2 Die natürlichen, ganzen und rationalen Zahlen Übersicht 2.1 Die natürlichen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 2.2 Die ganzen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 2.3 Die rationalen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Die Zahlenmengen N, Z, Q und R der natürlichen, ganzen, rationalen und reellen Zahlen sind aus der Schulzeit bekannt. Wir betrachten in diesem Kapitel kurz einige wenige Aspekte, die die natürlichen, ganzen und rationalen Zahlen betreffen, soweit wir diese in der Ingenieurmathematik benötigen. Den größten Raum nimmt hierbei die vollständige Induktion ein, die Anfängern üblicherweise Probleme bereitet. Oftmals hilft es, einfach nur stur das Rezept durchzuführen, das Verständnis kommt im Laufe der Zeit. Die reellen Zahlen nehmen mehr Raum ein, wir kümmern uns um diese im nächsten Kapitel. 2.1 Die natürlichen Zahlen Es ist N = {1, 2, 3, . . .} die Menge der natürlichen Zahlen. Wollen wir außerdem die Null mit einbeziehen, so schreiben wir N0 = N ∪ {0} = {0, 1, 2, . . .}. Mathematiker erklären die natürlichen Zahlen ausgehend von der leeren Menge, wir hingegen betrachten die natürlichen Zahlen mitsamt der uns vertrauten Anordnung, Addition und Multiplikation dieser Zahlen als gegeben und wollen dies nicht länger hinterfragen. Wir werden in späteren Kapiteln immer wieder vor dem Problem stehen, eine Aussage für alle natürlichen Zahlen n ∈ N0 bzw. für alle natürlichen Zahlen n ab einem n0 ∈ N zu begründen. C. Karpfinger, Höhere Mathematik in Rezepten, DOI 10.1007/978-3-642-37866-9_2, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 10 2 Die natürlichen, ganzen und rationalen Zahlen Beispiel 2.1 Für alle natürlichen Zahlen n ≥ 1 gilt n k=1 k = n(n+1) . 2 1−q n+1 k Für alle natürlichen Zahlen n ≥ 0 und q ∈ R \ {1} gilt n k=0 q = 1−q . Für alle natürlichen Zahl n ≥ 1 ist die Zahl an = 5n − 1 ein Vielfaches von 4. Die vollständige Induktion ist eine Methode, mit der man solche Aussagen oftmals begründen kann. Rezept: Vollständige Induktion Gegeben ist für ein n ∈ N0 die Aussage A(n). Um zu begründen, dass die Aussage A(n) für alle n ≥ n0 ∈ N0 gilt, gehe wie folgt vor: (1) Induktionsanfang: Zeige, dass die Aussage A(n0 ) gilt. (2) Induktionsbehauptung: Nimm an, dass die Aussage A(n) für ein n ∈ N0 mit n ≥ n0 gilt. (3) Induktionsschluss: Zeige, dass die Aussage A(n + 1) gilt. Anstelle von Induktionsbehauptung (IB) sagt man auch Induktionsvoraussetzung, und anstelle von Industionsschluss (IS) sagt man auch Induktionsschritt. Den Induktionsanfang kürzen wir mit IA ab. Bevor wir erläutern, warum die vollständige Induktion die Begründung für A(n) gilt für alle n ≥ n0 liefert, betrachten wir Beispiele (vgl. Beispiel 2.1): Beispiel 2.2 Wir zeigen mit vollständiger Induktion: n k= k=1 n(n + 1) für alle n ∈ N . 2 =1 (1) IA: Die Formel stimmt für n0 = 1, da links 1k=1 k = 1 und rechts 1(1+1) 2 steht. n(n+1) für ein n ∈ N0 mit n ≥ 1 (2) IB: Wir nehmen an, dass die Formel n k=1 k = 2 gilt. (3) IS: Da die Formel für n ∈ N0 gilt, erhalten wir für n + 1: n+1 k=1 k =n+1+ n k=1 k =n+1+ n(n + 1) (n + 1)(n + 2) = . 2 2 11 2.1 Die natürlichen Zahlen Wir zeigen mit vollständiger Induktion: n qk = k=0 1 − q n+1 für alle n ∈ N0 und q ∈ R \ {1} . 1−q (1) IA: Die Aussage stimmt für n0 = 0, da links 0k=0 q k = q 0 = 1 und rechts 1−q 1 1−q = 1 steht. 1−q n+1 k (2) IB: Wir nehmen an, dass die Formel n für ein n ∈ N0 mit k=0 q = 1−q n ≥ 0 gilt. (3) IS: Da die Formel für n ∈ N0 gilt, erhalten wir für n + 1: n+1 q k = q n+1 + k=0 n k=0 q k = q n+1 + 1 − q n+1 q n+1 − q n+2 + 1 − q n+1 1 − q n+2 = = . 1−q 1−q 1−q Wir zeigen mit vollständiger Induktion: für alle n ∈ N : an = 5n − 1 = 4 · k für ein k ∈ N . (1) IA: Die Aussage stimmt für n0 = 1, da a1 = 51 − 1 = 4 = 4 · 1 gilt, wähle k = 1. (2) IB: Wir nehmen an, dass an = 5n − 1 = 4 · k für ein n ∈ N und ein k ∈ N gilt. (3) IS: Da die Formel für n ∈ N gilt, erhalten wir für n + 1: an+1 = 5n+1 −1 = 5·5n −1 = (4+1)·5n −1 = 4·5n +5n −1 = 4·5n +4·k = 4·(5n +k) . Mit k = 5n + k erhält man an = 4 · k . Warum mit dieser vollständigen Induktion die Aussagen A(n) für alle n ≥ n0 ∈ N0 begründet werden, macht man sich nun ganz einfach klar: Beim Induktionsanfang wird gezeigt, dass die Aussage A(n0 ) für das erste n0 gilt. Da die Aussage A(n0 ) gilt, gilt nach dem Induktionsschritt auch A(n0 + 1). Und da nun A(n0 + 1) gilt, gilt erneut nach dem Induktionsschritt A(n0 + 2) usw. Man spiele dies in obigen Beispielen durch und mache sich dabei klar, dass das Dazwischenschalten der Induktionsbehauptung ein äußerst geschickter Zug ist, um mit nur einem Induktionsschritt die Aussage für unendlich viele natürliche Zahlen zu begründen. Wir begründen eine weitere Formel mit vollständiger Induktion. Dazu benötigen wir zwei Begriffe: Die Fakultät von n ∈ N ist definiert als das Produkt der Zahlen von 1 bis n: n! = n · (n − 1) · . . . · 2 · 1 und 0! = 1. Zum Beispiel: 1! = 1 , 2! = 2 · 1 = 2 , 3! = 3 · 2 · 1 = 6 , 4! = 4 · 3 · 2 · 1 = 24 , 5! = 5 · 4 · 3 · 2 · 1 = 120 . 12 2 Die natürlichen, ganzen und rationalen Zahlen Für n, k ∈ N0 mit k ≤ n nennt man die Zahl n n! = k k!(n − k)! Binomialkoeffizient n über k. Er gibt an, wie viele verschiedene k-elementige Teilmengen eine Menge mit n Elementen besitzt. Es gilt: 3 3! 3 3! 3 3 = = 1, = = 3, = 3, = 1. 0 0! · 3! 1! · 2! 1 2 3 Beispiel 2.3 Wir zeigen mit vollständiger Induktion: n für alle a, b ∈ R und alle n ∈ N0 : (a + b) = n k=0 n k n−k a b . k (1) IA: Die Formel stimmt für n0 = 0, da links (a+b)0 = 1 und rechts 0 0 k=0 k ak b0−k = 1 steht. (2) IB: Wir nehmen an, dass (a + b)n = n n k=0 k ak bn−k für ein n ∈ N gilt. (3) IS: Da die Formel für n ∈ N gilt, erhalten wir für n + 1 mit der Aufgabe 2.2(c): n n k n−k n+1 n IB a b (a + b) = (a + b) · (a + b) = (a + b) · k k=0 n n n k n−k n k n−k a b a b =a· +b· k k k=0 k=0 n n n k+1 n−k n k n−k+1 a a b = b + k k k=0 k=0 n+1 n n n k n−k+1 k n−k+1 a b a b = + k−1 k k=1 k=0 n n n n n+1 0 n 0 n+1 + ak bn−k+1 = a b + a b + k−1 k n 0 k=1 n n + 1 n+1 0 n + 1 0 n+1 n + 1 k n+1−k a b = a b + a b + k n+1 0 k=1 n+1 n + 1 k n+1−k a b = . k k=0 13 2.2 Die ganzen Zahlen Wir haben in diesem Abschnitt drei wichtige Formeln kennengelernt und begründet, wir fassen diese zusammen: Wichtige Formeln Für alle natürlichen Zahlen n ∈ N0 bzw. q ∈ R bzw. a, b ∈ R gelten: n n(n + 1) (Gauß’sche Summenformel). ⎧ 2 ⎨ 1−qn+1 , falls q = 1 n k 1−q (geometrische Summenformel). q = ⎩n + 1 k=0 , falls q = 1 n n k n−k (a + b)n = (Binomialformel). k a b k= k=1 k=0 2.2 Die ganzen Zahlen Die Menge Z der ganzen Zahlen Z = {. . . , −3, −2, −1, 0, 1, 2, 3, . . .} = {0, ±1, ±2, ±3, . . .} ist mit ihrer Anordnung · · · < −2 < −1 < 0 < 1 < 2 · · · und Addition und Multiplikation ganzer Zahlen aus der Schulzeit bekannt, ebenso die folgenden Regeln: −a = (−1) · a für alle a ∈ Z, (−a)(−b) = ab für alle a, b ∈ Z, a < b ⇒ −a > −b, ab > 0 ⇒ (a, b > 0 ∨ a, b < 0) für a, b ∈ Z, a + x = b hat die Lösung x = b + (−a) = b − a für alle a, b ∈ Z. 2.3 Die rationalen Zahlen Auch die Menge Q der rationalen Zahlen m Q= | m ∈ Z, n ∈ N n ist mit ihrer Anordnung m m < ⇔ mn < m n n n 14 2 Die natürlichen, ganzen und rationalen Zahlen und der Addition und Multiplikation rationaler Zahlen m mn + m n m m mm m und = + = · n n nn n n nn aus der Schulzeit bekannt, ebenso die folgenden Regeln: = m n ⇔ m · n = m · n, = mk nk für alle k = 0, insbesondere also ax = b hat die Lösung x = ab , falls a = 0. m n m n m −n = −m n , Jede rationale Zahl m n ∈ Q lässt sich als Dezimalzahl darstellen. Diese Darstellung ist entweder endlich, also m = a.a1 a2 . . . ak , n oder periodisch, also m = a.a1 a2 . . . ak b1 b2 . . . b , n mit a ∈ Z und ai , bi ∈ {0, . . . , 9}. Beispiel 2.4 Durch sukzessive Division erhält man: 9 = 1.125, 8 12 = 0.36 = 0.36363636 . . . 33 Die Dezimaldarstellung von m n lässt sich immer durch Division von m durch n finden. Wie findet man aber die Bruchdarstellung m n aus der Dezimaldarstellung? Wir zeigen das an Beispielen, das allgemeine Vorgehen ist dann sofort klar: Beispiel 2.5 Bei endlichen Dezimalzahlen hilft Erweitern und Kürzen: 1.125 = 1.125 · 1125 225 45 9 1000 = = = = . 1000 1000 200 40 8 Bei periodischen Dezimaldarstellungen behelfen wir uns mit einem Trick: Wir setzen a = 0.36. Es gilt dann: 100 · a − a = 36 ⇔ (100 − 1) · a = 36 ⇔ 99 · a = 36 ⇔ a = Oder, falls wir eine Bruchdarstellung m n 36 12 = . 99 33 von a = 0.2554 suchen: 2529 281 10000 · a − 100 · a = 2554.54 − 25.54 = 2529 ⇔ a = = . 9900 1100 = 9900·a 15 2.3 Die rationalen Zahlen Aufgaben 2.1 Beweisen Sie die folgenden Aussagen mittels vollständiger Induktion: (a) Für alle n ∈ N gilt: n Elemente können auf 1 · 2 · · · n = n! verschiedene Arten angeordnet werden. (b) Die Summe über die ersten n ungeraden Zahlen liefert für alle n ∈ N den Wert n2 . (c) Die Bernoulli’sche Ungleichung (1 + x)n ≥ 1 + nx gilt für alle reellen Zahlen x ≥ −1 und alle n ∈ N. (d) Für jedes n ∈ N ist die Zahl 42n+1 + 3n+2 durch 13 teilbar. n (e) Für alle n ∈ N gilt: (i2 − 1) = 16 (2n3 + 3n2 − 5n). i=1 (f) Für alle n ∈ N gilt: n k · k! = (n + 1)! − 1. k=1 (g) Für alle n ∈ N gilt: n i=0 n 2i = 2n+1 − 1. (h) Für alle n ∈ N>4 gilt: 2 > n2 . (i) Die Fibonacci-Zahlen F0 , F1 , F2 , . . . sind rekursiv definiert durch2 F0 = 0, F1 = 1 und Fn = Fn−1 + Fn−2 für n ≥ 2. Für alle n ∈ N gilt: n i=1 (Fi ) = Fn · Fn+1 . 2.2 Zeigen Sie, dass für die Binomialkoeffizienten die folgenden Rechenregeln gelten, dabei sind k, n ∈ N0 mit k ≤ n: (a) n k = n , n−k (b) n n =1= n 0 , 2.3 Stellen Sie die folgenden Dezimalzahlen x in der Form x = (a) x = 10.124, (b) x = 0.09, (c) p q n+1 k = n k + n . k−1 mit p ∈ Z und q ∈ N dar: (c) x = 0.142857. 2.4 In einem Neubaugebiet wurden innerhalb eines Zeitraumes von etwa 12 Jahren insgesamt 4380 Wohneinheiten fertiggestellt. Pro Tag wurde jeweils eine Wohnung bezugsfertig. Vom Bezugstag der ersten Wohnung bis einen Tag nach Übergabe der letzten Einheit wurden von den Bewohnern insgesamt 1.8709 · 108 kWh Strom verbraucht. Ermitteln Sie den durchschnittlichen Verbrauch pro Tag und Wohnung. 2.5 Ein Hypothekendarlehen über 100 000 Euro wird mit 7 % jährlich verzinst und mit gleichbleibender Rate A (Annuität) jeweils am Ende eines Jahres getilgt. Wie groß muss A sein, wenn das Darlehen mit der 20. Tilgungsrate ganz zurückgezahlt sein soll? http://www.springer.com/978-3-642-37865-2