11"Obstruktive zerebrovaskuläre Erkrankungen"

Werbung
11"Obstruktive
zerebrovaskuläre Erkrankungen"
Die
Zerebrovaskuläre Erkrankungen stellen in unserem Lande die dritthäufigste
Todesursache dar. Hierbei handelt es sich nach einer kooperativen Studie in 84% der Fälle
um Folgen einer Hirn-Mangeldurchblutung (zerebrale Ischämie in 53% thrombotisch und in
31% embolisch bedingt) und in 16% um hämorrhagische Schlaganfälle (10% intrazerebral,
6% subarachnoidal) .
Ateriosklerotische Wandveränderungen, die sich bevorzugt im Gebiet der Karotisbifurkation
entwickeln, führen zur Stenose bis hin zum Verschluß der A. carotis interna und können
embolische oder hämodynamisch bedingte Hirndurchblutungsstörungen bis hin zum
Hirninfarkt (Schlaganfall, Apoplex) verursachen.
In Deutschland erkranken jährlich etwa 300.000 Menschen neu an zerebrovaskulären
Erkrankungen, wovon viele durch Hirnleistungsstörungen und schwere neurologische
Ausfallserscheinungen behindert und pflegebedürftig bleiben. Ohne entsprechende
therapeutische Maßnahmen kommt es bei 50 % dieser Patienten innerhalb der folgenden Jahre
zu einer weiteren Verschlechterung der Symptomatik bis hin zum tödlichen Hirninfarkt, wenn
nicht rechtzeitig therapeutisch eingegriffen wird.
Nachdem 1953 erstmals eine Carotisstenose erfolgreich operiert wurde, ließ sich erst jetzt
durch randomisierte Studien nachweisen, daß rekonstruktive hirngefäßchirurgische Eingriffe
insbesondere bei der Carotisstenose einen signifikant positiven Effekt auf den
Krankheitsverlauf haben.
Die über lange Zeit in Zweifel gezogenen Operationsindikationskriterien konnten durch zwei
groß angelegte randomisierte Multi-Center-Studien geklärt werden. Die NASCET-Studie
(North American Symptomatic Carotid Endarterectomy Trial) bewies im Jahre 1991, daß die
Karotisdesobliteration die bestmögliche Behandlung für Patienten mit einer symptomatischen
höhergradigen Karotisstenose (70 bis 99 Prozent) darstellt. Durch die Karotisdesobliteration
ließ sich das Morbiditäts-Mortalitätsrisiko in der operativ behandelten Gruppe um 17 Prozent
senken. Die ACAS-Studie (Asymptomatic Carotid Atherosclerosis Study) kam 1995 zu dem
Ergebnis, daß die Karotisdesobliteration auch bei asymptomatischen Patienten mit einer
arteriosklerotisch bedingten Karotisstenose von 60 Prozent und höher zu einer signifikanten
Reduktion des relativen Schlaganfallrisikos führt. Die absolute Risikoreduktion ist jedoch
gering, da das jährliche Schlaganfallrisiko für dieses Gruppe nur 2% beträgt.
Voraussetzung dafür, daß der Patient von einem operativen Eingriff profitiert, ist, daß das
Operationsrisiko unter 5% bzw. 3% Prozent bei asymptomatischen Patienten liegt.
Als beste medikamentöse Behandlung wurde bei allen Patienten die Ausschaltung von
Risikofaktoren wie Arteriosklerose, Hypertonie, Diabetes mellitus, Hypercholisterinämie und
Nikotinabusus gesehen.
Sowohl die konservativ als auch operativ behandelten Patienten wurden mit 300 bis 600 mg
Aspirin täglich behandelt.
Es läßt sich hieraus ableiten, daß einem Schlaganfall vorgebeugt werden kann und daß
neurochirurgische Maßnahmen während des therapeutischen Fensters die Prognose des
Schlaganfalls verbessern können.
11 Wassmann: Durchblutungsstörungen des Gehirns
1
11.1Pathophysiologie
Das Gehirn beansprucht zu seiner Durchblutung fast 20 % des Herzminutenvolumens,
obwohl sein Gewicht nur etwa 2 % des Körpergewichtes beträgt. Solange der systolische
arterielle Blutdruck nicht unter 60 mm Hg fällt bzw. 16 mm Hg nicht überschreitet, wird die
Hirndurchblutung durch die sogenannte Autoregulation des Gehirns in weiten Grenzen
konstant gehalten und beträgt im Mittel 50-55 ml/100g/min. Diese Autoregulation steuert die
Weite der Blutgefäße im Gehirn und damit dessen Durchblutung in Abhängigkeit vom pH
sowie dem Sauerstoff- und Kohlendioxidpartialdruck des Blutes. Unterschreitet der
systolische Blutdruck Werte von 60 mmHg, z. B. im Schockzustand, kann die Autoregulation
des Gehirnkreislaufes nicht mehr ausgleichend wirken: Das Gehirn wird nicht mehr
ausreichend mit Blut versorgt. Wird die Hirndurchblutung auf Werte unter 25ml/100g/min
reduziert, treten die Folgen der zerebralen Ischämie auf: anaerober Hirnstoffwechsel,
Laktatansammlung, Hirnödem, Erlöschen der elektrischen Hirnaktivität, Versagen der
Natrium/Kalium-Pumpenfunktion, Reduzierung der Bildung energiereichen Phosphate (ATP),
so daß wichtige Gehirnfunktionen ausfallen. Handelt es sich um eine kurzzeitige
Durchblutungsminderung des Gesamtgehirns, kommt es zu Ohnmachtserscheinungen,
längerdauernde allgemeine Minderdurchblutungen des Gehirns können zu irreversiblen
Schäden des Gesamtgehirns führen. Hirnareale mit einer Durchblutung um 15 ml/100g/min
("Penumbragebiet") zeigen eine Störung der Hirnfunktionsstoffwechsels bei erhaltenem
Strukturstoffwechsel, so daß sich hier die Hirnfunktion erholen kann, wenn die Ursache der
zerebralen Iscchämie kurzfristig beseitigt wird. Bei vollständigem Ausfall der Blutversorgung
des Gehirns tritt nach 6-10 Sekunden Bewußtlosigkeit ein.
Unter pathophysiologischen Bedingungen ist die regulierende Größe für die Hirndurchblutung
der zerebrale Perfusionsdruck, der definiert ist als die Druckdifferenz zwischen arteriellem
Druck und intrakraniellem Druck. Zur ausreichenden Versorgung des Gehirns mit Sauerstoff
und Glukose sollte dieser Wert oberhalb von 50 - 60 mm Hg liegen.
Als Risikofaktoren für die Entstehung von Hirnarterienverengungen (Stenosen) haben sich
Diabetes mellitus, Nikotinkonsum, Hypercholesterinämie, Übergewicht, Hypertonie,
choronare Herzkrankheiten und absolute Arrhythmie erwiesen. Unter diesen Risikofaktoren
erwies sich der Nikotinkonsum vor allem bei jüngeren Patienten als signifikantes Risiko für
Hirninfarkte bei extrakraniellen Stenosen.
Die absolute Arrhythmie bei Vorhofflimmern nahm im höheren Lebensalter zu und war dann
häufiger mit einem embolischen Hirninfarkt verknüpft. Die Hypercholesterinämie fand sich
als signifikanter Risikofaktor bei Hirninfarkten arteriosklerotischer Genese bei 60 - 80jährigen
Patienten. Die Hypertonie fand sich als Risikofaktor gleichmäßig über alle Altersgruppen
verteilt, besonders häufig bei Hirninfarkten mit zerebraler Mikroangiopathie.
Wird durch eine obstruktive Hirngefäßerkrankung das zum Versorgungsgebiet dieser Arterie
gehörende Hirngebiet nicht mehr ausreichend mit Blut versorgt, resultiert eine örtlich
begrenzte Störung der Gehirntätigkeit mit neurologischen bzw. psychischen
Ausfallserscheinungen (fokales neurologisches Defizit).
Über den an der Hirnbasis gelegenen kollateralen Arterienkreislauf (Circulus arteriosus
11 Wassmann: Durchblutungsstörungen des Gehirns
1
Willisii) besteht die Möglichkeit, die Hirndurchblutung über die gegenseitige Arteria carotis
interna und die beiden Arteriae vertebrales zu kompensieren. Hierdurch kann eine
vorübergehende Minderdurchblutung einer Hirnregion unter Einschaltung anderer zu dem
mangelhaft durchbluteten Gebiet führenden Arterien (Kollateralen) wieder verbessert werden,
so daß sich die Hirntätigkeit wieder normalisieren kann.
Kommt es zu einem Verschluß einer Arterie des Gehirns ohne ausreichende
Kollateralisierung, so ist die Folge ein irreversibler Hirninfarkt. In jedem Falle einer
Minderdurchblutung, aber erst recht in jedem Falle einer Infarzierung des Hirngewebes
kommt es zu einem umgebenden Hirnödem, dessen Ausprägung abhängig ist von der Größe
des minderdurchbluteten bzw. infarzierten Hirnareals. Durch ein massives Hirnödem bei
größeren Hirninfarkten können schwerste Störungen der Gesamtfunktion des Gehirns und
unter Umtänden sogar der Tod des Patienten bewirkt werden. In der Regel jedoch treten
Mangeldurchblutungen des Gehirns und Hirninfarkte relativ lokalisiert auf, so daß das
umgebende Hirnödem nicht ausreicht, über den erhöhten Kopfinnendruck zu einer
anhaltenden Bewußtseinsstörung des Patienten zu führen.
Prädilektionsstellen für arteriosklerotisch bedingte Stenosen oder Verschlüsse sind die
Teilungsstelle der Arteria carotis im Halsbereich sowie die Arteria cerebri media.
Bei Verschlüssen im Stromgebiet der Arteria cerebri media kann es zu ausgedehnten
Hirninfarkten kommen, die sich in Halbseitenlähmung äußern (Abb. 11-1). Es ist jedoch auch
möglich, daß der Verschluß einer kleinen Hirnarterie, welches nur ein kleines Hirngebiet
versorgt, durch das aber wichtige Bahnen laufen (z. B. Capsula interna), größere
neurologische Störungen erzeugt, was als "strategischer Hirninfarkt" bezeichnet wird.
Infolge der hohen Spezialisierung einzelner Hirnareale ist es nicht möglich, daß nach einem
regionalen Hirninfarkt andere Hirnregionen die Funktion des untergegangenen Hirngewebes
übernehmen können.
11.2 Klinik zerebraler Durchblutungsstörungen
Die Auskultation der Karotisbifurkation sollte eine Routinemaßnahme bei der physikalischen
Untersuchung jedes - auch asymptomatischen Patienten sein, da eine Karotisstenose in etwa
60 Prozent der Fälle mit einem auskultierbaren Strömungsgeräusch verbunden ist. Aus der
klinischen Symptomatik kann die sichere Diagnose eines Hirngefäßinsultes nicht gestellt
werden. Immer ist die Magnetresonanztomographie oder Computertomographie des Schädels
erforderlich, um die Differentialdiagnose vaskulärer Insult, Hirnblutung, Hirntumor oder
Sinusthrombose zu klären.
Die Einteilung des Schlaganfalls nach der zeitlichen Entwicklung der neurologischen
Symptomatik und deren Rückbildung (Tab. 12) ist unvollständig. Eine Subtypisierung erfolgt
nach der Pathophysiologie in: zerebrale hämodynamisch ausgelöste Makroangiopathie,
Mikroangiopathie (Diabetes mellitus, Hypertonie), kardiogene Embolie und sonstige
Ursache des Insult.
Karotis-Verschlußkrankheiten können zu vorübergehenden oder bleibenden Störungen der
abhängigen Hirngebiete führen. Da vorwiegend das Stromgebiet der Arteria cerebri media
betroffen ist, kommt es zu Störungen der Bewegungen der gegenüberliegenden Körperseite
(Abb. 11-1). Durchblutungsstörungen der Arteria cerebri anterior (Frontalhirn) führen zu
Störungen der Bewegungen in den Beinen sowie zu psychischen Veränderungen.
11 Wassmann: Durchblutungsstörungen des Gehirns
1
Durchblutungsstörungen im Bereich der Arteria cerebri posterior können sich in
Sehstörungen, aber auch in Störungen beim Lesen und Schreiben sowie beim Rechnen
äußern. Verschlußkrankheiten der Arteria vertebralis bzw. basilaris rufen eine breites
Symptomenspektrum hervor von Gleichgewichtsstörungen, uncharakteristischen bilateralen
Gefühlsempfindungsstörungen, Hirnnervenlähmungen bis hin zur Tetraparese oder
vegetativen Hirnstammfunktionsstörungen mit Atem- und Kreislaufstörungen, wenn eine
rechtzeitige Revaskularisation nicht möglich ist.
11.3Diagnostik
zerebraler Durchblutungsstörungen
Kurzdauernde Lähmungen, Gefühlsempfindungsstörungen oder Wortfindungsstörungen (als
transitorisch-ischämische Attacken bezeichnet) sind als Warnsymptome eines drohenden
Schlaganfalles anzusehen. Aus diesem Grunde sollte eine frühstmögliche Untersuchung und
Behandlung erfolgen, um einen kompletten Schlaganfall vorzubeugen (Abb. 11-2).
Als erste diagnostische Maßnahme bietet sich die Doppler-Sonographie an, eine
Ultraschallmethode zur Bestimmung der Durchströmung der hirnversorgenden Arterien,
insbesondere im Halsbereich, aber auch mit Hilfe der transkraniellen Doppler-Sonographie
zur Erfassung der Durchströmung der intrakraniellen Arterien. Durch diese Methode lassen
sich nichtinvasiv und beliebig oft wiederholbar Stenosen, Verschlüsse und das Einsetzen einer
Kollateralversorgung über die meist offengebliebene Arteria carotis externa bei
hämodynamisch wirksamer Stenosierung der Arteria carotis interna leicht erfassen.
Nach Injektion eines radioaktiven Isotops ermöglicht die dynamische Hirnszintigraphie durch
Erfassung von Regionen mit geminderter Aktivitätsanreicherung, einen Hirninfarkt
nachzuweisen und die Hirndurchblutung qualitativ zu beurteilen.
Zur quantitativen Bestimmung der regionalen Hirndurchblutung, die bei gesunden
Erwachsenen etwa 55 ml/100 g Hirngewebe pro Minute beträgt, sind sogenannte
Auswaschmethoden geeignet, die die Berechnung der Gewebsdurchblutung ermöglichen.
Hierbei wird radioaktives Xenon 133 inhaliert oder injiziert und durch eine Anzahl von
Detektoren über dem Schädel registriert.
Durch Inhalation von stabilem Xenon 133 kommt es im zerebralen Computertomogramm zu
einer Kontrastanhebung des Hirnparenchyms, woraus auf die Hirndurchblutung geschlossen
werden kann.
Im kranialen Computer-Tomogramm lassen sich abgelaufene Hirninfarkte (Abb. 11-2, 11-3)
nach etwa 24 Stunden erstmals erfassen.
Die Magnet-Resonanz-Tomographie dagegen ermöglicht die Darstellung eines Hirninfarktes
schon 1-3 Stunden nach Auftreten eines vaskulären Insultes mit Hirnschrankenstörung und
Beginn des Hirnödems.
Die Positronen-Emissions-Tomographie kann die regionale Hirndurchblutung in Verbindung
mit dem zerebralen Stoffwechsel (Glukose-, Sauerstoffutilisation) darstellen.
Ergibt sich der Verdacht auf eine neurochirurgisch angehbare Hirngefäßerkrankung oder die
Möglichkeit, frühzeitig eine Lyse eines embolisch verschlossenen Gefäßes durchführen zu
können, ist derzeitig immer noch die selektive Darstellung der hirnversorgenden Gefäße
(selektive digitale Subtraktions-Angiographie) angezeigt. Hierbei werden über einen durch die
Arteria femoralis eingebrachten Katheter mit Kontrastmittel zunächst der Aortenbogen und
11 Wassmann: Durchblutungsstörungen des Gehirns
1
die abgehenden Hirngefäße dargestellt. Anschließend ist in Abhängigkeit von der klinischen
Symptomatik eine selektive Angiographie der intrakraniellen Gefäße möglich und in
besonderen Fällen auch die Fibrinolyse eines akut verschlossenen Gefäßes.
Auch mit der Magnet-Resonanz-Tomographie oder der CT-Angiographie lassen sich bereits
nichtinvasiv gute Darstellungen des Hirngefäßsystems erzielen (vgl. Abb.3-21).
11.4Therapie zerebraler Durchblutungsstörungen
11.4.1Allgemeine Behandlung
In der akuten Phase der schweren Hirndurchblutungsstörung ist das therapeutische Ziel die
Verbesserung der lokalen Hirngewebsperfusion durch Fibrinolyse, Antikoagulation oder
Hämodilution. Die Auflösung eines Thrombus in einer hirnversorgenden Arterie (Fibrinolyse)
kann mit Streptokinase, Urokinase oder einem Gewebs-Plasminogen-Aktivator (TPA)
innerhalb der ersten sechs Stunden nach einem Hirninfarkt versucht werden. Die
Heparinisierung soll im Sinne einer Prophylaxe eine weitere Thrombusapposition verhindern.
Die Senkung eines erhöhten Hämatokritwertes durch Gabe von Stärkelösungen kann im Sinne
der Hämodilution zur Verbesserung der lokalen Perfusion führen.
Die Verminderung der sekundären ischämischen Zellschädigung durch sogenannte
hirnprotektive Substanzen wird erprobt.
In jedem Fall stellt der Apoplex einen medizinischen Notfall dar, der akut einer
neurochirurgischen-neurologischen Abklärung und Intensivtherapie bedarf. Die
flächendeckende Einrichtung von "Stroke-Units" in Deutschland kann es ermöglichen, daß
Patienten unverzüglich nach einem erlittenem Apolex diagnostiziert, bei Thrombembolie
fibrinolysiert, bei kritisch raumforderndem Hirninfarkt kraniektomiert und zerebroprotektiv in
jeder Hinsicht behandelt werden können.
Nach Überstehen der akuten Schlaganfallphase und evtl. Durchführung von speziellen
neurochirurgischen Behandlungsmaßnahmen wird die Erkennung und Behandlung der
Risikofaktoren für die entstandende Hirngefäßerkrankung im Vordergrund stehen. Zur
Vorbeugung einer erneuten Hirnembolie wird eine Langzeitbehandlung mit einem
Thrombozytenaggregationshemmer erfolgen, wodurch die Plättchenaggregation gehemmt
wird (z. B. mit 100 mg Azetylsalizylsäure oder 2 x 250 mg Ticlopedin).
11.4.2 Spezielle neurochirurgische Behandlung
- Karotisdesobliteration Randomisierte kooperative Studien haben gezeigt, daß die Karotisdesobliteration das Risiko
eines Patienten, einen schweren Schlaganfall zu erleiden, signifikant senken kann, wenn eine
höhergradige Karotisstenose (>60%) vorliegt und das Operationsrisiko gering ist.
Nachdem von De Bakey 1953 eine gefäßchirurgische Rekonstruktion der Halsschlagadern
durchgeführt wurde, fand diese Operationstechnik eine zunehmende Verbreitung (Abb. 11-5
und 11-6), die eine hämodynamisch wirksame Stenosierung der Kartotis oder eine
Emboliequelle beseitigt.
Um das perioperative Risiko für den Patienten soweit wie möglich einschätzen zu können,
empfiehlt sich die präoperative Durchführung einer Pan-Angiographie, um zusätzliche
11 Wassmann: Durchblutungsstörungen des Gehirns
1
Hirngefäßstenosen aufzudecken und die Kollateralversorgung abzuklären (Abb. 11-6). Ferner
können Funktionsteste zur Bestimmung der zerebrovaskulären Reservekapazität unter EEGKontrolle und transkranieller Doppler-Sonographie durchgeführt werden. Das internistische
Narkose- und Operationsrisiko wird sorgfältig abgeklärt.
Folgende intraoperative Maßnahmen werden durchgeführt, um das Risiko eines embolischen
und ischämischen Hirninfarktes so niedrig wie möglich zu halten:
Es erfolgt eine perioperative Heparinisierung des Patienten, ein Shunt wird nach Abklemmen
und Eröffnen der Karotis nur dann eingelegt, wenn Zeichen einer unzureichenden
zerebrovaskulären Kollateralversorgung bestehen. Während der Abklemmung der Karotis
erfolgt eine sogenannte Barbituratprotektion, wodurch der Hirnstoffwechsel vorübergehend
reduziert wird. Als intraoperative Monitoringmethoden zur Erfassung einer unzureichenden
zerebrovaskulären Kollateralversorgung während der Abklemmphase eignet sich die EEGÜberwachung und die transkranielle Doppler-Sonographie.
Die Desobliteration und die Gefäßnaht erfolgt in mikrochirurgischer Technik, um ein
optimales Strömungsprofil des Halsgefäßes zu erreichen (Abb.11-5) und das Einnähen eines
Patch zu vermeiden. Postoperativ werden regelmäßige neurologische und dopplersonographische Kontrolluntersuchungen durchgeführt.
11.4.2.2 Extra-intrakranielle arterielle Bypass-Operation
Findet sich bei einem Patienten mit den Zeichen einer Hirnmangeldurchblutung im
Angiogramm ein Verschluß der Arteria carotis interna, so ist dieser im Regelfall nicht mehr
operativ rekanalisierbar.
Yasargil und Donaghy nutzten 1968 die mikroneurochirurgische Technik, um eine
Verbindung zwischen dem extra- und intrakraniellen Kreislauf herzustellen, um den
zerebralen Kollateralkreislauf nach einem Karotisverschluß zu entlasten und neuen
ischämischen Ereignissen vorzubeugen oder auch um funktionelle Störungen in einem
Penumbragebiet zu verbessern (Abb. 11-7). Um den Effekt dieser extra-intrakraniellen
arteriellen Bypass-Operation zu untersuchen, wurde über die Jahre 1977 bis 1982 eine
kooperative randomisierte Studie durchgeführt, die einen positiven Effekt nicht nachweisen
konnte. Der wesentliche Grund hierfür ist darin zu sehen, daß es zu damaliger Zeit noch nicht
möglich war, bei der Operationsindikationsstellung eine embolisch bedingte Insuffizienz der
Hirndurchblutung von einer hämodynamisch bedingten Insuffizienz zu unterscheiden. Bei der
größeren Gruppe von Patienten ist die Ursache der zerebralen Ischämie auf ein embolisches
Geschehen zurückzuführen. Eine kleinere Untergruppe der Patienten mit zerebralischämischen Symptomen entwickelt diese durch eine grenzwertige Reduktion des arteriellen
zerebralen Perfusionsdruckes als Folge eines Hirngefäßverschlusses. Hierbei ermöglicht es
der Autoregulationsmechanismus der Hirndurchblutung, daß es zunächst zu einer
kompensatorischen zerebralen Vasodilatation mit Erhöhung der Sauerstoffextraktionsrate und
einem Anstieg des zerebralen Blutvolumens kommt. Ist dieser Kompensationsmechanismus
ausgeschöpft, so führt eine weitere hämodynamische Belastung, z. B. ein Absinken des
Blutdruckes zur Entwicklung zerebral-ischämischer Symptome. Für diese Patientengruppe
stellt die Durchführung eines extra-intrakraniellen arteriellen Bypasses eine Maßnahme zur
Verbesserung der zerebrovaskulären Reservekapazität dar und verhindert das Eintreten eines
11 Wassmann: Durchblutungsstörungen des Gehirns
1
schweren Schlaganfalles.
Der Nachweis der hämodynamisch bedingten zerebralen Ischämie ist durch die PositronenEmissions-Tomographie (PET) möglich, da neben der Messung der Hirndurchblutung auch
die Bestimmung des zerebralen Blutvolumens und des zerebralen Sauerstoffmetabolismus
möglich ist. Weniger aufwendig und breiter verfügbar, ist die Bestimmung der sogenannten
zerebrovaskulären Reservekapazität (CVRC) durch Stimulationsteste der Hirndurchblutung.
Die Hirndurchblutung kann durch Inhalation eines 5%igen CO²-Luftgemisches oder durch
intravenöse Gabe eines Karboanhydrasehemmers (DiamoxR) gesteigert werden, was mit der
transkraniellen Doppler-Sonographie erfaßbar ist. Führt ein solcher Stimulationstest bei
Patienten mit klinischen Zeichen einer Hirnmangeldurchblutung und nachgewiesenem
Karotisverschluß zu keiner ausreichenden Steigerung oder gar zu einem paradoxen Abfall der
Hirndurchblutung (Steal-Phänomen), so liegt bei diesem Patienten eine hämodynamisch
bedingte zerebrale Ischämie vor mit erheblich erhöhtem Risiko, einen Schlaganfall zu
erleiden. In einem solchen Falle ist anzunehmen, daß diese Patienten von der operativen
Anlage eines extra-intrakraniellen Bypasses profitieren (Abb.11-8). Ferner ergibt sich die
Indikation zur Bypass-Operation, wenn es bei Patienten mit Hirngefäßmißbildungen absehbar
ist, daß zur operativen Versorgung ein länger dauernder Verschluß eines wichtigen
hirnversorgenden Gefäßes notwendig ist.
11.4.2.3 Dekompressive Kraniotomie beim Klein-/Hirninfarkt
Das postischämisch auftretende Hirnödem kann so erheblich sein (malignes Hirnödem Abb.
11-4), daß es zu einer Herniation von Hirngewebe nach kaudal mit Kompression des
Hirnstammes kommt. Bei einem raumfordernden Kleinhirninfarkt erfolgt der Verschluß des
4. Ventrikels und eine direkte Kompression des Hirnstammes mit retrograder Einklemmung.
Es besteht Einigkeit über neurochirurgische Maßnahmen bei kritischen Kleinhirninfarkten.
Bestehen klinisch Zeichen des erhöhten intrakraniellen Drucks (Übelkeit, Erbrechen,
Bewußtseinsstörung) bei Nachweis eines Hydrocephalus occlusus durch Verschluß des 4.
Ventrikels, so erfolgt die Entlastung des Hydrocephalus über eine externe Ventrikeldrainage
deren Überlauf 15-20 cm über das Ventrikelniveau eingerichtet wird. Wenn sich der Zustand
des Patienten in der Folge nicht stabilisiert oder gar verschlechtert, ergibt sich die Indikation
zur dekompressiven Kraniotomie der hinteren Schädelgrube mit Duraeröffnung und
Entfernung des infarzierten Kleinhirngewebes (Abb. 11-9).
Bei kritischen raumfordernden Großhirninfarkten, überwiegend nach einem embolischen
Verschluß der Arteria cerebri media wird nach Ausschöpfung von konservativen Maßnahmen
zur Reduzierung des erhöhten intrakraniellen Druckes (Hyperventilation, Osmotherapeutika,
Barbiturattherapie, Hypothermie) als ultima ratio eine dekompressive Kraniektomie erprobt.
Hierbei erfolgt die Kraniotomie mit Entnahme eines großen Kalottenfragmentes (>12x12 cm)
mit Duraplastik, wodurch der Druck auf basale Zisternen und den Hirnstamm reduziert wird.
Herunterladen