Sensorisch Integrative Ayres Therapie

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Trotzig, bockig, weinerlich und wild- Umgang mit
Verhaltensstörungen im therapeutischen Setting
Ein Beitrag für die Zeitschrift „Ergotherapie“ Februar 2013
Verhaltensauffälligkeiten sind im kindertherapeutischen Setting nichts ungewöhnlichesdoch allzu oft geht wertvolle Therapiezeit verloren weil die kleinen (aber auch die
größeren!) Patienten bockig, trotzig, ängstlich oder verweigernd sind. Dieser Beitrag gibt
einen Überblick über mögliche Entstehungsweisen von Verhaltensauffälligkeiten und den
beeinflussenden Faktoren im therapeutischen Setting.
Durch eine sichere emotionale Basis für das Kind kann die therapeutische Intervention
gezielter wirken und die Behandlungseinheit besser ausgeschöpft werden.
Fallbeispiel
Laura, 3,5 Jahre, kommt in die Praxis für
Ergotherapie aufgrund einer fein- und
grobmotorischer Entwicklungsverzögerung.
Anamnestische Fakten: 2. Kind von 3,
ehemaliges „Frühchen“ geb. in der 35. SSW.
Geschwister und Eltern gesund. Im ersten
Lebensjahr
erhebliche
Schlaf-,
und
Fütterstörungen.
Neurologischer
Status
unauffällig. Geht gerne in den Kindergarten.
Im Wartezimmer bei der ersten Begegnung
versteckt sie sich trotz einfühlsamer
Kontaktaufnahme
hinter
ihrer
Mutter.
Zusammen
werden
beide
in
den
Behandlungsraum gebeten. Laura kriecht auf
den Schoß ihrer Mutter und klammert sich für
den Rest der Behandlungseinheit eng an sie.
Die Behandlungseinheit wird zum Gespräch mit der Mutter genutzt, damit Laura sich an
den Raum und an die Therapeutin gewöhnen kann. In den darauffolgenden Einheiten
verändert sich Lauras Verhalten nicht. Sämtliche Versuche sie von dem Schoß Ihrer
Mutter zu locken gelingen nicht- im Gegenteil, Laura beginnt schon vor der Therapie zu
weinen. Nach 5 Einheiten wird die Behandlung abgebrochen. Ein erneuter Versuch soll in
einem halben Jahr stattfinden. Sehr unbefriedigend: Bisher sind unnötig Zeit, Nerven und
Geld vergeben worden. Es gibt bessere Lösungen!
2
Einleitung
Aus lerntheoretischer Sicht ist erfassen, speichern und automatisieren neuer Lerninhalte
(motorisch, feinmotorisch, sozial und kognitiv), am erfolgreichsten wenn eine positive
emotionale Verknüpfung entstanden ist und das Kind über gute selbstregulatorische
Fähigkeiten verfügt. Außerdem, wenn verschiedene Faktoren, welche die Interaktion
zwischen Therapeut und Kind betreffen, günstig sind. Das Verhalten (und Lernen!) im
therapeutischen Setting kann also als multikausales Geschehen betrachtet werden
welches der Therapeut im Sinne des Kindes lenkt.
Die Therapeutische Begegnung
Verhaltensauffälligkeiten treten vermehrt dann auf, wenn ein Ungleichgewicht zwischen
Anforderung und vorhandenen Bewältigungsstrategien entstanden ist und das Kind nicht
über genügend eigene Ressourcen verfügt, um sich in der konkreten Situation sicher,
geborgen und angenommen zu fühlen. Die aktuellen Gegebenheiten müssen für Kinder
vorhersehbar und kontrollierbar sein. Verhaltensauffälligkeiten sind also ein Symptom für
seelisches Ungleichgewicht, welches zuerst durch die Mitwirkung des Therapeuten wieder
hergestellt werden muss, um in eine positive therapeutische Interaktion treten zu können.
Therapie als Begegnung zu betrachten ist eine Vorgehensweise und ein individuelles
Konzept. Es dient der Herstellung „maßgeschneiderter“, optimaler Bedingungen für das
verhaltensauffällige Kind im therapeutischen Alltag. Der Ansatz ist lösungs- und
ressourcenorientiert und zugleich konstruktivitisch.( Alles was wir beobachten, beobachten
wir auf der Basis unserer bisherigen Erfahrungen)
3
Lebenskontext des Gegenübers
(Patient mit seinen unveränderbaren
Gegebenheiten)
Persönliches theoretisches Wissen
ICD Störungsbilder
Persönliches Handwerkszeug
Sorkc-Modell
Regeln und Grenzsetzung
Bindungstypen und,-theorie
Systemische zirkuläre und multikausale
Entstehungsmodelle
Verstärkungsprinzipien
Therapie
als
Begegnung
Theorie Sensorische
Verarbeitungsstörung
Aktive Kommunikation
Wertschätzung/ Autonomie
Schaffen günstiger Lernstrategien
Feinfühligkeit
Theorie Trauma und PTBS
Eigener Lebenskontext
Empathiefähigkeit, Fähigkeit der
Selbstreflexion und der Feinfühligkeit
Fähigkeit die eigene Befindlichkeit
vom Geschehen zu trennen
Grundlagen des Therapeutischen Geschehens ( in Anlehnung an R. Welter-Enderlin und B.Hildebrand)
1. Der Lebenskontext des Kindes. Die vom Kind mitgebrachten Erfahrungen aus der
Vergangenheit prägen die Gegenwart. Frühe Beziehungserfahrungen, wie stark oder
schwach die Grundbedürfnisse des Kindes befriedigt worden sind, in welcher Weise
diese emotional verknüpft sind, aber auch das schon entstandene Selbstbild
entscheiden über die persönliche (unbewusste) Bewertung von Erfahrungen. Diese
bilden den Hintergrund für Gefühls-, Denk und Handlungsstrukturen und für die
abgespeicherten individuellen Verhaltensmuster. Diese Vorgeschichte ist zunächst
vom Therapeuten nicht veränderbar - er muss den therapeutischen Gedanken
(Auftrag) an die Gegebenheiten anpassen.
Ein umfangreiches anamnestisches Gespräch und spezifische Elternfragebögen
sollten Entwicklungsvorgeschichte, Lernerfahrungen und die allgemeine Entwicklung
erfassen, um dann den weiteren Ablauf zu planen.
4
2. Das persönliche theoretische Wissen des Therapeuten. Wenn ein Kind
Verhaltensauffälligkeiten aufweist, ist das ein klarer Ausdruck dafür, dass das Kind
versucht, sich aus emotional belastenden Situationen zu befreien. In diesem Fall ist es
der Auftrag des Erwachsenen, das kindliche Verhalten richtig zu deuten. Erst dann
entstehen Möglichkeiten, Ursachen zu erkennen und Lösungswege zu finden. Durch
das Deuten wird weniger versucht das Verhalten zu verändern, als zunächst
Bedingungen und Einflüsse so anzupassen, dass das Kind positive Erfahrungen
machen und das für sein Fortkommen ungünstige Verhalten überlernen kann.
Um ungünstiges Verhalten sicher deuten zu können, sind bestimmte Grundlagen aus
verschiedenen psychotherapeutischen Ansätzen sowie aus der Humanmedizin für den
behandelnden Therapeuten wichtig. Etwaige Fehldeutungen können bei Kindern
psychische Nöte festigen oder gar chronifizieren. Verschiedene standardisierte
Testverfahren können teilweise in die ergotherapeutische Praxis übernommen werden,
um entsprechend handeln zu können.
 ICD-10 Störungsbilder. Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten können vielfältige
Diagnosen haben. Diese werden vom Kinderarzt, Kinder- und Jugendpsychiater
oder Psychotherapeuten gestellt.
Beispiele für Diagnosen aus dem ICD-10 (2009) die mit Verhaltensstörungen in Verbindung zu
setzten sind und im Praxisalltag vorkommen
Code
Beschreibung
Diagnosen
F60-F69
Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen
 Angststörung
 Komplexe Posttraumatische
Belastungsstörung
F70-F79
Intelligenzminderung
 Lernbehinderung
 Geistige Behinderung
F80-F89
Entwicklungsstörungen
F90-F98
Verhaltens- und emotionale Störungen mit
Beginn in der Kindheit und Jugend










Sprachstörung
Dyspraxie
Legasthenie
Autismus/Asperger Syndr.
Hyperkinetische Störung
Bindungsstörung
Emotionale Störungen des
Kindesalters
AD(H)S
Trennungsangst
Mutismus
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z.B: Laura: Aus medizinischer Sichtweise kann das gezeigte Verhalten ganz
unterschiedlich eingeordnet werden. Ihr Verhalten könnte auf fast alle in der
Tabelle genannten Krankheitsbilder deuten. Ihre ärztliche Diagnose lautet „ F82,
umschriebene Entwicklungsstörung der motorischen Funktionen-Dyspraxie“
 Bindungstypen und Bindungstheorie. „Alle psychotherapeutischen Schulen,
ungeachtet ihrer Richtung, weisen heute der frühen Kindheit eine entscheidende
Rolle für die Entwicklung psychopathologischer Symptome“ (Brisch1998) zu.
Die von Mary Ainsworth beschriebenen Bindungstypen sind hilfreich bei der
Deutung des Verhaltens von Kindern aller Altersgruppen, besonders aber der
Kleinen. Der von ihr entwickelte „Fremde Situation“ Test (Ainsworth et al.1978)
gibt Auskunft über die verschiedenen Bindungstypen und kann schnell in der
Praxis mit einer Videokamera durchgeführt werden. Verhaltensmuster einer
unsicheren Bindungsqualität (siehe Tabelle unten) sind als im Rahmen der
Norm liegende Adaptationsmuster anzusehen. Im Unterschied dazu sind
Bindungsstörungen ausgeprägte Veränderungen des Verhaltens mit
verschiedenen Bezugspersonen, als stabiles Muster, über einen längeren
Zeitraum.
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Bindung bezeichnet das Bedürfnis eines Kleinkindes, die Nähe zu einer Bezugsperson zu suchen, die ihm
Sicherheit vermittelt. Psychologen unterscheiden dabei – je nach Verhalten im Test „Fremde Situation“ nach
Mary Ainsworth- vier Bindungstypen.
Bindugstyp
Abkürzung Beschreibung
Sicher gebunden
B-Typ
Nähe und Distanz sind für
das Kind gut regulierbar. Es
zeigt gutes
explorationsverhalten
Unsicher vermeidend
A-Typ
Die Kinder zeigen eine
Pseudounabhängigkeit
von der Bezugsperson. Sie
zeigen auffälliges KontaktVermeidungsverhalten
und beschäftigen sich
primär mit Spielzeug im
Sinne einer StressKompensationsstrategie
Unsicher ambivalent
C-Typ
Diese Kinder verhalten sich
widersprüchlich- anhänglich
an die Bezugsperson.
Desorganisiert/
Desorientiert
D-Typ
Die Kinder zeigen deutlich
desorientiertes, nicht auf
eine Bezugsperson
bezogenes Verhalten
Verhalten im Test
„fremde Situation“
Kind zeigt Unbehagen, wenn
die Mutter den Raum verlässt,
lässt sich von Testperson
trösten, sucht nach Mutters
Rückkehr aktiv Kontakt, freut
sich
Das Kind ist vom Weggang der
Mutter scheinbar
unbeeindruckt. Es zeigt keinen
Trennungsschmerz, meidet eher
die Nähe zur Mutter Spielen
auffallend oft allein.
Das Kind protestiert, wenn die
Mutter weggeht, reagiert aber
bei der Rückkehr
widersprüchlich. Einerseits
sucht es ihre Nähe und schreit
nach ihr, andererseits lässt es
sich nicht beruhigen. Die
Umgebung erkundet es kaum.
Das Kind wirkt ängstlich, keine
erkennbare Strategie, die Nähe
zur Bindungsperson
aufrechtzuerhalten. Bizarre
Verhaltensweisen wie erstarren,
sich im Kreis drehen möglich.
Kommt die Mutter zurück, läuft
es etwa zunächst auf sie zu,
bleibt aber dann abrupt stehen,
wendet sich ab, oder lässt sich
auf den Boden fallen und weint.
z.B: Laura zeigt das Verhalten eines Kindes vom Bindungstyp C
7
 Das System zirkulärer und multikausaler Entstehungsmodelle von
Störungen. Die systemische Betrachtungsweise berücksichtigt das Individuum
(Kind, Organismus) nicht isoliert, sondern in Interaktion mit seinem Umfeld. Als
Beobachter oder „Behandler“ eines Systems wird man automatisch zu einem
Teil dieses Systems. Das bedeutet, dass, wenn Kinder zu einer Therapie
angemeldet werden, allein dadurch das System schon geändert wird, weil eine
weitere Person hinzugezogen worden ist. Das „Behandlersystem“ wird
umgekehrt dadurch auch verändert. So wie diese beiden Systeme sich
gegenseitig beeinflussen, beeinflussen sich Ursache und Problem gegenseitig.
Das bedeutet in der Folge: die Lösung der Schwierigkeiten beeinflusst zunächst
die Schwierigkeit selbst. Zugleich verändert sich aber auch die Ursache, so dass
ein Wiederherstellen des Problems dadurch nicht mehr möglich ist. Eine
Veränderung hat stattgefunden.
Motorische
Ungeschicklichkeit,
Therapie
Ängstliche Eltern
vermeiden Spielplatz
Angst und Stress bei der
Anfordeung zu Schaukeln
Vom Problem zum Lösungssystem nach F. und A. Caby
Folgende Punkte sind bei der systemischen Betrachtungsweise wichtig:

Die Bedeutung des Symptoms für den Betroffenen

Auswirkungen des Symptoms auf das Umfeld

Wer hat was davon?
8

Wer ist der Leidtragende?

Welche Abläufe werden durch das Symptom verändert?

Welche Auswirkungen hat das Symptom auf familiäre Beziehungen?
Es geht darum, dem Patienten Mittel zur Verfügung zu stellen, womit er seinen
Fokus verändern kann.
z.B. Laura: Die Mutter ist eine überängstliche, sehr schüchterne und
zurückhaltende Person. Sie geht nicht gerne auf den Spielplatz, weil sie sich von
ihren Nachbarinnen beobachtet und kritisiert fühlt. Möglicherweise überträgt sie
unbewusst eigene Ängste verschiedener Art auf Ihr Kind.
 Hintergründe für Sensorische Dysfunktionen. Die sensorische Integration ist
jener neurologische Prozess, der es dem Individuum ermöglicht, effektiv mit der
physikalischen und persönlichen Umwelt in Interaktion zu treten. Aus der
Umwelt eingehende Sinnesreize werden im Kortex verknüpft und vereint, um
eine motorische Antwort (Anpassungsreaktion) hervorzurufen. Eingehende
Sinnesreize werden im Limbischen (emotionalen) System verschaltet,
weswegen sensorische Reize meist automatisch emotional verknüpft sind. Die
sensorische Reizverarbeitung ist wesentlich an der Fähigkeit beteiligt, sich
selbst gut zu steuern (Eigenregulation).
Je nach Alter des Kindes machen sich Dysfunktionen der sensorischen
Verarbeitung unterschiedlich bemerkbar. In allen Altersstufen können
Posturalität, Qualität der Motorik (Grob-, und Feinmotorik), Handlungsplanung,
Organisation des Verhaltens, Aufmerksamkeit und Emotionalität (Verhalten) und
sozio-emotionale Kompetenzen von Verarbeitungsstörungen beeinflusst
werden. Die Symptome und deren Ausprägung hängen von der spezifischen Art
der Dysfunktion der Verarbeitung von sensorischen Informationen ab. Eine
Übersicht der sensorischen Dysfunktionen wurde von Lucy Miller formuliert.
9
Tabelle 3: Die klinischen Erscheinungsbilder nach dem Konzept der Sensorischen
Integration (9).
Sensorische
Anpassungsstörung SMD (sensory
modulation disorder)
Schwierigkeit auf sens.
Informationen adäquat
bezügl. Reizstärke zu
reagieren
Sensorische
Differenzierungsschwierigkeit - SDD
(sensory discrimination
disorder)
Schwierigkeit bei der
Unterscheidung von
Gleichem und
Ungleichem bei sens.
Informationen
Sensorisch-basierte
motorische Dysfunktion
- SBMD (sensory based
motor dysfunktion)
Schwierigkeiten bei
Stabilisierung,
Bewegung, oder planen
einer
Bewegungssequenz als
Antwort auf sens.
Bedürfnisse
Subtyp 1
Subtyp 2
Subtyp 3
Hyperreagibilität,
Abwehrverhalten
führt zu
Reizvermeidung, z.B.
zur „taktilen Abwehr“.
Hyporeagibilität
führt z.B. zu verlangsamter
Anpassung
Vermehrte
Reizsuche
führt
z.B. zur
Hyperaktivität
Betrifft Sehen, Hören,
Riechen, Berührung,
Position des Körpers im
Raum und bei
Bewegung. Führt z.B.
zu Schwierigkeiten bei
der Orientierung im
Raum
Haltungskontrolle in
Bewegung und Ruhe
führt z.B. zu
motorischer
Ungeschicklichkeit
Dyspraxie (mit Störung von
Ideation oder/und
Handlungsplanung) mit der
Folge von Schwierigkeiten
bei Selbstorganisation,
Problemlösung,
Fehleranalyse sowie des
Transfers von erlernten
Fertigkeiten in neue
Tätigkeiten.
z.B: Laura: Möglicherweise leidet sie an einer Hyperreagibilität gegenüber
vestibulären Reizen. Der Bewegungsraum, vor allem die Schaukel, ist aufgrund
der niedrigen Toleranzschwelle mit Angst und Abwehr verknüpft.
 Traumatheorie und Traumasymptome: Zahlreiche Studien belegen, dass
außergewöhnlich erschütternde Erlebnisse, beispielsweise Chaos, Bedrohung,
Missbrauch, Vernachlässigung, Scheidung der Eltern, Tod eines geliebten
Menschen, Unfälle mit ernsthaften Verletzungen etc., bei Kindern mit
herabgesetzter Resilienz zu extremem Stress und Gefühlen der Hilflosigkeit
führen können. Dadurch werden dann die kindliche emotionale Entwicklung und
10
sein Selbst- und Weltbild vorübergehend oder dauerhaft erschüttert. Die
zentralen sensorischen Verarbeitungsprozesse im Gehirn werden blockiert und
es kommt zur Ausbildung von spezifischen psychischen Symptomen, v.a. Angst,
Übererregung, Dissoziation, Starre und
 Flashbacks. (Traumatisierung). Die Symptommuster sind weitgehend
unabhängig davon, wodurch bei den Betroffenen eine Traumatisierung
ausgelöst wurde, und können bei Kindern u.a.. auch Verhaltensstörungen wie
Aggressionen, Aufmerksamkeitsstörungen oder Hyperaktivität auslösen. (vergl.
Bruce Perry und Peter Levine).
z.B:. Als Laura ca. 2 Jahre alt war ist sie auf dem Spielplatz von einer Schaukel
gefallen. Die Platzwunde musste genäht werden- Ihre Mutter hatte große Angst
um sie, da die Verletzung knapp über dem Auge lag. Noch heute berichtet die
Mutter, dass dieses Ereignis sehr schlimm für sie und Laura war.
 Das SORCK-Modell (Kafner und Saslow) und die aus der Verhaltenstherapie
stammenden Lerngesetze sind sehr hilfreich für Deutung und
Verhaltensanalyse, sowie für die Strukturierung diagnostischer Informationen.
Das Modell erklärt sowohl den Erwerb von erwünschtem und unerwünschtem
Verhalten als auch das Zustandekommen pathopsychologischen Verhaltens in
ätiologischer Hinsicht. Es dient als Grundlage für Fallkonzeption.
S
O
R
K
C
Das Sorck-Modell nach Kanfer und Saslow

S (Stimulus) bezeichnet eine äußere oder innere Reizsituation und die
Bedingungen unter welchen das Verhalten ausgelöst wird. (In welcher
Situation tritt das Verhalten auf?)
z.B. In den Praxisräumen, Bewegungsraum, Schaukel
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
O (Organismus Variablen) bezeichnet die individuellen biologischen und
lerngeschichtlichen Ausgangsbedingungen
z.B: Laura: Kind, 3,5 Jahre hat Angst, ist hyperreagibel auf vestibuläre Reize,
hat eine ängstliche Mutter, ist schon mal von der Schaukel gefallen und
wurde verletzt.

R (Reaktion) bezeichnet die Reaktion auf den Stimulus nach der
Verarbeitung durch den Organismus auf kognitiver, motorischer, vegetativer
und affektiver Ebene
z.B. Laura weint und klammert sich an ihre Mutter, krabbelt auf ihren Schoß.

K (Kontingenz) bezeichnet die Regelmäßigkeit des Auftretens der
Konsequenz nach der Reaktion.
z.B. Mutter nimmt Laura in jeder Behandlungseinheit mehrmals auf den
Schoß.

C (Konsequenz) bezieht sich auf das Einsetzen einer Verstärkung oder
Bestrafung als Folge eines Verhaltens. Das Kind stellt einen Zusammenhang
zwischen seiner eigenen Reaktion und der darauf folgenden Konsequenz
her.
z.B. Lauras Mutter nimmt sie in den Arm, versucht sie durch streicheln und
gut zureden zu beruhigen. Laura lernt, dass sie nicht in den Bewegungsraum
muss wenn sie weint. Auf dem Schoß der Mutter ist es schön. (vergleiche
Lerngesetze des operanten Konditionierens). Laura wird beim nächsten
Termin noch lauter schreien, weil das Verhalten durch den Wegfall von
Unerwünschtem (=Belohnung) verstärkt wurde.
Wiederholt sich der Vorgang häufig, verstärkt sich die Reaktion. Es wird
gelernt und gezeigte Verhaltensweisen bilden sich heraus. Auf diese Weise
können unter anderem psychische Krankheiten oder Verhaltensstörungen
entstehen oder abgebaut werden - beispielsweise durch das Einüben
anderer Verhaltensweisen oder durch eine Veränderung von Stimuli.
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Entscheidend hierfür sind die Signale der Bezugspersonen im richtigen
Zeitfenster, die gewählten Aufgaben und Lernwege. (Jansen/Streit,2009)
3. Das Persönliche Handwerkszeug des Therapeuten macht, im Zusammenhang mit dem
persönlichen Wissenssand und den vom Kind mitgebachten Erfahrungen, jede
Therapie einzigartig. Bei Kindern mit Verhaltensauffälligkeiten, sollte der Fokus zuerst
auf den Aufbau von emotionaler Sicherheit, anschließend von Lernwegen und
Lerninhalten gesetzt werden.
Die erste therapeutische Maßnahme ist es, mit geeigneten diagnostischen Mitteln
(Testverfahren, Videogestützte Verhaltensanalyse) herauszufinden, auf welchen
Störfaktor das unerwünschte Verhalten aufmerksam machen soll, herauszufinden,
welches Ziel das Kind hat. „Es gibt heute in der Grundlagenforschung keinen Zweifel
darüber, dass jedes Verhalten immer von einem Ziel gesteuert wird. Ziele können
dabei unbewusst oder bewusst sein. Die meisten Ziele sind unbewusst. Ziele stellen
die oberste Ebene der Eigensteuerung dar. „ (Jansen/Streit, Positiv Lernen, S.19).
Beziehung, Empathie, Feinfühligkeit sind immer der beste Weg um die richtigen Ziele
(„ich will von Dir lernen“), eine günstige Eigensteuerung (Erregungsniveau) und
Motivation beim Kind aufzubauen und aufrecht zu erhalten.
Der nächste Schritt besteht im Aufbau von günstigen Lernwegen und Lernverhalten.
Für jede Form des Lernens, ob motorisch, kognitiv oder emotional gilt es, folgende
Punkte zu berücksichtigen:

Der Lerninhalt (ganz egal welcher!) sollte dem Leistungsstand des Kindes
angemessen sein und in kleinen Schritten angeboten werden.

Der Lerninhalt sollte langsam und mit vielen Wiederholungen geübt werden.
Hier kommt es nicht auf Qualität sondern auf Quantität an.

Erst wenn ein Lernschritt erfolgreich und ausreichend gefestigt (automatisiert)
worden ist, wird der Nächste erarbeitet.
Unter Anwendung von Verstärkungsprinzipien, Regeln und, bei Bedarf, klarer
Grenzsetzung können ein günstiges Einlass- und Lernverhalten sowie gute Lernstrategien
etabliert werden.
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Nicht fehlen darf bei Kindern mit Verhaltensauffälligkeiten das Gefühl, wertgeschätzt zu
werden. Die persönlichen Bedürfnisse des Kindes müssen wahrgenommen werden, es
muss eigene Entscheidungen treffen können und bei Anstrengung (nicht Erfolg!) prompt
positiv verstärkt werden. Unabhängig von allen „Techniken“ ist es am wirksamsten,
Kindern die eigene authentische Freude für gutes Mitmachen und Anstrengung offen und
ausgiebig zu zeigen.
Ergebnisse aus dem SORKC-Model:
Um die Situation positiv zu beeinflussen, ist eine Veränderung/ Anpassung in allen
Bereichen möglich:
Im Bereich Stimulus/Situation geht es um Anforderung, Anpassungsfähigkeit und
Umfeld Gestaltung.
z.B: gäbe es eventuell einen besseren Platz für Laura, vielleicht in einem kleineren
Raum oder können andere Kinder mitspielen? Gibt es eine Schaukel auf der sich
Laura wohlfühlt?
Beim Organismus-Aspekt kommt das ergotherapeutische „Handwerkszeug“ zum
Einsatz: durch eingehende Diagnostik erfasst der Therapeut die Ursache für das
Verhalten und handelt entsprechend.
z.B: Bei Laura wäre es denkbar dass es hauptsächlich darum geht, die
sensomotorischen Voraussetzungen zu verbessern (im diesem Fall eine
Sensorisch-integrative Ayres Therapie®).
Die Reaktion kann in einem Strategietraining, einer Videoanalyse, im sozialen
Kompetenztraining oder weiteren verhaltenstherapeutischen Maßnahmen
angegangen werden.
Die Veränderung der Kontingenz und Konsequenz erfolgt über eine ausführliche
Elternberatung. Möglichkeiten das Kind im richtigen Verhalten zu verstärken, oder
aber auch eine angemessene, durchführbare Grenzsetzung zu zeigen sollte Eltern
gezeigt, und mit Ihnen geübt werden.
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z.B. Laura: Ihr Verhalten wird durch eine positive Konsequenz, die für sie
unangenehme Herausforderung zu vermeiden, von der Mutter belohnt. . Es liegt
daher für sie keine Notwendigkeit vor, ihr Verhalten zu verändern. Wenn sie aber
z.B. zu Beginn der Behandlungseinheit für das nicht weinen einen Aufkleber
bekäme welches Sie in ein Sammelalbum kleben kann, ist in der positiven
Konsequenz eine andere Motivation möglich. Das Sammelalbum steht dabei für die
Kontingenz.
4. Der persönliche Lebenskontext des Therapeuten beeinflusst die Therapie oft mehr als
gedacht. Der Therapeut handelt aus ganz persönlicher Motivation, er bringt seine
eigenen persönlichen und beruflichen Erfahrungen mit. Seine Vergangenheit und sein
gegenwärtiger Zustand entscheiden darüber, ob er genügend innere Ruhe, Stabilität,
Empathie und Achtung aufbauen kann, um dem Kind emotionale Sicherheit und
Führung zu geben. Der Therapeut wird bei Kindern mit Verhaltensstörungen am
erfolgreichsten sein, wenn er Gegenübertragungen eigener Unzulänglichkeiten
ausschließen kann.
Eine spezielle Diagnostik, Techniken für das Überwinden von Verhaltensauffälligkeiten
im therapeutischen Setting, sowie der Ausschluss von Gegenübertragung kann der
Therapeut in Seminaren und Fallsupervisionen, (z.B. unter www.kindertherapiewiesbauer.de) erlenen.
Das Wesentliche zum Schluss
Der therapeutische Erfolg hängt im Wesentlichen von der Eigensteuerung/ Eigenregulation
des Kindes ab. Eine gute Eigensteuerung kann der Therapeut durch authentische
Beziehungsaufnahme zum Kind hervorrufen, nach dem er die Ursache für die emotionale
Unsicherheit herausgefunden hat. Dazu ist eine Differentialdiagnostik Voraussetzung.
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Literatur:
1-Ayres AJ (1972) Bausteine der kindlichen Entwicklung
2- Brisch, K.H.: Bindungsstörungen(2011). Klett-Cotta Verlag
3- Caby,F. und A.: Die kleine psychotherapeutische Schatzkiste Teil 1(2009). Borgmann
Media
4- Fischer A, Murray EA, Bundy AC (Eds) (1991) Sensorische Integration -Theorie und
Praxis. F.A. Davis, Philadelphia. - Deutsche Übersetzung von Schlegtendahl D (1998)
Springer, Berlin Heidelberg New York 5- Jansen F., Streit U., Positiv lernen: Für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. (2006)
Springerverlag
6- Kranz, A: Kinderseelen verstehen - Kösel (2012)
7- Kull Sadacharam K., Wiesbauer C., Sensorisch-Integrative Ayres Therapie- SIAT®- in
Kinderärztliche Praxis 3/2012 S. 93-100
8-Levine, P., Kleine,M.: Verwundete Kinderseelen heilen. (2011) Köselverlag
9- Papousek,M., Schieche M,.Wurmser H., Regulationsstörungen der frühen Kindheit.
Verlag Huber 2004)
10- Roley S, Blanche E, Schaaf R (2001) Understanding the Nature of Sensory Integration
with diverse Populations. Therapy Skill Builders, Tucson
11- Weinberg, D.: Traumatherapie mit Kindern- Klett-Cotta(2005)
Autorin
Carola Wiesbauer
Physiotherapeutin
Bobath-, Vojta- und
SI-Ayres Lehrtherapeutin GSID®
Heilpraktikerin
Kontaktadresse:
Carola Wiesbauer
Praxis für Kinder und Jugendliche
82377 Penzberg
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