8.5 Krankheitsanamnese, psychischer und somatischer

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8.5 Krankheitsanamnese, psychischer und somatischer Befund
8.5
Krankheitsanamnese, psychischer und
somatischer Befund
8.5.1
Krankheitsanamnese
Es sollen möglichst alle wesentlichen Erkrankungen, die ärztlicher Behandlung bedurften oder bedürfen, erwähnt werden, insbesondere bereits früher durchgeführte
psychotherapeutische Behandlungen.
In diesem Abschnitt geht es um die Beurteilung der Störung aus medizinischer
Sicht unter ausdrücklicher Einbeziehung der somatisch-biologischen Aspekte.
Deshalb muss auch der psychologische Therapeut hier die Perspektive wechseln
und den Patienten aus der Distanz eines behandelnden Arztes beschreiben. Die
Betonung liegt also bei den wesentlichen Erkrankungen, wobei alle Krankheiten
wesentlich sind, die irgendwie mit den aktuellen Beschwerden in Verbindung
gebracht werden können.
Faber und Haarstrick (2008) verweisen auf die Notwendigkeit, die beigefügten Unterlagen anderer Ärzte und Untersuchungen zu anonymisieren. Daraus
sollte man m.E. nicht schließen, dass möglichst viele Unterlagen beigefügt werden. Nur dort, wo die wörtliche Kenntnis der Behandlungsberichte für das Verständnis der jetzigen Erkrankung wesentlich ist, sollten Vorbefunde in Kopie
mitgeschickt werden.
Von besonderer Bedeutung sind die Angaben zu früheren psychotherapeutischen Behandlungen. Im Informationsblatt wird nur verlangt, dass Vortherapien aufgelistet werden. Der Gutachter wird sich Gedanken machen, aus welchen
Gründen eine erneute Therapie notwendig ist, und das wird seine prognostische
Beurteilung durchaus beeinflussen. Es erscheint mir deshalb wichtig, dass der
Therapeut sich selbst diese Frage beantwortet und dass er den Patienten in den
Vorgesprächen über den Erfolg und das Ergebnis der Therapien befragt: Hat die
Therapie das angestrebte Ziel erreicht? Was für eine subjektive Erfahrung hat der
Patient mit der Psychotherapie gemacht? War die Therapie für ihn überhaupt
wichtig oder ging diese Erfahrung unter? Was hat der Patient an Verständnis für
sich selbst aus der Vortherapie gewonnen?
All diese Fragen müssen im Bericht an den Gutachter nicht ausdrücklich beantwortet werden, aber der Therapeut sollte in seinen Formulierungen einige Zusatzinformationen einfließen lassen, die das Bild vom Patienten vervollständigen:
„Der Patient machte von … bis … eine einstündige Psychotherapie, die zwar
Symptombesserungen erbrachte, aber noch zu wenig grundlegender Veränderung führte.“
„Der Patient hat … wegen einer … eine Psychotherapie gemacht, die die damalige Symptomatik wesentlich gebessert hat.“
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8 Kassenanträge: Bericht zum Erstantrag
„Der Patient hat von … bis … eine analytische Psychotherapie gemacht, die
zu folgenden Ergebnissen geführt hat:“
Fortsetzung Beispiel 5
Krankheitsanamnese: Als 8-Jährige erlebte die Patientin einen Unfall mit Tibiafraktur
rechts, die zu einer leichten Fehlstellung des Beines geführt hat. Es gab eine Fehlgeburt
mit 26 Jahren. Als 23-Jährige hat die Patientin wegen einer soziophobischen Symptomatik eine 40-Stunden-Verhaltenstherapie gemacht, die ihre Symptomatik weitgehend
gebessert hat, ohne dass sich aber an den Grundproblemen viel verändert hätte.
8.5.2
Psychischer Befund
1. Emotionaler Kontakt, Intelligenzleistungen und Differenziertheit der Persönlichkeit, Einsichtsfähigkeit, Krankheitseinsicht, Motivation des Patienten zur Psychotherapie
2. Bevorzugte Abwehrmechanismen, ggf. Art und Umfang der infantilen Fixierungen,
Persönlichkeitsstruktur
3. Psychopathologischer Befund (z. B. Bewusstseinsstörungen: Störungen der Stimmungslage, der Affektivität und der mnestischen Funktionen; Wahnsymptomatik;
suizidale Tendenzen)
Von erheblicher Bedeutung für den Antrag ist der psychische Befund. Dieser Abschnitt soll dem Gutachter vor allem Informationen vermitteln zur Frage der
Veränderungsfähigkeit. „Befunde“ sind objektivierbare Beobachtungen oder
Messungen. Die Informationen sollen also in eher sachlicher Form vermittelt
werden. Das unterscheidet den Befund von einem Erstinterviewbericht, in dem
das subjektive Element des Therapeuten eine viel größere Rolle spielen darf. Das
Informationsblatt unterteilt den psychischen Befund in drei Unterkategorien.
Zunächst geht es um eine Darstellung von Persönlichkeitsmerkmalen, die im
Interview sichtbar geworden sind. Im Kern wird damit das ganze Kapitel der
Arzt-Patienten-Beziehung berührt, wie sie sich im Interview darstellt. Es fällt auf,
dass im Bericht zum Erstantrag an keiner Stelle ausdrücklich nach der Arzt-Patienten-Beziehung gefragt wird. Die gegenwärtige Berichtsform zwingt den Therapeuten dazu, die Beobachtungen aus der Interaktion in eine objektivierende
Betrachtung zu übersetzen, sodass daraus Schlussfolgerungen für die Indikation
und die Prognose gezogen werden können. Für die Antragstellung selbst bedeutet dies, dass der Therapeut nicht die eigentliche Begegnung mit dem Patienten
darstellen, sondern nur die Schlussfolgerungen mitteilen soll, die er daraus gezo-
8.5 Krankheitsanamnese, psychischer und somatischer Befund
gen hat. Einer der prognostisch wichtigen Aspekte ist dabei die Frage, ob und in
welcher Weise der Patient eine persönlich gefärbte Beziehung zum Therapeuten
aufgenommen hat. Dies lässt sich durchaus mit wenigen Worten darstellen. Dabei hat der Therapeut m.E. zwei Möglichkeiten: Er kann hier die Art der Beziehung beschreiben und dabei auf die Persönlichkeitsanteile des Patienten verweisen – dann beantwortet er diesen Punkt auf einer mehr subjektiv-persönlichen
Ebene. Er kann aber auch die Fragen des Antrags wörtlich nehmen und bei der
Beschreibung der Persönlichkeitsanteile bleiben, ohne die therapeutische Beziehung selbst zu erwähnen. In keinem Fall sollte er einen „Interviewbericht“ liefern, schon weil er dazu zu viel Platz braucht.
Beispiel 6a
„Interview-Bericht“ am falschen Platz: Die modisch mit Jeans und Bluse gekleidete
Patientin begrüßt mich mit etwas freundlich-kokettem Lächeln. Sie beginnt zunächst
sehr sachlich über den Alkoholismus ihres Ehemannes zu berichten, der ihr so schwer zu
schaffen macht. Dabei sieht sie mich häufig fragend an. Als ich sie auf die Parallele
zwischen ihrer jetzigen Situation und der Vergangenheit anspreche, kommen ihr die
Tränen und sie erzählt Einzelheiten darüber, wie sie unter dem Alkoholismus des Vaters
gelitten hat. Sie wirkt im Gespräch sehr verzweifelt: Ich spüre im Gespräch den Appell,
sehr rasch etwas für sie tun zu sollen, sodass ich mich etwas hilflos und überfordert
fühle. Es fällt der Patientin schwer, das Gespräch nach 50 min zu beenden.
Beispiel 6b
Adäquate Beschreibung der Persönlichkeitsanteile: Die Patientin wirkt im Erstgespräch zugewandt und kontaktfreudig. Sie ist durchschnittlich intelligent und differenziert, neigt allerdings dazu, sich als sehr schwach und hilflos zu präsentieren. Ihre Krankheitseinsicht war zunächst nur begrenzt auf das Thema der Abhängigkeit vom Ehemann,
wobei sich die Therapiemotivation darauf beschränkte, mithilfe des Therapeuten die
Verhältnisse zu ändern. Im Verlauf des Gesprächs gelang es aber, die Krankheitseinsicht
zu erhöhen und die Patientin für ihre eigenen Konflikte zu interessieren. Die Patientin
hat Probleme mit der Regulierung von Distanz.
Die Beschreibung der therapeutischen Beziehung ist dann besonders sinnvoll,
wenn sie sich innerhalb der Gespräche verändert hat. Dies war ja im Beispielfall
6 gegeben. Eine positive Veränderung ist prognostisch immer ein wichtiges Zeichen und sollte deshalb im Bericht an den Gutachter erwähnt werden.
Im zweiten Abschnitt wird nach jenen Persönlichkeitsanteilen gefragt, die
nicht direkt beobachtbar sind, sondern nur aus Beobachtungen des Therapeuten
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