Klinische Psychologie mit Schwerpunkt Kinder/Jugendliche und Paare/Familien (Prof. Dr. Guy Bodenmann & Dr. Irina Kammerer) Die Relevanz der Klinischen Psychologie in der Schulpsychologie Prof. Dr. Guy Bodenmann Universität Zürich 1 Klinische Psychologie mit Schwerpunkt Kinder/Jugendliche und Paare/Familien (Prof. Dr. Guy Bodenmann & Dr. Irina Kammerer) Grundlagenfächer der Schulpsychologie Allgemeine Psychologie Pädagogik/ Pädagogische Psychologie Biologische Psychologie/ Neuropsychologie (Lernen, Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Emotion, Motivation) Entwicklungspsychologie Schulpsychologie Sozial- und Persönlichkeitspsychologie Klinische Psychologie/ Psychopathologie Klinische Psychologie mit Schwerpunkt Kinder/Jugendliche und Paare/Familien (Prof. Dr. Guy Bodenmann & Dr. Irina Kammerer) Klinische Psychologie Die Klinische Psychologie beschäftigt sich mit psychischen Störungen, mit psychologischen Aspekten körperlicher Störungen oder Krankheiten sowie psychischen Krisen. Ihre Aufgaben sind: Diagnostik und Klassifikation klinisch-psychologischer Phänomene (Psychodiagnostik, Pathopsychologie) Störungsverständnis (Ätiologie, Pathogenese) Gesundheitsförderung/Prävention von Störungen Behandlung/Therapie von Störungen Evaluation von Interventionen Bastine (1998); Perrez & Baumann (2011) 3 Klinische Psychologie mit Schwerpunkt Kinder/Jugendliche und Paare/Familien (Prof. Dr. Guy Bodenmann & Dr. Irina Kammerer) Aber was hat die Schulpsychologie mit all dem zu tun… Die pathologische Brille? 4 Klinische Psychologie mit Schwerpunkt Kinder/Jugendliche und Paare/Familien (Prof. Dr. Guy Bodenmann & Dr. Irina Kammerer) Durch akkurate Diagnostik gibt es nicht mehr Störungen, sondern eine validere Erfassung derjenigen Kinder/Jugendlichen, bei denen effektiv klinischer Handlungsbedarf besteht. Ziel ist in keinem Fall eine Pathologisierung der Kinder/Jugendlichen. 5 Klinische Psychologie mit Schwerpunkt Kinder/Jugendliche und Paare/Familien (Prof. Dr. Guy Bodenmann & Dr. Irina Kammerer) Ein Beispiel: Experten diagnostizieren ADHS bei 2-6%, Eltern und Lehrpersonen bei 22-28% der Kinder (Görtz-Dorten & Döpfner, 2008) 6 Klinische Psychologie mit Schwerpunkt Kinder/Jugendliche und Paare/Familien (Prof. Dr. Guy Bodenmann & Dr. Irina Kammerer) Klinische Psychologie ist heute nicht mehr defizitorientiert, sondern berücksichtigt das komplexe Zusammenspiel von Ressourcen und Risikofaktoren -> bio-psycho-soziales Störungsmodell 7 Klinische Psychologie mit Schwerpunkt Kinder/Jugendliche und Paare/Familien (Prof. Dr. Guy Bodenmann & Dr. Irina Kammerer) Modernes Störungsverständnis Inzidenzformel nach Becker (1997) Angeborene Vulnerabilität x Stressoren Inzidenz (genetische Disposition etc.) psychischer = Störungen Interne Ressourcen (Selbstwert, Kompetenzen, Bindungssicherheit, Kontrollüberzeugungen, Attributionsstil, Informationsverarbeitung, Intelligenz etc.) 8 (Alltagsstress, krit. LE) externe Ressourcen (soziale Unterstützung, Freundesnetz, Schulklima) Klinische Psychologie mit Schwerpunkt Kinder/Jugendliche und Paare/Familien (Prof. Dr. Guy Bodenmann & Dr. Irina Kammerer) Jede Störung ist eine Funktion des Zusammenspiels von genetischer Disposition, Risikofaktoren, Protektiv- oder Resilienzfaktoren, Auslösern und aufrechterhaltenden Bedingungen. 9 Klinische Psychologie mit Schwerpunkt Kinder/Jugendliche und Paare/Familien (Prof. Dr. Guy Bodenmann & Dr. Irina Kammerer) Was kann die Klinische Psychologie der Schulpsychologie bieten? 10 Klinische Psychologie mit Schwerpunkt Kinder/Jugendliche und Paare/Familien (Prof. Dr. Guy Bodenmann & Dr. Irina Kammerer) Zwei Schwerpunkte Psychodiagnostik Welches Kind ist vorübergehend auffällig versus klinisch gestört? Differentialdiagnostik (um welche Störung handelt es sich?) Erklärungsmodelle Warum hat das Kind diese Probleme? Welche Theorien erlauben uns ein besseres Verständnis, welches den Eltern, dem Kind, den Lehrpersonen usw. vermittelt werden kann. Klinische Psychologie mit Schwerpunkt Kinder/Jugendliche und Paare/Familien (Prof. Dr. Guy Bodenmann & Dr. Irina Kammerer) ... zudem ist es eine Tatsache, dass Schulpsychologie mit Störungen zu tun hat... 12 Klinische Psychologie mit Schwerpunkt Kinder/Jugendliche und Paare/Familien (Prof. Dr. Guy Bodenmann & Dr. Irina Kammerer) 26% aller Lehrerinnen und Lehrer gehen vor der Altersgrenze in Pension, rund die Hälfte wegen psychischer Probleme Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (2008). Schulpsychologie in Deutschland 10-30% der Lehrerinnen und Lehrer leiden allein in der Stadt Zürich, d.h. gegen 300 Lehr- oder Betreuungspersonen, unter Burn-out. Sie sind für rund 5000 Kinder und Jugendliche verantwortlich. (Frey, 2010) 13 Klinische Psychologie mit Schwerpunkt Kinder/Jugendliche und Paare/Familien (Prof. Dr. Guy Bodenmann & Dr. Irina Kammerer) Rund jedes fünfte Kind ist klinisch auffällig (18%-22%) Nach Costello (2005) erfüllen rund 45% aller Kinder hinsichtlich der Symptome die Kriterien für psychische Störungen, rund 18% erfahren dadurch relevante Funktionseinschränkungen. Barkmann & Schulte-Markwort (2004) Meta-Analyse mit N = 29 Studien aus Deutschland (Ihle & Esser, 2002) 14 Klinische Psychologie mit Schwerpunkt Kinder/Jugendliche und Paare/Familien (Prof. Dr. Guy Bodenmann & Dr. Irina Kammerer) Bei einer Klassengrösse von 20 Kindern sind im Durchschnitt 4 psychisch auffällige Kinder darunter 15 Klinische Psychologie mit Schwerpunkt Kinder/Jugendliche und Paare/Familien (Prof. Dr. Guy Bodenmann & Dr. Irina Kammerer) in Deutschland liegt die Prävalenz bei 21.1% (Ravens-Sieberer, 2006) In der Schweiz bei 22.5% (Steinhausen et al., 1998) 16 Klinische Psychologie mit Schwerpunkt Kinder/Jugendliche und Paare/Familien (Prof. Dr. Guy Bodenmann & Dr. Irina Kammerer) Was ist eine psychische Störung? 17 Klinische Psychologie mit Schwerpunkt Kinder/Jugendliche und Paare/Familien (Prof. Dr. Guy Bodenmann & Dr. Irina Kammerer) Merkmale einer psychischen Störungen Erhebliche, störungsrelevante Normabweichung Leidensdruck bei Kind/Jugendlichem oder Umgebung (Eltern, Schule, Peers) Längere Dauer der Symptomatik als üblich Intensität der Symptomatik beeinträchtigt normales Funktionsniveau Mangelnde/fehlende Kontrolle über Symptomatik Klinische Psychologie mit Schwerpunkt Kinder/Jugendliche und Paare/Familien (Prof. Dr. Guy Bodenmann & Dr. Irina Kammerer) Schulpsychologie im Spannungsfeld zwischen Normalität und Pathologie Unterangepasst/ mangelnde Verhaltenskontrolle Überangepasst/ Verhaltenshemmung Intelligenzdefizite Hochbegabung Deprivation/ Vernachlässigungsstörungen Verwöhnungs – und Luxussyndrome Gratwanderung Klinische Psychologie mit Schwerpunkt Kinder/Jugendliche und Paare/Familien (Prof. Dr. Guy Bodenmann & Dr. Irina Kammerer) Normalität versus Abweichungen nach oben und unten 68% grenzwertig grenzwertig Normalität Störung/Krankheit Störung/Krankheit -3SD -2SD -1SD x +1SD 20 +2SD +3SD Klinische Psychologie mit Schwerpunkt Kinder/Jugendliche und Paare/Familien (Prof. Dr. Guy Bodenmann & Dr. Irina Kammerer) Diejenigen Schülerinnen und Schüler, welche keine Probleme haben, bekommt der Schulpsychologe/ die Schulpsychologin auch kaum zu sehen, sondern vor allem die Kinder mit Problemen. 21 Klinische Psychologie mit Schwerpunkt Kinder/Jugendliche und Paare/Familien (Prof. Dr. Guy Bodenmann & Dr. Irina Kammerer) Benötigte klinisch-psychologische Skills Diagnostik (neben Intelligenz- und Leistungsdiagnostik, klinische Diagnostik) Klassifikation (DSM-IV-R, ICD-10, MAS) Indikation (Triagefunktion, Delegation an andere Fachpersonen und Psychotherapeuten) Wissen zum Störungsverständnis/Erklärungsmodell Gesundheitsförderung/Prävention Krisenintervention/Kurzzeitbehandlung 22 Klinische Psychologie mit Schwerpunkt Kinder/Jugendliche und Paare/Familien (Prof. Dr. Guy Bodenmann & Dr. Irina Kammerer) Für eine akkurate Erkennung von Störungen bei Kindern braucht es Kenntnisse bezüglich der Klassifikationssysteme (DSM-IV-R, ICD-10) sowie eine klinisch-diagnostische Vorgehensweise. 23 Klinische Psychologie mit Schwerpunkt Kinder/Jugendliche und Paare/Familien (Prof. Dr. Guy Bodenmann & Dr. Irina Kammerer) Klinisch-diagnostische Herangehensweise Stimuli---------Organismus-----------Reaktion---------Contingenz------Konsequenzen problematisches Verhalten Funktionale Bedingungsanalyse zur Erkennung der Zusammenhänge zwischen den einzelnen Variablen in ihrer Bedeutung für die Entstehung (Pathogenese, Ätiologie) und Aufrechterhaltung (Performanz) der Störung. Klinische Psychologie mit Schwerpunkt Kinder/Jugendliche und Paare/Familien (Prof. Dr. Guy Bodenmann & Dr. Irina Kammerer) Stimuli----------Organismus------------Reaktion----------Contingenz--------Konsequenzen Auslösende Situationen Elternhaus Schule Freizeit Peers Klinische Psychologie mit Schwerpunkt Kinder/Jugendliche und Paare/Familien (Prof. Dr. Guy Bodenmann & Dr. Irina Kammerer) Stimuli----------Organismus------------Reaktion----------Contingenz--------Konsequenzen Genetische Disposition (hereditäre Häufung) Biologische Konstitution Äusseres Erscheinungsbild (Körpergrösse, Gewicht, Behinderungen usw.) Intelligenz (IQ) Selbstwert Kontrollüberzeugungen/Attributionsstil Bindungsstil Informationsverarbeitungsstil Sozialkompetenzen Copingkompetenzen usw. Klinische Psychologie mit Schwerpunkt Kinder/Jugendliche und Paare/Familien (Prof. Dr. Guy Bodenmann & Dr. Irina Kammerer) Stimuli----------Organismus------------Reaktion----------Contingenz--------Konsequenzen Rbehavioral/motorisch Verhaltensexzesse, Verhaltensdefizite, unangemessenes Verhalten, fehlendes Verhalten, unproblematisches Verhalten oder Ressourcen Rkognitiv vorausgehende, begleitende oder nachfolgende Kognitionen, Situationseinschätzungen, Selbstverbalisationen, spezifische Erwartungen, situative Attributionen Remotional Internalisierende und externalisierende Gefühle in der Situation Rphysiologisch Herzfrequenz, Blutdruck, Atmung, Schwitzen, Kreislauf, vegetative Symptome Klinische Psychologie mit Schwerpunkt Kinder/Jugendliche und Paare/Familien (Prof. Dr. Guy Bodenmann & Dr. Irina Kammerer) Stimuli----------Organismus------------Reaktion----------Contingenz--------Konsequenzen Kontingenz zwischen S und R oder R und K Inkonsistenzen (z.B. bezüglich Erziehungsverhalten) Klinische Psychologie mit Schwerpunkt Kinder/Jugendliche und Paare/Familien (Prof. Dr. Guy Bodenmann & Dr. Irina Kammerer) Stimuli----------Organismus------------Reaktion----------Contingenz--------Konsequenzen Positive Verstärkung (Darbietung von C+) Negative Verstärkung (Entfernung von C-) Direkte Bestrafung (Darbietung von C-) Indirekte Bestrafung (Entfernung von C+) Löschungsbedingungen (keine Konsequenzen folgen auf R) Klinische Psychologie mit Schwerpunkt Kinder/Jugendliche und Paare/Familien (Prof. Dr. Guy Bodenmann & Dr. Irina Kammerer) Bei vielen dieser Faktoren kann die Schulpsychologie rechtzeitig ansetzen, Zusammenhänge erkennen, den Eltern, Lehrern und Schülern aufzeigen und gezielte Massnahmen einleiten 30 Klinische Psychologie mit Schwerpunkt Kinder/Jugendliche und Paare/Familien (Prof. Dr. Guy Bodenmann & Dr. Irina Kammerer) Dies lohnt sich, denn die Persistenz einer Störung im Kindesalter liegt bei 30-50% im Erwachsenenalter (Ihle & Esser, 2002) 31 Klinische Psychologie mit Schwerpunkt Kinder/Jugendliche und Paare/Familien (Prof. Dr. Guy Bodenmann & Dr. Irina Kammerer) Ab Herbst 2012 bietet die Universität Zürich einen MAS in Schulpsychologie an Auskünfte: Dr. Irina Kammerer ([email protected]) 32