Heiße Weihnachten (erschienen in der Zeitschrift „profil“, Ausgabe 51-52/2006) Das Wetter spielt verrückt, und der Mensch kann sich nicht länger aus der Verantwortung stehlen. Robert Buchacher über die jüngsten Forschungsergebnisse zum globalen Klimawandel. Die Evidenz ist erdrückend: Auf „das wärmste Jahrzehnt der vergangenen 1000 Jahre“, wie Klimaforscher die neunziger Jahre apostrophieren, folgten zu Beginn des neuen Jahrtausends tropische Sommer, die von Dürren genauso geprägt waren wie von extremen Niederschlägen und Überschwemmungen. Nun wird das Jahr 2006 einen neuen Wärmerekord markieren mit dem wärmsten Herbst seit Beginn regelmäßiger meteorologischer Aufzeichnungen. Bis tief in den November tummelten sich Gäste in den Schanigärten, als wären sie in Rom und nicht in der Wiener Innenstadt. Während begeisterte Urbanisten bereits von Palmen im Alpenraum träumten, beteten Gemeinden, Hoteliers und Liftbetreiber in den Wintersportregionen, dass ein Wetterumschwung, wenn schon keinen Schnee, so doch wenigstens Temperaturen bringen möge, die den Einsatz von Schneekanonen ermöglichen. Während in weiten Teilen Mittel- und Nordeuropas mediterrane Temperaturen herrschten, versank der amerikanische Mittelwesten wiederum in einem Schneechaos, das mehr als ein Dutzend Todesopfer forderte und vielerorts den Zusammenbruch von Stromversorgung und Verkehr zur Folge hatte. Das Klima spielt verrückt, daran besteht mittlerweile kein Zweifel mehr. Doch wie sicher ist es, dass die immer deutlicher zu beobachtende Erderwärmung tatsächlich vom Menschen verursacht wird? Wie gefährlich kann uns dieser Trend werden? Können wir ihn noch aufhalten - und wenn ja: zu welchen Kosten? Für die steigenden Temperaturen wird vor allem das Treibhausgas Kohlendioxid (CO 2) verantwortlich gemacht, das mit der Verbrennung fossiler Energieträger massenhaft in die Atmosphäre geblasen wird. Zwar beträgt der CO 2-Anteil in der Atmosphäre nur etwa 0,03 Prozent, doch das Gas bildet zusammen mit Wasserdampf, Methan und 30 anderen Treibhausgasen eine Glocke, die verhindert, dass ein genügend großer Teil der auf den Globus treffenden Sonnenenergie wieder in den Weltraum abgestrahlt wird. Dadurch heizt sich die Erde weiter auf. Klimaschwankungen gab es allerdings auch früher schon. Über lange Zeiträume ihrer Geschichte war die Erde deutlich wärmer oder deutlich kälter als heute. Erst vor 10.000 Jahren setzte jene stabile Klimaentwicklung ein, der die Menschheit letztlich ihre Existenz verdankt. Die Baumgrenze etwa lag vor 8000 bis 9000 Jahren um 200 Meter höher als heute. Eine Warmphase, ähnlich wie heute, gab es auch im Mittelalter. Umso wichtiger ist es, zwischen natürlichen und nicht mehr natürlichen Klimaschwankungen zu unterscheiden. Eine internationale Gruppe von europäischen Klimaforschern, darunter sehr renommierte Arbeitsgruppen der University of East Anglia, der Universitäten Heidelberg und Zürich, widmeten sich in den vergangenen drei Jahren der präzisen Erforschung der alpinen Klimageschichte. Im Rahmen des von der EU geförderten und von Reinhard Böhm, Klimaforscher an der Wiener Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik, koordinierten Projekts mit der Bezeichnung ALP-IMP sollte das Klimageschehen der vergangenen 1250 Jahre rekonstruiert werden. Zu diesem Zweck bedienten sich die Forscher aller verfügbaren Materialien - Messreihen, Modellrechnungen und Proxidaten (indirekt gewonnene Daten) -, um aus verschiedenen Blickwinkeln zu möglichst verlässlichen Aussagen zu kommen. Forscher der Universität Innsbruck und der Wiener Universität für Bodenkultur steuerten beispielsweise ihr Wissen über Baumringanalysen bei. Auf diese Weise wurde ein Datenkompendium erarbeitet, das ein recht präzises Bild der alpinen Klimaentwicklung von der Mitte des 8. Jahrhunderts bis heute liefert. Demnach gab es im 10. und 12. Jahrhundert tatsächlich Warmzeiten. Danach sank die Temperatur langsam ab, stärker dann nochmals gegen Ende des 16. Jahrhunderts, dem ersten Höhepunkt der so genannten Kleinen Eiszeit. Einen zweiten Höhepunkt dieser Kaltphase gab es im Jahr 1850. Die alpinen Gletscher erreichten ihre größte Ausdehnung in den Jahren 1620 und 1850. Im Jahr 2001 berichtete ein internationales Forscherteam im Wissenschaftsmagazin „Science“, dass sich die mittelalterliche Warmzeit und die spätere Kleine Eiszeit mit Abweichungen in der Sonnenaktivität synchronisieren lassen. Analysen von Eisbohrkernen hatten für diese Perioden unterschiedliche Konzentrationen des Beryllium-10-Isotops ergeben. Beryllium 10 entsteht, wenn energiereiche Teilchen der kosmischen Strahlung in der Erdatmosphäre Sauerstoff- und Stickstoffatome spalten. Das bei hoher Sonnenaktivität stärkere Magnetfeld unseres Zentralgestirns schirmt einen Teil der kosmischen Strahlung von der Erde ab. Laut Klimaforscher Reinhard Böhm kam es nach dem Ende der Kleinen Eiszeit im ausgehenden 19. Jahrhundert zu einer allmählichen Erwärmung, die sich noch bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts zu einem erheblichen Teil auf verstärkte Sonnenaktivität zurückführen lässt. Die Datenlage des ALP-IMP-Projekts zeigt, dass durch die verstärkte Verbrennung fossiler Energieträger der Mensch als Klimamacher ins Spiel kommt. Allerdings fand diese Aktivität zunächst noch keinen Niederschlag in höheren Temperaturen, einfach deshalb, weil die Wirkung des vermehrt in die Luft geblasenen Treibhausgases Kohlendioxid durch eine andere Wirkung überlagert wurde. In der Phase des Wirtschaftsaufschwungs nach dem Zweiten Weltkrieg wurden große Mengen Schwefel, Schwefeldioxid und diverse Aerosole, etwa Staubpartikel, in die Atmosphäre abgesetzt. Diese Schwebstoffe bildeten eine Schicht, an der die auf die Erdatmosphäre auftreffenden Sonnenstrahlen teilweise wieder in den Weltraum zurückgeworfen wurden. Dieser Effekt hob die gegenteilige Wirkung des CO2 wieder auf. Dadurch kam es zu einer verhältnismäßig kühlen Phase bis etwa Ende der siebziger Jahre. Im Jahr 1975 warnte das US-Nachrichtenmagazin „Newsweek“ in einer Titelgeschichte gar vor der „Globalen Abkühlung“, verbunden mit drastischer Abnahme der Nahrungsmittelproduktion und politischen Implikationen, die nahezu jede Nation der Welt treffen würden. Doch schon in den achtziger Jahren wandte sich das Blatt. Mit dem Aufkommen des Umweltschutzes, den Warnungen vor dem „sauren Regen“ und dem dadurch ausgelösten „Waldsterben“ wurden in vielen Industrieländern Luftreinhaltemaßnahmen propagiert. Durch entsprechende, in Kraftwerken und Fabriken eingerichtete Rauchgaswäschen ließen sich nun Schwefel- und Staubpartikel aus den Abgasen abscheiden, was zu einer Reduktion des Schwefel- und Staubanteils in der Atmosphäre und schließlich auch zu einer Erholung der Wälder führte. Dadurch konnte das in der Atmosphäre angesammelte Treibhausgas CO2 nun jedoch ungehindert seine Wirkung entfalten, was sich nach wenigen Jahren in auffallend steigenden Temperaturen zeigte. Und während sich die im Rahmen des ALPIMP-Projekts für den Zeitraum 750 bis 1950 aufgezeigten Klimaschwankungen noch auf Änderungen des Erdachsenwinkels, der Distanz zwischen Sonne und Erde, der Sonnenaktivität oder der Meeresströmungen zurückführen ließen, war die neue Entwicklung dadurch allein nicht mehr erklärbar. Denn nun verließen die steigenden Temperaturen die natürliche Schwankungsbreite. Der am 30. Oktober veröffentlichte Stern-Report, herausgegeben vom ehemaligen Chefökonomen der Weltbank und heutigen Leiter des volkswirtschaftlichen Dienstes der britischen Regierung, Nicholas Stern, stellt fest, dass durch die Verbrennung fossiler Energieträger die Konzentration des Treibhausgases Kohlendioxid in der Atmosphäre von 280 ppm Kohlenstoffäquivalenten in vorindustrieller Zeit auf heute 380 ppm gestiegen ist. Eine derartige Konzentration hat es in den vergangenen 500 Millionen Jahren nicht gegeben. Der dadurch verursachte Klimawandel stelle eine ernsthafte Bedrohung für das Leben auf dem Planeten dar, eine dringende globale Antwort sei geboten, so Stern in seinem Resümee. Noch sei dafür Zeit, sofern man rasch und entschieden handle. Die dafür erforderlichen Mittel würden sich mit einem Prozent des jährlichen globalen Bruttosozialprodukts noch in einem vertretbaren Rahmen bewegen. Falls jedoch keine geeigneten Maßnahmen ergriffen würden, so der Bericht, könnten die dadurch eintretenden Schäden und wirtschaftlichen Einbußen bis auf 20 Prozent des globalen Bruttosozialprodukts steigen. Das klingt ebenso beunruhigend wie die Tatsache, dass China im Begriff ist, die USA, den größten Treibhausgasemittenten der Welt, zumindest in diesem Bereich einzuholen. Und nicht weit dahinter folgt Indien. Die Entwicklungs- und Schwellenländer wollen so lange nichts gegen die Erderwärmung unternehmen, solange dies nicht auch jene tun, die sie ursprünglich herbeigeführt haben - in erster Linie die USA. Dort immerhin scheint ein Umdenken einzusetzen. Zwar nennt James Inhofe, Vorsitzender des Umweltausschusses im US-Senat, die „angeblich“ vom Menschen verursachte Erderwärmung den „größten je am amerikanischen Volk begangenen Schwindel“, doch die Untätigkeit der Bush-Regierung kontrastiert mit gegenläufigen Aktivitäten auf rangniedrigerem politischem Level. Eine vom Bürgermeister von Seattle gestartete Initiative zur Einhaltung der im Kioto-Protokoll festgelegten Klimaschutzziele wird mittlerweile von 279 amerikanischen Städten unterstützt. Sieben Bundesstaaten im Nordosten der USA haben ein regionales Programm zur Eindämmung der Treibhausgasemissionen beschlossen, und sieben Gouverneure westlicher Bundesstaaten agitieren dafür, dass die Bush-Administration endlich handelt. Arnold Schwarzenegger, nicht nur Lenker eines übergroßen Geländewagens der Marke Hummer, sondern laut dem britischen Magazin „The Economist“ mittlerweile „der grünste Politiker der Welt“, dürfte seinen im Herbst geführten Gouverneurswahlkampf in Kalifornien nicht zuletzt mit Umweltschutzparolen zur Eindämmung der Treibhausgase gewonnen haben. Kalifornien, immer schon ein Trendsetter innerhalb der USA, hat als erster US-Bundesstaat eine Senkung der Treibhausgasemissionen um 25 Prozent bis zum Jahr 2020 beschlossen. Entgegen der Meinung vieler seiner republikanischen Parteifreunde verkündete der Terminator der Treibhausgase: „Wir kennen die Forschungsergebnisse und die Bedrohung. Und wir wissen, es ist jetzt Zeit für Action.“ Fragen zum Artikel 1. 2. 3. 4. 5. 6. Welches Gas ist hauptverantwortlich für den zunehmenden Treibhauseffekt? Wodurch entsteht es? Beschreibe kurz, mit welchen Mitteln Wissenschaftler die Klimaschwankungen vergangener Jahrhunderte erforschen! Welches Forschungsergebnis legt den Schluss nahe, dass der Mensch das Klima beeinflusst? Wieso konnte man erst ab den 80er-Jahren eine globale Erwärmung feststellen? Schlag nach, was man unter dem „Kioto-Protokoll“ versteht! Informiere dich über die Einstellung und momentanen Aktivitäten Österreichs/Europas zum Thema „CO 2Reduktion“.