Dr. Wolfgang Wittgens M.A. Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie im VKKD (Verbund Katholischer Kliniken Düsseldorf) Besonderheiten der Depression im Alter Häufigkeit der Depression 13.5% der älteren Menschen leiden an einer In % Depressive Störungen im Alter 100 90 Allgemeinbevölkerung 80 krankheitswertigen depressiven Störung (nach Bickel, 2003) in Privathaushalten lebend > 65 Jahre 70 in Alten- & Pflegeheimen lebend > 65 Jahre 60 50 25-45% 40 30 20 10 2-7% 5-10% 0 1 HauptHaupt-und undNebenkriterien Nebenkriteriennach nachICD-10 ICD-10 Erscheinungsbilder Erscheinungsbilder Suizidgedanken / Suizidale Handlungen Negative und pessimistische Zukunftsperspektiven Verlust von Interesse u. Freude Depressive Stimmung Gefühl von Schuld und Wertlosigkeit Verminderter Antrieb Je nach Zusammensetzung der Symptome können unterschiedliche Syndrome im Vordergrund stehen: Vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen ! Gehemmte Depression ! Agitierte Depression Appetitminderung ! Somatisierte „larvierte“ Depression ! Wahnhafte Depression Verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit Schlafstörungen Psychische Psychischeund undkörperliche körperlicheUrsachen: Ursachen: 22Seiten Seiteneiner einerMedaille Medaille Psychosoziale Aspekte Altersakzentuierte Altersakzentuiertedepressive depressiveSymptome Symptome Biologische Aspekte ! depressive Herabgestimmtheit eher im Hintergrund ! Neigung zu ängstlicher Klagsamkeit Anfälligkeit z. B. negative Lebenserfahrungen, Persönlichkeit Auslöser z. B. akute psychosoziale Belastung, Stress Depressiver Zustand depressive Symptomatik z. B. genetische Faktoren Körperliche Erkrankungen z. B. Überaktivität der Stresshormonachse z. B. Dysfunktionen der Neurotransmitter Serotonin / Noradrenalin ! körperbezogene Beschwerden im Vordergrund ! überdauernde Restsymptome, auch nach Besserung der Depression ! depressiver Wahn ! hohe Suizidrate (Sonderform "stiller Suizid" ) Therapie Psychotherapie Pharmakotherapie (modifiziert nach Wolfersdorf, 1999) 2 Besondere BesondereVulnerabilitätsfaktoren Vulnerabilitätsfaktorenim imAlter Alter ! ! Multimorbidität: • 88% der über 70-Jährigen haben fünf oder mehr diagnostizierbare körperliche Erkrankungen • 87% der Älteren nehmen regelmäßig ein oder mehrere Medikamente ein (Berliner Alterstudie). Einschränkung der Alltagskompetenz: Bedingt durch physiologische Funktionseinschränkungen (z. B.Muskelkraft-,Vitalkapazitätreduktion, Seh- und Hörstörungen. • Von den 70- bis 85-Jährigen ist z.B.ungefähr jeder 4. nach objektivierbaren Kriterien nicht mehr in der Lage, die Einkäufe allein zu erledigen (Berliner Alterstudie). ! Personelle Verluste: Risiko des Verlustes des Lebenspartners sowie der von Verwandten,Freunden und unter Umständen der von eigenen Kindern nimmt zu. ! Eingeschränkte Lebenszeit: Reflexion der eingeschränkten Lebenszeit besonders bei lebensbedrohlichen Krankheiten bei sich selbst oder nahen Angehörigen Depressive DepressiveKomorbidität Komorbidität ! Herzinfarkt ! Bluthochdruck “Organische“ “Organische“Depressionen Depressionen ! Alzheimer - Demenz ! Schilddrüsenerkrankungen ! Parkinson-Erkrankung ! Vitaminmangelzustände ! Leber- und Nierenerkrankungen Differentialdiagnose: Depression versus Demenz Für eine Depression spricht Für eine Demenz (Typ Alzheimer) spricht ! Krebserkrankungen Depressive Symptomatik stabil Affektlabil, leicht ablenkbar ! chronische Schmerzsyndrome Klagt über seinen Zustand „kann und weiß nichts mehr“ „Beinahe richtig“ Antworten, bagatellisiert, „hat keine Probleme“ ! degenerative Gelenk- und Wirbelsäulenerkrankungen Denken ist eher gehemmt, verlangsamt Denken ist eher „durcheinander“ ! Diabetes mellitus Keine Orientierungsstörungen Desorientierung abendliche Aufhellung Typisch: abendliche Verwirrtheitszustände; Tag-Nacht-Umkehr Akuter Beginn Langsamer, unklarer Beginn 3 Die DieBehandlung Behandlungder derDepression Depression Zentrale Behandlungssäulen: Vorurteile Vorurteileund undÄngste Ängste bezüglich bezüglich Antidepressiva Antidepressiva Bei einer repräsentativen Befragung von 1426 Personen glaubten • Medikamentöse Behandlung (v.a. Antidepressiva) • Psychotherapie • Psychoedukation und Einbindung Angehöriger 69% Weitere Behandlungsverfahren (im Einzelfall indiziert) • • • • • Lichttherapie Wachtherapie EKT Soziotherapie Sport Wirkung nur bei saisonaler Depression belegt meist nur im Rahmen stationärer Therapie mögl. bei schwerer therapieresistenter Depression z.B. bei Integration in soziale Netzwerke kann für einen Teil der Patienten hilfreich sein 80% Zudem: dass Antidepressiva die Persönlichkeit verändern dass Antidepressiva abhängig machen Obwohl Antidepressiva in den meisten Fällen gut verträglich sind, glauben 71% der Befragten, sie hätten starke Nebenwirkungen!! Besonderheiten Besonderheitender derPsychotherapie Psychotherapiemit mitälteren älterenMenschen Menschen Barrieren Psychotherapie ist ein bewusster und geplanter Prozess zur Beeinflussung von Verhaltensstörungen und Leidenszuständen mit wissenschaftlich belegten psychologischen Methoden. Patient " Misstrauen, ob eine (teilweise 30 bis 40 Jahre) jüngere TherapeutIn den Patienten verstehen kann " Patient sieht Therapeuten als ideales Kind oder Enkelkind, entsprechende Wünsche und Phantasien werden aktiviert. Therapeut soll wiedergutmachen, was reale Kinder nicht leisten. Therapeut Entgegen einer immer noch weit verbreiteten Skepsis ist " Negative Altersstereotype auf Grund geringer gerontologischer Psychotherapie auch für ältere Menschen sehr hilfreich. " Konflikte mit Eltern können reaktiviert werden " Eigene Ängste vor Abhängigkeit /Hinfälligkeit (soziale Isolation, Kenntnisse Multimorbidität, Verluste wichtiger Bezugspersonen, Hilfs- und Pflegebedürtfigkeit, Sterben) 4 Besondere Besondere psychologischpsychologischpsychotherapeutische psychotherapeutische Themen Themen 1. Suizidalität und Depression Psychotherapeutische Interventionen sollten daher helfen • Verbliebene Ressourcen und Kompetenzen zu schaffen bzw. zugänglich zu machen • Neue Ziele und Interessen durch Erproben und Testen der Realität zu entwickeln • Soziale Unterstützung und Kontakte zu optimieren • Weiterhin kontrollierbare Lebensbereiche zu selegieren 2. Trauer und komplizierte Trauer 3. Therapie bei beginnender Demenz • z.B. 15-stündiges Programm mit Einbeziehung von Angehörigen (Verhaltenstherapeutisches Kompetenz-Training, Erhardt et al. 1998) 4. Umgang mit chronischer Erkrankung 5. Übergang ins Seniorenheim • z.B. 8-stündiges Programm „Übergang ins Seniorenheim“ , Baumann et al. 2002) 6. Besondere Verfahren: Lebensrückblickintervention • Lebensbilanz und Sinnfindung Warum Warumnehmen nehmensich sichMenschen Menschendas dasLeben? Leben? ! ! Menschen, die sich das Leben nehmen, tun dies im Allgemeinen unter schwerstem Leidensdruck und bei subjektiv erlebtem Verlust jeglicher Wahlmöglichkeiten. Verknüpfung von Suizid und psychischer Erkrankung in über 90% der Fälle (Depression als Hauptursache); 15% der schwer Depressiven versterben durch Suizid. „Freitod“ auf der Basis rationaler Entscheidung gibt es in der Realität so gut wie nie! Depression Depressionund undSuizidalität Suizidalität 10-15 % mit rezidivierender Depression versterben durch Suizid 20-60 % weisen einen Suizidversuch auf 40-70 % leiden an Suizidideen bei 90 % der Suizidenten psychiatrische Erkrankung im Vorfeld, am häufigsten Depression (40-70 %) Wenn eine Depression vorliegt, dann sollte die Suizidalität immer aktiv exploriert werden! 5 Todesursachen Todesursachenim imVergleich: Vergleich:2001 2001 Suizidraten Suizidratenin inDeutschland Deutschland2002 2002 120 Drogen Anzahl der Suizide pro 100.000 11000 1835 Verkehr 7100 Mord 914 Aids 900 100 Männlich Weiblich 80 60 40 20 0 (Daten des Bundesamtes für Statistik und BMI) 1- 5 5- 1 0 1015 1520 2025 2530 3035 3540 4045 4550 5055 5560 6065 6570 7075 7580 8085 8590 90 Jah re + Suizid (Daten des Bundesamtes für Statistik) Indikatoren Indikatorenfür fürakute akuteSuizidgefahr Suizidgefahr Häufige HäufigeMissverständnisse Missverständnisse und undFehler Fehler ! Viele Laien (aber auch Profis) scheuen das Thema Suizid, um keine „schlafenden Hunde“ zu wecken. ! Das Thema ist so unangenehm und emotional, dass viele entweder: ! Drängende Suizidgedanken ! Schwere depressive Verstimmung mit großer Hoffnungslosigkeit ! (subjektiv) starker Handlungsdruck • abweisend distanziert reagieren ! Klient reagiert ausgesprochen gereizt, aggressiv oder ist agitiert • oder sich hilflos, aufgeregt identifizieren. ! zunehmender sozialer Rückzug ! Ankündigung/ Drohung von Suizid ! Keine Distanzierung von Suizidideen/ Suizidversuch ! Klient hat ein Suizidarrangement getroffen, das eine Auffindung schwierig oder unmöglich macht ! Das Thema ist so unangenehm, dass viele es schnell beenden: • indem sie dem anderen die Suizidalität „ausreden“ wollen. • oder indem sie vorschnelle Lösungsvorschläge machen, die dem Betroffenen nicht angemessen sind. Gefahr:Der Betroffene spürt unsere Überforderung und zieht sich zurück 6 Abklärung Abklärung von vonSuizidalität: Suizidalität:Formulierungshilfen Formulierungshilfen ! „Gibt es in ihrer derzeitigen schwierigen Situation auch Gedanken an den Tod?“ ! „Was genau meinen Sie damit, dass Todsein besser wäre?“ ! „Denken Sie dabei auch an Suizid?“ ! „An was denken Sie genau, wenn Sie sagen, sie könnten sich umbringen?“ ! „Haben Sie sich die ... (z.B. Medikamente) schon besorgt?“ ! „Wie oft und wie lange kommen die Gedanken an Suizid?“ ! „Haben Sie darüber schon mit jemandem gesprochen?“ ! „Haben Sie schon einmal versucht sich das Leben zu nehmen?“ ! „Gibt es denn auch Dinge, die Sie noch am Leben halten?“ Empfehlungen im Umgang mit depressiven Menschen Was Sie vermeiden sollten • Aufforderung, „sich zusammenzureißen“ • Aufforderung, fröhlich zu sein • Patient in „Kuraufenthalte“ schicken • Verdrängung oder Verharmlosung der Symptome • Tabuisierung von Suizidgedanken • Zu frühe Aktivierung (Überforderung) • Zu lange Schonhaltung (Passivierung) Tipps für Angehörige • • • • • • • Akzeptieren Sie die Depression als Erkrankung! Informieren Sie sich über die Erkrankung! Ziehen Sie einen Experten zu Rate! Bleiben Sie geduldig! Überfordern Sie sich nicht! Suchen Sie selbst Unterstützung! Seien Sie zurückhaltend mit gut gemeinten Ratschlägen! Depression im Alter ist nicht hinzunehmendes Schicksal, sondern behandelbare Erkrankung. 7