Urologische Störungen beim Idiopathischen Parkinsonsyndrom Priv.-Doz. Dr. med. Vahudin Zugor Bereichsleiter der Inkontinenz Abteilung für Urologie und Kinderurologie St. Antonius-Hospital Gronau Harninkontinenz ist unter Frauen verbreiteter als andere chronische Krankheiten Hampel C, et al. Urology. 197; 50 (suppl 6A): 4-14. 2. American Heart Association. Electronic Citation; 2001. 3. American Family Physician. Electronic Citation; 2001. 4. NIDDK. Electronic Citation; 2001. Prozentuelle Verteilung der Inkontinenzformen Belastungsinkontinenz Mischformen der Harninkontinenz 49 % 22 % 29 % Hampel C. et Al. Urology. 1997; 50 (suppl 6A): 4-14 Dranginkontinenz Innervation der unteren Harnwege Nervus pelvicus (parasympathisch) ACh +M3 -β β3 Nervus hypogastricus (sympathisch) NA +α α1 β +N Nervus pudendus (somatisch) ACh Van Arsdalen K, Wein AJ. Physiology of micturition and continence. In: Krane RJ, Siroky MD, eds. Clinical Neurourology. 2nd ed. Boston, Mass: Little Brown & Co; 1991:25-82. Innervation der unteren Harnwege Dranginkontinenz Effektive Behandlungsmöglichkeiten der Drang jeweiligen Symptome Hier setzen inkontinenz • starker Harndrang • übernervöse Blase • Urinverlust Anticholinergika an Hier setzt Duloxetin an 22% Mischformen der Inkontinenz 29% Belastungsinkontinenz 49% Belastungsinkontinenz • bei körperlichen Aktivitäten (Husten, Niesen, Lachen, Heben) • schwache Beckenboden- und Harnröhrenmuskulatur • Urinverlust Hampel C. et al. Urology. 1997; 50 (suppl 6A): 4-14. Einleitung Harninkontinenz – Belastungsinkontinenz – Dranginkontinenz • motorisch • sensorisch - Reflexinkontinenz - Überlaufinkontinenz - Extraurethrale Inkontinenz Minimaldiagnostik in der Praxis Harninkontinenz –Anamnese • Stresssymptomatik • Drangbeschwerden • Miktionsintervall • Nykturie • Vorlagenbedarf • Gehäufte Harnwegsinfekte • Blasenetleerungsstörung • Voroperationen • Geburtenzahlen, operative Entbindung • Internistische und neurologische Erkrankungen • Medikation -Klinische Husten-Stresstest mit gefüllter Harnblase -Gynäkologische Untersuchung (vaginale Einstellung) -Sonographie Weiterführende Diagnostik bei Spezialisten Harnikontinenz - Funktionsteste - Labor - Urodynamische Untersuchung - Urethrozystoskopie - Introitussonographie - Zysturethrographie Drang (Urge) Inkontinenz Ursachen - Harnwegsinfekte - Urogenitale Altersatrophie - Infravesikale Obstruktion - Deszensus - Myome, Ovarialtumore, Adnexprozesse - Urethraldivertikel - Blasentumore, Fremdkörper - Zystitis - Strahlenblase - Neurologische und internistische Erkrankungen Einleitung • Urogenitale Störungen treten häufig beim Parkinsonsyndrom auf. • Patienten beklagen vor allem imperativen (zwingenden) Harndrang, Pollakisurie (häufiges Entleeren kleiner Harnmengen) und Nykturie (nächtliches Wasserlassen), seltener auch Harninkontinenz. • Die Ursachen der Blasenentleerungsstörungen sind sehr komplex und noch nicht abschließend geklärt. Neuroanatomische und physiologische Grundlagen • Der untere Harntrakt setzt sich aus der Harnblase und der ableitenden Harnröhre zusammen. • Das Zusammenspiel des glatten Hohlmuskels und inneren Schließmuskels (Sphinkters) mit der quergestreiften Muskulatur des äußeren Schließmuskels und des Beckenbodens wird durch eine komplexe Innervation über autonome und somatische Nervenfasern geregelt. Neuroanatomische und physiologische Grundlagen • Dabei sind Reflexbögen des Rückenmarks und des Gehirns beteiligt. • Ziel sind die Erhaltung der Blasenkontrolle und mit einer willkürlichen Steuerung einer vollständigen Entleerung des Urins. • Der Blasenmuskel (Detrusor) besteht aus glatter Muskulatur und kann sich während der Füllungsphase ausdehnen und während der Blasenentleerung (Miktion) zusammenziehen. Neuroanatomische und physiologische Grundlagen • Der Detrusor wird durch die Gegenspieler Parasympathicus (Nervi pelvici) und Sympathicus gesteuert. • Die Steuerung der quergestreiften Muskulatur des Blasenschließmuskels (Musculus sphincter urethrae) und der Muskulatur des Beckenbodens erfolgt vorwiegend über den Nervus pudendus. Neuroanatomische und physiologische Grundlagen • Als übergeordnetes Zentrum kontrollieren zudem Teile des Hirnstammes (pontines Miktionszentrum) und des Stirnlappens des Gehirns die Blase. Neuroanatomische und physiologische Grundlagen • Im parasympathischen Anteil der Blasensteuerung ist Acetylcholin der wichtigste Botenstoff. Während der Urinspeicherung steigt der Füllungsdruck, was durch Dehnungsrezeptoren in der Blase dem zentralen Nervensystem übermittelt wird. • Die Blasenentleerung wird durch Anspannung des Schließmuskels (Erhöhung des Abflusswiderstandes) zunächst verhindert. Neuroanatomische und physiologische Grundlagen • Unter normalen Bedingungen beginnt zu einem angemessenen Zeitpunkt und an einem entsprechenden passenden Ort die kontrollierte Blasenentleerung durch bewusste Entspannung. • Die Entleerung selbst erfolgt dagegen automatisch durch Reflexe auf Rückenmarksebene und im Hirnstamm. Aber auch weitere Bereiche im Gehirn bis hin zur Großhirnrinde steuern diesen komplexen Vorgang. Besonderheiten beim Parkinsonsyndrom • Die Ursachen der Blasenstörungen beim Parkinsonsyndrom sind komplex und noch nicht endgültig geklärt. • Eine Rolle könnte die Degeneration der dopamin-produzierenden Substantia nigra spielen, da die Basalganglien die Blasenentleerung hemmen. • Durch Wegfall dieser zentralen Hemmung kommt es bereits bei mäßiger Blasenfüllung zu einem Harndrang, der nicht unterdrückt werden kann. Besonderheiten beim Parkinsonsyndrom • Blasenstörungen sind bei Parkinson-Patienten häufig und in der Literatur bei bis zu 37 bis 93 % der Patienten beschrieben. • Die meisten Studien beschreiben eine verstärkte Anspannung des Detrusors (Detrusorhyperaktivität); daneben wurde aber auch die Kombination eines erhöhten Detrusordruckes und unvollständiger Blasenentleerung wiederholt beschrieben. • Eine verminderte Aktivität des Detrusors hingegen findet sich deutlich seltener. Hierbei stellt sich auch die Frage, ob primär ein schlaffer Detrusor vorliegt, oder ob die Blase durch ein Abflusshindernis (z.B. Prostatahypertrophie) sekundär schlaff wird. Besonderheiten beim Parkinsonsyndrom • Blasenstörungen beim Parkinsonsyndrom können durch die Grunderkrankung, durch die Medikamente oder aber auch völlig unabhängig auftreten. • Es ist schwierig, beide Störungen von einander abzugrenzen bzw. einander zuzuordnen. Es besteht keine Beziehung zum Grad der motorischen Störungen. • Der Einfluss der Parkinson-Medikamente ist individuell verschieden und nicht vorhersehbar: Die so genannten Anticholinergika, die z.T. zur Behandlung des Tremors angewendet werden, stören die Blasenfunktion recht häufig. Besonderheiten beim Parkinsonsyndrom • Weiterhin ist bekannt, dass L-Dopa die Spannung (Tonus) der glatten Muskulatur der Harnröhre beeinflusst. Die Rolle der Dopaminagonisten ist noch nicht endgültig geklärt. • Die Parkinson-Medikation kann sich sowohl negativ als auch positiv auf eine eventuelle Blasenstörung auswirken: So wird eine Besserung unter L-Dopa beschrieben, da die Übererregung des Detrusors und des Blasenschließmuskels reduziert werden. • Den Anticholinergika wird eine ähnliche Wirkung zugeschrieben. Beim vermindert aktiven (hypoaktiven) Detrusor hingegen können Anticholinergika die Blasenentleerung weiter verschlechtern. Besonderheiten beim Parkinsonsyndrom • Häufig geschieht es, dass bei Parkinsonpatienten die Blasenstörung lapidar auf die Parkinsonmedikamente „geschoben“ wird. Dies ist sicherlich zu pauschal und nicht richtig. Blasenstörungen sollten möglichst immer auch urologisch abgeklärt werden. • Eine Harninkontinenz als typisches Symptom des Parkinsonsyndroms beschrieb bereits Parkinson. • Etwa 1/3 aller Patienten sind im späteren Krankheitsverlauf von einer Harninkontinenz betroffen. Besonderheiten beim Parkinsonsyndrom • Am häufigsten handelt es sich hierbei um eine Dranginkontinenz (zwanghafter Harndrang, dem sofort nachgegeben werden muss), seltener um eine Belastungsinkontinenz (unfreiwilliger Urinabgang z.B. beim Pressen oder Husten). • Dies spricht für ein ungehemmtes Zusammenziehen des Detrusors, wie sie bereits oben als typisch für das Parkinsonsyndrom beschrieben wurden. • Inwieweit die Belastungsinkontinenz auch durch eine Schädigung des Blasen-Schließmuskels entsteht, kann nicht gesagt werden. Besonderheiten beim Parkinsonsyndrom • Insbesondere die Tatsache, dass eine ausgeprägte Belastungsinkontinenz nur bei Frauen gesehen wurde, spricht für eine Inkontinenz, wie sie im fortgeschrittenen Alter bei Frauen allgemein recht häufig auftritt. • Neben der Blasenentleerungsstörung und der Inkontinenz sind bei Parkinson-Patienten auch gehäuft immer wieder auftretende Harnwegsinfekte beschrieben. Diagnostik Die Diagnostik ist fast ausschließlich Aufgabe des Urologen ! Anamnese, ein Miktionsprotokoll und der Verlauf können und sollten aber bereits vom Neurologen erhoben werden ! Diagnostik Basisdiagnostik • Anamnese • Körperliche Untersuchung Weiterführende Diagnostik • Ergänzende Bildgebung • Miktionsbeurteilung • Urethrozystoskopie • Weitere ergänzende Untersuchungen Basisdiagnostik Anamnese • Beginn/Dauer und Schweregrad der Symptome • Miktionshäufigkeit • Imperativem Harndrang • Trinkmenge • Harnmenge • Hämaturie • Harnverlust • Urogenitalinfektionen • Neurologischen und endokrinologischen Grunderkrankungen Basisdiagnostik Körperliche Untersuchung • Beurteilung des Scheidenschleimhautzustandes durch Inspektion • Beurteilung der Lageveränderungen des Genitales in Ruhe und beim Pressen • Infektzeichen • Ausschluss einer Fistel • Urinanalyse: Ausschluss Harnwegsinfekt. • Sonographische Restharnbestimmung. Weiterführende Diagnostik Ergänzende Bildgebung • Miktionszystourethrogramm Miktionsbeurteilung • Uroflowmetrie Urethrozystoskopie • Harnröhrenkalibrierung und Harnzytologie Weitere ergänzende Untersuchungen • Zystomanometrie Urologische Therapie • Ziele der Diagnostik und Therapie sind eine kontrollierte und komplette Blasenentleerung ohne unwillkürlichen Harnverlust sowie der Schutz der Nierenfunktion. • Bei Blasenentleerungsstörungen und Harninkontinenz wird die Therapie vornehmlich durch Urologen durchgeführt. • Der Neurologe sollte jedoch um die Möglichkeiten und insbesondere die möglichen unerwünschten Einflüsse der urologischen Therapie auf die neurologische Symptomatik und Therapie wissen. Urologische Therapie Bei einer Blasenentleerungsstörung werden entsprechend der verschiedenen oben genannten Formen therapeutisch eingesetzt: • Anticholinergika • Spastik-reduzierende Medikamente • Alpha-Rezeptorenblocker • Trizyklische Antidepressiva • Sympathomimetika (z.B. Midodrin) • Verhaltenstherapie (Blasentraining, Biofeedback) • Intermittierender Selbstkatheterismus • Botulinumtoxin Urologische Therapie • Verhaltenstherapie • Erstellen und Fuhren eines Miktionstagebuches. • Miktionstraining: Verlangerung von zu kurzen Miktionsintervallen auf Basis des Miktionstagebuchs. • Toilettentraining: Anpassung des Entleerungsrhythmus an die individuelle Blasenkapazität auf Basis des Miktionstagebuches, um dem Harnverlust zuvorzukommen. • Beckenbodentraining in der Inkontinenztherapie wird entweder konservativ in Gruppen-/Einzelsitzungen oder intensiviert durch Elektrostimulations und Biofeedbackgeräte angeboten Urologische Therapie • Die am häufigsten eingesetzten Medikamente zur Dämpfung der Detrusor-Aktivität sind: • Oxybutynin oral oder als Pflaster • Propiverin • Tolteridon • Trospiumchlorid • M3-spezifische Anticholinergika (Solifenacin und Darifenacin) Urologische Therapie • Zur Erweiterung des inneren Blasenschließmuskels werden am häufigsten eingesetzt: Tamsulosin Alfuzosin Phenoxybenzamin Doxazosin Botulinumtoxin (Botox®) Botulinumtoxin (Botox®) Wirkmechanismus • Bindung • Internalisierung • Intrazelluläre toxische Wirkung • Direkte Lähmung der Muskelzelle Botulinumtoxin (Botox®) Therapeutischer Einsatz • Kein reines Neurotoxin. • Muskel paralysiert nach 3 bis 14 Tagen. • Tierexperimentell ist nach 14 Tagen eine Muskelfaseratrophie nachweisbar. • Nach 8 Monaten komplett reversibel. Botulinumtoxin (Botox®) Präparate • Botox® 100 U. • Dysport® 500 U. • NeuroBloc® 2.500, 5.000 und 10.000 U. (Ampulle als gebrauchsfertige Lösung) Dosierung bei der neurogen überaktiven Blase • 100-300 E Botox® • 500-1000 E Dysport® Botulinumtoxin (Botox®) Instrumentarium • Starres Zystoskop Charr. 22 mit Albarraneinsatz 30 Grad Optik. • Flexible Einweg Injektionsnadel (5 French, 23 gauge) Botulinumtoxin (Botox®) Durchführung • Kurznarkose, Spinalanästhesie oder Sedoanalgesie • 20 Injektionen 0,5 ml in Blasenseitenwände und Hinterwand Dach, evtl. Vorderwand ohne Trigonum • 1-2 mm Injektionstiefe bei konstanter mittlerer Blasenfüllung • DK Charr. 16-18 für 6 h bis 24 Std. Botulinumtoxin (Botox®) Botulinum-A-Toxin und Literatur Botulinumtoxin (Botox®) Botulinumtoxin (Botox®) Botulinumtoxin (Botox®) Botulinumtoxin (Botox®) Botulinumtoxin (Botox®) Botulinumtoxin (Botox®) Botulinumtoxin (Botox®) Zusammenfassung • Zusammenfassend darf die Detrusorhyperaktivät als wichtigste Blasenstörung beim Parkinsonsyndrom angesehen werden. • Sowohl die Diagnostik, als auch die Therapie sind vornehmlich die Aufgabe der Urologie. Aber auch der Neurologe sollte um die Problematik und die mögliche Therapie sowie deren Probleme wissen. • Die Urologische Störungen beim Idiopathischen Parkinsonsyndrom sind heilbar Zusammenfassung Botulinumtoxin in der Urologie ist eine sichere und effektive Behandlungsmethode zur Therapie bestimmter neurogener Blasenfunktionsstörungen. Injektionstechniken und erforderliche Dosen bei o.g. Indikationen etabliert. Verbesserung der urodynamischen Parameter korrespondiert mit der Kontinenz und der Zufriedenheit der behandelten Patienten. Alternative zu definitiven OP-Massnahmen Sakrale Neuromodulation (PNE) • Zur sakralen Neuromodulation werden uni- oder bilateral Stimulationselektroden in die Sakralforamina S3 eingeführt. • Mit einer Teststimulation (perkutane Nervenevaluation =PNE) wird der therapeutische Effekt der sakralen Neuromodulation getestet, und es werden geeignete Patienten zur Implantation eines permanenten Neurostimulators identifiziert. Identifikation der Foramina unter Röntgen 1. Akute Phase Stimulation über Foramennadel 1. Akute Phase (Set-up) Motorische Antwort Bei Stimulation von S3 Motorische Antwort bei Stimulation von S3 Tined Lead Position aktive Pole meist in der Nähe der Kreuzbeinunterkante Take Home Message Der Symptome der überaktiven Blase sind heilbar ! Management - Inkontinenz betrifft Männer wie Frauen und ist oft schicksalhaft erworben und keine Schande oder ein Tabuthema: - Inkontinenz ist meistens heilbar, fast immer gut zu therapieren: - Vorlagen sind keine Therapie sondern nur eine „Hilfe“: - Therapieziel ist ein möglichst normales Leben mit Teilnahme an alltäglichen Aktivitäten: Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit !