Der Nervenarzt Organ der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde, der Deutschen Gesellschaft für Neurologie und der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft Elektronischer Sonderdruck für M. Bauer Ein Service von Springer Medizin Nervenarzt 2012 · 83:568–586 · DOI 10.1007/s00115-011-3415-3 © Springer-Verlag 2012 zur nichtkommerziellen Nutzung auf der privaten Homepage und Institutssite des Autors A. Pfennig · T. Bschor · T. Baghai · P. Bräunig · P. Brieger · P. Falkai · D. Geissler · R. Gielen · H. Giesler · O. Gruber · I. Kopp · T.D. Meyer · K.H. Möhrmann · C. Muche-Borowski · F. Padberg · H. Scherk · D. Strech · M. Bauer S3-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie bipolarer Störungen Entwicklungsprozess und wesentliche Empfehlungen www.DerNervenarzt.de Leitthema Nervenarzt 2012 · 83:568–586 DOI 10.1007/s00115-011-3415-3 © Springer-Verlag 2012 A. Pfennig1 · T. Bschor1, 2 · T. Baghai3, 4 · P. Bräunig5 · P. Brieger6 · P. Falkai7 · D. Geissler8 · R. Gielen9 · H. Giesler10 · O. Gruber7 · I. Kopp11 · T.D. Meyer12 · K.H. Möhrmann13 · C. Muche-Borowski11 · F. Padberg4 · H. Scherk14 · D. Strech15 · M. Bauer1 1 Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum, Carl Gustav Carus, Technische Universität Dresden, 2 Abteilung für Psychiatrie, Schlosspark-Klinik, Berlin, 3 Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universität Regensburg, 4 Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Ludwig-Maximilians-Universität, München, 5 Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Vivantes Humboldt-Klinikum Berlin, 6 Bezirkskrankenhaus Kempten, Akademisches Lehrkrankenhaus der Universität Ulm, 7 Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsmedizin, Georg August Universität Göttingen, 8 Kempten, 9 Hamburg, 10 Niedenstein, 11 AWMF-Institut für Medizinisches Wissensmanagement, Philipps-Universität Marburg, 12 Institute of Neuroscience, Newcastle University, Newcastle, 13 Bundesverband der Angehörigen psychisch Kranker e.V., Bonn, 14 AMEOS Klinikum Osnabrück, 15 Institut für Geschichte, Ethik und Philosophie der Medizin, CELLS – Centre for Ethics and Law in the Life Sciences, Medizinische Hochschule Hannover S3-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie bipolarer Störungen Entwicklungsprozess und wesentliche Empfehlungen „Der Widerspruch ist es, der uns produktiv macht“. Johann Wolfgang von Goethe Bipolare Störungen sind schwerwiegende psychiatrische Erkrankungen mit einem rezidivierenden Verlauf. Suizidale Handlungen sind häufig und die individuellen und gesundheitsökonomischen Auswirkungen der Erkrankung sind von deutlicher Tragweite. Das Projekt zur Entwicklung der ersten deutschsprachigen evidenz- und konsensbasierten Leitlinien zur Diagnostik und Therapie bipolarer Störungen wurde 2007 von der Deutschen Gesellschaft für Bipolare Störungen (DGBS) e. V. und der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) initiiert, um eine Entscheidungshilfe für Patienten, Angehörige und Therapeuten anzubieten. Hierbei wurden sie von der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften 568 | Der Nervenarzt 5 · 2012 (AWMF) unterstützt, um eine Leitlinie zu erstellen, welche die heute international geforderten hohen Ansprüche erfüllt. Die vorliegende Leitlinie bietet das Potenzial, Therapeuten, Patienten und Angehörigen mehr Sicherheit in der Entscheidungsfindung zu ermöglichen und die Versorgungserfahrungen von Patienten und Angehörigen zu verbessern. Neben Empfehlungen zur Diagnostik und Behandlung bipolarer Störungen enthält die Leitlinie auch solche zum trialogischen Handeln, zu Wissensvermittlung und Selbsthilfe sowie zu Versorgungsstrategien für diese komplexe Erkrankung. Im Folgenden werden die Methodik der Leitlinienentwicklung und die wesentli­ chen Empfehlungen skizziert, die an spe­ zifischen Punkten durch die Artikel von Gielen et al. und Brieger et al. in diesem Heft ergänzt werden. Aufgrund der Be­ schränkungen im Umfang der vorlie­ genden Darstellung muss für eine detail­ lierte Darstellung der Prozesse der Evi­ denzbewertung und Konsensfindung auf die Langfassung der Leitlinie verwiesen werden, die auf der Homepage des Leit­ linienprojekts abrufbar ist. Um eine Emp­ fehlung im Sinne der „evidence-based medicine“ auf die individuelle Situation eines Patienten anwenden zu können, ist es wichtig, den Entstehungsprozess einer Empfehlung zu verstehen sowie z. B. be­ sondere Hinweise bezüglich Einschrän­ kungen der Gültigkeit auf bestimmte Patientengruppen oder zu beachtender Interaktionspotenziale oder häufiger un­ erwünschter Wirkungen nachzulesen. Eine Leitlinie ist kein „Kochbuch“ und auch keine Richtlinie mit verbindlichen Vorschriften. Von einer Leitlinienempfeh­ lung kann und muss im Einzelfall abgewi­ chen werden, sofern eine andere Entschei­ dung für den individuellen Patienten in einer gegebenen Situation sinnvoller er­ scheint. Es ist den Leitlinienentwicklern sehr wichtig, zu betonen, dass die vorlie­ gende Leitlinie nicht missbraucht werden darf. Auch Verfahren, die in der Leitlinie Infobox 1 Empfehlungsklassena der S3-Leitlinie FA (starke Empfehlung): „soll“ FB (einfache Empfehlung): „sollte“ F0 (Null; Empfehlung offen): „kann“ FKKP (klinischer Konsenspunkt): für Frage- stellungen, in denen z. B. Studien aufgrund ethischer Überlegungen nicht zu erwarten sind oder solche methodisch nicht umzusetzen sind, gleichwertig gegenüber evidenzbasierten Empfehlungsgraden A bis 0, Art der Formulierung drückt Stärke der Empfehlung aus FStatement: für Fragestellungen, in denen z. B. keine adäquate Evidenz gefunden wurde, aber dennoch eine Aussage festgehalten werden sollte aIn Übereinstimmung mit den AWMF-Defini­ tionen aufgrund mangelnder Evidenz oder feh­ lender Konsensfähigkeit nicht genannt oder nicht als „1. Schritt“ aufgeführt wer­ den, können im Einzelfall die 1. Wahl dar­ stellen. Gleichwohl kann die Leitlinie im Falle einer geforderten Begründung für eine Maßnahme unterstützend herange­ zogen werden. Methodik der Leitlinienerstellung und Leitliniengruppen Leitlinien im herkömmlichen Sinne stel­ len weitgehend Meinungen einer häufig eher kleineren Expertengruppe dar. In der Klassifizierung der Arbeitsgemein­ schaft der Wissenschaftlichen Medizini­ schen Fachgesellschaften (AWMF) ent­ spricht dies der Entwicklungsstufe 1 (S1). Bei der nächst höheren Entwicklungs­ stufe 2 (S2) erfolgt entweder eine forma­ le Evidenzrecherche oder eine formale Konsensfindung. Die Entwicklungsstufe 3 (S3) als höchste Stufe verknüpft Elemen­ te der systematischen Leitlinienentwick­ lung (Logik, formale Evidenzrecherche und -bewertung, formale und strukturier­ te Konsensusfindung, Entscheidungsana­ lyse (wo nötig und umsetzbar) und Out­ come-Analyse [3]. Zu Projektbeginn wurden die zu be­ antwortenden Leitlinienfragestellungen formuliert und in der Steuergruppe dis­ kutiert. Nach Bewertung der 2007 vorlie­ genden englischsprachigen internationa­ len Leitlinien für bipolare Störungen (für Details zum genutzten Instrument siehe [4]) wurde entschieden, dass sich keine für eine Adaptation (d. h. für eine Anpassung auf unseren Versorgungskontext) eignet. Um die Effizienz der systematischen Li­ teraturrecherche zu erhöhen, wurde die Studienbasis der Leitlinie des britischen National Institute of Clinical Excellence (NICE) „Bipolar disorder: the manage­ ment of bipolar disorder in adults, chil­ dren and adolescents, in primary and se­ condary care“ von 2006 [18] genommen, sodass die neuen Recherchen (mit Adap­ tierung der NICE-Suchstrategie in den Datenbanken MedLine, Embase, PsychIn­ fo und CINAHL und PsychLit) auf den Publikationszeitraum ab Mitte 2005 und auf in der britischen Leitlinie nicht be­ arbeitete Fragen fokussiert werden konn­ ten. Alle relevanten so identifizierten Studien (vornehmlich randomisierte klini­ sche Studien, Studienpopulation Patien­ ten mit bipolaren Störungen oder sepa­ rate Ergebnisse für diese Patientengruppe, letzte Update-Recherche Mitte 2010) wur­ den bezüglich ihrer Qualität bewertet und unter Nutzung der Guidelines of the Scot­ tish Intercollegiate Guidelines Network Grading Review Group (SIGN, [10, 12]) je nach Risiko für systematische Verzer­ rungen der Studienergebnisse (Bias) ein­ gestuft. Von den dann eingeschlossenen Studien wurden die wesentlichen Daten extrahiert. Im Sinne einer Outcome-Analyse (s. auch [2]) wurden die folgenden Out­ come-Parameter als relevant definiert: F Psychopathologie/Schwere der Sym­ ptomatik in Fremd- und SelbstratingInstrumenten, F Studienabbrüche, F Studienabbrüche aufgrund un­ erwünschter Wirkungen, F wesentliche unerwünschte Wirkun­ gen und F Lebensqualität. die Kriterien des Instruments der Gra­ ding of Recommendations Assessment, Development and Evaluation (GRADE, [1], http://www.gradeworkinggroup.org) und der Formulierung der Vorschläge für Empfehlungen und Statements verschie­ dene Akteure einzubinden. In den insge­ samt 10 Konsensuskonferenzen wurden die Vorschläge im Rahmen eines mode­ rierten formalen Konsensfindungsver­ fahrens mit den Stimmen von 13 Fachge­ sellschaften, Verbänden und Organisatio­ nen sowie 5 Experten diskutiert und ver­ abschiedet. Aspekte, die zu einer Heraufoder Herabstufung des vorgeschlagenen Empfehlungsgrades (s. . Infobox 1) füh­ ren konnten, waren z. B. die Effektstär­ ken, das Nutzen-Risiko-Verhältnis, ethi­ sche Aspekte, Patienten- und Angehöri­ genpräferenzen sowie die Anwendbarkeit und Umsetzbarkeit der Empfehlungen in der Praxis. In der Abstimmung wurde ein star­ ker Konsens (≥95% der Stimmen) ange­ strebt. In Fällen mit schwachem (≥75%, aber <95%) oder keinem Konsens erfolg­ te die Überarbeitung der Empfehlung und die erneute Diskussion in der Kon­ sensusrunde. Insgesamt wurden 232 Emp­ fehlungen und Statements verabschiedet. Nach Erstellung der konsentierten Ver­ sion der Leitlinie erhielten weitere Fach­ gesellschaften, Verbände und Organisa­ tionen die Möglichkeit, Anmerkungen einzusenden. Die Zusammensetzung der Leitlinien­ gruppen ist in . Abb. 1 und . Tab. 1 dar­ gestellt, . Abb. 2 gibt einen Überblick über die Entwicklungsschritte. Für eine detaillierte Darstellung und Diskussion der Methodik siehe Langfassung der Leit­ linie und [22, 21]. Die Leitlinie wurde ohne finanziel­ le Unterstützung von pharmazeutischen Unternehmen und Medizinprodukteher­ stellern erstellt. Die Evidenz pro Fragestellung wurde zu­ sammengestellt und in die 6 themenspe­ zifischen Arbeitsgruppen gegeben, die be­ wusst sowohl mit Kollegen aus dem nie­ dergelassenen als auch aus dem KlinikSetting sowie mit Patienten- und Ange­ hörigenvertretern besetzt wurden, um bereits bei der hier stattfindenden Be­ wertung der Evidenz in Anlehnung an Trialog, Wissensvermittlung und Selbsthilfe In diesem Kapitel wurden grundsätzli­ che und für Patienten mit bipolaren Stö­ rungen und deren Angehörige spezifi­ sche Empfehlungen und Statements zu den Themenbereichen Trialog, partizi­ pative Entscheidungsfindung, Wissens­ Der Nervenarzt 5 · 2012 | 569 Zusammenfassung · Summary vermittlung und Selbsthilfe inklusive Fa­ milienhilfe formuliert. Für eine ausführ­ lichere Diskussion siehe Langversion der Leitlinie und den Beitrag von Gielen et al. im vorliegenden Heft. Den Leitlinienent­ wicklern ist es wichtig, herauszustellen, dass vergleichbar mit den unten ange­ sprochenen Themenbereichen Diagnos­ tik und Versorgung gerade auch im Be­ reich der Einbindung, Information und Kompetenzstärkung von Patienten und Angehörigen ein wesentliches Verbesse­ rungspotenzial für die Versorgung be­ stehen wird, zu dessen besserer Ausschöp­ fung die Leitlinie beitragen soll. Diagnostik bipolarer Störungen Die korrekte Diagnosestellung ist die Grundvoraussetzung für eine adäquate Behandlung des Patienten und somit für die Aufrechterhaltung eines höchstmög­ lichen Funktionsvermögens im berufli­ chen und sozialen Leben. Je eher die Dia­ gnose feststeht, desto schneller kann die Information und Beratung des Patienten und, wenn gewünscht, seiner Bezugsper­ sonen erfolgen sowie eine adäquate Be­ handlung beginnen. Die Diagnostik bi­ polarer Störungen ist nicht immer ein­ fach, u. a. durch die im Erkrankungsver­ lauf häufig als erste Episode auftretende Depression und die oftmals fehlende Be­ einträchtigung des Patienten durch hypo­ manische Symptome. Im Verlauf der Be­ handlung muss die Diagnose zu geeigne­ ter Zeit überprüft werden, komorbid auf­ tretende Erkrankungen, die den Verlauf der bipolaren Störung beeinflussen kön­ nen, dürfen nicht übersehen werden. Neben der klassifikatorischen Diagnos­ tik werden im ausführlichen Leitlinienka­ pitel auch Möglichkeiten zur dimensionalen Diagnostik dargestellt. Letztere erlaubt die detaillierte Abbildung der Symptom­ ausprägung und des Schweregrades. Diagnostik2. Es wird empfohlen, die multiaxialen Möglichkeiten des ICD-10 zu nutzen und auch störungsrelevante somatische, psychologische und soziale Faktoren sowie die Funktionsbeeinträch­ tigung zu beschreiben (KKP). Diagnostik3–6. Es gibt validierte Instru­ mente zur Selbst- und Fremdbeurteilung 570 | Der Nervenarzt 5 · 2012 Nervenarzt 2012 · 83:568–586 DOI 10.1007/s00115-011-3415-3 © Springer-Verlag 2012 A. Pfennig · T. Bschor · T. Baghai · P. Bräunig · P. Brieger · P. Falkai · D. Geissler · R. Gielen · H. Giesler · O. Gruber · I. Kopp · T.D. Meyer · K.H. Möhrmann · C. Muche-Borowski · F. Padberg · H. Scherk · D. Strech · M. Bauer S3-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie bipolarer Störungen. Entwicklungsprozess und wesentliche Empfehlungen Zusammenfassung Bipolare Störungen sind schwerwiegende psychiatrische Erkrankungen mit weitreichenden individuellen und gesundheitsökonomischen Auswirkungen. Beginnend 2007 wurde von der Deutschen Gesellschaft für bipolare Störungen (DGBS) e. V. und der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) die erste deutschsprachige evidenz- und konsensbasierte Leitlinie zur Diagnostik und Therapie bipolarer Störungen entwickelt, die das Potenzial bietet, Therapeuten, Patienten und Angehörigen mehr Sicherheit in der Entscheidungsfindung zu ermöglichen und die Versorgungserfahrungen von Patienten und Angehörigen zu verbessern. Neben Empfehlungen zur Diagnostik und Behandlung enthält die Leitlinie auch solche zum trialogischen Handeln, zu Wissensvermittlung und Selbsthilfe sowie zu Versorgungsstrategien für diese komplexe Erkrankung. Im vorliegenden Artikel werden die Methodik der Leitlinienentwicklung und wesentliche Empfehlungen skizziert, die an spezifischen Themenpunkten durch entsprechende Artikel in diesem Schwerpunktheft ergänzt werden. Aufgrund der Umfangsbeschränkung der vorliegenden Darstellung muss an vielen Stellen auf die Langversion der Leitlinie verwiesen werden, auch für eine ausführliche Diskussion der Limitationen. Schlüsselwörter Bipolare Störung · Leitlinie · Evidenz · Selbsthilfe · Qualität der Versorgung S3 guidelines on diagnostics and therapy of bipolar disorders. Development process and essential recommendations Summary Bipolar disorders are severe psychiatric disorders with extensive individual and health economic consequences. Starting in 2007 the first German evidence and consensus based guideline for diagnostics and treatment of bipolar disorders was developed which holds the potential of increasing confidence of therapists, patients and relatives in the decision-making process and improving healthcare service experiences of patients and relatives. Apart from recommendations for diagnostics and treatment the guidelines provide those for trialogue action, knowledge transfer and self-help and for strategies der Manie und der Depression. Diese sind bislang jedoch wenig verbreitet. Ein ver­ mehrter Einsatz ist wünschenswert (Statement). Der Einsatz von Screeninginstrumen­ ten für bipolare Störungen im Lebens­ zeitverlauf ist vor allem bei Risikoperso­ nen (wie bspw. Patienten mit frühem Er­ krankungsbeginn mit Depressionen, Sui­ zidversuchen, Substanzabusus und/oder Temperamentsauffälligkeiten) sinnvoll. for healthcare provision of this complex disorder. In the present article the methodology and essential recommendations are outlined and complemented in specific topics by corresponding articles in this special issue. Due to restrictions of the length of this presentation there is the need to refer to the comprehensive version of the guidelines at several points also regarding a detailed discussion of the limitations. Keywords Bipolar disorders · Guidelines · Evidence · Self-help · Quality of health care Diagnostik7. Es gibt validierte Scree­ ninginstrumente zum Screening auf das Vorliegen einer bipolaren Störung im Le­ benszeitverlauf. Diese sind bislang jedoch wenig verbreitet. Ein vermehrter Einsatz bei Risikopersonen ist wünschenswert (Statement). Die Diagnosesicherung sollte dann bei einem entsprechenden Facharzt erfolgen. Leitthema Projektgruppe AG Trialog, Wissensvermittlung und Selbsthilfe AG Diagnostik Steuergruppe AG Pharmakologische Therapie AG Nicht-medikamentöse somatische Behandlungsmethoden AG Psychotherapie AG Versorgungssystem Konsensuskonferenz Erweiterte Reviewgruppe inklusive Expertenpanel Abb. 1 8 Leitliniengruppen Diagnostik8. Screeninginstrumente al­ lein eigenen sich nicht zur Diagnosestel­ lung. Bei positivem Screening sollte zur Diagnosesicherung ein Facharzt für Psy­ chiatrie und Psychotherapie/für Nerven­ heilkunde hinzugezogen werden (KKP). Die bipolare Erkrankung ist eine kom­ plexe psychische Störung. Differenzialdiagnostische Probleme können sich aus der psychopathologischen Vielgestaltigkeit der bipolaren Erkrankung im Rahmen akuter Querschnittssituationen, wäh­ rend des Verlaufes bipolarer Episoden, im Intervall zwischen akuten Episoden sowie im Langzeitverlauf über die Lebensspan­ ne ergeben. Diagnostik9. Bei jungen Erwachse­ nen mit Störungen der Emotionsregula­ tion (z. B. bei AufmerksamkeitsdefizitHyperaktivitätsstörung, emotional-in­ stabiler Persönlichkeitsstörung, komple­ xen Impulskontrollstörungen, und Subs­ tanzmissbrauch oder -abhängigkeit) wird eine sorgfältige Differenzialdiagnostik in Richtung einer bipolaren Störung emp­ fohlen (0). Bipolar-I- und Bipolar-II-Störungen eint das häufige Vorkommen initialer de­ pressiver Episoden, welche zunächst auf einen unipolar depressiven Krankheits­ verlauf hindeuten. Diagnostik10. Folgende Risikofakto­ ren bzw. Prädiktoren für die Entwicklung einer Hypomanie oder Manie sind publi­ ziert worden: 572 | Der Nervenarzt 5 · 2012 F positive Familienanamnese für ­bipolare Störungen, F schwere, melancholische oder psy­ chotische Depression im Kindesoder Jugendalter, F schneller Beginn und/oder rasche Rückbildung der Depression, F Vorliegen saisonaler oder atypischer Krankheitsmerkmale, F subsyndromale hypomanische ­Symptome im Rahmen depressiver Episoden und F hypomanische oder manische Sym­ ptomentwicklung im zeitlichen Zu­ sammenhang mit einer Therapie mit Antidepressiva oder bei Exposition gegenüber Psychostimulanzien. (Statement) Diagnostik11. Beim Auftreten eines oder mehrerer der oben genannten Ri­ sikofaktoren bzw. Prädiktoren ist beson­ ders sorgfältig zu prüfen, ob die Depres­ sion im Rahmen einer bipolaren Störung auftritt (0). Darüber hinaus wurden Empfehlun­ gen zur Differenzialdiagnostik zur Zy­ klothymia, Schizophrenie, zur schizoaf­ fektiven Störung (letztere Diagnose soll­ te nur als Ausschlussdiagnose nach länge­ rer Verlaufsbeobachtung gestellt werden) und zum Missbrauch und Abhängigkeit von Substanzen formuliert. Hirnorgani­ sche Erkrankungen (wie Epilepsien, En­ zephalitiden und Demyelinisierungen mit Läsionen der weißen Hirnsubstanz) sind ebenso differenzialdiagnostisch zu beach­ ten wie Folgen zerebrovaskulärer Erkran­ kungen und beginnende frontotempo­ rale Demenzen. An die Differenzialdia­ gnostik organischer Hirnerkrankungen ist insbesondere bei Jugendlichen mit aty­ pischer bipolarer Symptomatik, aber auch bei Menschen mit Spätmanifestation ma­ nischer Episoden zu denken. Schilddrü­ sen- und Nebennierenrindenerkrankun­ gen sowie Hypophysentumoren kön­ nen hypomanische oder manische Sym­ ptomatik imitieren. Iatrogen verursachte Hypomanien oder Manien können infol­ ge einer Behandlung mit Glukokortikoi­ den, Schilddrüsen- oder Sexualhormonen auftreten, aber auch durch eine Behand­ lung mit L-Dopa und Stimulanzien. Unter der Therapie mit Antidepressiva kann es bei manchen Patienten zu einem Switch in die Hypomanie oder Manie kommen, auch bei Patienten mit einer bipolaren Prädisposition. Bei bipolaren Störungen besteht eine besonders ausgeprägte Komorbidität mit unterschiedlichen anderen psychischen Störungen, die für den Verlauf und die Prognose und damit für die Therapiepla­ nung der Primärstörung von entscheiden­ der Bedeutung sein können. Diagnostik20. Bei bipolaren Störungen kommen eine oder mehrere psychische Störungen häufig komorbid vor. Die epi­ demiologisch häufigsten Störungen sind: F Angst- und Zwangsstörungen, F Substanzmissbrauch und -abhängig­ keit, F Impulskontrollstörungen und Essstö­ rungen sowie Aufmerksamkeitsdefi­ zit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHD), F Persönlichkeitsstörungen. (Statement) Diagnostik21. Komorbide psychische Störungen sollten bei bipolaren Störun­ gen zu Beginn und im Verlauf der Er­ krankung bei bipolaren Störungen sorg­ fältig diagnostiziert und in Therapie und Verlaufsbeobachtung berücksichtigt wer­ den (B). Patienten mit schweren psychischen Störungen und somit auch Patienten mit bipolaren Störungen weisen eine erhöh­ Tab. 1 Zusammensetzung der Leitliniengruppen Projektgruppe Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Michael Bauer (Projektleitung) Prof. Dr. med. Andrea Pfennig; M.Sc. (Projektkoordination) Prof. Dr. med. Peter Falkai (DGPPN, off. Stellvertreter: Prof. Dr. med. Oliver Gruber) Dr. med. Johanna Sasse Dr. med. Harald Scherk Prof. Dr. med. Dr. phil. Daniel Strech Prof. Dr. med. Ina Kopp (AWMF) Dr. med. Beate Weikert (Wiss. Mitarbeit) Dipl.-Psych. Marie Henke (Wiss. Mitarbeit) Dipl.-Psych. Maren Schmink (Wiss. Mitarbeit) Steuergruppe Projektgruppe Leiter der themenspezifischen Arbeitsgruppen Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener e. V. (BPE e. V., Reinhard Gielen) Bipolar Selbsthilfenetzwerk e. V. (BSNe, bis Juni 2009), DGBS-Betroffenen-Selbsthilfe (ab Juli 2009) (Dietmar Geissler) Bundesverband der Angehörigen psychisch Kranker (BApK, Karl Heinz Möhrmann) DGBS Angehörigeninitiative (Horst Giesler) AKdÄ (Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft; PD Dr. med. Tom Bschor) BVDN (Bundesverband deutscher Nervenärzte; Dr. med. Roland Urban) BVDP (Bundesverband deutscher Psychiater; Dr. med. Lutz Bode) Prof. Dr. med. Martin Härter (Projektgruppenvertreter der S3-Leitlinie Unipolare Depression) Themenspezifische Arbeitsgruppen AG Trialog, Wissensvermittlung und Selbsthilfe – Dietmar Geissler (Patientenvertreter) – Angehörigenvertreter (Name auf Anfrage) – Prof. Dr. phil. Thomas Bock – Dipl. Psych. Maren Schmink AG Diagnostik – Prof. Dr. med. Peter Bräunig (AG-Leitung) – Dipl.-Psych. Dr. rer. nat. Katrin Rathgeber (Stellv. AG-Leitung) – Dipl.-Psych. Dr. phil. Katja Salkow – Dr. med. Emanuel Severus – Prof. Dr. med. Stephanie Krüger – Prof. Dr. phil. Stephan Mühlig – Prof. Dr. med. Christoph Correll – Prof. Dr. med. Wolfgang Maier – PD Dr. med. Hans-Jörg Assion – Dr. med. Thomas Gratz – Dr. med. Rahul Sarkar – Patientenvertreter (Name auf Anfrage) – Angehörigenvertreter (Name auf Anfrage) AG Pharmakotherapie – PD Dr. med. Tom Bschor (AG-Leitung) – Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Michael Bauer (AG-Leitung) – Prof. Dr. med. Heinz Grunze – PD Dr. med. Harald Scherk, M.A. – Dr. med. Beate Weikert – Dr. med. Johanna Sasse – Dr. med. Ute Lewitzka – Prof. Dr. med. Christopher Baethge – Dr. med. Dr. phil. Günter Niklewski te Morbidität und Mortalität im Vergleich zu gesunden Personen auf. Dies ist (abge­ sehen von Suizid) vor allem auf kardiovas­ kuläre Erkrankungen und Diabetes melli­ tus Typ 2 zurückzuführen [13, 17]. Patienten mit bipolaren Störungen ha­ ben ein höheres Risiko als psychiatrisch gesunde Kontrollpersonen, einige ko­ morbide somatische Erkrankungen zu ha­ ben [5]. Dabei ist zu beachten, dass die­ se wahrscheinlich teilweise miteinan­ der assoziiert sind, so wird beispielswei­ se das häufigere Auftreten von Adiposi­ tas für einen Teil des erhöhten Risikos für kardiovaskuläre Erkrankungen inklusive Schlaganfall und für Diabetes mellitus mit Komplikationen verantwortlich sein. Diagnostik22. Bei bipolaren Störungen kommen eine oder mehrere somatische Erkrankungen häufig komorbid vor. Die epidemiologisch bedeutsamsten Störun­ gen sind: F kardiovaskuläre Erkrankungen, F metabolisches Syndrom und Diabetes mellitus, F muskuloskeletale Erkrankungen, F Migräne. (Statement) Diagnostik23. Komorbide somatische Erkrankungen sollten zu Beginn und im Verlauf der Erkrankung bei bipolaren Stö­ rungen sorgfältig diagnostiziert und in Therapie und Verlaufsbeobachtung be­ rücksichtigt werden (KKP). Die Verlaufsdiagnostik hat zum Ziel, den individuellen Verlauf der bipolaren Erkrankung bei dem jeweiligen Patienten insbesondere bezüglich des Erreichens definierter Behandlungsziele zu doku­ mentieren. Diagnostik24. Empfohlen wird die sorg­ fältige Dokumentation des psychischen Befindens des Patienten im Verlauf einer bipolaren Erkrankung mithilfe bewährter Fremdbeurteilungsinstrumente seitens des Behandlers als auch mithilfe eines vom Patienten möglichst täglich auszu­ füllenden Stimmungstagebuchs (KKP). Der Nervenarzt 5 · 2012 | 573 Leitthema Tab. 1 Zusammensetzung der Leitliniengruppen (Fortsetzung) – Dr. med. Roland Urban – Patientenvertreter (Name auf Anfrage) – Angehörigenvertreter (Name auf Anfrage) AG Psychotherapie – Prof. Dr. phil. Thomas D. Meyer (AG-Leitung) – Prof. Dr. phil. Martin Hautzinger (Stellv. AG-Leitung) – Dr. Dipl.-Psych. Britta Bernhard – Prof. Dr. phil. Thomas Bock – PD Dr. med. Jens Langosch – Prof. Dr. med. Michael Zaudig – Prof. Dr. Anna Auckenthaler – PD Dr. rer. soc. Karin Tritt – Dipl.-Psych. Marie Henke – Patientenvertreter (Name auf Anfrage) – Angehörigenvertreter (Name auf Anfrage) AG Nichtmedikamentöse somatische Therapieverfahren – PD Dr. med. Frank Padberg (AG-Leitung) – PD Dr. med. T. Baghai (AG-Leitung) – Dipl. Psych. Marie Henke (Stellv. AG-Leitung) – Dr. med Anke Gross – PD Dr. med. Christine Norra – Dr. med. Herbert Pfeiffer – Prof. Dr. med. Dipl. Phys. Alexander Sartorius – Dr. med. Martin Walter – Patientenvertreter (Name auf Anfrage) – Angehörigenvertreter (Name auf Anfrage) AG Versorgung und Versorgungssystem – Prof. Dr. med. Peter Brieger (AG-Leitung) – Prof. Dr. med. Andrea Pfennig, M.Sc., Juniorprofessur (AG-Leitung) – PD Dr. med. Bernd Puschner – Dr. med. Hans-Joachim Kirschenbauer – Philipp Storz-Pfennig, M.A., MPH. – Dipl.-Psych. Rita Bauer – Dr. med. Lutz Bode – Ivanka Neef/Antje Drenckhahn – PD Dr. med. Mazda Adli – Dipl.-Psych. Maren Schmink – PD Dr. sc. hum. Dipl.-Psych. Schützwohl – Dietmar Geissler – Angehörigenvertreter (Name auf Anfrage) Konsensuskonferenz – Deutsche Gesellschaft für Bipolare Störungen (DGBS): Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Michael Bauer – Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie Prof. Dr. med. Peter Falkai, und Nervenheilkunde (DGPPN): Prof. Dr. med. Oliver Gruber – Bundesverband deutscher Psychiater (BVDP): Dr. med. Lutz Bode – Bundesverband deutscher Nervenärzte (BVDN): Dr. med. Roland Urban – Deutsche Gesellschaft für Psychologie (DGPs): Prof. Dr. phil. Martin Hautzinger, Prof. Dr. med. Thomas D. Meyer – Bundesdirektorenkonferenz (BDK): Prof. Dr. med. Lothar Adler, PD Dr. med. Harald Scherk, M.A. – Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Familien­ Dipl.-Soz. Martin Beyer medizin (DEGAM): 574 | Der Nervenarzt 5 · 2012 DDie Aufrechterhaltung eines höchstmöglichen psychosozialen Funktionsvermögens ist das primäre Ziel der Diagnostik und Behandlung. Da Patienten mit bipolaren Störungen gerade in frühen Stadien oftmals (noch) nicht stark in ihrem Funktionsvermögen beeinträchtigt sind, sondern sich die Be­ einträchtigungen auf einzelne Funktions­ bereiche beschränken, sollten differen­ zierte und trotzdem effizient einsetzbare Instrumente zur Beurteilung herangezo­ gen werden. Diese sollten im Verlauf der Erkrankung wiederholt eingesetzt werden, um Veränderungen im Funktionsvermö­ gen abbilden und ggf. therapeutisch posi­ tiv beeinflussen zu können. Diagnostik25. Empfohlen wird die sorg­ fältige Dokumentation des psychosozia­ len Funktionsvermögens des Patienten im Verlauf einer bipolaren Erkrankung, z. B. mithilfe bewährter Fremdbeurteilungs­ instrumente (KKP). Die Baseline-Diagnostik vor Beginn einer Pharmakotherapie dient der Er­ fassung von Risikokonstellationen, wel­ che substanzspezifisch sowie alters- und komorbiditätsabhängig sind. In der Baseline-­Diagnostik sollen entsprechend somatische Auffälligkeiten, somatische und psychiatrische Komorbiditäten so­ wie etwaige Kontraindikationen vor Be­ ginn einer Therapie erfasst werden. Im Sinne der klinischen Diagnostik gehören dazu eine Anamnese, ein internistischer und neurologischer Untersuchungsbe­ fund sowie die Erfassung soziodemo­ graphischer und biologischer Daten, die einen Einfluss auf die geplante Pharmako­ therapie haben. Hierzu zählen insbeson­ dere Alter, Geschlecht und Körpergewicht. Da in der akuten klinischen Situation eine zügige Behandlung im Vordergrund steht, sollte die Baseline-Diagnostik so schnell wie möglich nachgeholt werden. Die not­ wendige Labordiagnostik ist substanz­ spezifisch und richtet sich auch nach der Wirkstoffgruppe, die angewendet werden soll. Hier wird auf die Tabellen und Emp­ fehlungen in der Leitlinie verwiesen. Bei Frauen ist darüber hinaus eine weiterfüh­ rende Diagnostik erforderlich. Eine allgemeine Diagnostik während einer Pharmakotherapie sollte abhängig Tab. 1 Zusammensetzung der Leitliniengruppen (Fortsetzung) – Arbeitskreis der Chefärztinnen und Chefärzte der Kliniken für Psychiatrie und Psychotherapie an Allgemeinkrankenhäusern in Deutschland (ACKPA): – Arzneimittelkommission der dt. Ärzteschaft (AKdÄ): – DGBS Betroffenen-Selbsthilfe: – Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener (BPE) e.V.: – DGBS-Angehörigen-Initiative: – Bundesverband der Angehörigen psychisch Kranker (BApK): – Vertreter AG Diagnostik: – Vertreter AG Pharmakotherapie: – Vertreter AG Psychotherapie: – Vertreter AG Nichtmedikamentöse somatische Therapieverfahren: – Vertreter AG Versorgung und Versorgungssystem: Dr. med. Dr. phil. Günter Niklewski PD Dr. med. Tom Bschor Dietmar Geissler Reinhard Gielen Horst Giesler Karl Heinz Möhrmann Prof. Dr. med. Peter Bräunig Dr. med. Johanna Sasse Prof. Dr. phil. Thomas D. Meyer PD Dr. med. Frank Padberg, PD Dr. med. Thomas Baghai Prof. Dr. med. Peter Brieger, Prof. Dr. med. Andrea Pfennig, M.Sc., Juniorprofessur Erweiterte Reviewgruppe Fachgesellschaften – Deutsche ärztliche Gesellschaft für Verhaltenstherapie e. V. (DÄVT) – Deutsche Fachgesellschaft für tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie (DFT) – Deutsche Gesellschaft für Gerontopsychiatrie und -psychotherapie (DGGPP) – Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie (DGPM) – Deutsche Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie (DGPT) – Deutsche Gesellschaft für Rehabilitationswissenschaften (DGRW) – Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie e. V. (DGVT) – Deutsche Gesellschaft für soziale Psychiatrie (DGSP) – Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft e. V. (DPG) – Deutsche Psychoanalytische Vereinigung (DPV) – Deutscher Fachverband für Verhaltenstherapie (DVT) – Deutsche Gesellschaft für wissenschaftliche Gesprächspsychotherapie (GwG) – Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention (DGS) – Deutsches Kollegium für Psychosomatische Medizin (DKPM) Berufsverbände – Bundesverband Deutsche Psychologinnen und Psychologen (BDP) – Berufsverband der Fachärzte für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Deutschlands (BPM) – Bundesverband der Vertragspsychotherapeuten e. V. (BVVP) – Deutscher Psychotherapeutenvereinigung (DPTV) – Deutsche Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen e. V. (DAGSHG) Weitere – Vereinigung der leitenden Krankenhausärzte für psychosomatische und psychotherapeutische Medizin – Vertreter Pflege: Bundesfachvereinigung Leitender Pflegepersonen der Psychiatrie (BFLK) – Vertreter Kinder- und Jugendpsychiatrie: Deutsche Gesellschaft für Kinder und Jugendpsychiatrie (DGKJP) – Deutscher Fachverband für Kunst- und Gestaltungstherapie (DFKGT) – Deutscher Verband der Ergotherapeuten e. V. (DVE) – AK Depressionsstationen – Aktion psychisch Kranker – Spitzenverband Bund der gesetzlichen Krankenkassen – Private Krankenversicherer – Deutsche Rentenversicherung Bund von der Wirkstoffklasse (Antidepressi­ vum, Neuroleptikum, Lithium, Benzodi­ azepin oder Antiepileptikum) und unter Berücksichtigung der pharmakokineti­ schen Eigenschaften auch eine regelmä­ ßige Messung des Medikamentenspie­ gels beinhalten. Die allgemeine Diagnos­ tik beinhaltet des Weiteren die Erfassung der allgemeinen Verträglichkeit und Si­ cherheit der Pharmakotherapie. Auch hier wird auf die Tabellen und Empfehlungen in der Leitlinie verwiesen. Grundsätzliches zur Behandlung bipolarer Störungen Das übergeordnete Ziel einer jeden Be­ handlung muss die Aufrechterhaltung eines möglichst hohen psychosozialen Funktionsniveaus des Patienten sein, was wiederum in erheblichem Maße seine ge­ sundheitsbezogene Lebensqualität be­ stimmt. Therapie-Grundsätzliches1. Die Akut­ behandlung einer Episode der bipolaren Erkrankung muss bereits unter Berück­ sichtigung einer ggf. notwendigen Pha­ senprophylaxe gestaltet werden. Neben der akuten Symptomatik müssen dafür der anamnestische Verlauf der Erkran­ kung sowie Risiko- bzw. prädiktive Fakto­ ren für den weiteren Verlauf berücksich­ tigt werden (KKP). Hinzu kommen je nach Anamnese, Schwere der akuten Episode und Präfe­ renzen des Patienten (und der Angehö­ rigen) pharmako- und psychotherapeuti­ sche Elemente sowie nichtmedikamentö­ se somatische Behandlungsverfahren und weitere unterstützende Verfahren in Be­ tracht. In der Pharmakotherapie bipolarer Stö­ rungen kommen folgende Wirkstoffe und Wirkstoffgruppen zum Einsatz: F Antidepressiva (zur Akutbehandlung der unipolaren Depression zugelas­ sen, etliche mit weiteren Indikationen und Zulassungen, jedoch selten expli­ zit für bipolare Depression); F Stimmungsstabilisierer im Sinne der Leitlinie (Lithium sowie die Antikon­ vulsiva Carbamazepin, Valproinsäure und Lamotrigin); Der Nervenarzt 5 · 2012 | 575 Leitthema Tab. 1 Zusammensetzung der Leitliniengruppen (Fortsetzung) Expertenpanel PD Dr. med. Mazda Adli Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Michael Bauer Prof. Dr. med. Mathias Berger Prof. Dr. phil. Bernhard Borgetto Prof. Dr. med. Peter Bräunig Prof. Dr. med. Brieger PD Dr. med. Tom Bschor Dr. med. Christoph Correll Prof. Dr. med. Peter Falkai Prof. Dr. med. Wolfgang Gaebel Prof. Dr. med. Waldemar Greil Prof. Dr. med. Heinz Grunze Prof. Dr. med. Fritz Hohagen Prof. Dr. med. Georg Juckel Prof. Dr. med. Stephanie Krüger Prof. Dr. med. Wolfgang Maier Prof. Dr. med. Dr. h.c. mult. Andreas Marneros Prof. Dr. phil. Thomas D. Meyer Prof. med. Dr. Hans-Jürgen Möller Prof. Dr. med. Thomas Schläpfer Prof. Dr. phil. Hans-Ulrich Wittchen F atypische Neuroleptika im Sinne die­ ser Leitlinie (Amisulprid, Aripiprazol, Olanzapin, Sertindol, Quetiapin, Ri­ speridon, und Ziprasidon, ohne dass die Leitlinie hiermit intendiert, diesen Substanzen besondere Eigenschaf­ ten in Abgrenzung zu den übrigen Neuroleptika zuzuschreiben). Für eine detaillierte Darstellung der Wirk­ mechanismen, Indikationen, Kontraindi­ kationen, Dosierungen, Interaktionsprofi­ le und möglichen kurz- und längerfristi­ gen unerwünschten Wirkungen wird auf die Leitlinie verwiesen, die in den Emp­ fehlungen immer auch Limitationen des Einsatzes der Substanzen aufzeigt, z. B. durch wesentliche unerwünschte Wir­ kungen, das Interaktionspotenzial oder eine fehlende Zulassung in der speziellen Indikation. » Die Qualität der therapeutischen Beziehung ist einer der wichtigsten, unspezifischen Behandlungsfaktoren Psychotherapie bei bipolaren Störungen wird im Rahmen der Akutbehandlung, zur Stabilisierung und vor allem zur Ver­ 576 | Der Nervenarzt 5 · 2012 hinderung neuer Krankheitsepisoden eingesetzt. Therapie-Grundsätzliches6. Auch wenn es keine klaren Wirksamkeitsnachweise gibt, sollte die einfache Psychoedukation das Minimum sein, das in jeder ärztlichen, psychologischen oder psychosozialen Be­ handlung mit Patienten mit bipolaren Stö­ rungen durchgeführt wird (Statement). Die Qualität der therapeutischen Be­ ziehung bzw. des Arbeitsbündnisses von Patient und Therapeut trägt signifikant zur Erklärung positiver Therapieeffek­ te bei und gilt als einer der wichtigsten, unspezifischen Behandlungsfaktoren [16, 19]. Der Effekt von Psychotherapie ist zu einem beträchtlichen Teil auf nicht für das jeweilige Psychotherapieverfahren spezi­ fische Faktoren, sondern auf die therapeu­ tische Beziehung zurückzuführen [6]. Therapie-Grundsätzliches7. Eine pha­ senübergreifende tragfähige therapeuti­ sche Beziehung trägt wesentlich zum Be­ handlungserfolg in der Akut- und pro­ phylaktischen Therapie bei (Statement). Therapie-Grundsätzliches8. Effiziente Psychotherapie bei bipolaren Störungen umfasst zumindest: F Psychoedukation, F Selbstbeobachtung von Stimmungs­ veränderungen, Ereignissen, Verhal­ ten und Denken, F Reflexion von Erwartungen und Maßstäben, F Förderung von Kompetenzen zum Selbstmanagement von Stimmungs­ schwankungen und Frühwarnzeichen, F Normalisierung und Stabilisierung von Schlaf-Wach- und sozialem ­Lebensrhythmus, F Stressmanagement, F Aktivitätenmanagement, F Steigerung der Selbstwirksamkeits­ überzeugung, F Einbezug der Angehörigen, F Vorbereitung auf Krisen und Notfälle (Rückfälle). (Statement) Die zurzeit am besten bewährten und evaluierten Psychotherapien zur Behand­ lung bipolarer Störungen sind die psycho­ edukative Therapie [7], die kognitive Ver­ haltenstherapie (KVT, [14]), die familien­ fokussierte Therapie (FFT, [15]) und die interpersonelle und soziale Rhythmusthe­ rapie (IPSRT, [9]; siehe unten). In Kliniken bzw. Institutsambulanzen werden immer häufiger spezifische und vereinfachte Psychoedukationsangebo­ te implementiert, welche den Patienten neben einer Psychoedukation einen ers­ ten Einblick in die Psychotherapie bie­ ten und dadurch zu einer weiterführen­ den Therapie oder aktiven Teilnahme in einer Selbsthilfegruppe motiviert werden können. Therapie-Grundsätzliches11. Unter­ stützende Therapieverfahren (wie Ent­ spannungs- und Bewegungstherapie so­ wie Ergo-, Kunst- und Musik-/Tanzthe­ rapie) sollten, wenn sie angeboten wer­ den, Bestandteil des individuellen integ­ rierten Behandlungsplans sein. Die spe­ zifischen Behandlungsziele sollten in Ab­ sprache mit allen Beteiligten festgelegt und im Verlauf überprüft werden (KKP). Wie bereits beschrieben werden sehr häufig Kombinationen von Therapiever­ Leitthema Leitlinienfragestellungen Systematische Literaturrecherche** A u s s c h l u s s Ein- und aussgeschlossene Studien NICE Guideline 20061* Screening Titel/Abstracts Screening Volltexte Qualitätsbewertung Datenextraktion Evidenzlevel pro Studie (SIGN2) Zusammenstellung der Evidenz Evidenzgrad pro Fragestellung /Intervention (nach GRADE3) Considered Judgement Empfehlung/Statement Abb. 2 8 Entwicklungsprozess. 1The management of bipolar disorder in adults, children and adolescents, in primary and secondary care, NICE 2006, 2Guidelines of the Scottish Intercollegiate Guide­ lines Network Grading Review Group, 3Grading of Recommendations Assessment, Development and Evaluation, *Literatur bis Mitte 2005, **ab 2005 neue Recherche mit NICE-Suchkriterien plus Recherche für zusätzliche Fragestellungen fahren genutzt und die Kombination wird auch empfohlen, obgleich dies leider auf wenig Evidenz fußt. Therapie der akuten Episoden und Phasenprophylaxe Therapie der Manie Zur Behandlung einer akuten mani­ schen Episode spielt die Pharmakotherapie häufig eine zentralere Rolle als bei anderen Therapieindikationen im Rah­ men bipolarer Erkrankungen. Insbeson­ dere Psychotherapie (s. unten) ist auf eine aus einem Leidensdruck entstehende Ver­ änderungsmotivation des Patienten und auf damit einhergehendes Krankheits­ gefühl und Krankheitseinsicht angewie­ sen. Diese Aspekte sind während einer manischen Krankheitsphase aber häufig nur gering ausgeprägt. Gleichwohl stellt eine professionelle Beziehungsgestaltung und die Schaffung therapeutisch günsti­ ger Umweltbedingungen die Basis für die Maniebehandlung noch vor dem Einsatz eines Medikaments dar. 578 | Der Nervenarzt 5 · 2012 Die Evidenzbasis ist relativ umfang­ reich. Wie im Algorithmus (. Abb. 3) er­ sichtlich, wurden für Lithium, Carbama­ zepin, Haloperidol, Valproinsaure sowie die atypischen Neuroleptika Aripiprazol, Olanzapin, Quetiapin, Risperidon und Zi­ prasidon und mit Einschränkungen auch für Asenapin und Paliperidon Empfeh­ lungen formuliert. Auch für einige zu­ sätzlich zu einer bestehenden Behand­ lung gegebenen Wirkstoffe (bei unzurei­ chender Response auf die Monotherapie) konnten trotz sehr eingeschränkter Evi­ denzlage Empfehlungen formuliert wer­ den. Auswahlkriterien sind u. a. spezifi­ sche Vorerfahrungen und der Wunsch des Patienten, die unterschiedlichen Neben­ wirkungsprofile, der Bedarf nach einem sedierenden oder nichtsedierenden Phar­ makon und die Eignung eines Antimani­ kums zur anschließenden Fortführung als Phasenprophylaktikum. Zur Informa­ tion für die Entscheidung sind spezifische Profile möglicher Interaktionen und un­ erwünschter Wirkungen in der Leitlinie aufgeführt. Für den Einsatz von Lamotri­ gin, Oxcarbazepin, zur zusätzlichen Ga­ be von Amisulprid zu Valproat und zur Kombination zweier Stimmungsstabili­ sierer konnten keine Empfehlungen for­ muliert werden (meist aufgrund fehlen­ der adäquater Evidenz). Für die Mono­ therapie mit weiteren Substanzen, für die ein antimanischer Effekt diskutiert wird (Phenytoin, Zonisamid, Retigabin, Topi­ ramat, Gabapentin, Pregabalin, Tiagabin, Chlorpromazin, Tamoxifen, Calciuman­ tagonisten und Memantin) wurden aus demselben Grunde keine Empfehlungen formuliert. Abgeraten wird vor der zu­ sätzlichen Gabe von Levitiracetam zu Val­ proat, und von Topiramat oder Gabapen­ tin zu Lithium oder Valproat. Psychotherapie in manischen oder hypomanischen Zuständen zu beginnen oder fortzusetzen, kann unter bestimm­ ten Bedingungen sinnvoll sein (z. B. Kon­ takthalten und Motivation für Verände­ rung schaffen, wenn die akute manische Symptomatik im Rahmen einer bereits bestehenden Psychotherapie auftritt oder wenn Betroffene (oder deren Angehöri­ ge) in diesem Zustand gezielt Hilfe aufsu­ chen). Eine psychotherapeutische Beglei­ tung in hypomanischen und manischen Zuständen zielt einerseits auf eine Stabili­ sierung und Reduktion der Symptomatik bei den Betroffenen selbst hin (z. B. durch Stimuluskontrolle, Aktivitätsplan, Reduk­ tion von Stimulation, Strategien zur Ener­ gieabfuhr), aber sie kann auch helfen, die emotionale Expressivität in Familie und Partnerschaften zu reduzieren oder vor einer Eskalation zu schützen. Ein Ein­ üben von klaren Kommunikationsregeln – idealerweise unter Einbezug der Bezugs­ personen in der Therapie – ist hierbei hilf­ reich, auch und vor allem unter Berück­ sichtigung von potenziell reizbar-aggres­ sivem Verhalten. Bei den nichtmedikamentösen somatischen Therapieverfahren ist die Evidenz­ lage insgesamt sehr begrenzt. Vor allem in Fällen von Pharmakotherapieresistenz kommt eine Elektrokonvulsionstherapie (EKT) infrage. Die repetitive transkraniel­ le Magnetstimulation (rTMS) wird noch als experimentelles Verfahren angesehen, zu dem keine ausreichenden Daten vorlie­ gen, die den Einsatz der rTMS bei Manie unterstützen. Ein therapeutischer Schlaf­ entzug ist kontraindiziert. Ein Algorithmus zur Behandlung der Manie ist in . Abb. 3 dargestellt. Schutzmaßnahmen (für Patienten und ggf. für andere Personen) Beratung, Aufklärung, Einwilligung des Patienten/gesetzl. Vertreters bzgl. Behandlung (gut: zusätzlich Einbezug Angehörige) Monotherapie + Benzos4 ASE, PAL ARI, CBZ1, DVP3, HAL2, Li, OLZ, QUE, RIS, ZIP + Psychotherapie5 Nicht ausreichendes Ansprechen Kombinationstherapie DVP3+ OLZ, DVP3 + RIS, Li + OLZ, Li + RIS DVP3+ ARI, DVP3 + QUE, Li + ARI, Li + QUE, HAL2 + Allop, Li + Allop Weiterhin nicht ausreichendes oder fehlendes Ansprechen Aufklärung, Einwilligung des Patienten/gesetzl. Vertreters bzgl. EKT (gut: zusätzlich Einbezug Angehörige) zusätzlich EKT B 0 KKP Abb. 3 8 Phasenspezifische Therapie der Manie. 1Beachte hohes Interaktionsrisiko, 2im Rahmen einer Notfallsituation oder zur Kurzzeittherapie, 3Vorsicht: gilt nicht für Frauen im gebärfähigen Alter, 4zeitlich eng begrenzt, 5Kontakt halten, bei leichteren Phasen verhaltensnahe Maßnahmen. Empfehlungsgrade: B, 0, KKP (klinischer Konsenspunkt). Allop Allopurinol, ASE Asenapin, ARI Aripiprazol, Benzos Benzodiazepin, CBZ Carbamazepin, EKT Elektrokonvulsionstherapie, HAL Haloperidol, Li Lithium, OLZ Olanzapin, PAL Paliperidon, QUE Quetiapin, RIS Risperidon, DVP Valproat, ZIP Ziprasidon Therapie der bipolaren Depression Erst in der jüngeren Vergangenheit wer­ den getrennte Studien für bipolare und unipolare Depressionen durchgeführt [11]; die Therapie der unipolaren Depres­ sion ist hierbei aber deutlich umfangrei­ cher untersucht. In der klinischen Pra­ xis werden daher häufig Therapiestrate­ gien auf bipolare Depressionen übertra­ gen, die nur für unipolar erkrankte Pa­ tienten ausreichend untersucht sind. Fer­ ner wird nicht in allen Studien zwischen depressiven Episoden bei Bipolar-I- und Bipolar-II-Verläufen unterschieden, ob­ wohl vor allem bei Bipolar-I-Verläufen, und weniger bei Bipolar-II-Verläufen, ein Umschlagen der Depression in eine ma­ nische Phase unter der medikamentösen Behandlung gefürchtet wird. Innerhalb der Akuttherapie können verschiedene Therapieziele abgegrenzt werden. Erst in jüngerer Zeit wurde sys­ tematisch beachtet, dass auch Patien­ ten, deren depressive Symptomatik als remittiert betrachtet wird, häufig anhal­ tende Schwierigkeiten in der vollständi­ gen Wiederaufnahme ihres Lebensalltags (z. B. Berufstätigkeit, familiäre Aufgaben) haben. Die vollständige funktionelle Genesung wird daher inzwischen als ein noch weiter gefasstes Ziel verstanden. (Zur Phasenprophylaxe s. unten.) Die Studienlage zur Frage der Indika­ tion einer Pharmakotherapie bei bipolarer Depression unterscheidet leider kaum be­ züglich des Schweregrades. Therapie-Depression3. Bei einer leich­ ten depressiven Episode besteht nur in Ausnahmefällen die Indikation zu einer depressionsspezifischen Pharmakothera­ pie, da hier Risiken und Nebenwirkun­ gen den erhofften Nutzen überwiegen. Psychoedukation, psychotherapeutische Interventionen im engeren Sinne, Anlei­ tung zum Selbstmanagement und Einbe­ ziehung von Selbsthilfegruppen stehen im Vordergrund (KKP). Therapie-Depression4. Für eine akutantidepressive Pharmakotherapie bei einer leichten depressiven Episode kön­ nen u. a. sprechen: F Wunsch/Präferenz des Patienten, F positive Erfahrung des Patienten mit gutem Ansprechen auf eine medika­ mentöse Therapie in der Vergangen­ heit, F Fortbestehen von Symptomen nach anderen Interventionen, F Episoden mittelgradiger oder schwe­ rer Depression in der Vorgeschichte des Patienten, F rasche Symptomprogredienz als Hin­ weis auf eine sich möglicherweise entwickelnde schwere depressive Epi­ sode, F psychiatrische Komorbidität. (Statement) Therapie-Depression5. Wenn bei einem Patienten mit einer akuten bipolaren De­ pression eine Phasenprophylaxe besteht, dann ist es sinnvoll, diese bezüglich Dosis und ggf. Serumspiegel zu optimieren. Be­ steht keine Phasenprophylaxe, ist es sinn­ voll, zu prüfen, ob eine Indikation besteht und diese ggf. in der akuten depressiven Phase zu beginnen (KKP). Therapie-Depression6. Bei einer mittel­ gradigen Episode einer bipolaren Depres­ sion stellt die depressionsspezifische phar­ makotherapeutische Behandlung eine we­ sentliche Option dar (Statement). Therapie-Depression7. Eine schwere Episode einer bipolaren Depression soll­ te pharmakotherapeutisch behandelt wer­ den (s. spezifische Empfehlungen und Therapiealgorithmus; KKP). Der Nervenarzt 5 · 2012 | 579 Leitthema Therapie-Depression8. In den ersten 4 Wochen der pharmakologischen Be­ handlung einer akuten bipolaren Depres­ sion sind Untersuchung und Gespräch mit dem Patienten mindestens wöchent­ lich angeraten, um Risiken und Neben­ wirkungen der Pharmakotherapie zu er­ kennen, den Erfolg der eingeleiteten Maß­ nahmen beurteilen zu können und die Zusammenarbeit zwischen Patient und Arzt zu verbessern. Danach sind Interval­ le von 2 bis 4 Wochen, nach 3 Monaten bei ausreichender Stabilität eventuell län­ gere Intervalle möglich. Je nach klinischer Situation können häufigere Frequenzen notwendig sein (KKP). Therapie-Depression9. Nach 3 bis 4 Wochen sollte eine genaue Wirkungsprü­ fung das Ausmaß des noch bestehenden depressiven Syndroms mit der Ausgangs­ schwere zu Beginn der Pharmakotherapie vergleichen. Hiervon sollte abhängig ge­ macht werden ob ein Wechsel oder eine Ergänzung der Behandlungsstrategie in­ diziert ist oder nicht (s. Therapiealgorith­ mus; KKP). In der Leitlinie werden Patientencha­ rakteristika genannt, die für oder gegen eine mehrmonatige unveränderte Fort­ führung der zur Remission führenden Medikation sprechen. Zur pharmakologischen Behandlung bipolarer Depressionen wurden Phar­ maka aus den Substanzklassen Antidepressiva, Stimmungsstabilisierer, atypische Neuroleptika und Phytotherapeutika syste­ matisch untersucht. Die Evidenzsichtung ergab keine endgültige Klarheit bezüg­ lich der Höhe des tatsächlichen Risikos für einen Switch in die Manie unter Anti­ depressiva. Am ehesten war davon auszu­ gehen, dass dieses Risiko unter Fluoxe­ tin, Paroxetin und Bupropion gering ist, unter trizyklischen Antidepressiva hin­ gegen größer zu sein scheint. Aus den an­ deren Wirkstoffgruppen konnten für Car­ bamazepin, Lamotrigin, Olanzapin und Quetiapin Empfehlungen formuliert wer­ den (für letzteren Wirkstoff mit den bes­ ten Belegen der Wirksamkeit). Abgera­ ten wurde vom Einsatz von Valproinsäu­ re und Aripiprazol und auch von Lithium als alleinige Medikation. 580 | Der Nervenarzt 5 · 2012 Viele Patienten (insbesondere mit einer Bipolar-II-Störung) suchen vor allem im Rahmen einer akuten depressiven Phase psychotherapeutische Hilfe. Psychothera­ pie zielt hierbei auf die Überwindung der Depression und die Besserung der depres­ siven Symptomatik. In der Leitlinie wurde eine Empfehlung für eine Psychotherapie formuliert und angemerkt, dass es empiri­ sche Belege für die Wirksamkeit von KVT, FFT und IPSRT gibt. Nichtmedikamentöse somatische Therapieoptionen: Vor allem in Fällen von Therapieresistenz und in schweren Fäl­ len kommt eine EKT infrage und sollte in akut lebensbedrohlichen Situationen mitbedacht werden. Obwohl die Datenla­ ge zur rTMS bei bipolarer Depression un­ zureichend ist, wurde aufgrund der Evi­ denz zur Wirksamkeit bei unipolar de­ pressiven Episoden eine Empfehlung for­ muliert (für Details zu Applikationsform und -ort s. Leitlinie). Auch für die zu­ sätzlich zur Standardbehandlung einge­ setzte Lichttherapie wurde eine Empfeh­ lung formuliert. Wenn eine kurzfristige antidepressive Wirkung angestrebt wird, kann Wachtherapie allein oder zusätzlich zur Standardtherapie eingesetzt werden. Ein Algorithmus zur Behandlung der bipolaren Depression ist in . Abb. 4 dar­ gestellt. Therapie zur Phasenprophylaxe Die akuten Krankheitsepisoden bipolar affektiver Erkrankungen (insbesonde­ re Manie und Depression) werden auf­ grund der mit ihnen verbundenen Leiden und Beeinträchtigungen vorrangig wahr­ genommen. Dennoch sind es der Lang­ zeitverlauf und die Langzeitbehandlung, die für die Erkrankten entscheidend für die Frage sind, in welchem Ausmaß die Krankheit die Biographie und die Partizi­ pation am Leben beeinträchtigt. Wie auch bei der Therapie der akuten Krankheitsphasen der bipolaren Störung und generell bei den meisten psychiatri­ schen Behandlungen ist in der Regel eine Kombination pharmako- und psychothe­ rapeutischer und ggf. weiterer Strategien für eine effektive Phasenprophylaxe am erfolgversprechendsten. Eine ideale Phasenprophylaxe führt zu einer völligen Freiheit von depressiven, manischen und gemischten Episoden, zu allenfalls minimaler interepisodischer Symptomatik und zum Erhalt einer unbe­ einträchtigten Teilhabe am Leben (über­ geordnetes Therapieziel). Es gelingt häu­ fig nicht unmittelbar, dieses Ziel in vollem Umfang zu erreichen, sodass zum Teil vo­ rübergehend nur das Erreichen von nach­ geordneten Therapiezielen (z. B. seltenere, kürzere und/oder schwächer ausgepräg­ te Krankheitsepisoden und/oder eine ver­ ringerte interepisodische Symptomatik) akzeptiert werden muss. Während das Er­ reichen des übergeordneten Therapieziels in der Regel von Patient und Behandler leicht erkannt werden, können Teilerfolge (das Erreichen nachgeordneter Therapie­ ziele) aufgrund der langen Behandlungsund Beobachtungsdauer einer phasenpro­ phylaktischen Behandlung leicht überse­ hen werden. Hier besteht die Gefahr, aus einer solchen Fehleinschätzung heraus eine phasenprophylaktische Strategie zu beenden und damit den Teilerfolg wie­ der aufzugeben. Auch wenn zu diesen be­ handlungsstrategischen Fragen kaum Er­ kenntnis aus systematischen Studien be­ steht, wird bei vollkommener Wirkungs­ losigkeit einer Phasenprophylaxe eher die Entscheidung zur Beendigung der Be­ handlung und dem Beginn einer neuen Therapie (Umstellen) fallen, während bei Teilerfolgen eher eine Kombinationsbe­ handlung unter Beibehaltung der bishe­ rigen Therapie vorgezogen werden dürfte. » In der langen Behandlungsdauer können Teilerfolge oft übersehen werden Therapie-Prophylaxe1. Trotz weitge­ hend fehlender Evidenz bietet sich in der Verlaufskontrolle bei vollkommener Wir­ kungslosigkeit der phasenprophylakti­ schen Strategie eher eine Umstellung auf eine neue Therapie, bei Teilerfolgen eher eine zusätzliche Maßnahme zur bereits laufenden Strategie an (Statement). Um auch phasenprophylaktische Teil­ erfolge sicher zu erkennen, ist es unum­ gänglich, dass jede Form der Phasenpro­ phylaxe grundsätzlich von einer systema­ tischen Verlaufsdokumentation begleitet wird (s. Diagnostik). Schutzmaßnahmen (für Patienten und ggf. für andere Personen) Beratung, Aufklärung, Einwilligung des Patienten/gesetzl. Vertreters bzgl. Behandlung (gut: zusätzlich Einbezug Angehörige) Bestehende Phasenprophylaxe? ja nein Prüfen, optimieren QUE Beginn + Psychotherapie (FFT, KVT oder IPSRT) CBZ1, LAM2 , OLZ3, SSRI*/BUP4 , WT Nicht ausreichendes Ansprechen Wechsel der Substanz oder zusätzliche Substanz + WT + LT Weiterhin nicht ausreichendes oder kein Ansprechen Aufklärung, Einwilligung des Patienten oder gesetzlichen Vertreters bzgl. EKT (gut: zusätzlich Einbezug Angehörige) zusätzlich EKT5 B 0 KKP Abb. 4 8 Phasenspezifische Therapie der bipolaren Depression. 1Beachte hohes Interaktionsrisiko, 2Beachte Erfordernis langsame Aufdosierung, 3Evidenz für Überlegenheit der Kombination mit Fluoxetin ist spärlich, 4nicht zur alleinigen Phasenprophylaxe geeignet, 5Grad B in lebensbedrohlichen Situationen, *Fluoxetin, Paroxetin, Sertralin. Empfehlungsgrade: B, 0, KKP (klinischer Konsenspunkt). BUP Bupropion, CBZ Carbamazepin, EKT Elektrokonvulsionstherapie, FFT familienfokussierte Therapie, IPSRT interpersonelle und soziale Rhythmustherapie, KVT kognitive Verhaltenstherapie, LAM Lamotrigin, LT Lichttherapie, OLZ Olanzapin, QUE Quetiapin, SSRI selektiver Serotoninwiederaufnahmehemmer, WT Wachtherapie Eine gleichermaßen wichtige und schwierig zu beantwortende Frage in der Phasenprophylaxe ist, wie lange eine Be­ handlung beibehalten werden soll, bis ihre Wirksamkeit beurteilt werden kann und darüber entschieden wird, ob eine Ver­ änderung der Behandlung erfolgen soll. Während in der Behandlung akuter Epi­ soden die Therapie in der Regel nach we­ nigen Wochen ansprechen soll, muss in der Phasenprophylaxe zum Teil sehr viel länger gewartet werden. Es ist jedoch zu vermeiden, dass eine nicht vollstän­ dig erfolgreiche Phasenprophylaxe un­ geprüft und unverändert über Jahre fort­ geführt wird. Den besten Anhaltspunkt für die Dauer, über welche eine phasen­ prophylaktische Strategie bis zur Beurtei­ lung erprobt werden sollte, gibt der indi­ viduelle Verlauf. Bei Patienten mit häufi­ gen Krankheitsphasen ist auch nach Be­ ginn einer Phasenprophylaxe schneller mit einer neuen Krankheitsepisode zu rechnen (deren Ausbleiben ein Hinweis auf eine Wirksamkeit sein kann), als bei Patienten mit seltenen Krankheitsphasen. Therapie-Prophylaxe2. Die Wirksam­ keit einer phasenprophylaktischen Be­ handlung sollte entsprechend dem indivi­ duellen Krankheitsverlauf überprüft wer­ den. Nach klinischer Erfahrung bietet es sich an, diese nach Ablauf der doppelten Dauer des durchschnittlichen Krankheits­ zyklus des Patienten zu beurteilen. In der Regel sollte bei Rezidiven innerhalb der ersten 6 Monate nach Beginn einer pha­ senprophylaktischen Behandlung keine Veränderungen im Behandlungsregime vorgenommen werden (KKP). Die Pharmakotherapie stellt bei den allermeisten Patienten einen unverzicht­ baren Bestandteil der Phasenprophylaxe dar. Wenngleich eine lange klinische Er­ fahrung in der pharmakologischen Pha­ senprophylaxe besteht (Lithium wird z. B. seit den 1950er Jahren umfangreich ein­ gesetzt), gibt es, wie die Leitlinie im De­ tail aufzeigt, an vielen Stellen erhebliche Defizite bezüglich der wissenschaftlichen Fundierung. Für die Monotherapie mit den Wirkstoffen Lithium (konsistentes­ te Wirksamkeitsbelege), Lamotrigin (nur zur Prophylaxe depressiver Episoden), Carbamazepin, Valproinsäure, Olanza­ pin, Aripiprazol und Risperidon wurden Empfehlungen formuliert (für letztere drei nur, sofern sie bereits in der Akutbe­ handlung vertragen wurden und wirksam waren). Von Quetiapin in Monotherapie wurde abgeraten, da zum Zeitpunkt der letzten systematischen Literaturrecherche nur eine Studie vorlag, die aufgrund ihrer Fallzahl und heterogenen Vergleichsgrup­ pe keine validen Aussagen zuließ (bezüg­ lich der zusätzlichen Gabe zu einem klas­ sischen Stimmungsstabilisierer s. unten). Erste Schritte bei unzureichender Re­ sponse sind die Überprüfung der Einnah­ meregelmäßigkeit, die Überprüfung der Dosis und, sofern für das Pharmakon eta­ bliert, des Serumspiegels und die Anpas­ sung von Dosis oder Serumspiegel nach oben, sofern hier noch Spielraum besteht und die Verträglichkeit dies ermöglicht. Aufgrund der hohen Quote unzurei­ chender Response finden in der klini­ schen Praxis häufig eine pharmakolo­ gische Kombinationsbehandlungen statt, was im Missverhältnis zu der nur dürfti­ gen Erkenntnislage zu Kombinationsbe­ handlungen aus kontrollierten Studien steht. Die Leitlinie spricht sich dafür aus, eine rezidivprophylaktische Monothe­ rapie anzustreben. Sofern trotzdem nö­ tig, finden sich differenzierte Empfehlun­ Der Nervenarzt 5 · 2012 | 581 Leitthema Beratung, Aufklärung, Einwilligung des Patienten/gesetzl. Vertreters bzgl. Behandlung (gut: zusätzlich Einbezug Angehörige) Monotherapie LAM 1 Li ARI2, CBZ, DVP, LAM3, OLZ4, RIS5 ausführliche und interaktive PE Kein Ansprechen oder keine Evidenz für Kombination des Monotherapie-Wirkstoffs Nicht ausreichendes Ansprechen Kombinationstherapie DVP + QUE6, DVP + ZIP7, DVP + Li, Li + QUE6, Li + ZIP7, TAU* + RIS3,5 +Psycho therapie KVT, FFT, IPSRT8 Umstellung auf anderen Wirkstoff in Monotherapie Aufklärung, Einwilligung des Patienten/gesetzl. Vertreters bzgl. EKT (gut: zusätzlich Einbezug Angehörige) zusätzlich EKT A B 0 KKP Abb. 5 8 Phasenprophylaxe der bipolaren Störungen. 1Gegen depressive Episoden bei Ansprechen in Akutphase, KKP für Einsatz gegen depressive Episoden auch ohne Ansprechen in Akutphase, 2gegen manische Episoden bei Ansprechen in Manie, 3bei Rapid Cycling, 4bei Ansprechen in Manie, 5Depotpräparat, bei Ansprechen in Akutphase, 6bei Ansprechen auf diese Kombination in Akutbehandlung, 7bei Ansprechen auf ZIP in Manie, 8bei Beginn in akuter Phase und längerfristiger Planung, *Behandlung wie üblich: jede Monotherapie und Kombination von Antidepressiva Stimmungsstabilisierer und Anxiolytika ­erlaubt. Empfehlungsgrade: A, B, 0, KKP (klinischer Konsenspunkt). ARI Aripiprazol, CBZ Carbamazepin, DVP Valproat, EKT Elektrokonvulsionstherapie, FFT familienfokussierte Therapie, IPSRT interpersonelle und soziale Rhythmustherapie, KVT kognitive Verhaltenstherapie, LAM Lamotrigin, Li Lithium, OLZ Olanzapin, PE Psychoedukation, QUE Quetiapin, RIS Risperidon, ZIP Ziprasidon gen zu Kombinationsmöglichkeiten. Die­ se beziehen sich u. a. auf die zusätzliche Gabe von Quetiapin oder Ziprasidon zu einer bestehenden Behandlung mit Li­ thium oder Valproat, wenn die Patienten auf die Kombination bereits in der Akut­ phase respondiert haben. In der Phasenprophylaxe ist das Ziel der Psychotherapie, den gebesserten bzw. remittierten Zustand zu erhalten und neue Krankheitsepisoden zu verhindern. Die Behandlung setzt somit nach Abklin­ gen einer akuten depressiven bzw. (hypo) manischen Episode ein. In einem solchen, zumindest teilremittierten Zustand schei­ nen Patienten mit einer bipolaren Störung am meisten von einer Psychotherapie zu profitieren. Das Neulernen und die Ver­ besserung der Adaptionsfähigkeit erfor­ dert Zeit. Daher ist es günstig, die Psy­ chotherapiekontakte nach anfänglichen wöchentlichen Kontakten (in Krisen so­ gar mehrmals wöchentlich) über mehre­ re Monate, über ein Jahr oder sogar auf mehrere Jahre zu verteilen. In der Leitli­ nie ist eine Empfehlung zur rezidivpro­ phylaktischen Behandlung mit einer aus­ 582 | Der Nervenarzt 5 · 2012 führlichen und interaktiven Gruppenpsy­ choedukation formuliert. Eine manuali­ sierte, strukturierte kognitive Verhaltens­ therapie kann bei aktueller Stabilität und weitgehend euthymer Stimmungslage empfohlen werden. Auch eine FFT kann angeboten werden (und zeigte eine gute rezidivprophylaktische Wirkung), aller­ dings machen die Therapiemodalitäten (2 Therapeuten, zu Hause bei der Fami­ lie) die Umsetzung schwierig. Eine IPSRT kann dann fortgeführt werden, wenn sie bereits in der akuten Episode begonnen wurde und eine langfristige und kontinu­ ierliche Betreuung intendiert ist. Für die Anwendung nichtmedikamentöser somatischer Therapieverfahren in der Phasenprophylaxe bipolarer Erkrankun­ gen liegen keine systematischen und me­ thodisch höherwertigen Studien vor. Hin­ zu kommt, dass alle genannten Verfahren mit Ausnahme von Vagusnervstimulation (VNS) und tiefer Hirnstimulation (DBS) akute und im Rahmen von wiederholten Einzelbehandlungen eingesetzte Interven­ tionen sind und methodisch an sich nicht für eine kontinuierliche Langzeitbehand­ lung optimiert sind. Wenn eine Langzeit­ behandlung erfolgt, geht es darum, die intermittierende Einzelbehandlung be­ züglich Zeitpunkt und Intervall zwischen den Behandlungen so abzustimmen, dass der therapeutische Effekt der Einzelbe­ handlung möglichst bis zur nächsten Be­ handlung aufrechterhalten bleibt. In der Leitlinie findet sich eine offene Empfeh­ lung für EKT nach erfolgreicher Akutbe­ handlung. Obwohl empirische Untersuchungen spezifisch zu bipolaren Störungen in aus­ reichender Qualität fehlen, legt die klini­ sche Erfahrung nahe, dass kreative und handlungsorientierte Therapieverfahren wie beispielsweise Ergo-, Kunst- und Mu­ sik-/Tanztherapie im Rahmen eines am­ bulanten oder (teil-) stationären Behand­ lungskonzepts zur psychischen und sozia­ len Stabilisierung bipolarer Patienten bei­ tragen können und dass Entspannungsverfahren (wie z. B. die progressive Muskel­ relaxation) im Rahmen eines ambulanten oder (teil-)stationären Behandlungskon­ zepts bipolarer Patienten beitragen kön­ nen, Patienten durch die Linderung spezi­ Leitthema fischer Symptome (wie z. B. Anspannung oder Schlafstörungen) zu stabilisieren. Ein Algorithmus zur Phasenprophyla­ xe bei bipolaren Störungen ist in . Abb. 5 dargestellt. Zur Behandlung spezifischer Patientengruppen und in besonderen Situationen ist die Datenlage insgesamt nochmals spär­ licher als bei bipolaren Störungen ohne­ hin, da diese Patienten (und Situationen) in klassischen randomisierten kontrollier­ ten klinischen Studien meist Ausschluss­ kriterien erfüllen. Dennoch stehen The­ rapeuten, Patienten und Angehörige ge­ rade hier in häufig komplexen Situatio­ nen schwierigen Therapieentscheidungen gegenüber. Für die folgenden Themenbe­ reiche wurde daher versucht, Empfehlun­ gen und Statements zu formulieren: Be­ handlung von Frauen im gebärfähigen Alter sowie in der Schwangerschaft und Stillzeit, älterer Patienten, von Patienten mit den häufigen komorbiden psychiatri­ schen und/oder somatischen Erkrankun­ gen und von Patienten mit Therapieresis­ tenz inklusive „rapid cycling“. Spezifische Situation Suizidalität Mit dem separaten Kapitel zur Suizidali­ tät wird der Häufigkeit und Schwere der Konsequenz von Suizidgedanken, Suizid­ versuchen und vollendeten Suiziden bei Patienten mit bipolaren Störungen Rech­ nung getragen. Suizidalität1. Aufgrund des besonders hohen Risikos muss der Behandler Sui­ zidalität bei jedem Patientenkontakt kli­ nisch einschätzen und ggf. direkt thema­ tisieren, präzise und detailliert erfragen und vor dem Hintergrund der Anamne­ se früherer Suizidalität und vorhandener Eigenkompetenz und sozialer Bindungen beurteilen (KKP). Suizidalität3. Suizidale Patienten müs­ sen eine besondere Beachtung und Be­ treuung im Sinne einer Intensivierung des zeitlichen Engagements und der the­ rapeutischen Bindung erhalten (KKP). (Wörtlich übernommener Satz einer Empfehlung aus der S3-Leitlinie Unipola­ re Depression [8].) 584 | Der Nervenarzt 5 · 2012 Insgesamt wurde nur für wenige Wirk­ stoffe eine potenziell antisuizidale Wir­ kung explizit untersucht. Suizidalität6. In der Rezidivprophylaxe bei suizidgefährdeten bipolaren Patien­ ten soll zur Reduzierung suizidaler Hand­ lungen (Suizidversuche und Suizide) eine Medikation mit Lithium in Betracht gezo­ gen werden (A). (Geänderte Empfehlung mit wört­ licher Übernahme einzelner Elemen­ te einer Empfehlung aus der S3-Leitlinie Unipolare Depression [8].) Von der Gabe von Valproat oder La­ motrigin zur Reduzierung suizidaler Handlungen bei gefährdeten Patienten wird aufgrund der vorhandenen Datenla­ ge abgeraten. Für oder gegen Carbamaze­ pin konnte keine Empfehlung formuliert werden. Suizidalität10. Abratend: Zur akuten Behandlung des Zielsyndroms Suizidali­ tät sollten Antidepressiva nicht eingesetzt werden (B). (Geänderte Empfehlung mit wört­ licher Übernahme einzelner Elemen­ te einer Empfehlung aus der S3-Leitlinie Unipolare Depression [8].) Es wurde konstatiert, dass es keine Hinweise dafür gibt, dass Neuroleptika eine suizidalitätsreduzierende Wirkung haben. Suizidalität13. Bei suizidgefährdeten Patienten soll eine Psychotherapie in Be­ tracht gezogen werden, die zunächst auf die Suizidalität fokussiert. Das kurzfris­ tige Ziel besteht dabei in intensiver Kon­ taktgestaltung und aktiver unmittelbarer Unterstützung und Entlastung bis zum Abklingen der Krise. Bei suizidgefährdeten Patienten kann eine tragfähige therapeutische Beziehung per se suizidpräventiv wirken (KKP). EKT stellt aufgrund klinischer Erfah­ rung eine therapeutische Option dar. Versorgung und Versorgungssystem Die 2010 durchgeführte Analyse von Ver­ sorgungserfahrungen bipolarer Patienten in Deutschland [20] hat selbst bei in der DGBS organisierten Patienten Verbesse­ rungspotenziale aufzeigen können. In der Leitlinie werden anhand erster nationaler und internationaler Initiativen zur effekti­ ven Versorgung der Patienten Rahmenbe­ dingungen aufgeführt, welche für eine sol­ che Versorgung nötig sind. Wir gehen da­ von aus, dass Verbesserungen in der Ver­ sorgungsrealität bipolarer Patienten ein großes Potenzial für das Erreichen eines günstigeren Erkrankungsverlaufs und da­ mit einer besseren psychosozialen Funk­ tionsfähigkeit bieten. Um die in der Leit­ linie formulierten Rahmenbedingungen stärker im System umsetzen zu können, bedarf es einer konstruktiven Zusam­ menarbeit aller Akteure und Systempart­ ner in der Versorgung der Patienten. Für eine ausführlichere Darstellung siehe den Beitrag von Brieger et al. in diesem Heft. Verbreitung und Einführung der Leitlinie in die Praxis sowie Aktualisierung Das entwickelte Konzept für die Dissemi­ nierung (Verbreitung) und Implementie­ rung (Einführung in die Praxis) der vor­ liegenden Leitlinie beinhaltet u. a. ver­ schiedene Publikationsversionen der Leit­ linie inklusive einer englischen Kurzver­ sion, die Präsentation von Leitlinienin­ halten bei Kongressen und anderen Ver­ anstaltungen, bei Fortbildungs- und Wei­ terbildungsveranstaltungen sowie in der studentischen Lehre sowie ein modula­ res Online-Lernprogramm (welches über die Leitlinien-Homepage angeboten wer­ den wird). Um die Aktualität der vorliegenden Leitlinie zu gewährleisten und eine Über­ prüfung der Empfehlungen vorzunehmen, wird eine Überarbeitung alle 4 Jahre an­ gestrebt. Limitationen Bei der Nutzung der vorliegenden Leitli­ nie müssen entscheidende Limitationen berücksichtigt werden, die an verschiede­ nen Punkten im Entwicklungsprozess auf die Empfehlungsformulierung eingewirkt haben können. Die wesentlichen werden im Folgenden kurz aufgelistet, wobei die Reihenfolge keine Gewichtung darstellt: F methodische Wertigkeit der unter­ schiedlichen Studiendesigns bei spe­ ziellen Fragestellungen (z. B. Psycho­ therapie), F Datenlage zur Abschätzung des Nut­ zen-Risiko-Verhältnisses, F Einfluss der Publikationsqualität bei der Studienbewertung (s. auch Solt­ mann et al. in diesem Heft), F Einfluss unpublizierter Daten auf die Einschätzung der Evidenzlage, F möglicher Sponsoreneinfluss auf die Auswahl der in Studien untersuchten Interventionen, der veröffentlichten Ergebnisse und auf deren Interpreta­ tion, F keine unmittelbare Berücksichtigung ökonomischer Überlegungen bei der Empfehlungsformulierung. Für eine ausführlichere Diskussion muss auf die Langversion der Leitlinie verwie­ sen werden. Fazit und weiterführende Hinweise Neben der S3/NVL-Leitlinie Unipolare Depression [8] ist nun auch für die zweite Patientengruppe mit affektiver Störung, die Patienten mit bipolaren Störungen, eine deutschsprachige evidenz- und konsensbasierte Leitlinie zur Diagnostik und Therapie entwickelt worden. Sie soll eine Entscheidungshilfe für Patienten, Angehörigen und Therapeuten bieten und entstand im Trialog. Die Themenbereiche mit dem größten Verbesserungspotenzial in der Versorgung der Patienten werden die Schwerpunkte Trialog, Wissensvermittlung und Selbsthilfe, Diagnostik sowie Versorgung und Versorgungssystem sein. Das Konzept für die Verbreitung und Einführung der Leit­linie in die Praxis beinhaltet u. a. verschiedene Publikationsversionen der Leit­ linie inklusive einer englischen Kurzversion, die Präsentation von Leitlinieninhalten bei Kongressen und anderen Veranstaltungen, bei Fortbildungs- und Weiterbildungsveranstaltungen sowie in der studentischen Lehre und ein modulares ­ nline-Lernprogramm. O Sie entscheiden mit, ob unser Leitlinienprojekt erfolgreich ist. Gemäß Goethes Zitat bitten wir Sie, sich die Leitlinie anzuschauen und mit uns zu diskutieren. Die Langfassung und weiterführende Details finden Sie unter http://www. leitlinie-bipolar.de. Korrespondenzadresse Prof. Dr. Dr. M. Bauer Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Technische Universität Dresden Fetscherstr. 74, 01307 Dresden [email protected] Danksagung. An der Entwicklung der vorliegenden Leitlinie haben sehr viele Personen mit hohem Engagement gearbeitet, die allermeisten ehrenamtlich. Allem voran gilt unser Dank den Vorständen und Mitgliedern der DGBS und der DGPPN, die das Projekt über Mitgliedsbeiträge und Spenden finanziert und auch darüber hinaus in jeder Hinsicht unterstützt haben. Ohne sie wäre das Projekt nicht zu Stande gekommen. Vom Projektteam in Dresden sollen vor allem ­Beate Weikert, Maren Schmink, Marie Henke, Björn Jabs und Steffi Pfeiffer Erwähnung und Dank erfahren. In . Tab. 1 sind die Mitglieder der einzelnen Leit­ liniengruppen aufgeführt, die sich jeweils mehrfach zu Arbeitssitzungen trafen und Themen in Kleingruppen bearbeiteten. Für die Unterstützung der AWMF gilt unser besonderer Dank Frau Prof. Ina Kopp und Frau Dr. Cathleen ­Muche-Borowski. Das Koordinationsteam der S3-Leit­ linie/Nationalen Versorgungsleitlinie Unipolare Depression (insbesondere Herr Prof. Martin Härter, Herr Prof. Matthias Berger und Herr Dipl.-Psych. Christian Klesse) und das der S3-Leitlinie Schizophrenie (insbesondere Herr Prof. Peter Falkai) haben unser Projekt von Beginn an begleitet und ihre Expertise weitergegeben. Den an der Konsensuskonferenz beteiligten Fachgesellschaften danken wir für die anteilige Übernahme der Reisekosten. Interessenkonflikte. Der korrespondierende Autor weist für sich und seine Koautoren auf folgende Beziehungen hin: Über Beziehungen zu der sie entsendenden Fachgesellschaft oder sonstigen Organisation hinaus weisen folgende Autoren auf zusätzliche Beziehungen (für die letzten 5 Jahre) hin: A.P. hat finanzielle Unterstützung für wissenschaftliche Projekte sowie Vortragshonorare bzw. Reisekosten für eigene wissenschaftliche Inhalte von AstraZeneca erhalten. T.B. hat Vortragshonorare der Firmen Lilly, Bristol-Myers-Squibb, Lundbeck, Servier und AstraZeneca und Kongressreiseunterstützung der Firmen Servier und AstraZeneca erhalten. T.C.B. hat Honorare für Vorträge und Beratertätigkeit der Firmen AstraZeneca, GlaxoSmithKline, Janssen-Cilag, Organon, Pfizer und Servier erhalten. T.Brä hat in Beraterfunktion für Astra Zeneca, Otsuka, BMS und Lundbeck fungiert und hat Vortragshonorare von AstraZeneca, Lundbeck, BMS, Otsuka, Pfizer und Servier erhalten. P.Bri hat Vortragshonorare bzw. Reisekosten von folgenden pharmazeutischen Firmen erhalten: AstraZeneca, Boehringer Ingelheim, Bristol-Myers-Squibb, GlaxoSmithKline, Janssen, Lilly Deutschland, Lundbeck, Pfizer, Servier. P.F. hat Vortragshonorare bzw. Reisekosten von folgenden pharmazeutischen Firmen erhalten: AstraZeneca, Lundbeck, Janssen-Cilag, BMS, Essex, GlaxoSmithKline, Lilly, Lundbeck, Pfizer, war Mitglied des Scientific Advisory Boards von: Astra Zeneca, JanssenCilag, Lilly, Lundbeck und hat finanzielle Unterstützung für ein wissenschaftliches Projekt von AstraZeneca erhalten. O.G. hat Vortragshonorare bzw. Reisekosten von AstraZeneca, Bristol-Myers-Squibb, Janssen-Cilag, Lilly, Lundbeck, Otsuka und Pfizer erhalten sowie finanzielle Unterstützung durch Servier für ein wissenschaftliches Projekt. T.D.M. hat an einer wissenschaftlichen Veranstaltung als Vortragender mitgewirkt, die von Bristol-Myers-Squibb finanziert wurde. F.P. hat projektbezogene Forschungsförderung von folgenden Firmen erhalten: neuroConn GmbH, Ilmenau, Aspect Medical Systems Inc., Norwood, USA und Brainsway Inc., Jerusalem, Israel. H.S. hat Vortragshonorare bzw. Reisekosten von folgenden pharmazeutischen Firmen erhalten: AstraZeneca, Bristol-Myers-Squibb, Janssen, Lilly Deutschland, Medice, Pfizer, Servier. D.S. erhielt Vortragshonorare von Roche, Pfizer, Abbott und vom Verband forschender Arzneimittelhersteller (VfA). M.B. hat Vortragshonorare von folgenden pharmazeutischen Firmen erhalten: AstraZeneca, Bristol-Myers-Squibb/ Otsuka, Esparma, GlaxoSmithKline, Janssen-Cilag, Lilly, Lundbeck, Pfizer, Servier. Er war Mitglied der Advisory Boards von AstraZeneca, Boehringer Ingelheim, Bristol-Myers-Squibb/Otsuka, GlaxoSmithKline, JanssenCilag, Lilly, Lundbeck/Takeda und Servier. I.K, C.M-B., D.G., R.G., H.G., K.H.M. haben keine weiteren potentiellen Interessenkonflikte. Literatur 1. Atkins D, Best D, Briss PA et al (2004) Grading quality of evidence and strength of recommendations. BMJ 328:1490–1494 2. AWMF (2003) 8. Rundbrief 3. AWMF, ÄZQ (2001) Das Leitlinienmanual von AWMF und ÄZQ. Z Arztl Fortbild Qualitatssich 95(Suppl I) 4. AWMF, ÄZQ (2005) Das deutsche Instrument zur methodischen Leitlinienbewertung. http://www. delbi.de 5. Carney CP, Jones LE (2006) Medical comorbidity in women and men with bipolar disorders: a population-based controlled study. Psychosom Med 68:684–691 6. Churchill R, Hunot V, Corney R et al (2001) A systematic review of controlled trials of the effectiveness and cost-effectiveness of brief psychological treatments for depression. Health Technol Assess 5:1–173 7. Colom F, Vieta E, Scott J (2006) Psychoeducation manual for bipolar disorder. Cambridge Univ Press, New York, NY 8. DGPPN, BÄK, KBV für die Leitliniengruppe Unipolare Depression (2009) S3-Leitlinie/Nationale VersorgungsLeitlinie Unipolare Depression – Langfassung. 1. Aufl. www.dgpn.de 9. Frank E (2005) Treating bipolar disorder: a clinician’s guide to interpersonal and social rhythm therapy. Guilford, New York 10. Keaney M, Lorimer AR (1999) Auditing the implementation of SIGN (Scottish Intercollegiate Guidelines Network) clinical guidelines. Int J Health Care Qual Assur Inc Leadersh Health Serv 12:314–317 Der Nervenarzt 5 · 2012 | 585 Buchbesprechungen 11. Licht RW, Gijsman H, Nolen WA, Angst J (2008) Are antidepressants safe in the treatment of bipolar depression? A critical evaluation of their potential risk to induce switch into mania or cycle acceleration. Acta Psychiatr Scand 118:337–346 12. Lowe G, Twaddle S (2005) The Scottish Intercollegiate Guidelines Network (SIGN): an update. Scott Med J 50:51–52 13. McIntyre RS, Konarski JZ, Misener VL, Kennedy SH (2005) Bipolar disorder and diabetes mellitus: epidemiology, etiology, and treatment implications. Ann Clin Psychiatry 17:83–93 14. Meyer TD, Hautzinger M (2004) Manisch-depressive Störungen – Kognitive Verhaltenstherapie zur Rückfallprophylaxe. Beltz, Weinheim 15. Miklowitz DJ, Goldstein MJ (1997) Bipolar disorder. 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Pfennig A, Weikert B, Falkai P et al (2008) Development of the evidence-based S3 guideline for diagnosis and therapy of bipolar disorders. Nervenarzt 79:500–504 586 | Der Nervenarzt 5 · 2012 M. Linden (Hrsg.) Therapeutisches Milieu Healing Environment in medizinischer Rehabilitation und stationärer Behandlung Berlin: Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft 2011, (ISBN 978-3-941468-32-0), Broschiert, 39.00 EUR Der Mensch wird im positiven wie im negativen Sinne durch seine räumliche wie soziale Umgebung beeinflusst. Trotz dieser unmittelbar einleuchtenden – und insbesondere in der Psychiatrie weit zurück reichenden – Erkenntnis, auf der das Konzept des therapeutischen Milieus fußt, findet sie in der Konzeption von medizinischer Versorgung relativ wenig Beachtung. Während für den Bereich der Jugendarbeit, der Gerontologie oder der Psychiatrie zahlreiche Arbeiten zum Thema vorgelegt wurden, mangelt es bislang an einer umfassenden Beschäftigung mit den Milieubedingungen in der medizinischen Rehabilitation und stationären Behandlung. Das von Michael Linden herausgegebene Sammelwerk füllt diese Lücke. In den einleitenden Beiträgen wird der Blick auf die grundlegende Bedeutung und Funktion des therapeutischen Milieus sowie auf einige seiner zentralen Komponenten wie etwa die Rolle der Mitpatienten, die architektonische Ausgestaltung oder die klimatischen Bedingungen gerichtet. Im Folgenden geht es am Beispiel der Behandlung von Patienten nach einem Herzinfarkt bzw. von Patienten mit einer Alkoholabhängigkeit darum, zu zeigen, dass der Erfolg einer Rehabilitationsmaßnahme nicht nur durch die Wahl des geeigneten (stationären, teilstationären, ambulanten) Behandlungssettings, sondern auch durch einen möglichst nahtlosen Übergang zwischen verschiedenen Settings beeinflusst wird. Weitere Beiträge behandeln die Indikationsstellung für eine teilstationäre Rehabilitationsbehandlung, die Bedeutung mobiler Rehabilitationsmaßnahmen insbesondere für ältere Patienten in ihrem häuslichen Umfeld, die hausärztliche Indikation zur Einleitung einer stationären Rehabilitationsmaßnahme sowie die Frage nach der Entwicklung sinnvoller Indikationskriterien für eine Krankenhaus- bzw. stationäre Rehabilitationsbehandlung. Die beiden aus der Deutschen Rentenversicherung stammenden Beiträge geben einen guten Einblick in die dort praktizierten Verfahren zur Auswahl eines geeigneten Rehabilitationssettings durch den Sozialmedizinischen Dienst und stellen die Verfahren zur Qualitätssicherung in Form spezieller Visitationsverfahren vor. Abgerundet wird der Sammelband durch Befunde aus der Versorgungsforschung zu einem Patientenklassifikationssystem, das die Differenzierung des speziellen Behandlungsbedarfs von Patienten erlaubt und (zukünftig) für eine bedarfsbasierte Klinikdifferenzierung genutzt werden kann. Schließlich schärft ein gesundheitsökonomischer Beitrag den Blick für die Notwendigkeit ökonomischer Evaluationsstudien. Das Buch wendet sich, wie der Herausgeber einleitend erklärt, ebenso an Therapeuten und Klinkbetreiber wie an jene Personengruppen, die mit der Patientenzuweisung beschäftigt sind und nicht zuletzt an die Kostenträger im Gesundheitssystem. Das Sammelwerk bündelt die vielfältigen, relevanten Facetten und trägt mit einer gelungenen Mischung aus konzeptionell-theoretischen wie praxisbezogenen Beiträgen viel zum Verständnis der Wirkungen des therapeutischen Milieus allgemein und speziell der Notwendigkeit einer theorie- und evidenzbasierten Settingauswahl bei – jenseits manch undifferenziert vorgetragener Parole „ambulant vor stationär“. Wenn auch aus Sicht der Rezensenten die Diskussion um die Verwendungsgeschichte des Begriffs „therapeutisches Milieu“ und dessen Abgrenzung etwa von der Milieutherapie oder der therapeutischen Gemeinschaft ebenso knapp ausfällt wie die Frage nach dem Einfluss der professionellen Teams auf die Patienten, handelt es sich zusammengefasst um ein sehr empfehlenswertes Buch für einen breiten, an der medizinischen Rehabilitation und stationären Behandlung interessierten Leserkreis. S. Krumm, T. Becker (Günzburg)