Die Entwicklung der medizinischen Technik im Spiegel der Berliner

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5. Zusammenfassung und Ausblick
Die Medizintechnologie des ausgehenden 19. Jahrhunderts ist nur ein kleiner Ausschnitt aus einer sich über Jahrhunderte entwickelnden Wissenschaft und ein Teil
unserer Medizingeschichte. Durch die Entwicklung neuer medizinischer Gerätschaften wurden immer wieder neue Erkenntnisse erlangt, die wiederum die Konzeption und Konstruktion von anderen Geräten und Techniken bewirkten.
Die in der BKW in den Jahren 1870 bis 1899 vorgestellten Instrumente sind zum
Teil wieder in Vergessenheit geraten. Diverse Instrumente, die in einigen Fällen
schon Modifikationen bekannter Instrumente waren, aber auch die Neuheiten,
wurden wiederum weiterentwickelt und finden sich in modifizierter Art und Weise
noch im heutigen medizinischen Instrumentarium wieder. Andere Instrumente und
Geräte, die für uns heute selbstverständlich sind, wurden erstmalig in den untersuchten Jahrgängen der BKW veröffentlicht, wie beispielsweise die CramerSchiene [194], Elfenbeinstifte bei Pseudarthrosen [57] und die Larynxintubation
[198]. Der Beitrag von Trendelenburg 1870 über die Tamponde der Trachea [6]
war ein Bericht von der ersten endotrachealen Intubation, die heute so selbstverständlich Bestandteil vieler operativer Eingriffe und in der Notfallmedizin ist. Auch
die Modifikation von Rosenbach [61] unter Verwendung eines „Cuffs“ aus dem
Jahre 1875 war ein weiterer Schritt in die moderne Anästhesie.
In Rahmen der hier durchgeführten Untersuchung hat sich gezeigt, dass die beschriebenen ökonomischen Gesichtspunkte zur Entwicklung eines medizinischen
Apparates im endenden 19. Jahrhunderts ein wichtiger Konstruktionsgrund waren.
Hierunter fallen nicht nur die Material- und Produktionskosten des Gerätes sondern
auch dessen Unterhalt und Haltbarkeitsdauer. Konnten die Instrumentenpreise
gesenkt werden, waren mehr Ärzte und Patienten in der Lage, sich ein solches
Gerät anzuschaffen und zu nutzen. Andererseits war auch der effiziente Gebrauch
des Apparates von Bedeutung, da dadurch Personal eingespart, Untersuchungsbzw. Therapieabläufe effizienter gestaltet als auch preiswerter Heil- bzw. Hilfsmittel
hergestellt werden konnten. Beispiele, von Apparaten, die in der BKW beschrieben
wurden, wie die Apparatur zur Herstellung des preiswerten Schlafmittels Chloralhydrat [2] oder der in Anschaffung und Unterhalt preiswerte Induktionsapparat von
Spamer [68] aus dem Jahr 1876, können diese These veranschaulichen. Ebenso
das Instrument zur ophthalmischen Refraktionsbestimmung von Schmidt-Rimpler
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[79], mit dem ein Assistent während der Untersuchung entbehrlich war oder die
Schröpfkopfelektrode von Penzoldt mit der Behandlungszeit und Assistent eingespart werden konnte [86]. Andere Instrumente waren einfach und preiswert konzipiert und ersetzten kompliziert und teure Geräte wie der Spray-Apparat von Unna
[137], der Ersatz-Apparat für den Türck`schen Zungenspatel von Heryng [233b],
der Vegetationsschaber von Krakauer [220] oder die einfachen Stromquellen von
Jacobson [262]. Aspekte, die damals wie heute und auch in der zukünftigen Zeit
eine immense Bedeutsamkeit haben, da das Gesundheitssystem immer weniger
Geldressourcen zur Verfügung hat.
Darüber hinaus zeigt sich, dass Apparate und Instrumente, die dem Patienten als
auch dem Arzt zu Gute kamen, gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine nicht unerhebliche Rolle spielten. Herauszuheben sind die Apparate, die eine Therapie durch
den Patienten selbst oder seinen Angehörigen möglich gemacht hatten und somit
die Unabhängigkeit des Patienten vom Arzt vergrößerten. Infolge dessen brauchte
der Patient nicht wiederholt die Praxis des Arztes aufzusuchen und der Arzt war
von häufigen Hausbesuchen entbunden. Andere Instrumente konnten dem Patienten quasi als „Notfall-Instrumentatrium“ dienen, wenn die Anwendung unmittelbar
beim Auftreten der Symptome durch den Betroffenen oder dessen Angehörigen
eingesetzt werden konnte und nicht erst das verzögerte Eintreffen des Arztes oder
der nächste Arztbesuch abgewartet werden musste.
Geräte, die eher aus wissenschaftlichem Impetus konzipiert worden waren, haben
im Laufe der Zeit durch Weiterentwicklung eine andere Intention erreicht. So gehört in der heutigen Zeit das Blutdruckmessgerät zu den medizinischen Geräten,
die in vielen Haushalten vorhanden sind, um den Blutdruck selbst zu messen und
zu kontrollieren. Damit sind Patienten in der Lage, die Therapie ihrer Hypertonie
selbst zu überwachen und dadurch eine gewisse Unabhängigkeit von ärztlichen
Kontrollen zu erreichen. Der Entwickler eines der ersten brauchbaren Blutdruckmessgeräte war Samuel von Basch. Er hatte allerdings eher ein wissenschaftliches Interesse an der Bedeutung der Blutdruckwerte gehabt und weniger die
Selbstkontrolle durch den Patienten im Sinn. Sein Apparat war noch nicht so einfach zu handhaben wie die heute üblichen Geräte und Basch hatte die exakte
Blutdruckmessung nicht einmal dem versiertesten Pflegepersonal zugetraut [188].
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Heute wie in der damaligen Zeit spielte die Mobilität des Patienten eine Rolle bei
den Behandlungsmöglichkeiten. Nicht immer war der Patient in der Lage den Arzt
persönlich aufzusuchen, sei es aus gesundheitlichen Gründen oder mangels
Transportmöglichkeit bei längeren Wegstrecken. Umso wichtiger war es für den
Arzt, Therapie- oder Diagnostikmöglichkeiten anzubieten, die diesen Mangel beheben konnten, also Instrumente die so einfach, klein und leicht waren, dass sie
bequem auf Hausbesuchen mitgeführt werden konnten.
Das Bedürfnis neue Therapieformen zu entwickeln entstand nicht selten mangels
brauchbarer Behandlungsoptionen manchmal erst im Laufe der Berufslaufbahn,
beispielsweise durch kritische Verlaufsbeobachtungen oder Unzufriedenheit mit
vorhandenem Instrumentarium. In einigen Fällen erfolgte die Konzeption eines Apparates aber auch aus persönlichem Interesse, wenn der Konstrukteur ein Instrument entweder für sich selbst oder ein Familienmitglied entwickelt hat. Auch in den
hier vorgestellten Artikeln war das Fehlen geeigneter Behandlungsmöglichkeiten
und die sich daraus ergebenen Unannehmlichkeiten Motivation zur Entwicklung
neuer Geräte. Ein Verfahren, wie es in leicht abgewandelter Form, beispielsweise
bei Steinen im Harnleiter, Tumoren, Harnleiterstenosen oder anderen Erkrankungen, die den Urinabfluss aus der Niere verhindern, auch heute noch Verwendung
findet, dachte sich ein Berliner Arzt für seinen Sohn aus [178]. Sein Apparat, mit
dem der Urin einer Nierenfistel aufgefangen werden konnte, verhinderte das unangenehme Herunterlaufen des Urins am Körper fast komplett. Durch dieses Verfahren konnten Lebensqualität und Hygiene bedeutend verbessert werden.
Infolge der vielen neuen medizinischen Kenntnisse, Krankheitssymptome und
Krankheiten, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entdeckt worden waren, entwickelte sich ein Bedürfnis, diese zu klassifizieren. Ziel war es, die gewonnen Ergebnisse zu messen, die Messgenauigkeit zu verbessern und Normwerte zu
bestimmen, um eine allgemein gültige Standardisierung zu erreichen.
Ein uns heute selbstverständliches Instrument war das Thermometer, welches sich
in Deutschland als diagnostisches Hilfsmittel in der Medizin nach 1850 verbreitete.
Allerdings war die Dauer der Temperaturmessung in der Achselhöhle mit einem
Quecksilberthermometer von zehn Minuten relativ lang und kostete dem praktischen Arzt viel kostbare Zeit, wie Huebner im März 1889 festgestellt hatte [222].
Das Metallthermometer von Immisch sollte die Messzeit verkürzen, zudem den
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Vorteil von Unzerbrechlichkeit, Wasserdichtigkeit und Desinfizierbarkeit haben.
Weder der Praktiker Huebner noch der Kliniker Kuttner konnten in ihren Untersuchungen die Verkürzung der Messdauer oder die bessere Messgenauigkeit gegenüber dem Quecksilberthermometer bestätigen [228]. Huebner war sich sicher,
dass die Fortschritte in Physik, Chemie und Technik zu einer baldigen Innovation
führen würden, die eine kürzere und exakte Temperaturmessung ermöglichen
würde, wahrscheinlich mit Hilfe der Elektrizität.214
Letztendlich dauerte es noch viele Jahre, bis ein geeigneter Ersatz für das Quecksilberthermometer entwickelt wurde. Zunächst waren es in den achtziger und
neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts die digitalen Fieberthermometer, später
auch die Infrarotthermometer, die wie Huebner es vorhergesagt hatte, mit dem
Strom einer Batterie arbeiten. Mit letzteren dauert die Temperaturmessung nur
wenige Sekunden, allerdings kann es bei nicht ganz korrektem Gebrauch zu Messungenauigkeiten kommen. Die Ära der quecksilberhaltigen Thermometer wird im
April 2009 in den meisten europäischen Staaten beendet werden, wenn der Vertrieb von quecksilberhaltigen Instrumenten in der EU verboten wird.
Nachdem die Rolle des Blutes und der Blutbestandteile auf die Gesundheit des
Menschen entdeckt worden waren, wurden Verfahren entwickelt die Erythrozytenzahl und den Hämoglobingehalt des Blutes zu messen. Ziel war es gewesen, einfache und möglichst wenig zeitaufwändige Verfahren zu konzipieren, die aber ein
genaues Ergebnis liefern sollten. Mit Hilfe des „Haemochromometers“ von Quincke
wurde ein colorimetrisches Verfahren verwendet, also ein Vergleich der Blutfarbe
mit vorgefertigten Farbröhrchen, die einem bekannten Hämoglobingehalt des Blutes entsprachen [92]. Ein anderes, ebenfalls auf der Colorimetrie beruhende Verfahren, benutzte Mantegazza zur Ermittlung der Erytrozytenzahl im Blut [87]. Prinzipiell werden auch in der heutigen Medizin noch photometrische Verfahren verwendet. Zur Bestimmung des Hämoglobingehaltes im Blut gibt es bis heute keine
Alternative, wenngleich die Methodik verfeinert und präzisiert wurde. Erythrozytenzahlen werden in modernen Laboren in der Regel maschinell ausgezählt, jedoch
existieren auch für die Bestimmung der Erythrozytenzahlen noch photometrische
Verfahren, die beispielsweise von ambulanten Hebammen oder in Arztpraxen genutzt werden.
214
Vgl. Vortrag von Huebner, gehalten in einer Sitzung der Gesellschaft der praktischen Ärzte zu
Riga
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Standardisierte Verfahren und Normierungen wurden darüber hinaus für die Therapie von Krankheiten erarbeitet. Einen Beitrag dazu leistete der Pharmakologe
Rosenthal, der eine Tablettenpresse entwickelte. Seinen Prototyp stellte er 1874
vor [52] und einen verbesserten Apparat im Jahre 1882 [132]. Mit Hilfe dieser
Presse konnte das Volumen von pulverisierten Medikamenten auf ein Drittel reduziert werden, ein möglicherweise unangenehmer Geschmack wurde minimiert, die
genaue Dosierung des Wirkstoffes wurde gewährleistet, der Herstellungspreis reduziert und dank längerer Haltbarkeit auch eine Bevorratung möglich. Obwohl sich
niedergelassene Apotheker zunächst heftig gegen diese Art der Arzneimittelproduktion wehrten und die 1898 daraufhin erlassene Tablettenverordnung die fabrikmäßige Großproduktion verhinderte, setzte sich die maschinelle Produktion von
Tabletten nach und nach durch. Das preußische Kriegsministerium erkannt die
Vorteile dieser Herstellungsart und beschloss im Jahre 1904 Tabletten in ihren Sanitätsdepots zu pressen und sie als obligaten Bestandteil der Sanitätsausrüstung
einzuführen. Die Tablettenverordnung wurde schließlich im Jahre 1910 wieder
aufgehoben und in der Folgezeit konnte infolge neuer technischer Möglichkeiten
die Großproduktion der vielen neuen Medikamente, die entwickelt wurden, erfolgen und einer großen Patientenzahl zur Verfügung gestellt werden.215
Im ausgehenden 19. Jahrhundert hatten neben den neuen medizinischen auch
viele neue technische, chemische und physikalische Erkenntnisse die Wissenschaften ebenso bereichert wie neue Materialien und Materialeigenschaften. Diese
Errungenschaften waren Anlass für den einen oder anderen Mediziner oder Techniker, bestehende Gerätschaften zu modifizieren oder neue Instrumente aus bzw.
mit diesen innovativen Materialien oder Techniken zu entwickeln. Die Notwendigkeit des sterilen Operierens war durch die Erkenntnis von Asepsis und Antisepsis
von den meisten Ärzten erkannt worden und erforderte bzw. inspirierte zur Suche
nach neuen Werkstoffen.
Metalle und Metalllegierungen waren schon seit Jahrhunderten vielfach genutzte
Materialien für medizinische Instrumente. Die Herstellung von medizinischen Instrumenten erfolgte in erster Linie durch die Waffenschmiede, die in der Kunst der
Metallbearbeitung versiert waren. Neue Kenntnisse über Legierungen, welche die
Verarbeitung, Handhabung und Haltbarkeit der Werkstücke entscheidend verbessern konnten verhalfen Diagnostik und Therapie zu stetigen Fortschritten. Im Zuge
215
Vgl. Goerke, 1988, S. 255-256
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der Bestrebung möglichst alle medizinischen Geräte zu sterilisieren und keimfrei
zu arbeiten, war es erforderlich gewesen, Materialien zu nutzen, die dies ermöglichten. Somit waren diejenigen Instrumente, die wie oftmals üblich aus Holz oder
Elfenbein (-Bestandteilen) gefertigt waren, unbrauchbar geworden. Hier zeichneten
sich Stahl und Neusilber als preiswerte, gut zu verarbeitende und robuste Materialien aus. Ein Beispiel aus der BKW aus dem Jahre 1885 zeigt eine verbesserte
Therapieform, die durch die Nutzung von Neusilber anstelle von Zinn möglich wurde [172]. Eine cannelierte Harnröhrensonde aus Zinn, die mit einer HöllensteinSalbe beschichtet wurde, hatte sich aufgrund der chemischen Reaktion der beiden
Substanzen als unbrauchbar erwiesen. Verwendete man stattdessen Neusilber für
die Sondenherstellung, blieb die elektrolytische Reaktion aus und der Höllenstein
konnte in der Harnröhre die gewünschte Wirkung erzielen.
Metall hatte den Nachteil der Starre und war daher bei diagnostischen und therapeutischen Verfahren, bei denen Körperöffnungen sondiert wurden, weniger geeignet und oftmals mit Unannehmlichkeiten für den Patienten verbunden. Daraus
resultierte der Wunsch nach Materialien, die biegsam waren und trotzdem die bereits erwähnten Vorteile der Sterilisierbarkeit aufwiesen. Hier hatte sich Gummi als
brauchbar erwiesen, allerdings hatte es einige Zeit gedauert, bis sich die gummiverarbeitende Industrie an die Wünsche der ärztlichen Kunden angepasst hatte.
Neben der Nutzung des Gummis als Material zur Herstellung von Kathetern, Sonden, Schläuche und dergleichen wurde es auch zur Produktion von Stopfen, Dichtungen und Gummi-Ballons eingesetzt. Eine weitere Verwendungsmöglichkeit
nutzte der Zahnarzt Süersen, der aus Gummi eine spezielle Plastik formte, mit der
er Kieferfragmente reponieren und schienen konnte [23].
Neben den neuen Materialien wurden auch neue physikalische Verfahren in der
Medizin eingesetzt. Die elektrische Verstärkung von Schallwellen sollte bei verschiedenen Untersuchungsmethoden nützlich sein. So konnten die charakteristischen Berührungsgeräusche, die sich beim Sondieren von intrakorporalen Fremdkörper ergaben durch ein an die Sonde angeschlossenes Mikrofon verstärkt werden [93]. Eine weitere Option war die Verstärkung von physiologischen Geräuschen, wie Ladendorf sie vorschlug. Er hatte ein Stethoskop mit einem Mikrofon
verbunden [95]. Problematisch waren allerdings die Verfälschung der eigentlichen
Töne sowie kaum vermeidbare Nebengeräusche. Ein ähnliches, weniger störenden Nebengeräuschen unterworfenes Gerät hatten Instrumentenmacher in Paris
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entwickelt. Dieses konnte auch mit anderen Untersuchungsinstrumenten verbunden werden und deren Geräusche verstärken, meinte der Frankfurter Stein ebenfalls im Jahre 1878. Er hatte mit verschiedenen Verstärkern experimentiert und ein
Gerät zur Verstärkung des Pulses, ein Sphygmophon, entwickelt [97]. Jedoch hatten sich diese Geräte nicht weiter durchgesetzt, vermutlich war die Handhabung zu
aufwändig und zu störanfällig, so dass sie nur dem wissenschaftlich tätigen Arzt
von Interesse waren. Im Gegensatz dazu waren die neuen physikalischen Erkenntnisse der Elektrotechnik und die Entdeckung der Röntgenstrahlen außerordentlich wichtig für die Entwicklung von medizintechnischen Verfahren, weswegen
diesen Themen ein eigenes Kapitel in dieser Dissertation gewidmet wurde.
Sicherlich waren auch die unzähligen Neuentdeckungen von chemischen und
pharmazeutischen
Substanzen,
sowie
das
Verständnis
von
chemisch-
physikalischen Vorgängen in menschlichen Organismus im betrachteten Zeitraum
von Bedeutung, da aber in erster Linie technische Apparate betrachtet wurden,
kommt dieser Umstand in dieser Arbeit weniger zum Tragen. Einige Beispiele wurden dennoch erwähnt, wie die Formaldehydlampe von Tollens [341], bei welcher
zur Desinfektion und Desodorisation von Räumen die Dämpfe des Formaldehyds
genutzt wurden. Auch die bereits erwähnte Apparatur zur Herstellung von Choralhydrat fällt in diese Gruppe von Geräten.
Neben dem Anreiz, Geräte zum Wohle des Patienten oder des Arztes zu entwickeln gab es auch reine Forschungsziele, die zur Konzeption von neuen Instrumenten führten. So hatte die aufkommende Bakteriologie Anreiz zur Konstruktion
von Apparaten gegeben, die zur Bestimmung der in der Luft enthaltenen Mikroorganismen dienen sollten. Ein ganz anderes, aber auch wissenschaftliches Interesse hatte der Niederländer Zwaardemaker, der mit Hilfe eines Olfactometers die
Geruchsschärfe eines Menschen messen wollte [237].
Schließlich gab es auch politische Ereignisse, wie Kriege (im betrachteten Zeitraum der Deutsch-Französische Krieg 1870-1871), welche die Entwicklung von
medizinischen Instrumenten erforderlich machten oder verursachten. Einerseits
bedurften Kriegsverletzte andere Behandlungsformen, andererseits waren die Therapiemöglichkeiten aufgrund der eingeschränkten Rohstoff- und Materialversorgung eingeschränkt. Somit waren Instrumente gefragt, die einfach sowie mit allgemein vorhandenen Rohstoffen herzustellen waren und im primitiv ausgestatteten
Lazarett angewendet werden konnten. Es waren Lagerungs- und Extensions-
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schienen von Nöten, mit denen die Patienten mit Knochenverletzungen der Extremitäten gebettet werden konnten. Hierfür hatte Volkmann einen „Eisenbahnapparat“ [7a] sowie einen zusammenlegbaren Rollenträger gebaut [7b], der die Lagerung des Verletzten auf dem Boden gestattete. Ein Instrument, welches die Mobilität des am Bein verwundeten Patienten im Bett erleichtern sollte, war von Billroth
vorgestellt worden. An einem Gestell aus Holz wurde eine Stange mit einer starken
Schnur befestigt, so dass sich der Patient daran mit den Armen hochziehen konnte
[19d]. Dieses, dem Galgen nachempfundene Gerät hat sich in abgewandelter
Form bis in die heutige Zeit gehalten und wird unter dem Begriff „Bettgalgen“ insbesondere in der Geriatrie, aber auch der Unfallchirurgie weiterhin verwendet.
Neu entwickelte medizinische Apparate machten den größten Teil der in der BKW
vorgestellten Instrumente aus. Mitunter waren es komplette Innovationen, in anderen Fällen geringfügige Modifikationen, über die berichtet wurden. Es gab nicht
medizinische Gerätschaften, die den medizinischen Anforderungen adaptiert wurden. Diese Apparate wurden in unterschiedlicher Weise von der Ärzteschaft anerkannt und genutzt, nicht selten erst nach initialer Missachtung.
Als Beispiel wurde die Cramer-Schiene beschrieben, eine biegsame, leicht abzuwinkelnde leiterförmige Drahtschiene für die Knochenbruchbehandlung [194].
Durch die hohe Biegsamkeit der Cramer-Schiene kann sie der Körperform optimal
angepasst werden, ist somit sehr variabel für obere und untere Extremitäten bei
Kindern und Erwachsenen einsetzbar. Diese prinzipiell einfache und preiswerte
Schiene ist bis in die heutige Zeit durch keine andere Schiene ersetzt worden und
findet sich in jeder chirurgischen Ambulanz. Ein anderes, heute noch eingesetztes
Gerät ist der Laufstuhl, der nach Hüftresektion die rasche Mobilisation der betroffenen Kinder vereinfachen sollte [193]. Dieser mittlerweile nicht mehr aus Holz
sondern aus Leichtmetall und Kunststoff gefertigte Gehbock wird in erster Linie in
der Geriatrie nach Hüft-Operationen oder Schlaganfällen eingesetzt. Der im Handel erhältliche Laufstuhl, der Säuglingen das frühzeitige Laufen ermöglichen sollte,
ist aus medizinischer Sicht eher schädlich und hat kaum vorteilhafte gesundheitliche Eigenschaften.
Auch andere Apparate erfuhren im Laufe der Jahre Veränderungen, die aus besseren Materialeigenschaften und Produktionsmöglichkeiten aber auch veränderten
Bedürfnissen resultierten. Häufig blieben aber die entscheiden Charaktereigen-
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schaften und Prinzipien der Geräte erhalten. So erfuhren die Transfusionsapparate
der betrachteten Zeit aufgrund der hygienischen Anforderungen Änderungen von
offenen Systemen mit Trichter zum Befüllen zu geschlossenen Einmalsystemen in
der heutigen Zeit. Andererseits hatten die beschriebenen Transfusionsapparate
nur geringe Chancen als brauchbar akzeptiert zu werden, da man in der betrachteten Zeit nichts über die Blutgruppensystematik kannte. Niemand wusste, dass die
Transfusionszwischenfälle nicht technisch bedingt waren, sondern durch Blutgruppeninkompatibilität entstanden.216
Nicht immer entwickelten sich die Apparate entsprechend den Bedürfnissen der
Ärzte und Patienten weiter und verloren sogar an Bedeutung. Etwa wenn neue
technische Errungenschaften diese Instrumente entbehrlich machten, wie die Kugelsonde zum Aufspüren von Fremdkörpern und Geschoßteilen im Gewebe nach
der Entwicklung der Röntgengeräte.
Genau wie in anderen Wissenschaften, ließen sich auch die Konstrukteure von
medizintechnischen Geräten durch ihre Umwelt inspirieren. Die Verbandsschere
nach dem Vorbild einer Rosenschere [263], die Druckpumpe, die einer Feuerwehrpumpe nachempfunden war [348] und der Bildhauermeißel für die Knochenchirurgie [267] wurden exemplarisch vorgestellt.
Die Endoskopie als wichtige Untersuchungsmethode der modernen Medizin verzeichnete bedeutende Entwicklungsschritte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Vom ersten Lichtleiter Bozzinis, der mit einer Kerze beleuchtet wurde bis
zum Glasfiberendoskop der heutigen Zeit, waren einige technische Probleme zu
lösen gewesen. Neben dem geeigneten Zugangsweg in das zu untersuchende
Organ über die geeignete Lichtquelle bis hin zur Sichtbarmachung und Dokumentation des Untersuchungsbefundes waren vielfältige technische Fragen zu klären.
Einige Fortschritte wurden in der BKW beschrieben und in den abgedruckten Foren der medizinischen Gesellschaften diskutiert. Zunächst stand die geeignete
Lichtquelle im Fokus des Interesses. Wegen mangelnder Alternativen wurden zunächst externe brennende Lichtquellen eingesetzt, wie verschiedene Brenner, die
mit unterschiedlichen Gasen und Magnesiumzusätzen betrieben wurden, auch
Sonnenlicht wurde versuchsweise genutzt. Da flexible Untersuchungssonden
technisch noch nicht möglich waren und die Geräte aufgrund der umfangreichen,
216
Karl Landsteiner (1868-1943) hatte 1901 das menschliche Blutgruppensystem AB0-System entdeckt.
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jedoch wenig effizienten Beleuchtungseinrichtung sehr unhandlich, groß und feuergefährlich waren, konnte letztendlich das Problem der Lichtquelle zunächst nicht
gelöst werden.
Schon Stein hatte im Jahre 1874 die Meinung vertreten, dass stärkeres Licht, in
Form von elektrischem Licht, von Nöten sei. Bis zur Entwicklung der ersten effizienten Glühlampe im Jahre 1879 durch Edison wurde elektrisch betriebenes Platinglühlicht als Lichtquelle genutzt. Nitze verlegte diese Lichtquelle erstmals an die
Spitze des Endoskops und konstruierte eine Wasserspülung, da sonst aufgrund
der Hitzeentwicklung die Gefahr der Gewebeverbrennung bestand [108]. Er nutze
optische Erkenntnisse für ein ausgeklügeltes Spiegelsystem, welches dem Untersucher einen handtellergroßen Ausschnitt des Untersuchungsareals ermöglichte.
Dies waren entscheidende Fortschritte, die durch Nutzung der Glühlampe nach
1879 und kontinuierliche technische Verbesserung eine neue Untersuchungsmethode erlaubt hatten und somit den Blick ins Innere des menschlichen Körpers ermöglicht hatten. Neben der dadurch praktikablen Spiegelung der Urogenitalorgane
entwickelte sich auch die Endoskopie von Ösophagus und Magen, wobei die anatomischen Krümmungen zunächst zu überwinden waren. Das Vorbild des
Schwertschluckers hatte gezeigt, dass die Ösophago- und Gastroskopien mit einem starren Endoskop prinzipiell möglich waren, jedoch oftmals unter großen Unannehmlichkeiten für den Patienten. Somit war es ein Ziel, flexible Instrumente zu
entwickeln, wie beispielsweise das gegliederte Gastroskop von Kuttner [359] oder
das Endoskop mit Gummiröhre und endoskopischem Mandrin von Rewidzoff [358].
Allerdings bewährten sich diese Geräte nicht, da bei den flexiblen Instrumenten die
Optik nicht exakt eingestellt werden konnte.
Die Frage der Bilddokumentation war sowohl von Stein [38, 40e] als auch von
Nitze [286] zwanzig Jahre später ansatzweise gelöst worden, indem die Endoskope mit kleine Fotoapparaten ergänzt wurden, wobei jedoch die technischen
Möglichkeiten der Fotografie im endenden 19. Jahrhunderts noch sehr begrenzt
Es dauerte noch viele Jahre bis aus der nicht ungefährlichen und wenigen Indikatiwaren.
onen vorbehaltenen Endoskopie der Harnwege sowie der Ösophago- und Gastroskopie eine Untersuchungsmethode wurde, die routinemäßig, mit geringen Unannehmlichkeiten und mit seltenen Komplikationen durchgeführt werden konnte. Die
Flexibilität bei ausreichender Beleuchtung und befriedigendem Gesichtsfeld konnte
erst nach Entwicklung der Glasfasertechnologie erreicht werden.
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Wie bereits beschrieben, waren es neue technische Errungenschaften, die den
medizintechnischen Fortschritt ermöglichten oder Antrieb für Neuerungen waren.
Die Elektrizität wurde durch den Bau von Stromleitungen für immer mehr Menschen nutzbar. Somit löste der Strom aus der Steckdose in den letzten Jahren des
19. Jahrhunderts die teueren und komplizierten Akkumulatoren vielerorts als
Stromquelle ab. Allerdings war es nicht nur Strom aus der Steckdose, der in der
Medizin langfristig und mit Erfolg eingesetzt wurde. Auch die Akkumulatoren wurden weiterentwickelt, vom großen und oftmals kaum transportablem Gerät, bei
dem Säure nachgefüllt werden musste, zur kleinen, wartungsfreien Batterie wie wir
sie heute kennen und die aus vielen kleineren medizinischen Geräten kaum wegzudenken ist. Bis dahin war es aber noch ein weiter Weg. Zwar hatte Leclanché
bereits 1868 den Vorläufer unserer Zink-Kohle-Batterien entwickelt, aber der Bau
bedurfte noch vielen Verbesserungen und eine Massenproduktion begann erst im
zwanzigsten Jahrhundert, denn auch geeignete Geräte und Apparate, die mit diesen Batterien betrieben wurden, mussten in gleicher Weise konzipiert und hergestellt werden.
Dennoch wurden Akkumulatoren samt Zubehör in der Medizin rege eingesetzt, da
man die therapeutische Wirkung des Stromes bei verschiedenen Krankheiten nutzen wollte und der Strom die Anwendung von Wärme und Licht ohne offene
Flamme ermöglichte. Die Instrumente, die in dieser Arbeit betrachtet wurden, verdeutlichen die Bestrebung, die vorhandenen Akkumulatoren für den Nutzer erschwinglich, möglichst handlich und wenig kompliziert in der Anwendung zu machen.
Zu den wichtigsten technischen Errungenschaften des ausgehenden 19. Jahrhundert zählt sicherlich die Entdeckung der Röntgenstrahlen im Jahre 1895. Wenngleich die Bedeutung dieser Strahlen für die Medizin schnell erkannt wurde, dauerte es noch einige Zeit, bis entsprechende Apparate dem medizinischen Fachpublikum vorgestellt wurden. Max Levy-Dorn gehörte zu den ersten Ärzten, die sich
intensiv mit der Röntgendiagnostik beschäftigte. Er stellte im Herbst 1896 eine
Zange für den Oropharynx zur Anfertigung von Röntgenaufnahmen von Hals und
Gesichtsknochen vor [351]. Die weitere Entwicklung dieses Verfahrens vollzog
sich im zwanzigsten Jahrhundert.
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Bildgebende Verfahren sollten einerseits eine rasche Dokumentation eines Untersuchungsbefundes ermöglichen und andererseits Untersuchungsergebnisse anderen Personen zugänglich gemacht werden. Dabei sollte ein objektives Bild und
nicht die Interpretationen des Zeichners entstehen. Neben den Röntgenbildern
wurden zu diesem Zweck fotografische Verfahren eingesetzt, insbesondere in der
Endoskopie, da dort die Sichtbarmachung der Befunde ein wichtiges Anliegen war.
Es zeigt sich aber, dass nur wenige Ärzte dieses Ansinnen schon im betrachteten
Zeitraum hatten.
Neben den Neuentwicklungen gab es auch eine Reihe von Geräten, die nach Meinung der Nutzer verbesserungsbedürftig waren. Insbesondere der Milchkochapparat von Soxhlet war Gegenstand von Diskussionen, die verschiedene Verbesserungsvorschläge beinhalteten. Neben technischen Variationen waren in erster Linie Modifikationen vorgeschlagen worden, die den Preis des Apparates reduzieren
sollten. Dabei handelte es sich um kleinere Variationen bis hin zu umfangreichen
Änderungen, die nur das Prinzip des Apparates behielten [229, 247, 317]. Soxhlet
selbst hatte den Apparat einige Zeit später ebenfalls modifiziert [254].
Apparate ausländischer Konstrukteure wurden mitunter nicht von ihnen selbst in
der BKW vorgestellt. Die Verfasser, die diese Geräte den Lesern vorstellten, hatten die Apparate oftmals auf Vorträgen kennen und zu schätzen gelernt. Hervorzuheben ist das Larynxintubationsbesteck des New Yorker Arztes O`Dwyer, das
sehr erfolgreich bei Stenosen der Luftwege bei Rachendiphterie eingesetzt wurde
[198]. Diese Erkrankung verlief bis dato in der Regel tödlich. Damit hatte O`Dwyer
den Vorläufer der heute gebräuchlichen und aus Anästhesie und Intensivmedizin
nicht mehr wegzudenkenden Intubationsbestecken entwickelt.
Patente waren in Deutschland erstmals 1877 erteilt worden und sollten dem Erfinder eines Gerätes einen Schutz vor Nachahmung geben. Soweit aus den Angaben
in den Artikeln der BKW ersichtlich, gab es nur eine geringe Anzahl von Patenten
oder Gebrauchsmusterschutzen. Teilweise waren diese national, manchmal aber
auch international bzw. für andere Länder gültig, wie Urethroskop und Cystoskop
von Leiter und Nitze [108]. In der heutigen Zeit nimmt die Medizintechnik in
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Deutschland bei den Patentierungen weltweit hinter den USA den zweiten Platz
ein.217
Waren es im 19. Jahrhundert in der Regel die Ärzte jeglicher Fachrichtung und mit
unterschiedlichem Erfahrungswissen, die Innovationen entwickelten, sind es heute
Unternehmen und Konzerne, die in ihren Entwicklungsabteilungen hochspezialisierte Ingenieure und Techniker beschäftigen, die neue Geräte konzipieren und
erschaffen. Neben neuen medizinischen Erkenntnissen steht somit der ökonomische Aspekt, sprich eine gewinnbringende Vermarktung des neuen Gerätes im
Fokus des Interesses. Allerdings spielt in Deutschland ein weiterer Faktor eine
wichtige Rolle. Nämlich die Frage, ob das neue Produkt von den gesetzlichen
Krankenkassen erstattet wird. Ansonsten sind solche Geräte auf dem deutschen
Markt kaum absetzbar.218
Die Herstellung und Anwendung von medizinischen Apparaten ist nicht ohne
Überprüfung durch unabhängige Prüfer möglich und wird im Gesetz über Medizinprodukte (Medizinproduktegesetz - MPG) geregelt.
Von den Firmen, die im analysierten Zeitraum Instrumente und Geräte herstellten,
bestehen einige bis in die heutige Zeit, wie beispielsweise Sartorius in Göttingen.
Andere, damals sehr aktive Firmen wurden aufgekauft oder fusionierten. Zu den
heute wichtigsten Medizinproduktherstellern gehört der weltweit agierende
Healthcare Sektor der Siemens AG mit Sitz in Erlangen. Blickt man in die Unternehmensgeschichte, begann diese im Jahr 1877 mit der Gründung eines Gewerbebetriebes durch Erwin Moritz Reiniger (1854-1909) in Erlangen. Dort fertigte er
mechanische, physikalische, optische und elektromedizinische Apparate. 1886
schloss er sich mit den Feinmechanikern Julius Max Gotthard Gebbert (18561907) und Karl Schall (1859-1925) zur "Vereinigte physikalisch-mechanische
Werkstätten von Reiniger, Gebbert & Schall, Erlangen - New York - Stuttgart" oHG
zusammen. In den nachfolgenden Jahren wurden verschiedene, in der Medizintechnik arbeitende Firmen übernommen, wie beispielsweise W.A. Hirschmann.
1925 übernahm die Siemens & Halske AG die Aktienmehrheit der Reiniger,
217
218
Vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2005, S. 5
ebenda, S. 7
Seite 199
Gebbert & Schall AG Erlangen. Es folgten noch viele Firmenübernahmen national
und international und ließen einen Global Player entstehen219
Trotzdem ist die Medizintechnik-Industrie in Deutschland klein- bis mittelbetrieblich
strukturiert, mit durchschnittlich 78 Mitarbeitern pro Betrieb. Insgesamt waren im
Jahre 2002 108.000 Personen in Deutschland in der Medizintechnik tätig. Heute ist
Deutschland hinter den USA und Japan drittgrößter Anbieter medizintechnischer
Produkte.220
Medizintechnisch forschende Ärzte sind heute eine Minderheit. Im Laufe der Zeit
hat sich die Medizintechnik als eigenständige Disziplin durchgesetzt. Zur Ausbildung von Medizintechnikern gibt es heutzutage zahlreiche interdisziplinäre Studienangebote an deutschen Fachhochschulen und Universitäten. Hier wird neben
technischem auch medizinisches Fachwissen vermittelt. Folgende Studiengänge
werden beispielsweise angeboten:
•
Medizintechnik,
•
Medizinische Informatik,
•
(Bio)-Medical Engeneering,
•
Medizinisch-Physikalische Technik,
•
Medizintechnik - Clinical Engineering,
•
Medizintechnik und sportmedizinische Technik,
•
Optometrie / Vision Science und
•
Hörtechnik und Audiologie.
Neben neuen medizinischen Erkenntnissen werden neue Materialien stets eine
Bedeutung in der Schaffung neuer Instrumente haben, wie uns die Vergangenheit
immer wieder eindrucksvoll bewiesen hat. Waren es im betrachteten Zeitraum
neue Metalllegierungen, Gummi sowie neue chemische und physikalische Verfahren, verhalfen in den fünfziger und sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts die
Kunststoffe der Medizintechnologie zu neuen technischen Möglichkeiten. In den
letzten 20 Jahren waren es schließlich Computer- und Nanotechnologie, die zuvor
ungeahnte Verfahren ermöglichten. Es wurden kontinuierlich neue Werkstoffe entwickelt, die das Therapie- und Diagnostikspektrum in der Medizin wesentlich beeinflusst haben. In Zukunft werden die meisten Innovationen im Bereich der dia219
220
Vgl. Feldenkirchen, 2007; Müller et al., 1996, S. 62-63
Vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2005, S. 9
Seite 200
gnostischen Verfahren erwartet, aber auch Mikrosystemtechnik und optische
Technologien werden eine Rolle spielen.221
Welche Rolle spielen Fachzeitschriften in der heutigen Zeit bei der Veröffentlichung von neuen medizintechnischen Errungenschaften? Auch in der heutigen
Zeit werden neue medizinische Errungenschaften in Fachzeitschriften veröffentlicht. Aber bedingt durch die veränderten medizinischen und gesellschaftlichen
Strukturen ist die Rolle der medizinischen Fachzeitschriften als primärer Informationsträger eher untergeordnet. Internationale medizinische Kongresse bilden häufig
Plattformen zur Präsentation von Innovationen.
Neue Geräte werden durch entsprechend geschulte Mitarbeiter direkt dem potentiellen Kunden vorgestellt. Die Publikation in Fachzeitschriften hat in diesem Zusammenhang eher informativen Charakter, ähnlich wie medizinische Fachvorträge
und bietet infolge dessen einen geringeren Anreiz zur Anschaffung eines solchen
Gerätes. Bei kleineren, für den Patienten erschwinglichen Geräten sind vielmehr
Boulevardpresse
und
elektronische
Medien
wie
Fernseher
und
Internet
Informationsträger.
Problematisch für die Vermarktung eines neuen Medizinproduktes hat sich die Zulassung durch die gesetzlichen Krankenkassen erwiesen. Das gilt insbesondere für
teurere Produkte, die in Kliniken oder spezialisierten Behandlungszentren eingesetzt werden und in der Regel nur bei Kostenzusage durch die Versicherungen
angeschafft werden können.
Die Untersuchungen zur Entwicklung der medizinischen Technik im Spiegel der
BKW in den Jahren 1870 bis 1899 haben gezeigt, dass die Beweggründe für die
Konzeption und Konstruktion neuer medizinischer Geräte sehr vielfältig waren.
Neben ökonomischen oder politischen Motiven, sich mit der Entwicklung von neuen medizinischen Apparaten zu beschäftigen, stand für viele Entwickler die praktische Anwendung und damit die Erleichterung der täglichen Arbeit zum Nutzen des
Patienten im Vordergrund. Darüber hinaus halfen auch neue wissenschaftliche
Erkenntnisse dem Entwickler neue Apparate zu entwickeln. Weitere Beweggründe
waren die Schaffung einer einheitlichen Standardisierung und Normierung von
medizinischen Praktiken und Produkten, reine Forschungsziele hatten eine untergeordnete Bedeutung.
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Vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2005, S. 16
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