Zahnmedizin 80 Seltene Tumoren der Mundhöhle Martin Kunkel, Torsten E. Reichert kleinen Speicheldrüsen. Die Abbildungen 4 a bis c zeigen die histomorphologische Heterogenität eines typischen pleomorphen Adenoms. Drüsenähnliche, tubulär strukturierte Bereiche (Abb. 4a) wechseln mit zellreichen Arealen (Abb. 4b). Daneben finden sich zellarme, stromareiche Bezirke mit vereinzelten drüsenähnlichen Schleim bildenden Zellnestern (Abb. 4c). Die histologischen Bilder entstammen sämtlich dem gleichen Präparat. Abbildung 1: Klinischer Aspekt des retromolaren Tumors. Es handelte sich um einen glatt begrenzten, gegenüber dem Unterkiefer verschieblichen Befund. Eine leicht vermehrte Gefäßzeichnung der Schleimhaut ist gerade erkennbar. Kasuistik Bei einer 87-jährigen Patientin bestand ein schmerzloser Tumor der rechten Retromolarregion. Die Patientin konnte nicht angeben, wann sie diesen Befund zum ersten Mal bemerkt hatte. Eine auswärtige Biopsie war zu der Diagnose eines kanalikulären Adenoms gekommen. Klinisch handelte es sich um einen derben, knapp über einen Zentimeter durchmessenden Tumor, der gegenüber dem Unterkieferknochen verschieblich war und dem straffen retromolaren Bindegewebe aufsaß (Abb. 1). Sensibilitätsstörungen oder Funktionsbehinderung bestanden nicht. Der Befund wurde in toto exzidiert. Es handelte sich um einen von einer Kapsel begrenzten, leicht höckrigen Tumor (Abb. 2), der im Anschnitt eine inhomogene Oberfläche, partiell mit Einblutungen bot (Abb. 3). Die Läsion hatte keine lobuläre Struktur, und es fand sich keine Hilusstruktur. Histologisch ergab sich die abschließende Diagnose eines pleomorphen Adenoms der zm 94, Nr. 9, 1. 5. 2004, (1160) In dieser Rubrik stellen Kliniker Fälle vor, die diagnostische Schwierigkeiten aufgeworfen haben. Die Falldarstellungen sollen Ihren differentialdiagnostischen Blick schulen. Fotos: Kunkel Pleomorphes Adenom der Retromolarregion Abbildung 2: Operationspräparat: Erkennbar wird die leicht höckrige Oberfläche mit einer eindeutig definierten Kapsel. Diskussion Das pleomorphe Adenom ist mit rund 50 Prozent aller Neubildungen der mit Abstand häufigste Speicheldrüsentumor. Es handelt sich überwiegend um eine Erkrankung des fortgeschrittenen Lebensalters, die bevorzugt die Gl. Parotis betrifft [Machtens, 2000]. Tumoren der kleinen Speicheldrüsen sind demgegenüber sehr viel seltener und finden sich vor allem am Gaumen, den Lippen und im Bereich der Wangenschleimhaut. Innerhalb dieser Gruppe sind retromolare Speicheldrüsentumoren Raritäten, weniger als ein Prozent der Speicheldrüsen-Neoplasien betreffen diese Lokalisation [Neville et al., 2002]. Die klinische Bedeutung der Neubildungen kleiner Speicheldrüsen liegt in dem ausgesprochen hohen Anteil maligner Tumoren, der bis über 75 Prozent reichen kann [Jansisyanout et al., 2002; Lopes et al., 1999]. Speziell für die Speicheldrüsentumoren der Retromolarregion wird in der Literatur über einen Anteil von bis 90 Prozent maligner Tumoren berichtet [Neville et al., 2002]. Vor diesem Hintergrund ist die chirurgische Entfernung solcher Tumoren auch im fortgeschrittenen Alter und bei klinischer Symptomfreiheit dringend geboten. Abbildung 3: Anschnitt des Operationspräparates. Die Schnittfläche erscheint inhomogen. Ein lobulärer Aufbau findet sich nicht. Die Problematik einer Diagnose auf der Basis einer nicht repräsentativen Biopsie wird durch die Vordiagnose eines kanalikulären Adenoms deutlich. Offensichtlich war hier zuvor ein Tumoranteil befundet worden, der scheinbar homogen (monomorph) aus tubulären Strukturen aufgebaut schien. Das typische Erscheinungsbild eines solchen kanalikulären (monomorphen) Adenoms entspricht der in Abbildung 4 a dargestellten Morphologie. Erst die Betrachtung des gesamten Tumors führte zur abschließenden Diagnose eines pleomorphen Adenoms. Für die zahnärztliche Praxis soll dieser Fall auf die Problematik der Diagnostik von Tumoren der kleinen Speicheldrüsen hinwei- 81 A Abbildung 4: Typischer histologischer Aspekt eines pleomorphen Adenoms (HE-Färbung, Originalvergrößerung 200x) Die Aufnahmen entstammen sämtlich dem gleichen Präparat. Es finden sich nebeneinander tubuläre Strukturen (a), zelldichte Areale (b) und stromareiche Bezirke mit kleinen schleimbildenden epithelialen Zellnestern (c). Das histologische Präparat wurde freundlicherweise von Herrn Dr. Hansen Institut für Pathologie der Johannes Gutenberg-Universität (Direktor: Prof. Dr. Kirkpatrick) zur Verfügung gestellt. B C sen. Gefahr besteht vor allem durch die Verwechslung kleiner, klinisch als Speicheldrüsen-Retentionszyste oder als Schleimspeichelgranulom imponierender Läsionen, die vor allem in der Lippe aber auch der Wange häufig vermutet werden. PD Dr. Dr. Martin Kunkel Prof. Dr. Dr. Torsten E. Reichert Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie Johannes-Gutenberg-Universität Augustusplatz 2, 55131 Mainz Fazit für die Praxis ■ Im Gegensatz zu den Neubildungen der großen Kopfspeicheldrüsen sind die Tumoren der kleinen Speicheldrüsen in der Mehrzahl maligne. Es handelt sich häufig um Mucoepidermoidkarzinome oder Adenoid-Cystische Karzinome. ■ Ein besonders hoher Anteil maligner Speicheldrüsentumoren findet sich bei den seltenen Lokalisationen: Retromolarregion und Mundboden. ■ Eine histologische Untersuchung des gesamten Tumors ist obligat. Die Literaturliste können Sie in der Redaktion anfordern. Den Kupon finden Sie auf den Nachrichtenseiten am Ende des Heftes. zm 94, Nr. 9, 1. 5. 2004, (1161)