„Bakterien sind schlauer als man denkt“ Interview mir Dr. Alfred Nassauer, Stellvertretender Leiter des Fachgebiets Angewandte Infektions- und Krankenhaushygiene im Robert Koch-Institut Was ist eine Krankenhausinfektion? Der Begriff Krankenhausinfektion erfasst das Problem nicht genau, weil sich Infektionen auch im ambulanten Bereich ereignen können. Der gebräuchliche Begriff – auch im Infektionsschutzgesetz – ist nosokomiale Infektion. Damit sind Infektionen gemeint, die sich im zeitlichen Zusammenhang mit einer medizinischen Maßnahme ereignen. Welche nosokomialen Infektionen kommen am häufigsten vor? Die häufigste nosokomiale Infektion ist die Harnwegsinfektion. Denn viele Menschen in Krankenhäusern oder Pflegeeinrichtungen werden mit einem Blasenkatheter behandelt, und bei ungenügender Hygiene dringen dabei Bakterien besonders leicht in den Körper ein. Welche dieser Infektionen sind besonders gefährlich? Ohne Zweifel sind Blutvergiftungen – sogenannte Septikämien – die gefährlichsten nosokomialen Infektionen. An zweiter Stelle sind hier postoperative Wundinfektionen zu nennen, die bei schwerkranken Patienten häufig nur zögerlich verheilen. Wie kommt es, dass es ausgerechnet in Krankenhäusern und Arztpraxen Hygienemängel gibt? Waschen sich die Ärzte etwa nicht oft genug die Hände? Tatsächlich sind die häufigsten Überträger von nosokomialen Infektionen die Hände des medizinischen Personals. Mit Händewaschen alleine ist es jedoch nicht getan. Eine wichtige Maßnahme ist, die Hände nach jedem Patientenkontakt zu desinfizieren. Welche Rolle spielt die Ansteckung durch andere Patienten oder das Personal? Wenn Erreger durch das Personal oder auch direkt von Patient zu Patient, also von außen übertragen werden, nennt man das eine exogene Infektion. Diese machen nur ein Drittel der nosokomialen Infektionen aus. Zwei Drittel sind sogenannte endogene Infektionen. Hier trägt der Patient selbst den Erreger an oder in sich, der dann an anderer Stelle im Körper zu einer Infektion führt. Meistens handelt es sich dabei um Bakterien aus dem Darm. Wir haben mehr Bakterien im Darm als der Körper Zellen hat. Wenn also solche Keime aus dem -2- -2- Darm in eine Wunde gelangen oder gar in die Atemwege, führen sie dort zu einer Infektion. Was ist ein multiresistenter Erreger? Ein Bakterium, das mit Antibiotika nicht bekämpft werden kann. Bakterien sind klüger als man denkt. Fast alle haben die Fähigkeit, nach mehrfachem Kontakt mit Antibiotika das Erbgut und die Zellmembran so zu verändern, dass sie gegen Antibiotika resistent werden. Dies ist ein unendlicher Kreislauf. Ein Antibiotikum für alle Fälle wird es wohl niemals geben. Seit wann ist das Phänomen der multiresistenten Erreger bekannt? Die ersten MRSA (Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus) – dies ist der bekannteste Erreger mit einer speziellen Antibiotikaresistenz – wurden kurz nach der Einführung des Antibiotikums Methicillin/Oxacillin Anfang der 60er Jahre isoliert. Seitdem haben sich die MRSA weltweit ausgebreitet und im Laufe der Jahrzehnte weitere Resistenzen gegenüber den wichtigsten anderen Antibiotikaklassen gesammelt. Aus diesem Grund bezeichnet man sie heute auch als multiresistent. Nehmen die multiresistenten Erreger zu? Ist die Zahl der Infektionen gestiegen? Ja, das Phänomen von Bakterien mit immer neuen und besorgniserregenden Resistenzen gegen viele Antibiotikaklassen nimmt ständig zu, und die Entwicklung neuer wirksamer Medikamente kann damit kaum Schritt halten. Ein Beispiel: Im Sommer 2010 sorgte ein neuer "Superkeim", NDM-1, in Österreich und anderen europäischen Ländern erstmals für Schlagzeilen. Diese Bakteriengattung ist gegen fast alle verfügbaren Antibiotika resistent. Nachdem die ersten Fälle in Großbritannien aufgetaucht waren, wurden im Verlauf des Sommers weitere Erkrankungen in anderen europäischen Ländern registriert, darunter auch Österreich. Mitte November 2010 wurden laut der Europäischen Behörde für Seuchenkontrolle (ECDC) 77 Fälle in 13 europäischen Staaten nachgewiesen, sieben Patienten starben. Gibt es spezielle Maßnahmen, mit denen Entstehung und Ausbreitung der multiresistenten Erreger bekämpft werden? Um die weitere Entstehung solcher Bakterien zumindest zu verlangsamen, ist der verantwortungsvolle, gezielte und möglichst sparsame Einsatz von Antibiotika die wichtigste Voraussetzung. Die Weiterverbreitung innerhalb einer medizinischen Einrichtung lässt sich durch Isolierung der Patienten und den Einsatz von Schutzhandschuhen, Schutzkitteln und ähnlichen Maßnahmen wirksam unterbinden. Für wen besteht eine erhöhte Gefahr, sich mit multiresistenten Keimen anzustecken? Für alle Patienten mit geschwächter Infektabwehr besteht diese Gefahr. Für gesunde Menschen stellen diese Erreger kein wirkliches Problem dar. Es ist -3- -3- kaum bekannt, dass wir uns pro Tag mit mehr als 200 verschiedenen Bakterien, Viren und anderen Erregern auseinandersetzen, ohne dass wir es merken oder gar krank werden. Was kann ein Krankenhaus oder eine Arztpraxis tun, um die Infektionen zu vermeiden? Seit 1976 gibt es in der Bundesrepublik die Richtlinie für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention, die von der gleichnamigen Kommission erarbeitet wurde und fortgeschrieben wird. Die dort enthaltenen Empfehlungen sind auf dem neuesten Stand der medizinischen Kunst und stellen den nationalen Standard zur Prävention (Verhütung) von nosokomialen Infektionen dar. Gibt es Krankenhäuser, die besonders geringe Infektionszahlen haben, und wie machen die das? Es wird keine nationale Statistik über Krankenhausinfektionen in einzelnen Krankenhäusern geführt. In Deutschland existiert allerdings das international hoch angesehene System Krankenhausinfektionsurveillancesystem (KISS). An diesem System nehmen in Deutschland ca. 900 Krankenhäuser teil. Für eine freiwillige Teilnahme ist dies eine bemerkenswert hohe Zahl. Nur wer Krankenhausinfektionen sorgfältig erhebt und bewertet, ist in der Lage zu beurteilen, wo noch Verbesserungen zur Prävention bestehen. Kann man sich als Patient vor Krankenhauserregern überhaupt schützen? Patienten selber können sich nicht schützen. Hier sind wir auf die berufliche Routine, Sorgfalt und Verantwortung der im Krankenhaus Tätigen angewiesen. Sollte man die Einnahme von Antibiotika nach Möglichkeit vermeiden? Diese Frage kann man pauschal nicht beantworten. Das Verordnen von Antibiotika ist eine Kunst, die unsachgemäße Verordnung von Antibiotika ein Kunstfehler. Aber der Einsatz von Antibiotika zum richtigen Zeitpunkt kann Leben retten.