Eine Sonderveröffentlichung des Reflex Verlages zum Thema

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Eine Sonderveröffentlichung des Reflex Verlages zum Thema
Seltene Krankheiten
Augendefekte frühzeitig erkennen Seite
Sklerodermie: Angriff auf Haut und Organe Seite
Cystische Fibrose: Lebenserwartung nimmt zu Seite
Innovative Therapien lindern Morbus Crohn Seite
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April 2013
Eine Sonderveröffentlichung des Reflex Verlages
Seltene Krankheiten
Eine Publikation des Reflex Verlages am 16. April 2013
in der Gesamtausgabe der BZ Berner Zeitung/Der Bund.
I n h a lt
Die Waisenkinder der Medizin machen mobil Wenn das Auge nachhaltig in Gefahr ist Sklerodermie – Angriff auf Haut und Organe Wenn der Atem stockt Die Schmerzen sind ständige Begleiter Die tückischen Exoten 3
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Solidarität und Gleichstellung –
auch für seltene Krankheiten
die wichtigste Voraussetzung für den Entscheid „Behandlung
ja oder nein“und die Grundlage einer erfolgreichen Therapie
und Prävention. Falsche oder fehlende Diagnosen können zu
Fehlbehandlungen mit schwerwiegenden Auswirkungen oder zur
Geburt weiterer betroffener Kinder innerhalb einer Familie führen.
I m p r e ss u m
Gentests als Schlüssel zur Diagnose
Da etwa 80 Prozent der seltenen Krankheiten genetisch bedingt
sind, kommt dem Gentest eine besondere Bedeutung zu. Wenn
das klinische Bild nicht ausgeprägt ist, vor allem bei Kindern,
können nur Gentests eine diagnostische Sicherheit bieten. Oft
werden diese von den Krankenkassen nur teilweise oder gar
nicht vergütet, trotz der neuen Position in der KrankenpflegeLeistungsverordnung für seltene genetische Krankheiten.
Seit mehr als einem Jahr setzt hier die Stiftung für Menschen
mit seltenen Krankheiten (stiftung-seltene-krankheiten.ch)
durch das Betreiben des schweizweit einzigen Zentrums
für Kardiovaskuläre Genetik und Gendiagnostik mit eigener
Diagnostik-, Forschung-, Lehr- und Beratungskompetenz an
(genetikzentrum.ch).
Projektmanager
Max Celko, [email protected]
Redaktion
Mike Passmann, Julia Borchert, Nadine Effert, Tobias Lemser,
Wiebke Toebelmann
Produktion/Layout
Diana Nyberg, [email protected]
Fotos
Thinkstock / Getty Images
Druck
Büchler Grafino AG, Druckzentrum Bern
Inhalte von Werbebeiträgen wie Unternehmens- und
Produktpräsentationen, Interviews, Anzeigen sowie
Gastbeiträgen geben die Meinung der beteiligten Unternehmen
wieder. Die Redaktion ist für die Richtigkeit der Beiträge nicht
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Unternehmen.
V.i.S.d.P.
Mike Passmann, [email protected]
Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte an
Oscar Nyberg, [email protected]
Reflex Verlag Schweiz AG
Fraumünsterstrasse 25, 8001 Zürich, T: 043 / 300 55 55
Der Reflex Verlag hat sich auf themenbezogene Sonderveröffentlichungen in deutschen, niederländischen und
schweizer Tageszeitungen spezialisiert.
Diese liegen unter anderem dem Tages-Anzeiger, der Berner
Zeitung, Frankfurter Allgemeine Zeitung (F.A.Z.) und dem
Handelsblatt bei.
So kombiniert der Reflex Verlag den thematischen Fokus der
Fachpublikationen mit der Reichweite der Tagespresse.
Der Verlag zeichnet sich durch eine unabhängige Redaktion
sowie die Trennung zwischen redaktionellen Artikeln und
Kundenbeiträgen aus.
Mehr Informationen finden Sie unter www.reflex-media.net
I
n Europa gilt eine Krankheit als selten, wenn sie höchstens
eine von 2‘000 Personen betrifft. Bekannt sind mehr als
5‘000 seltene Krankheiten und sechs bis acht Prozent der
Gesamtbevölkerung sind davon betroffen. In der Schweiz
leidet etwa eine halbe Million Menschen an einer seltenen
Krankheit. Rund 75 Prozent sind Kinder und Jugendliche. Andere
seltene Krankheiten manifestieren sich erst allmählich im
Erwachsenenalter und könnten jeden treffen.
Einige Krankheiten sind so selten, dass in der Schweiz weniger als 100 Patienten davon betroffen sind. Die Ärzte sind
dadurch stark gefordert, da sie in ihrem Berufsleben für
einige Krankheiten wohl nur einen Patienten sehen. Viele der
Krankheiten sind nicht einmal in Lehrbüchern zu finden. Auch die
Labormedizin und die Pharmaindustrie müssen unverhältnismässig viel investieren, um Tests und Medikamente für eine so kleine Patientengruppe zu entwickeln. Behörden haben das Problem
erkannt und sorgen mittlerweile für gewisse Anreize. Man
hofft, dass sich Therapieerfolge auch auf andere Krankheiten
anwenden lassen.
Diagnose-Odyssee
Seltene Krankheiten können lebensbedrohlich sein und sind oft
unheilbar. Sie erfordern in der Regel eine aufwendige diagnostische Abklärung. Das Wissen über die Krankheiten und
deren Verlauf ist allerdings gering. Aufgrund ihrer Seltenheit
und Vielfalt werden sie klinisch oft verkannt und im Vergleich
zu bekannten Krankheiten dauert es meist viel länger (etwa 7
Jahre) bis sie diagnostiziert werden. Bis zur richtigen Diagnose
haben Betroffene oft eine regelrechte Odyssee hinter sich, wobei
die lange Ungewissheit eine grosse psychische Belastung für
die Betroffenen und ihre Familien darstellt. Die Diagnose ist
Weiterer Handlungsbedarf
Patienten haben nicht nur für eine richtige Diagnose zu kämpfen, sondern auch für einen Zugang und eine Kostenübernahme
von wirksamen Therapien und Hilfsmitteln. Die heute
geltenden Kriterien des Krankenversicherungsgesetzes
(Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit) verhindern den Zugang zu wirksamen aber teuren (CHF >100‘000
pro Jahr) Medikamenten sowie zu nicht-medikamentösen
Therapieformen. Problematisch ist auch der Wechsel von der
Invalidenversicherung zur Krankenversicherung nach dem 20.
Lebensjahr. Betroffene haben zudem mit Rechtsunsicherheit,
spärlichen Informationen, administrativen Hürden, fehlender
Forschung, psychosozialer Isolation, Diskriminierung und
ungenügender Betreuung zu kämpfen. 2010 haben sich deshalb
mehrere Patientenorganisationen in der Schweiz zur Allianz
ProRaris (proraris.ch) zusammengeschlossen, um ihre Interessen
in die Öffentlichkeit und Politik zu tragen. Seit 2011 prüft zudem
der Bundesrat eine „Nationale Strategie zur Verbesserung
der gesundheitlichen Situation von Menschen mit seltenen
Krankheiten“, die durch die IG Seltene Krankheiten (ig-seltenekrankheiten.ch) unterstützt wird. Ein Rückversicherungsmodell
für seltene Krankheiten wurde kürzlich von der Niemann-PickVereinigung (npsuisse.ch) vorgeschlagen. Erfreulicherweise gibt
es auch immer mehr Initiativen für seltene Krankheiten. Es ist
nun zu hoffen, dass in der Schweiz jeder einzelne Mensch mit
einer seltenen Krankheit auf die Solidarität der Gesellschaft
zählen und mit der Gleichstellung gegenüber allen anderen
Betroffenen rechnen darf.
PD Dr. Gabor Matyas,
Spezialist für Medizinische Genetik FAMH, Geschäftsleiter der
Stiftung für Menschen mit seltenen Krankheiten und Leiter
des Zentrums für Kardiovaskuläre Genetik und Gendiagnostik,
[email protected]
Interview Neurologische Bewegungsstörungen
„Das Ziel ist immer eine Verbesserung der Lebensqualität“
Dr. med. Matthias Oechsner, Leiter des Parkinsonzentrums an der Rehaklinik Zihlschlacht
Dr. Oechsner, Parkinson
ist eine Krankheit, deren
Symptome im Laufe der Zeit
immer schwerer werden.
Was bedeutet das für die
Behandlung von Betroffenen?
Parkinson ist im Frühstadium
ambulant behandelbar. Doch mit
Fortschreiten der Krankheit kann
die ambulante Betreuung häufig die
Ziele der Behandlung nicht mehr
verwirklichen – etwa weil die Symptome des Patienten täglich kontrolliert werden müssen oder spezielle
Therapien nur stationär durchgeführt werden können.
Ja, das stimmt. Für den Laien sind
diese Krankheiten kaum von Parkinson zu unterscheiden. Zu nennen
wäre hier zum Beispiel die Multisystematrophie. Dabei handelt es sich
um eine degenerative Hirnerkrankung, bei der über die ParkinsonKrankheit hinausgehende, neurologische Symptome vorliegen. Derart
seltene neurologische Bewegungsstörungen schreiten schnell voran
und zeigen sich im Verlauf aggressiver. Ausserdem gibt es Symptome
wie etwa Schluckstörungen, die
überhaupt nicht auf Medikamente
ansprechen.
Parkinson kommt mit etwa
15‘000 Patienten in der
Schweiz relativ häufig vor. Es
gibt jedoch eine ganze Reihe
seltener Krankheiten, deren
Symptome ähnlich sind...
Bezüglich der Ursachen
tappen Forscher noch immer
im Dunkeln. Was heisst das
für die Patienten?
Das bedeutet leider, dass es keine
Heilung gibt. Darüber müssen
Patienten und Angehörige aufgeklärt werden. Allerdings verfügt
man heutzutage insbesondere in
der stationären Behandlung über
verschiedene Therapiemöglichkeiten, um die Symptome intensiver
zu behandeln und so die Lebensqualität der Patienten deutlich zu
verbessern.
Welche therapeutischen
Massnahmen stehen zur
Verfügung, um die Symptome
der neuropathologisch doch
ganz unterschiedlichen Krankheiten zu behandeln?
Das Angebot ist sehr umfassend
und vielschichtig. Von der Physiotherapie über Logopädie bei
Sprach-, Schluck- oder Stimmstörungen bis hin zur Ergotherapie
und zu alternativen Therapieverfahren. Unter Umständen werden
Patienten auch mit Hilfsmitteln
wie Ernährungssonden versorgt.
Darüber hinaus geht es darum,
Patienten und ihren Angehörigen
beratend zur Seite zu stehen. Etwa
wenn es um Fragen der weiteren
Lebensplanung, Entlastungsmöglichkeiten und der Bewältigung des
Alltags geht. Neben der Verbesserung der Lebensqualität, steht das
Wiedererreichen der grösstmöglichen Selbstständigkeit im privaten
und beruflichen Alltag im Fokus.
Um diese Ziele zu erreichen, ist es
von elementarer Bedeutung, dass
das Team – bestehend aus Ärzten,
Therapieleitern und Pflegefachkräften – interdisziplinär zusammenarbeitet und rund um die Uhr den
Patienten zur Seite steht.
n
Eine Sonderveröffentlichung des Reflex Verlages
seltene krankheiten3
Leitartikel
Die Waisenkinder der Medizin machen mobil
Seltene Krankheiten sind auf der politischen Agenda angekommen. Aufklärung, gebündeltes Wissen und Vergütungsrichtlinien sollen die Betreuung verbessern.
Von Wiebke Toebelmann
S
chwere Diagnosen wie Krebs,
Diabetes oder auch Epilepsie
sind niederschmetternd – und doch
bleiben dem Patienten zahlreiche
Möglichkeiten, sich mit solch einer
Erkrankung auseinanderzusetzen.
Spezialisten stehen bereit, um ihm
die optimale Behandlung zu gewährleisten und ihm seine Lebensqualität
zu erhalten. Es gibt eine Vielzahl
von Informationen, mit denen sich
ein Erkrankter versorgen kann.
Patientenverbände und Selbsthilfegruppen geben zusätzlichen Halt,
und auch sind die weit verbreiteten
Zivilisationskrankheiten umfassend
erforscht.
Doch was tun, wenn die Diagnose
Hypophosphatasie, Adrenoleukodystrophie oder auch Sarkoidose
heisst? Wenn niemand aus dem Bekanntenkreis etwas damit anfangen
kann, mitunter nicht einmal der behandelnde Arzt? Als selten gilt eine
Krankheit in der Schweiz und der
EU, wenn höchstens fünf von 10‘000
Einwohnern eine bestimmte Erkrankung haben. Weltweit sind heute
rund 7‘000 bis 8‘000 seltene Krankheiten bekannt. Zu den „orphan diseases“ (englisch „orphan“ = Waise)
zählen beispielsweise genetische
Stoffwechselerkrankungen, Bewegungsstörungen, rare Lungenleiden,
Blut- und Gewebekrankheiten oder
auch seltene Krebsarten. Auch die
sogenannten Lysosomalen Speicherkrankheiten gehören zu den seltenen
Befunden, dabei handelt es sich um
eine Funktionsstörung bestimmter
Enzyme, die oftmals schwere Schäden von manchmal gleich mehreren
Organen verursacht. In der Regel
kommt ein Allgemeinmediziner in
seiner Praxis höchstens einmal im
Jahr mit einer seltenen Krankheit in
Berührung. Oftmals wird dann eine
falsche Diagnose gestellt, und bis der
richtige Befund feststeht, vergehen
bisweilen sogar Jahre.
Die Krankheit beherrscht
das Leben
Die Mehrzahl der seltenen Krankheiten ist genetisch bedingt und
äussert sich bereits im Kindesalter.
Dabei ist es wichtig, dass die Krankheitszeichen früh erkannt und richtig zugeordnet werden. Professor
Matthias Baumgartner behandelt
am Universitäts-Kinderspital Zürich
täglich kleine Patienten, die an komplizierten Stoffwechselkrankheiten leiden. Er weiss, wie sehr diese
Krankheiten den Alltag der Kinder
und ihrer Familien bestimmen:
„Bleiben Stoffwechselkrankheiten
unerkannt und dadurch unbehandelt, kann die normale Entwicklung
der betroffenen Kinder stark beeinträchtigt werden. Wird jedoch bei-
spielsweise eine Phenylketonurie im
Neugeborenen-Screening erkannt,
können die Krankheitsfolgen durch
die Einhaltung einer phenylalaninarmen Diät verhindert werden. Die
betroffenen Patienten müssen lebenslang eine extrem strikte Diät
einhalten: Fleisch, Fisch, Brot und
Milchprodukte sind neben vielen
anderen Lebensmitteln tabu.“ Zum
Glück wisse man heute bei vielen
Befunden, mit welchen Massnahmen – wie etwa Diäten – gegenzusteuern ist. „Sinnvoll und wünschenswert ist eine Bündelung der
Kompetenzen an Referenzzentren,
wie im Falle der angeborenen Stoffwechselkrankheiten an den Universitätskliniken Zürich, Lausanne und
Bern, welche sowohl untereinander
wie auch international vernetzt sind.
Ein weiterer Ansatz ist die interdisziplinäre Vernetzung von Forschung
und Klinik, wie dies in radiz – der
Rare Disease Initiative Zürich, einem neuen klinischen Forschungsschwerpunkt der Universität Zürich, angestrebt wird.“ Professor
Baumgartner betont, dass es in der
Schweiz bereits einige Beispiele für
gut funktionierende Netzwerke und
Referenzzentren gibt, dass es aber
weiterhin viel Engagement und
weitere Ressourcen braucht, um
den vielen Patienten mit seltenen
Krankheiten tatsächlich gerecht zu
werden.
Publireportage
Die IG Seltene Krankheiten.
atienten mit einer seltenen Krankheit
haben mit vielen Herausforderungen
zu kämpfen: Oft dauert es Jahre, bis eine
richtige Diagnose gestellt wird. Das Wissen
über den Krankheitsverlauf ist oft gering und
es fehlt an Therapiemöglichkeiten. Wenn
es für Betroffene einer seltenen Krankheit
überhaupt eine Behandlung gibt, so ist die
Kostenübernahme durch die Krankenversicherer oftmals ungewiss. Regulatorische
Lücken führen für alle Betroffenen zu beträchtlichen Unsicherheiten.
Gebündelte Kompetenz erspart den
Betroffenen also den anstrengenden Arztmarathon und treibt die
Forschung voran – das bestätigt
Weltweit sind heute rund 7‘000 bis 8‘000
seltene Krankheiten bekannt
auch Willi Brand von der IG Seltene
Krankheiten. „Es wird jedoch Zeit,
dass die bestehenden Zentren offiziell als Kompetenzzentren deklariert
werden, damit sie auch bei Vergütungsfragen mitreden dürfen.“ Die
notwendigen Tests zur Feststellung
genetischer Dispositionen würden
nämlich bislang noch nicht vergütet. „Wir brauchen einen nationalen
Eine nationale Strategie, wie Patienten mit
seltenen Krankheiten medizinisch adäquat
und effizient versorgt werden sollen, existiert in den meisten EU-Ländern. In der
Schweiz fehlt eine solche nach wie vor. Im
November 2010 reichte Nationalrätin Ruth
Humbel und 40 Mitunterzeichner eine Interpellation ein. Darin wird der Bundesrat
aufgefordert, eine solche Strategie zu erarbeiten. Gefordert werden insbesondere
Innovationsgutschriften für die Industrie. Die Initiativen zeigten aber
auch Wirkung: „Seit etwa eineinhalb
Jahren spüren wir deutlich, dass das
Thema seltene Krankheiten auf der
politischen und medialen Agenda
angekommen ist. Vorher wurden sie
in der öffentlichen Wahrnehmung
wirklich als Waisenkinder der Medizin behandelt.“
n
Verbesserungen bei der Wissenssicherung
und -vermittlung über Diagnose, Verlauf und
Behandlung seltener Krankheiten, eine optimale Zusammenarbeit aller Fachpersonen
und Instanzen der Gesundheitsversorgung,
die Schaffung nationaler Kompetenzzentren,
eine engere europäische und internationale
Zusammenarbeit, den rechtsgleichen Zugang
zu Diagnostik und wirksamen Therapien
sowie die Förderung der Grundlagen- und
der klinischen Forschung. Der Bundesrat
hat den Auftrag angenommen und das Bundesamt für Gesundheit beauftragt, einen
entsprechenden Vorschlag auszuarbeiten.
interview Gesundheitspolitik
„Die Situation von Patienten mit seltenen
Krankheiten muss verbessert werden“
andere europäische Länder mit zentralen
Systemen – wie etwa Frankreich oder England – zeigt, dass dort die Frage des Zugangs,
der Diagnose und Therapiemöglichkeiten für
Patienten mit seltenen Krankheiten besser
geregelt ist und wir hierzulande einen Nachholbedarf haben.
Und der soll mit der Bündelung von
Kompetenzen wettgemacht werden?
Richtig. Unter anderem mittels Schaffung
nationaler Kompetenzzentren, die mit europäischen und internationalen Referenzzentren
und Netzwerken kooperieren, einer einheitlichen Kodierung der Krankheiten sowie der
Registrierung Betroffener in einer nationalen
Datenbank zur Sicherung und Vermittlung
von Wissen.
Die IG Seltene Krankheiten
Dringender Handlungsbedarf ist gegeben
Massnahmenplan, der Rechtsungleichheiten ausräumen soll“, so
Brand. Handlungsbedarf sieht die
IG Seltene Krankheiten auch in der
Forschungsförderung, etwa durch
Für einen nationalen Massnahmenplan
P
Seltene Krankheiten als Politikum
Im August 2011 haben Patientenorganisationen, die FMH, Universitätsspitäler, Apotheker sowie die Industrie die Interessengemeinschaft Seltene Krankheiten gegründet.
Die IG setzt sich dafür ein, dass die Situation
der Patienten rasch und nachhaltig verbessert wird und die Forderungen der Interpellation Humbel erfüllt werden. Im Fokus der
Anstrengungen steht dabei die Unterstützung des Bundes bei der Erarbeitung einer
nationalen Strategie mit Massnahmenplan.
Das Bundesamt für Gesundheit hat signalisiert, bei der Erarbeitung eng mit der IG
zusammenarbeiten zu wollen. Im Interesse
der Patienten setzt die IG alles daran, dass
die Arbeiten am Massnahmenplan nun rasch
vorankommen können. Für viele Betroffene
läuft die Zeit davon, Eile tut Not.n
Autor: Willi Brand,
Geschäftsführer IG Seltene Krankheiten
www.ig-seltene-krankheiten.ch
Ruth Humbel,
Nationalrätin und Präsidentin der IG Seltene Krankheiten
Vor welchen Herausforderungen
steht die Schweiz im Umgang mit
dem Thema seltene Krankheiten?
In unserem föderalen Staatssystem regeln
die Kantone das Gesundheitswesen und
der Bund die Krankenversicherung. Dies
führt zwangsläufig zu Kompetenz- und Interessenkonflikten, die einer notwendigen
Vernetzung auf der Ebene der Patienten-,
Ärzte- und Leistungserbringer und somit
einer optimalen Versorgung der Patienten
im Weg stehen.
Gibt es einen Weg aus der Misere?
Ja, die Lösung ist eine nationale Strategie
mit einem Massnahmenplan. Ein Blick in
Welche Ideen gibt es bezüglich
einer Neuregelung der Kosten?
Im Bereich der Diagnostik vermag beispielsweise die Regelung der Kostenübernahme über
Analyselisten nicht zu genügen. Es braucht ein
neues Vergütungssystem. Zum Beispiel eine
zentrumsbezogene Finanzierung über die
Kompetenzzentren. In Bezug auf die Kostenübernahme von Therapien rückt Artikel 71a/b
der Leistungsverordnung in den Fokus, der sowohl die Kompetenz der Nutzenbewertung als
auch zur Vergütungshöhe der Medikamente
einzig in die Hände der Krankenversicherer
legt. Ein falscher Ansatz, der vor allem zu
Rechtsunsicherheit und zu einem rechtsungleichen Zugang der Patienten zu wirksamen
Therapien führt. Letzterer muss in Zukunft
sichergestellt sein und die Nutzenbeurteilung
der klinischen Begleitforschung übertragen
werden.
n
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seltene krankheitenEine Sonderveröffentlichung des Reflex Verlages
artikel Seltene Augenkrankheiten
Wenn das Auge nachhaltig in Gefahr ist
Ob primäres kongenitales Glaukom und Retinitis pigmentosa: Um diese seltenen Augenerkrankungen früh zu behandeln, ist es wichtig, regelmäßig einen Augenarzt aufzusuchen.
von Tobias Lemser
S
charf sehen zu können ist ein
besonders hohes Gut. Viele Menschen empfinden das Auge sogar
als das wichtigste Sinnesorgan.
Allerdings gelingt es hierzulande
nur den wenigsten, über ein ganzes
Leben auf ihre volle Sehleistung zurückzugreifen. Zwei von drei aller
15- bis 74-Jährigen sind aufgrund
von Weit-, Kurz- und Altersweitsichtigkeit auf eine Sehhilfe angewiesen.
Nachtblindheit häufig
erstes Anzeichen
Aber auch seltenere Augenerkrankungen können zum Teil zu erheblichen Sehbeeinträchtigungen führen.
Beispielhaft hierfür ist neben entzündlichen Augenkrankheiten die
Retinitis pigmentosa, eine erblich
bedingte Netzhauterkrankung, bei
der die lichtempfindlichen Sinneszellen des Auges über Jahre hinweg langsam absterben. Typische
Symptome dieser Erkrankung sind
Nachtblindheit, die in den meisten
Fällen in den mittleren Lebensjahren einsetzt, aber auch eine Gesichtsfeldeinengung bis hin zum
Tunnelblick. Zudem lässt nicht nur
das Kontrast- und Farbsehen nach
und die Sehschärfe verschlechtert
sich allmählich, vielmehr können
die Augen sogar erblinden.
Bis heute gibt es noch keine medizinisch anerkannte Methode, die
in der Lage ist, das Absterben der
Sehzellen chirurgisch oder medikamentös zu verlangsamen oder gar
zum Stillstand zu bringen. Erfolgversprechend für die Zukunft könnte
jedoch ein Chip sein, der die Signale von der Netzhaut zum Gehirn
transportiert – vorausgesetzt, die
Erkrankung wird in einem frühen
Stadium diagnostiziert, wenn der
Sehnerv noch intakt ist.
Operationen senken
den Augendruck
Eine weitere seltene – in der Regel
bis zum zweiten Lebensjahr auftretende – Augenerkrankung ist das
primäre kongenitale Glaukom. Es
äussert sich in Form einer zumeist
angeborenen Augendruckerhöhung.
Grosse Kulleraugen können ein
wichtiger Hinweis auf diese Erkrankung sein. Da dieses Phänomen von
vielen Eltern als schön angesehen
wird, bringen sie zumeist keine Erkrankung damit in Verbindung – ein
Fehler mit möglichen fatalen Fol-
gen. „Wird der erhöhte Augeninnendruck nicht rechtzeitig von einem
Augenarzt behandelt, droht sogar
die völlige Erblindung“, mahnt Prof.
Dr. Jens Funk, Leitender Arzt der
Augenklinik am Universitätsspital
Zürich. Ist das Kind lichtscheu und
stellt der Augenarzt zudem Risse,
sogenannte „Haab’sche Linien“, in
der untersten Schicht der Hornhaut
fest, deutet dies auf ein kindliches
Glaukom hin.
Um den Augendruck auf ein normales Mass zu senken, ist eine Operation unumgänglich – die einzige
wirksame Behandlungsmethode.
Manche Kinder müssen mehrfach
operiert werden. „Dann stabilisiert
sich das Auge und die Kinder haben
relativ gute Chancen auf ein normales Leben“, so der Ophthalmologe.
Seltene Augenkrankheiten zu erkennen – besonders bei Kleinkindern,
die sich nicht äussern können – ist
nicht immer leicht. Gerade deshalb
ist es wichtig, mit Kindern regelmässig einen Augenarzt aufzusuchen.
Aber auch im Erwachsenenalter, ab
dem vierzigsten Lebensjahr, ist zu
alljährlichen augenärztlichen Untersuchungen zu raten. Nur so lassen
sich im Hintergrund schlummernde
Erkrankungen rechtzeitig aufdecken
und behandeln.
n
Weitere Informationen
Retina Suisse:
www.retina.ch
Obvita:
www.obvita.ch
gastbeitrag Auge und Immunsystem
Uveitis – Infektion oder Rheuma der Augen?
E
ine Uveitis? Wer schon einmal eine hatte, dem läuft ein
Schauer über den Rücken. Sofort
werden Erinnerungen daran wach,
Sehstörung, Unsicherheit, viele Arztbesuche, Blutuntersuchungen, Medikamente und Augentropfen. Vielleicht waren sogar das Autofahren
und das Fernsehen behindert. Und
oftmals kommt sie zurück, plötzlich
und unerwartet.
Folge der Armut und sehr oft mit
dem fehlenden Zugang zu sauberem
Wasser und der sozialen Lebenssituation verbunden. Diese Erkrankungen können oft mit geringen Mitteln
verhindert oder behandelt werden.
Deshalb führen viele Hilfsorganisationen, wie Christoffel Blindenmission, SOS Kinderdörfer, Terre
des Hommes, Unicef und andere regelmässig Spendenaktionen durch.
Wie entsteht eine Uveitis ?
Anteriore Uveitis – Entzündung
der vorderen Teile des Auges
Eine Uveitis ist eine Entzündung
des Augeninneren, die für das Sehen
sehr gefährlich sein kann, wenn sie
nicht rechtzeitig behandelt wird. Es
handelt sich meist nicht um eine
Augenerkrankung, sondern um eine
Erkrankung des gesamten Körpers.
Sie äussert sich vielleicht zuerst an
den feinen Strukturen des Auges,
kann aber auch an anderen Organen
Schaden verursachen. Hierzulande
steht meist eine Art Rheuma der
Augen dahinter, eine Störung des
Immunsystems, welches zuviel oder
zu wenig reagiert. Eine Infektion
im Körper als Ursache muss immer
gesucht werden. Bei der Abklärung
der Ursache kann vielleicht eine
Toxoplasmose (Abbildung 1), eine
häufige Parasiten-Erkrankung, entdeckt werden, eine Infektion der
Haut (zum Beispiel die Gürtelrose),
des Darms, der Harnwege (auch
Geschlechtskrankheiten) oder der
Lunge. In anderen Kontinenten ist
ein Grossteil der Erkrankungen eine
Je nach dem, welcher Teil des Auges
betroffen ist, teilt man die Uveitis in
eine vordere und eine hintere Form
ein. Die vordere Uveitis ist die Entzündung der Regenbogenhaut, des
Gewebes um die Pupille, welches
die Augenfarbe ausmacht (Iritis
oder Iridozyklitis (Abbildung 2)).
Bei Kindern mit kindlichem Rheuma
(juvenile Arthritis) führt sie oft zu
schweren Schäden am Auge, weil
sie fast unbemerkt verläuft, bis sie
bleibenden Schaden verursacht hat.
Deshalb ist bei Kindern mit dieser
Diagnose immer eine regelmässige
augenärztliche Vorsorgeuntersuchung erforderlich. Bei Erwachsenen
äussert sie sich fast immer durch
starke Augenrötung und starke
Schmerzen. Deshalb wird sie meist
früh diagnostiziert und kann gut
mit kortisonhaltigen Augentropfen
behandelt werden. Nur selten ist die
Einnahme von Medikamenten über
längere Zeit oder gar lebenslänglich
erforderlich.
Posteriore Uveitis – Entzündung
von Netzhaut und Aderhaut
Abb. 1: Typische Augen-Toxoplasmose (posteriore
Uveitis): Die weissen Flecken sind die Entzündungsherde, die weissen Veränderungen der Blutgefässe
eine sogenannte Vaskulitis (Gefässentzündung)
Ganz anders sieht es mit der Entzündung der tieferen Gewebe, der sogenannten hinteren Uveitis aus. Sie
fängt harmlos an, einzelne Trübungen oder ein leichter Schleier, kann
aber bis zur vollständigen Erblindung zunehmen. Schmerzen oder
ein rotes Auge fehlen oft. Betroffen
sind vor allem die hochempfindliche
Netzhaut (Retina) und die darunter
liegende Aderhaut (Choroidea) sowie die Gefässe der Netzhaut. Die
Netzhaut ist der wichtigste Teil des
Auges. Sie bildet den „Film“ im Auge,
der das Bild aufnimmt und über die
Nervenfasern und den Sehnerv in
das Gehirn leitet. Ist das Zentrum
nannte Immunsuppressiva, erwogen
werden. Diese Gruppe von Medikamenten wird zum Beispiel auch nach
Organtransplantationen verwandt,
um eine Abstossungsreaktion gegen
Abb. 2: Fibrinöse Uveitis bei M.Bechterew, rotes, schmerzhaftes Auge mit Verklebung der Pupille durch
Entzündungseiweiss (Fibrin)
der Netzhaut, die Makula, betroffen,
kommt es zu starkem Sehverlust.
Dieser kann sich auch mit Behandlung nur erholen, wenn die Netzhaut
durch die Entzündung noch nicht
zerstört ist. Ausserdem besteht die
Gefahr, dass das zweite Auge befallen wird, solange die Diagnose
nicht gestellt und die Ursache behandelt ist. Deshalb gilt die Uveitis,
insbesondere wenn sie die hinteren
Augenabschnitte betrifft, als Notfall.
Wie die Uveitis behandelt wird
Sobald die Diagnose gestellt ist, wird
eine Behandlung eingeleitet, um die
Sehstörung zu behandeln und die
noch nicht betroffene Netzhaut zu
schützen. Fast immer beginnt diese
mit Kortison, das trotz seiner vielen
Nebenwirkungen das sicherste und
schnellstwirksamste Medikament
für die Akutbehandlung ist. Reicht
dies nicht aus oder ist eine Dauerbehandlung erforderlich, müssen
zusätzliche Medikamente, soge-
das neue Organ zu verhindern. Die
Auswahl ist inzwischen recht gross,
richtet sich sehr nach der zugrundeliegenden Allgemeinerkrankung und
der Erfahrung der Ärzte. Wegen der
Vielfalt der Ursachen gibt es keine
„Standard-Behandlung“. Da schwere
Verläufe selten sind, aber für das
Sehen der Betroffenen schnell fatal
sein können, bietet sich die Zuweisung zu einem spezialisierten Zentrum an. Hier ist nicht nur Erfahrung mit dieser seltenen Erkrankung
vorhanden, sondern es kann auch
ein aktueller Kenntnisstand bezüglich der sich rasch ändernden und
neuen Diagnostik und Therapien
erwartet werden. Seit knapp 50
Jahren haben wir Erfahrung in der
Behandlung mit Immunsuppressiva
bei Augenleiden. Trotzdem gibt es
wegen des erheblichen, damit verbundenen Aufwandes bisher kaum
abgesicherte Behandlungsrichtlinien
und nur einzelne für die Behandlung
zugelassene Medikamente. Deshalb
werden derzeit weltweit zahlreiche
Studien zur Behandlung der Uveitis durchgeführt. Das anspruchsvolle Ziel dieser Studien ist nicht
nur die Stabilisierung der Uveitis
und eine Verbesserung des Sehens,
sondern auch eine Reduktion der
Nebenwirkungen der Behandlung
und somit eine Verbesserung der
Lebensqualität der Patienten. In
diesen Studien wird die TherapieWirksamkeit von Medikamenten für
die Uveitis getestet, die für andere
Erkrankungen längst erprobt und
erfolgreich sind. Die Teilnahme an
diesen Studien bedeutet für die Patienten den Zugang zu modernen und
gut verträglichen Medikamenten,
die ausserhalb von Studien wegen ihrer hohen Behandlungskosten bisher
meist nicht von den Krankenkassen
bezahlt werden. Die grösste Hürde
für eine Teilnahme ist allerdings die
Erfüllung der strengen Einschlusskriterien für diese Studien. Dank der
enormen medizinischen Entwicklung der letzten 20 Jahre werden wir
in Zukunft Therapiemöglichkeiten
haben, mit denen wir eine schwere
Sehbehinderung oder Erblindung in
fast allen Fällen verhindern können,
wenn die Patienten rechtzeitig den
Weg zu den Augenärzten finden. n
Justus G. Garweg, Berner Augenklinik am
Lindenhofspital, Bern
Eine Sonderveröffentlichung des Reflex Verlages
seltene krankheiten5
artikel Sklerodermie
Angriff auf Haut und Organe
Welche Anstrengungen unternommen werden, um die Versorgung und Lebensqualität von Betroffenen zu verbessern.
von Nadine Effert
W
er die Werke des Malers Paul
Klee (1879-1940) kennt, dem
bleibt nicht verborgen, dass Bilder
aus den Jahren vor seinem Tod
trist und fragil erscheinen. Sie
spiegeln sein Leiden und zugleich
Hoffnung wider. Der Künstler litt
unter einer rätselhaften Krankheit,
die erst 14 Jahre nach seinem Ableben am 29. Juni 1940 im Tessin
bekannt wurde: Sklerodermie.
Weltweit leiden heute schätzungsweise rund 200‘000 Menschen an
Sklerodermie. In der Schweiz leben davon etwa 1‘400 Betroffene.
Frauen sind dabei etwa vier Mal
häufiger betroffen als Männer. Die
meisten sind zwischen 30 und 50
Jahre alt, wenn sie die Diagnose
bekommen.
Ursache unbekannt
Die Diagnose bedeutet im Verlauf
der Krankheit, dass sich Patienten
wie eingepanzert fühlen oder als ob
sie in einem zu engen Kleidungsstück stecken. Auch auf Gefässsystem und innere Organe wie Lunge,
Herz oder Nieren kann sich Sklerodermie auswirken. Ärzte sprechen in
diesem Fall von einer Systemischen
Sklerose (SSc). Forscher tappen
noch immer im Dunkeln, wenn es
um die Ursachen der nicht heilbaren
Autoimmunkrankheit geht, bei der
sich das Kollagen im Bindegewebe
verhärtet. Sind Umwelteinflüsse,
Viren oder Bakterien Auslöser? Spekulationen gibt es viele, Beweise
keine. Wobei derzeit vor allem Immundefekte und vererbte Faktoren
diskutiert werden. Darüber hinaus
ist eine Früherkennung dieser heim-
tückischen Krankheit schwierig, da
sich Symptome im Anfangsstadium
unspezifisch und eher schleichend
zeigen. Sie ist jedoch wichtig, um
zumindest den Verlauf der Krankheit zu beeinflussen.
Forschung und Patienten-Register
Um weitere Fortschritte zu erzielen, muss die (Ursachen-)Forschung
weiter vorangetrieben, klinische
Studien im Sinne einer Patientenorientierten Forschung durchgeführt und das gewonnene Wissen
über Krankheitsmerkmale und
Verläufe gebündelt werden. Welche
Wirksamkeit zum Beispiel die Behandlung mit verschiedenen Immunsuppressiva bei Patienten mit
einer diffusen systemischen Sklerodermie hat, untersucht derzeit
eine europäische, multizentrische
Beobachtungsstudie – kurz ESOS
(European Scleroderma Observational Study). Die aus Spitälern in
ganz Europa gesammelten Daten
werden in einem zentralen Register
dokumentiert und mit modernen
statistischen Methoden ausgewertet. Patienten-Register wie das europäische Sklerodermie-Register
unter dem Dach der EUSTAR dienen als wesentliche Grundlage für
die Erstellung diagnostischer und
therapeutischer Empfehlungen und
somit für eine bessere Versorgung
der Patienten.
Hoffnungsträger Stammzellen
Ergebnisse aus Studien zu neuen
Therapieansätzen geben Betroffenen Hoffnung. Noch nicht hinreichend untersucht ist die autologe
Stammzellentransplantation zur
Behandlung der Sklerodermie. In
den USA und in Europa sind derzeit
entsprechende Multicenter-Studien
unter den Namen SCOT Trial beziehungsweise ASTIS Trial im Gange.
Erste Ergebnisse klingen vielversprechend: Wenn Patienten eine
autologe (körpereigene) Stammzellentransplantation über sich ergehen
lassen anstatt ausschliesslich mit
einer bestimmten Chemotherapie
therapiert zu werden, konnten nicht
nur die Verhärtungen an der Haut
vermindert, sondern auch das Fortschreiten der systemischen Sklerose
an inneren Organen gestoppt werden. Allerdings eignet sich die Behandlung, laut Studie, zum Beispiel
nicht für Patienten mit schwerer
Nieren- oder Herzbeteiligung oder
pulmonaler Hypertonie (Lungengefässhochdruck).
n
gastbeitrag Sklerodermie – Diagnose und Behandlung
Sklerodermie – Hoffnung durch weltweite Forschung und neue Therapien
Wichtig sind die Früherkennung und eine multidisziplinäre Behandlung.
P
lötzliche Durchblutungsstörungen der Haut stehen am
Anfang der gefährlichen Krankheit
Sklerodermie. Erst später folgen
Bindegewebsvermehrung und Organversagen. Noch immer vergehen
mehrere Jahre von den ersten Symptomen bis zur richtigen Diagnose,
wertvolle Zeit, die für die FrüherkenNeue Behandlungsformen
von Sklerodermie
Video-Interview mit
Priv. Doz. Dr. med. habil. Michael Buslau
nung und Frühbehandlung verloren
ist. Was durch Kälte und psychischen
Stress die Finger erst weiss, dann
blau und wieder rot werden lässt,
ist als Raynaud-Phänomen bekannt.
Der krampfartige Gefässverschluss
dauert oft nur wenige Minuten, verursacht aber jedes Mal einen gefährlichen Sauerstoffmangel im Gewebe.
Beginn mit krampfartigen
Durchblutungsstörungen
Diese Durchblutungskrankheit ist
an der Haut leicht zu erkennen, spielt
sich aber auch an lebenswichtigen
inneren Organen wie Lunge, Herz
und Nieren ab. Für die Früherkennung der Sklerodermie braucht es
ärztliche Erfahrung mit der Krankheit, ein Mikroskop zur Betrachtung
der kleinsten Hautgefässe (Kapillarmikroskopie) und die Bestimmung
von speziellen Antikörpern im Blut
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die Hände von Spezialisten, besonders Dermatologen und Rheumatologen, zur engmaschigen Kontrolle
mit regelmässigen Organuntersuchungen. Von Anfang an müssen die
Durchblutungsstörungen wirkungsvoll behandelt werden. Ziel ist es, so
Privatdozent Michael Buslau, Leiter
des Europäischen Sklerodermiezentrums an der Reha Rheinfelden,
möglichst jeden Raynaud-Anfall
zu verhindern.
Immunsuppressiva helfen kaum
Da bei der Sklerodermie oft verschiedene Autoantikörper im Blut
und Gewebe nachweisbar sind,
wird diese Krankheit auch als Autoimmunkrankheit gesehen. Im
Unterschied zu anderen Autoimmunkrankheiten, helfen bei der
systemischen Sklerodermie Medi-
kamente, die das Immunsystem unterdrücken, aber kaum. Das früher
bei Sklerodermie regelmässig eingesetzte Kortison steht heute sogar im
Verdacht, in höheren Konzentrationen vermehrt Nierenkomplikationen
auszulösen. Neue Hoffnungen ruhen
auf der Stammzelltransplantation.
Durchblutungsfördernde
Medikamente plus
Rehabilitation oft erfolgreich
Erfolge im Kampf gegen die Sklerodermie werden derzeit durch Medikamente erzielt, die die Durchblutung der Organe verbessern.
Wichtig ist auch, den Säurerückfluss
aus der Speiseröhre medikamentös
zu stoppen. Auch Physiotherapie,
Physikalische Medizin und Ergotherapie haben bei Sklerodermie einen
hohen Stellenwert. Die verhärtete
Haut kann bei Sklerodermie durch
UVA1- Bestrahlungen wieder weicher werden. Frühzeitige Atemtherapie unterstützt den Kampf gegen
das drohende Lungenversagen.
Sklerodermiepatienten laufen
den Berlin-Marathon
2011 konnte die Reha Rheinfelden
zusammen mit der crossklinik Basel weltweit zum ersten Mal zeigen,
dass Sklerodermiepatienten durch
professionelles Training sogar den
Berlin-Marathon meistern können.
Das Laufen der 42 km hatte überraschend positive Auswirkungen auf
die Durchblutung, die Atmung und
das Wohlbefinden der Betroffenen.
Die Patienten starten in diesem Jahr
erneut. n
Autor: Priv. Doz. Dr. med. habil. Michael Buslau,
MSc Leitender Arzt, Reha Rheinfelden Europäisches
Reha-Zentrum für Sklerodermie
6
seltene krankheitenEine Sonderveröffentlichung des Reflex Verlages
artikel Cystische Fibrose
Wenn der Atem stockt
Das Leben von CF-Patienten wird von aufwendigen Therapien bestimmt. Moderne Präparate können Symptome lindern.
CF ist keine
Waisenkrankheit mehr
Die Krankheit ist nicht heilbar,
aber behandelbar
Von Wiebke Toebelmann
M
arkus Hänni schreibt auf
seiner Website: „Ich weiss
nicht, wie es sich anfühlt, gesund
zu sein.“ Niemand würde auf den
ersten Blick darauf kommen, dass
der junge Mann mit dem dunklen,
lockigen Haar, der dort abgebildet
ist, an einer unheilbaren Krankheit
leidet. Und dabei handelt es sich keineswegs um eine weit verbreitete,
wohlbekannte Erkrankung: Von
Cystischer Fibrose (CF), auch Mukoviszidose genannt, sind schweizweit nur etwa 1‘000 Menschen betroffen. Der Berner Drehbuchautor
und Schauspieler Hänni schrieb über
sein Leben mit CF in seinem Buch
„Eigentlich müsste ich längst tot
sein“, welches im vergangenen Jahr
auch über die Grenzen der Schweiz
hinaus für Furore sorgte. Es ist
das erste autobiografische Buch in
deutscher Sprache, das sich diesem
schwierigen Thema widmet.
Cystische Fibrose ist eine der wenigen seltenen Krankheiten, die keinen
„Waisenkrankheiten“-Status mehr
hat. Dies liegt vor allem an dem Engagement diverser Prominenter und
öffentlicher Personen, die die Dringlichkeit erkannten, CF eine Bühne
zu geben. Schliesslich ist sie die in
den Industrienationen häufigste
erbliche Stoffwechselerkrankung.
Doch genau wie bei anderen seltenen
Erkrankungen auch, gibt es bei CF
eine hohe Dunkelziffer: ganze 50
Prozent. Der Grund liegt wie so oft
bei den unspezifischen Symptomen,
die viele Ärzte eben nicht sofort auf
diesen Befund schliessen lassen. So
werden die Begleiterscheinungen oft
mit Asthma, Bronchitis, Keuchhusten oder Zöliakie (Gluten-Unverträglichkeit) verwechselt. Trotz grosser
Forschungsanstrengungen ist Cystische Fibrose also nicht heilbar. Und
die vorhandenen Therapien können
noch immer nicht die Ursachen, sondern nur die Symptome bekämpfen
und lindern.
Schleim verklebt Lunge und
Bauchspeicheldrüse
Die Zahl derer, die Cystische Fibrose weitervererben können, ist beträchtlich höher als die tatsächlich
Erkrankten. Das liegt daran, dass
der Gendefekt, der für Cystische
Fibrose verantwortlich ist, nur dann
übertragen wird, wenn eine ganz
bestimmte Konstellation vorliegt:
Nur wenn beide Eltern Erbträger
sind, wird das Kind an CF leiden,
ein Vorgang, beruht also auf der
sogenannten autosomal-rezessiven
Vererbung. Jeder 20. Mensch ist
wiederum gesunder Träger des CFGens. Es ist gewissermassen ein
Fehler im Zellen-Erbgut, der zur
Folge hat, dass alle körpereigenen
Sekrete eingedickt produziert werden. So verklebt ein zäher Schleim
die Lunge und die Bauchspeicheldrüse und beeinträchtigt nach und
nach die lebenswichtigen Organe.
Das kann bis zum Atemstillstand
führen. Meist bleibt den Betroffenen als einzige lebensverlängernde
Massnahme eine Lungentransplantation. Das bedeutet, dass die
Krankheit zwar nicht heilbar, aber
zumindest behandelbar ist. Charakteristisch für CF ist der chronische
Husten, mit dem sich die Leidenden
herumschlagen müssen, ebenso wie
die Schwierigkeit, Luft zu holen.
Generell ist die Anfälligkeit für
Erkältungskrankheiten sehr viel
höher als bei Nicht-Betroffenen.
Da die Bauchspeicheldrüse gestört
ist, wird die Nahrung zudem nur
unvollständig verwertet, was den
CF-Patienten oft ein schmächtiges
Aussehen verleiht. Sie sind meist
untergewichtig und kleiner als Ge-
sunde, auch ist ihr Kalorienbedarf
eineinhalb Mal so hoch.
Die Forschung bringt für Cystische
Fibrose immer wieder Innovationen
hervor, die die Situation der Betroffenen erheblich verbessern. Dazu
gehören beispielsweise neue inhalatorische Antibiotika, die bakterielle
Lungeninfekte bekämpfen. Die Effizienz inhalierbarer Medikamente ist
ein wichtiger Schritt, da sie die teuren Präparate ökonomischer macht.
In schwereren Fällen muss der Patient mehrere Stunden täglich mit
Therapien verbringen, etwa Atemphysiotherapie und Inhalationen
sowie Antibiotika-Kuren. Die Lebensqualität wird also erheblich
beeinträchtigt, und es ist sicherlich
individuell verschieden, wie damit
umgegangen wird. Von grosser Bedeutung sind spezielle Kuren, die
für CF-Patienten entwickelt wurden.
Sie führen die Erkrankten meist ans
Meer und in warme Regionen. Diese
Rehabilitationsmassnahmen sind
nicht nur der Gesundheit zuträglich,
sondern auch gut für das seelische
Befinden. Anders als bei vielen anderen seltenen Krankheiten sind die
Patienten mit der Diagnose Cystische
Fibrose gut vernetzt durch Interessensverbände, Selbsthilfegruppen
und zahlreiche weitere Aktivitäten.
Und dank guter Therapien erreichen
heute 80 Prozent das Erwachsenenalter.
n
Anzeige gastbeitrag Cystische Fibrose (CF)
Eine Kinderkrankheit ist nun erwachsen
Wir machen mobil
(viskösen) Schleims (Mukus) in verschiedenen
Organen, weshalb die Krankheit auch Mukoviszidose genannt wurde. Die Diagnose wird
mittels Schweisstest und Genanalyse gestellt.
Wichtigstes erkranktes Organ ist die Lunge.
Das zähe Sekret behindert die Reinigung der
Atemwege (Bronchien), es kommt zur Besiedelung durch Bakterien, später zur chronischen Infektion und Entzündung. Dies führt
zu sackförmigen (cystischen) Ausweitungen
der Bronchien (Bronchiektasen) und zur Vernarbung des Lungengewebes (Fibrose), daher
der Name Cystische Fibrose. Die Betroffenen
leiden an chronischem Husten mit eitrigem
Auswurf und zunehmender Atemnot.
Dr. med. Reta Fischer Biner, Leitende Ärztin
Pneumologie, Spital Netz Bern Tiefenau
O
bwohl Cystische Fibrose (CF) die häufigste
Erbkrankheit in der weissen Bevölkerung
darstellt, zählt sie zu den seltenen Krankheiten. CF betrifft in der Schweiz etwa 1 von
2’500 Neugeborenen. Da seit 2011 jedes Neugeborene auf CF getestet werden kann, wird
die Krankheit immer früher diagnostiziert. Je
früher gezielt behandelt wird, desto grösser
ist die Chance auf ein längeres Überleben. Das
mittlere Überleben beträgt heute 40 Jahre.
An einer Gentherapie wird geforscht, CF ist
aber bis heute nicht heilbar.
Krankheitsbild
Die Cystische Fibrose wurde erstmals 1934
durch den Tessiner Kinderarzt Fanconi beschrieben. 1989 wurde das CF-Gen auf dem
Chromosom 7 identifiziert. Die CF-Mutation
führt durch eine Störung des Salz- und Flüssigkeitstransports zur Bildung eines zähen
Skifahren ermöglicht Glücksgefühle.
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Behandlung und Therapie
Eckpfeiler der Behandlung sind die Inhalations- und Atemphysiotherapie, Medikamente
sowie die hochkalorische Ernährung. Inhaliert
werden schleimlösende Medikamente und
Antibiotika. Physiotherapie und regelmässiger Sport dienen der Sekretmobilisation.
Der Therapieaufwand beträgt 2 bis 4 Stunden pro Tag, Spitalaufenthalte sind häufig.
Im fortgeschrittenen Stadium ist zusätzlich
Sauerstoff notwendig. Im Endstadium kann
eine Lungentransplantation das Leben um
Jahre verlängern.
Dank moderner Therapien und intensiver
Betreuung der Betroffenen in spezialisierten
CF-Zentren hat sich das Bild der Cystischen
Fibrose in den letzten 20 Jahren dramatisch
geändert. Die Krankheit, die früher fast nur
Kinder und Jugendliche betraf, ist heute zu
einer Erwachsenenkrankheit geworden. Es
bleibt die Hoffnung, dass sie mittels Gentherapie eines Tages heilbar wird.
n
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Eine Sonderveröffentlichung des Reflex Verlages
seltene krankheiten7
Interview Behandlung der Cystischen Fibrose
„Die Cystische Fibrose im Wandel der Zeit“
Fortschritte in Prognose und Lebensqualität.
Herr Dr. Mordasini, Sie
betreuen CF-Betroffene seit
über 20 Jahren. Wie haben
Sie diese Zeit erlebt?
Die Behandlung und Betreuung
der Patienten ist herausfordernd.
Dennoch überwiegen die positiven
Erlebnisse. Betroffene feiern ihren
30. Geburtstag, heiraten und bekommen Kinder. Wie diese jungen
Menschen ihr Schicksal meistern,
beeindruckt mich.
Dr. Carlo Mordasini, Chefarzt Pneumologie,
Spital Tiefenau, Spital Netz Bern
Wie und wo werden
CF-Betroffene in der Schweiz
behandelt und betreut?
Ambulant oder stationär betreut
werden die CF-Betroffenen ausschliesslich an CF-Zentren. Diese
existieren an den grossen Kantonsoder Unispitälern. Das CF-Zentrum
im Spital Netz Bern-Tiefenau ist das
grösste Erwachsenen-Zentrum der
Schweiz. Für die ganzheitlich ausgerichtete Behandlung der Erbkrankheit ist ein interdisziplinäres Team
nötig: Dazu gehören beispielsweise
Physiotherapeuten, Ernährungsberater, Infektiologen, Sozialarbeiter,
Lungen- und Magendarmspezialisten.
Wie wird die Diagnose
Cystische Fibrose gestellt?
In der Schweiz wird seit Kurzem ein
Neugeborenen-Screening durchgeführt. Automatisch getestet werden
die Babys dabei auf seltene Stoffwechselkrankheiten. Aufgrund dieser Früherkennung wird wahrscheinlich die Prognose weiter verbessert
werden; heute Geborene haben eine
gute Chance, 50-jährig oder älter zu
werden.
Auf was führen Sie zudem
die sich positiv entwickelnde
Prognose zurück?
Einerseits spielen dabei neu eingeführte und wirksamere Medikamente eine grosse Rolle. Dies gilt
insbesondere für Antibiotika wie
auch die Pankreasenzym-ErsatzPräparate. Früher litten sehr viele
CF-Betroffene an Untergewicht.
Glücklicherweise sieht man das
heute immer weniger. Andererseits
trägt die engmaschigere und professionellere Betreuung der Patienten
viel dazu bei.
Wie steht es um die Berufsund Familienplanung bei
CF-Betroffenen?
Fast alle Betroffenen absolvieren
eine Lehre oder schliessen ein Studium ab. Danach arbeiten manche
von ihnen in einem Teilzeitpensum.
Einhergehend mit der gestiegenen
Lebenserwartung nimmt genauso
der Kinderwunsch zu. Frauen sind
beinahe normal fruchtbar, Männer
hingegen steril. Trotzdem ist durch
eine Spermienentnahme und die Invitro-Fertilisation Nachwuchs möglich. Zur Sicherheit der Kinder wird
der Partner auf das CF-Gen getestet.
Dadurch wird sichergestellt, dass die
CF-Krankheit nicht vererbt wird.
Was geschieht in der
Forschung?
Grosse Fortschritte erzielt die Transplantation. Jedoch stagnieren die
Bemühungen in der Gentherapie.
Dagegen werden diverse Medikamente erprobt, welche den Basisdefekt korrigieren. Auch dank der
unermüdlichen Forschung steigt die
Lebenserwartung der CF-Betroffenen und die Lebensqualität.
n
interview Cystische Fibrose
„Ich bleibe einfach immer optimistisch“
Wann wurde bei Ihnen
Cystische Fibrose (CF)
festgestellt?
Ich war nur ein halbes Jahr alt, die
Krankheit hat mich also mein Leben lang begleitet. Schon als Kind
musste ich morgens und abends inhalieren und physiotherapeutische
Übungen machen. Ausserdem muss
ich bis heute Medikamente nehmen,
wenn ich etwas esse. Was mir als
Kind gefiel: Ich bekam keine Noten
im Sportunterricht! Aber sowohl
Lehrer als auch Mitschüler waren
da sehr verständnisvoll.
Wie äussern sich im Alltag
die Symptome der Krankheit?
Ich habe zum Glück eine eher leichte
Form der CF, trotzdem bin ich für
Infekte anfälliger als andere Menschen. So brauche ich dann immer
wieder Intensiv-Antibiotikakuren,
das heisst, die orale Einnahme von
Medikamenten reicht nicht mehr aus
und man bekommt über einen Zeitraum von zwei Wochen Infusionen.
Wenn es irgendwie geht, versuche
ich, die Behandlung zu Hause zu
machen anstatt ins Spital zu gehen.
Gibt es neben Medikamenten noch Dinge, die Ihnen im
Alltag Kraft geben?
Ja. Ich mache zum Beispiel gern
Yoga. Das hat mir zusätzlich zur Therapie schon oft sehr geholfen. Medikamente muss ich sowieso ständig
nehmen, unabhängig von meinem
aktuellen Zustand. Aber das ist einfach Routine, das bin ich gewohnt.
Haben Sie durch die ständige
Einnahme von Medikamenten mit Nebenwirkungen zu
kämpfen?
Manchmal. Wenn ich beispielsweise solch eine Intensiv-Antibiotikakur mache, bin ich immer
sehr müde und abgespannt. Aber
ich habe es glücklicherweise bisher kaum mit starken Nebenwirkungen zu tun gehabt. Ich hoffe
natürlich, dass das so bleibt. Ich
weiss von anderen, dass sie gegen
bestimmte Antibiotika resistent
geworden sind und dann immer
mal wieder das Präparat wechseln
müssen.
Fühlen Sie sich im Alltag
manchmal beeinträchtigt?
Ja, zum Beispiel beim Treppensteigen oder wenn ich mich beeilen
muss, um einen Zug zu bekommen.
Bei ganz gewöhnlichen Alltagsdingen fange ich an zu husten und brauche viel länger, um mich hinterher
zu erholen.
Fürchten Sie, dass Sie irgendwann eine Lungentransplantation brauchen?
Bis jetzt habe ich sehr stabile
Werte. Es kommt aber sicher irgendwann auf mich zu, denn es ist
meist die letzte Chance, wenn alle
anderen Therapien keinen Erfolg
mehr zeigen. Aber es ist beruhigend, dass ich viele Betroffene
kenne, bei denen die Transplantation gut verlief.
Wie behalten Sie Ihre positive
Einstellung?
Ich bleibe einfach optimistisch. Seit
meiner Kindheit und auch noch
heute habe ich auf Kuren viele andere CF-Patienten getroffen. Ich
sage mir: Ohne meine Erkrankung
hätte ich einige Erfahrungen wohl
nie gemacht und nie so wunderbare
Menschen kennengelernt!
n
Martina Schmidt,
seit Kindheit betroffen von Cystischer Fibrose
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8
seltene krankheitenEine Sonderveröffentlichung des Reflex Verlages
artikel Morbus Crohn
Die Schmerzen sind ständige Begleiter
Morbus Crohn ist eine chronisch-entzündliche Darmkrankheit und unheilbar. Neue Medikamente sollen die Lebensqualität verbessern.
von Wiebke Toebelmann
E
ine junge Frau beschreibt ihre
Krankheit in einem Internetforum wie folgt: „Es ist, als ob Krieg im
Bauch herrscht.“ In der Schweiz sind
rund 16‘000 Menschen von Morbus
Crohn oder Colitis ulcerosa betroffen, die beide zu den chronischentzündlichen Darmerkrankungen
gehören. Morbus Crohn kann den
gesamten Verdauungstrakt von der
Mundhöhle bis zum After betreffen.
Meist siedeln sich aber die Entzündungen im Übergangsbereich vom
Dünndarm zum Dickdarm an.
Krankheit in Schüben
Die Tücken dieser Krankheit, die
zahlenmässig noch zu den häufigeren „seltenen Krankheiten“ gehört,
sind vielfältig und beinhalten einen Leidensweg, der zumeist schon
im Teenageralter beginnt. Morbus
Crohn verläuft gewöhnlich in Schüben, sodass auf durchaus relativ beschwerdefreie Perioden dann wieder
Zeiten mit extrem schmerzhaften
und kaum erträglichen Symptomen
folgen können. Diese sind typischerweise Bauchweh, Durchfall, Fieber
sowie Zustände völliger Erschöpfung. Dazu kommen Analfissuren,
Fisteln, Hautveränderungen und
Entzündungen der Augen oder des
Mundes. Etwa ein Drittel der Erkrankten wird arbeitsunfähig. Die
Patienten haben zwar keine eingeschränkte Lebenserwartung, sind jedoch eher gefährdet, an Darmkrebs
zu erkranken.
Die Ursachen sind unklar. Aber es
wird vermutet, dass Morbus Crohn
zwar nicht vererbbar ist, bei einigen Betroffenen aber eine Famili-
enhäufigkeit besteht. Zumindest
bei zehn bis 15 Prozent der Fälle
wird eine genetische Disposition
vermutet. Desweiteren gibt es auch
die These, dass die in modernen,
industrialisierten Ländern übliche
Hygiene Schuld ist an dem vermehrten Auftreten von Morbus Crohn und
anderen chronisch-entzündlichen
Darmerkrankungen. Faktoren wie
Stress oder Rauchen begünstigen die
Krankheit obendrein, dennoch ist es
schwer, Vorbeugungsmassnahmen
zu benennen.
Fortschritt durch
wirksame Therapien
Morbus Crohn ist nicht heilbar,
allerdings können die Beschwerden gelindert werden. Eine gängige Therapie ist die Verabreichung
von Kortison, welches auf Dauer
jedoch zu Nebenwirkungen wie Auf-
gedunsenheit, Knochenschwund
und Störung des Blutzucker- und
Blutfetthaushaltes führen kann.
Neu sind die sogenannten Biologika, also die Therapie mit Antikörpern. Biologika sind sehr wirksame
Medikamente und binden einen
Entzündungsstoff im Körper, der
sich TNF-alpha nennt. Dadurch
entstehen weniger Entzündungen,
sodass die Schübe weniger stark
verlaufen. Die neuen Therapien bedeuten einen Hoffnungsschimmer
für die Patienten. Zudem spricht
alles dafür, dass sich die Lebensqualität in Zukunft durch weitere
innovative Behandlungsmethoden
noch stark verbessern wird.
n
interview Fortschritte in der Behandlung chronisch entzündlicher Darmerkrankungen
„Abheilung von Schüben durch TNF-alpha-Antikörper“
Herr Professor Seibold, was
sind chronisch entzündliche
Darmerkrankungen und wie
häufig treten diese in der
Schweiz auf?
Chronisch entzündliche Darmerkrankungen umfassen den Morbus
Crohn und die Colitis ulcerosa. Dies
sind chronische, oft schubweise verlaufende Entzündungen im Darm.
Die Erkrankungen können bereits
im Kindesalter auftreten, meistens
werden sie jedoch bei Jugendlichen
bis jungen Erwachsenen diagnostiziert. In der Schweiz sind circa zwei
von 1`000 Einwohnern von einer
chronisch entzündlichen Darmerkrankung betroffen.
Unter welchen Symptomen
leiden diese Patienten?
Die häufigsten Beschwerden sind
Durchfälle oder Bauchschmerzen.
Aufgrund der meist blutigen Durch-
fälle wird die Diagnose einer Colitis ulcerosa meist rasch gestellt,
während bei Morbus Crohn, wo sich
die Entzündungen überall zwischen
Mund und After befinden, es zum
Teil Jahre dauern kann, bis man
weiss, woran der Patient leidet. Neben Bauchschmerzen und Durchfall
können Müdigkeit, Fieber, Gewichtsverlust, Gelenkschmerzen und viele
andere Symptome auftreten.
Kann man diese Erkrankungen heutzutage gut behandeln? Hat es in der letzten Zeit
Fortschritte in den Behandlungsmodalitäten gegeben?
Noch vor zwanzig Jahren war man
bei der Behandlung von Patienten mit chronisch entzündlichen
Darmerkrankungen sehr begrenzt.
Es gab damals nur zwei Medikamente, die man bei diesen Patienten
einsetzen konnte. Heutzutage ver-
fügen wir über eine grosse Palette
von Medikamenten. Dabei gibt es
Medikamente, wie etwa die TNFalpha-Antikörper, die seit 1999 in
der Schweiz zum Einsatz kommen.
Diese Substanzen führen bei vielen Patienten zu einer raschen Abheilung des Schubes und können
weitere Schübe verhindern. Auch
mit Immunsuppressiva kann man
die Erkrankung relativ gut unterdrücken, jedoch kann ein Teil der
Patienten aufgrund von Nebenwirkungen nicht langfristig mit diesen
Medikamenten therapiert werden.
Es gelang in den letzten Jahren, weitere Medikamente zu entwickeln,
die in ihrem Wirkmechanismus immer spezifischer werden. Beispielsweise wird die Wanderung gewisser
weisser Blutkörperchen zum Darm
selektiv behindert, sodass sich die
Entzündung dort beruhigen kann.
Solche Medikamente sind kurz vor
der Zulassung und andere neue
Substanzen werden derzeit in klinischen Studien getestet. Darunter
sind zum Teil auch unkonventionelle Methoden, wie zum Beispiel
die Schweinepeitschenwurmeier:
Der Patient schluckt einen Wurmeicocktail, im Darm schlüpfen dann
die für den Menschen nicht gefährlichen Würmer, die ihrerseits eine
Immunreaktion auslösen, welche
die schädlichen Immunreaktionen
des Morbus Crohns neutralisiert.
In Bern konnten wir schon einige
Patienten mit dieser Methode erfolgreich behandeln. Insgesamt gehe ich
davon aus, dass durch etliche neue
Methoden die Therapie in wenigen
Jahren weiter verbessert werden
kann. Die allermeisten Patienten, die
in spezialärztlicher Behandlung betreut werden, haben aber auch schon
heute eine recht gute Lebensqualität, und der Verlauf der Erkrankung
kann durch eine adäquate Therapie
günstig beeinflusst werden.
eine weitere Studie durch, die untersuchte, ob es Unterschiede gibt zwischen früher und später Diagnose.
Das Ergebnis: Die Patienten, bei denen Morbus Crohn erst spät erkannt
wurde, leiden oftmals vermehrt an
Fistel- und Engstellenbildung.
travenöse Infusion im Spital und
die anderen beiden als subkutane
Injektion verabreicht werden. Bei
der subkutanen Behandlung kann
sich der Patient diese selbst unter die
Haut injizieren. Wir haben 100 Patienten bei unserer CHOOSE-TNFStudie befragt, ob sie den Weg der
Selbstinjektion bevorzugen und wie
viel Freiraum sie sich bei der Behandlung wünschen. Das Ergebnis:
Die Erkrankten sind gerne selbstständig und möchten nicht ins Spital, um dort mehrere Stunden eine
Infusion zu bekommen. Vor allem
berufstätige Betroffene wollen es
vermeiden, regelmässig am Arbeitsplatz zu fehlen. Daher das Fazit der
Studie: Die Mehrzahl der Patienten
bevorzugte die Selbstinjektion. n
Besteht denn Hoffnung,
dass man diese Erkrankungen
eines Tages heilen kann?
In den letzten Jahren sind wir bei
der Erforschung der Ursachen dieser
Erkrankungen, aber auch bei der
Entwicklung neuer Behandlungsstrategien deutlich weiter gekommen. Aktuell sind diese Erkrankungen noch nicht heilbar, jedoch
ist in vielen Fällen die Erkrankung
mit einer medikamentösen Therapie
so gut unterdrückbar, sodass die
meisten Patienten sich einer sehr
guten Lebensqualität erfreuen. n
Interview mit Prof. Dr. med. F. Seibold,
Chefarzt Gastroenterologie,
Crohn-Colitis-Sprechstunde, Spital Tiefenau, Bern
Mit freundlicher Unterstützung von:
AbbVie AG.
interview Behandlung von Morbus Crohn mit Biologika
„Patienten bevorzugen Selbstinjektion“
Wie viele Menschen sind
in der Schweiz von Morbus
Crohn betroffen – gibt es eine
steigende Tendenz?
In der Schweiz leiden etwa 12‘000
Menschen an Morbus Crohn oder
Colitis ulcerosa. Beide gehören
zu den chronisch-entzündlichen
Darmkrankheiten. Seit den 1950erJahren wurde ein leichter Anstieg
beobachtet.
Ist es korrekt, dass Morbus
Crohn mit zunehmendem
Wohlstand und Hygiene zu
tun hat?
Die Zunahme macht sich vor allem
in den modernen Industrienationen
bemerkbar. Übermässige Hygiene
kann zur Folge haben, dass unser
Immunsystem nicht richtig gegen
bestimmte Krankheitserreger gewappnet ist.
Wie lange dauert es, bis eine
betroffene Person in der
Schweiz diagnostiziert wird?
In der Schweiz dauert es durchschnittliche neun Monate, bis die
Diagnose Morbus Crohn gestellt
wird. Bei manchen kann das sogar bis zu drei Jahre dauern. Eine
unserer Studien hat ergeben, dass
Patienten oft erst nach Monaten
ihren Hausarzt aufsuchen und der
sie wiederum oft verzögert an einen Spezialisten überweist. Es ist
also wichtig, sowohl Patienten als
auch Ärzte aufzuklären. Das Ziel
für Arzt und Patient muss ganz klar
eine frühe Diagnose sein.
Ist eine späte Diagnose
gefährlich?
Die Lebensqualität im Alltag ist sehr
eingeschränkt, wenn Betroffene
über einen langen Zeitraum mit den
Crohn-Symptomen leben müssen:
Durchfall, Bauchweh, Fieberschübe
und Abgeschlagenheit. Wir führten
Welche Diagnosemethoden
gibt es und müssen die Patienten davor Angst haben?
Nein, keineswegs. Als Marker dient
uns zunächst das sogenannte Calprotectin im Stuhl, welches auf einen
erhöhten Entzündungswert hinweist. Der nächste Schritt ist eine
Dickdarmspiegelung.
PD Dr. Stephan Vavricka, Abteilungsleiter Gastroenterologie und Hepatologie, Stadtspital Triemli
Relativ neu ist die Behandlung mit Biologika. Wie werden sie verabreicht?
Es gibt drei verschiedene Typen
von Biologika, wobei eines als in-
Mit freundlicher Unterstützung von:
AbbVie AG.
Eine Sonderveröffentlichung des Reflex Verlages
seltene krankheiten9
artikel Lysosomale Speicherkrankheiten
Die tückischen Exoten
Zu den Speicherkrankheiten gehören etwa 50 seltene Stoffwechselerkrankungen – sie sind genetisch bedingt und schwer behandelbar.
Von Wiebke Toebelmann
W
er den Zungenbrecher Lysosomale Speicherkrankheiten
hört, denkt vielleicht nicht sofort an
heimtückische Syndrome, die sehr
schwerwiegende Folgen haben und
oftmals sogar tödlich enden. Es handelt sich dabei um eine Gruppe von
ungefähr 50 genetisch bedingten
Stoffwechselerkrankungen mit so
exotischen Namen wie Mukopolysaccharidose, Morbus Fabry oder
auch Niemann Pick.
Die Lysosomalen Speicherkrankheiten sind höchst selten und kommen
weltweit nur etwa bei einem Neugeborenen von 7‘500 bis 8‘000 vor.
Doch diese wenigen Neugeborenen
haben eins gemeinsam, und zwar
eine verminderte Enzymaktivität,
welche im Erbgut liegt, und die zum
Beispiel durch eine Mutation eines
Gens entstanden ist. Doch obwohl
diese Krankheiten erblich sind, erkrankt nicht jeder, der den Gendefekt in sich trägt.
Zunächst einmal ist festzustellen,
dass Lysosome per se nichts Gefährliches sind: Jeder Mensch hat
sie, jene Zellorgane, die komplexe
Makromoleküle in ihre einfachen
Bausteine zerlegen. Damit sich dieser Abbau vollziehen kann, stehen
uns zahlreiche Enzyme zur Kata-
lysierung, genannt Hydrolasen,
zur Verfügung. Anders bei denen,
die an einer Lysosomalen Speicherkrankheit leiden: Bei ihnen
ist meist eine der Hydrolasen zu
schwach und somit der Abbau eines Makromoleküls weniger gut
katalysierbar. Die Folge ist eine
Anreicherung dieser Makromoleküle in der Zelle und somit eine
Funktionsstörung unterschiedlicher Organsysteme.
Niemann Pick:
eine tödliche Diagnose
Besonders tragisch ist die Niemann
Pick-Krankheit, welcher ein genetischer Defekt des Enzyms Sphingomvelinase zugrunde liegt. Sie ist
unheilbar und tödlich, und die Betroffenen sterben in sehr jungem
Alter. Die Einteilung erfolgt nach
den Typen A bis D. Typ A ist eine
besonders schwer verlaufende neuroviszerale (neurologische Innenorganbeteiligung) Erkrankung, die
schon im Kindesalter tödlich endet.
Beim Typ B fehlen neurologische
Symptome und das Erwachsenenalter kann erreicht werden. Beim Typ
C vergrößern sich Milz und Leber,
was zu einer Gelbfärbung der Haut
führt. Typ D äußert ähnliche Symptome wie Typ C. Was alle Niemann
Pick-Arten gemeinsam haben, ist
die bittere Gewissheit, der sich alle
Eltern stellen müssen: Ihre Kin-
der werden irgendwann an dieser
Krankheit sterben.
Selten, aber tückisch:
Morbus Fabry
Morbus Fabry ist eine weitere gefährlich fortschreitende Speicherkrankheit, die zwar seit 100 Jahren
bekannt ist, doch so selten auftritt,
dass die wenigsten Ärzte jemals
einen Fall erleben. Die typischen
Organe, die in Mitleidenschaft gezogen werden, sind Haut, Augen,
Nervensystem, Nieren und Herz.
Die Gefahr, Morbus Fabry nicht früh
genug zu erkennen, ist gross, sind
doch die Symptome im Kindesalter
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Lange vernachlässigt, sind Lysosomale Speicherkrankheiten in den
vergangenen Jahren verstärkt ins
Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt. Durch Registrierung der Patienten und Vernetzung der Behandlungszentren kann den Betroffenen
besser geholfen werden. Doch bis
die Speicherkrankheiten aus ihrem
„Waisendasein“ herausgeholt werden, gibt es noch viel zu tun.
n
„Betroffene brauchen ganzheitliche Betreuung“
ine optimale Therapie und Begleitung
von Patientinnen und Patienten, welche
an einer seltenen Krankheit leiden, stellt
besondere Anforderungen an alle Verantwortlichen.
Für die optimale Therapie einer seltenen
Krankheit kann eine auf den einzelnen Patienten abgestimmte spezielle Dosierung und
Darreichungsform eines Wirkstoffs vonnöten sein. Der Apotheker in der öffentlichen
Apotheke oder in einer Spitalapotheke hat
die fachliche Kompetenz, diese patientenspe-
Wie alle seltenen Erkrankungen sind
Lysosomale Speicherkrankheiten nur
schwer zu behandeln. Doch für einige
von ihnen, gibt es hochentwickelte
Therapiemöglichkeiten. Eine von
ihnen ist die Enzymersatztherapie:
Es ist möglich, das fehlende Enzym
durch biotechnologisch hergestellte
Enzyme zu ersetzen. Dies erfolgt über
Infusionen, deren Verabreichung äusserst strikt geregelt ist: Die Therapieform muss so früh wie möglich und
ein Leben lang angewendet werden.
Um eine Neubildung der im Lysosom
nicht abbaubaren Makromoleküle zu
verhindern, können auch niedermolekulare Verbindungen verabreicht
werden. Diese Behandlungsform
nennt sich Substratreduktionstherapie. Noch nicht sehr gängig, aber bei
manchen Krankheitsbildern durchaus erfolgreich, ist die ChaperonTherapie, bei der die Enzymaktivität
künstlich erhöht wird.
interview Morbus Fabry
E
Ganz besonderes Augenmerk wird der Apotheker daher auf eine umfassende Information und aufmerksame Begleitung des
Patienten richten. In enger Zusammenarbeit mit dem behandelnden Arzt werden
unerwünschte Nebenwirkungen sofort der
zuständigen Behörde gemeldet, damit neu
gewonnene Erkenntnisse gesammelt, veröffentlicht und somit die Behandlungsqualität
laufend optimiert werden können. Auch die
Berichte über Therapieerfolge müssen gesammelt und publiziert werden.
Hilfe durch Therapien
Seltene Krankheiten
Die Apothekerinnen und Apotheker sind
dank ihrer anspruchsvollen, universitären
Aus-, Weiter- und Fortbildung zum Spezialisten für Arzneimittel in besonderem Masse
befähigt, ihren Beitrag zu leisten: Anders als
bei gut erforschten Krankheitsbildern werden zur Behandlung seltener Krankheiten
zumeist Arzneimittel eingesetzt, welche nicht
die üblichen Zulassungsverfahren durchlaufen und über welche somit erst wenige
Daten vorliegen. Die Erforschung und Entwicklung, und damit verbunden die Verfügbarkeit von Arzneimitteln zur Behandlung
seltener Krankheiten, ist verhältnismässig
wenig fortgeschritten.
recht diffus. Hornhauttrübung im
Auge, Fieber Erschöpfungszustände,
Schmerzen oder Durchfall werden
oftmals nicht diesem seltenen Befund zugeordnet. Später bekommt
der Patient Probleme mit den Nieren, was sich durch eine erhöhte Eiweissausscheidung äussert und bis
zum Nierenversagen führen kann.
Auch klagt jeder dritte Fabry-Patient
über Herzrhythmusstörungen und
Atemprobleme. Ein weiteres typisches Merkmal ist die verminderte
Fähigkeit zu schwitzen, grosse Empfindlichkeit bei Hitze und Kälte und
auch ein Defizit in der Tränen- und
Speichelproduktion.
Was ist Morbus Fabry?
Morbus Fabry ist eine angeborene Stoffwechselerkrankung, charakterisiert durch
einen Mangel der alpha-Galactosidase in den
menschlichen Zellen. Dieses Enzym baut gewisse Fettsubstanzen ab. Geschieht dies nicht,
kann es zu einer Ansammlung von Stoffen
und in der Folge zur Schädigung bestimmter
Zellen und Organe kommen. Männer sind
deutlich häufiger betroffen als Frauen, da
sich der Gendefekt auf dem weiblichen Geschlechtschromosom befindet.
zifische Herstellung gemäss dem Arztrezept
vorzunehmen oder zusammen mit dem Arzt
geeignete Formulierungen zu entwickeln. n
Dominique Jordan,
Präsident pharmaSuisse
Stationsstrasse 12
CH-3097 Bern-Liebefeld
T +41 (0)31 978 58 58
F +41 (0)31 978 58 59
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Diese Krankheit ist sicher nicht
leicht zu diagnostizieren?
In der Tat äussert sich die Krankheit häufig
mit unspezifischen Symptomen, die schon
im Kindesalter auftreten können. Dazu gehören beispielsweise Durchfall oder auch
eine Hitzeunverträglichkeit, die Schmerzen
in den Füssen und Fingern auslösen kann.
Betroffene Kinder wollen dann häufig keinen
Schulsport ausüben, was leider oftmals als
„Faulheit“ ausgelegt wird. Mit zunehmender
Krankheitsdauer können sich ernsthafte und
lebensbedrohliche Organschäden an Nieren,
Herzen und Hirn ausbilden.
Wir haben die Betreuung der rund 80 Patienten vor einigen Jahren reorganisiert. Heute
kümmert sich ein interdisziplinäres Team
um sie. Vor allem um betroffene Familien
ganzheitlich unterstützen zu können, arbeiten
wir ganz eng mit Fachexperten aus dem Kinderspital Zürich zusammen. Wir treffen uns
regelmässig, besprechen die Patientenfälle,
tauschen unser Fachwissen aus und führen
wissenschaftliche Studien durch. Wir haben
uns zudem mit unseren Kollegen in Lausanne
zusammengeschlossen und die Swiss Society
of Fabry Disease gegründet. Damit wollen wir
auch auf nationaler Ebene den Fachaustausch
sichern, damit Patienten die bestmögliche
Betreuung erhalten.
n
Wie wird Morbus Fabry behandelt?
Die Patienten erhalten eine sogenannte Enzymersatztherapie. Ihnen wird alle zwei Wochen
eine Infusion mit dem fehlenden Enzym verabreicht. Diese Therapie erfolgt nicht zwingend im Spital, sondern kann auch durch eine
Pflegefachperson bei den Patienten zu Hause
durchgeführt werden.
Wie sieht die Betreuung von Menschen mit Morbus Fabry am UniversitätsSpital Zürich aus?
PD Dr. Pierre-Alexandre Krayenbühl, Oberarzt an der Klinik und
Poliklinik für Innere Medizin am UniversitätsSpital Zürich und
Präsident der Swiss Society of Fabry Disease
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Im Dialog zur Qualität
Umsetzung der Verordnungsänderung von Artikel 71a/b KVV.
Professor für pharmazeutische
Medizin an der Universität Basel und
Verwaltungsratspräsident Helsana
M
oderne Krankenversicherer
suchen im Dialog nach Lösungen im Sinne der Patienten –
weil der Gesetzgeber nicht alles bis
ins Detail festlegen kann und soll.
Helsanas Nutzenmodell zur Vergütung von innovativen Medikamenten ist ein Beispiel dafür.
Die Schweiz pflegt im Unterschied
zu vielen anderen Ländern ein
freiheitliches Gesundheitssystem.
Mit viel Erfolg, wie internationale
Vergleiche immer wieder zeigen.
Bei wichtigen Qualitätsindikatoren erreicht die Schweiz überdurchschnittliche Werte. Auch bei
den Innovationen ist die Schweiz
traditionell Spitze. Das soll nicht
heissen, dass sich der Staat gänzlich aus dem Gesundheitssystem
herauszuhalten hat. Im Gegenteil.
Auch ein liberales System braucht
Spielregeln. Zum Beispiel für die
Vergütung von Medikamenten
durch die obligatorische Grundversicherung. Hier gilt: Erstens muss
das Medikament von der Heilmittelbehörde Swissmedic zugelassen sein. Zweitens muss es auf der
Spezialitätenliste des Bundesamtes
für Gesundheit (BAG) stehen beziehungsweise die WZW-Kriterien
des Krankenversicherungsgesetzes (KVG) erfüllen. WZW steht für
wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich. Nur Medikamente, die
alle drei Kriterien erfüllen, sind
kassenpflichtig. Bekanntlich kennt
das Leben aber keine Regel ohne
Ausnahme.
Neue Verordnung sieht Vergütung
bei hohem Patientennutzen vor
Es gibt zunehmend Medikamente,
die ausserhalb der genehmigten
Anwendung oftmals bei seltenen
oder schweren Krankheiten eingesetzt werden. Die Medikamente
versprechen Linderung, erfüllen
die WZW-Kriterien aber nicht vollständig. Auch wenn solche Medikamente nicht auf der BAG-Spezialitätenliste stehen, waren sie bis
vor einem Jahr in Ausnahmefällen
nach Kriterien des Bundesgerichtes
durch die Solidargemeinschaft der
Grundversicherten vollumfänglich
zu finanzieren. Mit der neuen Verordnung KVV 71 a und b1 wurden
die Kriterien 2011 gesetzlich verankert. Danach sind Arzneimittel, die
ausserhalb ihrer Zulassung angewendet werden und/oder nicht auf
der BAG-Liste figurieren, nur dann
aus der obligatorischen Grundversicherung zu vergüten, wenn ein
hoher Nutzen für die Patienten zu
erwarten ist. Wie dieser Nutzen im
Einzelfall zu beurteilen ist, lässt die
Verordnung offen. Klar ist, dass
die Vergütung in einem angemessenen Verhältnis zum Nutzen vom
Versicherer festzulegen und der
Vertrauensarzt einzubeziehen ist.
Eine Vergütung erfordert also in jedem Ausnahmefall eine vorgängige
Abstimmung mit dem Versicherer
des Patienten.
Die Umsetzung der Verordnung
liegt in der Verantwortung
des Versicherers
Diese besondere Verantwortung
der Versicherer behagt nicht allen.
Ein prominenter Befürworter einer
staatlichen Einheitskasse sprach
sich dagegen aus, „dass der Vertrauensarzt eines Versicherers über Leben und Tod entscheiden soll“. Wie
wenn der Vertrauensarzt einfach
aus dem Blauen heraus Leistungsentscheide treffen könnte. Aber
auch seitens der freiheitlich und
wettbewerbsorientierten Pharmabranche griff Unbehagen um sich.
Offenbar ist man sich hierzulande
nicht gewohnt, dass Krankenversicherer weit mehr können und tun,
als auf Geheiss des Staates Prämien
einzukassieren und Leistungen zu
vergüten. Versicherer moderner
Prägung engagieren sich im Interesse ihrer Kunden auch für die
Versorgungsqualität. Dazu gehört
auch der Zugang zu innovativen
Medikamenten. Dass sich ein Versicherer also mit der konkreten Umsetzung der Verordnung KVV 71
a/b im Alltag beschäftigt, ist weder
ungehörig noch überraschend. Das
gehört schlicht zum Job.
Helsana-Nutzenmodell
ermöglicht Zugang zu
innovativen Medikamenten
Unter der Federführung ihres leitenden Vertrauensarztes entwickelte Helsana mit Fachexperten ein
Nutzenmodell2 (siehe Abbildungen
1 und 2). Das Modell erlaubt eine
praxistaugliche Nutzenbestimmung
im Sinne des Regulators und wurde
von Roche und Novartis validiert.
Anstoss zur Entwicklung des Nutzenmodells gab die steigende Zahl
unklarer Ausnahmefälle. Im Zentrum der Überlegungen standen
dabei die Bedürfnisse und Anliegen
der Patienten und Versicherten: Die
Patienten wollen möglichst schnell
und unkompliziert Hilfe und Linderung und bekommen diese dank
der einvernehmlichen Partnerschaft
von Versicherer und Pharmaunternehmen; die (gesunden) Versicherten erhalten die doppelte Gewissheit, dass ihre Prämien nützliche
Arzneimittel finanzieren und ihre
Angehörigen im Falle eines schlimmen Schicksals selber von einem
schnellen Zugang zu innovativen
Medikamenten profitieren.
Helsana-Nutzenmodell
objektiv
transparent
nachprüfbar
praxistauglich
einheitliche
Nutzenbewertung
seltene
klinische Situation
Nutzenmodell besticht durch
seine Praxistauglichkeit
Anfang 2012 wurde das Modell
der Fachwelt vorgestellt. Das Echo
darauf war durchwegs positiv und
zeigte, dass das Modell gute Chancen
hat, zum Standard erhoben zu werden. Grundlegende Einwände und
Vorbehalte wurden jedenfalls keine
laut. Bedenken, dass die Lösung erst
einem eingeschränkten Kreis von
Patienten und Versicherten zur Verfügung steht, lassen sich schnell ausräumen. Denn das Nutzenmodell besticht durch seine Praxistauglichkeit
und kann von anderen Akteuren umgehend eingesetzt werden, ohne dass
es dazu hochspezialisierte Experten
braucht. Es handelt sich um eine
kompakte WZW-Konkretisierung,
die jeder rasch und unkompliziert
anwenden kann. Zudem lässt sich
das Modell bei Bedarf unter Einbezug weiterer Anspruchsgruppen
weiter entwickeln.
Spitäler sind als weitere
Partner miteinzubeziehen
Auch ein von Spitalapothekern ins
Feld geführter Vorbehalt, dass die
direkte Zusammenarbeit zwischen
Versicherer und Pharmaunternehmen Änderungen im Beschaffungsprozess von Spitälern bedingt, ist
kein unüberwindbares Hindernis.
Dass die Spitäler hier als weiterer
Partner willkommen und einzubinden sind, liegt auf der Hand und
wird bereits diskutiert. Klar ist jedoch auch, dass das Vertragsprinzip
zwischen dem Pharmaunternehmen und dem Krankenversicherer
in den Ausnahmefällen nach KVV
71 a/b unabdingbar ist und bleibt.
Andernfalls drohen langwierige
Auseinandersetzungen über eine
faire Abgeltung, was den raschen
und unkomplizierten Zugang zu den
benötigten Medikamenten gefährdet. Zudem lässt sich das Modell bei
Bedarf unter Einbezug weiterer Anspruchsgruppen weiterentwickeln.
Evidenzbasierte Medizin
Abb.2: Helsanas Nutzenmodell fusst auf den Säulen Praxistauglichkeit, einheitliche Nutzenbewertung
und berücksichtigt seltene, klinische Situationen.
Das Fundament bildet die evidenzbasierte Medizin. Das Resultat – Objektivität, Transparenz und Nachprüfbarkeit – erklärt die breite Akzeptanz des Modells.
Praktiker als Gestalter des
Gesundheitssystems
Die Aussicht auf juristische Auseinandersetzungen sind einem Klima
zur Entwicklung innovativer Arzneimittel alles andere als förderlich.
Nichts hemmt und verteuert die
Entwicklung von Innovationen so
sehr wie Unvorhersehbarkeit und
ein unberechenbarer Marktzugang.
Ganz davon abgesehen, dass der
Rechtsweg sich im Gesundheitswesen oft genug als Holzweg erweist.
Die Gestaltung und Weiterentwicklung des Gesundheitssystems sollten wir nur in Ausnahmefällen den
Richtern überlassen.
Vertrauensarzt
Versicherer
Studienrelevanz
Nutzenkategorie
Vergütungskategorie
Erheblich
→
Bedeutsam
→
Gering
→
Keine
→
A
→
B
→
C
→
D
1 KVV 71a regelt die Kostenübernahme eines Arzneimittels der Spezialitätenliste (SL) ausserhalb der
genehmigten Fachinformation oder Limitierung. KVV
71b regelt die Übernahme der Kosten eines nicht in
die SL aufgenommenen Arzneimittels.
2 Beat Seiler et al.: Die Bestimmung des therapeutischen Nutzens eines Medikamentes nach Art. 71 a/b
der Verordnung zur Krankenversicherung; Schriftenreihe der Schweizer Gesellschaft für Gesundheitspolitik, Band 112.
Insofern zielt das Nutzen- und Partnerschaftsmodell weit über den
individuellen Nutzen der daran beteiligten Parteien hinaus. Es nützt
dem Gesundheitssystem insgesamt
und beweist, dass die Akteure in
der Lage sind, ihre Verantwortung
im Sinne einer auf die Bedürfnisse
der Kunden ausgerichteten Versorgung wahrzunehmen. Das Beispiel
sollte Ansporn sein, auf andere
wichtige Fragen rund um unser
Gesundheitssystem Antworten im
offenen und konstruktiven Dialog
unter Praktikern zu finden.
n
Pharma
Übereinstimmung Einzelfall (Korrektur)
von Thomas D. Szucs,
*
→
→
* Bei erfolgreichem Therapieversuch eines
Medikaments der Nutzenkategorie C vergütet der
Versicherer einen Teil der Therapie.
Abb.1: Die Höhe der Vergütung wird durch den Versicherer bestimmt – basierend auf der Einschätzung der Studienrelevanz mittels Scorepunkten in Kombination
mit der Fallbeurteilung durch den Vertrauensarzt. Das Ziel ist ein angemessenes Kosten-Nutzen-Verhältnis.
Wie weiter?
Helsana hat mit seinem Nutzenmodell den
Boden für konstruktive Lösungen im Sinne
der Patienten bereitet. Die Krankenversicherer – unter massgeblicher Beteiligung
Helsanas – sind momentan daran, sich
unter Einbezug der Vertrauensärzte auf ein
schweizweit einheitliches Nutzenmodell
zu verständigen. Die Lancierung ist noch in
diesem Jahr geplant.
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