Algebra 2 14 Transzendenz von e und π - Friedrich

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Friedrich-Schiller-Universität Jena
Mathematisches Institut
Prof. Dr. David J. Green
Algebra 2
Sommersemester 2006
14
Transzendenz von e und π
Transzendenz von e und π
Die Transzendenz von e wurde 1873 von Hermite gezeigt. Auf Hermites Methoden aufbauend zeigte Lindemann 1882, dass π transzendent ist, und bewies damit endgültig die
Unmöglichkeit der Quadratur des Kreises. Wir werden beide Ergebnisse von dem folgenden Satz herleiten.
Satz 14.1 Sei α 6= 0 eine ganze algebraische Zahl. Dann sind die Zahlen {enα | n ∈ Z}
linear unabhängig über Q.
14.1
Wie man Satz 14.1 anwendet
Korollar 14.2 Für jede algebraische Zahl α 6= 0 ist die Zahl eα transzendent.
Satz 14.3 (Hermite bzw. Lindemann) Die Zahl e bzw. π ist transzendent, d.h. nicht
algebraisch über Q.
Beweis von Satz 14.3. Es ist e = e1 , und 1 ist eine algebraische Zahl 6= 0. Nach
Korollar 14.2 ist e transzendent. Wäre π algebraisch, dann wäre auch iπ eine algebraische
Zahl 6= 0, denn i ist auf jedem Fall algebraisch. Nach Korollar 14.2 müsste dann eiπ
transzendent sein. Das stimmt aber nicht, denn es ist bekanntlich eiπ = −1.
Um Korollar 14.2 beweisen zu können, benötigen wir zunächt einen Nachtrag zu §10:
Lemma 10.9 Sei α eine algebraische Zahl. Dann gibt es eine ganze Zahl n ≥ 1 derart,
dass nα eine ganze algebraische Zahl ist.
Somit ist A, der Körper der algebraischen Zahlen, der Quotientenkörper von B, der
Ring der ganzen algebraischen Zahlen.
P
i
Beweis. Sei X r + r−1
i=0 ai X das Minimalpolynom von α über Q. Dann ist jedes ai ∈ Q,
also findet
ein n ≥ 1 derart, dass jedes bi := nai in Z liegt.
Sei β = nα. Dann
Pr−1
Pr−1 man
βr
βi
r
+ i=0 ai ni = 0. Durch Ausmultiplizieren erhält man β + i=0 nr−i−1 bi β i = 0,
nr
weshalb β ganz ist.
Somit hat jede algebraische Zahl α eine Darstellung der Art βn für eine ganze algebraische Zahl β. Die Aussage über den Quotientenkörper folgt hieraus.
Beweis von Korollar 14.2. Nach Lemma 10.9 ist β := nα eine ganze algebraische Zahl,
für ein n ≥ 1. Wäre eα algebraisch, so wäre auch eβ = (eα )n algebraisch und hätte
deshalb ein Minimalpolynom in Q[X]. Sei m der Grad des Minimalpolynoms. Dann sind
1 = e0β , eβ , e2β , . . . , emβ linear abhängig über Q, ein Widerspruch zu Satz 14.1.
14.2
Erste Schritte im Beweis von Satz 14.1
Wir führen einen Widerspruchsbeweis und benutzen Algebra, um eine gewisse Gleichung
aufzustellen, nämlich Gleichung (4). Arithmetische Überlegungen zeigen dann, dass die
linke Seite eine ganze Zahl 6= 0 ist, aber analytische Argumente führen dazu, dass wir die
rechte Seite verschwindend klein machen können. Somit haben wir den Widerspruch.
Eine wichtige Station auf dem Weg nach Gleichung (4) ist Gleichung (2). Um diese
Gleichung herzuleiten, werden wir mit linearen Kombinationen von Exponentialen arbeiten. Beispiel: eiπ + e0 ist eine nichttriviale lineare Kombination von Exponentialen, die
aber den Wert Null annimmt. Wir brauchen folgende Tatsache: multiplizieren wir zwei
nichttriviale lineare Kombinationen miteinander:
n
X
i=1
ai eαi ·
m
X
bj eβj =
j=1
X
ai bj eαi +βj ,
i,j
so ist auch deren Produkt eine nichttriviale lineare Kombination. Um besser Buch führen
zu können, arbeiten wir mit der Gruppenalgebra Q[C].
Bemerkung Ist R ein kommutativer Ring und G eine Gruppe, so wird der Gruppenring
RG manchmal auch mit R[G] bezeichnet. Entsprechend schreibt man dann r1 [g1 ] + · · · +
rn [gn ] für das typische Element, nicht r1 g1 + · · · + rn gn . Diese Schreibweise wird insbes.
dann häufig gewählt, wenn G eine additive Gruppe ist. Multiplikation geht dann so:
r1 [g1 ] · r2 [g2 ] = r1 r2 [g1 + g2 ] 6= r1 r2 [g1 ] + r1 r2 [g2 ] .
Ferner wäre es sonst z.B. im Fall von Z[Z] schwer, Koeffizienten von Basiselementen zu
unterscheiden: so ist etwa 1[0] =
6 0.
Pn
Pn
αi
Beachten Sie, dass die Abbildung φ : Q[C] → C, φ :
ein Homoi=1 ai [αi ] 7→
i=1 ai e
morphismus von Q-Algebren ist. Wir setzen voraus, dass Satz 14.1 falsch ist. Dies bedeutet, dass es
< n2 < · · · < nm und Zahlen q1 , . . . , qm ∈ Q \ {0}
Pein m n≥i α1, ganze Zahlen n1 P
m
gibt, mit m
q
e
=
0,
d.h.
mit
0
=
6
i=1 i
i=i qi [ni α] ∈ Kern(φ).
Sei K der Zerfällungskörper des Minimalpolynoms von α über Q. Dann ist K/Q eine
(endliche) Galoiserweiterung. Sei G = Gal(K/Q) die Galoisgruppe, und schreibe OK für
den Schnitt K ∩ B. Das heißt,
OK = {β ∈ K | β ganz über Z} ,
ein Unterring von K. Nach Voraussetzung ist α ∈ OK . Sei mα ∈ Q[X] das Minimalpolynom von α als algebraisches Element über Q. Nach Lemma 10.5 liegt mα in Z[X]. Nun
sei σ ∈ G. Dann ist die sog. Galois-Konjugierte σ(α) eine Nullstelle von mα , weshalb
σ(α) ∈ OK . Nun setze
m
YX
U=
qi [σ(ni α)] .
(1)
σ∈G i=1
Es ist U ∈ Q[OK ], denn jeder Faktor von U liegt dort drin. Es ist auch U ∈ Kern(φ),
denn der Faktor für σ = Id im Kern liegt. Ferner ist U 6= 0, wegen des folgenden Lemmas,
denn [σ(γ)] = [σ(δ)] genau dann, wenn γ = δ.
Lemma 14.4 Sei R ein Integritätsbereich. Dann ist auch der Gruppenring R[C] ein Integritätsbereich.
2
Jetzt werden wir sehen,
P dass U außerdem invariant unter der Operation von G ist. Sei
σ ∈ G und sei x = γ∈K qγ [γ] ein Element aus der Q-Algebra Q[K], also qγ ∈ Q ist 6= 0
für nur endlich viele γ. Wir definieren eine Operation (σ, x) 7→ σ ∗x von G auf Q[K] durch
X
X
σ∗
qγ [γ] =
qγ [σ(γ)] .
γ∈K
γ∈K
Beachten Sie, dass x 7→ σ∗x ein Q-Algebrenautomorphismus von Q[K] ist, für jedes σ ∈ G;
das heißt, σ ∗ (x + y) = σ ∗ x + σ ∗ y, σ ∗ (xy) = (σ ∗ x)(σ ∗ y), σ ∗ (qx) = q(σ ∗ x) für
q ∈ Q, und σ −1 ∗ (σ ∗ x) = x.
Auch U liegt in der Q-Algebra Q[K], denn jeder Faktor in (1) liegt in Q[K]. Wir zeigen
jetzt, dass σ ∗ U = U ist, für jedes σ ∈ G. Es gilt nämlich {στ | τ ∈ G} = {τ | τ ∈ G}.
Also
m
m
YX
YX
σ∗U =
qi [στ (ni α)] =
qi [τ (ni α)] = U .
τ ∈G i=1
τ ∈G i=1
P
Zusammenfassend liegt 0 6= U = γ∈K qγ [γ] in Kern(φ)
∩ Q[OK ], und es ist σ ∗ U = U für
P
jedes σ ∈ G. Wir zeigen jetzt, dass es ein V = γ∈G νγ [γ] gibt, die diese Eigenschaften
von U teilt, und zusatzlich ν0 6= 0 erfüllt. Nur im Falle q0 = 0 ist etwas zu zeigen.
P Sei β ∈ K
derart, dass qβ 6= 0. Da U ∈ Q[OK ] ist, muss auch β ganz sein. Sei W = τ ∈G [−τ (β)].
Dann 0 6= W ∈ Q[OK ], und σ ∗ W = W für alle σ ∈ G. Setze V = U W . Dann 0 6= V ∈
Q[OK ] ∩ Kern(φ),
P und σ ∗ V = V für jedes σ ∈ G. Der Koefficient von [0] in U [−τ (β)] ist
qτ (β) , also ist τ ∈G qτ (β) der Koeffizient ν0 von [0] in V . Wegen σ ∗ U = U folgt qτ (β) = qβ ,
d.h. ν0 = |G|qβ 6= 0.
Indem wir jetzt V mit einer geeigneten ganzen Zahl multiplizieren, können wir die
Nenner der νγ wegmachen. Somit haben wir gezeigt:
Lemma 14.5 Sei α 6= 0 eine ganze algebraische Zahl. Sei K der Zerfällungskörper des
Minimalpolynoms von α über Q, und sei G = Gal(K/Q).
Ist eα algebraisch über Q, so gibt es ein 0 6= k ∈ Z, ein n ≥ 1, ganze Zahlen a1 , . . . , an
und paarweis verschiedene Elemente β1 , . . . , βn ∈ OK \ {0} derart, dass
k+
n
X
ai eβi = 0 ,
(2)
i=1
und für jedes σ ∈ G und für jedes i gilt: σ(βi ) ist ein βj , und es ist ai = aj .
P
Beweis. Wir wechseln die Bezeichnung und schreiben V als k[0] + ni=1 ai [βi ]. Gleichung (2) entspricht V ∈ Kern(φ). Die σ(βi )-Bedingung entspricht σ ∗ V = V . Wegen
V ∈ Q[OK ] sind die βi ganz.
Beweis von Lemma 14.4. Die Eins ist 1[0] 6= 0. Betrachten wir folgende Totalordnung
auf C: x + iy ≤ a + ib genau dann, wenn entweder x < a gilt oder x = a und y ≤ b gelten:
dies ist die sogenannte lexikographische Ordnung. Beachten Sie, dass für z1 , z2 , w, w1 , w2 ∈
C es ist z1 ≤ z2 genau dann, wenn z1 + w ≤ z2 + w; und aus z1 ≤ w1 und z2 ≤ w2 folgt
z1 + z2 ≤ w1 + w2 . Somit verträgt sich die Ordnung mit der Addition.
Ist 0 6= f ∈ R[C], so hat f einen führenden Term r[z], d.h. es ist r ∈ R \ {0} und
f = r[z] + (Terme s[w] mit w < z) .
Sind f1 , f2 zwei Elemente aus R[C] mit führenden Term r1 [z1 ] bzw. r2 [z2 ], so ist r1 r2 [z1 +z2 ]
der führende Term von f1 f2 , und es ist insbesondere f1 f2 6= 0.
3
14.3
Konstruktion der Funktion F
In diesem Unterabschnitt leiten wir die Gleichung (4) her. Sei θ ∈ Q[X] das Produkt
(ohne wiederholte Faktoren) der Minimalpolynome der Zahlen βi aus Lemma 14.5. Da
die βi ganz sind, ist θ(X) ein normiertes Polynom in Z[X]. Da jedes σ(βi ) ein βj ist, ist
jede Nullstelle von θ(X) ein βj , und auch umgekehrt. Somit stimmt der Grad von θ(X)
mit der Zahl n aus Gleichung (2) überein.
Beispiel Die Gleichung (2) könnte so lauten:
ei + e−i − 2e
√
3
2
− 2eω
√
3
2
− 2eω̄
√
3
2
+ 7 = 0.
In diesem Fall wäre θ(X) = (X 2 + 1)(X 3 − 2).
Jetzt wählen wir eine Primzahl p und setzen
X p−1 θ(X)p
∈ Q[X]
(p − 1)!
F (X) = f (X) + f 0 (X) + f 00 (X) + · · · + f (np+p−1) (X) ∈ Q[X] .
f (X) =
Beachten Sie, dass f (X) vom Grad np + p − 1 ist, weshalb f (np+p) (X) = 0. Hieraus und
aus der Definition von F folgt es, dass
d −x
e F (x) = −e−x f (x) .
dx
Nach dem Hauptsatz ist also
x
Z
−x
e−y f (y)dy .
e F (x) − F (0) = −
0
Durch die Substitution y = λx erhalten wir
1
Z
x
e(1−λ)x f (λx)dλ .
F (x) − e F (0) = −x
(3)
0
Jetzt kombinieren wir die Gleichungen (2) und (3). Es ist
n
X
ai F (βi ) − F (0)
i=1
weshalb
βi
ai e = −
i=1
n
X
i=1
14.4
n
X
ai F (βi ) + kF (0) = −
n
X
Z
ai βi
i=1
e(1−λβi ) f (λβi )dλ ,
0
i=1
n
X
1
Z
1
ai βi
e(1−λβi ) f (λβi )dλ .
(4)
0
Die linke Seite der Gleichung (4)
Jedes βi ist eine p-fache Nullstelle von f . Somit ist f (r) (βi ) = 0 für r ≤ p−1;
Pn und für r ≥ p
(r)
1
ist f (βi ) eine durch p teilbare ganze algebraische Zahl in K. Somit ist i=1 ai F (βi ) eine
1
Das heißt, f (r) (βi ) = pγ für eine ganze algebraische Zahl γ.
4
P
P
durch p teilbare ganze algebraische Zahl in K. Ferner ist σ( ni=1 ai F (βi )) = ni=1 ai F (βi )
für jedes σ P
∈ G = Gal(K(Q)), denn σ permutiert die βi mit dem gleichen Wert von ai .
Das heißt, ni=1 ai F (βi ) liegt in Z und ist durch p teilbar.
Wir wollen zeigen, dass die linke Seite der Gleichung (4) eine ganze Zahl 6= 0 ist.
Hierfür reicht es nach den obigen Überlegungen zu zeigen, dass kF (0) eine nicht durch p
teilbare ganze Zahl ist. Nun, f (r) (0) ist 0 für r < p − 1, und für r ≥ p − 1 ist es eine ganze
Zahl. Diese Zahl ist durch p teilbar für r ≥ p, dagegen ist f (p−1) (0) = θ(0)p .
Somit ist die linke Seite der Gleichung eine ganze Zahl, die kongruent kθ(0)p modulo p
ist. Da θ ein Produkt von minimalen Polynomen von Zahlen 6= 0 ist, ist θ(0) 6= 0; da
die βi alle ganz sind, ist θ(0) ∈ Z. Wählen wir jetzt p > max{|k|, |θ(0)|}, so ist kθ(0)p
nicht durch p teilbar. Wir haben gezeigt:
Lemma 14.6 Die linke Seite der Gleichung (4) ist eine ganze Zahl. Für p groß genug ist
diese Zahl ungleich Null.
14.5
Die rechte Seite der Gleichung (4)
p−1
p
m(i)
Sei m(i) = sup{|θ(λβi )| | λ ∈ [0, 1]}. Für λ ∈ [0, 1] gilt dann |f (λβi )| ≤ |βi |(p−1)!
,
R 1 (1−λβ )
p R 1
|β
m(i)|
i
i
weshalb ai βi 0 e
f (λβi )dλ ≤ |ai | (p−1)!
0 e(1−λ)βi dλ. Dieses strebt gegen Null
n
a
für p → ∞, denn (n−1)!
→ 0 für n → ∞. Somit strebt die rechte Seite der Gleichung (4)
gegen Null für p → ∞.
Beweis von Satz 14.1 (Zusammenfassung). Wir setzten eine lineare Abhängigkeit voraus, und folgerten in Gleichung (2), dass es eine Galois-invariante lineare Abhängigkeit
mit ganzzähligen Koeffizienten und einem nicht verschwindenden konstanten Term geben
müsste. Danach wählten wir eine Primzahl p, konstruierten die Funktionen f and F , and
leiteten Gleichung (4) her. Eigenschaften von ganzen Zahlen bedeuteten einerseits, dass
die linke Seite dieser Gleichung eine ganze Zahl 6= 0 sein muss; anderseits führt eine einfache Abschätzung dazu, dass die rechte Seite gegen Null strebt für p → ∞. Dies ist aber
ein Widerspruch.
Bemerkung Quellen: Die zweite Hälfte des Beweises folgt dem Beweis der Transzendenz von π in §6 von I. Stewart, Galois Theory. Die erste Hälfte ist ein Spezialfall des
Beweises des Satzes von Lindemann–Weierstraß in N. Jacobson, Basic Algebra I .
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