Skript: Schmerztherapie in der Pädiatrie

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Q13 „Schmerztherapie“ / Skript 1.5: Schmerztherapie in der Pädiatrie. L. Garten
Skript:
Schmerztherapie in der Pädiatrie
Inhalt
1.
Fachspezifische Lehrinhalte für Q13 Schmerztherapie / Pädiatrie
2.
Schmerztherapie im Kindes- und Jugendalter
2.1. Allgemeines zur Schmerztherapie
2.2. Schmerzmessung bei Kindern
2.3. Stufenschema der Schmerztherapie
2.4. Nicht-Opioide
2.5. EMLA
2.6. Allgemeines zum Gebrauch von Opioiden
2.7. FAQ zur Opioidtherapie
2.8. Schmerztherapie bei Kindern mit schwerer Mehrfachbehinderung
2.9. Literatur Pädiatrie
3.
Analgesie in der Neonatologie
3.1. Einleitung und Grundlagen
3.2. Literatur Neonatologie
4.
Anhang
4.1. Beispiel für „Dokumentationsprotokoll Schmerztherapie“
4.2. Analgetika in der Pädiatrie/Therapie von Nebenwirkungen
Vorwort
Im Querschnittsfach Q13 „Integrative Schmerztherapie“ ist für den Fachbereich Pädiatrie für jeden Studierenden
eine Lehreinheit à 45 Minuten als Demonstration am Krankenbett vorgesehen. Der Unterricht findet auf
onkologischen, kinderchirurgischen und neonatologischen Stationen der Charité statt. Da in dieser Lehreinheit
nur ein kleiner Einblick in dieses umfassende Gebiet gegeben werden kann, wurde dieses Skript zur
theoretischen Ergänzung verfasst. Es soll sowohl dem interessierten Studierenden als „roter Leitfaden“ und
Vorbereitungsmaterial für die Prüfung, als auch den Kursdozenten als mögliche Anregung für den Unterricht
dienen.
An dieser Stelle möchte ich Herrn Dr. Andreas Kopf und Herrn Professor Dr. Michael Obladen für ihre
wertvollen inhaltlichen Anregungen bei der Erarbeitung der Erstversion dieses Skriptes danken.
Das Pilotprojekt Q13 „Schmerztherapie“ ist in dieser Form bisher einmalig in der deutschen
Medizinerausbildung und auf rege Kritik, Anregungen und Verbesserungsvorschläge angewiesen. Ich möchte
alle Beteiligten daher dazu ermutigen, die Möglichkeit der Mitgestaltung zu nutzten.
(e-mail an: [email protected]).
Viel Spaß und Erfolg
Lars Garten.
Koordinator Q13 / Fachbereich Pädiatrie
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Q13 „Schmerztherapie“ / Skript 1.5: Schmerztherapie in der Pädiatrie. L. Garten
1. Fachspezifische Lehrinhalte für Q13 Schmerztherapie / Pädiatrie
a. Welche Medikamente kann ich sicher für eine adäquate Schmerztherapie im Kindesalter
einsetzen?
Die Studierenden sollen für Kinder in verschiedenen Altersstufen einen Therapieplan „Akute Schmerztherapie“
mit folgenden Medikamenten erstellen können:
1. Paracetamol, 2. Ibuprofen / Diclofenac, 3. Metamizol, 4. Tramadol, 5. Morphin
allgemein
Indikation, Dosierung nach Körpergewicht (das Prinzip muss verstanden sein, keine genauen
Dosierungen), Besonderheiten/Einschränkungen, Nebenwirkungen und deren Vorbeugung,
Wirkungseintritt und –dauer, Bedarfsmedikation vs. festem Schema, Wann oral, transkutan, subkutan,
intramusulär, intravenös, rektal?
speziell
Paracetamol: empfohlene Dosis als Analgetikum vs. Antipyretikum, loading dose,
Tageshöchstdosis, oral vs. rektal, Besonderheit: Neonatalperiode
Metamizol: strenge Indikationsstellung: Koliken, Komplikationen bei i.v.-Gabe,
Agranulozytoserisiko
Opioide: Nebenwirkungen und ihre Vorbeugung (Obstipation: Lactulose, Übelkeit: Metoclopramid,
Dimenhydrat), Wann reicht Tramadol, wann brauche ich ein stärkeres Opioid (z.B. Morphin)? Wenn
i.v., wann Bolus, wann Dauerapplikation?, Welches Monitoring brauche ich zu Beginn einer
Dauerapplikation?
-Probleme der unzureichender Evidence-based-medicine insbesondere bei Neonaten und behinderten
Kindern, sowie bei der Zulassung von Medikamenten für das Kindesalter
b. klinische Algesimetrie bei Patienten mit eingeschränkter Kommunikationsfähigkeit / alters- und
patientenbezogene Schmerzmeßmethoden, Fremdbeobachtungs- und beurteilungsverfahren
Die Studierenden sollen benennen und differenzieren können:
Parameter der Schmerzbeurteilung im Frühgeborenen-, Neugeborenen-, Säuglings- und Kindesalter
sowie bei behinderten Patienten, speziell: Vitalparameter (Bradykardie, Tachykardie, Bradypnoe,
Tachypnoe, Blutdruckveränderungen, SaO2-Veränderungen), Schmerzvokalisation (Schreien, Weinen,
Wimmern), Grimassieren (zusammengezogene Augenbrauen, Stirn gerunzelt mit vertikaler Falte,
zusammengekniffene Augen, deutliche Nasolabialfalte, verzogene Mundwinkel...), Motorik und
Sensorik (Schonhaltung, Ausweich- und Wegziehbewegungen, tretende Bewegungen,
Tonusveränderungen, verändertes Berührungsempfinden), vegetative Veränderungen (Schwitzen,
Schlafstörungen, Trinkstörungen)
Beispiele für Schmerzskalen (KUSS, Smiley-Skala, Schulnoten-Skala als Beispiel für eine
visuelle/numerische Analogskala, NIPS...)
Lernziele:
Die Studierenden sollen sich der ärztlichen Pflicht einer adäquaten Schmerztherapie in jedem Alter bewusst
sein.
Die Studierenden sollen einen Schmerzstufenplan für Kinder erstellen können (z.B. postoperative
Medikamentenanordnung). Sie sollen die fünf wichtigsten Analgetika, die in der Pädiatrie eingesetzt
werden, bezüglich Indikation, Anwendungsprinzip und Nebenwirkungen kennen und anwenden können.
Die Studierenden sollen Probleme in der Algesimetrie bei Patienten mit eingeschränkter
Kommunikationsfähigkeit (Neugeborene/Frühgeborene und behinderte Kinder) und wichtige Parameter
bzw. Methoden der Eigen- und Fremdbeobachtungs- und -beurteilungsverfahren benennen und erläutern
können.
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2. Schmerztherapie im Kindes- und Jugendalter
2.1. Allgemeines zur Schmerztherapie
„Die 10 goldenen Faustregeln der Schmerztherapie“
1.
Wenn der Patient sagt, er habe Schmerzen, dann hat er Schmerzen. Keinem Menschen dürfen
Schmerzen zugemutet werden, wenn diese behandelbar sind.
2. Eine Schmerzmessung sollte mehrmals täglich erfolgen. (standardisiert nach Skala, immer schriftliche
Dokumentation im Schmerzprotokoll)
3. Schmerztherapie nach Uhr und zusätzlich bei Bedarf (klare schriftliche Anordnungen geben, für
eventuelle Rückfragen muss ein ärztlicher Ansprechpartner benannt sein)
4. Gabe intravenös nur wenn oral erfolglos oder unmöglich, sowie immer bei stärksten Schmerzen. Bei
subkutaner oder intramuskulärer Gabe ist die Wirkung oft nicht gut kalkulierbar, da die Wirkung stark
von der Durchblutung der Applikationsorte abhängig ist, daher ungünstig. Intramuskuläre Injektionen
sind extrem schmerzhaft und sollten in der Pädiatrie keine Anwendung finden.
5. orale Anschlagszeit teils bis 60 Minuten, daher frühe Applikation
6. Sedativa sind keine Analgetika!
7. Regelmäßige und prophylaktische Therapie von Nebenwirkungen wie Übelkeit, Obstipation etc.
8. Bei Opioiden die Gesamtmenge des Bolus immer austitrieren (Gesamtdosis in mehreren Teilmengen
portioniert injizieren, also: die direkter Wirkung bestimmt die Gesamtmenge), Nicht-Opioide immer
gewichtsbezogen in empfohlenen Einzeldosen geben
9. bei Gabe von Opioiden
9.1 Keine Bolusgabe an ein schlafendes Kind
9.2 Opioide sind Analgetika, keine Sedativa oder Anxiolytika
9.3 Sauerstoffsättigungs-Monitoring ist die Mindestüberwachung für die ersten 24-48h im
Kindesalter
10. Vorsicht bei Opioidgabe und schon bestehender Atemstörung (v.a. wenn der Patient nicht intubiert ist)
!
! Merke
Der jeweils behandelnde Arzt ist verantwortlich für die Erstellung eines Konzeptes zur adäquaten
Schmerztherapie.
Neben der medikamentösen Therapie sind bei Kindern die
nicht-pharmakologischen Maßnahmen
(minimal handling, Ablenkungsstrategien, physikalische Techniken wie Massage, Einreibungen,
Vibrationstherapie, Atemtherapie, Teil- oder Ganzkörperwaschungen etc...) von entscheidender
Bedeutung.
Eine enge Einbeziehung der Eltern/Bezugspersonen bei allen therapeutischen Maßnahmen ist obligat
(tröstende Anwesenheit ist eine der wichtigsten Copingstrategien für Kinder! Für 99% der Kinder von
z.B. 9-12 Jahre bedeutet die Anwesenheit eines Elternteils „die Sache, die am meisten hilft“.
2.2. Schmerzmessung bei Kindern
Empfundene Schmerzen variieren sehr stark von Patient zu Patient, es gibt keinen typischen Schmerz
mit vorhersagbarer Stärke bei identischer Operation oder Prozedur. Die Bandbreite des
Schmerzmittelbedarfs ist dementsprechend individuell sehr unterschiedlich. Daraus ergibt sich die
Notwendigkeit einer guten Schmerzmessung als Grundlage einer adäquaten Therapie.
Schmerzstärke wird mittels altersentsprechender Skala ( s.u.) erfasst. Das jeweilige Verfahren muss für
die jeweilige Situation validierten sein (beachte Alter der Kinder: „Selbsteinschätzung möglich?“,
akuter Schmerz?, chronischer Schmerz?,...)
Schmerzmessung ist umso schwieriger, desto eingeschränkter die Kommunikationsmöglichkeiten der
Kinder sind (je junger, desto schwieriger)
Auch Schmerzmessung, d.h. die Anwendung von Schmerzskalen muss vom Durchführenden geübt
werden. Je geübter, desto besser die Aussagekraft der Schmerzmessung.
zudem werden 1- bis 8-stündlich (Abständen sind durch Arzt festzulegen) dokumentiert:
Sedationswert nach Ready-Score, Atemfrequenz/SaO2, Puls, Blutdruck, Nebenwirkungen der Therapie
und verbrauchte Bedarfsmedikation.
Dokumentation erfolgt durch die Pflege in einem speziellen Protokoll.
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Im Folgenden sind die Skalen zur Schmerzmessung aufgeführt, die momentan im deutschsprachigen Raum die
weiteste Anwendung finden (Abbildungen entnommen aus: „Schmerztherapie bei Kindern“ - Kitteltaschenkarte,
von Zernikow/Wamsler/Berrang,, erhältlich über www.schmerzen-bei-kindern.de). Auf die Schmerzmessung in
der Neonatologie und bei behinderten Kindern wird in den jeweiligen Kapiteln genauer eingegangen.
KUSS – Kindliche Unbehagen- und Schmerzskala nach Büttner (Universitätsklinik Bochum)
Postoperative Schmerzmessung (0-4 Jahre): Fremdbeurteilungsskala
Für jede Variable ist nur eine Aussage zulässig. Die Dauer der Beobachtung beträgt 15 Sekunde. Es sind nur die
Daten aus der Beobachtung festzuhalten, auch wenn sich das Verhalten des Kindes danach ändert. Wiederholte
Beobachtungen in festen Zeitabständen sind aussagekräftiger als eine Einzelbeobachtung. Zu jeder Beobachtung
gehört die Beurteilung des Wachheitsgrades.
Smiley-Analog-Skala (SAS), ab ca. 4. Lebensjahre, Eigenbeurteilungsskala
Die SAS ist sozusagen die „Mutter der visuellen Skalen“. In jüngerer Zeit wird gern die Nachfolgeversion von
Hicks et al. eingesetzt, da in Untersuchungen unter anderem gezeigt werden konnte, dass der Smiley mit den
Tränen eher mit Traurigkeit in Verbindung gebracht wurde und daher insbesondere von Jungen („Jungen weinen
nicht!“) auch bei stärksten Schmerzen selten gewählt wurde.
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Gesichter Skala ab ca. 4. Lebensjahr (Hicks et al. Pain 2001; 93: 173-83), Eigenbeurteilungsskala
Es werden Formulierungen wie „wehtun“ oder „Schmerzen“ gebraucht, je nachdem was zu dem jeweiligen Kind
am besten zu passen scheint. Beispiel: „Diese Gesichter zeigen, wie weh etwas tun kann. Dieses Gesicht (auf das
ganz links zeigen) zeigt, dass es gar nicht weh tut. Die anderen, dass es mehr weh tut (auf die Gesichter der
Reihe nach zeigen) bis zu diesem Gesicht (ganz rechts), das zeigt, dass es ganz stark weh tut. Zeig mir mal das
Gesicht, dass am besten zeigt, wie sehr es dir gerade weh tut.“
Vergeben werden die Punkte 0, 2, 4, 6, 8 oder 10 für die Gesichter von links nach rechts, so dass „0“ = „kein
Schmerz“ und „10“ = „sehr starker Schmerz“ bedeutet. Vermieden werden sollten Begriffe wie „traurig“ oder
„glücklich“ (man kann auch ohne Schmerzen traurig sein: Heimweh, etc...). Zu messen ist der Schmerzzustand
nicht der Gesichtsausdruck der Kinder.
Schulnotenskala (1-6) oder numerische Skala von 1-10
Bei Schulkindern und Jugendlichen können alternativ zur SAS einfache numerische Skalen angewendet werde.
Bei Gebrauch der Skalen entspricht 1 = sehr gut = keine Schmerzen und 6 (Schulnotenskala) bzw. 10
(numerische Skala) = ungenügend = sehr starke Schmerzen.
Als grobe Richtlinie für ein therapeutisches Handeln unter Anwendung der dargestellten Skalen kann folgende
Einteilung vorgenommen werden:
kein Handlungsbedarf besteht, wenn:
Smiley-Analog-Skala: Smily 1 oder 2
Fremdbestimmung (KUSS) und numerische Skala (1-10): Summe 0-3
Schulnotenskala Note 1 oder 2
Therapie nach Anordnung durch Pflege (plus ggf. Bedarfsmedikation), wenn:
Smiley-Analog-Skala: Smily 3 oder 4
Fremdbestimmung (KUSS) und numerische Skala (1-10): Summe 4-6
Schulnotenskala Note 3 oder 4
umgehend Info an behandelnden Arzt, wenn:
Smiley-Analog-Skala: Smily 5 oder 6
Fremdbestimmung (KUSS) und numerische Skala (1-10): Summe 7-10
Schulnotenskala Note 5 oder 6
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2.3. Stufenschema der Schmerztherapie nach der WHO
Jede adäquate Therapie orientiert sich am World Health Organization (WHO) -Stufenschema zur
Schmerztherapie (www.who.int/en/). Je nach Intensität, Qualität und Lokalisation der Schmerzen werden 3
Stufen unterschieden. Es handelt sich hierbei um eine personelle und medikamentöse Stufentherapie:
Leichte bis mittlere Schmerzen
Nicht-Opioide
Medikamente: Paracetamol, Ibuprofen/Diclofenac, Metamizol
Gabe der oralen Medikamente durch Pflegepersonal/Eltern, falls i.v.-Gabe dann bei Erstgabe immer durch Arzt
Mittlere bis starke Schmerzen
Mittelstarke Opioide in Kombination mit Nicht-Opioiden
Medikamente: Tramadol (+ Nicht-Opioide)
Opioidgabe oral durch Pflegepersonal/Eltern, falls Opioidgabe i.v. dann durch Arzt
Stärkste Schmerzen
Starke Opioide (in Kombination mit Nicht-Opioiden)
Medikamente: Morphin (oder andere starke Opioide) (+ Nicht-Opioide)
Opioidgabe oral durch Pflegepersonal/Eltern, falls Opioidgabe i.v. dann durch Arzt
Grundprinzipien diese Stufenschemas sind:
„by the ladder“ - Auswahl und Kombinatikon der Medikamente nach o.g. Schema, jedoch gilt: Ein Kind mit
stärksten Schmerzen muss sich nicht erst die Schmerzstufen „hochleiden“
„by the clock“ - festes zeitliches Therapieschema wird durch Bedarfsmedikation zur Behandlung von
Durchbruchsschmerzen ergänzt.
„by the mouth or most appropriate“ - die Applikation erfolgt möglichst wenig invasiv, wenn möglich oral
„by the child“ – die Therapie orientiert sich individuell am Kind
!
! Merke
1. insbesondere bei mittleren und starken Schmerzen ist eine Kombination von Opioid mit Nicht-Opioiden sehr
effektiv. Bei stärksten Schmerzen bringt eine zusätzliche Gabe von Nicht-Opioiden meist eine nur geringe
zusätzliche Schmerzlinderung. Auch stärkste Schmerzen können in den meisten Fällen suffizient oral behandelt
werden.
2. Die nicht pharmakologischen Maßnahmen sollen von Beginn an in die Therapie mit einbezogen werden, denn
z.B. sind Angst und Einsamkeit wichtige psychische Faktoren, die das Schmerzempfinden stark beeinflussen.
Mögliche nicht pharmakologischen Maßnahmen sind:
Wärme- oder Kälteapplikation
behutsame, Halt gebende Lagerung
Massage oder vorsichtige krankengymnastische Maßnahmen
Hypnose, Traumreisen, Lieblingsmusik hören
Relaxationstechniken, Biofeedback
Arbeit mit Symbolik und Bildern (integrative Methoden)
TENS (transkutane Nervenstimulation), Akupressur
3. Auch Koanalgetika (Spasmolytika, Antikonvulsiva, Antidepressiva) finden in der Pädiatrie gezielt als
Zusatzmedikation ihren Einsatz. Die Therapie erfordert Erfahrung und sollte daher in Rücksprache mit einem
ausgebildeten Schmerztherapeuten durchgeführt werden.
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2.4. Periphere Analgetika
Siehe Tabellenanhang 4.2.: Übersicht zu Paracetamol, Ibuprofen, Diclofenac, Metamizol.
Da es immer wieder zu Diskussionen bezüglich des Einsatzes von Metamizol (Novalgin®) gibt, hier einige
zusätzliche Informationen zum immer wieder beschriebenen Agranylozytoserisiko:
Risikoeinschätzung nach der IAAS (International Agranylocytosis and Aplasic Anaemia Study) von
1986: 9 Fälle von Agranylozytose auf 1 Mio. Verschreibungen bei Erwachsenen (The International
Agranylocytosis and Aplastic Anaemia Study Group (1986): Risks of agranylocytosis and aplastic
anaemia: a first report of their relation to drug use with special reference to anagesics. JAMA (40),
1073-85)
Neuere Daten von 2002 zeigen ein wahrscheinlich höheres Risiko: 1 auf 1431 Fälle, also ca. 500 Fälle
auf 1 Mio. Verschreibungen bei Erwachsenen (Hedenmalm K., Spigset O. (2002): Agranylocytosis and
other blood dyscrasias assiciated with dipyrone (metamizol). Eur. J. Clin. Pharmacol. (58), 265-274)
Eine genaue Quantifizierung des absoluten Risikos einer
Agranylozytose ist zum gegenwärtigen
Zeitpunkt nach vorliegender Datenlage nicht möglich. (Edwards J.E., Quay, H.J. (2002): Dipyrone and
agranylocytosis: what is the risk?, The Lancet (360), 1438.)
Über das Agranylozytoserisiko bei Anwendung von Metamizol im Kindesalter gibt es keine validen
Daten. Es existieren einzelne Case-reports, aber keine systematischen Studien. Wahrscheinlich erhöht
Metamizol im Kindesalter nur bei hochdosierter und längerfristiger Gabe (insbesondere bei parenteraler
Gabe) das Risiko für das Auftreten einer Agranylozytose.
Fazit: Metamizol ist ein sehr gut wirksames peripheres Analgetikum und wird mit langjähriger positiver
Erfahrung in der Kinderheilkunde in der postoperativen und vor allem onkologischen Schmerztherapie
eingesetzt. Eine adäquate Schmerztherapie kann gegebenenfalls auch ohne Metamizol durchgeführt
werden (vergleiche angloamerikanischer Raum wo nahezu kein Metamizol eingesetzt wird). Der
Einsatz sollte immer unter einer sorgfältigen Nutzen-Risiko-Abwägung erfolgen. Bei Polyallergikern
und Asthmatikern sollte eine alternative Medikation zur Anwendung kommen.
2.5 EMLA „Eutetic Mixture of Local Anesthetics“
EMLA-Creme enthält Lidocain und Prilocain (jeweils 25mg/1000mg). Die Lokalanästhetika durchdringen unter
einem Okklusionsverband die Haut und blockieren an der Zellmembran die Na-Kanäle, dadurch kommt es
zur Verhinderung eines Aktionspotentials. Die analgetische Wirkung bei Venenpunktion, i.m.-Injektion und
Lumbalpunktion ist ab dem 3. Lebensmonat gut belegt (insgesamt an 500 Probanden im Alter von 5-18 Jahre
in verschiedenen Studien). Die Anwendung vor nahezu allen Nadelstichverletzungen der Haut ist effektiv
und sinnvoll. Für eine optimale Wirkung sollten folgende pharmakologische Eigenschaften beachtet werden:
!
! Merke
Die Dauer der Applikation sollte 60-120min betragen, denn Einwirkzeit und Tiefe der Hautanästhesie
sind positiv korreliert (2 Stunden ca. 5-6mm).
Die anästhetische Wirkung hält über Stunden an und erreicht nach einer Latenz von 30-60 Minuten nach
Entfernen der Creme ihren Höhepunkt.
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2.6. Allgemeines zum Gebrauch von Opioiden
Vor der i.v.-Gabe von Opioiden Kinder auf Nebenwirkungen vorbereiten (leichtes Brennen bei
Applikation, Schwindel, verschwommenes Sehen, „komisches Gefühl im Bauch“)
i.v. Bolusgaben immer langsam und verdünnt injizieren (Konzentration z.B.: 1mg Morphin auf
mindestens 1-2ml Lösung mit NaCl 0,9%), dabei auf das Kind achten, während der Gabe nach Wirkung
fragen (Nachlassen der Schmerzen).
Austitrieren der Bolusmenge: Falls 10 Minuten nach Gabe des ersten Bolus keine deutliche Besserung
des Schmerzzustandes eintritt, wird eine zweite Bolusgabe langsam injiziert. Eine erneute Beurteilung
erfolgt wiederum nach 10 Minuten, bei weiter starken Schmerzen erfolgt eine dritte Bolusgabe, usw.
Die individuelle Gesamtdosis wird so vorsichtig bis zur deutlichen Schmerzminderung oder zum
Auftreten von akuten Nebenwirkungen (beginnende Atemdepression, arterielle Hypotonie, etc.)
austitriert. Beim Austitrieren des Bolus gibt es keine Maximaldosis im eigentlichen Sinne. Es wird am
Effekt titriert, frei nach dem WYNIWYG-Prinzip (What you need is what you get).
Nach jeder i.v.-Opioidgabe mindestens 10-15 Minuten beim Kind bleiben.
Bei Langzeittherapie: Schon zu Therapiebeginn an regelmäßige und prophylaktische Therapie von
Nebenwirkungen wie Obstipation, Übelkeit denken! (Medikation Antiemetika und Laxantien siehe
Tabellenanhang)
Im Kindesalter ist ein Sauerstoffsättigungs-Monitoring die Standardüberwachung für die ersten 24-48h
!
! Merke Bei längerem Morphingebrauch (kontinuierliche Gabe länger 5-7 Tage) muss zur Vermeidung
einer körperlichen Entzugssymptomatik (keine psychische Abhängigkeit!) ein behutsames
Ausschleichen über mehrere Tage erfolgen.
2.7 FAQs zur Opioidtherapie
Wahl des Opioids - Wann brauche ich Morphin, wann reicht Tramadol?
zu Therapiebeginn bei starken Schmerzen Titration von Tramadol i.v. wie folgt: Gabe eines Einzelbolus,
nach 10 Minuten bei ausbleibender Schmerzreduktion erneute Gabe, maximal 3 Gaben!
falls 10 Minuten nach der 3. Bolusgabe weiterhin Schmerzen bestehen, ist ein Wechsel auf Morphin
notwendig.
Opioiddauerinfusionen - Wann? Wie?
Faustregel: Indikation besteht, falls erwartete Schmerzen >24 h
Falls notwendig: Dosierung regelmäßig nach Schmerzprotokoll angleichen, erste Anpassung 2-4h nach
Therapiebeginn
obligates Sauerstoffsättigungs-Monitoring über 24h (-48h), dann 2-6 stündliche Überwachung durch
Pflege (Atemfrequenz, Blutdruck, Befinden)
Naloxon als Antidot bereithalten
Wie beginne ich eine Opioiddauertherapie?
Die Wirkung einer Opioidtherapie in Dauerinfusionsdosierung tritt frühestens 2-4 Stunden nach
Infusionsbeginn ein, daher gilt: Eine Opioidtherapie bei schon bestehenden Schmerzen muss immer mit
austitriertem Bolus bis zu befriedigender Schmerzreduktion beginnen, danach Dauerinfusion nach Schema
starten.
!
! Merke Falls Start der Dauertherapie post-operativ, im OP-Protokoll nachsehen, wann die letzte
Opiatgabe erfolgte, um Überdosierung zu vermeiden.
Schmerzdurchbruch während Dauerinfusionstherapie – Wie geht das?
Meist notwendig bei „ accidental pain“ (Umlagern, Physiotherapie, etc.), dann Bolusgabe ( einmalige
Gabe der aktuellen Stundendosis, kein erneuter Anfangsbolus!) als Zusatz zur aktuellen
Ruheschmerztherapie, Wirkung für ca. 4-6h.
Falls der Patient wiederholt über Schmerzen (insbesondere in Ruhe) klagt und eine wiederholte
Bolusgabe notwendig ist, ist die aktuelle Ruheschmerztherapie nicht ausreichend, es sollte nun die
Dauerinfusionsmenge wie folgt erhöht werden:
Prinzip: Aufaddieren des
Zusatzanalgetikabedarfs auf die Tagesgesamtmenge. Die zusätzliche
Tagesanalgetikamenge errechnet sich aus der zuletzt benötigten Bolusmenge (i.d.R. die aktuelle
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Stundenmenge der Dauerinfusion) multipliziert mit 4 (Bolusmenge ausreichend für ca. 6h, also die 4fache Menge für 24h Stunden). Diese Menge wird zur aktuellen Tagesdosis addieren und die
Dauerinfusion dementsprechend erhöht.
Patientenkontrollierte Analgesie (PCA, Schmerzpumpe) – Ist das bei Kindern möglich?
Opiatpumpe mit Basisrate, zusätzliche Bolusabgabe wird bei Bedarf durch Patient ausgelöst
Einsatz sinnvoll ab „ Gameboy“-Alter (jedes Kind, das einen Gamebay benutzten kann, kann i.d.R. auch
eine PCA-Pumpe bedienen)
insbesondere postoperativ und bei onkologischen Schmerzpatienten gut einsetzbar
Nebenwirkungen der Opiodtherapie – Welche Behandlungsstrategien gibt es?
Das Nebenwirkungsprofil einzelner Opioide kann beim individuellen Patienten äußerst verschieden sein.
Betrachtet man jedoch ein großes Patientenkollektiv, unterscheiden sich die einzelnen Opiate hinsichtlich
Art und Ausmaß der Nebenwirkungen kaum. Obstipation ist die häufigste und klinisch bedeutsamste
Nebenwirkung einer Opioidtherapie in der Kinderonkologie. Übelkeit spielt vor allem bei älteren Kindern
und Jugendlichen in der ersten Woche der Therapie eine wichtige Rolle, dann kommt es typischerweise zu
einer Toleranzentwicklung gegen die emetische Wirkung. Seltener treten Juckreiz, Harnverhalt und
Atemdepression (meist. nur bei schneller i.v.-Gabe zur akuten Schmerztherapie) auf. Es existieren
prinzipiell 4 Methoden zur Minimierung der Nebenwirkungen, die nach der Methode „Versuch und Irrtum“
ausprobiert werden müssen:
1.
2.
3.
4.
symptomatische (propyhylatkische) Therapie (siehe Anhang)
Wechsel des Applikationsweges
Wechsel des Opioids
Dosisreduktion
Einige Studien deuten auf eine mögliche Reduktion der Nebenwirkungen unter Morphindauerinfusion (z.B. bei
PCA-Pumpen) durch parallele Dauerinfusion von Naloxon (Narcanti®) in extrem niedriger Dosierung (0,000250,0005mg/kg/h) hin.
Opiatentzug – Wie kann ich vorbeugen?
Falls Opioidgabe länger 7 Tage, immer langsames Ausschleichen!
Am Beispiel von Morphin:
alle 12h Reduktion (z.B. 50-40-30-20!g/kg/h i.v.), bis 20!g/kg/h erreicht sind, dann
alle 12h Reduktion um 10% bis 10!g/kg/h erreicht sind
ggf. additiv Einsatz von Clonidon (ab 6. Lebensmonat zugelassen) oder Phenobarbital
Analgo-Sedierung mit Opioid in Kombination mit Sedativum – Was sollte ich beachten?
Bei spezieller Indikation (Wundversorgung, Verbandswechsel,...) ist neben der Analgesie häufig eine zusätzliche
Sedierung (mit z.B. Midazolam oder Propofol) sinnvoll und notwendig. In diesem Fall werden folgende
Voraussetzungen gefordert:
Durchführung durch Pädiatrie oder Anästhesie.
Aufklärung und sorgfältige Protokollierung.
Bei allen Sedierungsformen sollten die „präoperativen Nüchternheitsregeln“ gelten.
Alter
<6 Monate
<3 Jahre
>3 Jahre
Milchprodukte / MM
4h
6h
-
Feste Nahrung
6h
6-8 h
Klare Flüssigkeit
2h
2h
2h
wenn möglich auf Station, OP/Aufwachstation, „Überwachungssetting“
mit erfahrener Kinderkrankenschwester/Anästhesieschwester
Beatmungsbeutel mit passender Maske in Bereitschaft (O2-Abschluss!)
Antidote bereithalten (Dosierung siehe Tabellenanhang):
Opiate - Naloxon (Narcanti®), Midazolam - Flumazenil (Anexate®)
danach Sauerstoffsättigungs-Monitoring bis das Kind „ausgeschlafen“ ist!
!
! Merke Kontraindikation für zusätzliche Sedierung: schlechter Allgemeinzustand, Sepsis, etc.
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2.8. Schmerztherapie bei Kindern mit schwerer Mehrfachbehinderung
(zusammengestellt nach einem Vortrag von Boris Zernikow, gehalten im Rahmen der 99. Jahrestagung der
Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin, September 2003, Bonn)
Kinder mit schwerer Mehrfachbehinderung nehmen aufgrund der Chronizität ihrer Grunderkrankung und ihrer
eingeschränkten Kommunikation eine Sonderstellung in der Schmerztherapie ein. Das Erkennen und
Quantifizieren von Schmerzen ist ein mindestens so großes Problem wie deren Behandlung. Doch auch hier gilt:
Je weniger Schmerzmessung, desto weniger Analgesie. Aufgrund ihrer „bunten“ Krankheitsbilder ist eine
genaue Untersuchung mittels Studien vergleichsweise schwieriger als bei nicht behinderten Kindern. Es liegen
zu Zeit keine Evidenzbasierten Leitlinien vor. Alte und neue Analgetika sind bei diesem Patientengut bisher
nicht gut validiert.
Kinder mit schwerer Mehrfachbehinderung sind krankheitsbedingt gehäuft Schmerzen ausgesetzt, denn:
Sie haben medizinische Probleme, die schmerzhaft sind (Kontrakturen, Gelenksluxationen,...)
Sie müssen häufig schmerzhafte Prozeduren ertragen (Injektionen, tracheales Absaugen, Legen von
Magensonden, Umlagerungen ...)
Meist erfolgt keine adäquate Reaktion auf diese Schmerzzustände, denn:
Oft ist es schwierig, Schmerzäußerungen von alltäglichen Verhaltensmustern wie Wimmern, Stöhnen,
etc. zu differenzieren
Typische Verhaltenseränderungen bei Schmerzzuständen wie Änderungen im Schlaf-/Spiel/Essverhalten sind äußerst schwierig zu identifizieren
Bei Kindern mit schwerer Mehrfachbehinderung wird häufig fatalistisch davon ausgegangen, dass
aufgrund der zugrunde liegenden Erkrankungen trotz intensiver Bemühungen keine für die Kinder
befriedigende Situation erreicht werden kann
Offensichtliche Schmerzzustände wie Operationen oder Blutentnahmen sind relativ einfach zu erkennen und
bedürfen einer Behandlung wie bei nicht behinderten Kindern. Eine besondere Bedeutung kommt aber den nichtoffensichtlichen Schmerzzuständen zu. Hier sind die häufigsten Ursachen in folgenden Bereichen zu anzufinden:
Gastrointestinal (Gastroösophagealer Reflux, intestinales Ulcus, Obstipation, Meteorismus,
Zähnschmerzen...), ca. 51% aller Schmerzzustände bei Kindern mit Mehrfachbehinderung
Bewegungsapparat (Kontraktur, Frakturen durch Unfälle oder muskuläre Spastik, Hüftluxation,
Rückenschmerzen bei Skoliose, pathologische Frakturen bei Osteoporose...), ca. 48% aller
Schmerzzustände bei Kindern mit Mehrfachbehinderung
Andere: Nervensystem (Migräne, Krampfanfälle, Spastik,...), ableitende Harnwege
(Harnwegsinfektion, Steine in Nieren oder ableitenden Harnwegen,...), psychosozial (Ängste,...), ca. 1%
aller Schmerzzustände bei Kindern mit Mehrfachbehinderung
Studien zeigen, dass derzeit eine allgemeine schmerztherapeutische Unterversorgung bei behinderten Kindern
vorliegt. So erhalten Kinder mit Mehrfachbehinderung beispielsweise postoperativ weniger Opioide als nicht
behinderte Kinder bei gleichen Eingriffen. Je stärker die Mehfachbehinderung ausgeprägt ist (also je
eingeschränkter die Kommunikationsfähigkeit des Kindes), umso weniger Opioide werden eingesetzt. Zudem ist
ein Großteil aller Kinder mit nicht-onkologischen lebenslimitierenden Erkrankungen zum Lebensende
analgetisch unterversorgt. Untersuchungen lassen darauf schließen, dass mehr als die Hälfte der behinderten
Kinder mindestens einmal pro Tag akute Schmerzen haben, davon in wahrscheinlich mehr als 50% von
moderater bis schwerer Intensität. Circa 80% aller Behinderter leiden an chronischen Schmerzen, ein Großteil
der Kinder ist aufgrund dieser Schmerzen in den Aktivitäten des täglichen Lebens (Waschen, Essen, Schlafen,...)
deutlich eingeschränkt.
Die absolute Voraussetzung für eine adäquate Schmerztherapie bei Kindern mit Mehrfachbehinderung ist das
genaue Kennen lernen der Kinder und Erfassen ihrer Behinderung. In enger Zusammenarbeit mit den Eltern und
dem betreuenden Pflegepersonal müssen Kommunikation, Motorik, Wahrnehmung, Sozialverhalten und
emotionales Verhalten der Kinder erlernt werden. Insbesondere muss versucht werden, die individuellen
Äußerungen bei Schmerzzuständen zu erfassen. Dass bedeutet, für jedes Kind müssen individuelle
Schmerzzeichen definiert werden. Es gibt Bemühungen, standardisierte Schmerzmessskalen für spezielle
Untergruppen von Kindern mit Mehrfachbehinderung zu entwickeln (zum Beispiel speziell für Kinder mit
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Q13 „Schmerztherapie“ / Skript 1.5: Schmerztherapie in der Pädiatrie. L. Garten
Zerebralparese). Jedoch wiesen fast alle bisherigen Versuche Defizite auf und waren daher nur eingeschränkt
einsetzbar.
Eine derzeit häufig eingesetzte und gut validierte 20-Punkte-Schmerzskala für den Einsatz bei nichtmitteilungsfähigen Kindern wurde von der Gruppe um Dr. Anne Hunt (RCN Institute, Oxford,
www.ppprofile.org.uk) entwickelt (Hunt A et al.: Clinical validation of the paediatric pain profile. Dev Med
Child Neurol.2004;46(1):9-18.). Bei dieser Skala ist eine gewisse Anpassung der cut-off-Werte für das
individuelle Kind notwendig. Nach Festlegung dieses persönlichen Cut-offs ist dann eine gute Einschätzung von
Schmerzverläufen und der Wirkung von schmerzlindernden Maßnahmen/Medikamenten möglich. Nach der
ersten Validierung im Rahmen einer Studie wird die Skala aktuell im Einsatz in der täglichen Routine getestet.
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Q13 „Schmerztherapie“ / Skript 1.5: Schmerztherapie in der Pädiatrie. L. Garten
Die nicht-medikamentösen und medikamentösen Maßnahmen zur Schmerzreduktion bei Kindern mit
Mehrfachbehinderung unterscheiden sich im Wesentlichen nicht von denen bei nicht-behinderten Kindern.
Zusätzlich spielen funktionsverbessernde und mögliche schmerzreduzierende Operationen eine wichtige Rolle in
der Betreuung.
Fazit
Kinder mit Mehrfachbehinderung weisen ein großes Spektrum in Pathophysiologie und Ätiologie von
Schmerzen auf. Durch die eingeschränkte Kommunikationsfähigkeit ist eine Erfassung von Schmerzzuständen
deutlich erschwert. Behinderte leiden im Vergleich zu nicht behinderten Kindern wesentlich häufiger an
Schmerzen und der Bedarf an einer adäquaten Schmerztherapie ist groß. Gegenwärtig muss die
schmerztherapeutische Betreuung von behinderten Kindern als mangelhaft bewertet werden. Es liegen zurzeit
keine evidenzbasierten Leitlinien für das Management von Schmerzen bei behinderten Kindern vor, eine
Validierung alter und neuer Analgetika steht ebenfalls aus. Erste Schmerzskalen zur Erfassung von Schmerzen
bei behinderten Kindern werden nach erster Validierung nun im alltäglichen Einsatz untersucht.
2.9. Literatur Pädiatrie
Schmerztherapie bei Kindern, 3. Auflage, B. Zernikow, Springer Verlag, Berlin, 2005.
(nach Kriterien der evidence-based-medicine, umfangreiche Angaben zu aktueller Primärliteratur)
Chronischer Schmerz bei Kindern und Jugendlichen, R. Frank, Hans Marseille Verlag GmbH München,
2001
Cancer pain relief and palliative care in children, WHO, (www.who.int/en/).
Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Fachgesellschaften (AWMF) Leitlinien: Perioperative und
posttraumatische Schmerzen unter: www.uni-duesseldorf.de/WWW/AWMF/
www.schmerzenbeikindern.de
Monatsschrift Kinderheilkunde, Band 154, Heft 8, August 2006, Leitthema: Schmerztherapie.
(www.MonatsschriftKinderheilkunde.de)
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Q13 „Schmerztherapie“ / Skript 1.5: Schmerztherapie in der Pädiatrie. L. Garten
3. Analgesie in der Neonatologie
3.1. Einleitung
Schon in den ersten Wochen des Lebens machen Neugeborenen schmerzhafte Erfahrungen z.B. bei
Blutentnahmen oder Impfungen. Kranke Neugeborene oder Frühgeborene werden wiederholt und über einen
längeren Zeitraum durch diagnostische, chirurgische oder andere therapeutische Maßnahmen Schmerzen
ausgesetzt. Kritisch kranke Neugeborene auf Intensivstationen müssen täglich 10-20 Prozeduren wie
Blutentnahmen, endotracheales Absaugen o.ä. über sich ergehen lassen - ein erhebliches Maß an Stress und
Schmerzen. Dass Kinder dieser Altersgruppe zur Nozizeption fähig sind, ist schon länger bekannt; bereits mit 24
Schwangerschaftswochen Gestationsalter sind die neurophysiologischen Komponenten der Schmerzleitung
weitestgehend vorhanden. Seit 2006 gibt es den indirekten Nachweis für eine kortikale Schmerzverarbeitung im
ZNS. Schmerzen sind in der Neonatologie nicht folgenlos: Neugeborene zeigen akute klinisch relevante
hormonelle, metabolische und kardiovaskuläre Reaktionen auf Schmerzreize. Nach wiederholten schmerzhaften
Eingriffen können insbesondere bei Frühgeborenen Sensibilisierungsphänomene auftreten: auch
nichtschmerzhafte Reize können dann Schmerzreaktionen hervorrufen (Allodynie). Es häufen sich aktuell
Hinweise aus Tierexperimenten, dass Schmerzerfahrungen in der Neugeborenenperiode die Schmerzsensitivität
bis in das Erwachsenenalter beeinflussen und negative Langzeitauswirkungen in den Bereichen Emotion,
Verhalten und Lernfähigkeit haben.
Und dennoch: Schmerzmanagement (nicht-pharmakologischen und pharmakologischen Maßnahmen) bei
Neugeborenen wird immer noch zurückhaltend durchgeführt, unter anderem bedingt durch fehlendes
Bewusstsein bei medizinischem Personal oder durch Angst vor möglichen Nebenwirkungen insbesondere der
pharmakologischen Analgesie. Zudem erschwert eine häufig unzureichende Studienlage nach Evidenz-basierten
Kriterien dem Kliniker den bedenkenlosen Einsatz verschiedener Analgetika bei Früh- und Neugeborenen.
Wichtige Anmerkungen bezüglich Prävention und Therapie von Schmerzen im Neugeborenenalter
Wenn eine medizinische Prozedur bei einem Erwachsenen schmerzhaft ist, so sollte man davon ausgehen,
dass sie auch bei einem Neugeborenen schmerzhaft ist.
Schmerz bei Neugeborenen wird häufig nicht erkannt, unterschätzt und untertherapiert. Bei prozeduraler
(Blutentnahme, Lumbalpunktion, Blasenpunktion,...) und andauernder Schmerzen (postoperativ,
Peritonitis,...) sollten stets nichtpharmakologischen Maßnahmen wie Nuckeln, Summen, basale Stimulation
etc. und ggf. eine zusätzliche pharmakologische Analgesie zur Anwendung kommen.
Es ist eine allgemeine Stressreduktion auf jeder peripheren und Intensivstation anzustreben.
Eine adäquate Schmerztherapie bei diagnostischen oder therapeutischen Interventionen führt zu einer
verminderten postinterventionellen Komplikationsrate (Sepsis, kardiovaskuläre Kompolikationen, DIC,
metabolische Azidose...) und Mortalität.
Sedierung bewirkt auch bei Neugeborenen keine adäquate Analgesie und verschleiert die Schmerzäußerungen
des Kindes und verhindert somit möglicherweise eine notwendige Schmerztherapie.
Die Verantwortung für eine adäquate Schmerztherapie obliegt auch in der Neonatologie dem behandelnden
Arzt. Aufgabe der Pflege ist insbesondere die Durchführung der nicht-pharmakologischen Maßnahmen, die
Dokumentation sowie Mitteilung von Schmerzmessung, Wirkung und möglichen Nebenwirkungen der
Schmerztherapie.
Bei der Schmerzbekämpfung ist ein systematisches Vorgehen anzuraten: a. Erkennen der Schmerzursache, b.
Abschätzen der Schmerzstärke und c. Schmerztherapie. Wenn möglich sollten schon im Vorfeld Schmerzen
vermieden werden (Blutentnahmen zusammenziehen, jede Indikation für eine schmerzvolle Intervention
genau bedenken, Alternativen suchen,...). Schmerzvermeidung hat Vorrang vor Schmerzminderung und
–bekämpfung.
Beurteilung von Schmerz in der Neonatalperiode
In der Neonatologie gilt wie in jeder anderen Altersklasse: Jegliche rationale Schmerztherapie steht und fällt mit
einer ordentlichen Schmerzmessung, um ein adäquates Analgesieverfahren anzuraten und die Therapie am
Effekt zu titrieren und beurteilen zu können.
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Q13 „Schmerztherapie“ / Skript 1.5: Schmerztherapie in der Pädiatrie. L. Garten
Kritisch kranke und frühgeborene Kinder zeigen nur geringe Verhaltensänderungen auf Schmerzreize und
bedürfen daher einer detaillierten Beurteilung mithilfe standardisierter und auf den entsprechenden Reifegrad der
Neugeborenen zugeschnittener Fremdbeurteilungsskalen, mit zunehmendem Alter nimmt die Vielfalt der
Schmerzäußerungen dann zu. Aus schmerztherapeutischer Sicht scheint es sinnvoll, zusammen mit den
Vitalparametern alle 4-6 Stunden eine Schmerzmessung bei kranken Neu- oder Frühgeborenen durchzuführen.
Es kann zudem eine Schmerzmessung nach jeder potentiell schmerzhaften Prozedur und anschließend eine
Beurteilung des Effektes der analgetischen Maßnahmen durchgeführt werden. Es empfiehlt sich die Anwendung
standardisierter Beurteilungsmethoden, deren Validität und klinische Anwendbarkeit bestmöglich nachgewiesen
ist. Schmerzbeurteilung muss eine höchstmögliche Sensitivität und Spezifität für das jeweilige Gestationsalter
und die Schmerzart (akut, wiederholt, chronisch) aufweisen.
Die Zuverlässigkeit neonataler Schmerzscores wird gegenwärtig kontrovers beurteilt. In einem Review von
Duhn und Medves wurden 35 gebräuchliche Schmerzbeurteilungsverfahren für die Neonatalperiode evaluiert.
Keine der Meßmethoden für das Neugeborenenalter erfüllte alle Kriterien einer idealen Beurteilung. Bei dem
Gebrauch egal welcher Schmerzmeßmethode sollte sich der Therapeut daher immer der eingeschränkten
Zuverlässigkeit der gewählten Methoden bewusst sein. In Studien getestete multidimensionale (unter
Berücksichtigung physiologische und verhaltensbezogene Meßparemeter) Protokolle sind zu bevorzugen, das
Ergebnis der Schmerzmessung unbedingt im klinischen Zusammenhang zu werten.
Mögliche Parameter der Schmerzbeurteilung sind: Vitalparameter (Bradykardie, Tachykardie, Bradypnoe,
Tachypnoe, Blutdruckveränderungen, SaO2-Veränderungen), Schmerzvokalisation (Schreien, Weinen,
Wimmern), Grimassieren (zusammengezogene Augenbrauen, Stirn gerunzelt mit vertikaler Falte,
zusammengekniffene Augen, deutliche Nasolabialfalte, verzogene Mundwinkel...), Motorik und Sensorik
(Schonhaltung, Ausweich- und Wegziehbewegungen, tretende Bewegungen, Tonusveränderungen, verändertes
Berührungsempfinden), vegetative Veränderungen (Schwitzen, Schlafstörungen, Trinkstörungen)
Ein Beispiel eines multidimensionalen Protokolls:
NIPS (Neonatal Infant Pain Scale) für nichtbeatmete Früh- und Neugeborene:
Gesichtsausdruck
Weinen/Schreien
0
entspannt
kein Schreien, ruhig
Atmungsmuster
entspannt, Eupnoe
Arm- und Beinbewegung
entspannt
Wachheit/
Aufmerksamkeit
ruhig schlafend oder
wach/aufmerksam
1
Grimassieren, angespannt
Wimmern, leichtes
Stöhnen
Tachypnoe, Dyspnoe,
vermehrte Apnoen
angespannt
gestreckt/gebeugt
unruhig/irritiert
2
Kraftvolles
Schreien/Weinen
Prozedurale vs. andauernde Schmerzen
Man unterscheidet akute (in der Regel prozedurale, Blutentnahme, Lumbalpunktion,...) und chronische
Schmerzen (postoperativ, Peritonitis,...). Im klinischen Alltag wird besonders der Behandlung akuter
Schmerzzustände Aufmerksamkeit geschenkt. Jedoch müssen natürlich beide Schmerzentitäten adäquat
behandelt werden. Es gibt Hinweise, dass andauernde Schmerzen und Missempfindungen im Vergleich zu
akuten Ereignissen wahrscheinlich sogar eine größere biologische Bedeutung haben.
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Q13 „Schmerztherapie“ / Skript 1.5: Schmerztherapie in der Pädiatrie. L. Garten
Behandlungsmöglichkeiten bei prozeduralen Schmerzen (Blutentnahme, Lumbalpunktion,...)
Wiegen, Lagerung, Hautkontakt
Zuckerlösung oral
EMLA (eutektische Mischung aus Lokalanästhetika)
Wiegen, angenehme Lagerung, Hautkontakt, nicht-nutritives Saugen, multisensorische Stimulation
Für die o.g. nicht-pharmakologische Maßnahmen wurde bereits in vielen Studien ein guter bis sehr guter
analgetischer Effekt nachgeweisen. Die Nebenwirkungsrate ist vernachlässigbar gering.
Beurteilung: empfohlen
Saccharose/Glucose
Nach einem Cochrane Review von 2004 vermag die Gabe von Saccharose die Schmerzreaktion Neugeborener
auf Schmerzreiz wie Venenpunktion und Lanzettenstich signifikant zu reduzieren. Eine endgültige
Dosisempfehlung kann bei derzeitiger Datenlage nicht gegeben werden, gebräuchlich sind z. B. Dosierungen
von Saccharose mit 0,012-0,12g pro Einzelgabe. Auch die wiederholte Anwendung ist sicher und effektiv, es
wurde bis dato keine Toleranzentwicklung nachgewiesen.
Beurteilung: empfohlen
EMLA (eutectic mixture of local anaesthetics)
Bei EMLA-Creme Applikation konnte eine analgetische Wirkung bei Venenpunktion, i.m.-Injektion und
Lumbalpunktion ab dem 3. Lebensmonat nachgewiesen werden. Bei Venenpunktion Neugeborenen war der
Effekt nur moderat. Keine Wirksamkeit nachgewiesen für Lanzettenpunktion. Der bei Frühgeborenen gesehene
Anstieg von Meth-Hämoglobin ist bei einer Einzeldosis irrelevant, EMLA sollte allerdings nicht mit anderen
potentiellen Meth-Hb-Bildnern (Paracetamol, Sufonamide, Phenytoin,...) verabreicht werden, insbesondere nicht
unter dem 3. Lebensmonat. Für den Einsatz bei Frühgeborenen ist EMLA nicht zugelassen und erfolgt daher im
Off-lable use.
Beurteilung: Versuch sinnvoll
„Darf das Kind nicht mal ein Paracetamolzäpfchen gegen die Schmerzen bekommen?“
Im Gegensatz zu älteren Kindern und Säuglingen scheint der Einsatz peripher wirksamer, systemischer
Analgetika physiologisch bedingt in der Neonatalzeit nicht sinnvoll. Es gibt derzeit keine prospektive und
randomisierte Doppelblindstudie die einen signifikanten analgetischen Effekt von Paracetamol in Bezug auf
prozedurale oder andauernde Schmerzen nachweisen konnte. Auch für andere periphere Analgetika, wie z.B.
Cyclooxygenasehemmer, liegen keine Studien bezüglich einer analgetischer Wirkung im Neugeborenenalter vor.
Beurteilung: bei gegenwärtiger Studienlage wahrscheinlich nicht sinnvoll
Behandlungsmöglichkeiten bei starken und/oder andauernden Schmerzen (Peritonitis,
postoperativ,...)
Opioide
Eine sichere Analgesie bei starken Schmerzen (postoperativ, Peritonitis,...) in der Neonatalperiode insbesondere
bei Frühgeborenen ist derzeit ausschließlich mit einem zentral wirksamen Opioid zu erreichen. Unumstrittene
Indikationen für den Einsatz von Opioiden sind: starker Akutschmerz, postoperativer Schmerz und
Sterbebegleitung. Eine routinemäßige Analgesie beatmeter Neu- und Frühgeborener ist in der Regel nicht
indiziert. Für Morphin konnte bisher in Langzeituntersuchungen (5-6 Jahre) kein negativer Effekt auf die
Entwicklung der behandelten Kinder aufgezeigt werden. Im Gegenteil, unter Opioiden kommt es zu
vermindertem Katabolismus und Umlenkung der Energieflüsse in Richtung Wachstum und Heilung. Opioide
tragen positiv zur Stabilisierung kritisch kranker Frühgeborener bei, sie mildern den hormonellen und
metabolischen Operationsstress bei Früh- und Neugeborenen.
!
!
Merke Bei längerem Morphingebrauch (kontinuierliche Gabe länger 5-7 Tage) muss zur Vermeidung einer
körperlichen Entzugssymptomatik ein behutsames Ausschleichen (ggf. über 7-14 Tage) erfolgen.
Neuere Studien zeigen mit abnehmendem Gestationsalter, also bei den extrem kleinen Frühgeborenen, eine
zunehmend schlechtere Wirkung von Opioiden, insbesondere bei prozeduralen Schmerzen. Die Ursache für
dieses Phänomen ist vollkommen unklar, es unterstreicht jedoch die Wichtigkeit, nicht-pharmakologische
Maßnahmen auch unter laufender Opiattherapie anzuwenden.
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Q13 „Schmerztherapie“ / Skript 1.5: Schmerztherapie in der Pädiatrie. L. Garten
Dosierung und Nebenwirkungen gebräuchlicher Analgetika in der Neonatologie
Substanz
Morphin
Einzeldosis
0,05-0,1 mg/kg i.v.
EMLA
---
Saccharose/Glucose
• z.B. 30%
• 2 Minuten vor Prozedur
• 2ml für Reifgeborene
• 0,1-0,4 ml für
Frühgeborene
Dauertropfinfusion
lokal
• 0,01 mg/kg/h in der
--ersten Lebenswoche
• 0,01-0,02 mg/kg/h ab der
2. Lebenswoche
--• 0,5-2g unter
Okklusionsverband 1h
vor Prozedur
• Cave: bei
Frühgeborenen deutlich
kürzere Einwirkzeit!
Nebenwirkungen
Morphin: respiratorische Depression, verminderte gastrointestinale Motilität, arterielle Hypotension, Harnverhalt
EMLA: lokale Rötung, petechiales Exanthem, Blasenbildung der Haut, (Methämoglobinämie)
Saccharose/Glucose: keine klinisch relevanten bekannt
Sedierung im Neugeborenenalter
Das neonatale Gehirn reagiert sehr empfindlich auf Sedativa. Untersuchungen im Tierexperiment zeigen, dass
Phenobarbital und Midazolam zum Untergang von Nervenzellen im neonatalen Gehirn führen. Für eine längere
Sedierung mit Midazolam wurde in einem Cochrane Review von 2003 kein therapeutischer Vorteil gegenüber
einer Placebotherapie gefunden, hingegen kam es sogar zu einem vermehrten Auftreten unerwünschter
Nebenwirkungen (intrazerebrale Blutungen, erhöhte Mortalität,...) und längeren Liegezeiten auf der
neonatologischen Intensivstation. Ein Einsatz von Sedativa bei Früh- oder Neugeborenen ist wenn überhaupt,
dann nur bei starken Unruhezuständen, die das Leben des Kindes bedrohen und sich durch Lagerung, Ernährung,
optimale Pflegetemperatur und Beatmungstechnik nicht beeinflussen lassen, indiziert. Die Dauersedierung eines
Neonaten bleibt eine absolute Ausnahmetherapie.
Zusammenfassung
Schmerzvermeidung hat Vorrang vor Schmerzminderung und –bekämpfung. Es besteht auch in der
Neonatologie die medizinische Pflicht zu einer adäquaten Schmerztherapie bei Kenntnis möglicher
Therapienebenwirkungen und nach sorgfältiger Indikationsstellung. Eine Schmerzmessung erscheint hilfreich,
um ein adäquates Analgesieverfahren auszuwählen und die Therapie am Effekt zu titrieren und beurteilen zu
können. Eine sichere Analgesie bei akuten Schmerzen in der Neonatalperiode, insbesondere bei Frühgeborenen,
ist derzeit ausschließlich mit einem zentral wirksamen Opioid zu erreichen. Bei standardgemäßer Anwendung ist
eine akute Schädigung des Kindes durch mögliche Nebenwirkungen als eher unwahrscheinlich zu erachten, ein
engmaschiges Monitoring diesbezüglich jedoch unverzichtbar. Es besteht zurzeit kein Hinweis für eine mögliche
Langzeitschädigung des Kindes durch den überlegten Einsatz von Opioiden. Als sinnvolle und effektive
Maßnahme bei prozeduralen Schmerzen empfehlen sich nicht-pharmakologische Maßnahmen wie behutsame
multisensorische Stimulation (Wiegen, Lagerung, Hautkontakt) und der Einsatz von Saccharose. Ergänzend
kann im speziellen Fall EMLA (eutektische Mischung aus Lokalanästhetika) eingesetzt werden. Bis dato steht
jeglicher Wirkungsnachweis für periphere Analgetika (Paracetamol, NSAR) in der Neonatalperiode aus: Einsatz
wahrscheinlich nicht sinnvoll. Bei aktueller Studienlage muss von dem Einsatz von Sedativa (z.B. Midazolam)
bei nachgewiesener potentieller neuronaler Schädigung in der Neonatalperiode dringend abgeraten werden,
Ausnahme: lebensbedrohliche Unruhezustände.
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Q13 „Schmerztherapie“ / Skript 1.5: Schmerztherapie in der Pädiatrie. L. Garten
3.2. Literatur Neonatologie
1.
2.
3.
4.
5.
6.
Seminars in Fetal & Neonatal Medicine. Pain Control and Sedation. Vol. 11, issue 4, Aug 2006.
www.elsevier.com/locate/siny
American Academy of Pediatrics, Comittee on Fetus and Newborn and Section on Surgery, Canadian
Pediatric Society and Fetus and Newborn Comittee. Prevention and Management of Pain in the Neonate: An
Update. Pediatrics 2006;118:2231-2241
Cignacco E et al. The effacy of non-pharmacological interventions in the management of procedural pain in
preterm and term neonates. A systematic literature review. European Journal of Pain 11 (2007) 139-152
Duhn LJ, Medves JM. A systematic integrative review of infant pain assessment tools. Adv Neonatal Care
2004 Jun; 4(3):126-40.
Stevens B et al: Sucrose for analgesia in newborn infants undergoing painful procedures. Cochrane
Database Syst Rev. 2004; 3:CD001069.
Ng E, Taddio A, Ohlsson A. Intravenous midazolam infusion for sedation of infants in the neonatal
intensive care unit. Cochrane Database Syst Rev 2003; (1):CD002052.
Dr. med. Lars Garten
Charité - Universitätsmedizin Berlin
Otto-Heubner-Centrum
Klinik für Neonatologie CVK/CBF
Augustenburger Platz 1
13353 Berlin
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Q13 „Schmerztherapie“ / Skript 1.5: Schmerztherapie in der Pädiatrie. L. Garten
4.1. Anhang
DOKUMENTATIONSPROTOKOLL
SCHMERZTHERAPIE
DATUM: ___________
NAME
ANALGESIE
GEWICHT
BEDARF
ALTER
BEGLEITMEDIKATION
ZUSTÄNDIGER ARZT
ZEIT
SCHMERZ SEADTIONSATEM-WERT
WERT
FREQUEN
1/2/4/8
READY
Z/ SaO2
h-Abstand
CORE
(Anordung!)
0100
0200
0300
0400
0500
0600
0700
0800
0900
1000
1100
1200
1300
1400
1500
1600
1700
1800
1900
2000
2100
2200
2300
2400
SCHMERZWERT NACH READY-CORE
NIPPS
KUSS
Smiley-Analog-Skala
Schulnoten (1-6)
andere: ___________
0
1
2
3
x
= wach
= leicht erweckbar
= schwer erweckbar
= komatös
= physiol. Schlaf
PULS
RR
NEBENWIRKUNGEN/
PROBLEME
BEDARFSMEDIKATION
ATEMFREQUENZ/SaO2 NEBENWIRKUNGEN /
PROBLEME
0 = norm, SaO2>90%
1 = Atemfrequenz
6-12 Mo. <20/min
1-2 LJ.
<15/min
über 2. LJ <10/min
2 = SaO2 <90%
Aufwachen durch Schmerz
Übelkeit
Erbrechen
Harnverhalt
Mobilisationsprobleme
Schwitzen
Verstopfung
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