110316 Interview_Nassauer_Krankenhausinfektionen

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„Bakterien sind schlauer als man denkt“
Interview mir Dr. Alfred Nassauer, Stellvertretender Leiter des
Fachgebiets Angewandte Infektions- und Krankenhaushygiene im Robert
Koch-Institut
Was ist eine Krankenhausinfektion?
Der Begriff Krankenhausinfektion erfasst das Problem nicht genau, weil sich
Infektionen auch im ambulanten Bereich ereignen können. Der gebräuchliche
Begriff – auch im Infektionsschutzgesetz – ist nosokomiale Infektion. Damit sind
Infektionen gemeint, die sich im zeitlichen Zusammenhang mit einer
medizinischen Maßnahme ereignen.
Welche nosokomialen Infektionen kommen am häufigsten vor?
Die häufigste nosokomiale Infektion ist die Harnwegsinfektion. Denn viele
Menschen in Krankenhäusern oder Pflegeeinrichtungen werden mit einem
Blasenkatheter behandelt, und bei ungenügender Hygiene dringen dabei
Bakterien besonders leicht in den Körper ein.
Welche dieser Infektionen sind besonders gefährlich?
Ohne Zweifel sind Blutvergiftungen – sogenannte Septikämien – die
gefährlichsten nosokomialen Infektionen. An zweiter Stelle sind hier postoperative Wundinfektionen zu nennen, die bei schwerkranken Patienten häufig
nur zögerlich verheilen.
Wie kommt es, dass es ausgerechnet in Krankenhäusern und Arztpraxen
Hygienemängel gibt? Waschen sich die Ärzte etwa nicht oft genug die
Hände?
Tatsächlich sind die häufigsten Überträger von nosokomialen Infektionen die
Hände des medizinischen Personals. Mit Händewaschen alleine ist es jedoch
nicht getan. Eine wichtige Maßnahme ist, die Hände nach jedem
Patientenkontakt zu desinfizieren.
Welche Rolle spielt die Ansteckung durch andere Patienten oder das
Personal?
Wenn Erreger durch das Personal oder auch direkt von Patient zu Patient, also
von außen übertragen werden, nennt man das eine exogene Infektion. Diese
machen nur ein Drittel der nosokomialen Infektionen aus. Zwei Drittel sind
sogenannte endogene Infektionen. Hier trägt der Patient selbst den Erreger an
oder in sich, der dann an anderer Stelle im Körper zu einer Infektion führt.
Meistens handelt es sich dabei um Bakterien aus dem Darm. Wir haben mehr
Bakterien im Darm als der Körper Zellen hat. Wenn also solche Keime aus dem
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Darm in eine Wunde gelangen oder gar in die Atemwege, führen sie dort zu
einer Infektion.
Was ist ein multiresistenter Erreger?
Ein Bakterium, das mit Antibiotika nicht bekämpft werden kann. Bakterien sind
klüger als man denkt. Fast alle haben die Fähigkeit, nach mehrfachem Kontakt
mit Antibiotika das Erbgut und die Zellmembran so zu verändern, dass sie
gegen Antibiotika resistent werden. Dies ist ein unendlicher Kreislauf. Ein
Antibiotikum für alle Fälle wird es wohl niemals geben.
Seit wann ist das Phänomen der multiresistenten Erreger bekannt?
Die ersten MRSA (Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus) – dies ist der
bekannteste Erreger mit einer speziellen Antibiotikaresistenz – wurden kurz
nach der Einführung des Antibiotikums Methicillin/Oxacillin Anfang der 60er
Jahre isoliert. Seitdem haben sich die MRSA weltweit ausgebreitet und im Laufe
der Jahrzehnte weitere Resistenzen gegenüber den wichtigsten anderen
Antibiotikaklassen gesammelt. Aus diesem Grund bezeichnet man sie heute
auch als multiresistent.
Nehmen die multiresistenten Erreger zu? Ist die Zahl der Infektionen
gestiegen?
Ja, das Phänomen von Bakterien mit immer neuen und besorgniserregenden
Resistenzen gegen viele Antibiotikaklassen nimmt ständig zu, und die
Entwicklung neuer wirksamer Medikamente kann damit kaum Schritt halten. Ein
Beispiel: Im Sommer 2010 sorgte ein neuer "Superkeim", NDM-1, in Österreich
und anderen europäischen Ländern erstmals für Schlagzeilen. Diese
Bakteriengattung ist gegen fast alle verfügbaren Antibiotika resistent. Nachdem
die ersten Fälle in Großbritannien aufgetaucht waren, wurden im Verlauf des
Sommers weitere Erkrankungen in anderen europäischen Ländern registriert,
darunter auch Österreich. Mitte November 2010 wurden laut der Europäischen
Behörde für Seuchenkontrolle (ECDC) 77 Fälle in 13 europäischen Staaten
nachgewiesen, sieben Patienten starben.
Gibt es spezielle Maßnahmen, mit denen Entstehung und Ausbreitung der
multiresistenten Erreger bekämpft werden?
Um die weitere Entstehung solcher Bakterien zumindest zu verlangsamen, ist
der verantwortungsvolle, gezielte und möglichst sparsame Einsatz von
Antibiotika die wichtigste Voraussetzung. Die Weiterverbreitung innerhalb einer
medizinischen Einrichtung lässt sich durch Isolierung der Patienten und den
Einsatz von Schutzhandschuhen, Schutzkitteln und ähnlichen Maßnahmen
wirksam unterbinden.
Für wen besteht eine erhöhte Gefahr, sich mit multiresistenten Keimen
anzustecken?
Für alle Patienten mit geschwächter Infektabwehr besteht diese Gefahr. Für
gesunde Menschen stellen diese Erreger kein wirkliches Problem dar. Es ist
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kaum bekannt, dass wir uns pro Tag mit mehr als 200 verschiedenen Bakterien,
Viren und anderen Erregern auseinandersetzen, ohne dass wir es merken oder
gar krank werden.
Was kann ein Krankenhaus oder eine Arztpraxis tun, um die Infektionen zu
vermeiden?
Seit 1976 gibt es in der Bundesrepublik die Richtlinie für Krankenhaushygiene
und Infektionsprävention, die von der gleichnamigen Kommission erarbeitet
wurde und fortgeschrieben wird. Die dort enthaltenen Empfehlungen sind auf
dem neuesten Stand der medizinischen Kunst und stellen den nationalen
Standard zur Prävention (Verhütung) von nosokomialen Infektionen dar.
Gibt es Krankenhäuser, die besonders geringe Infektionszahlen haben,
und wie machen die das?
Es wird keine nationale Statistik über Krankenhausinfektionen in einzelnen
Krankenhäusern geführt. In Deutschland existiert allerdings das international
hoch angesehene System Krankenhausinfektionsurveillancesystem (KISS). An
diesem System nehmen in Deutschland ca. 900 Krankenhäuser teil. Für eine
freiwillige Teilnahme ist dies eine bemerkenswert hohe Zahl. Nur wer
Krankenhausinfektionen sorgfältig erhebt und bewertet, ist in der Lage zu
beurteilen, wo noch Verbesserungen zur Prävention bestehen.
Kann man sich als Patient vor Krankenhauserregern überhaupt schützen?
Patienten selber können sich nicht schützen. Hier sind wir auf die berufliche
Routine, Sorgfalt und Verantwortung der im Krankenhaus Tätigen angewiesen.
Sollte man die Einnahme von Antibiotika nach Möglichkeit vermeiden?
Diese Frage kann man pauschal nicht beantworten. Das Verordnen von
Antibiotika ist eine Kunst, die unsachgemäße Verordnung von Antibiotika ein
Kunstfehler. Aber der Einsatz von Antibiotika zum richtigen Zeitpunkt kann
Leben retten.
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