58 4 Tumoren und tumorähnliche Läsionen im Mund-Kiefer-Gesichts-Bereich Tab. 4.1 Allgemeine Merkmale gut- und bösartiger Tumoren Benigne Tumoren Maligne Tumoren meist langsames Wachstum unterschiedlich schnelles Wachstum, meist schneller als bei gutartigen Tumoren Trennung vom umgebenden Gewebe durch eine häufig zumeist bindegewebige Kapsel keine Kapsel Verdrängung des umliegenden, nicht zum Tumor gehörenden Gewebes in der Regel keine Infiltration oder Zerstörung des umgebenden Gewebes Infiltration und Zerstörung des umgebenden gesunden Gewebes keine Bildung von Metastasen Fähigkeit zu metastasieren stehung Folge des Versagens derartiger Kontroll- und Reparaturvorgänge sein. Pathologie Die Tumorzellverbände, also das tumorspezifische Gewebe, werden als Tumorparenchym bezeichnet. Ebenso wie gesunde Zellen sind auch Tumorzellen auf eine Versorgung mit Sauerstoff, Nähr- und Baustoffen angewiesen. Sie benötigen dabei bei fortschreitendem Wachstum ein System versorgender Blutgefäße und Bindegewebeanteile, das sie selbst induzieren können. Dieses nicht tumorspezifische Gewebe wird Tumorstroma genannt. Bei sehr großen Zellteilungsraten oder ab einer bestimmten kritischen Tumorgröße kann es vorkommen, dass die Nährstoffversorgung nicht mehr für das gesamte Tumorparenchym ausreicht. Dadurch kann es zu Zelluntergängen kommen, die sich zumeist als Nekrosen mitten im Tumor manifestieren, sog. zentrale Nekrosen. Solche Nekrosen werden auch in Tochtergeschwülsten, den Metastasen, beobachtet. Mit dem ungeordneten Wachstum kann im Vergleich zum Muttergewebe eine Veränderung des Zellbildes, eine Entdifferenzierung, einhergehen: • Gutartige Tumoren besitzen immer große Ähnlichkeit mit ihrem Ursprungsgewebe und aufgrund ihres langsamen Wachstums nur eine geringe Zellteilungsrate. • Bösartige Tumoren weisen mit steigender Aggressivität zunehmende Zellteilungsraten und einen zunehmenden Entdifferenzierungsgrad auf. Bösartige Tumoren unterscheiden sich dabei durchaus im Grad ihrer individuellen Bösartigkeit. Im ungünstigsten Fall werden sog. entdifferenzierte Tumoren beobachtet, deren Ursprungsgewebe lichtmikroskopisch kaum noch erkannt werden kann. Einteilung nach der Dignität Nach ihrem biologischen Verhalten in Beziehung zu ihrem Wirtsorganismus werden Tumoren prinzipiell in gutartige (benigne) und bösartige (maligne) eingeteilt, man spricht in diesem Zusammenhang auch von der Dignität der Tumoren. Die in Tab. 4.1 genannten Charakteristika gutartiger und bösartiger Tumoren können jedoch nur als Anhaltspunkte verstanden werden, da es Ausnahmen von diesen Regeln gibt: • Blutgefäßgeschwülste (Hämangiome) gehören zwar zu den gutartigen Tumoren, besitzen jedoch keine Kapsel, wachsen infiltrierend und können destruierend in die Umgebung vordringen. • Das von seiner Dignität her lokal aggressive Basalzellkarzinom wächst als maligner Tumor meist nur langsam, aber infiltrierend und metastasiert extrem selten. MERKE Tumorähnliche Läsionen (tumor-like lesions) sind Veränderungen, die in ihrem Aussehen und klinischen Verhalten echten Tumoren ähneln, ohne jedoch ein gänzlich autonomes Wachstum aufzuweisen. Sie können auch infolge eines äußeren Reizes auftreten. Einteilung nach der Histogenese Tumoren werden auch nach der Histogenese eingeteilt. Damit ist ihre Zugehörigkeit zu bzw. ihre Ähnlichkeit mit normalen Geweben des Organismus gemeint, die letztlich auf die drei Keimblätter Entoderm, Mesoderm und Ektoderm zurückgehen. Entsprechend der Keimblatttheorie auf das Ektoderm zurückgehende Tumoren werden als ektodermale Tumoren, auf das Mesoderm zurückgehende Tumoren als mesodermale Tumoren und vom Entoderm entstammende Neubildungen als entodermale Tumoren bezeichnet. Es hat sich jedoch eingebürgert für die Tumoren des (überwiegend mesodermalen) Binde- und Stützgewebes den Begriff mesenchymale Tumoren zu verwen- aus: Schwenzer/Ehrenfeld, Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie (ISBN 9783135935041) © 2011 Georg Thieme Verlag KG Pathologie Tab. 4.2 Nomenklatur mesenchymaler Tumoren Ausgangsgewebe Bezeichnung benigner Tumoren Bezeichnung maligner Tumoren Bindegewebe F ibrom Fibrosarkom Knochen Osteom Osteosarkom glatte Muskulatur Leiomyom Leiomyosarkom quer gestreifte Muskulatur Rhabdomyom Rhabdomyosarkom Knorpel Chondrom Chondrosarkom Fettgewebe Lipom Liposarkom Blutgefäße Hämangiom Hämangiosarkom Lymphgefäße Lymphangiom Lymphangiosarkom den, da man unter dem histologischen Terminus „Mesenchym“ auch das Bindegewebe versteht, das entwicklungsgeschichtlich sowohl mesodermalen als auch (neuro-)ektodermalen Ursprungs sein kann. Die Bezeichnung der einzelnen Tumorentitäten erfolgt derart, dass an den lateinischen oder griechischen Wortstamm des jeweiligen Ursprungsgewebes zusätzliche Endsilben angehängt werden, die eine Neubildung als gutartig oder bösartig identifizieren: Mesenchymale Tumoren Bei mesenchymalen Tumoren kennzeichnet die Endsilbe „-om“ einen gutartigen und die Endsilbe „-sarkom“ einen bösartigen Tumor. So entstehen aus dem Wortstamm „osteo“ für Knochen einerseits der Begriff „Osteom“ als Bezeichnung für einen gutartigen Knochentumor und andererseits der Begriff „Osteosarkom“ für einen bösartigen Tumor, der Knochengrundsubstanz (=Osteoid) bilden kann. Entsprechend können die gutartigen und bösartigen mesenchymalen Tumoren laut Tab. 4.2 aufgelistet werden. Ektodermale Tumoren Bei den ektodermalen Tumoren wird ein ähnliches Einteilungssystem angewendet, die benignen Tumoren werden ebenfalls mit der Endsilbe „-om“, die malignen mit den Endsilben „-karzinom“ versehen. Gutartige Tumoren der Haut oder Mundschleimhaut gehen vom Plattenepithel aus und werden wegen ihres fingerförmigen Wachstums Papillome genannt. Die bösartigen Tumoren des Plattenepithels heißen Plattenepithelkarzinome, sie werden zumeist nach ihrer Lokalisation als Mundhöhlenkarzinom, Lungenkarzinom, Hautkarzinom etc. bezeichnet. Ein weiterer, von den Basalzellen der Haut ausgehender maligner Tumor wird Basalzellkarzinom (Syn.: Basaliom) genannt. Karzinome können auch aus Drüsenepithelien z. B. der Speicheldrüsen entstehen. Sie werden dann Adenokarzinome genannt. Neurogene Tumoren gehören ebenfalls zu den ektodermalen Tumoren. Hier ist die Terminologie weniger übersichtlich, prinzipiell werden die gutartigen Tumoren jedoch auch in dieser Gruppe mit der Endsilbe „-om“ versehen. Benigne Tumoren, die von den Schwann-Zellen ausgehen, welche die eigentlichen Nervenfasern (Neurone) umgeben, werden als Schwannome oder Neurinome bezeichnet, bösartige von den Schwann-Zellen abstammende Tumoren als maligne Schwannome bzw. als maligne periphere Nervenscheidentumoren (MPNST). Von Nervenhüllgewebe (Epi-, Peri- oder Endoneurium) ausgehende benigne Tumoren werden Neurofibrome genannt, die nicht mit Neuromen verwechselt werden dürfen, die weit überwiegend keine Tumoren, sondern Fehlregenerate nach Nervenverletzungen, selten auch einmal Hamartome darstellen, (vgl. Kap. 12). Die pigmentbildenden Zellen der Haut, die Melanozyten (die auch in der Mundhöhle und den Hirnhäuten vorkommen), sind neuroektodermalen Ursprungs. Aus ihnen können die benignen Nävuszellnävi und maligne pigmentierte Tumoren, die Melanome, entstehen. MERKE In den zahntragenden Abschnitten der Kiefer ist durch das Vorhandensein sog. ektomesenchymalen Gewebes eine besondere Situation gegeben. Dieses Gewebe leitet sich vom Neuroektoderm ab und kann ebenfalls Ursprungsgewebe für Tumoren sein (s. S. 117). aus: Schwenzer/Ehrenfeld, Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie (ISBN 9783135935041) © 2011 Georg Thieme Verlag KG 59 60 4 Tumoren und tumorähnliche Läsionen im Mund-Kiefer-Gesichts-Bereich Zeit (synchron) als auch nacheinander (metachron) auftreten und diagnostiziert werden. Unter Tumorpersistenz wird ein Verbleiben von Tumorresten am Ort der Tumorentstehung trotz tumorspezifischer Therapie verstanden. Unter einem Rezidivtumor versteht man hingegen ein Wiederauftreten des Tumors am gleichen Ort nach Abschluss einer zunächst erfolgreichen tumorspezifischen Behandlung. 5 6 7 1 8 2 3 9 10 4 11 Abb. 4.1 Schematische Darstellung der Lymphgefäße und Lymphknoten des Kopf-Hals-Bereichs. Bevorzugter Sitz von Metastasen bösartiger Tumoren des Mund-Kiefer-Bereichs sind die Gruppen 1–5. 1 Nodi lymphatici submentales 2 Nodi lymphatici submandibulares 3 Nodi lymphatici cervicales profundi superiores mediales (Nodi lymphatici jugulares) 4 Nodi lymphatici cervicales profundi inferiores mediales 5 Nodi lymphatici auriculares anteriores (Nodi lymphatici parotidei) 6 Nodi lymphatici auriculares posteriores (Nodi lymphatici retroauriculares) 7 Nodi lymphatici auriculares inferiores 8 Nodi lymphatici nuchales 9 Nodi lymphatici cervicales profundi superiores laterales 10 Nodi lymphatici cervicales profundi inferiores laterales 11 Nodi lymphatici supraclaviculares Tumorkomplikationen Definitionen Ein Primärtumor ist ein Tumor, der erstmals an einem bestimmten Ort im Körper auftritt. Ein Zweittumor ist entsprechend ein zweiter Tumor bei einem Patienten, dessen Auftreten in keinem direkten Zusammenhang mit dem Primärtumor steht und der eine andere Lokalisation oder bei gleicher Lokalisation einen anderen histologischen Typ besitzt. Auch Dritttumoren, Vierttumoren usw. sind möglich. So können z. B. unabhängig voneinander Plattenepithelkarzinome in der Mundhöhle und in der Lunge auftreten. Von der zeitlichen Abfolge her können beispielsweise Erst- und Zweittumor sowohl zur gleichen Metastasierung Metastasen oder Tochtergeschwülste entstehen, wenn sich Zellen eines malignen Tumors in den Organismus absiedeln und an anderer Stelle zu wachsen beginnen. Dieser Vorgang wird auch als Tumoraussaat bezeichnet. Es werden verschiedene Metastasierungswege unterschieden: • Bei der lymphogenen Metastasierung findet eine Absiedlung von Tumorzellen über das Lymphgefäß-Lymphknoten-System statt. Dabei können die Tumorzellen vor allem in den lokoregionären Lymphknoten, den Filterstationen des lymphatischen Systems, „hängenbleiben“ (Abb. 4.1). Dies ist jedoch kein passiver Vorgang, sondern beruht auf einer Interaktion von Tumorzellen und ortsständigen Zellen z. B. Sinusendothelien der Lymphknoten. Bei weiterem Tumorwachstum in den Lymphknoten entstehen die sog. Lymphknotenmetastasen. • Zur hämatogenen Metastasierung kommt es nach Einbruch in das Blutgefäßsystem. Die Tumorzellen können sich dann im Kapillargebiet parenchymatöser Organe ansiedeln und dort in Form von Organmetastasen wachsen. • Die Metastasierung per continuitatem (fortgeleitete Metastasierung) findet in Gewebespalten und entlang von Hohlorganen statt. Prototyp ist die Tumoraussaat im Pleuraspalt. Selten erfolgt eine Metastasierung per continuitatem auch entlang der oberen Luft- und Speisewege, z. B. nach mehrfachen Operationen wegen Tumorrezidiven. Vitale Bedrohung durch den Tumor Bösartige Tumoren können durch Einwachsen in lebenswichtige Organe, durch Schwächung des Immunsystems oder durch überschießendes Wachstum, das zu einer Auszehrung des betroffenen Organismus führt, zum Tode des vom Tumorleiden betroffenen Menschen führen. Diese Auszehrung wird als Tumorkachexie bezeichnet. Auch gutartige Tumoren können bei entsprechender Lokalisation, z. B. bei intrakraniellem Wachstum oder bei Verlegung der Atemwege, für den Wirtsorganismus zu einer vitalen Bedrohung werden. Dies ist bei benignen Tumoren jedoch nur sehr selten der Fall. Im Kopf-HalsBereich können z. B. rezidivierende Ameloblastome des Oberkiefers mit Einbruch in die Schädelbasis zu einem letalen Ausgang führen. aus: Schwenzer/Ehrenfeld, Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie (ISBN 9783135935041) © 2011 Georg Thieme Verlag KG Epidemiologie Bösartige Tumoren führen unbehandelt mit unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten zum Tode der Betroffenen, sodass es sinnvoll ist, für bösartige Tumorerkrankungen eine Prognose zu ermitteln. Die Angabe der Prognose erfolgt zumeist als 5-Jahres-Überlebensrate. Diese Zahl beschreibt, welcher Prozentsatz der an einem bestimmten Tumorleiden erkrankten Personen im statistischen Mittel 5 Jahre nach Diagnosestellung noch am Leben ist. Die Prognosen sind abhängig von der Art der Tumoren, der Ausdehnung der Primärtumoren, vom Lymphknotenbefall und einer eventuell bereits erfolgten Metastasierung. Um überhaupt gesicherte Aussagen zu Überlebenswahrscheinlichkeiten machen zu können, ist eine statistische Datenerhebung anhand von möglichst großen Untersuchungsgruppen nötig. Epidemiologie Definitionen Die Epidemiologie ist die Wissenschaft, die sich mit der Häufigkeit des Auftretens von Krankheiten in bestimmten Populationen und mit möglichen Einflussfaktoren auf die jeweiligen Erkrankungen beschäftigt. Entsprechend geht es in der Tumorepidemiologie um die Aufarbeitung von statistischen Fragestellungen hinsichtlich Inzidenz, Mortalität, Prävalenz und Ursachen. • Die Inzidenz gibt die Anzahl der Neuerkrankungen (Tumoren oder einer bestimmten Tumorart) in einem definierten Zeitraum und einer definierten Population an. • Die Prävalenz gibt an, wie viele Individuen einer Population oder welcher Prozentsatz zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem Tumorleiden erkrankt sind. • Mortalität bedeutet die Sterblichkeit an einer Tumorerkrankung in einer bestimmten Population in einem definierten Zeitraum und wird bei bösartigen Tumoren zumeist als 5-Jahres-Überlebensrate angegeben. • Letalität bezeichnet den Anteil der Verstorbenen an einer bestimmten Krankheit in Bezug auf alle von dieser Krankheit betroffenen Patienten. MERKE Die Angabe von Sterberaten oder Überlebenswahrscheinlichkeiten ist nur bei bösartigen Tumoren sinnvoll, da gutartige Tumoren nur in Ausnahmefällen zum Tod führen. Epidemiologische Krebsregister In der Bundesrepublik Deutschland existiert kein zentrales Register, mit dessen Hilfe alle neu auftretenden Krankheiten erfasst werden und damit auswertbar wären. Dies gilt auch für Tumorerkrankungen. Daher gibt es nur wenige verlässlichen Zahlen über Inzidenzen von Tumoren generell oder in einzelnen Untergruppen. Dies stellt speziell für die Tumorforschung ein Problem dar, da Informa- tionen nur über freiwillige ländereigene oder fachspezifische Register gewonnen werden können. Auf dem Gebiet der alten Bundesrepublik Deutschland hatten nur das Saarland und Hamburg freiwillige Erfassungsregister eingerichtet. Bei beiden handelt es sich um relativ kleine Bundesländer, was in Bezug auf die Aussagekraft der Daten ein Problem darstellen kann, wenn diese auf die gesamte Bundesrepublik hochgerechnet werden. Im Gegensatz dazu gab es in der Deutschen Demokratischen Republik eine zentrales Tumorregister, dem wir viele Informationen über Zunahme oder Abnahme einzelner Tumorarten verdanken. Dennoch lassen die unterschiedlichen Lebensbedingungen, die in beiden Teilen Deutschlands geherrscht haben, keine Übertragung der Daten aus der ehemaligen DDR auf die Bundesrepublik Deutschland zu. Mittlerweile existieren 11 epidemiologische Krebsregister, die sich in der Gesellschaft der epidemiologischen Krebsregister in Deutschland e. V. (www.gekid.de) zusammengeschlossen haben und praktisch in allen Bundesländern tätig sind. Fachspezifische Krebsregister Als fachspezifische Register werden Tumordokumentationen bezeichnet, die von medizinischen Fachgesellschaften gegründet und unterhalten werden. Dazu gehört das Register des Deutsch-Österreichisch-Schweizerischen Arbeitskreises für Kiefer-Gesichts-Tumoren (DÖSAK). Diese Arbeitsgemeinschaft wurde von österreichischen, schweizerischen und deutschen Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen gegründet. Sie dient der Erfassung von Tumorerkrankungen sowie der Planung und Durchführung von Therapiestudien und deren statistischer Begleitung. Die Arbeitsgemeinschaft unterhält zwei Register: • Ein Register beschäftigt sich überwiegend mit der Dokumentation der Mundhöhlenkarzinome und ist zurzeit an der Klinik für Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie der Universität Basel eingerichtet. • Das zweite Register ist ein Referenzregister für Tumoren im Kiefer- und Gesichtsbereich (hier abgekürzt als DÖSAK-KT-Reg.). Es ist am Institut für Pathologie der Universität Basel lokalisiert, dort seit seiner Gründung (1972) in das Knochentumor-Referenzzentrum der schweizerischen Gesellschaft für Pathologie integriert und dient im deutschsprachigen Raum als Anlaufstelle für schwierige differenzialdiagnostische Probleme bei odontogenen Tumoren und ossären Läsionen im Bereich des Schädels. Ein Nachteil solcher fachspezifischen Register ist die Freiwilligkeit, was bedeutet, dass nur mit Zustimmung der Patienten Daten eingegeben werden dürfen, die nicht zur Klärung diagnostischer Fragen erforderlich sind und auch die jeweiligen Therapeuten oder Kliniken willens sein müssen, die zur Dokumentation notwendigen Formulare und Unterlagen auszufüllen. Als weiterer Nachteil kommt aus: Schwenzer/Ehrenfeld, Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie (ISBN 9783135935041) © 2011 Georg Thieme Verlag KG 61 Therapieprinzipien vollständiger Aufarbeitung eines Tumorresektionspräparats verschieden sein. Das Grading eines Primärtumors kann sich von dem Grading der von diesem Tumor ausgehenden Lymphknotenmetastasen ebenfalls unterscheiden. Tab. 4.6 R-Klassifikation R0 kein Residualtumor R1 Residualtumor mikroskopisch nachweisbar R2 Residualtumor makroskopisch nachweisbar R-Klassifikation Für die praktische Onkologie sowie für die Prognose eines Tumorleidens ist von großer Bedeutung, ob bei operativen Maßnahmen ein Tumor nach histologischer Untersuchung vollständig ohne Anhalt für persistierenden Resttumor oder unter Zurücklassen mikroskopischer oder makroskopischer Tumorreste behandelt werden konnte (Tab. 4.6). Da R0 bedeutet, dass kein Residualtumor im Patienten mehr vorhanden ist. Die R0-Situation kann nie vom Pathologen allein, sondern nur in Kooperation aller Disziplinen beurteilt werden, da auch eine radiologisch nachgewiesene Fernmetastase trotz lokaler Tumorfreiheit („Resektion im Gesunden“) eine R2-Situation darstellt. Bei der Behandlung von bösartigen Tumoren bedeuten R1- und R2-Resektionen, dass je nach individueller Situation entweder nachoperiert und/oder eine zusätzliche Behandlung bzw. eine Bestrahlung oder Chemotherapie, durchgeführt werden muss, wenn eine kurative Behandlung beabsichtigt ist. Therapieprinzipien Interdisziplinäre Zusammenarbeit Diagnostik und Therapie von Tumorerkrankungen sind insbesondere bei bösartigen Tumoren, jedoch auch bei bestimmten ausgedehnten gutartigen Tumoren häufig eine Aufgabe, an der Vertreter mehrerer medizinischer Fachgebiete beteiligt sind. Die notwendigen diagnostischen Maßnahmen bei Tumoren im Mund-Kiefer-Gesichts-, Kopf- und Halsbereich werden außer von Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen je nach Aufgabenstellung von Hals-Nasen-Ohren-Ärzten, Radiologen, Neuroradiologen, Nuklearmedizinern, Internisten und Pathologen durchgeführt. An der Therapie beteiligt sind Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen, Hals-NasenOhren-Ärzte, Strahlentherapeuten, internistische Onkologen sowie Zahnärzte bei der Zahnsanierung im Rahmen der Vorbereitung zur Strahlentherapie und Pathologen im Rahmen von intraoperativen Schnellschnittuntersuchungen. Bei ausgedehnten Tumoren werden je nach Lokalisation ggf. chirurgische Nachbardisziplinen wie Neurochirurgie oder Allgemeinchirurgie hinzugezogen. Hinweise zur Therapieplanung geben die Therapieleitlinien, die von den verschiedenen medizinischen Fachgesellschaften, so auch von Vertretern der Deutschen Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, erarbeitet und publiziert werden. Wünschenswert wäre, wenn in Zukunft jeder Patient mit Verdacht auf einen malignen Tumor von einem onkologischen Basisteam, einem sog. Tumorboard, gesehen und beraten würde. Zahnärzten, die insbesondere in der freien Praxis ihre Patienten regelmäßig zu Kontrolluntersuchungen einbestellen, kommt eine wichtige Rolle bei der Früherkennung von Mundhöhlentumoren sowie bei Veränderungen im Bereich der äußeren Haut, der Halslymphknoten und der Speicheldrüsen zu. Bei einer kompletten zahnärztlichen Untersuchung sollten stets auch die Schleimhäute der Mundhöhle und, soweit einsehbar, des Oropharynx beurteilt werden. ÜBERSICHT • Exzision: Tumorentfernung von Körperoberfläche, Haut oder Schleimhaut • Exstirpation: Tumorentfernung aus tiefer liegenden Geweben • Exkochleation oder Kürettage: Tumorentfernung bei Einsatz scharfer Löffel oder ähnlicher Instrumente, meist aus dem Knochen • Resektion: Entfernung des Tumors und des gesunden umgebenden Gewebes, z. B. bei einem Karzinom der Zunge im Sinne einer Zungenteilresektion. Behandlung gutartiger Tumoren Chirurgische Tumorentfernung. Die chirurgische Tumorentfernung mitsamt der meist vorhandenen Tumorkapsel ohne Sicherheitsabstand ist bei benignen Tumoren das Vorgehen der Wahl. Strahlen- oder Chemotherapie sind nicht indiziert, da beide vor allem auf sich in Teilung befindliche Zellen wirken und daher gutartige Tumoren, die nur eine sehr langsame Zellteilungsrate aufweisen, auf diese Therapieformen nicht ansprechen. Bei bestimmten gutartigen Tumoren werden spezielle Therapieverfahren eingesetzt. Embolisation. Bei vaskulären Malformationen und Angiomen kann der Blutzufluss durch künstliches Verschließen zuführender Blutgefäße, eine Embolisation, gedrosselt werden. Dies ist als alleinige Maßnahme bei Blutgefäßgeschwülsten im Mund-Kiefer-Gesichts-Bereich zumeist nicht auf Dauer erfolgreich, da sich aufgrund der guten kollateralen Gefäßversorgung in dieser Region wieder neue Zuflüsse zu der Geschwulst bilden. Die Embolisation wird jedoch unterstützend zu einer Operation eingesetzt, um den intraoperativen Blutverlust, der bei Malformationen und Hämangiomen bedrohlich werden kann, zu reduzieren. aus: Schwenzer/Ehrenfeld, Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie (ISBN 9783135935041) © 2011 Georg Thieme Verlag KG 73 74 4 Tumoren und tumorähnliche Läsionen im Mund-Kiefer-Gesichts-Bereich Abb. 4.15 Schematische Darstellung einer radikalen Tumorresektion. a Tumor mit eingezeichnetem Sicherheitsabstand. b Resektat. a b Laserbehandlung. Flache kapillare Blutgefäßgeschwülste der Haut, sog. Naevi flammei, werden heute am besten durch Laserstrahlen (s. auch Kapitel 10 Band „Zahnärztliche Chirurgie“) behandelt. Diese Laseranwendung ist in den meisten Fällen der chirurgischen Therapie von den Ergebnissen her überlegen und vorzuziehen. Mit dem Laser können auch andere gutartige Veränderungen wie Fibrome oder Nävuszellnävi entfernt werden. Immuntherapie. Die lokale Injektion von Kortikoiden wird ebenfalls bei der Behandlung von Hämangiomen eingesetzt, zudem die systemische Gabe von Interferon. PRAXISTIPP • Bei diagnostischer Unsicherheit sollte unabhängig vom therapeutischen Verfahren immer Material für eine histologische Untersuchung gewonnen werden. • Bei unklaren Befunden ist eine chirurgische Entfernung zu bevorzugen, da die pathohistologische Aufarbeitung der gesamten Veränderung unabdingbar ist. Behandlung bösartiger Tumoren Kurative Therapie. Die Therapie eines bösartigen Tumors erfolgt mit kurativer Zielsetzung, wenn eine Heilung des Tumorleidens beabsichtigt ist. Dies setzt bei operativer Behandlung voraus, dass eine vollständige Entfernung des Tumors von seiner Ausdehnung, Lage und vom Allgemeinzustand des Patienten her möglich ist. Bei Strahlenoder Chemotherapie muss der Tumor auf die Therapie ansprechen, also strahlen- oder chemotherapiesensibel sein. Tritt kein Tumorrezidiv auf, ist der Patient kuriert. Palliative Therapie. Eine palliative Zielsetzung besteht, wenn von vornherein keine Tumorheilung beabsichtigt wird, sondern das Tumorleiden und die damit verbundenen Folgen wie Funktionseinschränkungen und Schmerzen für die Patienten erträglicher gemacht werden sollen, z. B. durch Tumorverkleinerung. Radikale Tumorentfernung Unter radikaler Tumorentfernung wird eine Tumorresektion mit einem auf die Tumorart abgestimmten Sicherheitsabstand im gesunden umliegenden Gewebe verstanden. Dieses Vorgehen wird dadurch begründet, dass bösartige Tumoren keine Kapsel besitzen und mit feinen Ausläufern in benachbartes Gewebe einwachsen können. Manche Tumoren, z. B. das adenoid-zystische Karzinom, benutzen Leitstrukturen wie Nerven oder Gewebespalten, an denen sie entlangwachsen. Über die Größe des bei einer definierten Tumorentität notwendigen Sicherheitsabstands besteht nicht immer Einigkeit. Beim Mundhöhlenkarzinom z. B. werden Sicherheitsabstände von 1–2 cm gefordert. Sämtliche Gewebe, die sich im Bereich der Sicherheitszone befinden, werden entfernt, egal ob es sich um Weichgewebe oder Knochen, z. B. Anteile des Unter- oder Oberkiefers, handelt (Abb. 4.15). Zur bestmöglichen intraoperativen Beurteilung der Resektionsränder werden häufig separate Randoder Grenzschnitte vorgenommen, die im Schnellschnitt untersucht werden. Die Präparate können vom Operateur auf Kork- oder Styroporplatten aufgepinnt werden, um eine sicherere Zuordnung durch den Pathologen zu ermöglichen (Abb. 4.16). MERKE Bei der radikalen Tumorentfernung muss der Sicherheitsabstand in alle Richtungen eingehalten werden. Lymphadenektomie Grundlagen Die chirurgische Entfernung des Lymphabstromgebiets wird als Lymphadenektomie bezeichnet. Sie kann erfolgen, um Lymphknoten zu entfernen, bei denen Verdacht auf einen metastatischen Befall vorliegt. Die Indikation der Lymphadenektomie kann jedoch auch darin bestehen, Mikrometastasen, die klinisch und in bildgebenden Ver- aus: Schwenzer/Ehrenfeld, Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie (ISBN 9783135935041) © 2011 Georg Thieme Verlag KG Therapieprinzipien Abb. 4.16 Tumorresektion mit Grenzschnitten. a T1-Karzinom der Zunge, Ausdehnung des Primärtumors (Pfeil). Der Primärtumor wird mit 1 cm Sicherheitsabstand exzidiert. Entnahme zusätzlicher Grenzschnitte aus dem Randbereich (Sektoren 1–4) b Aufgepinntes Tumorresektat inkl. Grenzschnitte. Präparat 5 (unten) bezeichnet den Grenzschnitt zur Tiefe. a b I II III VI Abb. 4.17 IV V Lokalisation der Halslymphknoten. fahren noch nicht entdeckt werden konnten, mitsamt der sie enthaltenden Lymphknoten zu exstirpieren. Eine Lymphknotenausräumung am Hals wird auch als Neck Dissection bezeichnet. Der Terminus elektive (Syn.: prophylaktische) Neck Dissection wird verwendet, wenn bei einem nicht metastasenverdächtigen (sog. präoperative N0-)Hals eine Lymphknotenausräumung durchgeführt wird, um entweder noch nicht nachgewiesene Mikrometastasen oder die wesentlichen Lymphbahnen als Zielort einer gerade beginnenden Metastasierung zu entfernen. Dieser Begriff ist sachlich im Hinblick auf das Tumorleiden nur dann korrekt, wenn in der pathohistologischen Aufarbeitung des Resektionspräparats vom Hals keinerlei Tumorabsiedlungen nachgewiesen werden können. Bei bereits eingetretener Mikrometastasierung ist eine Lymphknotenausräumung nicht mehr Prophylaxe. Besteht bereits vor der Operation begründeter Verdacht oder Gewissheit (Feinnadelbiopsie), dass Lymphknotenmetastasen vorliegen, oder werden bei der pathohistologischen Begutachtung des entfernten lymphatischen Gewebes, eventuell in intraoperativen Schnellschnittuntersuchungen, Metastasen nachgewiesen, wird von einer therapeutischen Neck Dissection gesprochen. Einer Lymphknotenausräumung kommt auch bei Anwendung moderner bildgebender Verfahren ein nicht zu unterschätzender Wert in der Diagnosestellung und der genauen Klassifikation der Tumorerkrankung (staging) zu. Die Ausräumung von im Nachhinein nicht befallenen Lymphbahnen ist fester Bestandteil der Tumortherapie. Elektive bzw. therapeutische Lymphadenektomien sind daher nicht immer klar voneinander abgrenzbar. Lymphknotenausräumungen werden generell im lokalen Lymphabstromgebiet eines Tumors durchgeführt. Dies ist für Tumoren der Mundhöhle, der Ober- und Unterlippe vor allem das Lymphbahnsystem des Halses, während Tumoren der Wangenhaut sowie ausgedehnte Tumoren der Stirn- und der Lidregion auch in die Lymphknoten der Gl. parotidea metastasieren können. Tumoren der Kopfhaut können in die Lymphbahnen der dorsalen Halsanteile, die nuchalen Lymphknoten, Tumorzellen aussäen. Am Hals werden die Lymphknoten dabei in sieben Ebenen (levels) eingeteilt (Abb. 4.17). Letztlich ist jedoch nicht kalkulierbar, in welche Lymphknoten Tumorzellen absiedeln, da einerseits die Lymphbahnen sehr stark vernetzt sind, andererseits die Wege des Lymphabstroms nicht sicher vorausgesagt werden können. Tumorzellen müssen auch nicht in dem Lymphknoten hängen bleiben, der dem Tumor am nächsten gelegen ist. Lymphknotenfilterstationen können im Rahmen der Metastasierung durchaus übersprungen werden. Anatomische Modifikationen Submandibuläre Ausräumung. Die kranial-seitliche und anteriore Filterstation am Hals wird durch die suprahyoidale oder submandibuläre Ausräumung erfasst. Bei dieser Form der Halslymphknotenausräumung wird der Inhalt des Spatium submandibulare aus Binde-Fettgewebe mit- aus: Schwenzer/Ehrenfeld, Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie (ISBN 9783135935041) © 2011 Georg Thieme Verlag KG 75 76 4 Tumoren und tumorähnliche Läsionen im Mund-Kiefer-Gesichts-Bereich A. u. V. facialis Gl. submandibularis Ductus submandibularis N. lingualis N. hypoglossus M. digastricus, venter posterior a b c Abb. 4.18 Lymphknotenausräumung der Submandibularregion. a Schnittführung. b Freigelegter Situs mit der Glandula submandibularis. c Ausgeräumte Region. samt der Blutgefäße und Lymphbahnen sowie der Glandula submandibularis entfernt. Anatomische Leitstrukturen für die Submandibulargrube sind der Musculus digastricus als kaudale Begrenzung, der Unterrand des Unterkiefers als kraniale Grenze, das Platysma bzw. die Subkutis nach lateral und der Musculus mylohyoideus bzw. die externe Zungenmuskulatur nach medial (Abb. 4.18). Eine submandibuläre Ausräumung schließt definitionsgemäß auch bei beidseitiger Durchführung die Submentalregion nicht ein. Bei der isolierten submandibulären Ausräumung werden die jugulodigastrischen Lymphknoten nicht mit entfernt, denen in der praktischen Onkologie eine wichtige Rolle zukommt. Sie sind kaudal des posterioren Bauches des M. digastricus, lateral der V. jugularis interna und unter dem M. sternocleidomastoideus lokalisiert. Sie bilden eine wichtige Filterstation, denn häufig werden die ersten Metastasen in dieser Lymphknotengruppe angetroffen. Es ist daher sinnvoll, im Rahmen einer submandibulären Ausräumung die jugulodigastrische Region, die in Level II liegt, mit zu explorieren und dort vorhandene Lymphknoten zumindest zur Diagnosesicherung zu entfernen. Begrenzung der Ausräumung identisch mit der submandibulären Ausräumung, die untere Begrenzung wird jedoch am Hals nach kaudal verschoben. Die untere Begrenzung bildet der Musculus omohyoideus. Somit ist bei dieser Form der Lymphadenektomie die jugulodigastrische Lymphknotengruppe mit eingeschlossen. Die Level I, II, III (teilweise) und V können dadurch ausgeräumt werden. Submentale Ausräumung. Eine submentale Ausräumung beinhaltet die Region, die kranial durch den Unterrand des Unterkiefers, lateral durch die vorderen Bäuche des Musculus digastricus, kaudal durch das Zungenbein und nach posterior durch die Außenmuskeln der Zunge definiert wird. Bei einer kombinierten submandibulären und submentalen Ausräumung werden die Lymphbahnen in Level I entfernt (Level I neck dissection). Supraomohyoidale Neck Dissection. Bei einer supraomohyoidalen Neck Dissection sind die kraniale und vordere Vollständige Neck Dissection. Unter einer vollständigen Neck Dissection wird die Ausräumung einer ganzen Halsseite verstanden. Sie ist kranial vom Ansatz des Musculus sternocleidomastoideus an der Schädelbasis, posterior vom Musculus trapezius, in der Tiefe von der tiefen Halsfaszie, nach kranial-anterior vom Musculus digastricus und nach kaudal-anterior von der Schilddrüse begrenzt sowie nach kaudal-medial und kaudal-posterior von der Klavikula. Den Abschluss nach lateral bilden Subkutis oder Platysma, je nachdem, ob das Platysma in die Halslymphknotenausräumung einbezogen wird oder nicht. Technische Modifikationen Die Lymphadenektomien und speziell die Neck Dissection können in verschiedenen technischen Modifikationen durchgeführt werden. Die wichtigste Einteilung ist die in radikale und konservative Neck Dissection. (Zwischenformen sind möglich.) Radikale Neck Dissection. Außer den Lymphgefäßen und Lymphknoten, die überwiegend entlang der Halsgefäßscheide verlaufen, werden alle benachbarten Weichgewebe entfernt, die keine unverzichtbare vitale Bedeutung für den Patienten haben, wie die Halsschlagader. Reseziert werden der Musculus sternocleidomastoideus, die Vena aus: Schwenzer/Ehrenfeld, Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie (ISBN 9783135935041) © 2011 Georg Thieme Verlag KG 146 4 Tumoren und tumorähnliche Läsionen im Mund-Kiefer-Gesichts-Bereich ßen Tumoren wird jedoch häufig ein extraoraler Zugang gewählt, meist nach Dieffenbach und Weber (Abb. 4.118). Der nach einer Oberkieferteilresektion verbleibende Oberkieferdefekt kann mit einer sog. Obturatorprothese abgedeckt werden. Auch die Rekonstruktion des Oberkiefers ist möglich und wird bei großen Defekten heute zumeist mit mikrochirurgischen Transplantaten durchgeführt (Abb. 4.119). Je nach Tumorausdehnung, zugrunde liegender Histologie und nach den individuellen Patientenwünschen kann zeitgleich mit der Resektion eine Sofortrekonstruktion erfolgen oder eine zeitversetzte Sekundärrekonstruktion. Speicheldrüsentumoren Abb. 4.117 Nasennebenhöhlenaufnahme bei Nasennebenhöhlenkarzinom mit Destruktion der seitlichen Kieferhöhlenwand. mit einer Bulbusverlagerung, insbesondere einem Bulbushochstand, und Doppelbildern ist möglich. Betroffen sein können auch die laterale Nasenwand sowie die seitliche und faziale Kieferhöhlenwand, was klinisch häufig mit einer verstrichenen Nasolabialfalte einhergeht. Bildgebende Diagnostik Im konventionellen Röntgenbild, im CT und im MRT gehen Kieferhöhlentumoren mit einem teilweise oder vollständig verschatteten Kieferhöhlenlumen einher. Häufig werden bei malignen Tumoren Destruktionen und Lysen der knöchernen Kieferhöhlenwände beobachtet, was ein wichtiges differenzialdiagnostisches Kriterium in der Abgrenzung gegenüber Entzündungen darstellt (Abb. 4.117). Therapie Adenokarzinome und Plattenepithelkarzinome weisen ein ähnliches klinisches Verhalten auf und werden bei Operabilität am besten chirurgisch, ansonsten durch alleinige Radiotherapie oder Radio- und Chemotherapie behandelt. Im Rahmen einer operativen Behandlung werden Lymphknotenausräumungen vor allem bei Verdacht auf Lymphknotenmetastasierung oder bei unklaren Lymphknotenvergrößerungen durchgeführt. Kieferhöhlenkarzinome metastasieren ähnlich wie Oberkieferkarzinome relativ spät und im Vergleich zu Karzinomen der unteren Mundhöhlenetage deutlich seltener. Die chirurgische Tumorentfernung erfolgt oft in Form einer sog. Oberkieferteilresektion. Diese kann bei kleinen Tumoren über einen intraoralen Zugang erfolgen, bei gro- Tumoren der Speicheldrüsen können vom spezifischen Speicheldrüsenparenchym oder vom unspezifischen Stroma ausgehen. Dieses trifft sowohl für die großen Kopfspeicheldrüsen als auch für die kleinen Speicheldrüsen der Mundschleimhaut zu. Insbesondere in der Glandula parotidea, die lymphatisches Gewebe und Lymphknoten enthält, können auch Metastasen anderer Tumoren wie lokoregionale Metastasen von Karzinomen der Stirn-, Schläfen- und oberen Wangenhaut sowie Fernmetastasen auftreten. Gutartige Speicheldrüsentumoren sind häufiger als maligne. Klinik In der Anfangsphase sind sämtliche Speicheldrüsentumoren durch eine zumeist schmerzlose Auftreibung gekennzeichnet. Maligne Tumoren können durch Einwachsen in Nachbarstrukturen spezifische malignitätsverdächtige Symptome hervorrufen. Dazu gehört vor allem der Ausfall benachbarter Nerven. Hier ist für die Glandula parotidea ein teilweiser oder vollständiger Ausfall des Nervus facialis im Sinne einer peripheren Fazialisparese und für die Glandula sublingualis der Ausfall des Nervus lingualis hervorzuheben. Staging Mit den üblichen bildgebenden Verfahren des präoperativen Stagings kann insbesondere bei Tumoren der Speicheldrüsen, die sich überwiegend ähnlich darstellen, keine differenzialdiagnostische Abgrenzung vorgenommen werden. Auch klinisch ist die präoperative Unterscheidung zwischen gutartigen und bösartigen Tumoren oft schwierig bis unmöglich, da insbesondere bei den Speicheldrüsentumoren Tumorentitäten beobachtet werden, die zwar maligne sind, trotzdem aber langsam wachsen. In der Glandula parotidea überwiegen gutartige Tumoren (ca. 80%), während Tumoren in der Glandula submandibularis und den kleinen Speicheldrüsen etwa zur Hälfte maligne sind. Die Glandula sublingualis entwickelt zwar nur selten Tumoren (1%), diese sind jedoch zu 90% bösartig. aus: Schwenzer/Ehrenfeld, Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie (ISBN 9783135935041) © 2011 Georg Thieme Verlag KG Speicheldrüsentumoren Abb. 4.118 Zugang nach Dieffenbach und Weber für eine Oberkieferteilresektion. a Extraorale Inzisionslinie. b Nach Abklappen der Weichgewebe Markierung der Resektionsgrenzen. c Resektion. d Zustand nach Resektion. a d a b c d b e c Abb. 4.119 Transorale Oberkieferteilresektion bei einem adenoid-zystischen Karzinom. a Intraoraler Befund. b Ausgedehnter Hartgaumendefekt nach partieller Oberkieferresektion. c Resektionsprothese zum Verschluss bis zur plastischen Deckung. d Resektionsprothese in situ. e Zustand nach mikrochirurgischem Defektverschluss mit einem distalen radialen Unterarmlappen. aus: Schwenzer/Ehrenfeld, Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie (ISBN 9783135935041) © 2011 Georg Thieme Verlag KG 147 148 4 Tumoren und tumorähnliche Läsionen im Mund-Kiefer-Gesichts-Bereich a b Abb. 4.120 Konservative Parotidektomie a Operativer Zugang. Therapie Die Therapie auch gutartiger Speicheldrüsentumoren weist insbesondere für die großen Kopfspeicheldrüsen aus anatomischen und operationstechnischen Gründen einige Besonderheiten auf. Prinzipiell reicht es aus, gutartige Tumoren mitsamt der Kapsel und ohne Sicherheitsabstand zu entfernen. Klinisch auffällige gutartige Tumoren in der Glandula parotidea sind bei Diagnosestellung oft schon so groß, dass eine Entfernung ohne Darstellung des Nervus facialis nicht möglich ist. Häufig ist es sogar sinnvoll, selbst bei gutartigen Tumoren nicht nur den Tumor mitsamt Kapsel, sondern die Glandula parotidea teilweise oder vollständig zu entfernen. Ähnliches gilt für die Glandula submandibularis und die Glandula sublingualis. Eine einzelne Drüse ist funktionell ohne weiteres entbehrlich. Die Funktion einer Drüse nach der Entfernung eines Tumors aus dieser ist nicht exakt vorhersehbar. Daher und um das Risiko eines Zweiteingriffs zu vermeiden wird die Exstirpation der Drüse mitsamt Tumor zumeist einer reinen Tumorexstirpation vorgezogen. Für dieses Vorgehen spricht zudem die Schwierigkeit, insbesondere niedrig maligne seltene Speicheldrüsentumoren im Schnellschnitt sicher klassifizieren zu können. Entfernung der Glandula parotidea MERKE Bei einer konservativen Parotidektomie wird der N. facialis präpariert und erhalten, bei einer radikalen Parotidektomie wird der N. facialis mitsamt dem Drüsengewebe reseziert. Der Nervus facialis tritt bald nach seinem Durchtritt durch das Foramen stylomastoideum durch die Drüsenkapsel in das Drüsenparenchym ein und verzweigt sich in seine Endäste. Dabei liegen alle Äste in einer Ebene, durch welche die Glandula parotidea in einen zumeist kleinen c b Freilegung des Fazialishauptstamms. c Zustand nach Teilresektion der Glandula parotidea. medialen und einen größeren lateralen Teil aufgeteilt wird. Die Ohrspeicheldrüse kann im Rahmen einer konservativen Entfernung vollständig oder teilweise im Sinne einer sog. Teilparotidektomie reseziert werden. Wird der gesamte Teil lateral der „Nervenebene“ exstirpiert, spricht man von einer lateralen Parotidektomie. Vorgehen. Der operative Zugang zur Ohrspeicheldrüse erfolgt über einen präaurikulären Schnitt, der um das Ohrläppchen herum nach dorsal geführt wird und in einer submandibulären Hautfalte ausläuft (Abb. 4.120). Danach wird ein Haut-Subkutis-Lappen nach anterior präpariert und die Parotiskapsel freigelegt. Der kraniale Vorderrand des M. sternocleidomastoideus bildet die hintere und kaudale Begrenzung der Parotisloge und wird als nächstes identifiziert. Danach wird der Fazialisstamm dargestellt. Dies kann sowohl über einen typischerweise nach anterior und kaudal zeigenden Knorpelvorsprung des Tragus, den „Pointer“, oder direkt oberhalb der Kreuzungsstelle zwischen M. sternocleidomastoideus und dem Venter posterior des M. digastricus erfolgen. Anschließend werden der Nervenstamm und seine Aufzweigungen nach peripher verfolgt und dabei das die Nervenäste bedeckende Speicheldrüsengewebe sukzessive durchtrennt und entfernt. Zur Identifikation des Nervenstammes und der Nervenäste wird ein Nervenstimulator eingesetzt. Auch ein Neuromonitoring ist möglich und sinnvoll. Wichtig ist eine subtile intraoperative Blutstillung, damit das Operationsgebiet übersichtlich bleibt. Da insbesondere nach Teilparotidektomien größere Wundflächen zurückbleiben, sollte vor dem Wundverschluss die Blutstillung nochmals überprüft werden. Die Einlage einer Drainage, z. B. einer Redon-Drainage, ist sinnvoll. Bei einer totalen konservativen Parotidektomie müssen die einzelnen Nervenäste nicht nur dargestellt, sondern komplett freipräpariert werden, damit der tiefe Anteil der Drüse entfernt werden kann. Dies ist verglichen mit Teil- aus: Schwenzer/Ehrenfeld, Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie (ISBN 9783135935041) © 2011 Georg Thieme Verlag KG Speicheldrüsentumoren parotidektomien mit einer erhöhten Inzidenz von zumindest temporären Nervenausfällen verbunden. Entfernung der Glandula submandibularis Die Glandula submandibularis wird zumeist von extraoral über einen submandibulären Zugang in einer Halsfalte etwa 3–4 cm unterhalb der Unterkieferunterrandes aufgesucht und entfernt (Submandibulektomie). Nach Durchtrennung von Haut, Subkutis und Platysma wird die äußere Halsfaszie dargestellt, die direkt der Drüse aufliegt. Nach Durchtrennung der Halsfaszie (cave: Ramus marginalis nervi facialis) kann die Drüse ausgeschält werden (Abb. 4.121). Der Ausführungsgang der Drüse hat im sog. Knie eine enge topografische Beziehung zum Nervus lingualis, der dargestellt und geschont werden muss. Laufen größere Gefäße durch das Operationsgebiet, wie die Arteria facialis und deren Begleitvenen, so werden diese unterbunden und durchtrennt. Der Wundverschluss erfolgt mehrschichtig, die Einlage einer Drainage ist sinnvoll. Abb. 4.121 Von submandibulär freigelegte und mobilisierte Glandula submandibularis. Abb. 4.122 Pleomorphes Adenom im Bereich der Glandula parotidea. Entfernung der Glandula sublingualis Die Glandula sublingualis liegt im seitlichen Mundboden unterhalb der Plica sublingualis und oberhalb des Musculus mylohyoideus. Sie wird von intraoral über einen Schnitt, der auf oder direkt neben der Plica sublingualis geführt wird, entfernt. Dabei müssen der eng benachbart verlaufenden N. lingualis und der Ductus submandibularis dargestellt und geschont werden. Adenome Pleomorphes Adenom Das pleomorphe Adenom ist der häufigste benigne Tumor der Speicheldrüsen und wahrscheinlich auch absolut der häufigste Speicheldrüsentumor überhaupt. Es tritt überwiegend in der Glandula parotidea und dort zumeist im lateralen Drüsenanteil auf. Die zweithäufigste Lokalisation ist der Übergangsbereich zwischen hartem und weichem Gaumen, wo die Tumoren ihren Ursprung in den dort vorhandenen kleinen Speicheldrüsen haben. MERKE Der klinische Befund aller gutartigen Speicheldrüsentumoren ist sehr ähnlich und erlaubt keine Rückschlüsse auf die zugrunde liegende Histologie. Inzidenz und Risikofaktoren. Die absolute Inzidenz ist nicht bekannt. Der Anteil der pleomorphen Adenome an allen Speicheldrüsentumoren beträgt etwa 50%, der Anteil an den gutartigen etwa 80%. Etwa 78% treten in der Gl. parotidea, etwa 6% in der Gl. submandibularis und etwa 9% in den Speicheldrüsen des Gaumens auf. Risikofaktoren für die Tumorentstehung sind nicht bekannt. Histologie. Pleomorphe Adenome imponieren vor allem durch ihre strukturelle, weniger durch ihre zelluläre Pleo- morphie. Epitheliale und myoepitheliale Zellen sind durchmischt mit mukoiden, myxoiden, hyalinen und chondroiden Elementen, weshalb pleomorphe Adenome früher auch als „Mischtumoren“ bezeichnet wurden. Sie besitzen meist eine Kapsel, die jedoch auch inkomplett sein oder fehlen kann. Außerdem entwickeln sie häufig kleine Satellitenknoten, die kaum sichtbar sind. Klinik. Pleomorphe Adenome zeichnen sich zumeist durch eine langsame und schmerzlose Größenzunahme aus. Sie imponieren als palpatorisch harte Auftreibungen im Bereich der großen Speicheldrüsen oder am Hartgaumen (Abb. 4.122, Abb. 4.123). Eine Änderung ihres Wachstumsverhaltens deutet auf eine maligne Transformation hin. In einigen wenigen Fällen wurden regionäre Lymphknotenmetastasen pleomorpher Adenome beschrieben. Vor einer Metastasierung treten zumeist lokale Rezidive auf. Zwischen dem Auftreten des Primärtumors und einer Metastasierung liegen meist große Zeiträume. Bei intraoperativer Verletzung der Tumoren mit Verteilung von Tumormaterial in der Wunde ist auch eine diffuse Aussaat im Bereich des Operationsgebiets mit der Bildung disseminierter Adenome möglich. Pleomorphe Adenome können maligne transformieren. Es entsteht dann ein Karzinom im pleomorphen Adenom. Plötzliche Zunahme der Wachstumsgeschwindigkeit ei- aus: Schwenzer/Ehrenfeld, Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie (ISBN 9783135935041) © 2011 Georg Thieme Verlag KG 149 Kraniosynostosen beeinträchtigt sein. Daneben kann durch den erhöhten intrakraniellen Druck der Nervus opticus geschädigt werden. Wachstumsbehinderung des Viszerokraniums Bei Störungen des Schädelbasiswachstums ist neben einer Wachstumshemmung des Neurokraniums auch das Viszerokranium betroffen. Die antero-kaudale Rotation des Wachstums des Mittelgesichtes ist behindert. Als Folge tritt eine Hypoplasie des gesamten Mittelgesichts auf, wobei das Gesicht zu transversalem Wachstum tendiert und ein Hypertelorismus entsteht (vg. Abb. 9.7). Da die Infraorbitalränder weit zurückliegen, ist der Exophthalmus der auffälligste Befund (Abb. 9.11). Durch die Wachstumsbehinderung ist der Orbitatrichter mitunter so flach ausgebildet, dass eine Protrusio bulbi mit mangelndem Lidschluss vorliegt. Dadurch besteht die Gefahr einer chronischen Keratokonjunktivitis mit Hornhauterosion und Visusbeeinträchtigung. Durch den eingeengten Nasen-Rachen-Raum wird das Mittelohr über die Tuba auditiva nur mangelhaft belüftet, sodass rezidivierende Paukenergüsse und Mittelohrentzündungen resultieren. Die Kinder entwickeln sich zu reinen Mundatmern, was zur Gingivahyperplasie mit chronischen Entzündungen führt. Häufig treten auch bronchopulmonale Infekte auf. In Extremfällen kann zeitweilig eine Tracheotomie unmittelbar postnatal erforderlich werden. a Die Wachstumsbeeinträchtigung des Viszerokraniums hat auch direkte Auswirkungen auf das stomatognathe System. Je nach Ausprägung der Erkrankung kommt es zum frontal offenen Biss, der so stark ausgeprägt sein kann, dass die Zähne nur noch im Molarenbereich Kontakt finden. Oft treten Zahnfehlstellungen infolge Platzmangels durch den zu kleinen Oberkieferbogen auf. Die Unterentwicklung der Maxilla begünstigt auch eine Rhinolalia clausa. Zusätzlich kann es durch die hohe und schmale Gaumenform und die abnorme Unterkieferlage mit offenem Biss zu Zungenfehlfunktionen kommen, welche die sprachliche Entwicklung behindern. Da der Unterkiefer nicht betroffen und normal ausgebildet ist, entsteht das Bild einer Pseudoprogenie mit positiver Frontzahn- bzw. Lippenstufe. b Kraniosynostosen Einteilung und Pathogenese Kraniosynostosen sind vorzeitige Schädelnahtverschlüsse, die zur Schädeldeformierung mit Einengung des Schädelinnenraumes führen. Ihre Klassifikation kann nach verschiedenen Kriterien erfolgen. Virchow teilt die Schädelfehlbildungen nach der Schädelform, also nach dem äußeren Erscheinungsbild ein. Er erkannte, dass die Entwicklung des Knochens durch eine prämature Synostose senkrecht zur befallenen Naht gehemmt wird, wobei Abb. 9.2 Pansynostose. a Röntgenbild eines „Wolken-“ oder „Wabenschädels“ bei Pansynostose. b Operationspräparat mit Impressiones digitatae an der Kalotteninnenseite bei chronisch erhöhtem intrakraniellen Druck. gleichzeitig eine verstärkte Ausdehnung in Richtung der betroffenen Naht stattfindet. Diese Einteilung der Schädelform hat sich gegenüber der Klassifikation nach der betroffenen Naht bzw. nach ätiologischen Gesichtspunkten durchgesetzt. Für die operative Therapie hat sich (aufbauend auf der Virchow-Einteilung) eine Klassifikation in nur fünf typi- aus: Schwenzer/Ehrenfeld, Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie (ISBN 9783135935041) © 2011 Georg Thieme Verlag KG 265 266 9 Kraniofaziale Fehlbildungen Fontanella bregmatica Sutura metopica Sutura sagittalis Sutura coronalis 1 Sutura lambdoidea Pterion a Sutura parietosquamosa sche Schädelformen nach Marchac und Renier bewährt (Abb. 9.3 b): Trigonozephalus, Plagiozephalus, Oxyzephalus, Brachyzephalus und Skaphozephalus. In neuester Zeit wird noch die (echte) Lambdanahtsynostose hinzugefügt. Innerhalb dieser vereinfachten Typisierung der Schädeldeformitäten infolge prämaturer Synostosierung werden eine Vielzahl von Kombinationsformen beobachtet. 2 3 Trigonozephalus Der Trigonozephalus (Abb. 9.4 a) entsteht durch vorzeitige Verknöcherung der metopischen Naht. Die Fehlbildung setzt meist bei der frühen intrauterinen Schädelentwicklung ein und ist häufig schon bei Geburt deutlich erkennbar. Durch die Synostose der metopischen Naht kommt es zu einer Aufwulstung im Bereich der Stirnmitte, die bei manchen Patienten als deutliche Knochenleiste erkennbar ist. Die stärkste Verdickung findet sich in der Region der 4 Glabella. Durch die gleichzeitige Abflachung der frontolateralen Region nimmt das Os frontale im horizontalen Schnitt die Form eines Dreiecks an (Abb. 9.4 b). Die Supraorbitalwülste flachen sich nach lateral ab. Durch Einschnürung des Knochens fronto-lateral beidseits wird das Erscheinungsbild zusätzlich verstärkt, wodurch vornehmlich die Region der Frontallappen eingeengt wird. Die Augen liegen im Sinne eines Hypotelorismus eng zusammen. Sämtliche Ausbildungsformen, von der leichten Aufwulstung im Bereich der Stirnmitte bis zur Extremform, können auftreten (Abb. 9.4 c). Auffällige neurologi5 sche Symptome und Funktionsstörungen fehlen meist b vollständig. Abb. 9.3 Einteilung der Kraniosynostosen. Eine geistige Retardierung im Zusammenhang mit der a Schädelnähte des Neugeborenen b Schematische Darstellung der 5 typischen Schädelfehlbildungen: Trigonozephalie wird in der Regel nur bei ausgeprägten (1) Trigonozephalus, (2) Plagiozephalus, (3) Oxyzephalus, Krankheitsbildern beobachtet. (4) Brachyzephalus, (5) Skaphozephalus. aus: Schwenzer/Ehrenfeld, Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie (ISBN 9783135935041) © 2011 Georg Thieme Verlag KG Kraniosynostosen a b Abb. 9.4 Trigonozephalus durch Synostosierung der metopischen Naht. a Schema. b „Dreieckiger“ Aspekt bei der Aufsicht bei Synostose der Sutura frontalis. c Das dreidimensionale CT zeigt die Aufwulstung der Sutura frontalis. c Plagiozephalus Dem Plagiozephalus liegt eine unilaterale Koronarnahtsynostose zugrunde. Die Fehlbildung ist meist schon bei Geburt erkennbar, wird jedoch oft als Geburtstrauma oder Lagerungsschaden fehlgedeutet. Das Erscheinungsbild verstärkt sich im Verlauf des Wachstums (Abb. 9.5 a). Durch die Wachstumshemmung kommt es zu einer Abflachung der Stirn auf der betroffenen Seite. Die Asymmetrie des Schädels reicht bis in das Hinterhaupt. Oft findet sich auf der betroffenen Seite fronto-lateral eine Einschnürung. Der Orbitatrichter ist verkürzt. Durch das verstärkte Wachstum in Richtung der befallenen Naht weicht die Gesichtsachse zur gesunden Seite ab. Dadurch neigt sich die Augenachse zur gesunden Seite, während die Okklusionsebene zur kranken Seite abfällt. Am ausgeprägtesten tritt das Abweichen der Nasenachse zur gesunden Seite in Erscheinung. Das Erscheinungsbild kann verschieden stark ausgeprägt sein. Neurologische Störungen sind meist nicht ausgebildet. Eine dezente Gesichtsskoliose kann auch bei einer unilateralen Lambdanahtsynostose auftreten (Abb. 9.5 b). Diese ist durch eine okzipitale Abflachung auf der betroffenen Seite gekennzeichnet, die bis in die Parietalregion reicht. Auf der kontralateralen Seite ist die Hinterhauptsregion verstärkt vorgewölbt. Wegen der ebenfalls involvierten Schädelbasis ist das äußere Ohr auf der betroffenen Seite nach ventro-kaudal verlagert. Ein erhöhter intrakranieller Druck tritt in der Regel nicht auf. Die Diag- nose der Lambdanahtsynostose ist nicht selten rein klinisch zu stellen, weil im Gegensatz zu anderen Synostosen häufig die radiologischen Zeichen eines Nahtverschlusses fehlen. Neuere Untersuchungen deuten auf eine isolierte Fusion der Tabula interna hin. Da oft der radiologische Befund nicht mit der Ausprägung des klinischen Erscheinungsbildes korreliert, wird auch von einer funktionellen Lambdanahtsynostose gesprochen. Bei der bilateralen funktionellen Lambdanahtsynostose ist der gesamte Hinterkopf abgeflacht und verbreitert (Abb. 9.5 c). Beide Ohren imponieren tiefstehend und sind nach ventral verlagert. Je nach Ausmaß der Kraniosynostose ist ein erhöhter intrakranieller Druck zu beobachten, der in etwa 50% der Fälle eintritt. Oxyzephalus Die Ursache des Oxyzephalus oder Turmschädels wird von verschiedenen Autoren unterschiedlich beurteilt. Meist wird hierfür eine beidseitige Koronarnahtsynostose verantwortlich gemacht. Sind zusätzlich andere Nähte involviert, spricht man von oxyzephalem Schädelwachstum. Da die Schädelbasisnähte bei der reinen Oxyzephalie nicht betroffen sind, liegt auch keine direkte Wachstumshemmung des Mittelgesichts vor (Abb. 9.6). Die Fehlbildung wird im frühen Säuglingsalter häufig nicht gleich diagnostiziert. Meist werden die Kinder erst bei funktionellen Störungen bzw. stärkerer Ausprägung des Krankheitsbildes im Verlauf des Wachstums vorge- aus: Schwenzer/Ehrenfeld, Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie (ISBN 9783135935041) © 2011 Georg Thieme Verlag KG 267 268 9 Kraniofaziale Fehlbildungen Abb. 9.5 Plagiozephalus linksseitig bei einseitiger Koronarnahtsynostose a Schema. b Darstellung der rechtseitigen synostosierten Kranznaht im dreidimensionalen CT. c Einseitige Abflachung des Hinterkopfes bei unilateraler „funktioneller Lambdanahtsynostose“. a b c stellt. Durch die Wachstumshemmung senkrecht zur befallenen Naht und durch das verstärkte Wachstum in Richtung der betroffenen Naht entwickelt sich eine flache und hohe Stirn. Im Profil betrachtet setzt sich der Nasenrücken annähernd gerade in der Stirn fort. Durch die flachen Orbitalwülste entsteht ein Exophthalmus im oberen Bereich. Die Infraorbitalränder sind normal ausgeprägt. Durch den meist erhöhten intrakraniellen Druck besteht beim Oxyzephalus die Gefahr neurologischer Störungen. Brachyzephalus Abb. 9.6 Oxyzephalus bei beidseitiger Koronarnahtsynostose. Der Brachyzephalus wird durch eine vorzeitige Verknöcherung der beiden Kranznähte bei gleichzeitiger Fusion der Schädelbasisnähte und zum Teil auch der Sagittalnaht verursacht. Das Wachstum des Keilbeinmassivs ist in toto gehemmt. Die Fehlbildung bleibt somit nicht wie bei den anderen Formen hauptsächlich auf das Neurokranium beschränkt, sondern hat erhebliche Auswirkungen auf das Viszerokranium bis in das stomatognathe System (Abb. 9.7 a). Zusätzlich können Nähte des Gesichtsschädels betroffen sein (Abb. 9.7 b). Die Erkrankung ist meist schon bei der Geburt erkennbar. Der Schädel ist kurz, breit und rund. Die Supraorbitalregion liegt zurück, während sich meist der obere Anteil der aus: Schwenzer/Ehrenfeld, Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie (ISBN 9783135935041) © 2011 Georg Thieme Verlag KG Transplantationsformen Hautspannungslinien und die Gefäßversorgung im Hinblick auf eine komplikationslose Heilung und unauffällige Narbenbildung beachtet werden (Abb. 13.7). Bei Defekten, die im Rahmen einer Tumoroperation gedeckt werden sollen, unterscheiden wir die Sofortrekonstruktion, d. h. die Deckung im Zuge der Tumorresektion, und die Spätrekonstruktion, d. h. die Defektdeckung in einem zweiten Eingriff. Bei Lappen, die eine größere ernährende Brücke besitzen, sind häufig in einer 2. Operation die Durchtrennung des Stiels und dessen Rückverlagerung erforderlich. Als Beispiele seien der Stirnlappen zum Ersatz von Teilen der Nase oder der Visierlappen von der Stirn genannt. Je nach dem Vorgehen, das bei der Verlagerung eines Lappens angewandt wird, ob er verschoben, gedreht oder umgeklappt wird, spricht man von einer Verschiebe-, Dreh- oder Umklapplappenplastik. Als einfachste Form der Lappenplastik kann der Verschluss einer Wunde, deren Wundränder vor dem Verschluss mobilisiert werden müssen, damit eine spannungslose Naht möglich ist, bezeichnet werden (seitliche Lappenverschiebung). Abb. 13.7 Schematische Darstellung der Hautspannungslinien. halten. Beim doppelseitig gestielten Lappen, der zwei Lappenfüße besitzt, kann dieses Verhältnis auf 3 bzw. 4:1 vergrößert werden. Bei gefäßgestielten Lappen, die in ihrem Stiel eine größere Arterie und Vene besitzen, spielt die Breite des Lappenfußes eine untergeordnete Rolle, da die Lappen über die enthaltenen größeren Blutgefäße und nicht über das Kapillarbett versorgt werden. Als typische Beispiele für gefäßgestielte Lappen seien der sog. Abbe-Lappen, der an der A. labialis inferior gestielt ist, und der Palatinalappen genannt, in dessen Stiel sich die A. und V. palatina major sowie der N. palatinus befinden. Nahlappenplastik Nahlappen stammen aus der Defektumgebung. Sie werden nach Ablösung unter Erhaltung eines Stiels in einen Defekt eingelagert und zur Einheilung gebracht. Sie werden insbesondere bei kleineren Defekten häufig in der plastischen und wiederherstellenden Gesichtschirurgie benutzt. Nahlappen haben den Vorteil, dass sie hinsichtlich Kolorit, Behaarung und Dicke dem fehlenden oder verloren gegangenen Gesichtsabschnitt weitgehend entsprechen. Die Entnahmestelle des Lappens wird in der Regel primär geschlossen, jedoch besteht auch die Möglichkeit, den Entnahmedefekt mit einem freien Hauttransplantat zu decken. Bei der Schnittführung sollten der Verlauf der Ernährungsstörungen. Werden bei den Nahlappenplastiken bestimmte Regeln bei der Lappengestaltung (Beachtung des Längen-Breiten-Verhältnisses bei der Lappeneinnähung, Hämatombildung infolge ungenügender Blutstillung oder Einnähen unter zu großer Spannung) missachtet, kommt es zu Ernährungsstörungen aufgrund einer Ischämie mit nachfolgender Hypoxie, oft mit anschließender Nekrose, die zu einem partiellen oder totalen Verlust des Lappens führen können. Die unter dem klinischen Bild einer Stauung sich oft schon kurz nach dem Einnähen kennzeichnende Stoffwechselstörung ist erkennbar durch eine bläulich-livide Verfärbung des Lappens, besonders an dessen Ende. Sie kommt dadurch zustande, dass zwar der arterielle Zufluss noch erfolgt, jedoch der venöse Abfluss gestört ist. Durch rechtzeitige künstliche Hautritzung (Skarifikation) oder durch Ansetzen von Blutegeln können derartige Stauungserscheinungen häufig beherrscht werden. Z-Plastik Die Z-Plastik ist ein wichtiges Element der plastischen Chirurgie mit Austausch von Keillappen, wobei die Lappenwinkel in der Regel 60° betragen. Durch den Lappenaustausch kommt es zur Verlängerung einer Strecke auf Kosten der Breite (Abb. 13.8 a). Die Z-Plastik ist Bestandteil einer Vielzahl von Operationsmethoden; hier sei stellvertretend ihre Bedeutung in der Lippenspaltchirurgie hervorgehoben. Ein weiterer Anwendungsbereich ist die Beseitigung des tief ansetzenden Lippenbändchens. Besonders im Rahmen von Narbenkorrekturen wird von dem Prinzip der mehrfachen oder fortlaufenden Z-Plastik Gebrauch gemacht. Limberg hat als erster die Achsenverlängerung bei Änderung des Lappenwinkels errechnet. aus: Schwenzer/Ehrenfeld, Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie (ISBN 9783135935041) © 2011 Georg Thieme Verlag KG 445 446 13 Plastische und wiederherstellende Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurgie Abb. 13.8 Wichtigste Prinzipien der Nahlappenplastik. a Z-Plastik. b VY- und YV-Verschiebung. c Seitliche Lappenverschiebung. d Rotationslappen. e Drehlappen aus unmittelbarer Defektumgebung. f Drehlappen aus einer defektfernen Region. g Doppelte Schwenklappenplastik. 60° b a c e d f g a Abb. 13.9 Lappenverschiebung nach Burow. Die überschüssige Haut wird dreieckig exzidiert. 2a Abb. 13.10 U-Plastik. Exzision der beiden Dreiecke an der Basis. b a c c b a d1 a d Abb. 13.9 Abb. 13.10 VY- und YV-Verschiebung Bei der VY-Verschiebung wird ein meist gleichschenkliger keilförmiger Lappen mobilisiert, verschoben und Y-förmig vernäht, der in der Achsenrichtung der gewünschten Verlängerung gelegt wird. Auf diese Weise gelingt es, eine verkürzte Strecke zu verlängern. Das Prinzip der VY-Verschiebung (Abb. 13.8 b) findet u. a. Anwendung bei der Korrektur des tief ansetzenden Lippenbändchens, in der Spaltchirurgie zur Verbreiterung des defizitären Lippenrots oder bei der Verlängerung der zu kurzen Kolumella. Das gleiche Prinzip wird auch benutzt, um eine zu lange Strecke mit einem gewissen Gewebeüberschuss zu verkürzen. Hier wird der Schnitt Y-förmig gelegt und die Spitze des gleichschenkligen Dreiecks in den kaudalen Wundwinkel, der durch das Ende des senkrechten Schenkels des Y gebildet wird, eingenäht. Seitliche Lappenverschiebung Das Prinzip der seitlichen Lappenverschiebung besteht darin, dass ein Lappen parallel zu seiner Basis in einen Defekt hinein verschoben wird. Ein typisches Beispiel für diese Technik ist die von Dieffenbach angegebene Unter- lippenersatzplastik, wobei die Entnahmestelle, die ursprünglich von Dieffenbach der Sekundärheilung überlassen wurde, heute Y-förmig vernäht wird (Abb. 13.8 c). Im Prinzip ähnlich ist auch die von Burow angegebene Lappenverschiebung, wobei die unterschiedliche Länge der nach der Verschiebung entstehenden Wundränder dadurch kompensiert wird, dass am längeren Schenkel ein Dreieck, das sog. Burow-Dreieck, exzidiert wird (Abb. 13.9). Auch dieses Prinzip findet in der Lippenersatzplastik Anwendung. Die vorgenannte, von Burow angegebene Technik kann auch doppelseitig in Form der sog. U-Plastik zur Anwendung kommen (Abb. 13.10). Rotationslappenplastik Eine Rotationslappenplastik ist eine bogenförmige Lappenverschiebung. Imre hat sie für die rekonstruktive Lidchirurgie benutzt. Der am Bogenende entstehende Defekt kann durch einen Z-förmigen Lappenaustausch gedeckt werden. Die ausgedehnteste bogenförmige Lappenverschiebung ist die von Esser angegebene Wangenrotation, bei der die gesamte Wangenhaut mobilisiert und verschoben wird (Abb. 13.11). Die unterschiedliche Länge der Wundränder aus: Schwenzer/Ehrenfeld, Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie (ISBN 9783135935041) © 2011 Georg Thieme Verlag KG Transplantationsformen kann nach der von Burow angegebenen Technik ausgeglichen werden. Die bogenförmige Lappenverschiebung ist auch ein wesentliches Element der Lappenverlängerung beim einseitigen Lippenverschluss nach Millard (s. S. 206). Die bogenförmige Lappenplastik ist ein wichtiges Element in der rekonstruktiven Gesichtschirurgie. Drehlappen Abb. 13.11 Prinzip der Wangenrotation nach Esser. Ein Drehlappen kann um 90° und mehr um einen Stiel gedreht werden. Schuchardt hat Drehlappen mit schmaler und mit breiter Basis unterschieden. Drehlappen mit schmaler Basis müssen ein Hauptgefäß enthalten und können auf diese Weise um mehr als 90° gedreht werden (vgl. Abb. 13.8 e, Abb. 13.8 f). Bei der doppelten Schwenklappenplastik (vgl. Abb. 13.8 g) wird die Lappenentnahmestelle durch einen 2. Lappen gedeckt. Bei den Drehlappen mit breiter Basis ist die Basis wegen der erforderlichen Lappenernährung größer, sodass der Drehbarkeit Grenzen gesetzt sind. Typische Drehlappen, bei denen eine Drehung um mehr als 90° möglich ist, sind der Abbe-Lappen sowie der Estlander-Lappen (Abb. 13.12, Abb. 13.13). Beide enthalten als Hauptgefäß die A. labialis inferior bzw. superior. Abb. 13.12 Prinzip der Abbe-Plastik zur Deckung eines Oberlippendefekts. Der Lappen kann aus der Unterlippenmitte und aus der Seite entnommen, bei Bedarf V- bis W-förmig gestaltet werden (a). Nach Einheilung des Lappens müssen sekundär eine Mundwinkelplastik und eine Stieldurchtrennung des Lappens erfolgen (b). a b Abb. 13.13 Prinzip der EstlanderPlastik. Auch hier ist zumeist sekundär eine Mundwinkelplastik im Sinne einer Mundwinkelerweiterung erforderlich. aus: Schwenzer/Ehrenfeld, Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie (ISBN 9783135935041) © 2011 Georg Thieme Verlag KG 447 448 13 Plastische und wiederherstellende Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurgie Abb. 13.14 Arterien-Insellappen mit A. supratrochlearis. Insellappen Unter einem Insellappen versteht man Haut-Fett- oder Haut-Muskel-Lappen, die mit ihrer Entnahmestelle durch einen subkutanen Stiel verbunden bleiben. Insellappen können sowohl in der Nahlappenplastik als auch bei gestielten muskulokutanen Fernlappen (s. u.) gebildet werden. Besitzt dieser Stiel eine Arterie und eine Vene, so spricht man von einem Arterien-Insellappen, wie ihn u. a. Munks und Esser angegeben haben. Das Gefäßbündel erlaubt auch eine Drehung sowie eine Überbrückung größerer Distanzen, wobei zur Verlagerung des Lappens eine subkutane Tunnelbildung zwischen Stiel und Defekt erforderlich ist (Abb. 13.14). Typische Lappen dieser Art sind der Insellappen mit der A. temporalis sowie der Insellappen mit der A. supratrochlearis. Es gibt jedoch auch Insellappen ohne Gefäßbündel. Der aus subkutanem Gewebe bestehende Stiel muss jedoch breiter sein als beim Arterienlappen und wird wie ein Drehlappen angelegt. Lappen mit kurzem zentralem Lappenstiel, die aus unmittelbarer Defektnähe gebildet werden, werden als Gleitlappen bezeichnet. Gestielte Fernlappen Wenn kein Gewebe aus unmittelbarer Umgebung zur Verfügung steht, kommen Lappen aus entfernteren Regionen in Betracht. Hierzu zählen die sog. muskulokutanen Lappen und bestimmte Hautlappen. Sie haben alle einen ernährenden Stiel. Muskulokutane Lappen Muskulokutane (myokutane) Lappen bestehen aus Muskulatur, Faszie und Haut. Die Ernährung erfolgt über einen Gefäßstiel, es handelt sich also um gefäßgestielte Lappen. Der Gefäßstiel verläuft dabei in der Muskulatur oder direkt unter der den Muskel bedeckenden Faszie. Die darüber liegende Haut wird über perforierende Gefäßabgänge versorgt. Die Lappen können auch entepithelisiert oder „geschält“, d. h. gänzlich ohne Haut, als Muskel-FaszienLappen verpflanzt werden. Gefäßgestielte Lappen können nicht beliebig in jede Körperregion transplantiert werden, da das Ausmaß der Verlagerung durch den Radius und die Länge des Gefäßstiels vorgegeben ist. Zudem muss bei der Einlagerung muskulokutaner Lappen darauf geachtet werden, dass der Gefäßstiel nicht zu sehr gedehnt, komprimiert oder verdreht ist. Zur Defektdeckung im Bereich des Halses, des Untergesichts einschließlich Mundboden und der lateralen Mundhöhlenwandungen werden heute vor allem der Latissimus-dorsi- und der Pectoralis-major-Lappen benutzt. Bei der Anwendung beider Lappen kann die Haut zwischen Entnahmestelle und Defekt eingeschnitten und die Lappen offen eingelagert werden. Diese Hautbezirke können jedoch auch untertunnelt und die Lappen als Insellappen verpflanzt werden. Die Indikation für die Anwendung gefäßgestielter Lappen ist seit der Einführung mikrochirurgischer Lappen nur noch selten gegeben und besteht vor allem in der Deckung großer und tiefgreifender Weichgewebedefekte bei schlechtem Transplantatlager. Latissimus-dorsi-Lappen. Vom M. latissimus dorsi können zwei verschiedene muskulokutane Lappen gebildet werden. Für rekonstruktive Zwecke in der Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurgie kommen vor allem Transplantate vom Seitenrand des Muskels infrage. Dieser Lappen wird von A. und V. thoracodorsalis ernährt (Abb. 13.15, Abb. 13.16) und kann in der gesamten Länge des Muskels von unterhalb der Axilla bis einige Zentimeter oberhalb des Beckenkamms gehoben werden. Die Präparation des Lappens erfolgt zumeist in Seitenlage, was bei Operationen im Kopf-Hals-Bereich intraoperative Umlagerungen der Patienten erforderlich macht. Nach Aufsuchen des Gefäßstiels in der Subaxillargrube wird der Lappen umschnitten aus: Schwenzer/Ehrenfeld, Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie (ISBN 9783135935041) © 2011 Georg Thieme Verlag KG Die computerassistierte Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie in der klinischen Routine auch ein Endoskop oder der Fokus eines Operationsmikroskops lokalisiert und somit intraoperativ navigiert werden. Die Genauigkeit infrarotbasierter Navigationssysteme wird beeinflusst von mehreren Faktoren. Die technischen Ungenauigkeiten können bei regelrechter Anwendung zuverlässig unterhalb von 0,2–0,3 mm gehalten werden. Die größte Variationsbreite an Ungenauigkeiten erzeugt das verwendete Referenzierungsverfahren. Der für chirurgische Belange geforderte Genauigkeitswert von maximal 2 mm wird verlässlich durch knochenverankerte Schraubenmarker erreicht. Da die Oberkieferschiene aufgrund der Verankerung am Zahnbogen einer Knochenverankerung entspricht, stellt sie das einzige nicht-invasive Referenzierungsverfahren mit zuverlässig hoher intraoperativer Genauigkeit dar. Bei Anwendungen im Bereich des Gesichtsschädels und der Schädelbasis liegt die Genauigkeit der Schienenreferenzierung bei der Verwendung von 4 Markern in optimaler geometrischer Anordnung verlässlich unter 2 mm. Die computerassistierte Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie in der klinischen Routine Die computerassistierte Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie umfasst präoperative Planung, intraoperative Navigation oder Anwendung von 3 D-Schablonen intraoperativ und die intraoperative Bildgebung. Im Folgenden sind typische klinische Beispiele der Anwendung der computerassistierten Chirurgie dargestellt, wie sie bereits in der klinischen Routineversorgung zum Einsatz kommen. Minimal-invasive Eingriffe und Biopsien Navigationsgestützte Biopsien waren die ersten Anwendungen der computerassistierten Chirurgie im Kopf-Halsbereich. Sie sind inzwischen weit verbreitet und gelten als die Domäne der rahmenlosen Stereotaxie. Häufige Anwendungen sind die endonasale-endoskopische Chirurgie insbesondere bei posttraumatischen Revisionen im Bereich der Nasennebenhöhlen. Hier macht die veränderte Anatomie eine intraoperative Navigation der Endoskope wünschenswert. Der Operateur kann so die visuellen Eindrücke des Endoskopiemonitors mit der Lokalisation der Endoskope im CT-Datensatz korrelieren. Fehlpositionierungen oder Verletzungen vitaler Strukturen werden vermieden. Bei Rezidivausschlüssen und Tumorverlaufskontrollen nach Durchführung einer adjuvanten Strahlentherapie ist aufgrund der veränderten Anatomie eine rein visuelle Orientierung am Operationssitus oftmals unzureichend. Der Vorteil der intraoperativen Navigation liegt hier in der Kombination von pointerbasierter, endoskopisch-gestützter und mikroskopischer Therapie. Dies erhöht auch die Aussagekraft invasiver diagnostischer Untersuchungen. Beim operativen Eingriff im Bereich der Schädelbasis wird der Fokus des Operationsmikroskops nach erfolgreicher Referenzierung navigiert. Ein sicheres Abtragen und Biopsieren der verdächtigen Strukturen unter Schonung z. B. der Hypophyse wird so erleichtert. Der Zugangsweg und zu erhaltende vitale Strukturen können präoperativ markiert und intraoperativ visualisiert werden. Indikationen für den Einsatz der navigationsgestützten Chirurgie bestehen bei Biopsien im voroperierten oder vorbehandelten Situs, bei multiplen Biopsien mit der Notwendigkeit der objektivierbaren Zuordnung von Biopsat und Entnahmestelle und bei der Dekompression des Sehnervens. Die Resektion von Neoplasien, insbesondere von gutartigen Tumoren, welche aufgrund ihrer Lagebeziehung zu vitalen Strukturen normalerweise aus Gründen der Übersichtlichkeit einen extensiven Zugang benötigen, können durch Anwendung navigationsgestützter Techniken in vielen Fällen minimal-invasiv durchgeführt werden. Die Navigation ermöglicht hierbei die Visualisierung von Tumor und angrenzenden Strukturen, auch wenn keine direkte oder indirekte Sichtbarmachung erfolgen kann. Vor allem Osteome im retromaxillären oder intraorbitalen Bereich stellen eine Indikation zur Anwendung der intraoperativen Navigation dar. So kann der retromaxilläre Raum, welcher häufig aus Gründen der Übersicht von präaurikulär oder retromandibulär dargestellt werden muss, durch die Anwendung der Infrarotlokalisation von intraoral aufgesucht werden. Dies verringert deutlich die Morbidität der Eingriffe bei gleichzeitiger Steigerung der Sicherheit bei der Resektion unter Schonung benachbarter Strukturen. Posttraumatische Gesichtsschädelrekonstruktionen Bei der operativen Reposition und Osteosynthese von Frakturen des Gesichtsschädels kann aufgrund der nur kurzen Datensatzerhebungszeit (5–10 min) eine intraoperative Bildgebung mit einem 3 D-C-Bogen (intraoperative Volumentomografie) zur Stellungskontrolle vor Wundverschluss auch in der klinischen Routine erfolgen (Abb. 14.4). Bei lateralen Mittelgesichtsfrakturen lassen sich Fehlpositionierungen des Jochbeines und des Jochbogens vermeiden, insbesondere bei minimal-invasiven, transkutanen Hakenzugrepositionen. Unnötige Orbitaexplorationen bei Orbitabodenbeteiligung aufgrund intraoperativer Bildgebung nach Jochbeinreposition lassen sich so verhindern (Abb. 14.5 u. Abb. 14.6). Auch eine Zweitoperation wegen insuffizienter Reposition z. B. nach intraoralen endoskopisch-assistierten Versorgungen von Unterkiefergelenkfortsatzfrakturen wird hierdurch vermieden (Abb. 14.7). Die Sofortversorgung von Gesichtsschädelfrakturen, insbesondere bei Beteiligung des naso-orbito-ethmoidalen Komplexes, ist der Sekundärversorgung im Hinblick auf funktionelle Wiederherstellung überlegen und sollte daher primäres Ziel der Therapie sein. Die komplexen anatomischen Verhältnisse im Bereich der Orbita stellen an den Chirurgen spezielle Anforderungen nicht nur bezüg- aus: Schwenzer/Ehrenfeld, Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie (ISBN 9783135935041) © 2011 Georg Thieme Verlag KG 481 482 14 Intraoperative Navigation und computerassistierte Chirurgie Abb. 14.4 Intraoperative Bildgebung (Digitale Volumentomografie mit dem 3 D-C-Bogen). a Der 3 D-C-Bogen dreht sich um den Patientenkopf um 180 Grad. Die Datensatzerhebungszeit beträgt intraoperativ 2–3 Minuten. b Die multiplanare Datensatzdarstellung ermöglicht intraoperativ die genaue Analyse des Repositionsergebnisses bei einer lateralen Mittelgesichtsfraktur und die Beurteilung der Versorgungsnotwendigkeit der Orbitawände nach Reposition des Jochbeins und des Jochbogens. Diese intraoperative Kontrolle ist insbesondere bei geschlossener Hakenzugreposition einer einfachen Jochbeinfraktur oder einer isolierten Jochbogenfraktur indiziert. a b a b Abb. 14.5 Intraoperative Bildgebung bei Jochbeinfrakturversorgung. a Das präoperative Computertomogramm zeigt eine dislozierte Fraktur des Infraorbitalrandes und des Orbitabodens bei einer Jochbeinfraktur. b Nach Jochbeinreposition über einen intraoralen Zugang ohne offene Exploration und Darstellung des Orbitabodens weist die intraoperative Bildgebung (Digitale Volumentomografie mit dem 3 D-C-Bogen) die anatomisch korrekte Stellung der Knochenfragmente im Bereich des Orbitabodens nach. Eine zusätzliche chirurgische Orbitaexploration und Orbitarekonstruktion ist nicht notwendig. aus: Schwenzer/Ehrenfeld, Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie (ISBN 9783135935041) © 2011 Georg Thieme Verlag KG