und −δw < pdV . In der Fundamentalgleichung (46) haben wir U(S,V). Es gilt dann das totale Differential: ⎛ ∂U dU = ⎜ ⎝ ∂S ⎞ ⎛ ∂U ⎟ dS + ⎜ ⎠V ⎝ ∂V ⎞ ⎟ dV ⎠S Durch Vergleich erhalten wir: ⎛ ∂U ⎞ ⎜ ⎟ =T ⎝ ∂S ⎠V ⎛ ∂U ⎞ ⎜ ⎟ = −p ⎝ ∂V ⎠ S Wir bilden nun die 2. Ableitung von U nach V bzw. S: ∂ 2U ⎛ ∂T ⎞ =⎜ ⎟ ∂V ∂S ⎝ ∂V ⎠ S ∂ 2U ⎛ ∂p ⎞ = −⎜ ⎟ ∂S ∂V ⎝ ∂S ⎠V nach dem Satz von Schwarz gilt deshalb ∂ 2U ⎛ ∂T =⎜ ∂V ∂S ⎝ ∂V ∂ 2U ⎞ ⎛ ∂p ⎞ = − = ⎟ ⎜ ⎟ ⎠S ⎝ ∂S ⎠V ∂S ∂V 14 Aus der Fundamentalgleichung dU = TdS − pdV und den Definitionen der anderen thermodynamischen Zustandsfunktionen werden weitere drei Fundamentalgleichungen erhalten. 1. Hauptsatz, dU = δq + δw Definitionen: H ≡ U + pV F ≡ U − TS G ≡ H − TS Fundamentalgleichungen dU = TdS − pdV (46) dH = dU + pdV + Vdp dH = TdS − pdV + pdV + Vdp dH = TdS + Vdp (47) dF = dU − TdS − SdT dF = TdS − pdV − TdS − SdT dF = − pdV − SdT (48) dG = dH − TdS − SdT p und T sind die wichtigsten Variablen in der Chemie: dG = TdS + Vdp − TdS − SdT dG = Vdp − SdT (49) Man erkennt folgende partielle Ableitungen: ⎛ ∂U ⎞ ⎛ ∂H ⎞ T =⎜ ⎟ =⎜ ⎟ ⎝ ∂S ⎠V ⎝ ∂S ⎠ p ⎛ ∂U ⎞ ⎛ ∂F ⎞ p = −⎜ ⎟ = −⎜ ⎟ ⎝ ∂V ⎠ S ⎝ ∂V ⎠T ⎛ ∂H V =⎜ ⎝ ∂p ⎞ ⎛ ∂G ⎞ ⎟ =⎜ ⎟ ⎠ S ⎝ ∂p ⎠T ⎛ ∂F ⎞ ⎛ ∂G ⎞ S = −⎜ ⎟ = −⎜ ⎟ ⎝ ∂T ⎠V ⎝ ∂T ⎠ p Besonders wichtig ist die T- und p-Abhängigkeit von G: ⎛ ∂G ⎞ ⎜ ⎟ = −S ⎝ ∂T ⎠ p (49a) ⎛ ∂G ⎞ ⎜ ⎟ =V ⎝ ∂p ⎠T (49b) 15 Die Maxwell Beziehungen Diese Beziehungen werden aus den zweiten Ableitungen erhalten (Satz von Schwarz) ⎛ ∂T ⎞ ⎛ ∂p ⎞ ⎜ ⎟ = −⎜ ⎟ ⎝ ∂V ⎠ S ⎝ ∂S ⎠V ⎛ ∂S ⎜ ⎝ ∂V ⎞ ⎛ ∂p ⎞ ⎟ =⎜ ⎟ ⎠T ⎝ ∂T ⎠V ⎛ ∂T ⎞ ⎛ ∂V ⎞ ⎜⎜ ⎟⎟ = ⎜ ⎟ ⎝ ∂p ⎠ S ⎝ ∂S ⎠ p ⎛ ∂S ⎞ ⎛ ∂V −⎜ ⎟ = ⎜ ⎝ ∂p ⎠T ⎝ ∂T ⎞ ⎟ ⎠p ⎛ ∂U ⎞ Bei der Behandlung des 1. Hauptsatzes spielte der Binnendruck ⎜ ⎟ eine wichtige Rolle. ⎝ ∂V ⎠T Jetzt können wir mithilfe der Fundamentalgleichung dUT = TdST − pdVT bei konstanter Temperatur direkt ableiten: dUT ⎛ ∂U ⎞ ⎛ ∂S ⎞ ⎛ ∂p ⎞ =⎜ ⎟ =T ⎜ ⎟ − p =T⎜ ⎟ −p dVT ⎝ ∂V ⎠T ⎝ ∂V ⎠T ⎝ ∂T ⎠V ⎛ ∂U ⎞ Joule hatte im Experiment versucht nachzuweisen, dass für ein ideales Gas ⎜ ⎟ =0. ⎝ ∂V ⎠T Dies lässt sich mit obiger Gleichung direkt beweisen (ohne Experiment). nRT V Für das ideale Gas gilt: p= Dann gilt nR ⎛ ∂p ⎞ ⎜ ⎟ = ⎝ ∂T ⎠V V ⎛ ∂U ⎜ ⎝ ∂V ! nR ⎞ ⎛ ∂p ⎞ − p=0 ⎟ =T ⎜ ⎟ − p =T V ⎠T ⎝ ∂T ⎠V D.h. die innere Energie eines idealen Gases ist unabhängig vom Volumen. Die innere Energie eines idealen Gases hängt lediglich von der Temperatur ab. 16 Die Temperaturabhängigkeit von G ⎛ ∂G ⎞ Wir haben abgeleitet: ⎜ ⎟ = −S ⎝ ∂T ⎠ p Da S immer positiv ist, folgt, dass bei einer T-Erhöhung G abnimmt ( p = const ). Diese Abnahme ist umso größer, je größer S ist. Wir ersetzen die Entropie durch die Enthalpie mithilfe der Definitionsgleichung: G ≡ H − TS S= H −G T G−H ⎛ ∂G ⎞ Damit erhalten wir: ⎜ ⎟ = T ⎝ ∂T ⎠ p bzw. G H ⎛ ∂G ⎞ ⎜ ⎟ − =− T ⎝ ∂T ⎠ p T Differentialregel für Quotienten (Ableitung der Funktion G/T): ⎛G⎞ ⎛ 1⎞ ∂⎜ ⎟ ⎜ ∂ T ⎟ 1 ⎛ ∂G ⎞ G 1 ⎛ ⎛ ∂G ⎞ G ⎞ ∂ 1 G T ⎛ ⎞ ⎝ ⎠= + G ⎜ ⎟= ⎜ ⎜ ⎟ ⎟ − 2 = ⎜⎜ ⎟− ∂T T ⎝ ∂T ⎠ T ⎝ ⎝ ∂T ⎠ T ⎟⎠ ⎜ ∂T ⎟ T ⎝ ∂T ⎠ T ⎝ ⎠ Daraus erhalten wir die Gibbs-Helmholtz-Gleichung: 1 ⎛ ⎛ ∂G ⎞ G⎞ H ⎛ ∂( G / T ) ⎞ ⎜ ⎟=− = − ⎜ ⎟ ⎜ ⎟ ⎝ ∂T ⎠ p T ⎜⎝ ⎝ ∂T ⎠ p T ⎟⎠ T2 (50) Für eine Reaktion gilt entsprechend: ΔH ⎛ ∂( ΔG / T ) ⎞ ⎜ ⎟ =− 2 ∂T ⎝ ⎠p T (50a) 17 Die Druckabhängigkeit von G ⎛ ∂G ⎞ Es gilt ⎜ ⎟ =V ⎝ ∂p ⎠T Damit ist G( p2 ) = G( p1 ) + p2 ∫ Vdp p1 Wir unterscheiden wieder zwischen Festkörpern und Flüssigkeiten, bei denen sich V nur sehr wenig mit p ändert, und Gasen, wo man die bekannte starke Druckabhängigkeit von V hat. 1. Fall: Festkörper und Flüssigkeiten G( p2 ) = G( p1 ) + V ( p2 − p1 ) ≈ G( p1 ) V und Δp sind in der Regel klein. Die kleine Korrektur kann oft vernachlässigt werden. Beispiel: Flüssiges Wasser ΔbG° = −273 kJ mol −1 V ≈ 18 cm3 mol −1 p1 = 1 bar p2 = 10 bar G( 10 bar ) = −273, 0 kJ mol −1 + 18 cm3 mol −1 ⋅ 10−6 m3 cm3 ⋅ 9 bar ⋅ 105 Pa = −272,98 kJ mol −1 bar 2. Fall: Ideales Gas G( p2 ) = G( p1 ) + nRT p2 ∫ p1 dp p ⎛p ⎞ G( p2 ) = G( p1 ) + nRT ln ⎜ 2 ⎟ ⎝ p1 ⎠ (51) RT ≈ 8,314 J K −1 mol −1 ⋅ 300 K ≈ 2,5 kJ mol −1 Bei Raumtemperatur hat eine Druckerhöhung um den Faktor 10 eine Zunahme von G um etwa 2 ,3 ⋅ 2 ,5 kJ mol −1 = 5, 75 kJ mol −1 zur Folge. 18