Entropie – was ist das? 1. Reversible und irreversible Vorgänge Ein zentrales Anliegen in der Physik besteht darin, die Vorgänge in der Natur nicht kompliziert, sondern möglichst einfach zu beschrei­ ben. Bevor man also einen neuen Begriff wie den der Entropie ein­ führt, muss man sich fragen: Ist das überhaupt nötig? Um zu zeigen, dass die bisher verwendeten Begriffe nicht ausreichen, um einen entscheidenden Aspekt des Naturgeschehens, die zeitliche Ausrich­ tung, zu beschreiben, betrachten wir folgende zwei Beispiele: Das große Pendel im Turm des Deutschen Museums in München. B 1 Filmt man das Pendel im Turm des Deutschen Museums in München ‹ B 1 einige Minuten lang, so kann man bei einer Vorführung nicht erkennen, ob der Film vorwärts oder rückwärts läuft. Derartige zeit­ lich umkehrbare Vorgänge nennt man reversibel. Gibt man anderer­ seits etwas Kaliumpermanganat in ein Glas Wasser, so verteilt es sich im Laufe der Zeit gleichmäßig im Wasser ‹ B 2 ; der Umkehrvor­ gang wird in der Natur nicht beobachtet. Man bezeichnet derartige Vorgänge ohne Wiederkehr als irreversibel. Streng genommen ist die Pendelbewegung in ‹ B 1 nicht reversibel: aufgrund der Luftreibung wird es nach einiger Zeit stehen bleiben und seine mechanische Energie in Form von Wärme an die umgeben­ de Luft abgegeben haben. Gibt es in der Natur überhaupt reversible Vorgänge? Sind z. B. die Umläufe der Planeten um die Sonne streng periodisch und damit reversibel? Genau betrachtet nein, denn auch das Sonnensystem wird in ferner Zukunft ein Ende finden. Offen­ sichtlich handelt es sich bei reversiblen Vorgängen immer um ideali­ sierte, in der Natur tatsächlich nicht vorkommende Grenzfälle. Die schwächer oder stärker ausgeprägte zeitliche Richtung von Vor­ gängen physikalisch zu beschreiben stellt somit nicht nur ein Spezial­ problem, sondern ein zentrales Anliegen in der Physik dar. Ein Kriställchen aus Kaliumpermanganat löst sich „von selbst“ in Wasser und färbt es nach einiger Zeit gleichmäßig lila. B 2 Während sich das Wasser in ‹ B 2 einfärbt, ändern sich weder Tem­ peratur noch Druck oder andere bekannte Messgrößen. Der Vorgang lässt sich somit mit unseren bisherigen Mitteln nicht beschreiben. Natürlich bleibt die Energie auch bei diesem irreversiblen Vorgang erhalten. Der Energiesatz würde es also nicht verbieten, dass sich das Kaliumpermanganat wieder an einer Stelle im Wasser konzent­ riert. Die Irreversibilität kann somit durch den Energiebegriff nicht erfasst werden, wir benötigen einen neuen Begriff. 2. Der Begriff der Entropie und der 2. Hauptsatz Betrachten wir nochmals das Pendel im Turm ‹ B 1 : Für seine un­ merkliche Abbremsung verantwortlich ist die umgebende Luft; die Mauern besitzen jedoch für sein Verhalten keine Bedeutung. Wir fassen daher das Pendel und die Luft zu einem System zusammen. Falls der Austausch von Wärme zwischen der Luft und den Mauern vernachlässigt werden kann, sprechen wir von einem abgeschlosse­ nen System. Entsprechend besteht das System in ‹ B 2 aus Wasser und Kaliumpermanganat. Rudolf C lausius (1822 – 1888) prägte 1865 das Wort „Entropie“. B 3 342 Entropie Entropie – was ist das? Die Entropie (gr.: das „Gerichtetsein“) soll nun allgemein zwischen reversiblen und irreversiblen Vorgängen unterscheiden. Nach der Fest­ legung von R. C lausius ‹ B 3 soll sie z. B. beim ersten System, dem praktisch reversibel schwingenden Pendel in Luft, zeitlich konstant bleiben, beim zweiten System, dem irreversibel diffun­ dierenden Kaliumpermangat in Wasser, jedoch anwachsen. Ein „ver­ botener“ Vorgang wie die spontane Entmischung wäre dadurch „ge­ brandmarkt“, dass bei ihm die Entropie abnehmen würde. Diese zentrale Festlegung des Entropiebegriffs wird in der Thermo­ dynamik als zweiter Hauptsatz bezeichnet. Merksatz Vorgänge, die in der Natur stets nur in einer bestimmten zeitlichen Abfolge ablaufen, nennt man irreversibel. Reversible Vorgänge gibt es in der Natur nur als idealisierte Grenzfälle. Die Entropie eines thermisch abgeschlossenen Systems soll bei reversiblen Vorgängen konstant bleiben, bei irreversiblen dagegen anwachsen. Diese Festle­ gung nennt man den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik. n 3. Entropie als thermodynamische Zustandsgröße Das große Schwungrad in Garching bei München dient als Zwischenspeicher für Ener­ gie. Ein Elektromotor beschleunigt es langsam, anschließend wird seine Bewegungsenergie möglichst schlagartig an einen Generator ab­ gegeben, um kurzzeitig sehr viel elektrische Energie bereitzustellen. B 4 Beim Beschleunigen und Abbremsen des großen Schwungrads in Garching ‹ B 4 wird fast nur Bewegungsenergie aufgenommen und abgegeben; der Vorgang ist im Prinzip reversibel und das System, bestehend aus Elektromotor, Schwungrad und Generator besitzt so­ mit konstante Entropie. Allgemein ist mit mechanischer Arbeit keine Entropieänderung verknüpft. Kommt dagegen Reibung ins Spiel, so erhöht sich – in ‹ B 4 z. B. im Achslager – die innere Energie und die Temperatur. Dieser Vorgang ist irreversibel, denn das Achslager gibt seine erhöhte innere Energie niemals vollständig an den Gene­ rator weiter. Die Entropie des Systems nimmt daher zu. Hängt die Entropie nur von der Temperatur ab? Wir betrachten hier­ zu nochmals ‹ B 1 und ‹ B 2 : • Es kommt nicht vor, dass die Luft in ‹ B 1 sich abkühlt und ihre Energie an das Pendel in ‹ B 1 zurück gibt, vielmehr erhöht sich ihre Temperatur irreversibel, also mit Entropiewachstum. • Das Kaliumpermanganat in ‹ B 2 zieht sich nicht „freiwillig“ auf ein Teilvolumen im Wasser zurück; analog verteilt sich auch ein Gas gleichmäßig im Raum und kehrt nicht in sein Anfangs­ volumen zurück. Man muss somit nicht nur die Temperatur, sondern auch das Volumen messen, um die Entropie zu berechnen ‹ B 5 . Reine Gase sind durch wenige Messgrößen beschreibbar, wie z. B. durch das Volumen, den Druck und die Temperatur. Kennt man alle diese Größen, so sagt man, man kenne den Zustand des Gases. Beim idealen Gas genügt es so­ gar, neben der Molzahl nur Volumen und Temperatur zu bestimmen. Um die obigen Erfahrungen quantitativ zu erfassen, ordnet man nun jedem Zustand eines Gases einen bestimmten Wert der Entropie zu und nennt die Entropie daher eine Zustandsgröße des Systems. Merksatz Jedem Zustand eines Systems ist ein bestimmter Wert der Entropie zugeordnet. Bei allen Stoffen wächst die Entropie mit der Temperatur, bei Gasen zusätzlich mit dem „eroberten“ Volumen. Mechanische n Arbeit am System ändert seine Entropie dagegen nicht. Entropiewachstum eines Gases. Den Gas­ zuständen mit kleinem Volumen und niedri­ ger Temperatur ist eine kleine Entropie zuge­ ordnet, den Zuständen mit großem Volumen und hoher Temperatur eine große Entropie. B 5 Sind die folgenden Vorgänge reversibel oder irreversibel? a)Eine Stahlkugel fällt in einer luftleeren Glas­ röhre nach unten. b)Ein Auto bremst ab vor einer roten Ampel c) Ein ideales Gas wird in einem Kolben rasch zusammengepresst und erhitzt sich dabei. d)Das Wasser in einer offenen Schale in einem Zimmer verdunstet. e) Heißes Wasser vermischt sich mit kaltem. f) Eine Feuerwerksrakete wird gezündet. A 1 Entropie – was ist das? Entropie 343 Entropie beim idealen Gas 1. Entropie – eine Messgröße? Von Albert E instein stammt der Satz „Zeit ist das, was die Uhr an­ zeigt“ ‹ B 1 ; entsprechend kann man die Bedeutung der meisten anderen Größen in der Physik als Messgrößen einfach verstehen: z. B. ist Temperatur eben das, was das (Gas-)Thermometer anzeigt. Anders verhält es sich jedoch beim Energiebegriff. Hier existiert kein einzelnes, definierendes Messverfahren; die Energie eines abge­ schlossenen Systems muss mathematisch aufgrund gültiger Formeln aus bekannten Messgrößen berechnet werden. Genauso verhält es sich auch mit der Entropie. Wie im vorangehenden Abschnitt erläutert, kann die Entropie nämlich thermisch anwachsen oder auch durch Expansion, z. B. aufgrund von Diffusion, ohne Temperatur­änderung. So wie man zwischen verschiedenen Energieformen unter­scheidet, kann man auch die Entropie in unterschiedliche Anteile aufspalten. „Zeit ist das, was die Uhr anzeigt“ (Albert Einstein); Entropie lässt sich jedoch nicht durch ein einziges Messverfahren definieren. B 1 Wenn wir uns über den Entropiebegriff verständigen wollen, bleibt uns nur der Weg über die Mathematik. Dieser Weg wurde in den vergangenen 150 Jahren in vielen Einzelschritten zurückgelegt, um zu tragfähigen Formeln für die Entropie verschiedener Systeme zu gelangen. Wir werden dies hier nicht nachvollziehen, sondern bei einem besonders einfachen System, dem idealen Gas, die fertigen Formeln vorstellen. Wir werden uns zunächst darauf beschränken, Änderungen der Entropie zu betrachten, da die Absolutgrößen für die zeitliche Entwicklung der Systeme ohne Bedeutung sind. 2. Entropie und Temperatur beim idealen Gas Wir erinnern uns: Bei Zimmertemperatur kann man die meisten Gase als ideal ansehen; dann gilt die Gleichung p · V = n · R · T; hier bedeutet n die Molzahl, R = 8,31 J K −1 mol −1 die Gaskonstante, p den Gasdruck und V das Volumen. Die Entropieänderung Δ S T hängt loga­ rithmisch von der Temperatur T 2 ab, wenn man die Temperatur T 1 festhält. B 2 Beispiel Ein Mol Helium wird ausgehend 1) von einer Temperatur von 5 °C um 20 K erwärmt und 2) von 45 °C um 20 K abgekühlt. Die Entropie­ änderungen sind nicht gegengleich; vielmehr gilt 3 298 1)Δ S T 1 = __ R · ln ____ J K −1 = 0,86 J K −1 2 278 3 298 K −1 =−0,81 J K −1 2)Δ S T 2 = __ R · ln ____ J 2 318 344 Entropie Entropie beim idealen Gas Für die Entropie hat C lausius den Buchstaben S reserviert. Es hat sich als sinnvoll erwiesen, die Temperaturabhängigkeit von S beim idealen einatomigen Gas bei konstantem Volumen mit dem natürli­ chen Logarithmus darzustellen und einer Änderung der Temperatur von T 1 auf T 2 eine Änderung der „Temperaturentropie“ Δ S T gemäß T 2 3 Δ S T = __ R · n · ln ___ 2 T 1 (1) zuzuordnen. Warum es sinnvoll ist, eine zunächst schwierig erschei­ nende logarithmische Abhängigkeit von T anzusetzen ‹ B 2 , ist im Augenblick noch nicht begründbar. Das Beispiel zeigt, dass die Entro­ pie sich aufgrund dieser Festlegung nicht um den gleichen Betrag ändert, wenn man ein Gas um 20 K erwärmt oder um 20 K abkühlt. Erwärmt man die doppelte Menge eines Gases, so steigt aufgrund des Vorfaktors n auch seine Entropie doppelt so stark an. Man sagt da­ her, S T sei eine mengenartige Größe. Durch den Vorfaktor R erhält S T die Dimension J K −1. Merksatz Die sog. Temperaturentropie S T eines idealen Gases ändert sich bei konstantem Volumen logarithmisch mit der Temperatur T und pro­ n portional zur Molzahl n. S T ist eine mengenartige Größe. 3. Erhöhung der Entropie beim Temperaturausgleich Bringt man ein Mol Helium mit der Temperatur T1 = 278 K (5 °C) in thermi­schen Kontakt mit einem Mol Helium der Temperatur T 2 = 318 K (45 °C), so wird sich irreversibel die mittlere Temperatur T = 298 K (25 °C) einstellen ‹ B 3 . Dabei nimmt die Gesamtentro­ pie zu. Folgt das aus der Formel? Wir haben in diesem Fall ein Gesamtsystem, das aus zwei Teilsystemen besteht. Entsprechend unserer Festlegung, dass die Entropie eine mengenartige Größe sein soll, ergibt sich die Gesamtentropie S T als Summe aus den Einzelentropien S T 1 und S T 2. Wir können das Bei­ spiel links unten hier anwenden und erhalten die Entropieänderung Δ S T = Δ S T 1 + Δ S T 2 = 0,86 J K −1 − 0,81 J K −1 = 0,05 J K −1 > 0. Man erkennt hier, warum es vorteilhaft ist, die Entropie logarithmisch mit der Temperatur zu verknüpfen: Während die gesamte innere Energie sich nicht ändert, wächst die Gesamtentropie. Zwei nach außen thermisch isolierte Gase mit konstantem Volumen gleichen ihre Temperaturen irreversibel an; dabei fließt die Wärme Q nach rechts. Die Gesamtentropie muss sich um Δ S erhöhen. B 3 4. Erhöhung der Entropie bei Wärmezufuhr Der Temperaturausgleich ist verknüpft mit der Übertragung von Wärme Q vom wärmeren zum kälteren Gas. Wir suchen daher nun nach einem Zusammenhang zwischen der Wärmezufuhr Q und der Entropieerhöhung Δ S T beim idealen, einatomigen Gas. Die Entropie wächst bei der Temperaturerhöhung Δ T = T 2 − T 1 und konstantem Volumen gemäß ( T 2 3 3 Δ T Δ S T = __ R · ln ___ = __ R · ln 1 + ___ . 2 T 1 2 T 1 ) Wir nehmen nun an, dass die Temperaturänderung Δ T des Gases klein ist im Vergleich zur Temperatur T 1 selbst. In diesem Fall kann man die Näherungsformel ln (1 + x) ≈ x für kleine x verwenden ‹ A 1 : 3 Δ T Δ S T ≈ __ R · ___ . 2 T 1 Wenn man einem Mol eines idealen Gases die Wärme Q zuführt, so erhöht sich seine Temperatur um Δ T gemäß Q = C · Δ T; dabei ist C die molare spezifische Wärmekapazität. In der ‹ Thermodynamik wurde gezeigt, dass für alle idealen einatomigen Gase gilt C = _32 · R, sodass Q = _32 · R · Δ T. So ergibt sich der Zusammenhang Q Δ S T = ___ . T 1 Man versteht nun, warum oben bei Δ S T der Faktor _32 eingeführt wurde: er führt zu einem einfachen Zusammenhang mit Q. Es ist allerdings zu beachten, dass bei der Übertragung der Wärme Q sich die Temperatur T nicht merklich ändert. Es zeigt sich andererseits, dass die Formel Δ S = Q/T nicht nur bei Edelgasen, sondern z. B. auch bei Luft gilt; man muss dann in Gl. (1) nur C = _32 · R durch C = _52 · R ersetzen. Merksatz Wird einem idealen Gas bei der konstanten Temperatur T die Wärme Q übertragen, so wächst seine Entropie um Δ S T = Q/T. n Beispiel Beim Temperaturausgleich in ‹ B 3 wird die Wärme Q = _32 R · 20 K = 249,3 J von links nach rechts übertragen. Die Temperatur des wärmeren Gases ändert sich dabei relativ um 20/318 ≈ 6 %. Vernachlässigt man diesen Fehler, so kann man die Entropieminderung des linken Gases gemäß Δ S 2 =−Q/T 2 =−249,3 J/318 K =−0,78 J/K berechnen, die Entropieerhöhung des rechten Gases dagegen zu Δ S 1 = Q/T 1 = 249,3 J/278 K = 0,90 J/K. Man erhält in dieser Näherung eine Entropie­ erhöhung von insgesamt 0,12 J/K. Bisweilen sagt man auch, die Entropie Δ S 2 „fließe“ nach rechts und wachse dabei gleichzeitig an. Verdeutlichen Sie die Näherungsformel ln (1 + x) ≈ x, indem Sie Schaubilder der Funk­ tionen ln x, ln (1 + x) und x zeichnen. Für welche Werte von x ist die Abweichung zwi­ schen dem Näherungswert und dem exakten Wert kleiner als 0,1? A 2 Bestimmen Sie die Entropieänderung von 100 g Helium, wenn man es bei konstantem Volumen von 25 °C auf 40 °C erwärmt. Rech­ nen Sie auf zwei Wegen und vergleichen Sie! A 3 Ein Mol Luft von 200 °C und ein Mol von 20 °C gleichen ihre Temperatur durch Wärme­ abgabe der heißen Luft aus. Berechnen Sie die Änderung der Gesamtentropie. A 1 Entropie beim idealen Gas Entropie 345