Protheseninfektionen - Eine Übersichtsarbeit für die Praxis

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Medizinische Universitätsklinik, Kantonsspital Liestal1; Universitätsklinik für
Infektiologie2, Orthopädische Sportmedizin und Kniechirurgie, Department
für Orthopädie und Traumatologie3, Inselspital, Universitätsspital Bern
P. Sendi, 3M.A. Zumstein, 1W. Zimmerli
1,2
Protheseninfektionen – Eine
Übersichtsarbeit für die Praxis
Periprosthetic Joint Infections – A Review for General Practitioners
Zusammenfassung
Der Einsatz von Gelenkprothesen
nimmt stetig zu. Protheseninfektionen
sind insgesamt seltene, aber gefürchtete
Komplikationen. Eine korrekte Diagnose ist für eine erfolgreiche Therapie
essentiell. Sie erfordert die enge Zusammenarbeit zwischen Hausarzt,
Orthopäde und Infektiologe. Wird
die Diagnose verkannt, folgen aufwändige chirurgische und antibiotische
Therapien für den Patienten. Ebenso
erschwert der Einsatz von Antibiotika
ohne korrekte mikrobiologische Diagnostik den Verlauf. Abstriche von
Wunden sind nicht hilfreich, da sie die
Bakterien der Hautflora und nicht die
Erreger der Infektion widerspiegeln.
Da der Hausarzt primärer Ansprechpartner für die Patienten ist, kommt
ihm eine zentrale Rolle für das Erkennen der Diagnose und das rasche
Handeln zu. In dieser Übersichtarbeit
werden Einteilung, Diagnostik und
Therapiekonzept von Gelenkprotheseninfektionen vorgestellt.
Schlüsselwörter: Infektionen, implantatassoziierte – Gelenkprothesen –
Infektionen
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Gelenkprothesen können Schmerzen bei
Arthrosen und Arthritis gelindert sowie
gravierende Fehlstellungen korrigiert
werden. Sowohl bei degenerativen Gelenkkrankheiten, als auch nach intraartikulären Frakturen sowie nach entzündlichen Knorpelschäden im Gelenk kann
die Mobilität verbessert werden [1]. Die
Häufigkeit des Gelenkersatzes wegen
Arthrosen oder Knorpelschäden durch
Arthritis hat in den letzten Jahren stark
zugenommen. Dies ist auf das zunehmende Durchschnittsalter der Bevölkerung, welches seinerseits mit einer erhöhten Inzidenz der Arthrose assoziiert
ist, zurückzuführen [2]. Zudem besteht
seitens der Betagten vielfach der
Wunsch, sich auch im Alter sportlich zu
betätigen. Dank der Fortschritte in der
orthopädischen Chirurgie und in der
Technik der Anästhesie kann das zunehmende Bedürfnis nach Gelenkersatz
befriedigt werden. Immer ältere Patienten können mit vertretbarem Risiko
operiert werden und damit Schmerzfreiheit oder sogar ihre Selbständigkeit
wieder erreichen. Aus diesen Gründen
ist es nachvollziehbar, dass der Einsatz
von Gelenkprothesen stetig zunimmt
[3]. Beispielsweise wurden im Jahr 2006
in den Vereinigten Staaten 200’0000
Knie- und 550’000 Hüftprothesen eingesetzt. Die Zunahme der Implantate ist
kontinuierlich, in allen Altersgruppen
beobachtbar, und übertrifft projizierte
Prävalenzzahlen aus früheren Studien
[4].
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Einleitung
Die Endoprothetik ist eine der wichtigsten Errungenschaften in der orthopädischen Chirurgie. Durch den Einsatz von
© 2011 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern
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Protheseninfektionen –
insgesamt selten
Primäre Hüft- und Knieprothesen sind
bei komplikationslosem Verlauf 15 bis
20 Jahre funktionstüchtig. Die Rate von
Komplikationen, die während der Implantation oder im späteren Verlauf
auftreten können, ist insgesamt niedrig.
Neben Gefäss- und Nervenverletzungen,
Blutungen,
Wundheilungsstörungen
und aseptischen Lockerungen, können
auch Infektionen auftreten. Protheseninfektionen sind zwar selten, jedoch
wegen ihrer Konsequenzen sowohl von
Ärzten als auch von Patienten gefürchtet.
Implantate sind ausserordentlich anfällig auf kleinste Mengen kontaminierender Mikroorganismen. Das Risiko einer
Infektion beträgt nach primärer Hüftoder Knieprothesenimplantation 0.5–
2%. Bei einer Revisionsprothese steigt
dieses Risiko. Neben diesen exogenen,
meist perioperativ erworbenen Infektionen, sind die Gelenkprothesen während
ihrer ganzen Lebensdauer auch durch
eine hämatogene Streuung gefährdet.
Die septische Streuung kann durch einen
klinisch fassbaren Infektherd (z.B. Hautinfektion, Pneumonie, Harnwegsinfekt
usw.) oder durch einen unbemerkten
Herd (primäre Bakteriämie ohne Fokus)
zu irgendeinem Zeitpunkt nach der
Gelenkimplantation erfolgen. Mit zunehmender Zahl von Patienten mit
Gelenkprothesen steigt folglich auch die
absolute Zahl von Protheseninfektionen.
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Die Rolle des Hausarztes
Einteilung nach Infektionsweg
Die Rolle des Hausarztes bei diesen
Patienten ist sehr wichtig. Er ist primärer
Ansprechpartner für Patienten mit
Gelenkbeschwerden und überweist die
Patienten dem Orthopäden. Postoperativ führt oft er die Nachkontrollen durch,
d.h. er inspiziert die Wunde und entfernt
die Fäden. Dementsprechend muss er bei
Komplikationen rasch reagieren und
umgehend den Kontakt zum Orthopäden herstellen. Da Infektionen nicht
nur perioperativ, sondern zu irgendeinem Zeitpunkt während der Liegedauer
der Prothese auftreten können, hat der
Hausarzt auch diesbezüglich eine zentrale Rolle und sollte das Krankheitsbild
kennen. Protheseninfektionen sind zwar
insgesamt selten, aber Verzögerungen
der Diagnose oder inadäquate Therapieentscheide in der Praxis können für den
betroffenen Patienten schwerwiegende
Folgen haben. Auch nach der Revisionsoperation kommt dem Hausarzt eine
wichtige Rolle zu, da Patienten mit
Protheseninfektion meist auch eine
mehrmonatige antibiotische Therapie
erhalten, und laborchemische Kontrolluntersuchungen benötigen. Die antimikrobiellen Substanzen sind dem praktizierenden Arzt zum Teil nicht geläufig.
Es braucht somit zusätzliches Wissen
und Engagement, um potentielle Interaktionen und Nebenwirkungen zu
kennen, zu suchen und zu überwachen.
Der nachfolgende Artikel soll eine praxisrelevante Übersicht zu Gelenkprotheseninfektionen geben und entsprechend
die Zusammenarbeit zwischen Zentrum
und Praxis fördern.
Aufgrund der Pathogenese können Gelenkprotheseninfektionen in
• exogen und
• hämatogen (oder endogen)
eingeteilt werden.
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Infektionen, die durch Inokulation des
Gelenkes von aussen verursacht sind,
werden als exogen bezeichnet. Typischerweise kann es intra- oder postoperativ
bei sezernierender Wunde oder durch
eine Gelenkpunktion zur exogenen Infektion kommen. Infekte, die innerhalb
der ersten zwei Jahre nach Implanation
auftreten, haben deshalb häufig eine
exogene Ursache. Im Gegensatz dazu beruht die Pathogenese von hämatogenen
Infektionen auf der septischen Streuung
von einem entfernten Infektfokus im
Körper auf eine vorgängig nicht infizierte Prothese. Entsprechend werden diese
Infektionen auch endogene oder hämatogene Infektionen genannt. Obwohl
hämatogene Infektionen zu jedem Zeitpunkt nach Implantation auftreten können, ist das Risiko früh postoperativ am
höchsten. Es nimmt innerhalb der ersten
postoperativen Monate ab, persistiert
dann aber lebenslang auf einem niedrigen Niveau. Aufgrund dieses persistierenden Risikos haben Gelenkprotheseninfekte, die ⱖ2 Jahre nach Implantation
auftreten, fast immer eine hämatogene
Ursache.
Gelenkprotheseninfektionen
können
entweder nach ihrem Infektionsweg
(exogen vs. hämatogen) oder nach ihrem
zeitlichen Auftreten nach Implantation
eingeteilt werden.
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Einteilung nach zeitlichem Auftreten der Infektion
Wie bereits erwähnt, lässt das unterschiedliche zeitliche Auftreten der Symptome eines Protheseninfekts potentielle
Rückschlüsse auf Pathogenese und Erreger zu. Deshalb werden diese Infektionen
auch eingeteilt in:
• «früh» (vor dem 3. Monat nach Implantation),
• «verzögert» (3. bis 24. Monat nach
Implantation) und
• «spät» (⬎24 Monate nach Implantation)
Bei exogenen Infektionen mit weniger
virulenten Keimen, welche früher als
apathogen beurteilt wurden (zum Beispiel Koagulase-negative Staphylokokken
oder Propionibakterien) manifestieren
sich die Symptome meist verzögert, in
der Regel vom 3. bis zum 24. Monat nach
Implantation. Diese Patienten haben
typischerweise Symptome bereits ab
dem Zeitpunkt der Implantation. Die
Beschwerden manifestieren sich als intermittierende oder dauernde Schmerzen und persistierende Abhängigkeit von
einer Gehhilfe. Die exogenen Infektionen, die durch niedrig virulente Keime
verursacht werden und sich klinisch
verzögert manifestieren, werden auch als
«low grade»-Infektionen bezeichnet.
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Einteilungen von Gelenkprotheseninfektionen
Frühe und verzögerte Infektionen haben
typischerweise (aber nicht ausschliesslich) eine exogene Ursache. Wenn die
exogene Infektion durch einen virulenten Keim, zum Beispiel Staphylococcus
aureus oder Escherichia coli, verursacht
wird, treten die Symptome und Befunde
meist früh nach der Implantation, d.h.
innerhalb der ersten zwei Monate nach
Implantation auf.
Die späten Infektionen treten in der
Regel im Rahmen einer hämatogenen
Streuung auf. Die Symptome werden
somit häufig dominiert durch den
primären Infektherd, z.B. eine Hautinfektion, eine Pneumonie oder einen
Harnwegsinfekt. Nicht selten ist jedoch
kein Primärherd fassbar, man spricht
dann von einer primären Bakteriämie.
Während dieser Bakteriämie streuen die
Mikroorganismen ins künstliche Gelenk
und verursachen so eine Protheseninfektion.
Erreger von Gelenkprotheseninfektionen
Zu den häufigsten Erregern – unabhängig vom Zeitpunkt nach Implantation –
gehören Koagulase-negative Staphylokokken (30–40%), gefolgt von Staphylo-
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coccus aureus (15–25%) [3,5,6]. Streptokokken (9–10%), gramnegative Stäbchen
(3–6%), Enterokokken (3–7%) und
Anaerobier (2–4%) sind weitere Erreger,
die bei Protheseninfektionen isoliert
werden. In 10–11% der Fälle verursachen mehrere Keime gleichzeitig die
Infektion (= polymikrobielle Infektion).
Die Vielfalt dieser Keime zeigt auch, dass
der mikrobiologischen Identifikation mit
Resistenzprüfung eine entscheidende
Bedeutung zukommt. Diese Diagnostik
muss bei jedem Verdacht auf eine Protheseninfektion versucht werden. Daraus folgt, dass beim Verdacht auf eine
Protheseninfektion nie eine empirische
Antibiotikatherapie ohne vorgängigen
erfolgreichen Keimnachweis durchgeführt werden soll. Im Gegensatz dazu ist
bei Patienten mit Gelenkprothesen während einer Infektion an jeglicher anderer
Lokalisation im Körper eine rasche und
adäquate antibiotische Therapie sehr
wichtig, um eine hämatogenen Streuung
auf das Gelenk zu verhindern.
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Frühe Infektionen manifestieren sich
mit den klassischen Zeichen der Wundinfektion, mit akuten Gelenkschmerzen,
Erguss, Rötung und Überwärmung.
Häufig wird auch eine protrahiert sezernierende Wunde beobachtet, oder eine
vorübergehend trockene Wunde öffnet
sich einige Wochen postoperativ (Abb. 1),
also zu einem Zeitpunkt, zum dem der
Patient nicht mehr unter Kontrolle des
Operateurs, sondern in einer Rehabilitationsklinik oder bereits wieder zu
Hause ist. Werden diese Zeichen nicht
erkannt, verliert man die Möglichkeit
der am wenigsten invasiven Behandlung,
nämlich des Débridement ohne Prothesenausbau. Diese Therapie hat nur
während kurzer Zeit nach Auftreten der
ersten Symptome eine gute Aussicht auf
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Abb. 1: Wundsekretion einer vorübergehend trockenen Wunde drei Wochen nach
Implantation bei einer Patientin mit Frühinfekt.
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Erfolg [7]. Die Behandlung wird rasch
aufwändiger, wenn die Symptome länger
als drei Wochen verkannt werden, da
dann mehrere Eingriffe notwendig sind,
und die Prothese ersetzt werden muss.
Beim Verkennen der Symptome können
auch Abszesse oder Fisteln auftreten, was
in der Folge einen zweizeitigen Prothesenwechsel notwendig macht. Das
bedeutet, dass in einem ersten Eingriff
(alles) Fremdmaterial entfernt werden
muss und nach einer antibiotischen
Behandlungszeit erst zu einem späteren
Zeitpunkt wieder eine neue Prothese
implantiert wird. Folglich ist das rasche
Erkennen der Diagnose essentiell! Bei jedem Verdacht auf einen Protheseninfekt
muss der Hausarzt deshalb den Patienten unverzüglich wieder zum Operateur
überweisen. Dieser sollte rasches Interesse an der Aufarbeitung der Komplikation
zeigen und mit einem Infektiologen zusammenarbeiten. Ist dies nicht gewährleistet, sollte ein spezialisiertes Zentrum
kontaktiert werden. Diese rasche Aufarbeitung ist wichtig, weil das funktionelle Schlussresultat vom Gelingen
des ersten Therapieversuchs abhängig ist.
Ein diagnostischer Abstrich von einer
sezernierenden Wunde oder Fistel ist
nicht hilfreich, da diese Probe meist
nur die kolonisierende Hautflora um
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Klinische Manifestationen
und Empfehlungen für die
Praxis
Der Frühinfekt
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die Wunde und in der Regel nicht die
Erreger der Infektion in der Tiefe widerspiegelt. Der Erreger sollte durch Gelenkpunktion oder mittels intraoperativ
entnommenen Biopsien identifiziert
werden. Die Gelenkpunktion soll in der
Regel vom Operateur selbst vorgenommen werden. Sie muss unter sterilen Bedingungen durchgeführt werden. Dieses
streng aseptische Vorgehen ist wichtig,
da ein (nicht-infiziertes) Implantat
bereits bei kleinsten Bakterienmengen
eine hohe Infektanfälligkeit hat. Die
Gabe von Antibiotika sollte – sofern der
Patient nicht das klinische Bild einer
Sepsis präsentiert – vermieden werden,
bis die mikrobiologischen Proben entnommen wurden.
Der verzögerte Infekt
Das klinische Erkennen der verzögerten
Infektion ist viel schwieriger, da sie sich
häufig nicht mit klaren Infektionssymptomen manifestiert. Der Patient hat in
der Regel postoperativ persistierende
Schmerzen, nur diskrete oder sogar
fehlende Infektzeichen, die Wunde ist
häufig unauffällig und selten werden
subfebrile Temperaturen gemessen. Im
weiteren Verlauf kommt es häufig zur
frühen Lockerung der Prothese mit ent-
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sprechenden Bewegungs- und Belastungsschmerzen. Die Prothese kann bei
verzögerten Infektionen nicht erhalten
werden, da die Symptomdauer sehr
lange ist und die Prothese mit einem
dichten und etablierten Biofilm von
Bakterien besiedelt ist. Da die verantwortlichen Keime meist nur wenig
virulent sind und der Patient durch die
lokalisierte Infektion in seinem Allgemeinzustand nicht schwer beeinträchtigt
ist, kann vor der chirurgischen Therapie
eine sorgfältige Diagnostik durchgeführt
werden. Vor allem in diesen Fällen muss
der Einsatz von Antibiotika bis zum
mikrobiologischen Beweis des Erregers
vermieden werden. Die Kontaktaufnahme mit dem Orthopäden und die Zuweisung in dessen ambulante Sprechstunde
sind erforderlich. Nach gegenseitiger
Absprache können vor Zuweisung auch
diagnostische Untersuchungen veranlasst werden (z.B. Röntgenbild, Szintigraphie, Granulozyten-SPECT usw.).
können Fisteln auftreten (Abb. 2), was
einen aufwändigen zweizeitigen Prothesenwechsel notwendig macht.
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Ziel der Behandlung ist die Elimination
der Infektion bei schmerzfreier und
funktioneller Prothese. Dieses Ziel kann
am besten erreicht werden, wenn die
Infektion frühzeitig erkannt wird und
die Behandlungsgrundsätze respektiert
werden. Dabei ist besonders darauf zu
achten, dass vor jeder antibiotischen
Therapie die erfolgreiche mikrobiologische Diagnose stehen muss. Der unkritische Einsatz von Antibiotika bei
Infektverdacht kann die Diagnostik verunmöglichen, was die Prognose punkto
Heilung verschlechtert. Ebenso falsch ist
die antibiotische Therapie ohne chirurgische Intervention, auch wenn die
mikrobiologische Diagnose vorgängig
gesichert ist. Somit ist klar, dass ein interdisziplinärer Ansatz mit Orthopäden,
Infektiologen und im Verlauf Hausärzten notwendig ist.
Prinzipiell sind fünf Interventionen
möglich, nämlich 1.) das chirurgische
Débridement mit Erhalt der Prothese, 2.)
der einzeitige Gelenkersatz, 3.) der zweizeitige Ersatz, 4.) das Entfernen der
Prothese ohne Wiedereinbau, auch
Girdlestone-Situation genannt und 5.)
die langdauernde suppressive Antibio-
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Das interdisziplinäre
Konzept der Therapie
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Der Spätinfekt
Wie bereits erwähnt, sind späte Infektionen praktisch immer hämatogen
verursacht. Typische Primärherde sind
Infektionen der Haut, der Atemwege, des
Darmes oder der Harnwege. Dementsprechend werden auch Spätinfektionen
oft nicht sofort erkannt, da die Hauptsymptome im Bereich des Primärfokus
liegen, und die Beschwerden am Gelenk
erst später auftreten. Im Rahmen von
bakteriämischen Infektionen müssen
bei Patienten mit Gelenkimplantaten,
Symptome wie neue Gelenkschmerzen
in Ruhe oder bei Belastung aktiv erfragt
werden [8]. Dies ist bei Infektionen mit
S. aureus besonders wichtig. Studien bei
Patienten mit Prothesen und S.-aureusBakteriämie zeigten eine septische Streurate von 30–40% [9,10]. Der Hausarzt
sollte bei Spätinfektion den Patienten
rasch ans Zentrum überweisen, um die
Diagnose und den Erreger zu sichern
und möglicherweise einen Prothesenwechsel zu verhindern. Wird die septische Streuung auf ein Gelenk verkannt,
©
Abb. 2: Hämorrhagisch bullöses Erysipel am linken Fuss mit Gruppe-A-Streptokokken.
Im Verlauf klagte die Patientin über Schmerzen im linken Hüftgelenk. Die Arthrographie ergab Fisteln. In den Kulturen der periprothetischen Biopsien wuchsen ebenfalls
Gruppe-A-Streptokokken.
tikatherapie ohne chirurgische Intervention. Welche dieser chirurgischen
Optionen angewendet wird, hängt von
publizierten definierten Kriterien und
vom Entscheid des behandelnden Teams
ab [5]. Um das chirurgische Débridement mit Prothesenerhaltung anzuwenden, braucht es folgende vier Kriterien:
kurze Symptomdauer (⬍3 Wochen),
intakte Weichteilverhältnisse (kein
Abszess, keine Fistel), stabile Prothese
und kein schwierig zu behandelnder
Erreger (z.B. keine Rifampicinresistenz,
keine Candida spp). Sind diese Kriterien
nicht erfüllt, muss die Prothese gewechselt werden. Der einzeitige Wechsel wird
selten und meist nur bei «low grade»Infektionen durchgeführt. Entsprechend
häufiger ist ein zweizeitiger Wechsel. Die
Berücksichtigung dieses Therapiekonzeptes ergibt gute Chancen für ein erfolgreiches Therapieresultat [11–13].
Eine Girdlestone-Situation wird angestrebt, wenn das Risiko einer Reinfektion
gross ist und/oder der Patient von einer
neuen Prothese funktionell nicht profitieren würde.
Selten ist – meist aufgrund schwerer
Komorbiditäten – keine chirurgische
Therapie möglich. In solchen Fällen wird
die infizierte Prothese im Körper belassen und der Infekt durch eine chronische
suppressive Antibiotikatherapie unterdrückt. Diese Therapie hat keinen kurativen sondern nur einen palliativen
Ansatz und kann 1 bis 2 Jahre oder sogar
lebenslang dauern.
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Wahl und Dauer der antibiotischen Therapie
Postoperativ wird im Zentrum zuerst
eine empirische, dann eine Erreger-spezifische intravenöse Antibiotikatherapie
appliziert. In der Regel wird nach 10 bis
14 Tagen auf eine orale Therapie umgestellt. Die Wahl der Antibiotikatherapie
ist gut definiert für Protheseninfektionen mit Staphylokokken [7]. Mehrere
Studien haben gezeigt, dass Kombinationen mit Rifampicin besonders wirksam
sind, falls der Keim sensibel ist [7]. Der
Grund dafür ist die gute Wirksamkeit
gegen Staphylokokken, die als Biofilm
an der Prothese adhärieren und sich somit in der stationären Wachstumsphase
befinden. Rifampicin muss immer mit
einer anderen antimikrobiellen Substanz
kombiniert werden, idealerweise mit
einem Chinolon (Ciprofloxacin, Levofloxacin) oder bei Chinolonresistenz mit
Fusidinsäure. Über andere Kombinationen, z.B. mit Cotrimoxazol, Clindamycin, Minocyclin, Doxycyclin oder
Linezolid gibt es nur ungenügend Daten.
Die Wahl der Antibiotika erfolgt gemäss
Erreger [5] und wird meist vom Infektiologen am Zentrum empfohlen. Die
erwähnten Substanzen werden jedoch
nie empirisch eingesetzt.
Es ist wichtig, dass die Zusammenarbeit
mit dem Hausarzt gewährleistet ist.
Patienten können über verschiedene
Nebenwirkungen (oftmals Übelkeit oder
Medikamentenüberdruss) klagen. Auch
auf Interaktionen ist zu achten. Beispielsweise bewirkt Rifampicin eine Induktion
der P450-Zytochrome, welche eine
Woche nach Gabe ihr Maximum erreicht
und innert ca. 14 Tagen nach Stopp wieder abklingt. Diese Induktion beschleunigt den Abbau vieler Medikamente,
insbesondere oraler Antikoagulantien,
Sedativa, Neuroleptika, Antiepileptika,
Antidepressiva und Kalziumantagonisten.
Die Dauer der antibiotischen Therapie
hängt vom chirurgischen Vorgehen ab
und beträgt in den meisten Fällen 3–
6 Monate. In Fällen, in denen eine
chronische suppressive Antibiotikathe-
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Key messages
● Gelenkprotheseninfektionen sind insgesamt selten, aber das Verkennen der
Diagnose führt zu aufwändigen chirurgischen und antibiotischen Therapien.
● Durch das rasche Erkennen von Protheseninfektionen und die unverzügliche
Überweisung zum Orthopäden kann ein Prothesenwechsel vermieden werden.
● Eine antibiotische Therapie vor Diagnose und Isolation des Erregers soll
vermieden werden.
● Wundabstriche sind nicht hilfreich, da die mikrobiologischen Resultate meist
die Hautflora und nicht den Erreger der Protheseninfektion widerspiegeln.
● Prothesenträger haben ein lebenslanges Risiko, dass die Prothese via eine
hämatogene Streuung infiziert wird.
Lernfragen
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1. Wie kann man Gelenkprotheseninfektionen klassifizieren?
2. Welche Symptome treten typischerweise bei einem «low grade»-Infekt auf?
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rapie angewendet wird, ist der Hausarzt
besonders gefordert, da die Therapie
1 bis 2 Jahre oder sogar lebenslang
dauern kann.
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Antibiotikaprophylaxe
während invasiven Eingriffen
Häufig wird die Frage gestellt, ob Patienten mit einer Gelenkprothese während
Zahnbehandlungen oder Endoskopien
eine antibiotische Prophylaxe benötigen.
Diese Frage kann verneint werden, da
das Risiko vernachlässigbar klein ist. Basierend auf einer kürzlich publizierten
Studie lässt sich berechnen, dass ca.
1250 Patienten mit einer (oder mehreren) Prothese(n) bei einem Zahneingriff
prophylaktisch behandelt werden müssten, um einen einzigen Protheseninfekt
zu verhindern [14,15]. Viel wichtiger
scheint eine kontinuierlich gute Dentalhygiene, da damit ein potentieller Herd
reduziert wird. Bei Eingriffen an einem
diagnostizierten Infektherd (infiziertes
Zahngranulom,
Kieferosteomyelitis)
sollte nicht nur eine Prophylaxe, sondern
eine adäquate antibiotische und allenfalls chirurgische Therapie des Infektherdes durchgeführt werden.
Dank
Wir danken Frau Dr. med. Mireille
Schaufelberger und Kollegen vom Berner Institut für Hausarztmedizin für die
kritische Durchsicht des Manuskriptes
und für die wertvollen Anregungen.
Abstract
The number of prosthetic joint implantation is continuously increasing.
Periprosthetic joint infection is a rare
but serious complication. The correct
diagnosis is essential for successful
treatment. It requires the close collaboration between general practitioners,
orthopaedic surgeons and infectious
disease specialists. A delayed diagnosis
sets hurdles to the medical and surgical treatment. Also, antimicrobial
treatment without proper microbiological sampling must be avoided.
Swabs from wounds are not helpful,
because the results represent the skin
flora, but not the causative pathogen
of infection. The general practitioner
is the first physician that patients contact and has, therefore, a central role
in diagnosing and managing peripros-
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thetic joint infections. In this review,
classification, diagnostic means and
treatment concepts of periprosthetic
joint infections are presented.
Key words: arthroplasty associated infections – Periprosthetic joint infections
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Le nombre de prothèses articulaires
implantées ne cesse d’augmenter.
L’infection de prothèse articulaire est
une complication rare mais redoutée.
Le diagnostic correct est essentiel au
succès thérapeutique. Ainsi, la collaboration entre le médecin de famille,
l’orthopédiste et l’infectiologue est
primordiale. Un retard dans le diagnostic d’une telle infection implique
des traitements compliqués et l’instauration d’un traitement antibiotique sans
prélèvement microbiologique préalable
rend le suivi clinique difficile. Les frottis de plaie ne sont d’aucune utilité, car
ils reflètent la colonisation par des
germes d’origine cutanée, mais ne permettent pas de mettre en évidence les
germes responsables de l’infection. Le
médecin traitant, première personne
de contact du patient, joue un rôle central dans le diagnostic et le traitement
de ces infections. Dans cette revue,
nous présentons la classification, le
diagnostic et le concept thérapeutique
des infections de prothèse articulaire.
Mots-clés: infections sur corps étranger – infections sur prothèse articulaires
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Korrespondenzadresse
Dr. med. Parham Sendi
Universitätsklinik für Infektiologie und
Institut für Infektionskrankheiten
Inselspital
Universitätsspital Bern
3010 Bern
[email protected]
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dentistry: time to focus on data. Clin Infect Dis 2010;50:17-19.
1. a) nach Infektionsweg: endogen (hämatogen) oder exogen; und b) nach zeitlichem
Auftreten nach Implantation: früh, verzögert und spät
2. Schmerzen, selten subfebrile Temperaturen, Wunde unauffällig.
©
5. Zimmerli W, Trampuz A, Ochsner PE. Prosthetic-joint infections. N Engl J Med 2004;351:16451654.
Antworten zu den Lernfragen
Résumé
Das Weiterbildungspaket
für Studierende und
LehrärztInnen am Berner
Institut für Hausarztmedizin
PRAXIS
쑺 Die 14-täglich erscheinende Fortbildungszeitschrift
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Das Weiterbildungspaket enthält:
• 1 Jahresabonnement PRAXIS (25 Ausgaben)
inkl. Online-Zugang auf alle Volltexte
(Archiv ab 1999) und alle bisher erschienenen CME
• 1 Jahresabonnement Therapeutische Umschau
(12 Ausgaben) inkl. Online-Zugang auf alle Volltexte
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+ Begrüssungsgeschenk:
Buch «Gesundheitswesen Schweiz 2010–2012»
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Gesundheitswesen Schweiz
2010–2012
Aktuelle und objektive Gesamtübersicht über das Schweizer
Gesundheitswesen
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Jahresabonnement Therapeutische Umschau (inkl. Online-Zugang auf Volltexte TU ab 1999)
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*für Studierende an der Universität Bern
**für LehrärztInnen an der Universität Bern
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