Die politischen Systeme Skandinaviens Detlef Jahn

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SkanPolSys1.doc 01.02.02
Die politischen Systeme Skandinaviens
Detlef Jahn
1. Einleitung
Geographisch umfasst Skandinavien die nordische Halbinsel
mit Schweden und Norwegen. Politisch fällt die Definition
hingegen anders aus. Im deutschen Sprachgebrauch umfassen
die skandinavischen Staaten zumindest Schweden, Norwegen,
Finnland und Dänemark. Aber auch Island kann zur
skandinavischen oder, genauer formuliert, nordischen
Staatengruppe hinzugerechnet werden. Denn die nordischen
Länder sind durch eine gemeinsame, oftmals blutige
Geschichte miteinander verbunden. Vor allem die beiden
einstigen „Supermächte“ Dänemark und Schweden haben ihre
Spuren hinterlassen. Betrachtet man Skandinavien also unter
eher politisch-historischer Perspektive, so gehören in diesen
Bereich nicht nur Dänemark, Schweden, Norwegen und
Finnland, sondern auch Island. Hinzugezählt werden müssen
dann auch noch die selbstständigen Territorien Åland (26
Tsd.), Grönland (56 Tsd.) und die Faeroer (45 Tsd.
Einwohner). Unter einer noch weiteren Perspektive zählen
auch Svalbard (Spitzbergen) und das russische Franz-JosefLand zu dieser Region. Ihrer Bedeutung wegen soll im
2
Folgenden hauptsächlich auf die fünf Einzelstaaten Bezug
genommen werden. 1
Die Länder Skandinaviens haben in vielen Aspekten sehr
ähnliche politische Systeme. In ihrer Abhandlung über die
Parteiensysteme dieser Länder suggerieren zum Beispiel Sten
Berglund und Ulf Lindström, dass es sich um ein
Parteiensystem handeln könnte, welches auf alle Ländern
zutrifft, wenngleich Schweden als typisches Beispiel gilt.2
1
Die politikwissenschaftliche Literatur zu den skandinavischen Staaten ist
erstaunlich spärlich. Dies betrifft vor allem die deutschsprachige Situation.
Das alle nordischen Staaten umfassende Buch ist die Übersetzung von O.
Peterssons „ Die politischen Systeme Nordeuropas“ (Baden-Baden, 1989).
Will man eine neuere Auflage, sollte man das englische „The Government
and Politics of the Nordic Countries“ (1994) oder das schwedische
„Nordisk politik“ (fünfte Auflage 2000) Werk zu Rate ziehen. Aktuell ist
auch die Arbeit des britischen Politikwissenschaftlers D. Arter,
Scandinavian Politics Today, Manchester 1999. Zusammenfassungen der
politischen Systeme der einzelnen Länder erhält man durch die
Einzelbeiträge in W. Ismayr (Hg.), Die politischen Systeme Westeuropas,
Opladen 2002. Ein Literaturdefizit besteht selbst für Monographien, die
die einzelnen Länder behandeln. Natürlich gibt es viele Bücher, die sich
auf spezielle Aspekte konzentrieren, umfassende deutschsprachige
Darstellungen der politischen Systeme stehen jedoch aus. Als Ausnahme
ist der nunmehr nicht mehr ganz aktuelle Klassiker über den schwedischen
Wohlfahrtsstaat von B. Henningsen, Der Wohlfahrtsstaat Schweden,
Baden-Baden 1986 zu nennen.
2
S. Berglund/U. Lindström, The Scandinavian Party System(s), Lund
1978.
3
Abbildung 1: Die Nordischen Staaten
Quelle: http://www.norden.org/start/start.asp?lang=6. Über diese Webseite
des Nordischen Rates können weitere Informationen über die einzelnen
Länder erschlossen werden.
Auch auf dem Gebiet der Forschung über Wohlfahrtsstaaten
werden die skandinavischen Ländern einer Familie von
4
egalitären
und
universalistischen
Wohlfahrtsstaaten
zugeschrieben. 3 Bei der Betrachtung des gesamten politischen
Systems fallen jedoch einige markante Unterschiede auf, und
selbst die Parteien- und Sozialsysteme haben sich in den
letzten Jahrzehnten dermaßen weiterentwickelt, dass
wesentliche Unterschiede erkennbar sind.
Der auffallendste formale Unterschied der fünf
skandinavischen Staaten besteht sicherlich darin, dass drei
Staaten konstitutionelle Monarchien (Dänemark, Schweden,
Norwegen) und die beiden anderen Republiken mit einem
direkt gewählten Präsidenten sind. Diese Unterschiede haben
historische Wurzeln, weshalb zunächst ein kurzer historischer
Überblick gegeben werden soll, bevor dann auf einzelne
Aspekte der politischen Systeme eingegangen wird.
2. Ein kurzer historischer Überblick
Historisch lassen sich die skandinavischen Staaten in
imperialistische Supermächte und Nachfolgestaaten einteilen.
Dänemark stellte die vorherrschende Macht vom ausgehenden
14. Jahrhundert bis zum frühen 16. Jahrhundert dar. Seit 1380
waren die dänische und die norwegische Krone vereinigt von 1536 bis 1814 war Norwegen dann auch Teil von
Dänemark - und in dieser Zeit eignete sich Dänemark darüber
hinaus Island an. Desgleichen dominierte Dänemark die
Kalmarer Union der drei skandinavischen Staaten.
3
G. Esping-Andersen, The Three Worlds of Welfare Capitalism,
Princeton 1990.
5
Nach der Vorherrschaft Dänemarks übernahm Schweden die
Dominanz in der Region und war im 17. Jahrhundert die
kontrollierende Macht in einem multiethnischen Reich des
Ostseeraums. Es inkorporierte Dänen, Norweger, Finnen,
Sami, Esten, Letten und Deutsche. In dieser Zeit gehörte
Finnland zu Schweden, das nicht wie eine Kolonie, sondern
wie die anderen Teile Schwedens behandelt wurde. In dieser
Zeit gehörten auch Pommern und Teile um Bremen zum
schwedischen Reich. Durch die Eroberung Greifswalds erhielt
Schweden dort seine erste Universität.
Nach den Napoleonischen Kriegen musste Schweden 1809
Finnland als Großherzogtum an Russland abtreten und erhielt
dafür als „Entschädigung“ 1815 auf dem Wiener Kongress
Norwegen von Dänemark, obwohl die Norweger ein Jahr
zuvor ihren eigenen König wählten und sich eine eigene
Verfassung gaben. Die Eidsvoll-Verfassung aus dem Jahre
1814 ist die älteste Verfassung in Europa, die bis heute in
Kraft ist. Zu Dänemark gehörten jedoch weiterhin Island,
Grönland und die Faeroer.
Die Union zwischen Schweden und Norwegen wurde 1905
unblutig durch ein Referendum aufgelöst, womit Norwegen
ab diesem Zeitpunkt selbstständig war. Finnland erreichte
diesen Status 1917, musste jedoch in seiner Politik Rücksicht
auf die Wünsche der Sowjetunion nehmen. Erst 1944 erhielt
dagegen Island seine Selbstständigkeit von Dänemark.
6
Grönland und die Faeroer blieben dagegen im dänischen
Einflussbereich. Grönland wurde 1953 Teil Dänemarks und
war somit keine Kolonie mehr. Die sich anschließende
Modernisierung und der Aufbau einer exportorientierten
Ökonomie führten zu dem Ruf nach mehr Selbstständigkeit.
Seit dem 1. Mai 1979 besitzt Grönland das
Selbstständigkeitsrecht und heißt seitdem offiziell Kalaallit
Nunaat. Die Faeroer erhielten nach dem zweiten Weltkrieg,
nachdem sie von den Engländern „freundschaftlich“ besetzt
waren, den Status einer sich selbst regierenden Kommune des
dänischen Staates.
Anders als in den dänischen Territorien gibt es auf den
Ålandinseln keine Bestrebungen, sich völlig von Finnland zu
lösen. Trotz des Autonomiegesetzes von 1922, das festlegt,
dass die Inseln zu Finnland gehören, hat Åland 1954 eine
eigene Fahne und 1984 eigene Briefmarken eingeführt. Heute
ist Åland eine autonome, demilitarisierte, neutrale und
monolinguistisch schwedisch sprechende Provinz Finnlands
mit einer Sonderstellung zur EU. Historisch gehörte Åland
von 1239 bis 1809 zu Schweden. Zusammen mit Finnland
bildete es dann 1809 das Großherzogtum Finnland, welches
zu Russland zählte. Obwohl sich die Bevölkerung nach 1917
für eine schwedische Assoziation aussprach, entschied der
Internationale Gerichtshof in Den Haag, Åland Finnland
zuzuschlagen.
7
3. Die politische Entwicklung Skandinaviens
Die Demokratisierung der skandinavischen Länder reiht sich
in die Entwicklung der meisten westeuropäischen Länder ein.
Bezogen auf die Einführung des allgemeinen Wahlrechts
nehmen die skandinavischen Staaten keine besondere
Vorreiterrolle ein. Bis auf Finnland, das 1906 mit einem
Schlag eines der progressivsten Länder auf diesem Gebiet
wurde, verlief die Entwicklung eher kontinuierlich. Tabelle 1
fasst diese Entwicklung zusammen.
Allerdings unterscheiden sich die skandinavischen Länder
deutlicher in Bezug auf neue Themen der politischen
Gleichheit. Insbesondere die formelle Emanzipation zwischen
Mann und Frau hat vor allem in Schweden und Dänemark und
mit einem gewissen Abstand auch in Finnland und Norwegen
Fortschritte gemacht. Island unterscheidet sich in dieser
Beziehung nicht von kontinentaleuropäischen Ländern. Dies
trifft sowohl auf den Arbeitsmarkt als auch – wie in der
Tabelle wiedergegeben – auf den politischen Bereich zu.
Gerade in verantwortlichen Stellen nehmen in Schweden und
Dänemark Frauen fast die Hälfte der Ämter ein. Dies steht in
deutlichem Gegensatz zu Ländern wie Belgien (3,3) oder gar
Japan, Zypern, Israel und Malta, in deren Parlamenten 1998
überhaupt keine Frauen vertreten waren.
8
Tab. 1: Demokratisierung in Skandinavien und Deutschland
Schweden
Dän Finne
land
mark
1849 1906
Islan
d
Deutschland
1866
Nor
we
gen
1814
1874
1867/71
1921
1897
1915 1906
/18
1915
1869/71
1921
1913
1918 1906
1915
1919
1866
1884
1900 1906
1908
1871/1918
Frauenanteil 42,7
im Parlament
% 2000
Frauen
in 43,5
Ministerämter
n % 1998
Kommunales 1976
Ausländerwah
lrecht
36,4
37,4
36,5
34,9
33,6
20,0
40,9
28,6
7,7
8,3
1983
1981 -
-
1996
Ausdehnung
des
Wahlrechts
Allgemeines
Männerwahlrecht
Allgemeines
Frauenwahlrecht
Geheime Wahl
Quelle: Petersson a.a.O., S. 18. D. Nohlen, Wahlrecht und
Parteiensysteme, Opladen 2000, S. 41. Human Development Report 2000.
Allerdings unterscheiden sich die skandinavischen Länder
deutlicher in Bezug auf neue Themen der politischen
Gleichheit. Insbesondere die formelle Emanzipation zwischen
Mann und Frau hat vor allem in Schweden und Dänemark und
mit einem gewissen Abstand auch in Finnland und Norwegen
9
Fortschritte gemacht. Island unterscheidet sich in dieser
Beziehung nicht von kontinentaleuropäischen Ländern. Dies
trifft sowohl auf den Arbeitsmarkt als auch – wie in der
Tabelle wiedergegeben – auf den politischen Bereich zu.
Gerade in verantwortlichen Stellen nehmen in Schweden und
Dänemark Frauen fast die Hälfte der Ämter ein. Dies steht in
deutlichem Gegensatz zu Ländern wie Belgien (3,3) oder gar
Japan, Zypern, Israel und Malta, in deren Parlamenten 1998
überhaupt keine Frauen vertreten waren.
Auch in Bezug auf die Integration von Ausländern nehmen
Schweden,
Dänemark
und
Norwegen
eine
Schrittmacherfunktion ein. Weitere Bereiche, wie die
Umweltpolitik, könnten darüber hinaus genannt werden. 4
Hinsichtlich der sozialen Entwicklung und Gerechtigkeit
nehmen die skandinavischen Staaten ebenso Vorreiterrollen
ein. Dabei fällt die starke auf alle skandinavischen Staaten
außer Island zutreffende Staatstätigkeit auf. Bezüglich des
Human Development Index, der sich aus einer Verbindung
4
Siehe zu der Vorreiterrolle der skandinavischen Staaten im Bereich der
Umweltpolitik: M.S. Andersen/D. Liefferinh (Hg.), European
Environmental Policy. The Pioneers, Manchester 1997. D. Jahn, The
Social Paradigms of Environmental Performance. The
Scandinavian Countries in an International Perspective, in: Marko
Joas und Ann-Sofie Hermanson (Hg.), The Nordic Environments.
Comparing Political, Administrative and Policy Aspects, Aldershot
1999, S. 111-131.
10
von Lebenserwartung, Analphabetenrate, Schulbildung und
Bruttosozialprodukt (BSP) pro Kopf ergibt, nehmen
skandinavische Staaten eine Spitzenposition ein. Nach diesem
Index liegt Norwegen, hinter Kanada, auf dem zweiten Platz,
Island und Schweden folgen auf Rang 5 und 6, Finnland
nimmt den 11. und Dänemark den 15. Platz ein
(Bundesrepublik Deutschland Platz 14).
Schließlich sind neue Technologien in Skandinavien weit
verbreitet. Multinationale Großunternehmen wie Ericsson und
Nokia haben ihren Sitz in Schweden bzw. Finnland und wie
die Zahl der Internetanschlüsse zeigt, liegen die
skandinavischen Staaten auch auf diesem Gebiet weit vorn.
Bei aller Ähnlichkeit lassen sich für die fünf skandinavischen
Staaten aber auch deutliche Unterschiede und Eigenarten
entdecken. In aller Kürze könnten die spezifischen Eigenarten
der fünf skandinavischen Länder wie folgt zusammengefasst
werden:
Schweden ist heute der einflussreichste Staat Skandinaviens. 5
Mit fast 9 Mio. Menschen ist es das größte Land der Region.
Es zeichnete sich durch seine Neutralitätspolitik und
Friedenssicherung aus.
5
Als Überblick siehe: D. Jahn, Schweden, in: W. Ismayr (Hg.), Die
politischen Systeme Westeuropas, Opladen 2002.
11
Tab. 2: Soziale Entwicklung und Gerechtigkeit in Skandinavien und
Deutschland am Ende des 20. Jahrhunderts
Schwe- Norwe- Däneden
gen
mark
20 659 26 342 24
Bruttosozial218
produkt (BSP) pro
Kopf
Staatsausgaben
als % des BSP*
66,8
Human Develop- 0,926
ment
Index (6)
(HDI)**
Lebenserwartung
in Jahren
78,7
Internetanschlüsse 43
pro
1000
Einwohner
Finnland
20
847
Island
25
110
Deutschland
22 169
34,4
45,6
57,7
61,1
57,8
0,934
(2)
0,911
(15)
0,917 0,927 0,911
(11) (5)
(14)
78,3
75,7
77,0
79,1
77,3
72
56
89
90
18
Quelle: Human Development Report 2000. J.-E. Lane/S. Ersson, Politics
and Society in Western Europe, London 1999, S. 325.
* 1998, ** In Klammern ist der Rangplatz unter ca. 170 Ländern
wiedergegeben.
12
-
Schweden ist heute der einflussreichste Staat
Skandinaviens. 6 Mit fast 9 Mio. Menschen ist es das
größte Land der Region. Es zeichnete sich durch seine
Neutralitätspolitik und Friedenssicherung aus.
Schweden besitzt auch den universalistischsten
Wohlfahrtsstaat, was oftmals – vor allem ausländische
– Beobachter zu intensiven Untersuchungen dieses
Staatswesens veranlasste. Dies gilt sowohl für die
Befürworter,
welche
Lobgesänge
auf
den
Wohlfahrtsstaat anstimmten und die im schwedischen
Wohlfahrtsstaat einen dritten Weg zwischen
Kapitalismus und Sozialismus sahen, 7 wie auch für
Zukunftspessimisten,
die
Tendenzen
zum
Totalitarismus ausmachten. 8 Allerdings haben sich in
diesem Bereich in den 90er Jahren fundamentale
Strukturveränderungen ergeben, so dass sich der
schwedische
Wohlfahrtsstaat
stark
an
kontinentaleuropäische Varianten angeglichen hat.
6
Norwegen (4,5 Mio. Einwohner) stellt einen
Modellfall für die sich in Europa ausgebildeten
Als Überblick siehe: D. Jahn, Schweden, in: W. Ismayr (Hg.), Die
politischen Systeme Westeuropas, Opladen 2002.
7
Autoren, die eine Vorbildfunktion im politischen System Schwedens
erblicken sind etwa: H. Milner, Sweden. Social Democracy in Practice,
Oxford 1990. oder T. Tilton, The Political Theory of Swedish Social
Democracy. Through the Welfare State to Socialism, Oxford 1990.
8
Heraus sticht das Buch von R. Hunford, The New Totalitarian, London
1971.
13
sozialstrukturellen Konfliktstrukturen dar. So ist es
sicherlich kein Zufall, dass der norwegische
Sozialwissenschaftler Stein Rokkan dieses Konzept
weltweit bekannt machte. 9 In Norwegen bilden die
Regionen um Bergen, Trondheim und Tromsø ein
peripheres Gegengewicht zum Zentrum Oslo. Diese
Konfliktstruktur war in den beiden negativen
Referenden zum EU-Beitritt virulent. 10
Wichtig für die norwegische Identität ist ebenfalls die
Vergangenheit als unabhängiger Staat. Zuvor ging
Norwegen in einer Union mit Schweden auf, eine Zeit,
die den Begriff „Union“ negativ besetzte, was sich
wiederum negativ auf die Integration in die
Europäische Union auswirkt.
Darüber hinaus spielt Religion eine nicht
unbedeutende Rolle. So passt es manchmal gar nicht
9
Die Arbeiten dieses berühmten norwegischen Politikwissenschaftlers hat
erst vor kurzen Peter Flora dem deutschsprachigen Publikum
nähergebracht: S. Rokkan, Staat, Nation und Demokratie in Europa. Die
Theorie Stein Rokkans aus seinen gesammelten Werken rekonstruiert und
eingeleitet von Peter Flora, Frankfurt am Main 2000.
10
Eine Zusammenfassung der wesentlichen Faktoren der EU-Referenden
sind zu finden in: D. Jahn/A.-S. Storsved, Legitimicy through
Referendum? The Nearly Successful Domino-Strategy of the EUReferendums in Austria, Finland, Sweden and Norway, West European
Politics, 18 (3) 1995: S. 18-37. Ausführlich auch: A.T. Jenssen/M.
Gilljam/P. Pesonen (Hg.), To Join or Not to Join. Three Nordic
Referendums on Membership in the European Union, Oslo 1998.
14
zu dem modernen norwegischen Bild, dass Kirchen in
Norwegen in Brand gesteckt werden und sich Sekten
bilden, die den Teufel huldigen.
In jüngerer Zeit spielt das Nordseeöl eine wichtige
Rolle für die privilegierte wirtschaftliche Position der
norwegischen Wirtschaft. 11
-
Dänemark (5,3 Mio. Einwohner) 12 ist das Land mit
der größten Anzahl von Minderheitsregierungen,
einem Regierungstyp, in dem die Regierung nicht die
Mehrheit der parlamentarischen Sitze besitzt.13
Darüber hinaus ist auch der dezentralisierte
Verwaltungsaufbau zu nennen, der zum Teil zu
sozialen Experimenten einlädt und den Motor für eine
progressive Politik darstellt.
-
11
Finnlands (5,2 Mio. Einwohner) jüngste Geschichte
war durch den starken Nachbarn im Osten geprägt.
Übersichten für das politische System Norwegens sind: S. Kuhnle,
Norwegen, Aus Politik und Zeitgeschichte B43. Sowie: H. Groß/W.
Rothholz, Das politische System Norwegens, in: W. Ismayr (Hg.), a.a.O.
12
Eine deutschsprachige Übersicht ist zu finden in P. Nannestad, Das
politische System Dänemarks, in: W. Ismayr (Hg.), a.a.O.
13
E. Damgaard, Dänemark. Das Leben und Sterben von
Koalitionsregierungen, in: W.C. Müller/ K. Strøm (Hg.),
Koalitionsregierungen in Westeuropa. Bildung Arbeitsweise Beendigung,
Wien 1997.
15
Neutralitätspolitik war demzufolge Pflicht. 14 Um so
mehr scheinen sich die Finnen in den 90er Jahren an
Europa anlehnen zu wollen. So gilt Finnland als die
europafreundlichste Nation innerhalb der EU. Das
historische Erbe hat ferner dazu geführt, dass in
Finnland eine bedeutende schwedische Minderheit
lebt, die eine eigene Universität in Åbo/Turku besitzt.
Die relativ starke Stellung des finnischen Präsidenten,
die sonst nicht in die politische Landschaft
Skandinaviens zu passen scheint, ist ebenfalls ein Erbe
aus der Zeit des Kalten Krieges, in der die politische
Kontinuität der Außenpolitik zur Sowjetunion durch
den Präsidenten gewährleistet wurde.
Oftmals wird die Tatsache übersehen, dass Finnland
die meisten Regierungen demokratischer Staaten in
der Nachkriegszeit besitzt und damit selbst Italien in
den Schatten stellt.
Schließlich ist Finnland das Land, in dem die Grüne
Partei auf eine sehr lange – seit 1983 –
ununterbrochene parlamentarische Vergangenheit und
seit 1995 Regierungsverantwortung zurückblicken
14
Auch für Finnland fällt es schwer eine allgemeine Einführung in das
politische System zu finden. Hervorzuheben sind: B. Auffermann, Das
politische System Finnlands, in: W. Ismayr (Hg.), a.a.O oder die nun
etwas ältere Studie von D. Arter, Politics and Policy-Making in Finnland,
Sussex 1987.
16
kann. Damit sind die finnischen Grünen die erste
grüne
Partei,
die
an
einer
nationalen
Koalitionsregierung partizipierte.
-
Doch selbst Island (280.000 Einwohner) sorgt für
einige
Überraschungen. 15
Der
ausländische
Beobachter ist immer wieder über den ausgeprägten
Nationalstolz der Isländer verwundert, der sich durch
alle politischen Lager zieht. Darüber hinaus besitzt
Island keine eigene Armee, war aber zur Zeit des
Kalten Krieges ein strategischer Hauptstützpunkt für
die US-amerikanischen Streitkräfte.
In der isländischen Politik spielen Frauen seit langem
eine wichtige Rolle. Schon in den ersten Jahrzehnten
des 20. Jahrhunderts schlossen sie sich zu politischen
Vereinigungen zusammen. Links-libertäre Parteien, in
anderen Ländern als grüne oder links-sozialistische
Parteien in den 60er, 70er und 80er Jahren Gestalt
annehmend, bildeten sich in Island als Frauenpartei,
die in fünf nationalen Wahlen von 1983 bis 1995
erfolgreich war.
Ein gemeinsames Schicksal – vielleicht mit Ausnahme von
Island – erfuhren die skandinavischen Staaten jedoch in
15
Im Kontext zu den anderen skandinavischen Ländern, ist es nicht mehr
verwunderlich, dass auch zu Island wenig politikwissenschaftliche
Literatur vorliegt: G. Eythórsson/D. Jahn, Das politische System Islands,
in: W. Ismayr (Hg.), a.a.O.
17
Bezug auf den Prozess der europäischen Integration. In
Dänemark und Norwegen brachte die Frage des Beitritts zur
Europäischen Gemeinschaft in den 70er Jahren enorme
Turbulenzen für das politische System. Die sich nach dem
Referendum anschließenden Wahlen wurden in beiden
Ländern
„Erdbebenwahlen“
genannt,
bei
denen
Wechselwähler an der Tagesordnung waren. Teilweise
konnten sich die Parteien von diesem Schlag bis heute nicht
mehr erholen, wie etwa die norwegische liberale Partei. Zum
Teil wurde die Voraussetzung für sozialdemokratische
Minderheitsregierungen infolge der Referenden nachhaltig
erschwert. In Schweden gab es zu Beginn der 70er Jahre
ähnliche Erosionstendenzen durch die Abschaffung des
Zweikammernsystems, das zuvor ein Bollwerk für die
Sozialdemokratische Arbeiterpartei war.
Das Thema EU wurde in den 90er Jahren wieder akut. Zwar
wurden Finnland und Schweden 1995 Mitglied der EU, aber
erneut hatte dieses Thema, wie in Norwegen und Dänemark,
enormen politischen Einfluss. Dieser Tatbestand wird uns im
Verlauf dieses Beitrags noch beschäftigen. Zunächst einmal
sollen jedoch die wesentlichen Aspekte des politischen
Systems in den skandinavischen Ländern dargestellt werden.
4. Das oder die Parteiensystem(e) Skandinaviens
Die Entstehung der politischen Parteien in Skandinavien lässt
sich in besonders anschaulicher Art und Weise auf die
geschichtliche
Entwicklung
der
Konfliktstrukturen
18
zurückführen. Dies trifft insbesondere auf das „klassische”
skandinavische Fünfparteiensystem zu.
Der Konflikt um mittelalterliche Privilegien der Stände
zwischen konservativen Kräften, die diese Privilegien
verteidigten, und der liberalen Bewegung, die diese beseitigen
wollte, führte zu parlamentarischen Gruppen, die damals als
„Rechte” und „Linke” bezeichnet wurden. Diese Parteinamen
sind in einigen skandinavischen Ländern bis heute
beibehalten worden. Im Laufe der Jahre fand jedoch eine
Ausdifferenzierung der skandinavischen Parteiensysteme statt
(siehe Abb. 2). Schon zum Ende des 19. Jahrhunderts galten
die liberalen und konservativen Parteien als bürgerliche
Parteien, welche die rechte Position auf der dominanten
Links/Rechts-Dimension einnahmen. Auf der linken Position
etablierten
sich
in
Skandinavien
bedeutende
sozialdemokratische Parteien, die sich in den fünf
untersuchten Ländern zwischen 1871 (Dänemark) und 1916
(Island) gebildet haben. Im Zuge der Russischen Revolution
und des Ersten Weltkrieges kam es zu parteiinternen
Konflikten innerhalb der großen Arbeiterparteien oder zur
Bildung von kommunistischen Parteien wie in Schweden und
Finnland. 16
Aufgrund einer skeptischen Haltung gegenüber der
Sicherheitspolitik innerhalb der NATO und der ideologischen
16
Die finnische kommunistische Partei wurde jedoch erst nach dem
Zweiten Weltkrieg legalisiert.
19
Strömung des „Eurokommunismus” fanden in den 60er
Jahren weitere Umorientierungen der kommunistischen
Parteien statt, die in Schweden am weitreichendsten waren,
oder es kam – wie in Norwegen, Dänemark und Island – zur
Bildung von links-sozialistischen Parteien. Die Verbindung
von linken und bürokratischen Positionen lässt diese als linkslibertäre Parteien erscheinen, 17 die sich in den 70er und 80er
Jahren dann verstärkt ökologischer Themen annahmen.
Abb. 2: Grundstruktur der Entwicklung des skandinavischen
Parteiensystems
Arbeiterbewegung
Parteien
Bürgerliche
”Linke”
”Rechte”
Kommunisten
SozialKonservative
und
demokratische
Links-Sozialisten
Parteien
17
Bauern
Liberale
(Zentrums-
Zu diesem Konzept siehe: H. Kitschelt, Left-libertarian Parties.
Explaining Innovation in Competetive Party Systems, World Politics 40
(2) 1988, S. 194-234.
20
Eine Besonderheit der skandinavischen Länder, die auch in
Osteuropa und in den kalvinistischen Kantonen der Schweiz
anzutreffen ist, besteht in der Existenz von Bauernparteien. 18
Lipset und Rokkan identifizierten vier Faktoren bezüglich der
Existenz relevanter Bauernparteien: Einmal waren Städte und
industrielle Zentren zur Zeit der Einführung des allgemeinen
Wahlrechts relativ unbedeutend. Des Weiteren bestand die
Bauernbevölkerung
weitgehend
aus
unabhängigen
Bauernfamilien, was sie zu einer unabhängigen politischen
Kraft machte. Ferner dominierte später der Kulturkonflikt
zwischen marktkapitalistischen Städten und traditionelllandwirtschaftlichen Peripherien, und schließlich kam die
Schwäche der katholischen Kirche der Bildung von
Bauernparteien zugute. Die Bauernparteien in Skandinavien
vertraten damit die ländlichen Interessen gegenüber den von
den anderen Parteien vertretenen städtischen Interessen.
Heute bezeichnen sich die Bauernparteien in Finnland,
Schweden und Norwegen als Zentrumsparteien. In Dänemark
ist dies die „Linke“ (Venstre) und in Island die
Fortschrittspartei.
Dieses Beispiel zeigt, dass es oftmals sinnlos erscheint
Parteien anhand von Parteiennamen in bestimmte Klassen zu
subsumieren. Es ist vielversprechender Parteien anhand von
programmatischen und historischen Standpunkten mit Hilfe
18
Siehe: H.Gollwitzer, Europäische Bauerndemokratie im 20. Jahrhundert,
in: H. Gollwitzer (Hg.), Europäische Bauernparteien im 20. Jahrhundert,
Stuttgart 1977.
21
von Parteienfamilien zusammenzufassen. 19 Bei der
Darstellung der einzelnen Parteienfamilien können wir
wiederum eine Zweiteilung vornehmen. Zunächst einmal
lassen sich die Parteiensysteme anhand der „klassischen“ fünf
Parteienfamilien unterteilen. In einem zweiten Schritt sollen
dann die neuen Parteien in den skandinavischen
Parteiensystemen vorgestellt werden. Als Übersicht werden
die jeweiligen Parteien der Parteienfamilien für jedes Land
wiedergegeben, sowie deren Gründungsjahr, das höchste
Wahlergebnis und das aktuellste Wahlergebnis (Dänemark
2001, Finnland 1999, Island 1999, Norwegen 2000 und
Schweden 1998).
Tab. 3: Die skandinavischen Parteienfamilien im Überblick
19
Für diese Methode siehe etwa: K. v. Beyme, Parteien in westlichen
Demokratien, München 1984.
22
Dänemark
Sozialistische
Kommunistische
und
sozialistische Volkspartei
1959
Parteien
14,6 % (1987)
6,4 %
Finnland
Island
Norwegen
Schweden
Linksbund
1944
23,2 % (1958)
10,9 %
Volksallianz
1956
22,9 % (1978)
Sozialistische
Linke
1975 (1961)
12,4 % (2000)
Linkspartei
1917
12,0 % (1998)
12,0 %
Rote
Wahlallianz
1923
11,9 % (1945)
1,2 %
Linkssozialisten
1967
3,7 % (1979)
Sozialdemokratische Sozialdemokraten
1871
Parteien
Sozialdemokraten
1899
28,3 % (1995)
22,9 %
Sozialdemokraten
1916
22,0 % (1978)
26,8 %*
Arbeiterpartei
1887
48,3 % (1957)
24,3 %
Sozialdemokraten
1889
50,1 % (1968)
36,4 %
Zentrische
und Liberalen
1870
Bauernparteien
Zentrumspartei
1906
24,9 % (1991)
22,4 %
Fortschrittspartei
1916
28,2 % (1963)
18,4 %
Zentrumspartei
1920
11,0 % (1973)
5,6 %
Zentrumspartei
1910
25,1 % (1973)
5,1 %
Schwedische
Volkspartei
1906
7,9 % (1945)
5,1 %
---
Liberale
1883
13,8 % (1945)
3,9
Volkspartei
1934
24,4 % (1952)
4,7 %
Selbstständigkeitspartei
1929
42,7 % (1974)
40,7 %
Konservative
1884
31,7 % (1981)
21,2 %
Konservative
1904
23,6 % (1982)
22,9 %
Christliche
Volkspartei
1933
13,7 % (1997)
12,5 %
Christdemokratische
Sammlung
1964
11,8 % (1998)
11,8 %
---
---
---
42,1 % (1960)
29,1 %
27,6 % (1947)
31,3 %
Liberale Parteien
Radikalliberale
1905
15,0 % (1968)
5,2 %
Liberale
Volkspartei
1894
7,9% (1954)
Konservative
Parteien
Konservative
1916
23,4 % (1984)
9,1 %
Christliche Parteien Christliche
Volkspartei
1970
5,3 % (1975)
2,3 %
Sammlungspartei
1918
23,1 % (1987)
21,0 %
Christliche Union --1958
4,8 % (1979)
4,2 %
andere
zentrische Zentrumsdemokraten --1973
Parteien
8,3 % (1981)
1,8 %
Protestparteien
Fortschrittspartei
1972
15,9 % (1973)
0,6 %
Landvolkpartei
1959
10,5 %(1970)
---
Fortschrittspartei Neue Demokratie
1973
1991
15,3 % (1997)
6,7 % (1991)
14,7 %
Umweltparteien/
Feministische
Parteien
Einheitsliste
1983
3,1 % (1994)
2,4 %
Grüne
1988
7,3 % (1999)
7,5 %
Frauenliste
1986
10,1 % (1987)
---
Grüne
1981
5,5 % (1988)
4,5 %
23
* 1999 traten die Sozialdemokratische Partei, Teile der Volksallianz und die Frauenliste als
ein gemeinsames Wahlbündnis an.
4.1. Die
Kräfteverhältnisse
im
klassischen
skandinavischen Parteiensystem
Schon der Blick auf die klassischen Fünfparteiensysteme der
skandinavischen Länder macht auf die Gemeinsamkeiten aber
auch schon auf deren Unterschiede aufmerksam. Wenngleich
wir in allen Parteiensystemen die oben beschriebenen fünf
Parteienfamilien wiederfinden, so ist der Einflussbereich der
verschiedenen Parteienfamilien in den fünf Ländern doch in
mancherlei Hinsicht recht unterschiedlich. Dies soll im
Folgenden anhand der Beschreibung der einzelnen
Parteienfamilien kurz dargestellt werden:
(a) Die Stärke der sozialdemokratischen Parteien in
Dänemark, Norwegen und Schweden
In Dänemark, Norwegen und vor allem in Schweden waren
die sozialdemokratischen Parteien dominante politische
Akteure. Obwohl diese Vorherrschaft in Dänemark und
Norwegen spätestens nach den Erdrutschwahlen 1973
erodierte, sind diese Parteien auch heute noch die stärkste
politische Kraft in den Parlamenten dieser drei Länder. In
Schweden regierte die Schwedische Arbeiterpartei (SAP) von
1932 bis 1976 44 Jahre fast ohne Unterbrechung, und auch
danach bildeten die Sozialdemokraten 17 Jahre lang eine
Alleinregierung. In Norwegen hat die Norwegische
Arbeiterpartei (DNA) seit 1945 zirka 31 Jahre lang (bis 2001)
die Regierung gestellt - ausschließlich als alleinige
Regierungspartei. Auch die dänischen Sozialdemokraten
waren etwa 27 (bis 2001) Jahre an der Regierung beteiligt,
24
allerdings – im Gegensatz zu den Schwesterparteien in
Schweden und Norwegen – zumeist in einer Koalition mit
anderen Parteien (vornehmlich der links-liberalen Radikalen
Partei).
Abb. 3: Stärke der Sozialde mokratischen Parteien
60
50
40
30
20
10
0
1945 1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000
Dänemark
Finnland
Island
Norwegen
Schweden
Angaben in P rozent
In Finnland und vor allem Island haben es die
sozialdemokratischen Parteien bei weitem schwieriger. So
stellten die Sozialdemokraten nur von 1966 bis 1970, 1972 bis
1975 und vor allem zwischen 1977 und 1987 über einen
längeren Zeitraum den Ministerpräsidenten in Finnland. In
25
Island waren sozialdemokratische Ministerpräsidenten nur für
ca. ein Jahr 1958 und 1979 im Amt. Um die Heterogenität der
Linken
auszugleichen
ging
die
isländische
sozialdemokratische Partei im Jahre 2001 eine Allianz mit der
Frauenpartei und der Volksallianz ein. Das Machtdefizit der
sozialdemokratischen Parteien in Finnland und Island wurde
jedoch durch andere Parteien aufgefangen.
(b) Die Stärke der Bauernpartei in Finnland und Island
In Finnland und in Island haben Bauernparteien einen starken
politischen Einfluss. Ihre Stärke in Finnland hat viele in der
Geschichte des Landes begründete Ursachen. Zunächst war
die Bauernpartei wesentlich an der Staatenbildung zwischen
1917 und 1919 beteiligt, als sie eine republikanische
Verfassung
favorisierte.
Ähnlich
wie
die
sozialdemokratischen Parteien durch Reformen in Schweden,
Norwegen und zum Teil auch Dänemark ihre Vorherrschaft
zementierten, gelang dies der finnischen Bauernpartei schon
in den 20er Jahren durch das Landreformprogramm und in
den
späten
40er
Jahren
durch
das
Wiederansiedlungsprogramm der Flüchtlinge aus den an die
Sowjetunion abgetretenen Gebieten. Ebenso trug die lange
Präsidentschaft Urho Kekkonen als früheres Mitglied der
Bauernpartei zur Popularität der Partei bei. Zu guter Letzt
stellt die Uneinigkeit der finnischen Sozialdemokraten am
Ende der 50er Jahre einen Grund für die Stärke der finnischen
Bauernpartei dar, so dass diese für fast ein Jahrzehnt zur
„natürlichen“ Regierungspartei wurde. Als die finnische
Bauernpartei 1965 ihren Namen in Zentrumspartei änderte
26
und damit den schwedischen und norwegischen
Schwesterparteien folgte, war sie die größte und
einflussreichste Regierungspartei in Finnland. Gegenwärtig ist
die finnische Zentrumspartei die einzige relevante
Oppositionspartei
zu
einer
so
genannten
Regenbogenkoalition, die von der konservativen Partei, der
Schwedischen Volkspartei, der Sozialdemokratischen Partei,
dem Linksbund und den Grünen gebildet wird. In den 90er
Jahren konnte die dänische Bauernpartei, die sich als „Die
Linke, Dänemarks liberale Partei“ bezeichnet, substanzielle
Wahlgewinne verbuchen.
27
Abb. 4: Stärke de r Ze ntrumsparte ie n
35
30
25
20
15
10
5
0
1945 1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000
Dänemark
Finnland
Island
Norwegen
Schweden
Angaben in Prozent
(c) Die Stärke der radikalen Linken in Finnland und
Island
Neben der Stärke der Bauernparteien spielen historisch
gesehen die linksradikalen Parteien in Finnland und Island
eine zumindest bis in die 80er Jahre hinein herausragende
Rolle. Die Parteien, die links von den sozialdemokratischen
Parteien stehen, sind in Dänemark, Schweden und Norwegen
zwar stabil, jedoch waren sie relativ unbedeutend. Seit den
60er Jahren stellen sie sich als eurokommunistische Parteien
da. Mit diesem Parteienimage verhinderten sie in Norwegen
28
und Dänemark erfolgreich die Etablierung von grünen
Parteien. In den letzten Wahlen haben die Parteien links von
den Sozialdemokraten in Schweden und Norwegen ihre
historisch höchsten Wahlergebnisse erhalten, und es bleibt
abzuwarten, ob sie mit diesem neuen Zuspruch die
wohlfahrtsstaatlichen Politiken in den Ländern nachhaltig
beeinflussen werden können.
Der größere Wahlerfolg der linken Parteien in Finnland und
Island hat nationale Gründe. Die Kommunistische Partei in
Finnland stand unter dem Einfluss der sowjetischen
Schwesterpartei und wurde von dieser unterstützt. Im Zweiten
Weltkrieg wurde sie 1944 wieder legalisiert. Anders als Im
Gegensatz zu den übrigen Linksparteien in Skandinavien
konnte sie sich auf die Arbeiterschaft in den industriellen
Zentren verlassen, 20 die in den anderen Ländern vornehmlich
von den sozialdemokratischen Parteien angesprochen wurde.
In Island vermochte die Vereinte Sozialistische Partei
reformistische und nationalistische Elemente erfolgreich
miteinander zu verbinden. Dabei gelang es ihr, sowohl die
urbanen Arbeiter und Fischer als auch Lehrer und
Intellektuelle für die Partei zu gewinnen.
20
E. Allardt, Types of Protest and Allienation, in: E.Allardt/S. Rokkan
(Hg.), Mass politics, New York 1970.
29
Abb. 5: Stärke der Parteien links der Sozialdemokraten
25
20
15
10
5
0
1945 1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000
Dänemark
Finnland
Island
Norwegen
Schweden
Angaben in Prozent
Die Stärke der sozialdemokratischen Parteien in Skandinavien
wird in der Literatur auch zum großen Teil als ein Resultat
der Fragmentierung der bürgerlichen Parteien erklärt. 21 Das
bürgerliche Lager ist in den meisten skandinavischen Ländern
nämlich in etwa gleich große Parteien aufgespalten. Liberale,
21
Diese These wurde vor allem von F. Castles, The Social Democratic
Image of Society. A Study of the Achievements and Origins of
Scandinavian Social Democracy in a Comparative Perspective, London
1978 populär gemacht.
30
agrarische und konservative Parteien hatten zwar in der
Nachkriegszeit
unterschiedliche
Wahlerfolge,
jedoch
herrschte unter ihnen Konkurrenz. Diese Situation stellt sich
in Island unterschiedlich dar.
(d) Die starke Kohärenz der politischen Rechten in Island
Während die rechten Parteien historisch in Dänemark und
Schweden in drei Parteien, in Finnland und Norwegen sogar
in vier Parteien aufgesplittert sind, vermochte die isländische
Selbstständigkeitspartei, seit dem Zusammenschluss zwischen
Konservativen und Liberalen 1929, die rechten Kräfte zu
binden und wurde damit nicht nur die größte Partei Islands,
sondern die größte nicht-sozialdemokratische Partei in
Skandinavien überhaupt, was dazu führt, dass diese Partei in
Island besonders starken Einfluss besitzt.
31
Abb. 6: Stärke de r konse rvative n Parte ie n
50
40
30
20
10
0
1945 1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000
Dänemark
Finnland
Island
Norwegen
Schweden
Angaben in Prozent
Allen skandinavischen Ländern ist die stetige Abnahme des
Wählerzuspruchs für liberale Parteien gemeinsam. Diese
Tendenz ist besonders eklatant in Schweden und in Finnland,
wo liberale Parteien seit Ende der 80er Jahre kaum noch einen
nennenswerten Wählerzuspruch erhalten.
32
Abb. 7: Stärke de r libe rale n Parte ie n
25
20
15
10
5
0
1945 1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000
Dänemark
Finnland
Norwegen
Schweden
Angaben in Prozent
Die Darstellung der Grundstruktur der Parteiensysteme in
Skandinavien deutet auf wesentliche Gemeinsamkeiten, aber
auch auf die Unterscheide hin. Diese Trends haben sich dann
ab den 70er Jahren in neuen Herausforderungen manifestiert,
die im Folgenden näher beschrieben werden sollen.
4.2. Neue Herausforderungen seit den 70er Jahren
Nachdem das Parteiensystem über viele Dekaden stabil
geblieben ist, gelangten nach 1970 vermehrt neue Parteien in
die skandinavischen Parlamente. In Dänemark und Norwegen
33
waren dies fünf neue Parteien, in Finnland sieben, und in
Schweden und Island jeweils drei. Besonderen Erfolg hatten
in fast allen Ländern die rechtspopulistischen AntiSteuerparteien und links-libertäre Parteien.
Die populistischen Parteien haben in Dänemark und
Norwegen seit den frühen 70er Jahren zum Teil erhebliche
Wahlerfolge erringen können. In Schweden und Island
hingegen gelangten sie zu Beginn der 90er bzw. Ende der
80er Jahre nur einmal in die jeweiligen Parlamente. In
Finnland hatte die dortige Bauernpartei populistische Züge.
Es ist folglich nicht ganz so einfach diese Parteiengruppe
eindeutige Charakteristika zuzuschreiben. 22 Ihre Forderungen
richten sich zumeist nicht direkt gegen den Wohlfahrtsstaat,
sondern eher gegen die sozialen Ansprüche sowie die liberale
Einstellung gegenüber Ausländern, sodass die Bezeichnung
„Wohlfahrtschauvinismus“ passender erscheint als antiwohlfahrtsstaatliche Einstellungen. Diese Parteien werden zu
einem großen Teil von Arbeitern unterstützt, bzw. von
Menschen, die vom Wohlfahrtsstaat abhängig sind. In den
letzten Jahren unterstützten die populistischen Parteien die
Politik von bürgerlichen Regierungen. In den 90er Jahren hat
sich in Dänemark die nationalistische Volkspartei gebildet,
die in der letzten Wahl 2001 erstaunliche 12 % der Stimmen
22
Siehe etwa: J.G. Andersen/T. Bjørklund, Struktureller Wandel, neue
Konfliktlinien und die Fortschrittsparteien in Dänemark, Norwegen und
Schweden, in: F.-U. Pappa/H. Schmitt (Hg.), Parteien, Parlamente und
Wahlen in Skandinavien, Frankfurt am Main 1994. Siehe auch Arter
(1999) a.a.O., S. 103-107.
34
erhalten hat und damit ein nationalistisches Element in den
sonst liberalen gesellschaftlichen Diskurs Dänemarks
einbringt.
Zu den links-libertären Parteien zählen in Dänemark und
Norwegen die sozialistischen Parteien, in Island die
Frauenliste 23 und in Schweden und Finnland die grünen
Parteien. Die finnischen Grünen sind – wie schon oben
erwähnt - eine der erfolgreichsten grünen Parteien überhaupt.
Die schwedischen Grünen zeichnen sich u.a. durch eine starke
EU-skeptische Haltung aus.
Seit den 70er Jahren kamen auch christliche Parteien in die
Parlamente Finnlands, Dänemarks und Schwedens, die zuvor
nur im norwegischen Storting vertreten waren. Diese Parteien,
die anders als im kontinentalen Europa lutheranischprotestantische
Parteien
sind,
bildeten
sich
als
Gegenbewegung libertärer und linker Tendenzen. Stein
Rokkan 24 beschreibt sie als Parteien, welche die „kulturelle
Peripherie”
repräsentieren,
und
sie
gelten
als
25
„systemimmanente Protestparteien.“ In den 90er Jahren
23
Im Mai 2001 ging die Frauenliste in der Allianz, zusammen mit den
Sozialdemokraten und der Volksallianz auf. Daneben bildete sich eine
radikal sozialistische und ökologische Partei: die Links-Grüne-Bewegung.
24
S. Rokkan, Geography, Religion and Social Class. Crosscutting
Cleavages in Norwegian Politics, in: S.M. Lipset/S. Rokkan (Hg.), Party
Systems and Voter Alignments. Cross-national Perspectives, New York
1967, S. 367-444.
25
Siehe: L. Karvonen, In From the Cold? Christian Parties in Scandinavia,
in: Scandinavian Political Studies 16 (1) 1994. Und ders.: Christian Parties
35
nahm der Wählerzuspruch für diese Parteien in allen
skandinavischen Ländern zu, was besonders prägnant in
Norwegen und vor allem Schweden der Fall war.
Die Veränderungen in den Parteiensystemen in Skandinavien
waren fundamental. Wenngleich, bis auf Finnland, die
Regierungsstabilität
dem
europäischen
Durchschnitt
entsprach, lag die Anzahl der Wechselwähler in den meisten
skandinavischen
Ländern
über
dem
europäischen
Durchschnitt. Insbesondere das Thema der europäischen
Integration sorgte sowohl zu Beginn der 70er als auch zu
Beginn der 90er Jahre für erhebliche Turbulenzen.
5. Die Regierungssysteme Skandinaviens
Der auffallendste Gegensatz der fünf skandinavischen Staaten
besteht darin, dass Dänemark, Schweden und Norwegen
konstitutionelle Monarchien sind Finnland und Island
hingegen Republiken. In den Monarchien haben die
Staatsoberhäupter ausschließlich repräsentative Aufgaben und
sind nur sehr begrenzt in das politische Tagesgeschehen
eingebunden. Die beiden Länder mit Präsidenten als
Staatsoberhäupter haben diese, zumindest formal, mit
erheblichen Machtkompetenzen ausgestattet und gelten – wie
etwa Frankreich – als semi-präsidentielle Systeme. 26 Die
in Scandinavia. Victory over the Windmills? in: D. Hanley (Hg.),
Christian Democracy in Europe. A Comparative Perspective, London
1994.
26
Dieser Begriff geht auf Maurice Duverger, A New Political System
Model. Semi-Presidential Government, in: European Journal of Political
36
Diskrepanz zwischen formeller und faktischer Macht ist
jedoch im isländischen politischen System besonders
ausgeprägt, in dem der Präsident ausschließlich zeremonielle
Aufgaben übernimmt und nicht in die Politik eingreift. Dieses
Machtdefizit ist historisch begründet, da der Präsident als
Nachfolger des dänischen Statthalters fungiert, der formell,
aber nicht faktisch die Geschicke des Landes führte. 27
Anders stellt sich die Situation in Finnland dar, wo der
Präsident für die Außenpolitik verantwortlich ist.
Insbesondere während der Amtszeit Paasikivis (1946-56) und
Kekkonens (1956-81) gewann der finnische Präsident durch
sein spezielles Verhältnis zu den sowjetischen Machthabern
an Einfluss, den er durchaus auch für innenpolitische
Strategien nutzte. Die doppelte Exekutive wirkte sich
ebenfalls bei den Beitrittsverhandlungen zur Europäischen
Union aus, da nicht deutlich entschieden werden konnte, ob
der EU-Beitritt ein innen- oder außenpolitisches Thema
darstellte. In den 90er Jahren ging, im Zuge der politischen
Entspannung nach dem Kalten Krieg, der Einfluss des
Präsidenten sukzessiv wieder zurück. Dies wurde
dementsprechend in die am 1. März 2000 verabschiedete
Verfassung übernommen.
Research, 1980 zurück. Semi-präsidentielle Systeme unterscheiden sich
von präsidentiellen Systemen, indem der Präsident und die
parlamentarische Regierung sich gegenseitig absetzen kann und damit
keine absolute Gewaltenteilung besteht, wie etwa in den USA.
27
G. Eythórsson/D. Jahn, a.a.O., S. 164f.
37
6.
Rahmenbedingungen
der
Konsenspolitik
in
Skandinavien
In Abweichung zur kontinentaleuropäischen Tradition und
vor allem im Gegensatz zum Westminster-Modell
Großbritanniens ist die Regierungspraxis in allen
skandinavischen Ländern durch eine konsensorientierte
Entscheidungsfindung geprägt, die darum bemüht ist, die
Opposition in die Regierungsverantwortung einzubeziehen.
Wenngleich alle skandinavischen Staaten heute ein
welches
politische
Einkammersystem
besitzen, 28
Richtungswechsel schneller als ein Zweikammernsystem
übersetzt und damit die durch den Anstieg der
Wechselwählerschaft geschaffene politische Instabilität
verstärkt, existieren andere Mechanismen, die einen
Interessensausgleich und politische Kontinuität gewährleisten.
Durch das ausgeprägte Kommissionswesen wird die
Opposition in die Verantwortung genommen. Alle Anträge
müssen einen speziellen Ausschuss durchlaufen, bevor im
Plenum abgestimmt wird. Diese Ausschüsse sind proportional
zu den unterschiedlichen Parteienstärken besetzt und werden
teilweise auch von den Oppositionsparteien geleitet. Im
Durchschnitt gab es in Dänemark, Norwegen und Island 12
solcher ständigen Ausschüsse, in Schweden 16 und in
28
Dänemark,
Schweden
und
Island
besaßen
zunächst
Zweikammernsysteme. Diese wurden in Dänemark 1953, in Schweden
1970 und in Island 1991 abgeschafft. In Norwegen ist der Storting offiziell
in zwei Kammern geteilt (Odelsting und Lagting), faktisch funktioniert die
parlamentarische Arbeit jedoch wie in einem Einkammersystem.
38
Finnland fünf. Im Gegensatz zum britischen Parlament, das
als „Redeparlament“ bezeichnet wird, dominiert in den
skandinavischen Parlamenten die Ausschussarbeit, weshalb
sie auch „Arbeitsparlamente“ genannt werden.
Auch
durch
das
häufige
Auftreten
von
Minderheitsregierungen wächst der Einfluss der Opposition,
da die Regierungsparteien die Unterstützung, zumindest von
einem Teil der Opposition benötigen, um spezielle Vorhaben
durchzusetzen. 29 Allerdings besteht bei diesem Aspekt ein
Unterschied zwischen Finnland und Island einerseits und
Dänemark, Schweden und Norwegen andererseits.
Minderheitsregierungen
waren
in
der
gesamten
Nachkriegsphase
in
Dänemark
besonders
häufig
anzutreffen. 30 Wenn Minderheitsregierungen in Dänemark
schon zwischen 1945 und 1973 die häufigste Regierungsform
darstellen (fast zwei Drittel der Regierungen waren
Minderheitsregierungen), so waren nach der „Erdbebenwahl“
von 1973 Minderheitsregierungen vorherrschend. Nur einmal
war eine Mehrheitskoalition von Sozialdemokraten, RadikalLiberalen, Zentrumsdemokraten und Christlicher Volkspartei
29
Manche Autoren, sehen gerade in diesem Umstand den Grund für die
Häufigkeit von Minderheitsregierungen in Skandinavien: K Strøm,
Minority Government and Majority Rule, Cambridge 1990.
30
Siehe
D.
Jahn,
Koalitionen,
Koalitionshandeln
und
Minderheitsregierungen in Dänemark und Norwegen, in: S. Kropp/S.S.
Schüttemeyer/R. Sturm (Hg.), Koalitionen und Koalitionshandeln in
Europa, Opladen 2002b.
39
von Januar 1993 unter dem Ministerpräsidenten Poul Nyrup
Rasmussen für 604 Tage an der Regierung. 31
In
Norwegen
waren
dagegen
bis
1973
Minderheitsregierungen die Ausnahme. Danach waren etwa
vier Fünftel der Regierungen Minderheitsregierungen
entweder unter einer sozialdemokratischen Alleinregierung
oder unter einer Minderheitsregierung mit drei der vier
bürgerlichen Parteien. Ein Phänomen der norwegischen
Politik besteht darin, dass die Norwegische Arbeiterpartei
noch nie an einer Koalitionsregierung teilgenommen hat, aber
dennoch am häufigsten Regierungspartei war (zwischen 1945
und 2001 40 von 55 Jahren). 32
Auch in Schweden waren in der Nachkriegszeit
Minderheitsregierungen vorherrschend. Nur etwa ein Viertel
der Nachkriegsregierungen waren Mehrheitsregierungen. Hier
alternierten
ebenfalls
sozialdemokratische
Minderheitsregierungen
mit
bürgerlichen
Koalitionsregierungen. Eine blockübergreifende Koalition
zwischen Sozialdemokraten und der Zentrumspartei bestand
lediglich zwischen 1951 und 1957. Ein hervorstechendes
Merkmal stellte die
44-jährige ununterbrochene
Regierungsdominanz der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei
zwischen 1932 und 1976 dar. 33
31
Siehe hierzu: E. Damgaard a.a.O.; Arter (1999) a.a.O., S. 201-204.
Siehe: D. Jahn (2002), a.a.O (Anm. 29).
33
Es gab nur eine sechswöchige Unterbrechung im Sommer 1936. Die
ersten Regierungen mit sozialdemokratischer Beteiligung waren
32
40
Die Erscheinung von Minderheitsregierungen wird durch den
in den skandinavischen Ländern praktizierten „negativen
Parlamentarismus“ unterstützt. Im Gegensatz zum „positiven
Parlamentarismus“, wie er etwa in Deutschland, wo die
Regierung die Mehrheit des Parlaments hinter sich wissen
muss, praktiziert wird, gilt im „negativen Parlamentarismus“
die Regel, dass eine Regierung solange an der Macht bleibt,
so lange sich nicht ausdrücklich eine Mehrheit gegen sie
ausspricht. Da dieses Verfahren gleichzeitig die
Verantwortung einer neuen parlamentarischen (negativen)
Mehrheit impliziert, kommt es dazu, dass Regierungen ohne
parlamentarische Mehrheit existieren können. Dies trifft
insbesondere für Dänemark, Schweden und Norwegen zu. In
Island und Finnland sind dagegen Mehrheitsregierungen die
Norm. Allerdings existieren in diesen Ländern häufig
Regierungen, die über die Blockgrenzen reichen. Aber auch in
diesen beiden Ländern haben die Oppositionsparteien einen
großen Einfluss. In Island ist darüber hinaus das Recht des
individuellen Abgeordneten, Initiativen im Parlament
auszuüben, besonders groß. In keinem anderen Land
Westeuropas sind Anträge einzelner Abgeordneter so häufig
angenommen worden, wie in Island. 34 Ebenso dominiert die
Regierung den Gesetzgebungsprozess nicht im gleichen Maße
wie in anderen Ländern.
Koalitionsregierungen mit dem Bauernbund (heute Zentrumspartei), die so
genannte Rot-Grüne-Koalition.
34
Siehe D. Arter, a.a.O., S. 227/8.
41
Nicht zuletzt durch eine sehr restriktive Zustimmungspraxis
zu Gesetzen – ein Sechstel der Abgeordneten konnte den
Gesetzgebungsprozess behindern und die Zustimmung eines
Drittels genügte um Neuwahlen einzuberufen – waren die
finnischen Regierungen – ganz gleich ob Mehrheits- oder
Minderheitsregierungen – äußerst instabil. Nicht weniger als
44 Regierungen gab es zwischen 1945 und 1991. Jedoch
wurde die restriktive Zustimmungspraxis 1992 abgeschafft,
was die Regierungsstabilität stärkte. Gegenwärtig besteht seit
April 1995 die bereits unter 4.1.a) explizierte
Regenbogenkoalition in Finnland, die fünf Parteien vom
linken bis zum rechten Parteienspektrum einschließlich der
Grünen Partei umfasst und als einzige große
Oppositionspartei die Zentrumspartei übrig läßt. Diese
Regierung wurde 1999 in ihrem Amt bestätigt.
Ein weiterer, weniger auffälliger parlamentarischer
Tatbestand verdeutlicht die konsensorientierte Politik in den
nordischen Staaten: die Sitzordnung in den einzelnen
Parlamenten. Die klassische parlamentarische Sitzordnung
des britischen Unterhauses ist durch einen klaren Gegensatz
zwischen Regierung und Opposition gekennzeichnet.
Regierung und Opposition sitzen sich gegenüber und sind
durch
das
„Niemandsland“
getrennt.
In
kontinentaleuropäischen Ländern hat sich dagegen eine
parteienspezifische Sitzordnung – orientiert an der
französischen Nationalversammlung - in den Parlamenten
durchgesetzt, die sich an der programmatischen Ausrichtung
der Parteien auf einem Links-Rechts-Kontinuum bewegt.
42
Beide Sitzordnungen fördern polarisierende Debatten. Die
kontinentaleuropäische Variante wird in Skandinavien nur in
Dänemark und Finnland praktiziert. In Norwegen und
Schweden dagegen richtet sich die Sitzordnung nach
Bezirken. Das bedeutet, dass Parlamentarier verschiedener
Parteien nebeneinander sitzen. Es kommt also durchaus vor,
dass Parteivorsitzende, die oftmals aus der Hauptstadt des
jeweiligen Landes kommen, direkt nebeneinander in den
Parlamenten Platz nehmen. In Island wird die Sitzordnung
durch Losentscheid ermittelt. Beide Verfahren dienen einer
Depolarisierung der Debatte und unterstützen eine
konsensorientierte Politik.
Die konsensorientierte Politik hat in den skandinavischen
politischen Systemen auch eine außerparlamentarische
Komponente. Starke Interessensgruppen existieren in fast
allen Lebensbereichen und diese Gruppierungen werden in
den politischen Entscheidungsprozess eingebunden. Die
klassische Form dieser Verbändepolitik fand zur Hochzeit des
skandinavischen Modells statt, als Gewerkschaften,
Arbeitgeber und staatliche Akteure die Geschicke des Landes
gemeinsam lenkten. Dieses System des Neokorporatismus
hatte sicherlich gewisse demokratische Defizite. Es führt aber
auch zu einer Leistungssteigerung der Volksökonomien. So
stammt von Stein Rokkan der Satz das Stimmen zwar zählen,
Ressourcen aber letztendlich entscheiden. Gerade in
Schweden wurde dieses Netzwerk von Interessengruppen für
43
den Aufbau
genutzt. 35
eines
universalistischen
Wohlfahrtsstaats
Der Korporatismusgrad ist in den skandinavischen Ländern
unterschiedlich stark ausgeprägt und korrespondiert mit der
Regierungsbeteiligung von sozialdemokratischen Parteien.
Als Vorbild galt lange Zeit Schweden, wo vor allem im
Arbeitsbereich ein starker Tripartismus herrschte. Wenngleich
sich dort die engen Bande zwischen Arbeitgebern,
Arbeitnehmern und staatlichen Instanzen in den 80er und 90er
Jahren auflösten, 36 gilt Schweden noch heute, neben
Österreich und Norwegen, als ein Land mit starker
korporatistischer Ausprägung. 37 Dänemark liegt auf Platz
fünf, hinter den Niederlanden und Finnland und Island folgen
nach Deutschland und der Schweiz auf den Rängen 8 und 9
von insgesamt 24 Ländern. Jedoch haben die beiden
letztgenannten Länder ihre korporatistischen Arragements in
den 90er Jahren, im Gegensatz zu den internationalen
Entwicklungen, eher verstärkt.
35
Die beiden Ökonomen der schwedischen Gewerkschaften, Rudolf
Meidner und Anna Hedborg haben dieses Wohlfahrtsmodell anschaulich
dargestellt in: ders.: Modell Schweden. Erfahrungen einer Wohlfahrtsgesellschaft, Frankfurt am Main 1984.
36
D. Jahn, Das „Schwedische Modell” - Zukunfts- oder Auslaufmodell?
in: G. Rising Hintz (Hg.), Das „Schwedische Modell” - Zukunfts- oder
Auslaufmodell?, Marburg 1994.
37
Einen Überblick über die Entwicklung des Koproratismus in 24 Ländern
gibt: A. Siaroff, Corporatism in 24 Industrial Democracies, European
Journal of Political Research 36 (1999),S. 175-205.
44
Auch
wenn
die
Glanzjahre
neokorporatistischer
Arrangements in Skandinavien vorübergegangen sind, so
stellen die Beratungsfunktionen von einflussreichen
Verbänden immer noch einen wesentlichen Aspekt der
konsensorientierten Politik dar.
7. Konsequenzen für die Kooperation im Ostseeraum
Die Darstellung der politischen Systeme der skandinavischen
(oder korrekter nordischen) Staaten deuten auf recht
unterschiedliche historische Entwicklungen hin. Dadurch
unterscheiden sich die politischen Systeme in manchen
wesentlichen Aspekten, so dass in den meisten Gebieten eine
differenzierte Betrachtungsweise notwendig ist. Anderseits
herrschen aber auch Gemeinsamkeiten, die sich vor allem auf
den politisch-kulturellen Entscheidungsstils einer integrativen
Konsenspolitik beziehen.
Die skandinavischen Staaten sind traditionell bemüht
ausgleichenden Einfluss auf die Weltpolitik auszuüben. Die
Friedensinitiativen
des
ehemaligen
schwedischen
Ministerpräsidenten Olof Palme stechen in dieser Hinsicht
sicherlich hervor. Aber auch die frühere norwegische
Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland hat sich als
Vorsitzende der Umwelt- und Entwicklungsgruppe der
Vereinten Nationen einen Namen gemacht, indem unter ihrer
Federführung das Konzept der „nachhaltigen Entwicklung“
für die internationale Politik spezifiziert wurde.
45
Die sozio-politischen Gemeinsamkeiten führten zu einem
intensiven Kontakt der nordischen Länder untereinander, der
sich
1952 in der Gründung des Nordischen Rates
niederschlug. Neben den Beziehungen zwischen den
nordischen Staaten hat sich der Nordische Rat desgleichen als
ein Katalysator für die Kooperation im Ostseeraum
entwickelt. Vor allem bestehen intensive Kooperationen mit
den drei baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland.
Schon 1990 entwickelte der Nordische Rat ein
Aktionsprogramm als Ergänzung zu den nationalen
Bemühungen. Das kürzlich aufgelegte Investitionsprogramm
unterstützt kleine und mittlere Betriebe mit 100 Mio EUR.
Daneben sind alle nordischen Staaten – wie die
Bundesrepublik Deutschland - Mitglied im Ostseerat. Auch
über die EU-Mitgliedschaft bemühen sich Dänemark,
Schweden und Finnland die „nordische Dimension“ zu
stärken. Das Ziel der nordischen Dimension besteht in der
Unterstützung
der
europäischen
Grundwerte
wie
Menschenrechte, Demokratie, Rechtsstaat, Marktwirtschaft
und
Wohlfahrt,
darüber
hinaus
einer
hohen
Beschäftigungsquote und zunehmender wirtschaftlicher
Kooperation
unter
Berücksichtigung
sozialer
und
ökologischer Aspekte. 38
38
So formuliert von dem finnischen Minister für Europäische
Angelegenheiten, Ole Norrback, in seiner Eröffnungsrede zum neunten
Jahrestagung der „Small States and European Security” der Irischen
Königlichen Akademie, 20. November 1997.
46
Diese beispielhaften institutionellen Bezüge auf den
Ostseeraum deuten die intensive Orientierung der nordischen
Staaten auf diesen Raum an. Anders als etwa die
Bundesrepublik Deutschland, handeln die skandinavischen
Staaten auch in dem Sinne, diese Region als eine
Zukunftsregion Europas zu gestalten.
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