Guillain-Barré-Syndrom Sabrina Lorenz • Fachkrankenschwester für Intensivpflege und Anästhesie • Klinikum der Universität München Campus Großhadern seit 2002 • Neurologische Intensivstation (10 Betten) Historisches: Georges Charles Guillain (1876 – 1961), Jean Alexandere Barrè (1880 – 1967) und André Strohl veröffentlichten 1916 erstmals einen Bericht über diese Krankheit. Sie stellten darin einen Zusammenhang zwischen körperlichen Anomalitäten und einem erhöhten Eiweißspiegel im Befund der Lumbalpunktion fest. Definition: immunologisch bedingte Polyneuritis (Entzündung der peripheren Nerven) mit unterschiedlichen Verlaufsformen Epidemiologie: 1 bis 2 Krankheitsfälle auf 100 000 Einwohner pro Jahr, in jedem Alter auftretend, am häufigsten jedoch sind Menschen zwischen 20-30 Jahren und Personen im fünften bis sechsten Lebensjahrzehnt betroffen. ® Pixelio.de Ätiologie: Ist nicht komplett erforscht • Hypothese: Durch Infektion getriggerte, zunächst physiologische Immunreaktion führt zu einer Antikörperbildung gegen peripheres Myelin und/oder Axonmembran Bei 40% - 70% der Patienten geht eine Infektion voraus • meistens Durchfallerkrankungen, Campylobakter jeuni-, Epstein-Barr-, Zytomegalie- oder Varizella-Zoster-Virus aber auch Impfungen, schwere körperliche Belastungen, wie Operationen, Traumata oder Schwangerschaft Symptome: Paresen in unterschiedlicher Stärke und in unterschiedlichem Ausmaß Parästhesien Überfunktionen des Sympathikus (hypertone Blutdruckentgleisung, Tachykardien mit Extrasystolen, periphere Vasokonstriktion, Agitiertheit und vermehrtes Schwitzen) Unterfunktionen des Sympathikus (Bradykardie ohne Reaktion auf Atropin, verzögerte Tachykardie bei Orthosthase, systolische Hypotonie bei Lagewechsel und massive Empfindlichkeit auf minimalen Volumenmangel) Überfunktion des Parasympathikus (dramatisch paroxysmale Bradykardie bis zum Sekundenherztod) Unterfunktion des Parasympathikus (Tachykardien und Sphinkterstörungen der Blase und Mastdarms) Absaugen, Seufzeratmung, Pressen sowie Kieferöffnen können zum Auftreten von Bradykardie und Asystolie führen keinerlei Bewusstseinschränkungen (sehr starke Ängste, Depressionen) Diagnostik: • Liquorpunktion • Elektromyografie • Serologie Therapie: • Immunglobuline • Plasmapherese • notwendige Therapiemaßnahmen: • Beatmung bei Lähmungen der Atemmuskulatur und einem Abfall der Vitalkapazität • Störungen des vegetativen Nervensystems mit z.B. passageren Schrittmacher • Schmerztherapie • Behandlung von Depressionen und Ängsten Verlauf und Prognose: verschiedene Verlaufsformen, von Sensibilitätsstörungen bis zu kompletter schlaffer Tetraplegie mit Beteiligung der Hirnnerven • Erreichen des Beschwerdemaximums nach 3-4 Wochen • Rückbildung der Lähmungen in umgekehrter Reihenfolge der Entstehung 2-4 Wochen nach der Plateauphase • 1 Jahr nach Erkrankung 46% vollständige Erholung, 42% geringe Defizite, 4% mäßiger und 6% schwerer Restsymptomatik • Mortalitätsrate ca. 2-3% (meist aufgrund reflektorischer Asystolien oder schwerer Komplikationen bzw. Sekundärerkrankungen) Fallbeispiel: 16- jähriges Mädchen, Kribbeln in beiden Füßen entwickelt aufsteigende Parese in den Beinen Notaufnahme: Zusätzlich Parese der Arme ® Pixelio.de Diagnose: Guillain-Barré-Syndrom (GBS) Neurologische Intensivstation: Ausfall der Schutzreflexe Fallbeispiel: • 65-jähriger Mann im Urlaub • Lähmungen der Beine • Tetraplegie mit Ausfall der Schutzreflexe • Verlegung mit Verdacht auf Locked-in-Syndrom • Diagnose GBS Spezielle Pflegeprobleme: 1. Beteiligung des vegetativen Nervensystems • Schneller Wechsel zwischen Über- und Unterfunktion des Sympatikus und Parasympatikus • Schwankungen der Herzfrequenz (von Bradykardien mit Asystolie bis zu Tachykardien mit Extrasystolen) • In der Akutsituation ist es klinisch selten möglich zu unterscheiden ob die Bradykardie durch den Sympathikus oder Parasympathikus hervorgerufen wird • Vagusreiz mit Reflexbradykardie leicht auslösbar • Massive Blutdruckschwankungen, durch Lagewechsel sowie abnormale Empfindlichkeit auf geringem Volumenmangel Maßnahmen: • invasive Blutdruckmessung • Notfallspritzenset aufgezogen am Bett • passagerer Herzschrittmacher • Kontrolle Volumenstatus • Ggf. Gabe von Katecholaminen oder Antihypertensiva 2. Parästhesien • geringste Berührung sowie Wärme und Kälte können als Schmerzen und Missempfindungen z.Bsp. Ameisenlaufen wahrgenommen werden • Einschränkung der eigenen Bewegung aus Angst vor Schmerz Maßnahmen: • Patientenbeobachtung und Kommunikation • regelmäßiges Schmerzmonitoring und Schmerztherapie • Wünsche in Hinsicht auf Lagerungswechsel, Lagerungshäufigkeit und Mobilisation berücksichtigen • zur Vermeidung von Ängsten Pflegemaßnahmen erläutern • Pflegekonzepte einbeziehen z.B.: Bobath, Affolter, Kinästhetik oder Basale Stimulation • zur Förderung der Körperwahrnehmung Weichlagerungsmatratze o.Ä. vermeiden 3. Atmung: • Fortschreitende Lähmung der Atemmuskulatur • Kurzatmigkeit beim Sprechen, Tachypnoe bis zur Orthopnoe, reduzierter Hustenstoß, körperliche Erschöpfung, häufiges schwaches Husten durch Mikroaspiration und/oder paradoxe Atembewegungen • Reduzierung der Schutzreflexe z. Bsp.: Schlucken, Husten, Würgen Maßnahmen: • psychische Betreuung • Atemerleichterende Lagerung wie z.B. Sitzbett • Messung der Vitalkapazität mittels Peakflowmetrie min. 3 bis 6 x tgl. • Nicht invasive Beatmung • Blutgasanalyse • Wendeltubus • Bei weiterer aufsteigender Lähmung und respiratorischer Verschlechterung Intubation Danke für Ihre Aufmerksamkeit! Kontakt: Klinikum der Universität München , Campus Großhadern Neurologische Intensivstation I2 Sabrina Lorenz Machioninistr. 15 81377 München [email protected] Literaturverzeichnis : Brandt, Thomas, Dilchgans, Johannes & Diener, Hans Christoph (2003). Therapie und Verlauf neurologischer Erkrankungen. (4.Auflage). Stuttgart: Kohlhammer Verlag. Braun, J. & Preuss, R. (2002). Klinikleitfaden Intensivmedizin (5. Auflage). Jena/ München: Urban & Fischer Verlag. Fresenius, M. & Heck, M.(2006). Repetitorium Intensivmedizin (2. Auflage). Heidelberg: Springer Verlag. Hufschmidt, Andreas & Lücking, Carl Hermann (2003). Neurologie compact. Leitlinien für Klinik und Praxis (3. Auflage). Stuttgart: Thieme Verlag. Larsen, R. (2004). Anästhesie und Intensivmedizin für die Fachpflege (6. Auflage). Heidelberg: München. Liebsch, Ronald (2001). Kurzlehrbuch Neurologie (2. Auflage). Jena/ München: Urban & Fischer Verlag. Mensche, Nicole, Balzen, Ulrike & Kommerell, Tilman (2001). Pflege heute (2. Auflage). Jena/ München: Urban & Fischer Verlag. Poeck, Klaus & Hacke, Werner (2001). Neurologie (11. Auflage). Heidelberg: Springer Verlag. Prange, Hilmar & Bitsch, Andreas (2004). Neurologische Intensivmedizin (1. Auflage). Stuttgart: Thieme Verlag. Ruß, Andreas (2005). Arzneimittelpocket (11. Auflage). Grünwald: Bröm Bruckmeier Verlag. Regli, Franco & Mumenthaler (1996). Basiswissen Neurologie (1. Auflage). Stuttgart: Thieme Verlag. Silbernagel, Stefan & Despopoulos, Agamemnon (2003). Taschenatlas der Physiologie (6. Auflage). Stuttgart: Thieme Verlag. Thomè, Ulrich (2003). Neurochirurgische und neurologische Pflege (2. Auflage). Heidelberg: München. Ulrich, Lothar, Stolecki, Dietmar & Grünewald, Matthias (2005).Thiemes Intensivpflege und Anästhesie (1. Auflage). Stuttgart: Thieme Verlag.