Dr Menzel Geistige Behinderung und psychische Erkrankung

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Geistige Behinderung und psychische ErkrankungKinder und Jugendliche fordern uns heraus
Kinder- und jugendpsychiatrische Zugänge
Mariaberg-Fachkrankenhaus für Kinder- und
Jugendpsychiatrie und -psychotherapie
• Versorgungsauftrag
• Standorte
• Angebote
UN-Konvention und Gesundheitsversorgung
(Art. 25)
• Recht auf ein „erreichbares Höchstmaß von Gesundheit“
• Verfügbarkeit: „eine unentgeltliche oder erschwingliche
Gesundheitsversorgung in derselben Bandbreite, von
derselben Qualität und auf demselben Standard … wie (bei)
anderen Menschen“, und so gemeindenah wie möglich;
• Notwendigkeit von Gesundheitsleistungen, die sie „speziell
wegen ihrer Behinderungen benötigt werden“, die also über
das übliche Maß hinausgegen können
• „Verbot der diskriminierende Vorenthaltung von
Gesundheitsversorgung oder -leistungen … aufgrund von
Behinderung“
Konsequenzen für die Kinder- und
Jugendpsychiatrie
• Schaffung regionaler spezialisierter Angebote in den
Praxen, Ambulanzen und Kliniken;
• Modifikation/Anpassung etablierter, evidenzbasierter
Verfahren auf die besonderen Voraussetzungen und
Bedürfnisse geistig behinderter Kinder und Jugendlicher;
• Nutzung und Finanzierung verschiedener
heilpädagogischer und kreativtherapeutischer Verfahren,
die nach Expertenkonsens sich in der Praxis bewährt
haben;
• Assessment: Qualifizierung psychiatrischer und
heilpädagogischer Diagnostik zur Erkennung seelischer
Leidensformen bei Kindern und Jugendlichen mit
geistiger Behinderung.
Kommission der drei Kinder- und
jugendpsychiatrischen Fachverbände
Epidemiologie / Klassifikation / Ätiologie
• Häufigkeit der geistigen Behinderung liegt bei ca. 3%
– IQ-Werte < 50
– IQ-Werte 50 – 69
– männlich : weiblich
ca. 20%
ca. 80%
1,6:1
• ICD -10 / DSM V
– DSM V : Konzeptbildung, Praktische Fertigkeiten, soziale
Fertigkeiten
– Somatische Ursachen (Genetik, Toxine, Infektionen,
Frühgeburtlichkeit)
– „psychosoziale“ Entwicklungsstörungen (Bindung, Trauma)
Häufige Verhaltensprobleme / Symptome
• Körperliche Aggressionen gegen Personen und
Sachen
• Impulsivität, Hyperaktivität
• Selbstverletzendes Verhalten
• Sexuell aggressives und übergriffiges Verhalten
• Sozialer Rückzug
• Exzessive Abhängigkeit
• Oppositionelles Verhalten
• Autistische Verhaltensmuster
• Suizidalität
Definition: „Psychische Störung“
Beeinträchtigungen der normalen Funktionsfähigkeit
des menschlichen Erlebens und Verhaltens, die sich in
• emotionalen
(„gefühlsmäßig“),
• kognitiven
(„Wahrnehmen und Denken“),
• behavioralen
(„verhaltensmäßigen“),
• interpersonellen („zwischenmenschlichen“)
und/oder
• körperlichen Beeinträchtigungen äußern und die von
der jeweiligen Person nicht oder nur begrenzt
beeinflussbar sind.
(Bastine, R.H.E. (1998). Klinische Psychologie. Band 1. 3. Aufl. Stuttgart:
Kohlhammer)
Prävalenz psychiatrischer Diagnosen bei Kindern (515 Jahre) mit und ohne Intelligenzminderung
Psychische Störung
IQ <70
n=264
IQ > 70
n= 10438
Odds
ratio
Emotionale Störungen
9,5
4,1
2,4
Angststörungen
8,7
3,6
2,5
Depression
1,5
0,9
1,7
Störung des Sozialverhaltens
25
4,2
7,6
Hyperaktivität
8,7
0,9
10
Tiefgreifende
Entwicklungsstörungen
7,6
0,1
74,7
Tic-Störungen
0,8
0,0
15,3
Essstörungen
0,4
0,1
3,5
Emerson, 2003
Verhaltensstörungen und psychische
Störungen
• „…sollten als ineinander übergehende Phänomene
verstanden werden, die sich auf einem Kontinuum
befinden, „bei dem an einem Ende klare
psychiatrisch definierte Merkmale liegen, etwa in
Form einer Psychose, am anderen Ende
Verhaltensstörungen, die unmittelbar auf den
erzieherischen Kontext zurückzuführen sind.“
Petry, 1999
Differenzialdiagnose
psychische Störung - Verhaltensstörung
•
•
•
•
•
•
•
•
Entwicklungsstandtypisches Verhalten
Behindertentypisches Verhalten
Reaktives Verhalten
Erworbenes Verhalten
Verhalten in Krisensituationen
Verhaltensphänotypen
Problemverhalten
Psychische Störungen
Entwicklungsstandtypisches Verhalten
Definition
Wahrnehmung
Außensicht/Innen
sicht
… nach dem Stand Signifikante
der Fähigkeiten
Abweichung vom
und
Lebensalter
Möglichkeiten des „Ich mache es so,
Denkens, Fühlens wie ich kann!“
und Handelns der
Person
Ziele/
Methoden
Umgang nach
Entwicklungsstand,
Nachreifung,
Kontextgestaltung
Fachdiszplin
Alltagspädagogik
Heilpädagogik,
Sozialpädagogik
Sonderpädagogik
Behinderungstypisches Verhalten
Definition
Wahrnehmung
Außen-/Innensicht
Verlangsamung in
… in einer engen,
allen Bereichen,
teilweise direkten
Kommunikaursächlichen
Beziehung zum
tionsprobleme,
Außenorientierung
Schweregrad der
Intelligenzminderung ,ungewohnte
Kontaktgestaltung
und der kognitiven
„Ich kann es nicht
Beeinträchtigung
verstehen!“
„Ich bin ratlos,
hilflos!“
„Ich kann die
Erwartungen nicht
erfüllen!“
Ziele/Methoden
Berücksichtigung
der Einschränkungen und
deren subjektive
Integration,
Kontext-gestaltung,
Anpassung
Fachdiszplin
Alltagspädagogik
Heilpädagogik,
Geistigbehindertenpädagogik
Reaktives Verhalten
Definition
Wahrnehmung
Außen/Innensicht
… im konkreten
Verstehbares,
Kontext durch
unmittelbar
Auslöser aller Art, nachvollziehbares
Konflikte,
Verhalten
Belastungen,
„Ich will das
operante
nicht!“ „Ich wehre
Äußerungsformen mich!“, „Ich halte
aller Art
das nicht aus!“
Ziele/ Methoden
Fachdiszplin
Anpassung an
übliche Normen
und Regeln,
Affekt-/Impulskontrolle,
Kontrolle der
Kontextbedingung
en
Heilpädagogik,
evtl.
Psychotherapie,
Psychiatrie
Erworbenes Verhalten
Definition
… Sozialisationsbedingte bzw. im
Verlauf der
Entwicklung
entstandene,
erlernte
Verhaltensweisen, die
oftmals spezielle
erzieherische
Bedingungen
widerspiegeln.
Wahrnehmung
Außen/Innensicht
Eher absichtsvolle,
bewusste,
kontrollierte
Abweichung
„Ich mache das,
womit ich am
meisten erreiche!“
Ziele/
Methoden
Anpassung an
übliche Normen/
Regeln,
Neulernen/
Umlernen,
Nachreifung
Fachdiszplin
Heilpädagogik
Sozialpädagogik,
evtl.
Psychotherapie,
Psychiatrie
Verhalten in Krisensituationen
Definition
… Verlust
bisheriger
Copingstrategien
Wahrnehmung
Außen/Innensicht
plötzliche
Veränderung,
Ratlosigkeit,
Hilflosigkeit
„Ich halte das
nicht mehr aus!“
Ziele/
Methoden
Krisenintervention
(Schutz,
Stabilisierung,
Lösungsideen)
Fachdiszplin
Alltags-, Heil-,
Sozial-pädagogik,
evtl.
Psychotherapie,
Psychiatrie
Verhaltensphänotypen
Definition
Wahrnehmung
Außen/Innensicht
…
Andauerndes
Wahrscheinlichkeit kontextunabhängi
des Auftreten
ges Verhalten
spezifischer
„Ich kann nicht
Verhaltensweisen anders!“
bei genetisch
definierten
Syndromen
Ziele/
Methoden
Fachdiszplin
Akzeptierender/Ve Alltags-, Heil-,
rstehender
Sonder-pädagogik,
Umgang,
evtl. Psychiatrie
Neulernen
Genetische Syndrome mit phänotypischen
Verhaltensmustern
• Angelman
• Rett
• Lesch-Nyhan
• Cri-du-Chat
• Cornelia-de-Lange
• Sotos
• Williams-Beuren
• ……………………………….
Prader-Willi-Syndrom
• Entwicklung im Kindesund Jugendalter
– Adipositas
– Kleinwuchs
– Akromikrie
• Verhaltensprobleme
– Stimmungsschwankungen
– Auto- Aggressivität
– Intelligenzminderung
Fragiles-X Syndrom
• Somatische Merkmale
– große abstehende Ohren,
– ein langes schmales
Gesicht,
– eine hohe Stirn,
– ein vorspringendes eckiges
Kinn,
– ein hoher Gaumen,
– ein Mitralklappenprolaps,
– Sehstörungen
– oder eine Makroorchidie.
• Syndromspezifisches
Verhalten
– Verzögerte
Sprachentwicklung
– Kommunikative Störungen
– Impulsivität
– Hyperaktivität
– Soziale Scheu
– Pragmatische Störungen
– Irritabilität
– Hypersensitivität
– Stereotypien
– Selbstverletzung
Problemverhalten
Definition
… intensiv, nicht
erträglich,
andauernd,
umfassend und
tiefgreifend ,
situationsübergreifend,
massiv teilhabebeeinträchtigend
Wahrnehmung
Ziele/
Außen-/Innensicht
Methoden
Beeinträchtigung Multimodale
der Lebensqualität Therapie,
Integrative
und der
Funktionsfähigkeit; Behandlung
Grenzenlosigkeit
„Ich mache mich
und andere
kaputt!“
„Ich mache, was
ich will!“
Fachdiszplin
Heil-,
Sozialpädagogik,
Psychotherapie,
Psychiatrie
Psychische Störungen
Definition
Wahrnehmung
Ziele/
Außen-/Innensicht
Methoden
… in den
Beeinträchtigung Erlernen „neuer“
Klassifikationsder psychosozialen und alternativer
systemen
Funktionsfähigkeit, Denk- und
definierte
geringe subjektive HandlungsStörungsbilder mit Kontrolle
konzepte;
mehr oder weniger „Ich kann/schaffe Multimodale
es nicht!“
(„störungsumfassender
„Mir geht‘s nicht spezifische“)
FunktionsTherapie
beeinträchtigung gut!“
und Kontrollverlust
verbunden mit
subjektivem Leiden
Fachdiszplin
Psychiatrie,
Psychotherapie,
Heil-,
Sozialpädagogik
Somatische Diagnostik
•
•
•
•
•
Klinische Anamnese
Familienanamnese mit Stammbaum
Dysmorphologische Untersuchung
Neurologische Untersuchung
Chromosomenanalyse
– Mikro-Arrays: CNVs (Copy number variants)/FISH
(Fluoreszenz in-situ Hybridisation)
– Molekulargenetik (Fragiles X-Syndrom oder andere
Syndrome)
• Bildgebung (MRT/CT); EEG
Psychologisch-psychometrische Untersuchung
•
•
•
•
•
•
Kognitive Funktionen
Kommunikation
Ressourcen
praktische und soziale Kompetenzen
Störungen von Verhalten und Emotionen
spezifische psychiatrische Diagnostik
Anforderungen an das therapeutische Arbeiten mit
geistig behinderten Kindern und Jugendlichen
• Interventionen orientieren sich nicht am biologischen, sondern am
Entwicklungsalter.
• (Weitgehender) Verzicht von kognitiven Anteilen zugunsten von
vielfältigen Materialien und erhöhtem Maß an Partizipation.
• Förderung der praktischen Umsetzung von Erlerntem durch
Vorbereitung der Umgebung und Ritualisierungen.
• Höchstmögliche Verzahnung von Intervention und Alltag.
• Direktiv-stützendes und verstärkendes Therapeutenverhalten
• Hennicke 2004
Störungsspezifische Behandlung
• Ambulante, teil- oder vollstationäre Behandlung
• Individuelle spezifische Therapie unter Einbeziehung
des Umfeldes
• Verhaltensprogramme, mannigfache weitere
Therapien, Hilfen und Unterstützungsmaßnahmen
(SGB V, VIII ….)
• Ggf. unterstützende Pharmakotherapie
Stellenwert der Psychopharmakotherapie bei
Patienten mit mentaler Retardierung
• Prävalenzraten Jugendliche
– in Institutionen
20 – 50%
– in Familien
25 – 35%
• Prävalenzraten Kinder (bis 10 Jahre)
–?
• Häufigste verordnete Medikamentengruppe: niederpotente
Neuroleptika
Dr. Martin Menzel
Mariaberg
Standards der psychiatrischen
Pharmakotherapie
• 1. Vorliegen einer psychiatrischen Indikation als Ergebnis einer
differenzierten Diagnostik
– Psychiatrisches Störungsbild
– definierte Verhaltensauffälligkeit
• 2. Vorliegen der allgemeinen Indikationsvoraussetzungen
– Schweregrad der Symptomatik
– Beeinträchtigung im Erleben und Empfinden
– Beeinträchtigung der Lebensqualität Einschränkungen der
sozial-adaptiven Fähigkeiten und der sozialen Integration
Standards der psychiatrischen
Pharmakotherapie
• 3. Psychopharmaka sind nicht die alleinige Therapie, sondern
müssen eingebettet sein in ein multimodales
Behandlungskonzept (Gesamtbehandlungsplan)
• 4. Psychopharmaka sind selten die primäre Therapieform
• 5. Psychopharmaka sind immer eine individualisierte
Therapieform (Austitrieren der optimalen effektiven Dosis;
„Start slow, go slow“)
• 6. Notwendigkeit regelmäßiger medizinisch-psychiatrischer
Kontrollen
• 7. Notwendigkeit der Evaluation des Therapieeffektes.
Ausblick
• Psychische Störungen treten bei Menschen mit
Behinderungen häufig auf und bedürfen der
psychiatrischen Behandlung.
• Noch häufiger treten Verhaltensprobleme auf, die
nicht primär pharmakotherapeutisch behandelt
werden sollten.
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