Einführung: Biomechanik von Sportverletzungen – Teil 1 PD Dr. Kai-Uwe Schmitt AGU Zürich – Arbeitsgruppe für Unfallmechanik www.agu.ch Verletzungen im Sport Direktes Trauma <> Ermüdung/Überlastung Ermüdung/Überlastung Repetitive Belastung (submaximal) Wiederholte Mikrotraumen führen zu lokaler (zellulärer und extrazellulärer) Degeneration Missverhältnis zwischen (Über-) Belastung und Erholung Akkumulierung von Gewebeschaden (noch nicht klinisch) >> Schmerz >> klinische Symptome Prädisponierende Faktoren Intrinsisch Extrinsisch Erweitertes Verletzungsmodell [Bahr,Krosshaug, 2005] Dynamisches Verletzungsmodell [Meeuwisse et al, 2007] Teil 1 - Kopfverletzungen Weniger Verletzungen Umsetzung Standards / Normen Verletzungskriterien Grundlagen / Verletzungsmechanismen Anatomie – knöcherne Strukturen Stirnbein (Os frontale) Schläfenbein (Os temporale) Scheitelbein (Os parietale) Keilbein (Os sphenoidale) Nasenbein (Os nasale) Tränenbein (Os lacrimale) Jochbein (Os zygomaticum) Hinterhauptsbein (Os occipitale) Schläfenbein (Os temporale) Oberkiefer (Maxilla) Jochbogen (Arcus zygomaticus) Unterkiefer (Mandibula) Anatomie – knöcherne Strukturen Anatomie - Hirnhäute Schädeldach (Calvaria) Kopfschwarte (ca. 6-12mm) (Galea aponeurotica) Extradural- oder Epidural-Raum Harte Hirnhaut (Dura Mater) Subdural-Raum Großhirnrinde (Cortex) graues Gehirngewebe (ca. 1,5-4,5mm) Spinnwebshaut (Arachnoidea Mater) Subarachnoidal-Raum Weiche Hirnhaut (Pia Mater) weißes Gehirngewebe Hirnhäute (Meningen) Anatomie – weiche Strukturen Anatomie - Gehirn 1: Endhirn 2: Zwischenhirn 3: Mittelhirn 4: Hinterhirn 5: Nachhirn Anatomie Abmessungen, Gewicht (Hubbard u. McLeod 1974): Länge: 196 mm, Breite: 155 mm, Gewicht: 4,54 kg Mechanische Eigenschaften: Schädelknochen (McElhaney et al. 1970): - Druck: E=2,41 kN/mm2 =74 N/mm2 - Zug: E=1,23 kN/mm2 =79 N/mm2 - Torsion: E=1,38 kN/mm2 =22 N/mm2 Verletzungen - Übersicht Verletzungen - „Mild traumatic brain injury“ (MTBI) MTBI „mild/minor traumatic brain injury“ = leichtes Schädel-Hirn-Trauma komplexer pathophysiologischer Prozess, der aufgrund von traumatischer Krafteinwirkung zu Beeinträchtigungen des Gehirns führt Verletzungen - „Mild traumatic brain injury“ (MTBI) Kurzzeitige Beeinträchtigungen neurologischer Funktionen, die in der Regel spontan zurückgehen Einfache MTBI: stufenweiser Rückgang innerhalb von 7 – 10 Tagen Komplexe MTBI: länger andauernde Symptome Symptome: u.a. Bewusstseinsstörung, Kopfschmerz, Übelkeit, Gleichgewichts-, Konzentrationsstörungen… Verletzungen - „Mild traumatic brain injury“ (MTBI) eher funktionelle Störung als strukturelle Veränderung typischerweise normalstrukturierte neuroradiologische Bildgebung Erfassung / Erhebung (früherer) MTBIs wichtig Relevant vor allem in Kontaktsportarten, z.B. Eishockey Verletzungen - „Mild traumatic brain injury“ (MTBI) aktuelle Diskussion: «Zentripetale» Theorie («CTC: centripetal theory of concussion») «Symptom-zentrischer» Ansatz («MIS: mechanically induced symptoms») Verletzungsmechanismen Verletzungsmechanismen a b c d Schädeldeformation ohne Fraktur (a) positiver und negativer Druck sowie Druck- und Stoßwellen (b,d) Relativbewegung des Gehirns gegenüber dem irregulär geformten Schädelknochen (c) Boxen Gemessene Belastungen am Dummy-Kopf [Walilko et al. 2005] : Kopfbeschl. translatorisch: 58±13g (für 11,4 ms) Verletzungskriterium HIC: 71 Geschwindigkeitsänderung (delta-v): 2,97 m/s Kopfbeschl. rotatorisch: 6343±1789 rad/s2 Vergleichswerte „Gehirnerschütterung“/MTBI: Gemäss NFL: translatorische Kopfbeschl: 94±27g, HIC 345 Ommaya et al: rotatorische Kopfbeschl.: 4500 rad/s2 Zhang et al: transl. Kopfbeschl: 85g, HIC15 240, rotator. Kopfbeschl.: 6000 rad/s2 Boxen (volunteers) [Smith et al, 2002] [Zhang et al, 2008] Football [Rowson et al, 2012] Experimente Bestimmung der Kopfbelastung Tierversuche (z.B. Ratte > Kopf-Rotation) Rekonstruktion mittels Computersimulation Datenaufnahme mit instrumentiertem Helm Football 335 football players >> 300’977 subconcussive and 57 concussive head impacts. [Rowson et al. 2012] Prävention Grundsätzliche Möglichkeiten, um Kopfverletzungen im Sport zu verhindern? Prävention - Helm Wie würden Sie das Schutzpotential eines Kopfschutzes/Helms testen und bewerten? Verletzungskriterien Hypothetische Zusammenhänge Belastungstoleranzen Wayne State-University: Cerebral Concussion Tolerance Curve (kurz: Wayne State Tolerance Curve WSTC) translatorische, resultierende Beschleunigung Anprall an ebener, starrer Platte Schädelfrakturen als Indiz für Gehirnverletzungen mathematische Beschreibung des Zusammenhangs von Beschleunigungsniveau und Einwirkdauer WSTC Belastungstoleranzen Rotationsbeschleunigung abhängig von Grösse (Masse) des Gehirns Verletzungskriterien – 3ms Kriterium 3ms Kriterium (a3ms) basiert auf WSTC resultierende Beschleunigung auf Kopf in einem Zeitfenster von 3 ms Grenzwert: 80 g bei Schutzhelmen 5 ms Zeitfenster (ECE-R 22) Verletzungskriterien – HIC HIC (Head Injury Criterion): basiert auf WSTC (mathematische Beschreibung) Grenzwert 1000 a: Beschleunigung [g], t: Zeit [s] Verletzungskriterien - GAMBIT GAMBIT (Generalized Acceleration Model for Brain Injury Threshold, Newman 1980) Grenzwert für 50%ige (p=0,5), irreversible Kopfverletzung: 1,0 a: Translat. Beschl. [g] : Rot. Beschl [krad/s2] Verletzungskriterien Scherspannungen als Verl-Kriterium für MTBI 7.8 kPa = 50% Risiko für MTBI 85g für Translation, 6000 rad/s2 für Rotation [Zhang et al. 2004] [Schmitt] [Yang] Vorschlag neue Helm-Norm Laborversuche PLUS Computersimulationen [Halldin 2015]