Vorlesung „Wie regiert das Gehirn den Körper“ L. Deecke

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Vorlesung „Wie regiert das Gehirn den Körper“
L. Deecke
Neuropsychologie
α-privativum-Syndrome
Alma Mater Rudolphina
Vorlesung „Wie regiert das Gehirn den Körper“
L. Deecke
Neuropsychologie
α-privativum-Syndrome
Alma Mater Rudolphina
Neuropsychologische Syndrome
Neuropsychologische Leistungen
α-Privativum-Syndrome
Aphasie-Tests
Aphasie
Diagnostik
Aachener
AphasieTest
AAT
Wada-Test
Eloquenter Cortex!!!
Die 4 Hauptformen der Aphasie
Schaltenbran
d
Prärolandisch
Motorisch
Sulcus centralis [= Rolando´sche Furche]
Retrorolandisch
Sensorisch
Eloquenter
Cortex
Die aphasiologischen
Begriffe
nach:
Goldenberg
NeuroPsychologie
Urban &
Fischer
Die aphasischen Symptome
Gaga!
Apropos Gagas
A
h
a
s
i
e
n
n
a
c
h
P
o
e
c
k
Wir halten fest:
(Merksatz)
¡ Linkshemisphärige
Insulte verursachen
Aphasie
¡ Rechtshemisphärige
Insulte verursachen
Hemineglekt
Broca-Area
Aphasie Allgemeines:
Broca-Aphasie:
Il ne peut pas parler.
Wernicke-Area
Aphasie Allgemeines:
Wernicke-Aphasie:
Il ne sait pas
parler.
n
A
m
n
e
s
t
.
A
p
h
a
s
i
e
-400ms
C:\text\folien\N_Ps_AphasB2.doc
Vorlesung Funktionelle Hirntopographie / Neuropsychologie L. Deecke, Univ.-Klinik f. Neurol. Wien
APHASIE (nach Poeck) Forts. 2
3.7 nAm
♦ Etwa die Hälfte der Patienten mit einem li-hemisphärigen
Insult haben eine behandlungsbedürftige Aphasie.
♦Bei Tumoren, Hirntraumen, Enzephalitiden und
hirnatrophischen Prozessen verwischen sich die Syndrome, und
es treten nichtsprachliche Symptome modifizierend hinzu (s.u.).
♦Da Gefäßsyndrome aber den weit überwiegenden Anteil der
Aphasien ausmachen (rund 80 %), werden sie zur Grundlage
der nachfolgenden Darstellung gemacht.
♦€€€€€€€€€€€€€€€€€€€
Amnestische Aphasie
Amnestische Aphasie
-400ms
Synonyme: verbale Amnesie (Broca 1861), Anomie (Goodglass
u. Kaplan 1972), "nominal aphasia" (Head 1926, Brain 1965),
„semantic aphasia" (Wepman u. Jones 1961).
3.7 nAm
Sprachliche Leitsymptome
♦ Wortfindungsstörungen bei gut erhaltenem Sprachfluß und
überwiegend intaktem Satzbau. Siehe nächste Folie!
♦ Semantische Paraphasie mit geringer bedeutungsmäßiger
Abweichung vom Zielwort,
♦ Sprachverständnis nur geringfügig gestört,
♦ gute Kommunikationsfähigkeit (Poeck et al. 1974, 1975).
Klinisches Bild
♦ Die Spontansprache ist meist gut artikuliert
♦ und die Prosodie (Intonation und Betonung) ist unauffällig.
♦ Die Patienten sprechen in längeren Phrasen mit meist mehr
als fünf Wörtern, die mit normaler Geschwindigkeit
hervorgebracht werden.
Wortfindungsstörung
C:\text\folien\N_Ps_AphasB3.doc Vorlesung Funktionelle Hirntopographie / NeuropsychologieL. Deecke, Univ.-Klinik f. Neurol. Wien
Amnestische APHASIE (nach Poeck) Forts. 3
♦ Satzbau und Struktur der Wörter weichen nur wenig von der Standardsprache ab. Amnest.Aphasie3
♦ Es kommen beide Arten von Paraphasien vor, phonematische selten, semantische
häufiger.
♦ Semantische Paraphasien stammen regelmäßig aus dem engeren Bedeutungsfeld des
Zielwortes. So wird z. B. eine gesuchte Verwandtschaftsbeziehung durch eine andere und
nicht etwa durch eine Berufsbezeichnung ersetzt.
♦ Oft bemerken die Patienten solche Fehler und versuchen, sich zu verbessern.
♦ Der Sprachfluß kommt häufig dann ins Stocken, wenn dem Patienten ein bestimmtes
Wort zur Bezeichnung von bestimmten Objekten, Ereignissen, Eigenschaften oder
Tätigkeiten gerade nicht zu Gebote steht. Dadurch können Satzabbrüche entstehen, die
den Anschein von falsch konstruierten Sätzen erwecken.
♦ Bei diesen Unterbrechungen zeigen die Patienten individuell verschieden eine oder
mehrere der folgenden Verhaltensweisen:
- Ausweichen in allgemeine Floskeln, z. B. "na, Sie wissen schon... da hab' ich das halt
so gemacht",
- Stellvertreterworte ohne spezifische Bedeutung wie "das Dingsda",
- Beschreibung von Gebrauch oder Eigenschaft, z. B."um die Zeit zu sehen" für Uhr
oder "was so schwarz ist" für Kohle,
- Ausweichen in Pantomime,
- perseveratorische Wiederholung von gerade gebrauchten Wörtern,
- Abbrechen und Fortführen des Themas in variierter Form, wobei oft der neue Ansatz
weiter von der intendierten Aussage wegfährt,
- seltener ist ein vollständiges Abbrechen der sprachlichen Äußerung.
♦ Wortfindungsstörungen und die dabei auftretenden Ersatzstrategien bewirken, daß die
Rede des amnestisch aphasischen Patienten redundant und informationsarm ist. Jedoch
können Patienten mit amnestischer Aphasie die jeweilige kommunikative Absicht meist
mit Hilfe der Ersatzstrategien verwirklichen.
C:\text\folien\N_Ps_AphasB4.docVorles. Funkt. Hirntopographie / Neuropsychol. L. Deecke, Univ.-Klinik f. Neurol. Wien
Amnest. APHASIE (nach Poeck) Forts. 4
♠ Die folgenden 2 Beispiele illustrieren Wortfindungsstörungen
und die dabei auftretenden Ersatzstrategien:
Untersucher: "Wie hat das angefangen mit Ihrer Krankheit?"
Patient: "Samstags bin ich dann dahin und sonntags bin ich
dann nach hier gekommen ... und dienstags ham se mich denn
... also dienstags ....dienstags ham se mich denn ... hm das
müßte man jetzt wieder sagen können ... in jenem Fall da war
ich dann 2 Tage .......in ... eh ... da war ich dann zwei Tage im ...
na soll ich jetzt denn .......Trauma sagen oder ...... in jedem
Fall ich wußte nicht mehr was ich tat."
Patient: "Jetzt hab ich mich ... eh ... im Dezember ... ich hab
gehört ...hier wäre also eine ... eh man könnte hier neu
Aphasietest ...also machen lassen ....und eventuell net ...
Moment wie heißt das ... also, von außen ...her ... eh ... ohne
mi'm Haus zu sein ... wie heißt das?"
Untersucher:
"Eine ambulante Behandlung."
Patient: "Arn ... ambula ... also manche Worte da komm ich
einfach ...noch nicht drauf ... das was ... also ambulant
Behandlung ... eh ... und um noch eine wesentliche Besserung
des Zustands zu er-reichen."
♠ Nachsprechen ist meist nur geringfügig gestört: Es zeigen sich
selten phonematische Paraphasien, oder der Patient spricht
nur den ersten Teil eines längeren Wortes oder Satzes aus.
Amnest.
Aphasie 4
Amnest. Aphasie
Benennen
♠ Beim Benennen bestätigt sich die
Beobachtung aus der Spontansprache, daß der
Patient seine Wortfindungsstörungen durch
außersprachliche Verhaltensstrategien
kompensiert. In schweren Fällen kommt es
zum Verstummen.
1.Für die Diagnose ist es also nicht nur wichtig,
wie häufig die Patienten bei der
Benennungsaufgabe Fehler machen.
Aufschlußreicher ist die Art der Fehlreaktionen,
da Broca-, Wernicke- und amnestische Aphasiker
in ganz unterschiedlicher Weise bei dieser
Prüfung versagen.
♠ Fast immer kann der Patient das fehlende
Wort aus einer sprachlich vorgegebenen
Menge von Wörtern auswählen und dann
auch aussprechen. Auch hilft es ihm häufig,
wenn man ihm den Anlaut des fehlenden
Wortes an-bietet oder den
A f
b h t b
i ht
C:\text\folien\N_Ps_AphasB5.docVorlesung Funkti. Hirntopographie / NeuropsychologieL. Deecke, Univ.-Klinik f. Neurol. Wien
Amnest. APHASIE (nach Poeck) Forts. 5
♠ Nahezu genauso wirksam sind semantische Hilfen. So kann beispielsweise
das Wort "Sonne" gesagt werden, wenn ein Lückensatz wie "Heute scheint die ..."
vorgegeben wird.
Amnest.Aphasie Schluss
♠ Im Hinblick auf das auditive Sprachverständnis sind Patienten mit
amnestischer Aphasie im Gespräch unauffällig, und auch bei Tests unterscheiden
sie sich kaum vom hirnorganisch Geschädigten ohne Aphasie.
♠ Im Umgang mit der Schriftsprache sind die Patienten meist wenig
beeinträchtigt. Das gilt für das Schreiben und das laute Lesen.
Verlauf
♠ Der Verlauf der amnestischen Aphasie ist, wenn der Krankheitsprozeß nicht
fortschreitet, im Vergleich zu den anderen Aphasieformen besonders günstig. Über
amnestische Aphasie bei nichtvaskulären Hirnerkrankungen s. S. 103.
Lokalisation
♠ Die Zuordnung zur Läsion einer bestimmten Hirnregion ist bei der
amnestischen Aphasie weit weniger sicher als bei den anderen Aphasieformen.
Die Läsionen liegen vorwiegend retrorolandisch, d.h. temporoparietal.
Differentialdiagnose
♠ Es gibt Patienten mit amnestischer Aphasie, die eine sehr geringe
Sprachproduktion haben, und bei denen die Abgrenzung zur Broca Aphasie
notwendig ist. Die geringe Sprachproduk-tion kommt aber bei der anmestischen
Aphasie nicht durch generell verlangsamtes, müh-sames Sprechen zustande.
Vielmehr werden normal rasch und gut artikuliert gesprochene Passagen durch
längere Pausen unterbrochen, die dadurch entstehen, daß Wort-findungsstörungen
nicht durch Ersatzstrategien überbrückt werden können. Agrammatismus mit
dem charakteristischen Fehlen von grammatischen Funktionswörtern kommt bei
diesen Patienten nicht vor. Die Abgrenzung zur Wernicke-Aphasie wird später
besprochen.
Pierre
Broca
Broca-Aphasie:
Il ne peut pas parler.
Broca-Aphasie
Broca
Synonyme: motorische Aphasie (Goldstein 1948) "expressive aphasia" (Weisenburg, u. McBride 1935)
verbale Aphasie (Head 1926).
Sprachliche Leitsymptome
♥ Meist erheblich verlangsamter Sprachfluß mit großer Sprachanstrengung bei meist schlechter Artikulation
(Dysarthrie) und stark gestörter Prosodie.
♥ Reichlich phonematische Paraphasien
♥ Agrammatismus
♥ Sprachverständnis mäßig beeinträchtigt
♥ Kommunikationsfähigkeit vorwiegend aufgrund der expressiven Sprachstörung stark eingeschränkt
(Kerschensteiner u. Mitarb. 1978, Poeck u. Mitarb. 1975).
Klinisches Bild
♥ Spontansprechen. Patienten mit Broca-Aphasie sprechen langsam, mit vielen Pausen und großer
Sprachanstrengung. Interjektionen wie "äh", "geht noch nicht", "na...... nein" drücken Unzufriedenheit und
oft Gequältheit aus.
♥ Sie werden durch Gestik und Mimik unterstrichen, die manchmal auch allein die Sprachanstrengung
erkennen lassen.
♥ Bedeutungsmäßig zusammenhängende Äußerungen von Broca-Aphasikern bestehen meist nur aus 1 bis 3
Wörtern.
♥ Die syntaktische Struktur dieser Sätze ist vereinfacht, immer wieder fehlen Funktionswörter und
Flexionsformen.
♥ Bei stärkster Störung werden Sachverhalte, deren Mitteilung üblicherweise einen Satz erfordert, in 2
Wörtern oder in nur 1 Wort ausgedrückt, z. B. "Skifahren Österreich. Abfahrt und Peng. Kaputt".
♥ Eine Differenzierung nach verschiedenen grammatischen Relationen, wie z. B. Subjekt gegenüber
Objekt, direktes gegenüber indirektem Objekt, Hauptsatz gegenüber Nebensatz ist nicht erkennbar.
Bild Broca
S/W
Broca 8
APHASIE (nach Poeck) Forts. 8 Broca
♥ Oft haben Broca-Aphasiker eine gestörte Prosodie (Weniger 1977). Diese äußert sich in Abweichungen
des Wort- und Satzakzentes und der Satzintonation, die ersten Satz z. B. als Frage, Aussage, Aufforderung
kennzeichnet.
♥ So wird bei einem gestörten Wortakzent die Anfangssilbe oder die Endsilbe betont, auch bei Wörtern, die in
der Standardsprache eine andere Betonung verlangen. Beispiele hierfür sind "geduscht", "Nervenärzt".
♥ Ein Beispiel für gestörten Satzakzent ist die Hauptbetonung des letzten Wortes im Satz statt des letzten
Inhaltswortes. Bei gestörter Satzintonation wird etwa der steigende Tonhöhenwechsel einer Frageintonation
durch einen fallenden ersetzt.
♥ Solche Merkmale von Dysprosodie sind Ausdruck der Sprachstörungen von Broca-Aphasikern.
♥ Demgegenüber sind Nivellierung der Sprechmelodie, skandierender Rhythmus und veränderte
Phonation Zeichen einer Sprechstörung. Diese tritt fakultativ zur Broca-Aphasie hinzu.
♥ Weitere Zeichen dieser Sprechstörung sind die unscharfe, verwaschene Artikulation von Konsonanten und
vor allem von Konsonantenfolgen sowie die fehlerhafte Veränderung der Vokalqualität.
♥ Viele Patienten bringen ihre Äußerungen mit großer Sprechanstrengung hervor. Diese ist im Unterschied
zur fluktuierenden Sprachanstrengung durchgehend vorhanden.
♥ Die Sprechanstrengung spiegelt Schwierigkeiten des Sprechrhythmus, der Artikulation und der Phonation
wider und nicht Schwierigkeiten bei der Wortfindung oder bei der Wort- und Satzbildung.
♥ Wenn diese Merk-male einer Sprechstörung bei einer Großhirnläsion auftreten, werden sie als kortikale
Dysarthrie bezeichnet (Bay 1957).
♥ In kommunikativer Hinsicht fällt auf, daß die Spontansprache von Broca-Aphasikern vor-wiegend
Äußerungen enthält, die informative Funktionen haben und kaum solche, die vor-wiegend eine interpersonale
Funktion erfüllen.
♥ Im Gegensatz zu den informativen dienen die interpersonalen Äußerungen vor allem dem Ausdruck
gefühlsmäßiger Inhalte und Einstellun-gen. Dieser Aspekt hat in alltäglichen Gesprächssituationen von
Gesunden eine hervor-ragende Bedeutung.
APHASIE (nach Poeck) Forts. 9 Broca
♥ Wenn man bei Broca-Aphasikern die Emotionalität vermißt, so hat das mehrere Gründe:
- Sprachanstrengung
- gestörte Prosodie und
- syntaktische Schwierigkeiten.
♥ Die Störung dieser 3 Elemente erlauben es nicht, die komplexen emotionalen Aspekte in möglichen
Interaktions-situationen auszudrücken.
♥ Das spontane Sprechen bei Broca-Aphasie zeigt also ein breites Spektrum, das vom reinen, gut
artikulierten und intonierten Agrammatismus über Agrammatismus mit Dysprosodie bis zu
agrammatischem Sprechen mit starker Dysarthrie reicht.
♥ Schließlich gibt es Broca-Aphasiker, deren agrammatische Störungen nur gering ausgeprägt sind,
wogegen die Sprechstörung ganz im Vordergrund steht.
♥ Ein Textbeispiel für Sprachproduktion eines Patienten mit starkem Agrammatismus:
"Wie hat es mit Ihrer Krankheit angefangen?"
Untersucher:
Patient:
"Eins, zwei, drei vier Tage ... eh ... Flugzeug fahren ... Sonne scheint und so ... vier Tage und
zwei Tage ... eh ... bewußtlos und umfallen und später eine Woche ... Hubschrauber ... zu Hause bleiben und
Böblingen Krankenwagen ... Stuttgart Böblingen und später eins zwei Monate ... eh ... hier Böblingen ... eh . .
."
Broca 9
Untersucher:
"Sind Sie von Böblingen aus hierher gekommen?"
Patient:
'Eh ... eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben ... silben eh ... sieben Tage Hubschrauber hier
Böblingen Krankenhaus. Und. . . eh ................... Nein nein......... eh ............... zwei Pilote......... ein Doktor
und ihr Mann und eine Frau........... ich."
Untersucher:
"Was machen Sie in Ihrer Freizeit?"
Patient:
"Laden gehen einkaufen."
♥ Trotz der Sprech- und Sprachanstrengung sind Broca-Aphasiker meist zum Nachsprechen von Wörtern
oder Sätzen zu bewegen.
♥ Dabei bringen die meisten Patienten phonematische Paraphasien hervor. Sie sind gut zu identifizieren,
da die Zielwörter bekannt sind und die dysarthrische Komponente beim Nachsprechen meist zurücktritt.
Broca 10
APHASIE (nach Poeck) Forts. 10 Broca
♥ Auch agrammatische Fehler lassen sich beim Nachsprechen von Sätzen mit zunehmender Komplexität
hervorrufen.
Beispiele:
Stimulus: Fritz läßt sich ungern die Haare schneiden.
Reaktion: Fritz ... Fritz Haare schneiden.
Stimulus: Er holte seine Mutter mit einem neuen Auto vom Bahnhof ab.
Reaktion: Auto ... Mutter ... holt du ... holst du ab.
♥ Beim Benennen kommen phonematische Paraphasien vor. Die Patienten produzieren jedoch auch
semantisch abweichende Bezeichnungen (semantische Paraphasien), und nur diese werden als
Benennungsfehler bewertet.
♥ Die semantischen Paraphasien haben meist eine bedeutungsmäßig enge Beziehung zum Zielwort, grob
abweichende Fehlbenennungen und Neologismen kommen im Gegensatz zu Patienten mit WernickeAphasie und globaler Aphasie bei der Broca-Aphasie nicht vor.
♥ Sprachverständnis. In der Unterhaltung gewinnt man den Eindruck, daß Broca-Aphasiker überhaupt
keine Sprachverständnisstörungen haben.
♥ Allerdings ist zu berücksichtigen, daß sich der Untersucher in vielerlei Hinnsicht dem verbalen Verhalten
des Patienten anpaßt:
♥ Da ein schwer gestörter Broca-Aphasiker so gut wie nichts zur Fortführung der Unterhaltung beiträgt,
stellt sich der Untersucher, wie jeder andere Gesprächspartner auch, rasch darauf ein, nur noch einfache
Fragen oder kurze Aufforderungen an den Patienten zu richten, auf die dieser noch verständlich antworten
kann.
♥ So wird dem Patienten besonders einfaches sprachliches Material angeboten, welches nur noch geringe
Anforderungen an sein Sprach-verständnis stellt.
♥ Bei Testuntersuchungen des Sprachverständisses unterscheiden sich Broca-Aphasiker zwar von
gesunden Kontrollpersonen, von rechtsseitig hirngeschädigten unterscheiden sie sich jedoch nur bei
schwierigen Satzverständnisaufgaben, die wenig Redundanz enthalten und sprachliches Schlußfolgern
auf gegebene Sachverhalte erfordern (Stachowiak et al. 1977a).
Broca 11 Verlauf
APHASIE (nach Poeck) Forts. 11 Broca
♥ Will man eine Störung im Satzverständnis bei Broca Aphasikern erfassen, so kommt es nicht darauf an,
daß die Sätze lang, sondern daß sie syntaktisch komplex sind. Dies gilt übrigens für Aphasiker aller
Gruppen (Shewan u. Canter 1971).
♥ Beim lauten Lesen kommen alle o.g. expressiven Störungen vor, wenn-gleich in quantitativ geringerem
Maße. Sätze werden in grammatisch reduzierter Form wied-ergegeben. Die Störungen im
Lesesinnverständnis entsprechen im Schweregrad der Störung für das auditive Verständnis (Hartje u.
Poeck 1978).
♥ Das Schreiben ist, anders als bei Patienten mit Wernicke-Aphasie oder globaler Aphasie, nicht durch
räumlich-konstruktive Störungen beeinträchtigt. Im übrigen treten mehr oder weniger reichlich
Paragraphien auf, die in ihrer Fehlerstruktur den phonematischen Paraphasien der Lautsprache
entsprechen.
♥ Ebenso kommt es je nach Ausprägung des Agrammatismus beim Sprechen zu agrammatischer
Vereinfachung von Sätzen.
♥ Die Beein-trächtigung von Schrift- und Lautsprache zeigt, daß die phonematischen Paraphasien nicht
durch Störung der Sprechmotorik erklärt werden können.
--> Deshalb eignet sich das Schreiben zur Differenzierung von aphasischen und dysarthrischen
Symptomen bei Broca Aphasie.
♥ Wenn der Patient wegen einer Parese des Armes selbst mit Hilfe eines Schreibgerätes nicht schreiben
kann, läßt man ihn mit der linken Hand schreiben, eine Schreibmaschine benutzen oder Wörter und kurze
Sätze aus Buchstabentäfelchen zusammensetzen.
♥ Die Schreib-störung belegt weiterhin, daß der Agrammatismus nicht als Zeichen einer Ökonomie zu
ver-stehen ist, die dem Patienten trotz der erheblichen dysarthrischen Sprechanstrengung noch die
Vermittlung des Satzinhaltes ermöglicht (vgl. Kerschensteiner u. Mitarb. 1978).
Verlauf
♥ In der Rückbildung nimmt die Sprachanstrengung ab, ohne daß dabei immer die Verlangsamung im
Sprachfluß entsprechend zurückgeht.
♥ Während die Prosodie lange deutlich gestört bleibt, bessert sich die Artikulation rascher.
Broca 12 DD
APHASIE (nach Poeck) Forts. 12
Broca Verlauf
♥ Außerdem nimmt die Häufigkeit der phonematischen Paraphasien ab.
♥ In zunehmendem Maße werden längere kornplexere Sätze gebildet und grammatische
Funktionswörter wieder verwendet.
♥ Dennoch überwiegen auch in der späten Rückbildung einfache Satzkonstruktionen, und es kommen
gelegentlich auch agrammatische Fehler vor.
Lokalisation
♥ Keine andere Aphasieform ist so strikt einer umschriebenen Hirnläsion zugeordnet worden wie die
Broca-Aphasie (motorische Aphasie).
♥ Die Läsionen sollten am Fuß der dritten Stirn-windung der sprachdominanten Hemisphäre lokalisiert
sein. Diese Region (Brodmann-Area 44 und 45), die später Brocasche Stelle genannt wurde, gehört
zum motorischen Assozia-tionskortex für das Gesicht.
♥ Computertornographische Untersuchungen (vgl. Blunk u. Mitarb. 1981) haben aber gezeigt, daß bei
Broca-Aphasie die Läsion nicht in der Brocaschen Region sondern mehr dorsal davon im Marklager des
Stirnhirns liegt, meist mit Übergreifen auf die Insel.
♥ Auch diese Läsionen befinden sich im Versorgungsgebiet der A. praerolandica. Die Broca-Aphasie ist
damit, wie die Wernicke-Aphasie, ein typisches Gefäßsyndrom, und beide unterscheiden sich hierin von
der amnestischen Aphasie, der man keine distinkte Lokali-sation und keine Durchblutungsstörung in
einem speziellen Gefäßterritorium zuordnen kann.
Differentialdiagnose
♥ Die wichtigste Unterscheidung ist zu treffen gegen die Anarthrie (Unfähigkeit zu jeder mündlichen
Sprachäußerung) und die sog. kortikale Dys-arthrie.
♥ Die Anarthrie wird in der Literatur auch als subkortikale motorische Aphasie oder reine Wortstummheit
bezeichnet.
♥ Zwischen Anarthrie und Dysarthrie besteht kein grundsätzlicher sondern nur ein gradueller
Unterschied. Die für Anarthrie auch gebrauchten genannten Termini sind aus zwei Gründen
unzutreffend:
- Sie implizieren eine Lokalisation, die in dieser Regelmäßigkeit weder nachge-wiesen noch anzunehmen
i t
APHASIE (nach Poeck)Forts. 13 BrocaSchluß
- Außerdem handelt es sich bei der Anarthrie und Dysarthrie nicht um Aphasien, weil das Sprachsystem
intakt ist.
♥ Die Hemisphärendysarthrie hat mit der Broca-Aphasie die
- schlechte Artikulation,
- die Verlangsamung des Sprechens und
- das Auf-treten phonematischer Paraphasien gemeinsam.
Broca 13
Schluss
♥ Sie ist aber nach folgenden Kriterien von der Broca-Aphasie abzugrenzen:
- kein Agrammatismus
- keine Benennungsstörungen
- intak-tes Sprachverständnis und
- keine aphasischen Störungen beim Schreiben.
♥ Im Token-Test bleiben Patienten mit sog. kortikaler Dysarthrie unter dem Grenzwert für Aphasiker.
♥ Wenn sich der zugrunde liegende Krankheitsprozeß wieder zurückbildet, klingt die Dysarthrie in aller Regel
folgenlos ab.
♥ Schreitet der Krankheitsprozeß fort, entwickelt sie sich zur Broca-Aphasie.
♥ Dysarthrische Funktionsstörungen, wie sie oben beschrieben sind, kom-men auch bei Läsionen der
rechten Hemisphäre vor. Sie finden sich oft bei frischen Insulten mit linksseitiger Hemiplegie, bilden sich aber
gewöhnlich rasch wieder zurück. Die Anarthrie dagegen hat eine weit schlechtere Prognose.
♥ Eine schwere Broca-Aphasie mit sehr eingeschränkter Sprachproduktion läßt sich von der globalen
Aphasie durch das verhältnismäßig gut erhaltene Sprachverständnis unterscheiden.
♥ Globale Aphasiker in Rückbildung zeichnen sich immer durch Stereotypien, Automatismen und
phonematische Neologismen in der Spontansprache aus, Merkmale, die nicht züm Bild der Broca-Aphasie
gehören. Zur Abgrenzung von amnestischer Aphasie s. S. 85.
Die aphasiologischen
Begriffe
nach:
Goldenberg
NeuroPsychologie
Urban &
Fischer
Bild von
Wernicke
Vorstellung
von
Wernicke
Wernicke-Aphasie:
Il ne sait pas
parler.
C:\text\folien\N_Ps_AphasB14.doc
Vorlesung Funktionelle Hirntopographie / Neuropsychologie
L. Deecke, Univ.-Klinik f. Neurol. Wien
APHASIE (nach Poeck) Forts. 14
WernickeAphasie
Wernicke-Aphasie
Synonyme: sensorische Aphasie (Wernicke 1874, Goldstein 1948), rezeptive Aphasie (Weisenburg u.
McBride 1935), syntaktische Aphasie (Head 1926), pragmatische Aphasie (Wepman u. Jones 1964),
akustische Aphasie (Luria 1970) oder "posterior aphasia" (Benson 1967).
Sprachliche Leitsymptome
♦ Reichlich phonematische und/oder semantische Paraphasien, die z.T. grob vom Zielwort ab-weichen und
Neologismen, gut erhaltener Sprachfluß, häufig überschießende Sprachpro-duktion, Paragrammatismus,
Sprachverständnis erheblich gestört, Kommunikationsfähigkeit stark eingeschränkt (Huber u. Mitarb. 1975,
Poeck u. Mitarb. 1975).
Klinisches Bild
♦ Spontansprechen. Patienten mit Wernicke-Aphasie sprechen flüssig, d. h. mit normaler
Sprechgeschwindigkeit von durchschnittlich 100 und mehr Wörtern pro Minute und in zusammenhängenden
Phrasen, die mehr als vier Wörter lang sind (Kerschensteiner u. Mitarb. 1972).
♦ Artikulation und Prosodie sind gut erhalten.
♦ Lautstruktur der Äußerung häufig durch phonematische Paraphasien verändert.
♦ Diese entstehen oft durch Veränderun-gen der phonetischen Merkmale des Ziellautes (z. B. hoher statt
tiefer Vokal in "Kinn" statt "Kamm"), ebenso kommen sie durch Perseverationen und Vorwegnehmen eines
anderen Phonems aus der gleichen Wortkette zustande ("Tirnspitze" für "Turmspitze").
♦ Phonema-tische Entstellungen können so gehäuft auftreten, daß die Äußerung über große Strecken nicht
mehr mit Lautfolgen bekannter Wörter in Verbindung gebracht werden kann (phonematischer Jargon).
♦ Die einzelnen Laute gehören jedoch selbst dann meist zum Lautinventar der jeweiligen Um-gangssprache.
An Lücken im Satz, an abgebrochenen Sätzen und an Interjektionen wie "äh" ist zu erkennen, daß den
Patienten bereits in der Spontansprache die gerade passenden Wörter fehlen.
Wernicke 15
APHASIE (nach Poeck) Forts. 15Wernicke
♦ Häufig bringen die Wernicke-Aphasiker semantische Paraphasien hervor.
♦ Dabei wird das erwartete Wort entweder durch ein semantisch naheliegendes (z. B. "Licht" oder "Docht" statt
"Kerze") oder durch ein Wort ersetzt, das keinen direkten Bedeutungszusammenhang zum Zielwort mehr erkennen
läßt ("wild paraphasic misnaming"; z. B. "Nachtjacke" statt "Kerze").
♦ Kenn-zeichen der semantischen Störungen sind auch die vielen Redefloskeln, in denen nur wenige
inhalttragende Wörter vorkommen.
♦ Die paraphasischen Entstellungen können zu Neologismen führen, d. h. zu Wörtern, die aus phonematischen
oder semantischen Gründen nicht zum Wortschatz der jeweiligen Sprache gehören.
♦ Wortentstellungen werden auch in Form von Überproduktion ("Augmentation") beobachtet, z. B. als Verdoppelung
von Endsilben, wie in "laufenen".
♦ Patienten mit Wernicke-Aphasie können, wie Gesunde, lange und komplexe Sätze anlegen, die jedoch in der
Wahl, der Kombination und z.T. auch der Stellung der Wörter von gram-matisch akzeptablen Sätzen abweichen.
♦ Neben Satzabbrüchen kommen Verschränkungen von Sätzen sowie Verdoppelung von Satzteilen vor.
Folgende Beispiele:
- Es war in der Nacht muß das gewesen sein.
- Bei der Arbeit einfach hörte es einfach auf langsam auf.
♦ Das klinische Syndrom der Wernicke-Aphasie ist nicht einheitlich.
♦ Nach der Beobachtung der Spontansprache erscheint uns eine Einteilung unter 2 Aspekten brauchbar:
- nach der vorherrschenden Art der Paraphasien (phonematische bzw. semantische) und
- nach dem Schweregrad der Beeinträchtigung im lnformationsgehalt.
♦ Dort, wo keine zusammen-hängende Information mehr vermittelt wird, spricht man von Jargon-Aphasie.
Damit ergeben sich vier Spielarten:
- Wernicke-Aphasie mit vorwiegend semantischen Paraphasien
- Wernicke-Aphasie mit semantischem Jargon
- Wernicke-Aphasie mit vorwiegend phonema-tischen Paraphasien
- Wernicke-Aphasie mit phonematischem Jargon.
Wernicke16
APHASIE (nach Poeck) Forts. 16Wernicke
♦ Der Paragrammatis-mus ist allen Typen gemeinsam, jedoch ist er bei den Unterformen mit semantischen
Paraphasien leichter zu erkennen.
♦ Im folgenden geben wir 2 Beispiele für die Sprachproduktion von Patienten mit Wernicke-Aphasie:
1. Wernicke-Aphasie mit vorwiegend semantischen Paraphasien:
Untersucher:
"Können Sie mal erzählen, wie es Ihnen jetzt so geht, und ob Sie noch Beschwerden
haben?"
"Ja das kann ich Ihnen sagen, daß ich Beschwerden habe. Na ich muß mal anders ... ich glaube man
Patient:
sollte bei Null beginnen und nicht bei oben. Es ist so: gegenüber früher möcht ich erst einmal sagen über den ganz
großen Beginn erst mal als ich ankam ist es natürlich ganz entschieden ... eh ... ein Unterschied ... heute besser als
früher wollen gar nicht drüber debattieren."
2.Wernicke-Aphasie mit vorwiegend phonematischen Paraphasien:
Untersucher:
"Wie hat das mit Ihrer Krankheit angefangen?"
Patient: "Ja ich bin ... ich war unter terännegünte und bin eh im jui dui unter geworden und bin zusammgegamen und
war weg.......aus aus ... twass dann... und dann bin ich auch gekommen und so bin ich auch schon da... und es geht
also jetzt gar nicht mehr ... ich kann zwar bißchen, jetzt na. . . aber ich kann mir gar nicht mehr schrechten ... das kann
ich alles ... mehr kann ich Ihnen jetzt mehr keinen eins mehr kann ich nicht sagen was."
♦ In der Kommunikationssituation ist zunächst die ungehemmte Sprachproduktion (Logorrhoe) auffällig, die man
leicht durch Fragen auslösen kann, die nur kurze Antworten erfordern.
♦ Häufig genügen selbst Interjektionen, um den Redefluß in Gang zu halten oder anzuregen.
♦ Dennoch läßt sich der formale Rahmen einer Konversation mit Rede und Gegenrede ohne Schwierigkeiten
herstellen, selbst wenn die Gesprächspartner inhaltlich und gelegentlich selbst thematisch aneinander vorbeireden.
♦ Die Fähigkeit, einen Dialog formal zu führen. be-ruht möglicherweise darauf, daß Wernicke-Aphasiker trotz
schwerster Sprachverständnis-störungen die Oberflächenmerkmale von Sprechakten, wie die Intonation von Fragen
und Aufforderungen, erkennen (Green u. Boller 1974).
Wernicke 17
APHASIE (nach Poeck) Forts. 17Wernicke
♦ Nachsprechen. Wernicke-Aphasiker sprechen bereitwillig nach. Dabei sind die Wörter mit großer
Häufigkeit phonematisch entstellt.
♦ Wie bei anderen aphasischen Syndromen beob-achtet man, daß phonematisch ähnliche Laute nicht
diskriminiert und daß Verbindungen mehrerer Konsonanten vereinfacht werden.
♦ Beim Nachsprechen längerer Sätze werden diese häufig lexikalisch und syntaktisch fehlerhaft verändert.
♦ Für Wernicke-Aphasiker charakteristisch sind die sequentiellen Fehler, d. h. die Vorwegnahme oder
Perseveration von einzelnen Lauten, Silben sowie Wort- und Satzteilen.
♦ Benennen. Diagnostisch wichtig ist auch die Art der Fehler bei den Benennungsaufgaben. Die Patienten
geben statt der verlangten Bezeichnung eine Paraphasie, die entweder aus dem semantischen Feld des
Zielwortes stammt oder ohne jeden semantischen Bezug dazu ist ("wild paraphasic misnaming").
♦ Anstatt zu benennen, beschreiben die Patienten oft Gebrauch oder Eigenschaften des abgebildeten
Objektes, wobei diese Beschreibungen häufig ebenfalls durch Paraphasien entstellt sind. Wir geben für diese
Arten von Fehlbenennungen 2 Beispiele:
Stimulusbild:
Reaktion:
Staubsauger
Besen (mit semantischem Bezug), Luftwiderstand (ohne semantischen Bezug), zum
Saubermachen (Beschreibung von Gebrauch).
Waage Gewicht (mit semantischem Bezug), Esel (ohne semantischen Bezug), wenn ich mein Gewicht
prüfen will (Beschreibung von Gebrauch).
♦ Oft werden Fehler beim Benennen über mehrere Aufgaben perseveriert. Die Patienten per-severieren
auch richtige Bezeichnungen, wodurch ebenfalls Benennungsfehler entstehen.
♦ Beim Benennen, wie auch in der Spontansprache, zeigen Wernicke Aphasiker eine stufen-weise
phonematische, gelegentlich semantische Annäherung an das Zielwort ("Conduite d'approche").
♦ Im Gegensatz zu den anderen Aphasieformen ist aber fast genauso häufig zu beobachten, daß WernickeAphasiker mit Erreichen des Zielwortes oder eines semantisch bzw. phonematisch ähnlichen Wortes nicht
innehalten, sondern wieder davon abdriften.
Wernicke 18
APHASIE (nach Poeck) Forts. 18Wernicke
♦ Die Conduite d'approche wird durch folgendes Beispiel verdeutlicht:
"Klösen Schlase... Schlage... Klause... Glesen Kretten Kretten gebunden eingeschlagene einge-schlossene Kretten ein
Kräusel ein Krausliger... ein Fänger... ein Ver... ein Vergebrachener ein Fangener... Gefangener" (abgebildet ist ein
Gefangener mit Fußketten).
♦ In dieser Kette sind nebeneinander Folgen von phonematisch, morphologisch und semantisch ähnlichen Wörtern
zu erkennen.
Ein Beispiel für das Abdriften ist:
Hier ist ein Türm... . . Türn... Türnspit... Türmsürze... Türn... die Türntüsche... die Kürnstücke" (abgebildet ist eine
Turrnspitze).
♦ Paraphasische Antworten werden vom Patienten meist auch dann nicht korrigiert, wenn man ihm Hilfen vorgegeben
hat, wie Anlaut des Wortes oder Lückensätze.
♦ Sprachverständnis. In der Unterhaltung ist das Sprachverständnis grob gestört. Bei der systematischen Prüfung
sind Wernicke-Aphasiker bereits beim Erkennen einzelner Phoneme erheblich beeinträchtigt.
♦ Erhalten ist jedoch die Fähigkeit, Äußerungen der eigenen Sprache von solchen in einer Fremdsprache oder
Kunstsprache zu unterscheiden (Boller u. Green 1972).
♦ Bereits im Einwortverständnis, geprüft an Objekt- und Farbnamen, sind Wernicke-Aphasiker deutlich schlechter
als Patienten mit amnestischer und Broca-Aphasie (Poeck u. Mitarb. 1973).
♦ Der Leistungsabstand in diesen anderen Gruppen wird noch größer beim Satzverständnis.
♦ Schreiben und Lesen sind gewöhnlich in gleicher Weise gestört wie Sprechen und Sprachverständnis.
♦ Häufig ist die Schrift durch Perseveration und Überproduktion von Buchstaben und Buchstabenkombinationen
entstellt. Die Patienten bemerken eher die beeinträchtigte Schreibfähigkeit als das beeinträchtigte Sprechen (Hècaen u.
Angelergues 1965).
♦ Es gibt aber immer wieder Wernicke-Aphasiker, bei denen bald das Schreiben, bald das Lesen relativ geringer als
die anderen Sprachmodalitäten beeinträchtigt ist.
Wernicke 19
C:\text\folien\N_Ps_AphasB19.doc
Vorlesung Funktionelle Hirntopographie / Neuropsychologie
L. Deecke, Univ.-Klinik f. Neurol. Wien
APHASIE (nach Poeck) Forts. 19Wernicke
♦ Die Schreib- und Lesestörung soll auf einer begleitenden Läsion des Gyrus angularis (Benson u. Geschwind 1969)
beruhen.
Verlauf
♦ In der Rückbildung der Wernicke-Aphasie bessert sich, wie bei allen Aphasikern, die Ver-ständnisstörung rascher
und in stärkerem Maße als die Sprachproduktion.
♦ Häufig wird ein Übergang von einer Sprachproduktion mit reichlichen phonematischen Paraphasien zu vor-wiegend
semantischen Paraphasien beobachtet. Dies zeigt, daß die gehäuften phonematischen Paraphasien zunächst die
semantischen Verstöße überdecken. Dadurch ist auch verständlich, warum die umgekehrte Entwicklung nicht zu
beobachten ist.
Lokalisation
♦ Die Läsion liegt im rückwärtigen Anteil des Schläfenlappens und bezieht immer die erste Temporalwindung mit ein.
Diese Region entspricht dem Versorgungsgebiet der A. temporalis posterior aus der A. cerebri media.
Differentialdiagnose
♦ Die Differentialdiagnose ist am häufigsten gegenüber der Leitungsaphasie (Nachsprechaphasie) zu stellen (s. S.
101). Eine schwere Beeinträchtigung des Sprachverständnisses entsteht auch bei der reinen Worttaubheit (auch reine
subkortikale sensorische Aphasie genannt).
♦ Die Patienten verstehen gesprochene Sprache nicht und können dem-gemäß auch nicht nachsprechen und nach
Diktat schreiben. Anders als bei Wernicke-Aphasikern ist aber ihre Spontansprache, wie auch Lesen und
Spontanschreiben, ungestört.
♦ Die Läsionen müssen die akustischen Afferenzen aus den Hörregionen beider Hemisphären zur Wernicke-Area
unterbrechen. Ist die Läsion etwas weiter zur linken ersten Tem-poralwindung ausgedehnt, so treten in der
Sprachproduktion zunehmend Symptome der Wernicke-Aphasie auf.
♦ Patienten, deren Verständnisstörung auf Worttaubheit beruht, unterscheiden sich in ihrem Verhalten charakteristisch
von Wernicke-Aphasikern.
Wernicke 20
C:\text\folien\N_Ps_AphasB20.doc
Vorlesung Funktionelle Hirntopographie / Neuropsychologie
L. Deecke, Univ.-Klinik f. Neurol. Wien
APHASIE (nach Poeck) Forts. 20Wernicke
♦ Die Patienten unterbre-chen die Kommunikation immer wieder, indem sie auf ihren "Hördefekt" hinweisen.
Obwohl sie sich damit wie Taube verhalten, ist das Tonaudiogramm normal.
♦ Viele Patienten mit Wernicke-Aphasie werden als verwirrt in die Klinik eingewiesen!
♦ Ihre Sprache unterscheidet sich aber von der des Verwirrten durch Häufung von Paraphasien und
syntaktische Verstöße, während der Gedankengang als kommunikativ adäquat zu erkennen ist.
♦ Beim Jargon sind zwar die inhaltlichen Bezüge kaum zu erkennen, jedoch wird hier die Differentialdiagnose
durch die massive Häufung von phonematischen oder semantischen Paraphasien erleichtert.
♦ Bei einer rückgebildeten Wernicke-Aphasie ist das Sprachverständnis häufig soweit ge-bessert, daß
man daran die Differentialdiagnose zur amnestischen Aphasie nicht mehr tref-fen kann.
♦ Auch die Spontansprache kann zunächst vor allem durch Wortfindungsstörungen auffällig sein.
Gelegentlich kommen jedoch noch grob abweichende semantische Paraphasien und phonematische
Neologismen vor, die bei der amnestischen Aphasie nicht beobachtet werden.
Globale Aphasie
21
APHASIE (nach Poeck) Forts. 21Globale A.
Globale Aphasie
Synonyme: totale Aphasie (Dejerine 1906), „grande aphasie de Broca" (Marie 1906), "expressive-receptive aphasia"
(Weisenburg u. McBride 1935).
Sprachliche Leitsymptome
♠ Schwerste Form der Aphasie (!) Sprachproduktion und Sprachverständnis gleichermaßen stark reduziert, nur
stockender Sprachfluß mit erheblicher Sprechanstrengung und meist sehr schlechter Artikulation, Prosodie stark
gestört, häufig Sprachautomatismen (rekurrente Äußerungen). Die sprachliche Kommunikation ist nahezu unmöglich
(Stachowiak u. Mitarb. 1978).
Klinisches Bild
Spontansprache: Das auffälligste Merkmal ist die große Einschränkung der Fähigkeit, Sprache zu äußern.
♠ Dies gilt nicht nur für die spontane Sprachproduktion, sondern auch dann, wenn der Gesprächspartner versucht,
sprachliche Äußerungen des Patienten zu aktivieren.
♠ So hilft dem Patienten weder die Vorgabe des Anlauts von Wörtern, noch kann er Sätze, die der Untersucher
beginnt, zu Ende führen.
♠ Die Sprachanstrengung, d. h. die Mühe, sich überhaupt verbal mitzuteilen, führt dazu, daß viele Patienten mit
globaler Aphasie sich allein durch Pantomime zu verständigen suchen.
♠ Die wenigen spontanen Äußerungen sind stark mit Stereotypien, d.h. mit Automatismen und Floskeln durchsetzt.
♠ Automatismen sind ständig wiederkehrende, formstarre Einschübe.
♠ Diese passen weder lexikalisch noch syntaktisch in den sprachlichen Kontext, und der Patient bringt sie gegen die
vom Gesprächspartner erwartete Intention hervor.
♠ Automatismen bestehen aus aneinandergereihten Einzelsilben wie "dododo", "tatata", "tantantan", aus festen
Silbenfolgen wie "titu", "pompe...... ela", aus beliebigen Wörtern oder aus Phrasen wie "ja Lili, nein Lili", "jeden Tag,
guten Tag".
Globale Aphasie Forts. 22
APHASIE (nach Poeck) Forts. 22Globale A.
♠ Auch das Inventar von Floskeln, über das ein Patient verfügt, ist sehr begrenzt und für den einzelnen
Patienten charakteristisch (Alajouanine 1956).
Beispiele sind: "meine Güte", "Donnerwetter", "ach, ja, ach Gott", "eh bien voilá".
♠ Floskeln können verschiedene sprachliche Formen haben, z. B.
- Be-grüßungsformeln
- Flüche
- Tabuwörter
- Interjektionen
- Affirmations- ("ja"",genau") und
- Negationspartikel ("nein, "nie") etc.
♠ Im Unterschied zu den Automatismen können Floskeln häufig der Sprechsituation angemessen
eingesetzt werden, obgleich sie im Gespräch mehrfach stereotyp wiederkehren.
♠ Neben den Stereotypien besteht die Sprachproduktion aus wenigen Einzelwörtern, die in ihrer
lautlichen Form oft stark neologistisch entstellt sind.
♠ Solche phonematischen Neologismen sind Wörter, die nicht in der Standardsprache vorkommen,
aber gewöhnlich aus Phonemen und Phonemkombinationen der Standardsprache bestehen.
♠ Nur ganz selten gelingen dem Patienten verständliche und situationsadäquate Wörter und
Phrasen.
♠ Diese werden meist reaktiv, d. h. nur auf Fragen des Untersuchers, gebraucht, und häufig sind es
solche Wörter und Phrasen, die der Untersucher gerade geäußert hat.
♠ Soweit syntaktische Strukturen in der Spontansprache erkennbar sind, lassen diese keine
systematischen Vereinfachungen der Syntax wie beim Agrammatismus der Broca-Aphasie erkennen.
♠ Die typische Form der syntaktischen Verknüpfung ist das Aneinanderreihen von semantisch
unpassenden Einzelwörtern.
♠ Die Intonation ist bei manchen Patienten bemerkenswert gut erhalten und wird sogar dort
übersteigert eingesetzt, wo eine Kommunikation mit passenden Wörtern nicht möglich ist.
APHASIE (nach Poeck) Forts. 23Globale A.
♠ Affektive Inhalte, wie Zustimmung, Frage, Zweifel usw., können von einigen dieser Patienten durch
Intonation ausgedruckt werden.
♠ Alle Patienten mit globaler Aphasie haben eine starke Tendenz zu perseverieren.
♠ Dies gilt für alle Bestandteile der Spontansprache, für Automatismen, Floskeln, Wörter und
Phrasen und selbst für einzelne Intonationskonturen.
♠ Dysarthrie, d. h. Anstrengung beim Sprechen und verwaschene Artikulation, ist bei einigen Patienten
vorhanden, bei anderen nicht. Die Dysarthrie ist also kein konstituierendes Merk-mal der globalen
Aphasie. Sie kommt im übrigen bei allen Aphasieformen fakultativ vor.
Das folgende Beispiel illustriert die Sprachproduktion bei globaler Aphasie:
Untersucher:
"Wie hat das angefangen mit Ihrer Krankheit?"
Patient: "ja ja ... ich bin hier."
Untersucher:
"Wann war das denn, ist das schon lange her?"
Globale Aphasie 23
Patient: "ja ... ah ... nue.“
Untersucher:
"Ja?"
Patient: "Nee also ehrlich."
Untersucher:
"Zwei Monate?"
Patient: "Ja ... nee nee nee ... eh ... hier ... ich bin."
Untersucher:
"Und waren Sie damals zu Hause oder waren sie an Ihrem Arbeitsplatz?
Patient: "Nee nee ... hier ... also ... ja ... hm."
Untersucher:
"Sie waren zu Hause und was ist da passiert?"
Patient: "Ja Mensch ... nee."
Untersucher:
"Haben Sie Hausarbeit gemacht?"
Patient: "Nee."
Untersucher:
"Oder sind Sie im Bett gelegen?"
Patient: "Nee."
Untersucher:
"Oder haben Sie sich gerade ausgeruht?
Patient: "Ach Quatsch ... hier ... und hier und hier."
♠ Was wir bisher beschrieben haben, ist die spontane Sprachproduktion der Mehrzahl von Patienten
mit globaler Aphasie.
♠ Gelegentlich überwiegen jedoch einige dieser Merkmale in der Spontansprache oder
charakterisieren sie ausschließlich.
Globale Aphasie 24
APHASIE (nach Poeck) Forts. 24Globale A.
♠ Bei solchen Patienten besteht die Sprachproduktion nur aus flüssig hervorgebrachten, beständig
wiederkehrenden Auto-matismen (rekurrente Äußerungen).
♠ Obwohl die Sprachproduktion lexikalisch maximal reduz-iert ist, können sie häufig kommunikative
Inhalte durch Variationen der Intonation und Sprechgeschwindigkeit vermitteln (Hècaen u. Angelergues
1965).
♠ Selbst nach Verlust aller lexikalischen und syntaktischen Ausdrucksfähigkeiten können Patienten mit
globaler Aphasie die Kommunikation flüssig aufrechterhalten.
♠ Nachsprechen: Trotz der Spärlichkeit ihrer Spontanen Sprachproduktion sind Patienten mit
globaler Aphasie oft zum Nachsprechen zu bewegen, insbesondere, wenn man die Aufgabe durch
Mitsprechen erleichtert.
♠ Jedoch bestehen die Reaktionen dann häufig aus phonematischen Neologismen und
Perseverationen.
Beispiele:
Stimulus: Reaktion:
Fürst
Fürst
Spruch
Fürste
Zwist
Fluts
Strumpf fürs
♠ Selbst Reihensprechen ist bestenfalls über Mitsprechen in Gang zu setzen, versiegt aber nach
wenigen Wörtern.
♠ Benennen: Von allen Aphasietypen haben Patienten mit globaler Aphasie die schwerste
Benennungsstörung.
- Charakteristisch ist, daß eine verbale Reaktion auf den visuellen Stimulus ausbleibt oder daß der
Benennungsversuch nur zu einem phonematischen Neolo-gismus führt.
♠ Daneben kommen auch semantisch und phonematisch grob abweichende Fehlbenennungen und
Stereotypien vor.
♠ Alle diese Fehlerarten werden häufig über viele Aufgaben hinweg perseveriert.
Globale Aphasie 25
APHASIE (nach Poeck) Forts. 25Globale A.
Stimulus:
Reaktion:
Buch
eine Kol
rot
eine
blau
auch die
Kühlschrank
eine
Dosenöffner
auch
Rollschuh
eh ... gogoka
♠ Sprachverständnis. Im akuten Stadium ist nur ein Rest an Verständnis für die einfachsten
Aufforderungen und Fragen erhalten.
♠ Auch über das akute Stadium hinaus bleibt das Sprachverständnis, wenn es in kontrollierten Tests
überprüft wird, weiter schlecht, und zwar noch schlechter als bei Wernicke-Aphasikern in vergleichb.
Verlaufsstadium.
♠ In der Kommunikationssituation verstehen die Patienten, wie alle Aphasiker, besser.
♠ Das liegt teilweise an der Redundanz der Gesprächssituation, teilweise daran, daß sich der
Gesprächspartner den eingeschränkten expressiven Möglichkeiten des Patienten anpaßt.
♠ Häufig führt dies zu einer Dialogform, in der der Untersucher lediglich Entscheidungsfragen stellt, auf
die der Patient bejahend oder verneinend antworten kann.
Schreiben: Sofern keine begleitende konstruktive Apraxie vorliegt, können die Patienten Buchstaben
und ein-zelne Wörter kopieren.
- Sollen sie jedoch Buchstaben und Wörter aus einem Schrifttyp (z. B. kursiv) in einen anderen
Schrifttyp (z. B. Blockschrift) übertragen, treten sehr viele Fehler auf, auch wenn die Lösung nicht das
Schreiben sondern das Legen von Buchstaben verlangt.
- Dabei sind die Fehler häufig nicht als Abfolge von Lauten zu erkennen, wie sie im Deutschen oder in
einer anderen Sprache möglich sind, d. h. sie entsprechen in ihrer Struk-tur weder phonematischen
Paraphasien noch Neologismen:
Stimulus:
Saal
Qualm
Priester
Garage
Reaktion:
IEMPR
CHAMSPL
QUMIESPE
QUARAE
APHASIE (nach Poeck) Forts. 26Globale A.
♠ Einige dieser Buchstabenfolgen sind nicht aussprechbar. Auffallend ist, daß der Patient die
unterschiedliche Länge des zu legenden Wortes einzuhalten versucht. Spontan- und Diktat-schreiben sind
den Patienten möglich.
♠ Das Lesesinnverständnis ist schwerer gestört als das Verständnis für gesprochene Sprache (Huber
1979).
♠ Einfache Sätze können erst in einem fortgeschrittenen Rückbildungsstadium mit Verständnis gelesen
werden.
♠ Die Prüfung des Lautlesens trägt nichts zur Ermittlung des Lesesinnverständnisses bei, weil sich hier
dieselben Fehler wie bei allen anderen expressiven Prüfungen zeigen. Zudem ist das Lautlesen weniger leicht
aktivierbar als das Nachsprechen.
Globale Aphasie 26
Verlauf
♠ Der Verlauf ist weniger einheitlich als bei den anderen Aphasietypen. Das Sprachverständnis bessert
sich, zumindest was das Kommunikationsverständnis angeht, im Vergleich zu den expressiven Leistungen
relativ rasch.
♠ In Tests zum Sprachverständnis sind globale Aphasiker als Gruppe immer noch durch die relativ
höchste Fehlerzahl gekennzeichnet.
♠ In den expressiven Sprachleistungen behalten Patienten mit rekurrenten Äußerungen ihre
Sprachautomatismen über Jahre hinweg unverändert bei.
♠ Auch durch intensive Sprachthera-pie lassen sich die Sprachautomatismen nicht aufheben.
♠ Im günstigsten Falle kann man die Patienten dazu bringen, daß sie kommunikativ sinnvolle
Sprachäußerungen neben den Automatismen einsetzen und die Sprachautomatismen zu unterdrücken
suchen.
♠ Auch das Schreiben (Schuell u. Mitarb. 1955) bleibt auf einzelne in der Therapie geübte Wörter beschränkt.
♠ Auf der anderen Seite des Spektrums finden sich Patienten, deren Sprachproduktion sich
bemerkenswerterweise über viele Monate so gut bessert, daß sie von Broca-Aphasikern kaum zu
unterscheiden sind.
♠ Ihre Zugehörigkeit zur Gruppe der globalen Aphasiker läßt sich aber bei längerer Beobachtung der
Spontansprache und in schwierigen Tests, wie z. B. dem Beschreiben komplexen Situationen und
Handlungen, meist noch an Neologismen, Sprachautomatismen und häufigen semantischen Paraphasien
erkennen.
Die globale Aphasie in Rückbildung wird von manchen Autoren als "gemischte Aphasie" klassi-fiziert.
Diese Patienten sind meist jünger und haben in der Regel eine frühzeitig einsetzende Therapie erhalten.
APHASIE (nach Poeck) Forts. 27Globale A.
♠ Die Mehrzahl der Patienten mit globaler Aphasie bessert sich aber nur wenig und erlangt die
Fähigkeit nicht wieder, Sprache kreativ zu gebrauchen, d. h. Gedanken der Situation angemessen neu
zu formulieren.
♠ Die Patienten lernen, durch Gestik, Mimik, adäquate Intonation und Verwendung von Floskeln in
beschränktem Maße ihre Inten-tionen auszudrücken.
♠ Zudem lernen sie in der Therapie, Gesprächsstrategien anzuwenden, mit deren Hilfe ein Minimum an
sprachlicher Mitteilung möglich wird.
♠ Strategie bedeutet in diesem Sinne das Hinlenken des Gesprächs auf eine bestimmte Dialogform,
z.B. die oben-erwähnten Entscheidungsfragen von seiten des Untersuchers, das Eingehen auf Themen,
die dem Patienten sprachlich vertraut sind, sowie das Vermeiden von Themen, die er sprachlich nicht
bewältigen kann.
Globale Aphasie 27
Lokalisation
♠ Die globale Aphasie beruht überwiegend auf thrombotischen oder embolischen Verschlüssen des
Hauptstamms der A. cerebri media.
♠ Dementsprechen betrifft die Läsion die gesamte Sprachregion von ihren frontalen bis zu ihren
temporoparietalen Anteilen.
♠ Somit haben Pa-tienten mit globaler Aphasie die größte Substanzschädigung von allen
Aphasietypen.
♠ Die Rückbildung und der Schweregrad dieser Funktionsstörung hängt von der Ausdehnung der
Läsion sowie davon ab, wie rasch und wie ausgiebig das Versorgungsgebiet der A. cerebri media von
den Randgebieten her kollateral wieder mit Blut versorgt wird, sowie davon, in welchem Maße die rechte
Hemisphäre zu sprachlichen Leistungen aktiviert wird.
♠ Die rechte Hirnhälfte kann aber zu expressiven Sprachäußerungen nur emotionale Floskeln
beitragen, und auch im Sprachverständnis sind ihre Leistungen auf die Analyse einzelner Nomina und
einfachster syntaktischer Relationen beschränkt (zusammenfassend bei Poeck 1979).
28
APHASIE (nach Poeck) Forts. 28Globale A.
Differentialdiagnose
•
Die Abgrenzung zur Broca-Aphasie ist auf S. 91 besprochen. Die Unterscheidung vom
Mutismus bei psychiatrischen Krankheiten ist vor allem nach außersprachlichen Kriterien möglich.
•
Während der Patient mit globaler Aphasie sich zuwendet und oft zumindest den Versuch
einer Artikulation macht, ist das Verhalten bei Mutismus in der Regel durch gener-elle Ablehnung,
auch außersprachlicher Art, gekennzeichnet.
•
Außerdem haben diese Patienten keine rechtsseitige Hemiplegie, die bei globaler Aphasie
meistens vorliegt.
•
Die Abgrenzung zwischen Sprachautomatismen (rekurrente Äußerungen) bei globaler
Aphasie und Stereotypien und iterativen Sprachäußerungen bei Alzheimerscher Krankheit kann
schwierig sein, zumal Patienten mit hirnatrophischen Prozessen auch schwere Störungen im
Sprachverständnis haben können.
•
Soweit die Krankheit noch nicht das Endstadium erreicht hat, treten aber immer wieder einige
adäquate und wohlartikulierte Wörter und Satzfrag-mente zwischen den Iterationen auf.
•
Die iterativen Äußerungen (Logoklonien) sind im Unter-schied zu Sprachautomatismen bei
globaler Aphasie stärker sprachlich variiert.
•
Sie betreffen beim selben Patienten alle ihm zur Verfügung stehenden Äußerungen und
hierbei alle mögli-chen sprachlichen Segmente, wie einzelne Wörter, Silben und Phonemgruppen.
•
Die Schwierigkeit der Unterscheidung liegt darin begründet, daß auch bei hirnatrophischen
Pro-zessen die Sprachregion ergriffen wird und damit aphasische Symptome in das Syndrorn
eingehen.
•
Andererseits bringt es die Generalisierung des hirnatrophischen Prozesses mit sich, daß
zusätzliche Störungen im gesamten Verhalten auftreten, wie beispielsweise Störungen der
Merkfähigkeit, der räumlichen Orientierung, der Affektivität und des Antriebes oder motorische
Stereotypien (im Gegensatz zur Hemiplegie des globalen Aphasikers).
Ab-grenzung zur Anarthrie: s. Differentialdiagnose der Broca-Aphasie S. 90f.
APHASIE (nach Poeck) Forts. 29Leitungs A.
Sonderformen
29
1. Leitungsaphasie
Synonym: Nachsprechaphasie, zentrale Aphasie (Goldstein 1948), afferent-motorische Aphasie
(Luria 1970).
§ Die meisten Patienten mit dieser Aphasieform sprechen flüssig, ihre Rede ist aber durch viele
phonematische Paraphasien entstellt.
§ Das Kardinalsymptom ist eine im Verhältnis zu anderen sprachlichen Leistungen
unverhältnismäßig schwere Störung beim Nachsprechen.
§ Je länger die Wörter und Sätze sind, desto mehr Fehler werden beim Nachsprechen ge-macht.
§ Die nachgesprochenen Äußerungen sind phonematisch entstellt, die Patienten geben meist
inhaltlich richtige, aber nicht sprachlich identische Wiedergaben, in schweren Fällen sind sie zum
Nachsprechen außerstande.
§ Beim Benennen treten viele phonematische Entstellungen auf. Wenn man berücksichtigt, daß
trotz dieser phonematischen Paraphasien das Zielwort oft noch gut erhalten ist, und derartige
Antworten nicht als Benennungsfehler rechnet, machen Patienten mit Leitungs-aphasie bei dieser
Art der Prüfung wenige Fehler.
§ Im Gegensatz zu Wernicke-Aphasikern sind sich Patienten mit Leitungsaphasie ihrer
phonematischen Paraphasien stärker bewußt und versuchen, ihre Fehlreaktionen zu kor-rigieren.
Lokalisation
§ Nach Geschwind (1965) soll der Ort der Läsion im Fasciculus arcuatus liegen, der, durch das
parietale Operculum verlaufend, die Wernicke mit der Broca-Region verbindet.
§ Diese Lokalisation ist aber umstritten, wie überhaupt der Status der Leitungsaphasie noch nicht
eindeutig geklärt ist (Brown 1972).
Die Prognose ist hinsichtlich der Nachsprechleistung schlecht.
30
APHASIE (nach Poeck) Forts. 30Transcortical
2. Transkortikal-motorische Aphasie
※ Das seltene Syndrom wird dadurch charakterisiert, daß die Patienten spontan nicht oder kaum
sprechen, aber prompt nachsprechen, und dies mit relativ gut erhaltener Artikulation und
intakter Syntax. Die Patienten haben ein gutes Sprachverständnis und können laut lesen.
§ Die Läsionen sollen in der Broca-Region selbst liegen. Die Angabe von Lichtheim (1885), daß
diese Form der Aphasie sich in der Rückbildung einer Broca-Aphasie zeige, ent-spricht nicht
unseren Erfahrungen. Wir haben diese Aphasieform im Initialstadium von Apha-sien gesehen, die
sich rasch wieder zurückbildeten.
3. Transkortikal-sensorische Aphasie
§ Die Patienten sprechen spontan sehr wenig. Im Gespräch fällt auf, daß sie häufig Fragen, die
man an sie richtet, und auch andere Äußerungen des Untersuchers, echolalisch wieder-holen.
§ Die Bedeutung dieser wiederholten Äußerungen wird dabei aber nicht voll verstanden.
§ Auch im Test können diese Kranken Wörter und komplexe Sätze nachsprechen, ohne den Sinn
voll zu verstehen.
§ Sie haben schwere Störungen im Sprachverständnis.
§ Das Benennen ist sehr stark gestört. Am häufigsten bleibt die Antwort überhaupt aus.
Lokalisation
§ Zur Lokalisation nimmt man eine ausgedehnte Läsion an, die die Verbindung zwischen der
Sprachregion und dem übrigen Gehirn, insbesondere den sensorischen Associationscortices,
unterbricht (isolation of the speech area syndrome, Geschwind u. Mitarb. 1968).
4. "Fluent and non-fluent aphasia"
Vor allem in der amerikanischen Literatur wird eine Einteilung der Aphasien vorgenommen, die sich
nur an der Sprachproduktion orientiert: "fluent and non-fluent aphasia".
31
APHASIE (nach Poeck) Forts. 31Fluent/Non-Fluent
§ Diese Einteilung erlaubt es, aufgrund weniger und quantifizierbarer Parameter, wie z.B. Satzlänge,
Sprechgeschwindigkeit und Prosodie, aphasische Patienten einer von zwei Gruppen zuzuordnen,
denen eine unterschiedliche Lokalisation, nämlich prärolandisch und retrolandisch, entspricht (Benson
1967).
§ Die Gruppe mit nichtflüssigem Sprechablauf setzt sich zusammen aus Patienten mit Broca- und
globaler Aphasie sowie einigen wenigen amnestischen Aphasikern (Kerschensteiner u. Mitarb.
1972).
§ In der Gruppe mit flüssiger Sprach-produktion sind Patienten mit Wernicke-, amnestischer und
Leitungsaphasie vertreten.
§ So praktisch diese Einteilung für die orientierende klinische Diagnostik auch scheint, ist sie doch zu
grob, weil linguistische und neuropsychologische Symptome, bei verschiedenen aphasischen
Syndromen unterschiedlich hervortreten.
§ Da es sich bei "fluent" und "non-fluent" um übergreifende Klassen handelt, werden die linguistischen
Eigenheiten der Aphasieformen überdeckt und deshalb in der Therapie und bei experimentellen
Untersuchungen nicht berücksichtigt.
Aphasien nichtvaskulärer Ursache
Die beschriebenen Untertypen der Aphasie sind Gefäßsyndrome. Sie machen etwa 80% aller Aphasien
aus. Bei Mehrfachinsulten ist die Symptomatik allerdings nicht so klar.
Nach Traumen treten ähnliche Syndrome auf wie nach Gefäßläsionen. Wenn ein gedecktes Hirntrauma
vorliegt, ist die Prognose in der Regel gut, im Gegensatz zu offenen Gehirnverletzungen.
Die obenbeschriebenen Gefäßsyndrome jedoch findet man bei Tumoren und Abszessen selten. Das ist
nur natürlich, weil sich diese Krankheitsprozesse nicht an die Gefäßterritorien halten. Allgemein ist
auffällig, daß die aphasische Symptomatik sehr stark fluktuiert und daß viele Allgemeinsymptome wie
psychomotorische Verlangsamung und Perseveration vorkommen. Am häufigsten ist ein Syndrom, das
oberflächlich an die amnestische Aphasie erinnert. Es ist von dieser aber durch viele Perseverationen,
Neologismen und schlechtes Sprachverständnis zu unterscheiden.
APHASIE (nach Poeck) Forts. 32 “Nicht-vaskuläre“ Aphasien
Die Ähnlichkeit mit der amnestischen Aphasie kommt vermutlich dadurch zustande,
daß lexikalische Störungen wegen der breiten Repräsentation des Wortspeichers in der
sprachdominanten Hemisphäre ein universelles Symptom sind.
Die Zuordnung zu einer der beiden Gruppen Wernicke- oder Broca- Aphasie ist
schwierig, eine typische Wernicke-Aphasie entwickelt sich nie. Wenn das Grundleiden
weiter fortschreitet, treten zwar immer Züge einer Wernicke-Aphasie auf, jedoch ist die
Sprachproduktion der Patienten nie so flüssig, vielmehr durch starke
Allgemeinsymptome im Verhalten (Ratlosigkeit und Stocken) vom Redefluß der
Wernicke-Aphasiker unterschieden.
Bei noch größerer Ausdehnung des Tumors oder Abszesses werden die Patienten
aspontan, mutistisch. Das Bild einer globalen Aphasie stellt sich jedoch nicht ein.
In der Broca-Region beginnen hirneigene Tumoren auffällig selten, deshalb haben wir
den entsprechenden Untertyp als Tumoraphasie bisher nicht beobachtet.
Wegen der breiten Repräsentation des Wortspeichers fangen auch hirnatrophische
Prozesse mit einem aphasischen Syndrom an, das entfernt an amnestische Aphasie
erinnert. Auch diese Aphasien sind durch frühzeitige Perseverationen und durch
Logoklonien und Iterationen charakterisiert.
Bei Logoklonien werden Phoneme, Silben oder Wörter in monotonem Rhythmus und
fehlender Prosodie in langen iterativen Folgen wiederholt.
Logoklonien sind weder an Wortarten noch an die Position von Phonemen oder Silben
in Wörtern gebunden. Anfangs sind sie von „recurring utterances" dadurch zu
unterscheiden, daß sie nicht formstarr, d. h. nicht an die immer gleichen Wörter, Silben
oder Floskeln gebunden sind. Im weiteren Verlauf verarmt die sprachliche Äußerung bis
zu wenigen verbleibenden Automatismen.
Motorische Aphasie Broca
Symptomatik:
■ Expressive Aphasie.
■ “Il ne peu pas parler.“
■ Einschränkung der Sprache bis zum Verlust
der
Ausdrucksfähigkeit, inklusive Schreiben und
Lesen.
■ Spontansprache verlangsamt.
■ Agrammatismus (Telegrammstil)
■ Vorwiegend phonematische Paraphasien.
■ Vermehrte Sprechanstrengung.
■ Sprachverständnis weitgehend erhalten.
■ Korticale Dysarthrophonie.
Lokalisation:
Frontaler Anteil der Sprachregion,
Sensorische Aphasie Wernicke
Symptomatik:
■ Rezeptive Aphasie.
■ “Il ne sait pas parler.“
■ Verlust des Verständnisses für Sprache
und Schrift.
■ Flüssige, aber inhaltsarme Spontansprache.
■ Logorrhoe (ungehemmter Sprachfluß)
■ Paragrammatismus
■ Phonematische + semantische Paraphasien, sowie
■ Neologismen.
■ bis zum Jargon (Jargonaphasie).
■ und (unschöner) “Wortsalat.“
Lokalisation:
Hinteres Drittel der oberen Schläfenwindung
im Bereich der A. temporalis posterior
(aus der A. cerebri media).
Globale Aphasie
Symptomatik:
■ Kaum Sprachproduktion (nicht flüssig)
■ meist Automatismen, Stereotypien + Floskeln
■ Grob abweichende semantische + phonematische
Paraphasien
■ Perseverationen
■ Echolallie
■ Neologismen
■ Sprachverständnis stark gestört
■ Alexie
■ Agraphie
■ häufig Dysarthrophonie
Lokalisation:
Ausgedehnte Läsion fronto-temporo-parietal
im Bereich der A. cerebri media
Amnestische Aphasie
Symptomatik:
■ Spontansprache durch Wortfindungsstörungen beeinträchtig
(aber flüssig)
■ Sprachverständnis, Schreiben + Lesen leicht gestört
■ meist Automatismen, Stereotypien + Floskeln
■ wenig semantische + phonematische
Paraphasien
Lokalisation:
temporo-parietal
Leitungs-Aphasie
Symptomatik:
■ Flüssige Sprache
■ phonematische Paraphasien
■ Nachsprechen fast unmöglich
■ Benennen von Begriffen erhalten
Lokalisation:
Unterbrechung des Fasciculus arcuatus
Zwischen Broca + Wernicke-Region
(Diskonnektions-Syndrom)
Transkortikal-Motorische Aphasie
Symptomatik:
■ Kaum Spontansprache
■ Gutes Nachsprechen + Lesen
■ Sprachverständnis erhalten
Lokalisation:
Läsion wahrscheinlich in der Broca-Region
Transkortikal-Sensorische Aphasie
Symptomatik:
■
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■
■
■
Wenig Spontansprache
Sprachverständnisstörung
Wortfindungsstörungen
Echolallie
Nachsprechen ohne Sinnverständnis
Lokalisation:
Zwischen Sprachregion + sensorischem Assoziationskortex (Diskonnektions-Syndrom)
Therapie
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