Somatisierung – aktueller Stand der diagnostik und Therapie

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Topical Update
María Angela Juanena, „Woher kommt mein Schmerz?“ (Acryl auf Leinen, Ausschnitt)
S
omatisierung stellt ein wichtiges
Problem im medizinischen Bereich
dar. Zum einen sind die Patientinnen und Patienten durch die körperlichen
Beschwerden und die damit verbundenen Ängste belastet (vgl. dazu die neue
Bezeichnung im DSM-5: Somatische Belastungsstörung), zum anderen werden
durch rezidivierende Untersuchungen,
die Chronifizierung begünstigen, Kosten
verursacht, die für die Therapie fehlen. In
jüngerer Zeit ist die S3-Leitlinie zum Umgang mit Patienten mit nicht-spezifischen,
funktionellen und somatoformen Körperbeschwerden erstellt worden. Sie wurde
unter Mitwirkung von Vertretern verschiedener medizinischer, psychologischer und
psychotherapeutischer Bereiche sowie
von Patientenorganisationen erarbeitet.
Ziel der Leitlinie ist es, Behandler dabei zu
unterstützen, somatisch nicht hinreichend
geklärte Körperbeschwerden besser und
rascher diagnostizieren und behandeln zu
Felicitas Matern
Somatisierung – aktueller Stand
der Diagnostik und Therapie
VON PRIM. ASSOC.
PROF. PRIV.-DOZ.
DR. MARTIN AIGNER
Leiter der Abteilung für
Erwachsenenpsychiatrie,
Universitätsklinik für
Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum Tulln, KLPU.
Begriffe
„Nicht-spezifische Körperbeschwerden“
werden vor allem in der Allgemeinmedizin diagnostiziert, da Symptome zunächst
nicht einem spezifischen Krankheitsbild
zugeordnet werden können. Der Begriff
vermeidet vorschnelle Etikettierung als
krankheitswertig.
Klinische und Gesundheitspsychologin, Psychotherapeutin in Ausbildung
unter Supervision, Klinische
Abteilung für Spezielle Anästhesie und Schmerztherapie, Medizinische
Universität Wien
„Funktionell“ wird als Beeinträchtigung
einer Organfunktion oder als Beeinträchtigung der zentralnervösen Verarbeitung
der Beschwerdewahrnehmung verstanden.
Funktionelle Syndrome sind in verschiedenen medizinischen Bereichen definiert, die
Datenlage zur Validität der Konstrukte ist
jedoch unzureichend. Von Patienten und
Behandlern wird der Begriff „funktionelle
Beschwerden“ gut angenommen.
können, Fehlversorgung zu vermeiden und
Funktionsniveau sowie Lebensqualität der
Betroffenen zu verbessern.
„Somatoforme Störungen“ gemäß ICD-10
zeichnen sich durch nicht hinreichend somatisch erklärbare Körperbeschwerden
MAG. JULIA
SONNLEITNER
Schmerz nachrichten
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aus, die über sechs Monate anhalten und
zu einer relevanten Funktionsbeeinträchtigung im Alltag führen. Es besteht eine auffallende Diskrepanz zwischen klinischem
Befund und subjektivem Befinden der Patienten. Patienten erleben den Begriff „somatoforme Störung“ oft als stigmatisierend.
u Mittel: Zwei oder mehr der unter B bezeichneten Symptome treffen zu.
u Schwer: Zwei oder mehr der unter B
bezeichneten Symptome treffen zu; zusätzlich multiple somatische Beschwerden (oder ein sehr schwer ausgeprägtes
somatisches Symptom).
Aktuelle Definition für die Somatische
Belastungsstörung im DSM-5
Im DSM-5 wird die Bezeichnung „Somatische Belastungsstörung und verwandte
Störungen“ verwendet. Personen mit verschiedensten körperlichen Symptomen
können die Diagnose erhalten, wenn sie
zusätzlich über maladaptive Gedanken,
Gefühle und Verhalten berichten.
Die Diagnose Hypochondrie wurde im
DSM-5 aus Stigmatisierungsgründen fallengelassen. Bei der Somatischen Belastungsstörung sind gesundheitsbezogene
Ängste inkludiert. Stehen jedoch die Krankheitsängste im Vordergrund, ist die Diagnose Krankheitsangststörung vorgesehen.
Diagnostische Kriterien:
Somatische Belastungsstörung
A. Eines oder mehrere somatische Symptome, die belastend sind oder zu erheblichen Einschränkungen in der alltäglichen Lebensführung führen;
B. Exzessive Gedanken, Gefühle oder Verhaltensweisen bezüglich der somatischen Symptome oder damit einhergehender Gesundheitssorgen, die sich in
mindestens einem der folgenden Merkmale ausdrücken:
1. Unangemessene und andauernde Gedanken bezüglich der Ernsthaftigkeit
der vorliegenden Symptome
2. Anhaltende, stark ausgeprägte Ängste in Bezug auf die Gesundheit oder die
Symptome
3. Exzessiver Aufwand an Zeit und Energie, die für die Symptome oder Gesundheitssorgen aufgebracht werden
C. Obwohl keines der einzelnen somatischen Symptome durchgängig vorhanden sein muss, ist der Zustand der
Symptombelastung persistierend (typischerweise mehr als sechs Monate).
DSM-5 bietet darüber hinaus Spezifizierungen an:
u Mit überwiegendem Schmerz: (Äquivalent der „Schmerzstörung“ im DSM-IV,
ICD-10: F45.4)
u Andauernd: Ein chronischer Verlauf ist
gekennzeichnet durch schwergradige
Symptome, deutliche Beeinträchtigung
und eine lange Dauer (über sechs Monate).
u Leicht: Nur eines der unter B bezeichneten Symptome trifft zu.
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Schmerz nachrichten
DSM-IV unterscheidet Schmerzen in Verbindung mit psychologischen Faktoren,
Schmerzen in Verbindung mit medizinischen Faktoren und Schmerzen, bei denen beide Faktoren eine Rolle spielen. In
der Praxis lässt sich diese Unterscheidung
meist nur ungenügend treffen, psychologische Faktoren scheinen alle Arten von
Schmerz zu betreffen. DSM-5 sieht für eine
Gruppe von Patienten die Kategorie Somatische Belastungsstörung vor, für andere
kann die Diagnose „Psychologische Faktoren bei medizinischen Erkrankungen“ oder
„Anpassungsstörung“ passender sein. Differentialdiagnostisch zu beachten ist auch
die Konversionsstörung (Störung mit funktionellen neurologischen Symptomen): Bei
der Somatischen Belastungsstörung wird
durch die Symptome ein Leidensdruck verursacht, bei der Konversionsstörung steht
vor allem der Funktionsverlust – beispielsweise einer Gliedmaße – im Vordergrund.
Überblick: Funktionelle Syndrome
Die Diagnosekriterien für die funktionellen
Syndrome sind:
Reizdarmsyndrom (RDS, IBS)
1. Chronische (> drei Monate) anhaltende
Beschwerden (z. B. Bauchschmerzen,
Blähungen), die von Patienten und Ärzten auf den Darm bezogen werden und
in der Regel mit Stuhlgangsveränderungen einhergehen.
2. Die Beschwerden begründen, dass der
Patient Hilfe sucht und/oder sich sorgt.
Die Lebensqualität wird durch die Beschwerden relevant beeinträchtigt.
3. Es liegen keine für andere Krankheitsbilder charakteristischen Veränderungen
vor, welche wahrscheinlich für diese
Symptome verantwortlich sind.
Chronic-Fatigue-Syndrom (CFS)
Ausschlussdiagnostik: Diese stellt ein iatrogenes Schädigungs- bzw. Pathogenisierungspotenzial dar und hat keinen Nutzen
für Therapie oder Ursachenfindung. Die
Diagnose CFS/ME kann erwogen werden,
wenn eine Person folgende Symptome aufweist (NICE clinical guideline 53):
uMüdigkeit mit den folgenden Charakteristika:
s neu aufgetreten bzw. mit einem definierten Beginn,
s persistierend bzw. rezidivierend,
s nicht erklärbar durch andere Erkrankungen;
s hat zu substanzieller Abnahme des
Aktivitätsniveaus geführt;
s charakterisiert durch Auftreten von
Erschöpfung bzw. Abgeschlagenheit nach Anstrengung (typischerweise verzögert, z. B. über mindestens 24 Stunden, mit langsamer
Erholung über mehrere Tage)
UND mindestens eines der folgenden Symptome:
u Schlafschwierigkeiten (Insomnie, Hypersomnie);
u nicht erholsamer Schlaf, gestörter
Schlaf-Wach-Rhythmus;
u multiple Muskel- bzw. Gelenkschmerzen
ohne Hinweise auf Entzündung;
uKopfschmerzen;
u schmerzhafte Lymphknoten ohne tastbare Vergrößerung;
uHalsschmerzen;
u kognitive Dysfunktion, z. B. Denk- und
Konzentrationsschwierigkeiten, beeinträchtigtes Kurzzeitgedächtnis, Wortfindungsstörungen, Schwierigkeiten
bei Planungs- bzw. organisatorischen
Überlegungen und Informationsverarbeitung;
u Körperliche oder mentale Anstrengung
verschlimmert die Symptome;
u allgemeine Abgeschlagenheit oder grippeähnliche Symptome;
u diffuser Schwindel und/oder Übelkeit;
u Palpitationen ohne definierte kardiale
Erkrankung.
Multipes Chemikalien-Unverträglichkeitssyndrom (MCS)
Für die Diagnose bestehen folgende Voraussetzungen:
u dokumentierte chemische Exposition;
u multiple Symptome in mehr als einem
Organsystem;
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u Rezidiv und Exazerbation bei Exposition
gegenüber Chemikalien verschiedenster Struktur und Wirkmechanismen;
u normaler körperlicher Befund am Beginn der Erkrankung;
u Symptome bei niedrigsten Expositionen, bei denen die Allgemeinbevölkerung keine Reaktion zeigt.
Fibromyalgiesyndrom (FMS)
Chronische Schmerzen in mehreren Körperregionen („chronic widespread pain“,
CWP):
Länger als drei Monate bestehende
Schmerzen in:
s Achsenskelett (Halswirbelsäule oder
vorderem Brustkorb oder Brustwirbelsäule oder Lendenwirbelsäule) und
s rechter Körperhälfte und linker Körperhälfte und
s oberhalb der Taille und unterhalb der
Taille (oder sieben von 19 vorgegebenen Schmerzorten im Widespread Pain
Index WPI, dt: Regionale Schmerzskala)
Die AWMF-Leitlinie verlangt zusätzlich:
u Müdigkeit (körperlich und/oder geistig)
und
u Schlafstörungen und/oder nicht-erholsamen Schlaf und
u Schwellungs- und/oder Steifigkeitsgefühl in Händen und/oder Füßen und/
oder Gesicht.
u Ausschluss einer körperlichen Erkrankung, welche das typische Symptommuster ausreichend erklärt.
Chronic Pelvic Pain (CPP)
Chronischer Unterbauchschmerz der Frau:
u andauernder, schwerer und quälender
Schmerz;
u Dauer länger als sechs Monate;
u zyklisch, intermittierend-situativ oder
nicht zyklisch chronisch.
u Der Schmerz führt zu einer deutlichen
Einschränkung der Lebensqualität.
u Es können sowohl körperliche Veränderungen/Störungen als überwiegend
ursächlich angesehen werden als auch
emotionale Konflikte oder psychosoziale Belastungen.
Epidemiologie
Nicht-spezifische, funktionelle und somatoforme Körperbeschwerden werden von
20 Prozent der Patienten in der hausärztlichen Praxis beklagt. In der Allgemeinbevölkerung sind etwa vier bis zehn Prozent
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Schmerz nachrichten
betroffen. In Spezialambulanzen wird
von einem Anteil von etwa 50 Prozent
nicht-spezifischer Körperbeschwerden
ausgegangen, in der psychosomatischen
Versorgung werden Häufigkeiten bis
über 70 Prozent berichtet. Die Beschwerden werden von Frauen deutlich häufiger angegeben (Geschlechterverhältnis
1,5–3 : 1). In kultureller Hinsicht bestehen
Unterschiede vor allem bezüglich der Art
und Lokalisation der Beschwerden, subjektiver Erklärungsmodelle und des Beschwerdeausdrucks.
Versorgungssituation
in Österreich
Bei Patienten mit nicht-spezifischen,
funktionellen und somatoformen Körperbeschwerden wird die Störung durchschnittlich erst nach drei bis fünf Jahren
diagnostiziert und eine störungsspezifische
Behandlung eingeleitet. Die psychosomatische Grundversorgung wird in Österreich
einerseits durch Allgemeinmediziner und
Mediziner aller Fachrichtungen, die ihre
Kompetenzen im Rahmen eines freiwilligen
berufsbegleitenden Weiterbildungsangebots der Österreichischen Ärztekammer
(seit etwa 20 Jahren drei Diplommodule/
Psy-Curricula: Psychosoziale Medizin –
Psy I, entspricht der deutschen Psychosomatischen Grundversorgung, Psychosomatische und Psychotherapeutische
Medizin) erworben haben, und andererseits durch Fachärzte für Psychiatrie und
psychotherapeutische Medizin (eingeführt
2007), die diese Kompetenzen im Rahmen
ihrer Ausbildung erhalten, wahrgenommen. Im Bereich der Schmerztherapie wurde zur Ausbildung der Ärzte über die fächerspezifischen Kompetenzen hinaus das
Ärztekammerdiplom „Spezielle Schmerztherapie“ geschaffen.
Behandlungsempfehlungen
im Rahmen der Leitlinie
Bio-psycho-sozialer Ansatz und kooperative, strukturierte, koordinierte Versorgung
Empfehlenswert ist ein bio-psycho-soziales Behandlungskonzept zu verfolgen, da
eine somatische Fixierung der Patienten
durch eine einseitig medizinische Vorgehensweise der Ärzte verstärkt wird. Die
Behandlung sollte im Rahmen eines Behandlungsplans in enger Kooperation zwi-
schen Hausärzten und anderen Behandlern
erfolgen. Als wirksam erwiesen haben sich
psychiatrische Konsultationen in der Hausarztpraxis (Kooperation), der Einsatz von
Case Managern (Koordination) oder intensiver Begleitung („nurse practitioners“)
sowie ein gestuftes Vorgehen in Abhängigkeit von Verlauf und Schweregrad (gestufte Versorgung).
Die therapeutische Beziehung
Patienten haben hohe Erfolgserwartungen an ihre Ärzte. Besonders der Wunsch
nach Ursachenfindung bleibt oft unerfüllt
und Behandlungen bringen nicht den erwarteten Erfolg. Die idealisierende Haltung
den Behandlern gegenüber schlägt dann
in Enttäuschung um und die Betroffenen
suchen neue Angebote. Es kommt zu zahlreichen Therapieabbrüchen mit Frustrationserlebnissen auf beiden Seiten („doctor
shopping“).
Behandler erleben die Interaktion mit den
Patienten meist als schwierig, zeitaufwendig und fühlen sich durch die überhöhten
Erwartungen unter Druck gesetzt. Es besteht die Gefahr – aufgrund eigener hoher
Ansprüche oder durch die unkritisch angenommene Idealisierung des Patienten –,
sich zu Versprechen hinreißen zu lassen,
die später nicht eingelöst werden können.
Das Resultat ist, dass Patienten als fordernd und vorwurfsvoll erlebt werden und
sich Gefühle der Überforderung, Ärger,
Unsicherheit oder Frustration einstellen.
Diese Entwicklung schlägt sich in negativen Handlungstendenzen nieder, beispielsweise invasiver (Mehrfach-)Diagnostik und
-Therapie, darin, dem Patienten weniger
Aufmerksamkeit zu schenken, Therapien
zu verwehren, Beschwerden zu bagatellisieren oder einer vorwurfsvollen, ärgerlichen Einstellung den Patienten gegenüber
bis hin zu abwertenden, stigmatisierenden
Bezeichnungen. Diese Interaktionen sollten
selbstkritisch reflektiert werden: Wichtig ist
es, die Selbstverantwortung der Patienten
zu betonen, realistische Erfolgserwartungen gemeinsam zu erarbeiten und vor allem an einer partnerschaftlichen Haltung
zu arbeiten.
Eine tragfähige therapeutische Beziehung
stellt das zentrale Behandlungselement
dar. Es empfiehlt sich, ausreichend Zeit und
Geduld in ihren Aufbau zu investieren. Da-
Tabelle 1: Empfehlungen zur effektiven Kommunikation
Zuversicht vermitteln Beruhigend einwirken, aber Beschwerden nicht bagatel-
lisieren; hohe Erwartungen relativieren, Druck und Idea-
lisierung nicht übernehmen
Transparenz
Patienten in den therapeutischen und diagnostischen Prozess einbeziehen; Entscheidungen transparent
machen, aber nicht bei medizinischen Themen „hängen
bleiben“
Psycho-soziale
Paralleldiagnostik Psycho-soziale Aspekte erfragen, die möglicherweise
in Zusammenhang mit der Symptomatik stehen, aber die körperliche Ebene nicht vernachlässigen
Beschwerden annehmen und subjektive Krankheits-
theorien erfragen
Beschwerden und Beeinträchtigungen annehmen und
Verständnis dafür ausdrücken; subjektive Krankheitsmodelle erfragen, aber nicht unkritisch übernehmen
Engagement und Verbindlichkeit zeigen
Falls sich ein Impuls zu raschem Handeln bemerkbar
macht, sollte dieser sorgfältig reflektiert werden.
zu gehört auch, dem Patienten gegenüber
Empathie zu entwickeln und diese auch
immer wieder zu kommunizieren (Tabelle
1). Die Betroffenen haben meist zahlreiche
Vorerfahrungen mit Desinteresse und Ablehnung gemacht und negative Erwartungen aufgebaut.
Schweregradgestufte Behandlung auf
Basis der psychosomatischen Grundversorgung
Die Behandlung von Patienten sollte
schweregradgestuft auf Basis der psychosomatischen Grundversorgung durchgeführt werden. Allgemeine Therapieziele
sind die Verbesserung der Lebensqualität,
Verhinderung von Chronifizierung und
Selbstschädigung, Begleitung bei bereits
eingetretener Chronifizierung, Entwicklung
eines bio-psycho-sozialen Krankheitsmodells, Entwicklung von Bewältigungsmöglichkeiten, gegebenenfalls Motivation und
Überweisung in Psychotherapie.
Allgemeine therapeutische
Basismaßnahmen
u Nach drei Monaten Behandlungsdauer:
Re-Evaluierung der Beschwerden, erneute Beurteilung des Schweregrads
und eventuell Modifikation der Behandlung (z. B. Hinzuziehen weiterer somatischer und psycho-sozialer Fachleute).
u Therapieziele und -maßnahmen sollten
gemeinsam erarbeitet werden, realis-
tisch und konkret sein. Es empfiehlt
sich, Therapieziele abzustufen, nach
Prioritäten zu ordnen und schriftlich zu
fixieren. In regelmäßigen Bilanzgesprächen kann die Zielerreichung evaluiert
und angepasst werden. Mitarbeit und
Eigenverantwortung der Patienten sollen gefördert werden, ebenso körperliche und soziale Aktivität.
u Die Beschwerden sollten positiv formuliert werden (z. B. „nicht-spezifisch“,
„funktionell“) und eine entsprechende
Diagnose erläutert werden. Psychophysische Zusammenhänge sollten anschaulich erklärt werden.
u Erst nach kritischer Nutzen-Risiko-Abwägung sollten Medikamente begleitend zum Einsatz kommen, mit dem
Ziel einer Symptomlinderung und zeitlich begrenzt. Die Erwartungen der Patienten diesbezüglich sollten exploriert
werden.
u Die Bestätigung von Arbeitsunfähigkeit
sollte zurückhaltend gehandhabt werden. Bei leichteren Verläufen kann – um
eine spontane Besserung zu fördern –
eine befristete Arbeitsunfähigkeit mit
Wiedervorstellungstermin ausgestellt
werden (z. B. sieben Tage).
Psychotherapeutische Behandlung
Psychotherapeutische Behandlung ist vor
allem bei schwereren Verläufen indiziert
und stellt eine zusätzliche Behandlungs-
maßnahme dar. Am wirksamsten zeigen
sich Interventionen der Kognitiven Verhaltenstherapie.
Bei der Zuweisung sollte beachtet werden:
u Die Überweisung sollte vorbereitet und
nachbesprochen werden. Oft stellt die
Motivation zur Psychotherapie ein eigenes Behandlungsziel dar.
u Nach Übereinkunft mit dem Patienten
sollten Gespräche zwischen Psychotherapeut und Arzt stattfinden.
u Patienten sollen sich durch die Überweisung nicht „weggeschickt“ fühlen: Die
kontinuierliche hausärztliche Betreuung
soll weiter bestehen bleiben.
u Ob eine Psychotherapie ambulant, teilstationär oder stationär erfolgen soll,
sollte aufgrund klinischer Kriterien geprüft werden. Zur Indikationsstellung ist
die ambulante/konsiliarische Vorstellung des Patienten notwendig.
Medikamentöse Therapie
Antidepressiva
Antidepressiva können im Rahmen eines
Gesamtbehandlungsplanes empfohlen
werden. Bei schwereren Verläufen ohne
Schmerzdominanz sollte die zeitlich begrenzte Gabe nur bei relevanter psychischer Komorbidität erfolgen.
Anxiolytika, Hypnotika/Tranquilizer,
Neuroleptika
Ohne entsprechende Komorbidität sollten
bei Patienten mit nicht-spezifischen, funktionellen und somatoformen Körperbeschwerden keine Anxiolytika, Hypnotika/
Tranquilizer oder Antipsychotika gegeben
werden. Es besteht derzeit keine ausreichende Evidenz für Wirkungsvorteile, sondern nur die Gefahr von Nebenwirkungen.
Opioidhaltige Analgetika und
Benzodiazepine
Die langfristige Gabe von opioidhaltigen
Analgetika und Benzodiazepinen ist bei
nicht-spezifischen, funktionellen und somatoformen Schmerzarten nicht indiziert,
da sie Risiken hinsichtlich der Entwicklung
einer Abhängigkeit bzw. einer gelernten
(psychologischen) oder adaptiven (physiologischen) Toleranz bergen. Bei Patienten mit bestehender Medikation sollte
ein Entwöhnungsversuch unternommen
werden.
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