Streit auf hohem Plateau

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2 4 . J A N U A R 2 0 13
S. 29
DIE ZEIT
Nr. 5
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WISSEN 29
D I E Z E I T No 5
Streit auf hohem Plateau
Der Anstieg der Erderwärmung scheint langsamer zu verlaufen, als die Klimamodelle prognostiziert haben. Wo liegt der Fehler?
VON ADRIAN MEYER
vom Weltklimarat
prognostizierter
Temperaturanstieg
0,8
derzeitiges
Temperaturplateau
0,6
Die globale Klimakurve
0,4
Der langfristige Trend geht nach oben. Derzeit scheint
die Erderwärmung aber zu stagnieren. Die Kurve zeigt die Abweichung
von der Durchschnittstemperatur zwischen 1951 und 1980
0,2
0 ˚C
0
– 0,2
– 0,2
– 0,4
– 0,4
1880
1890
1900
1910
1920
1930
1940
1950
1960
1970
1980
1990
2000
2010
2015
Hitzewelle in Australien: Der berühmte Kakadu-Nationalpark brennt
teigen sie oder steigen sie nicht?
Nehmen die Temperaturen nun
weltweit zu, oder stagniert die Erderwärmung? Legt der Klimawandel
gar »eine Pause ein«, wie in den vergangenen Wochen hie und da zu
lesen war? Seitdem ein Entwurf des
kommenden Berichts des Weltklimarats (IPCC)
im Internet zirkuliert, ist diese Frage Gegenstand
hitziger Debatten. Denn aller Forschung zum
Trotz ist das Klimageschehen ähnlich unvorhersehbar wie das Schicksal der FDP.
Rätsel gibt vor allem das Phänomen des »Temperaturplateaus« auf: Seit Beginn des neuen Jahrtausends hat sich der Anstieg der weltweiten Oberflächentemperatur verlangsamt. Zwar war das
vergangene Jahrzehnt laut Nasa das wärmste seit
Beginn der Messungen, doch die Temperatur
scheint auf hohem Niveau zu stagnieren – im Gegensatz zu den Prognosen der Klimamodelle, die
sowohl einen kontinuierlichen Anstieg der CO₂Konzentration als auch einen ungebrochenen Erwärmungstrend errechnet hatten.
Das sei der Beweis, jubilieren Klimaskeptiker,
dass die Modelle des IPCC fehlerhaft seien. Nicht
der Mensch, sondern natürliche Klimaschwankungen seien verantwortlich für den Temperaturanstieg der vergangenen Jahrzehnte. Einige prognostizieren bereits eine bevorstehende Abkühlung.
Dem widerspricht Jochem Marotzke vehement.
»Wir sind uns völlig sicher, dass es am Ende des
21. Jahrhunderts wärmer sein wird als heute«, sagt
der Direktor des Max-Planck-Instituts für Meteorologie in Hamburg, einer der Autoren des neuen
IPCC-Berichts. »Doch der Weg dorthin ist nicht
einfach eine gerade Linie, die der CO₂-Konzentration folgt.« Tatsächlich kämen solche Temperaturplateaus auch in den Klimamodellen vor; nur
sei ihr exaktes Auftreten schwer vorherzusagen.
S
Zur Entstehung solcher Stagnationsphasen tragen nämlich nicht nur externe Faktoren wie Vulkanausbrüche bei, sondern auch chaotische
Schwankungen in der Atmosphäre und den Ozeanen. Klimaforscher vermuten, dass diese natürlichen Schwankungen seit der Jahrtausendwende
die globale Erwärmungsrate von 0,2 Grad Celsius
pro Jahrzehnt überlagern und sich damit gerade
die Waage halten. Die bekanntesten dieser Schwankungen sind die sogenannten La-Niña- und
El-Niño-Ereignisse, dazu kommen längerfristige
Strömungsschwankungen in den Ozeanen, die
teilweise für mehrere Jahrzehnte unterschiedliche
Temperaturen an der Meeresoberfläche erzeugen,
was auch die Atmosphärentemperatur beeinflusst.
Doch was ist nun der exakte Grund für den verlangsamten Temperaturanstieg? »Genau wissen wir
das nicht«, gibt Jochem Marotzke zu. Auch die
Frage, wie lange das Plateau bestehen bleibt und was
danach passieren wird, kann die Forschung derzeit
nicht beantworten. Allgemein vermutet man, dass
sich die Erwärmung dann wieder beschleunigt. Dass
die Oberflächentemperatur zurzeit stagniere, bedeute jedenfalls nicht, dass die Erderwärmung eine
Pause mache, sagt Marotzke. Im Gegenteil: Die
Erwärmung finde anderswo statt – im Ozean.
Denn die Weltmeere sind der einzige Teil des
Klimasystems, der eine ausreichende Kapazität
hat, um viel Wärme aufzunehmen. Rund 90 Prozent aller Energie, die wegen der Treibhausgase in
der Atmosphäre nicht wieder ins All zurückstrahlt,
wird durch die Ozeane aufgenommen. Wie das
theoretisch funktioniert, hat vor zwei Jahren die
Modellstudie amerikanischer Klimaforscher um
Gerald Meehl gezeigt. Ihre Computersimulationen
ergaben, dass das gesamte Klimasystem immer
gleich viel Wärme aufnimmt – dabei steigt entweder die Oberflächentemperatur an, oder es heizen sich die tieferen Schichten der Ozeane auf.
Allerdings können die Klimaforscher nicht genau sagen, wo die Wärme tatsächlich bleibt. »Das
Messsystem ist dazu letztlich nicht gut genug«, sagt
Marotzke. Denn erst seit wenigen Jahren sind im
Rahmen des globalen Ozeanbeobachtungssystems
(GOOS) rund 3000 Messbojen im Einsatz, die in
tiefere Ozeanschichten ab- und eigenständig wieder auftauchen können – allerdings nur bis zu einer Tiefe von rund 2000 Metern. Damit lässt sich
nicht beweisen, ob und wo sich der tiefe Ozean
derzeit stark erwärmt. Als plausible Kandidaten
gelten der Pazifik und der Südliche Ozean, weil
Gletscherschmelze
Um 30 bis 50 Prozent
seien die Gletscher im tropischen Teil
der Anden seit den 1970er Jahren
geschrumpft, hat ein internationales
Forscherteam aktuell aus Südamerika
berichtet. Der Rückgang sei »beispiellos in den vergangenen 300 Jahren«.
Das fügt sich ins allgemeine Bild.
Um 0,8 Grad Celsius
ist die globale Durchschnittstemperatur seit Ende des 19. Jahrhunderts
gestiegen, allein seit 1970 um 0,5
Grad. Das arktische Eis schrumpft im
Rekordtempo, die Meeresspiegel steigen. Angesichts dieser langfristigen
Trends fallen kurzfristige Temperaturschwankungen kaum ins Gewicht.
gen der Skeptiker anhören« müsse. Die Klimawissenschaft dürfe weder der Öffentlichkeit eine bestimmte Politik vorschreiben – noch dürfe die Öffentlichkeit von der Klimaforschung endgültige
Wahrheiten verlangen, aus denen »unmittelbar
und eindeutig« eine Politik folge.
Wie schnell es zu Missverständnissen kommen
kann, hat Mojib Latif 2008 selbst erlebt. Damals
veröffentlichte er mit anderen Forschern eine Studie, in der erstmals die mögliche Temperaturentwicklung bis 2025 untersucht wurde – ein neues
Forschungsfeld mit experimentellem Charakter.
Dabei prognostizierten die Modelle eine Stagnation der durchschnittlichen Temperatur von 2005
bis etwa 2015. »Die Skeptiker haben gejubelt:
Endlich haben wir einen bekehrt«, sagt Latif. Dabei unterschieden sich solche kurzfristigen Vorhersagen fundamental von den längerfristigen Szenarien: Kurzfristig spiele der menschliche Einfluss
kaum eine Rolle, für den längerfristigen Trend
hingegen seien die natürlichen Schwankungen
praktisch bedeutungslos. »Das aber werfen Skeptiker alles in einen Topf.«
Die Debatte über das derzeitige Temperaturplateau hält Latif für überbewertet und verfehlt.
»Wir haben bereits heute eine CO₂-Konzentration
in der Atmosphäre, die es seit fast einer Million
Jahren nicht mehr gab.« Allein deswegen müssten
die Alarmglocken schrillen. Gern zitiert Latif dazu
den Klimatologen Roger Revelle, der schon 1957
erkannte: »Die Menschen führen momentan ein
großangelegtes geophysikalisches Experiment aus,
das so weder in der Vergangenheit hätte passieren
können, noch in der Zukunft wiederholt werden
kann.« Dieses Experiment werde noch viele Jahrzehnte dauern, sagt Latif. Wer heute auf endgültige Ergebnisse poche, der habe weder verstanden,
wie komplex das Klimageschehen sei, noch, wie
die Wissenschaft arbeite.
diese besonders effiziente Mechanismen haben,
Wärme in große Tiefen zu verfrachten.
Einige Wissenschaftler haben noch andere Vermutungen für die Entstehung des Plateaus: So
könnte dafür etwa ein kühlender Effekt durch die
Luftverschmutzung in asiatischen Industrieländern verantwortlich sein. Auch über eine verminderte Wasserdampfkonzentration in der Stratosphäre wird spekuliert, womit ebenfalls weniger
Wärme auf die Erdoberfläche reflektiert würde.
Wieso aber wird das Temperaturplateau nicht
von den Modellen im fünften IPCC-Bericht erfasst? »Man kann von diesen langfristigen Klimamodellen nicht erwarten, solche kurzfristigen Plateaus zum richtigen Zeitpunkt vorherzusagen«,
sagt Marotzke. Man verwerfe ja auch keine Wettermodelle, nur weil sie das Wetter in einem Jahr
nicht genau vorhersagen.
Während der Treibhauseffekt schon seit Jahrzehnten erforscht wird, bestehen bei den natürlichen Klimaschwankungen eben noch viele Ungewissheiten. Den Vorwurf allerdings, man habe
diese Schwankungen vernachlässigt, will der Klimaforscher Mojib Latif vom Helmholtz-Zentrum
für Ozeanforschung in Kiel nicht auf seiner Zunft
sitzen lassen. Er selbst verwende seit drei Jahrzehnten 90 Prozent seiner Zeit auf die Berechnung der
natürlichen Schwankungen. Allerdings habe man
unterschätzt, räumt Latif ein, »wie wichtig es ist,
die Bedeutung der natürlichen Klimaschwankungen richtig zu kommunizieren«. Oft habe die Wissenschaft zu sehr vereinfacht und Grafiken zu stark
auf den Mittelwert reduziert. Deshalb hätten viele
den Eindruck bekommen, das Klima verlaufe immerzu linear – und staunten nun, dass die Wirklichkeit dem nicht entspreche.
Um solche Missverständnisse zu vermeiden,
fordert der Klimaforscher Hans von Storch schon
lange, dass man »Offenheit herstellen und die Fra-
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DZ05/2013
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