Die gesellschaftliche Verankerung politischer Parteien in Südkorea

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DEUTSCHES ÜBERSEE-INSTITUT
Forschungsgruppe:
„Parteien im Spannungsfeld formaler und informeller Politik“
Arbeitspapier
Die gesellschaftliche Verankerung
politischer Parteien in Südkorea
Patrick Köllner *
(Institut für Asienkunde)
April 2002
* Der Autor dankt Aurel Croissant für seine hilfreichen Kommentare und Anmerkungen
1 Einleitung................................................................................................................................... 1
2 Die Rolle politischer Parteien in Südkorea bis Ende der 80er Jahre ......................................... 1
3 Zur Stärke der gesellschaftlichen Verankerung der Parteien seit Ende der 80er Jahre ............. 7
4 Modi der gesellschaftlichen Verankerung der Parteien in Südkorea....................................... 14
5 Fazit und Schlussfolgerungen: Auswirkungen informeller Modi der gesellschaftlichen
Anbindung südkoreanischer Parteien ...................................................................................... 20
Literaturverzeichnis ...................................................................................................................... 24
1 Einleitung
Die politischen Parteien Südkoreas1 haben wenig mit dem westlichen Idealtyp
programmorientierter Parteien mit innerer Demokratie und gesellschaftlicher Verwurzelung
gemein. Auch anderthalb Jahrzehnte nach der „demokratischen Öffnung“ des Landes sehen
nicht wenige Beobachter in der schwachen Institutionalisierung der koreanischen Parteien
eine der größten Herausforderungen für die weitere Entwicklung der Demokratie in dem
ostasiatischen Land. Im Rahmen dieses Beitrags sollen die Beziehungen zwischen Parteien
und Gesellschaft im gegenwärtigen Korea analysiert werden. Dabei interessiert uns
insbesondere, wie die Parteien des Landes eine gesellschaftliche Anbindung zu erzielen
versuchen und welche Konsequenzen dies für das politische System hat.
Einführend wird dabei zunächst die Rolle der Parteien im politischen System Koreas
bis zur demokratischen Transition 1987 beleuchtet. Danach wird der Frage nachgegangen,
wie es gegenwärtig um die Identifikation der Bevölkerung mit den politischen Parteien des
Landes bestellt ist. Im Anschluss werden mögliche Modi der gesellschaftlichen Verankerung
politischer Parteien am koreanischen Fall überprüft und in diesem Zusammenhang die
Bedeutung informeller Modi in Form von Personalismus, Klientelismus und Regionalismus
betont. Deren Auswirkungen werden im abschließenden Abschnitt thematisiert.
2 Die Rolle politischer Parteien in Südkorea bis Ende der 80er Jahre
Von politischen Parteien als zentralem organisatorischen Bindeglied zwischen Staat und
Gesellschaft wird allgemein die Wahrnehmung einer Reihe wichtiger öffentlicher Aufgaben
erwartet. Auf der Ebene der Gesellschaft sollen sie der Repräsentation und der Mobilisierung
der Bevölkerung dienen, sie sollen für Interessenaggregation und -versöhnung sorgen und
1
Im Folgenden wird zumeist einfach die Bezeichnung „Korea“ verwandt.
2
Mechanismen zur Konfliktaustragung bereitstellen. Auf der Ebene des politischen Systems
sollen Parteien als Mittler im politischen Entscheidungsprozess fungieren, und sie sollen eine
zentrale Rolle bei der Politikformulierung spielen. Auf der Ebene des täglichen politischen
Lebens schließlich sollen sie für die Rekrutierung der „politischen Klasse“ Sorge tragen
(Blondel 1993: 133).
Aus einem etwas anderen Blickwinkel lassen sich die Hauptfunktionen politischer
Parteien in primär gesellschaftsorientierte und primär staatsorientierte unterteilen. Zu den eher
gesellschaftsorientierten Funktionen zählt etwa Steffani (1988: 550) zum einen die
Transmission sozialer und ideologischer Kräfte und zum anderen die Rekrutierung politischen
Personals. Parteien werden in dieser Hinsicht als Ausdruck gesellschaftlicher Kräfte und
Forderungen sowie als Interessengruppen in eigener Sache und als Vermittler politischen
Führungspersonals gesehen. Zu den eher staatsorientierten Funktionen politischer Parteien
zählt der Politikwissenschaftler Herrschaft und Legitimation. Politische Parteien können aus
dieser Perspektive als Instrument der Machtausübung und als Vermittler demokratischer
Legitimation für verbindliche Entscheidungen betrachtet werden.
Wie und in welchem Maß politische Parteien ihre öffentlichen Hauptfunktionen
wahrnehmen,
hängt
nicht
zuletzt
a)
von
der
jeweiligen
Eigendefinition
und
Selbstwahrnehmung der Parteien (Patronage- oder Weltanschauungspartei, regierungs- oder
oppositionsorientiert etc.), b) den Charakteristika des betreffenden politischen Systems
(präsidentielles oder parlamentarisches System, Art des Wahlsystems, Grad der
Zentralisierung politischer Machtstrukturen etc.) und c) der jeweiligen Art der
Regierungskultur ab (von Beyme 1997: 361). Insbesondere in Entwicklungs- und
Schwellenländern, in denen die Trennung der öffentlichen von der privaten, der staatlichen
von der gesellschaftlichen Sphäre des Öfteren unschärfer ist als in „fortgeschrittenen“
Demokratien liberaler Prägung stellt sich zudem die Frage, welche Funktionen von den
politischen Parteien überhaupt erfüllt werden (können). In nicht wenigen Fällen wird man
dabei zu dem Ergebnis kommen, dass die jeweiligen Parteien nur in höchstens rudimentärer
Weise ihrer Aufgabe der Kanalisierung der politischen Willensbildung von unten nach oben
nachkommen, dass eher klientelistische denn partizipatorisch orientierte Verbindungen
(linkages) zwischen Parteien und Gesellschaft2 bestehen, dass die Legitimation politischer
Entscheidungen qua Parteien eher dürftig ist, dass die Rekrutierung politischen
2
Für eine konzeptionelle Diskussion der linkages zwischen Parteien und Gesellschaft siehe Lawson (1980,
1988). Sie unterscheidet dabei idealtypisch zwischen Verbindungen, die a) eine Teilhabe der Bürger an
politischen Entscheidungsprozessen ermöglichen, b) rein dem Wahlprozess und der Stimmenmobilisierung
dienen, c) klientelistischen Charakter haben (Stimmen gegen materielle Wohltaten) und d) Anweisungen der
Regierung qua Parteien dienen (vgl. Lawson 1988: 16-17).
3
Führungspersonals sich auf Elitegruppen konzentriert und/oder dass wesentliche Funktionen,
die eigentlich von Parteien wahrgenommen werden sollten, stattdessen von anderen Akteuren
übernommen werden. In letzter Instanz können somit die Funktionen der politischen Parteien
auf Herrschaft (im Fall der Regierungspartei/en), die Mobilisierung der Bevölkerung zu
Wahlzeiten und ggf. die Verteilung von Ressourcen beschränkt sein.
Kihl (1980: 80-81) hat den Hintergrund der beschränkten Funktionswahrnehmung
politischer Parteien in derartigen autoritären oder bestenfalls „semidemokratischen“ Ländern
wie folgt dargelegt:
In the less stable and developing countries, where politics is a high-risk business, the flow
of influence rarely originates from the input side of the political system. Instead the top
political leadership dispenses its authority unilaterally, allocating resources and
determining policy, and the public is expected, or even coerced, to comply. […] The
function of the ruling party in such a system is to assist the process of resource allocation
by the governing elite. The party is subservient to the government in power. The
opposition parties are ineffective as linkage organizations because they are doubly
handicapped: they are not only kept under close control by the ruling elite but also have not
proven their efficacy to the public by capturing political power in electoral contest. […]
Under the circumstances, parties as political organizations are used by the ruling elite as
instruments for the “ruler’s imperative,” which, following the Machiavellian dictum, is to
capture political power by using whatever means are made available and, once in power, to
maintain it and stay in power.
Zumindest bis zur „demokratischen Öffnung“ des Landes 1987 treffen diese Anmerkungen
zur beschränkten Funktionswahrnehmung politischer Parteien auch auf den südkoreanischen
Fall zu. Bis zu diesem Zeitpunkt nämlich wurde die funktionale Bedeutung der Parteien des
Landes und ihre Rolle im Gesamtkontext des politischen Systems durch eine Reihe von
Faktoren stark behindert bzw. eingeschränkt. Bereits die Ausgangsbedingungen für die
Entwicklung und Institutionalisierung voll ausgebildeter „multifunktionaler“ Parteien waren
recht ungünstig. Zunächst förderten die Wirren nach der Befreiung und die Fragmentierung
der nationalistischen Bewegung, die während des japanischen Kolonialregimes (1910-1945)
gewachsen war, die Entstehung einer extrem zersplitterten Parteienlandschaft (siehe dazu Lee
Joung-sik 1967: 7-9). So ließen sich im Juni 1946 107 Parteien bei der amerikanischen
Militärregierung registrieren, ein Jahr später war ihre Zahl auf 344 angewachsen (Chulsu Kim
1973: 40).
Die meisten dieser so genannten Parteien waren reine Faktionen im Sinne von
Protoparteien, die von einzelnen Politikern mit spezifischen, oftmals lokal begrenzten
Anliegen gebildet wurden. Bis in die späten 50er Jahre blieb die Anzahl unabhängiger
4
Abgeordneter in der Nationalversammlung, dem südkoreanischen Parlament, recht hoch;3
viele Koreaner wählten ihren Abgeordneten aufgrund von regionalen, schulischen oder
verwandtschaftlichen Bindungen; Bindungen an Parteien auf Basis programmatischer oder
ideologischer Unterstützung existierten so gut wie nicht. Sie entsprachen auch nicht dem
Repräsentationsverständnis der meisten Koreaner, die in ihrem Abgeordneten eher einen
Delegierten sahen, der sich für lokale Belange einzusetzen hatte, denn einen Treuhänder, der
auf nationaler Ebene die allgemeinen politischen Interessen seiner Wähler vertreten sollte
(vgl. Pak 1980: 19-20; Chong Lim Kim et al. 1984: 89). Erschwert wurde eine mögliche
ideologisch-programmatische Differenzierung der Parteien auch dadurch, dass sich im
Gefolge der Teilung der koreanischen Halbinsel kommunistische oder auch nur „progressiv“
orientierte Parteien nicht entfalten konnten. Anti-Kommunismus wurde als Mittel zur
politischen Manipulation und Kontrolle eingesetzt. Dies verstärkte die inhärente Tendenz zur
Reduzierung der zunehmend konservativeren Parteipolitik auf Machtkämpfe persönlicher
Natur (vgl. Chulsu Kim 1973: 294-295; Kil 2001: 39-42; Yang 1999: 192-201).
Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass bereits die spezifischen Ausprägungen des
Regimetyps (zunehmend autoritär) und des Regierungssystems (starke Zentralisierung
einschließlich einer deutlichen Machtkonzentration beim Staatspräsidenten) in Südkorea die
Entwicklung von Parteien nach liberaldemokratischen Muster vor grundlegende Hindernisse
stellte.4 Erschwerend kam hinzu, dass auch die Einbettung der Parteien in die vorherrschende
politische Kultur des Landes einer entsprechenden Entwicklung nicht eben förderlich war. Zu
den wesentlichen Elementen, die auch die Gestalt der politischen Parteien beeinflusst haben,
gehörten und gehören ausgeprägte autoritäre Einstellungen sowie eine weit verbreitete
Orthodoxie im Denken und Handeln, die sich auch auf die starke neo-konfuzianistische
Prägung des Landes in den letzten Jahrhunderten zurückführen lassen. Insgesamt lässt sich
eine deutliche, sowohl institutionell als auch kulturell unterfütterte Tendenz zur
Zentralisierung und Konzentration von Macht in Korea ausmachen, die den „Bossismus“ und
Faktionalismus in den Parteien gefördert hat. Auch lässt sich argumentieren, dass die
Orientierung der Koreaner an Primärgruppen und der entsprechende Mangel an
3
Siehe hierzu die Angaben in Kil (2001: 44-45, Tabelle 3.2).
Die Bedeutung des autoritären Vermächtnisses und des institutionellen Settings für die Entwicklung und
Ausprägung der südkoreanischen (Parteien-)Politik kann an dieser Stelle nur angerissen werden. Der
interessierte Leser sei auf die überblicksartigen Studie von Oh (1999) und Yang (1999) sowie die Diskussion
wichtiger institutioneller Grundlagen der Politik in Croissant (2001b) und Kang (2001) verwiesen.
4
5
unversalisiertem Vertrauen keine gute Grundlage für eine tief gehende gesellschaftliche
Verwurzelung politischer Parteien in der Zeit nach der Unabhängigkeit boten.5
Daneben kann auch nicht übersehen werden, dass das wiederholte Versagen
konstitutioneller Machtausübung in Südkorea, das seinen Ausdruck von den späten 40er bis in
die 80er Jahre in Regierungsumstürzen, Militärcoups, der Verhängung von Kriegsrecht und
zahlreichen machtpolitisch motivierten Verfassungsänderungen gefunden hat,6 nicht spurlos
an der Entwicklung der politischen Parteien vorbeigegangen ist. Vom zeitweisen Verbot
politischer Parteien zu Anfang der 60er Jahre und 1980 einmal ganz abgesehen, stellten die
wiederholten konstitutionellen Krisen auch immer wieder die Funktionsfähigkeit der
politischen Parteien und des Parteiensystems insgesamt in Frage. Dabei erscheint es eher
zweitrangig, ob die Schwäche der Parteien das Versagen konstitutioneller Herrschaft bedingte
oder umgekehrt.7 Tatsache bleibt in jedem Fall, dass es bis zur demokratischen Transition
Ende der 80er Jahre keinen friedlichen Machtwechsel auf der Basis veränderter
Mehrheitsverhältnisse der Parteien im Parlament gab.
Was
einer
Institutionalisierung
der
politischen
Parteien
schließlich
auch
entgegenstand, war der Widerstand der autoritären politischen Führer des Landes, angefangen
vom ersten Staatspräsidenten Syngman Rhee (1948-1960) bis hin zu Roh Tae-woo (19881993), eigenständige Parteien mit innerparteilicher Demokratie und Basisverwurzelung zu
akzeptieren (siehe etwa Han 1974: 44-46). Die Regierungs- und Oppositionsparteien dienten
in den vergangenen Jahrzehnten primär der Machterringung und -sicherung einzelner
Politiker
und
waren
aus
deren
Perspektive
somit
durchaus
funktional.
Damit
zusammenhängend kann angemerkt werden, dass alle politischen Parteien hochgradig von
personalisierten innerparteilichen Faktionen geprägt waren und es noch heute sind. Diese
Faktionen sind an einzelne Führungspersonen und deren enge Gefolgsleute gebunden.
Teilweise reichen die politischen Biografien dieser Karrierepolitiker, die der koreanischen
Parteienpolitik ein gewisses Maß an personeller Kontinuität verleihen, bis in die 70er und
80er Jahre, in Einzelfällen sogar bis in die 60er Jahre zurück.8
Die Nutzung politischer Parteien für primär persönliche Machtambitionen hat immer
wieder dazu geführt, dass Parteien nach Belieben gegründet, fusioniert, umbenannt oder
aufgelöst werden. Keine politische Partei hat in Südkorea den Tod ihres Parteiführers oder
5
Siehe hierzu Wonkyoo Lee (1995: Kapitel 3-5), Köllner (1999: 58-61) und Woon-Tai Kim (2001: 19-21, 2429).
6
Siehe hierzu überblicksartig Kil (2001: 36-37, Tabelle 3.1) und Oh (1999: 102-103).
7
Für eine Argumentation, die die erstgenannte Kausalwirkung betont, siehe Chulsu Kim (1973).
8
Zum Faktionalismus in den politischen Parteien Korea siehe etwa Ko (1967), Min (1980), Pae (1986: Kap. 2)
und Wonkyoo Lee (1995: Kap. 9).
6
aber mehr als zwei der mittlerweile sechs Republiken seit Gründung des Landes überstanden.9
Entsprechend weisen die politischen Parteien Südkoreas im internationalen Vergleich recht
kurze Lebenszeiten auf. Nach Berechnungen von Pae (1986: 155) bestanden zwischen 1947
und Mitte der 80er Jahre über 80 Prozent aller Parteien weniger als vier Jahre. Einzig die
langjährigen Regierungsparteien, Syngman Rhees Liberal Party (1951-1960) und Park
Chung-hees
Democratic
Republican
Party
(1963-1980),
sowie
die
wichtigsten
Oppositionsparteien dieser Zeit, die Democratic Party (1954-1965) und die New Democratic
Party (1967-1980), wiesen eine mehr als zehnjährige Parteigeschichte auf. Aber auch diese
Parteien entwickelten keine gesellschaftliche Verwurzelung oder innerparteiliche Demokratie;
sie fungierten lediglich als Machtinstrument ihrer Führungselite und im Fall der
Regierungsparteien als Mittel zur fragwürdigen Legitimierung der Herrschaftsausübung.
Hahn und Kims (1976: 69) Skizzierung der Parteienwirklichkeit in den frühen 70er
Jahren und der damit verbundenen mangelnden Wahrnehmung öffentlicher Funktionen trifft
zu guten Teilen für die gesamten ersten vier Jahrzehnte nach der Gründung der Republik
Korea zu:
Parties seem to perform only limited functions within the overall political processes in
contemporary Korean society. They remain dormant during off-election years, and only
become somewhat active during the period of the election campaigns. They operate merely
as a procedural device in the formalization of candidates for the presidency and the
National Assembly. In the case of the opposition, the party seems to exist primarily for the
sake of a few old-line politicians who depend on it as major vehicle for obtaining seats in
the legislature. To a certain extent, the opposition party also works as the safety valve for
many “explosive” social elements that could seriously undermine the operation of the
entire political system. Given the limited functional significance attached to political
parties within the over-all political process in Korea, party salience is very low.
Entsprechend wurden bis zur demokratischen Transition Südkoreas zentrale öffentliche
Funktionen politischer Parteien von anderen Akteuren wahrgenommen. So lagen etwa
Politikformulierung und Interessenaggregation (nicht zuletzt vor dem Hintergrund der extrem
starken Stellung des Staatspräsidenten im Verfassungsgefüge) allein in den Händen der
Exekutive, sprich der Regierung und der Ministerialbürokratie; das Parlament führte ein
Schattendasein und war durch unüberbrückbare Konflikte zwischen der Regierung und der
Opposition gekennzeichnet (siehe dazu Köllner 2000; Kang 2001: 80-83). Auch erfolgte ab
den 60er Jahren ein guter Teil der Rekrutierung politischen Führungspersonals über
Organisationen wie das Militär und den mächtigen Geheimdienst, den koreanischen CIA.
9
Die Einteilung der Republiken folgt der Veränderung wesentlicher Verfassungsbestimmungen zum
Regierungssystem.
7
Der politischen Partizipation der Bürger qua Parteien stand deren streng hierarchischer
Charakter und die Monopolisierung der politischen Entscheidungsgewalt in der Führungselite
entgegen. Von einer genuinen Anbindung der Bürger an die Parteien per se konnte keine Rede
sein; die Regierungsparteien der 60 bis 80er Jahre mobilisierten ihre vor allem ländlichen
Wähler mit Hilfe der ihr ergebenen Bürokratie auf zentraler und lokaler Ebene und sorgten
insbesondere vor Wahlen für materielle Wohltaten, während sich die Oppositionsparteien sich
primär auf die gebildetere Stadtbevölkerung stützte, die dem autoritären Regime tendenziell
ablehnend gegenüberstand. Zudem spielte ab Anfang der 70er Jahre auch der Regionalismus
eine zunehmend wichtigere Rolle als Hebel bei der Stimmenmobilisierung (siehe auch unten).
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die politischen Parteien Südkoreas bis
Ende der 80er Jahre durch ihre starke Personenorientierung und Fluidität, ihren grundlegend
konservativen und elitären Charakter und einen Mangel an Institutionalisierung einschließlich
einer effektiven gesellschaftlichen Verankerung gekennzeichnet waren. Zentrale öffentliche
Funktionen, insbesondere solche gesellschaftsorientierter Art, wurden von ihnen nicht oder
nur ungenügend wahrgenommen. Parteienpolitik wurde von der politischen Elite eher als
Spiel um Macht und Einfluss, denn als Rahmen für die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben
begriffen. Parteien dienten letztendlich als Instrument der Mobilisierung und der Kontrolle,
nicht der Partizipation und der politischen Bildung.
3 Zur Stärke der gesellschaftlichen Verankerung der Parteien seit Ende der 80er Jahre
Rund 15 Jahre nach der demokratischen Transition Südkoreas10 lassen sich einige wesentliche
positive Entwicklungen im politischen System des Landes konstatieren. So übernahm 1993
mit dem ehemaligen Dissidenten Kim Young-sam, der wenige Jahre zuvor ins
Regierungslager gewechselt war, zum ersten Mal seit über dreißig Jahren wieder ein Zivilist
das Amt des Staatspräsidenten. Während seiner Amtszeit wurde nicht nur das Militär des
Landes vollständig von der politischen Bühne verbannt, sondern auch die lokale Autonomie
formal wiederhergestellt; die Bevölkerung kann seither auf kommunaler und regionaler Ebene
ihre politischen Repräsentanten in freien Wahlen bestimmen.11 In institutioneller Hinsicht
wurden zudem durch Revisionen des Wahlgesetzes, des Gesetzes zur Finanzierung politischer
Aktivitäten sowie Maßnahmen gegen die Korruption Reformversuche unternommen (vgl.
Paik 1994; Young Jo Lee 1999). Bereits siebenmal fanden zudem zwischen 1987 und 2000
10
Auf die Ursachen und den Verlauf der demokratischen Öffnung Südkoreas sowie die weiteren politischen
Entwicklungen kann an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. Siehe hierzu Croissant (1998) und die dort
zitierte Literatur.
8
freie und faire, wenn auch mit hohem Finanzaufwand betriebene Wahlen für die
Nationalversammlung und das oberste Regierungsamt statt.12 Bei den Präsidentschaftswahlen
Ende 1997 konnte sich dabei erstmals ein Kandidat der Opposition, der Politiker-Veteran Kim
Dae-jung, durchsetzen, was von vielen Beobachtern als ein wichtiger Meilenstein im Prozess
der Vertiefung der südkoreanischen Demokratie angesehen wurde.
Andererseits kann festgestellt werden, dass sich seit der demokratischen Transition nur
wenig Substanzielles in Bezug auf die Charakteristika der politischen Parteien des Landes
verändert hat. Aus Sicht eines akteursorientierten Institutionalismus ist dies nicht sonderlich
überraschend, da die Demokratisierung nur wenig an einigen zentralen institutionellen
Rahmenbedingungen des politischen Systems, wie etwa der starken Zentralisierung
politischer Entscheidungsstrukturen, der machtvollen Stellung des Staatspräsidenten oder dem
kandidatenzentrierten Wahlsystem verändert hat. Allgemein kann festgehalten werden, dass
die
politischen
Parteien
Koreas
weiterhin
durch
die
Dominanz
einzelner
Führungspersönlichkeiten (Stichwort: „Bossismus“), eine hierarchische Binnenorganisation,
einen ausgeprägten innerparteilichen Faktionalismus, eine regionale Verankerung und stark
begrenzte Partizipationsmöglichkeiten der Parteibasis – so man überhaupt von einer solchen
sprechen kann – geprägt sind (siehe auch Köllner 1999a: 64-70). Die politischen Parteien
ähneln,
um
eine
Formulierung
von
Croissant
aufzugreifen,
„lose
organisierten
‚Versammlungsparteien’, die sich vor Wahlen ausdifferenzieren und nach Wahlen
zusammenfinden“.13 Die Tatsache, dass politische Parteien weiterhin im Wesentlichen als
Machtvehikel einzelner Politiker dienen, führt nicht nur zu einer anhaltenden Fluidität in der
Parteienlandschaft, sondern auch zu einer begrenzten Identifikation der Bevölkerung mit den
Parteien des Landes. Im Folgenden sollen vor diesem Hintergrund zunächst einige
Umfrageergebnisse zur Einstellung der Bevölkerung zu den Parteien präsentiert werden.
Mehrere umfassende Umfragen von Doh Chull Shin und anderen Wissenschaftlern
zum Demokratisierungsprozess und zum Demokratieverständnis haben gezeigt, dass trotz
latenter autoritärer Tendenzen eine deutliche Unterstützung für die Prinzipien und
Institutionen der Demokratie per se besteht, dass andererseits jedoch die Zufriedenheit mit der
Praxis der Demokratie in Südkorea deutlich geringer ausgeprägt ist.14 Ganz ähnlich sieht es
hinsichtlich der Existenz und der Tätigkeit der politischen Parteien aus. So stimmten 1993 bei
11
Allerdings sind kaum Entscheidungskompetenzen auf die unteren Staatsebenen verlagert worden. Siehe hierzu
Hermanns (2002) und Seong (1999).
12
Zur Bedeutung des Geldes in südkoreanischen Wahlkämpfen und der Veränderung der entsprechenden
gesetzlichen Bestimmungen siehe Frank und Köllner (1999: 49-52) sowie Huh (2000: 46-50).
13
Persönliche Kommunikation vom 10.1.2002. In jüngster Zeit zeigte sich dieser Zustand wieder im Vorfeld der
Präsidentschaftswahlen vom Dezember 2002.
9
einer Umfrage 95 Prozent der Befragten der Aussage zu, dass Parteien für die demokratische
Entwicklung notwendig seien,15 und 57 Prozent meinten, dass politische Parteien die
Partizipation der Bevölkerung an der Politik erleichtern würden. 89 Prozent verneinten
darüber hinaus bei derselben Umfrage die Aussage, dass Südkorea mit nur einer Partei besser
bedient wäre, allerdings war auch nur wenig mehr als die Hälfte der Befragten (51%) für ein
kompetitives Mehrparteiensystem (Shin 1999: 171-172, 181).16
Dieser allgemein positiven Bewertung von politischen Parteien per se steht jedoch eine
deutlich zurückhaltendere Sicht der Parteienwirklichkeit in Südkorea gegenüber. So gaben bei
Eliteumfragen, die 1990 und 1995 von Geir Helgesen durchgeführt wurden, rund zwei Drittel
der Befragten an, dass keine der politischen Parteien des Landes ihre Interessen repräsentieren
würde (Helgesen 1998: 212). Hinsichtlich ihrer affektiven Bindung an eine bestimmte
politische Partei bestätigte bei der Umfrage von Shin 1993 nur gut ein Drittel eine derartige
Beziehung; mit anderen Worten bestand auch sechs Jahre nach der demokratischen Transition
bei fast zwei Dritteln der Bevölkerung keine gefühlsmäßige Anbindung an eine der
bestehenden politischen Parteien (Shin 1999: 174).17 Noch einmal sechs Jahre später, 1999,
gaben jedoch nur noch 40 Prozent der Befragten an, sich keiner der nunmehr drei großen
Parteien verbunden zu fühlen. Demgegenüber erklärten 29 Prozent, sich der Regierungspartei
von Kim Dae-jung, dem National Congress for New Politics (heute: Millennium Democratic
Party), nahe zu fühlen und 18 Prozent gaben Entsprechendes für die große Oppositionspartei,
die Grand National Party, an (Shin und Rose 2000: 50).
Zumindest fraglich ist in diesem Zusammenhang jedoch, ob angesichts der erwähnten
starken persönlichen Prägung der Parteien die angegebenen affektiven Bindungen tatsächlich
den Parteien per se oder vielmehr deren Führungspersönlichkeiten gelten. In jedem Fall ist
das allgemeine Vertrauen in die Parteien des Landes weiterhin sehr gering. So gab bei einer
Umfrage 1997 nur 1 Prozent aller Befragten an, dass sie den politischen Parteien sehr
vertrauen würden, weitere 19 Prozent vertrauten den Parteien zumindest etwas.
Demgegenüber gaben 47 Prozent an, den Parteien nicht sehr zu vertrauen, und fast ein Drittel
(32%) meinte, sich überhaupt nicht auf die Parteien verlassen zu können. Politischen Parteien
wurde damit unter allen Institutionen das wenigste Vertrauen in Südkorea entgegengebracht;
14
Siehe dazu im Einzelnen Köllner (1999: 79-82) und die dort zitierte Literatur.
Im Vergleich mit den osteuropäischen Transformationsländern lag damit Südkorea mit an der Spitze in Bezug
auf die Unterstützung für Parteien per se (Shin 1999: 189).
16
Gefragt nach den Parteien in der Nationalversammlung zeigte sich ein mittelmäßiger Kenntnisstand:
Insgesamt konnte zwar über die Hälfte der Befragten (54%) die meisten Parteien im Parlament identifizieren,
aber weniger als ein Viertel war in der Lage, alle vier damaligen Parteien im Parlament zu nennen.
15
10
selbst gegenüber der Polizei und in noch stärkerem Maße gegenüber dem Militär bestand
Ende der 90er Jahre deutlich mehr Vertrauen.18 Einer der wesentlichen Gründe für das
geringe Vertrauen der südkoreanischen Bevölkerung in die Parteien des Landes dürfte darin
liegen, dass diese nur als Machtinstrument der politischen Elite wahrgenommen werden. So
glaubten 1993, nur 27 Prozent der Befragten, dass die Parteien öffentlichen Interessen dienen
würden; in den meisten osteuropäischen Transformationsstaaten war dagegen Anfang der
90er Jahre rund die Hälfte bis zwei Drittel der Bürger davon überzeugt.
Auch meinte nur ein Viertel der 1993 Befragten, dass die Parteien unterschiedliche
Politiken anbieten würden (Shin 1999: 189-191). Es ist daher etwas überraschend, dass 1999
nur ein Drittel der Befragten der Aussage zustimmte, dass neue Parteien mit klar definierten
Politiken gegründet werden sollten. Deutlich mehr Unterstützung gab es für eine
Beschneidung der Macht des Staatspräsidenten, eine unabhängigere Nationalversammlung
und einen offeneren Prozess der Kandidatenauswahl bei den Parteien (Shin und Rose 2000:
25). Shin selbst deutet dieses offenbar eher nur geringe Bedürfnis nach neuen Parteien als
Ausdruck der Orientierung der südkoreanischen Bürger an den persönlichen Qualitäten
politischer Führer statt den Charakteristika politischer Parteien (vgl. Shin 1999: 187, 2000:
18). Die geringe Neigung, Parteialternativen zu fordern und zu unterstützen, kann allerdings
auch dahingehend interpretiert werden, dass die bestehenden Parteien für viele Bürger
durchaus akzeptabel und funktional sind, dies allerdings angesichts nicht offen eingestanden
wird, um nicht eine Mitverantwortung für die öffentlich gebrandmarkten „Defizite“ der
Parteien zu übernehmen.19
Das nur geringe Vertrauen der Südkoreaner in die politischen Parteien des Landes
findet inzwischen offenbar auch seinen Ausdruck in einer zurückgehend Beteiligungen an
Parlamentswahlen. Lag die Wahlbeteiligung bei den ersten Parlamentswahlen nach der
demokratischen Öffnung, 1988, noch bei 75,8 Prozent, fiel sie in der Folge auf 71,9 Prozent
(1992), 63,9 Prozent (1996) und 57,2 Prozent (April 2000). Recht hohe Wahlbeteiligungen
weisen hingegen weiterhin die Präsidentschaftswahlen auf, bei denen es allerdings
naturgemäß noch stärker um Personen statt Parteien geht. Zudem sichert auch Südkoreas neue
Verfassung von 1987 dem Staatspräsidenten ein ausgesprochen machtvolle Stellung im
politischen System, was ebenfalls das größere Interesse an diesen Wahlen erklärt. Beteiligten
17
Wiederum im Vergleich mit den osteuropäischen Transformationsländern war damit die Bindung an
bestehende Parteien recht niedrig; nur in Polen waren die affektiven Bindungen an die Parteien des Landes noch
schwächer ausgeprägt (Shin 1999: 190).
18
Siehe hierzu Shin und Rose (1997: 34-35) und Shin (2000: 18-19) sowie in vergleichender Perspektive Munro
(1998: 49).
19
So die bedenkenswerte These von Aurel Croissant (persönliche Kommunikation, 10.1.2002).
11
sich 1987 89,2 Prozent an den Präsidentschaftswahlen, waren es 1992 77 Prozent und im
Dezember 1997 80,5 Prozent der Wahlberechtigten.
Als weiterer Indikator für die gesellschaftliche Verankerung der politischen Parteien in
der Gesellschaft kann neben der allgemeinen Unterstützung für Parteien und der
Wahlbeteiligung der Grad der Wählerfluktuation zwischen den Parteien von Wahl zu Wahl
angesehen werden. Dieser ist in Südkorea sehr hoch, was jedoch irreführend ist. So lag die
Wählerfluktuation (im Vergleich zu den vorangegangenen Wahlen) 1992 bei 87 Prozent und
1996 gar bei 94 Prozent (Croissant 1998: 137). Diese im internationalen Vergleich extrem
hohe Wählerfluktuation erklärt sich jedoch zu einem beträchtlichen Teil aus der bereits
erwähnten Fluidität in der Parteienlandschaft. Bei den Parlamentswahlen 1992 beispielsweise
wies die älteste Partei mit einem Stimmenanteil von über 10 Prozent gerade einmal eine
Lebensdauer von zwei Jahren auf! Nach Berechnungen von Croissant (2001a: 78-79) lag die
durchschnittliche Lebensdauer der seit 1987 existierenden Parteien bis Ende 2000 bei nur
rund 2½ Jahren. Keine politische Partei hat seit den ersten freien Wahlen 1998 mehr als
zweimal an Parlamentswahlen in Südkorea teilgenommen.
De facto ist jedoch die tatsächliche Wählerfluktuation in Südkorea deutlich moderater,
da ein guter Teil der Stimmabgabe auf Basis landsmannschaftlicher und persönlicher
Bindungen erfolgt. Vergleicht man die Stimmanteile für die jeweiligen Parteien der „drei
Kims“ in der südkoreanischen Politik, Kim Dae-jung, Kim Jong-pil und Kim Young-sam, die
jeweils über starke regionale Hochburgen verfügen, kommt man zu einem deutlich
niedrigeren Grad der Wählerfluktuation in den 90er Jahren.20 Dieser hat – das sei noch einmal
betont – allerdings eben nichts mit der gesellschaftlichen Verankerung der Parteien, sondern
vor allem mit der regionalen Verankerung der jeweiligen Parteiführer zu tun (siehe dazu auch
unten).
Kommen wir nun zum letzten Indikator für die gesellschaftliche Verankerung der
Parteien, nämlich der parteipolitischen Partizipationsdichte, d.h. dem Anteil von
Parteimitgliedern an der gesamten Wählerschaft. Bedauerlicherweise gibt es hierzu keine
genauen Angaben, da die politischen Parteien Südkoreas dazu neigen, ihre diesbezüglichen
Angaben künstlich aufzublähen. Nach einer von Yong-Ho Kim (1998: 145) zitierten Umfrage
lag der Anteil der Parteimitglieder an den gesamten Wahlberechtigten Mitte der 90er Jahre bei
fünf Prozent, was der durchschnittlichen Partizipationsdichte in Westeuropa in jüngster Zeit
entsprechen würde (vgl. Mair und van Biezen 2001: 8-9). Allerdings können zumindest
Zweifel geäußert werden, ob ein derartiger Anteil tatsächlich der Realität entspricht. So gaben
12
bei Umfragen unter jeweils rund 1.000 Wahlberechtigten 1996 und 1999 nur zwei bzw. ein
Prozent der Befragten an, Mitglied einer Partei oder einer anderen politischen
Organisation/Vereinigung zu sein (vgl. Munro 1998: 43; Shin und Rose 2000: 17).
Ein Teil der ungenauen Zahlenangaben mag daraus resultieren, dass unter den
koreanischen
Bürgern
Unsicherheit
über
das
Konzept
und
die
Kriterien
einer
Parteimitgliedschaft herrscht; dies war jedenfalls in der Vergangenheit der Fall (vgl. Chulsu
Kim 1973: 174). Während die allgemeinen Rechte und Pflichten von Parteimitgliedern in den
jeweiligen Parteistatuten recht klar angegeben sind, sieht die Realität anders aus. So schrieben
etwa die Parteistatuten der ehemaligen Regierungspartei New Korea Party (NKP)21 nach
Angaben von Yong-Ho Kim (1998: 144) vor,
that its members have the right to elect party officials, to be elected as such an official, to
participate in the party’s decisions, to be nominated as a candidate for public offices and to
raise objections to an action taken by the party, if necessary. The NKP constitution also
prescribes that its members have the duty to respect the constitution and the rules of the
party, to follow its decisions, to obey its orders, not to disclose confidential information
learned in the course of fulfilling the party’s responsibilities and duties, to maintain
dignity, integrity, and a frugal life in order to serve the people, to pay membership dues to
the party and to receive required training and education conducted by the party.
Zweifel zur Umsetzung der Parteistatuten können sowohl hinsichtlich der Rechte als auch der
Pflichten
angemeldet
werden.
So
scheint
der
Anspruch
auf
genuine
Partizipationsmöglichkeiten angesichts des erwähnten hierarchischen Charakters der Parteien,
kaum eingelöst zu werden. Auf der anderen Seite wird offenbar das Eintreiben der
Mitgliedsgebühren, zumindest was gewöhnliche Parteimitglieder angeht, nicht sonderlich
ernsthaft betrieben. Hierzu noch einmal ausführlich Yong-Ho Kim (1998: 145):
[P]arty activists usually have personal ties to the party elite rather than loyalty to the party
itself. Therefore party activists can easily change their party affiliations whenever their
leaders move from one party to another. In this situation, rank and file members feel little
obligation to pay their membership dues […]. For example, the rules of the NKP prescribe
that its rank and file shall pay more than 1,000 won (about US$1.2) every month.
However, only a small number of the rank and file voluntarily pay their membership dues.
It must be noted that a party cannot force its rank and file to pay their membership dues,
since they are free to leave the party if pushed to do so. In contrast, the high-ranking party
officials pay a large amount in membership dues. For example, the NKP president is
required to pay more than one million won (about US$1,200) every month. As a matter of
20
Siehe hierzu im Einzelnen die Angaben zur Wählerunterstützung für die wichtigsten politischer Führer
Südkoreas zwischen 1987 und 1997 in Byung-Kook Kim (2000: 61, Tabelle 3.1).
21
Die Partei wurde im Dezember 1995 gegründet. Im November 1997 fusionierte sie mit einer kleineren Partei
zur Grand National Party.
13
fact, all party leaders pay much more than the amount prescribed in the party rules for
financing their party activities.
Die Realität der Zahlung von Mitgliedsgebühren unterstreicht noch einmal die elitäre Natur
der politischen Parteien Südkoreas. Angesichts des stark personenbezogenen Charakters der
Parteien und ihrer weiterhin nur begrenzten Funktionswahrnehmung im politischen System
Südkoreas sind die Anreize, in eine Partei einzutreten für gewöhnliche Bürger recht begrenzt.
Zudem ist es öffentlich Bediensteten, einschließlich den meisten Lehrkräften, nach dem
Parteiengesetz nicht erlaubt, politischen Parteien beizutreten. Gleiches galt bis in die jüngere
Zeit für Gewerkschaftsfunktionäre (vgl. ebd.: 144). Der südkoreanische Politikwissenschaftler
Jong Min Kim (2000: 41) hat daher wohl nicht Unrecht mit seiner These, dass die Mitglieder
einer Partei in einem bestimmten Wahlkreis entweder „aus dem Bekannten- und
Freundeskreis des jeweiligen Wahlkreisleiters [stammen], oder es werden auf der Basis der
primären gesellschaftlichen Solidarität [d.h. auf der Basis von Blut-, Schul- oder
Regionalverbindungen] Mitglieder gewonnen“.
Kollektive Mitgliedschaften an Parteien, durch organisatorische Verschränkung o.ä.,
existieren nicht. Im Gegensatz zur autoritären Ära bestehen auch keine engen, semiinstitutionalisierten Verknüpfungen mehr zwischen der Regierungspartei einerseits und dem
Militär, den Unternehmensverbänden und den landwirtschaftlichen Kooperativverbänden
andererseits (siehe hierzu Chulsu Kim 1973: Kapitel 4). Zwar können seit jüngster Zeit auch
die Gewerkschaften in der Politik aktiv werden, doch bisher ist ihr Einfluss beschränkt, wie
unter anderem das schwache Abschneiden der Anfang 2000 gegründeten Democratic Labor
Party bei den Parlamentswahlen im selben Jahr signalisiert. Insgesamt lässt sich in diesem
Zusammenhang festhalten, dass die südkoreanische Arbeiterschaft, genauso wie die
Studentenbewegung,
zwar
eng
mit
der
politischen
Entwicklung
und
dem
Demokratisierungsprozess allgemein verbunden, aber andererseits nicht in der Lage gewesen
ist, bedeutsamen Einfluss auf innerparteiliche Prozesse zu nehmen. Auch existieren zwischen
den in den letzten Jahren sprunghaft gewachsenen Nichtregierungsorganisationen (NROs) wie
der People’s Solidarity for Participatory Democracy oder der Citizens’ Coalition for
Economic Justice und einzelnen Parteien keine starken Verbindungen; vielmehr verstehen
sich diese Organisationen eher als Alternative zur etablierten Parteienpolitik.22
22
So machten im Vorfeld der Parlamentswahlen 2000 südkoreanische NROs durch ihre Internet-gestützten
Kampagnen gegen „ungeeignete“ Kandidaten von sich reden. Siehe dazu Pohl (2000: 38-40), Wein (2000: 9296) und Bong-Ki Kim (2002).
14
Wie versuchen nun die politischen Parteien angesichts der nur schwachen
Identifikation der Bürger Unterstützung für sich sicher zu stellen? Dieser Frage soll im
folgenden Abschnitt nachgegangen werden.
4 Modi der gesellschaftlichen Verankerung der Parteien in Südkorea
Politische Parteien können auf verschiedene Art versuchen, Unterstützung und Zustimmung
in der Bevölkerung zu erlangen, um so eine gesellschaftliche Verankerung zu gewährleisten.
Nicht nur in liberalen Demokratien besteht dabei die Idealvorstellung darin, dass sich Wähler
mit bestimmten Parteien über deren Programmatik identifizieren, die wiederum idealtypisch
auf distinkten Ideologien fußt. Die Parteiprogrammatik sollte, so die Idee, aus den Partei- und
Wahlplattformen ersichtlich sein. Diese sollten verschiedene gesellschaftliche Interessen
aggregieren. Dabei ist auch denkbar, dass politische Parteien die Interessen bestimmter
sozialer Gruppen, die sich etwa religiös, ethnisch, nach beruflicher Stellung (Landwirte,
Mittelständler etc.) oder regionaler Zugehörigkeit definieren, vertreten oder dies zumindest
für sich beanspruchen.
Die Bedeutung von Ideologien, Programmen und sozialen Scheidelinien
Wirft man nun einen Blick auf die politischen Parteien Südkoreas kann man zunächst
feststellen, dass deren ideologische Distanz zueinander, mithin die Polarisierung des
Parteiensystems, in den letzten Jahrzehnten nur gering ausgeprägt gewesen ist und in jedem
Fall nur eine geringe Rolle für die gesellschaftliche Verankerung der Parteien gespielt hat. So
führte bereits die eingangs erwähnte Eliminierung bzw. Marginalisierung sozialistischer oder
auch nur progressiver Parteien zu einer Verkleinerung der möglichen ideologischen Distanz.
Die meisten koreanischen Parteien haben jedenfalls bisher eine relativ konservative
Grundorientierung aufgewiesen. Alle Parteien unterschreiben das Konzept der liberalen
Demokratie; von kohärenten ideologischen Fundierungen der politischer Führer des Landes
und ihrer Parteien konnte jedoch nie die Rede sein. Die Ersatzideologie des Nationalismus,
wie sie von den autoritären Regierungsparteien in den 50er bis 80er Jahren propagiert wurde,
stellte in diesem Kontext nur ein dürftiges Substitut dar.23
Die Parteiprogramme und Wahlplattformen der politischen Parteien des Landes haben
sich bisher nicht durch einen hohen Grad der Differenzierbarkeit und Verbindlichkeit
ausgezeichnet. Chulsu Kim (1973: 163) hat die Plattformen der politischen Parteien von den
23
Siehe hierzu ausführlicher Croissant (1998: 138), Chulsu Kim (1973: Kapitel 3), Wonkyoo Lee (1995: 257264), Nam (1989: xv-xvi), Pae (1986: 175-181).
15
50er bis in die frühen 70er Jahren schlicht als „politische Rhetorik“ bezeichnet und darauf
hingewiesen, dass sich viele Kontroversen zwischen den Parteien eher auf Prozeduren als auf
Inhalte bezogen. Auch heute stellen sich die Parteiprogramme und Wahlpattformen recht
allgemein, wenig kontrovers und entsprechend nur wenig unterscheidbar dar. So verspricht
etwa die derzeit oppositionelle Grand National Party in ihrer aus neun Punkten bestehenden
Parteiplattform u.a. die „Freiheit und Rechte des Volkes auf der Basis der Menschenwürde zu
garantieren, eine liberale Demokratie durch kontinuierliche politische Reformen sowie eine
neue politische Kultur zu schaffen“ und „wirtschaftliche Gerechtigkeit und Stabilität durch
Autonomie, Kooperation, Kreativität und Fairness zu realisieren“ (GNP o.J.: 4).24
Wesentliche
Unterschiede
bestanden
in
den
vergangenen
Jahren
in
den
Parteiprogrammen primär in Bezug auf das bevorzugte Regierungssystem (Präsidential- oder
Kabinettssystem). Hinzugekommen ist seit Ende der 90er Jahre das emotional aufgeladene
Thema des Umgangs mit Nordkorea. Hat hier die Regierungspartei von Kim Dae-jung seit
1998 im Rahmen ihrer „Sonnenscheinpolitik“ auf Annäherung und Versöhnung gesetzt,
propagiert die oppositionelle GNP einen kritischeren Kurs gegenüber dem Norden. Auf einer
allgemeineren Ebene haben die koreanischen Parteien immer wieder versucht haben,
bestimmte Images von sich zu verbreiten; eine echte Differenzierung resultierte hieraus
jedoch nicht (siehe dazu im Einzelnen Yong-Ho Kim 1998: 139-143). Bei seinen
Elitenbefragungen in den frühen 90er Jahren kam denn auch Helgesen (1998: 193-207) zu
dem Ergebnis, dass die Wählerschaft nicht viel von den ideologischen Vorstellungen und
Plattformen der verschiedenen Parteien weiß.
Es lässt sich nun argumentieren, dass die politische Liberalisierung Mitte/Ende der
80er Jahre zu einer weiteren Auflösung interparteilicher Unterschiede geführt hat. So ist
zumindest die bis dato wichtige Scheidelinie zwischen der Regierung und der Opposition in
Bezug auf die Frage der Demokratisierung (Demokratie versus autoritär geprägte Herrschaft)
entfallen. Es lässt sich weiterhin argumentieren, dass hierdurch das Parteiensystem noch
fluider geworden ist, als dies bereits zuvor der Fall war. Auch die zumindest von den 50er bis
in die 70er Jahre gegebene Scheidelinie zwischen der Wählerschaft in den Städten
(mehrheitlich oppositionell) und dem Land (mehrheitlich regierungstreu) hat sich zunehmend
24
Nicht minder hehre Prinzipien und Ziele werden in den Parteibroschüren der zwei anderen großen Parteien,
der MDP (Millennium Democratic Party 2001) und der ULD (United Liberal Democrats 2001) genannt. Unter
dem Slogan „Peaceful Nation, Happy World“ beansprucht die Regierungspartei MDP in ihrer
englischsprachigen Parteibroschüre zudem Folgendes: „The MDP only thinks of the people. The MDP is forging
a peaceful nation, a stable society and a happy world, together with the people. As the ruling party that takes
responsibility for national administration, the MDP will carry out the public wishes. It will become a sturdy
bridge to hope and prosperity“.
16
aufgelöst (siehe hierzu Nam 1989: xiv; Kap-Yun Lee 1994; Byung-Kook Kim 2000: 73-80).25
In der Folge ist neben den Klientelismus und den Einsatz von Geldgeschenken seit Ende der
80er Jahre verstärkt der Regionalismus in den Mittelpunkt der Stimmenmobilisierung und
Wählerbindung gerückt. Der Politikwissenschaftler Im (1996: 20) merkt hierzu an:
[T]he determination of regional cleavages on electoral outcome[s] has been so
overwhelming that the elections could no longer be the arena [in which] other cleavages
are articulated, contested, represented and resolved. As a consequence, the representatives
would not represent the class, religious, and occupational interest nor general interest of
the nation, but only follow faithfully the order[s] of the boss who monopolistically
represents the specific region. Under the circumstance that votes [...] are predetermined
along the lines of regional cleavages, [...] it is very hard for politicians to appeal with
programs and visions other than regional interests which [are] personified in charismatic
leaders.
Bevor unten näher auf die Bedeutung des politisierten Regionalismus eingegangen wird, kann
an dieser Stelle bereits angemerkt werden, dass die politischen Parteien Koreas in ihren
Programmen und Plattformen nicht auf ihre de facto gegebene regionale Verankerung
eingehen, sondern jeweils für sich beanspruchen, die Interessen der gesamten Bevölkerung zu
vertreten.
Gesellschaftliche Verankerung qua Parteiorganisation?
Von ebenso begrenzter Bedeutung für die Anbindung der Bevölkerung wie Ideologien,
gesellschaftliche Scheidelinien und darauf fußende Parteiprogramme ist im südkoreanischen
Fall auch eine weitere denkbare Form der Anbindung, nämlich die qua Parteiorganisation.
Mehrmals wurde in diesem Artikel schon auf die hierarchische Binnenorganisation der
Parteien und die beschränkte Bedeutung von Parteimitgliedschaften hingewiesen.26 Ergänzen
lässt sich dies durch einen Blick auf die Parteienorganisation auf der lokalen Ebene. Auf dem
Papier sieht diese zumindest für die größeren Parteien recht beeindruckend aus. So stellt etwa
die Oppositionspartei GNP in ihrer Parteibroschüre ihre Organisation u.a. wie folgt dar:
The Grand National Party (Hannara Party) consists of the Central Party (Party Hq), 16 City
& Provincial Chapters and 253 district parties each of which has a secretariat. […] The city
& provincial convention consists of 150 to 300 representatives. It performs such functions
as electing representatives for the National convention, operating the committees of the
Central Committee, choosing the chairmen of city & provincial chapters, deliberating on
25
Zum yochon-yado-Phänomen (Regierung = Dörfer, Opposition = Städte) in den 50er und 60er Jahren siehe
auch Chulsu Kim (1973: 225-234), Pae (1986: 183) und Wonkyoo Lee (1995: passim).
26
Siehe hierzu auch exemplarisch die detaillierte Studie von Hyun-Chool Lee (1996) zur innerparteilichen
Demokratie in der 1990 gegründeten Regierungspartei DLP.
17
matters recommended by the district party, and submitting recommendations of every kind
to Central Party. […] The district convention consists of 100 to 150 representatives. It
performs such functions as choosing the chairmen of district chapters, electing
representatives for the National Convention, and submitting recommendations of every
kind to Central Party (GNP o.J.: 7).27
In der Realität sind jedoch viele lokale Parteiorganisationen wenig mehr als der persönliche
Apparat des jeweiligen Mandatsträgers oder Parlamentskandidaten, der von der Parteizentrale
als Wahlkreisleiter eingesetzt wird. Er sucht sich seine Mitarbeiter selbst aus, wobei primäre
Bindungen und informelle Netzwerke, die teilweise auch langfristig angelegt sind, oftmals
eine zentrale Rolle spielen. Wichtiger als die formalen Parteistrukturen auf der lokalen Ebene
sind für viele Politiker ihre persönlichen Unterstützergruppen (sajojik), die zur Sammlung von
Finanzmitteln, zur Stimmenmobilisierung und zur Pflege persönlicher Beziehungsnetzwerke
vor Ort dienen (siehe dazu Chon 1999: 76-77). Wonkyoo Lee (1995: 143, 144, 148)
kommentiert die fragile und personengebundene Parteienorganisation auf der lokalen Ebene
wie folgt:
Each district chapter chair develops his own organizational strength by recruiting cadres of
workers and soliciting campaign funds himself based on kinship, region or school. […]
The local party organization is just the District Chapter Chairman’s personal support
organization. […] Another indication that the Korean party infrastructure is organized
privately is that the list of party members is held by the district chapter chair privately, not
by the district chapter officially. […] Centralization of power at the national level and
absence of local autonomy go hand in hand with weak grass-roots party organization.
Weak grass-roots party organization, low membership levels, and private personal
organizations on the local level are closely related to the lack of continuity in party
organization and activities. Like American local party organizations, the Korean local
opposition party’s candidate’s headquarters are located in his business office or in his
attorney’s office. The office is often operated by one man in the local district chapter and
performs few functions.28
Während also die formalen Parteigliederungen auf der lokalen Ebene wenig mehr als eine
Hülle für die Aktivitäten einzelner Politiker darstellen, fungieren persönliche Netzwerke
informeller Art als Instrument zur gesellschaftlichen Anbindung. Allerdings weisen die
persönlichen Unterstützerorganisationen im südkoreanischen Fall nicht denselben Grad der
Institutionalisierung auf wie im benachbarten Japan, wo ihnen teilweise sogar zugesprochen
27
Zu den formalen Parteistrukturen der vier größeren südkoreanischen Parteien Mitte der 90er Jahre siehe YongHo Kim (1998: 146-150).
28
Zahlreiche Vorschläge zur Reform der regionalen und lokalen Gliederungen der Parteien liefert eine jüngere
Aufsatzsammlung des Zentralen Wahlaufsichtskomitees Koreas (Chungang Sôngôkwalli Wiwônhoe 1998).
18
wird, ein funktionales Äquivalent für formale Parteigliederungen auf der lokalen Ebene
darzustellen (siehe hierzu Köllner 1999b).
Die Bedeutung von Personalismus, Klientelismus und Regionalismus im Verhältnis von
Parteien und Wählern
Bevor wir kurz auf die Beziehungen zwischen Mandatsträgern und Wählern auf der lokalen
Ebene eingehen, soll zunächst kurz geklärt werden, ob angesichts der mangelnden oder
zumindest begrenzten gesellschaftlichen Verankerung der koreanischen Parteien qua
Ideologie/Programmen oder Parteiorganisation möglicherweise eine Anbindung der Bürger
im Rahmen von Personalismus auf charismatischer oder anderer Grundlage vorliegt. In
Anlehnung an Ansell und Fish (1999: 286) soll Personalismus hier im weitesten Sinne als
„Loyalität gegenüber Personen statt gegenüber unpersönlichen Ideologien, Institutionen und
Regeln“ verstanden werden. Dabei muss Personalismus nicht unbedingt auf dem
persönlichem Charisma des jeweiligen politischen Führers beruhen, sondern kann auch auf
seinen distributiven Fähigkeiten (Versorgungspatronage), seiner Rolle als Repräsentant eines
bestimmten Programms oder einer bestimmten Ideologie oder aber seiner Rolle als Makler
und Konfliktmanager innerhalb der Partei fußen (siehe ebd.: 288-289).
Mit Blick auf den südkoreanischen Fall haben zahlreiche Wissenschaftler immer
wieder die verbreitete Orientierung der koreanischen Gesellschaft an Personen statt an
abstrakten Prinzipien und Institutionen hervorgehoben. So betont beispielsweise Yong-Ho
Kim (1998: 163), dass
a dominant feature of South Korean political culture is the strong focus on the person and
the authority s/he represents, rather than the institution. Among Koreans there is a
tendency to attribute power and authority to individual leaders and not the institutions in
which those leaders serve. They seem to feel more comfortable with the idea of
personalized authority rather than with the idea of institutionalized power.
Ohne hier näher auf die Ursachen dieser politisch relevanten Orientierung der koreanischen
Gesellschaft einzugehen, kann festgehalten werden, dass diese Orientierung die deutliche
Tendenz der Wählerschaft, sich auf Personen statt auf Institutionen und Inhalte zu
konzentrieren, zumindest unterfüttert hat.29 Die schwache Institutionalisierung der Parteien
und ihre mangelnde Differenzierung untereinander, so lässt sich argumentieren, bestärkte
29
Zur herausgehobenen, aber angesichts des Regionalismus eben nicht primären Bedeutung des Kandidaten bei
der Stimmentscheidung der Wähler siehe etwa Chulsu Kim (1973: 223-224), Wonkyoo Lee (1995: Kapitel 14),
Shin (1999: 187-188).
19
diese Orientierung während der letzten Jahrzehnte. Zumindest gab es nur wenige Faktoren,
die dieser personenbezogenen Orientierung entgegenwirkten (siehe auch Wonkyoo Lee 1995:
308-309).
Dies klärt jedoch noch nicht, auf welcher Basis der anhaltende Personalismus als
Modus der Verbindung zwischen Wählern und Politikern im gegenwärtigen Korea steht. Hier
soll argumentiert werden, dass zwar auch das Charisma einzelner politischer Führer – man
denke an die ersten Phasen der Regierungen von Syngman Rhee und Park Chung-hee - oder
von Politikern auf der lokalen Ebene eine Rolle für deren Unterstützung bei den Wählern
spielen kann bzw. gespielt hat, dass aber insgesamt betrachtet dem distributionsorientierten
Personalismus eine größere Bedeutung zukommt. Mit anderen Worten hängt die persönliche
Bindung zwischen Wählern und Mandatsträgern eher davon ab, inwieweit der einzelne
Politiker in der Lager ist, seinen Wählern individuelle Dienstleistungen sowie materielle
Wohltaten individueller und kollektiver Natur (z.B. Infrastrukturprojekte) zukommen zu
lassen. Dies gilt insbesondere für ländliche Wahlbezirke.30 Diese Art der persönlichen
Anbindung stellt für die betreffenden Politiker – nicht zuletzt vor dem Hintergrund des
personenzentrierten Wahlsystems - eine rationale Strategie zur Sicherung der Wiederwahl dar,
wie sie auch in anderen Ländern anzufinden ist.
Noch überlagert werden die eng miteinander verbundenen Elemente Personalismus
und Klientelismus im Verhältnis zwischen Wählern und Politikern von einem dritten Element;
dem Regionalismus. Wie bereits angeklungen, ist spätestens seit der politischen
Liberalisierung Koreas Mitte/Ende der 80er Jahre die Instrumentalisierung regionaler
Sentimente zum wichtigsten Faktor bei Wahlentscheidungen, egal ob für das Parlament oder
das Präsidentenamt, geworden. Während regionale Konfliktlinien in Korea sehr weit in die
Geschichte zurückreichen, lässt sich ihre erstmalige wahlpolitische Nutzung größeren
Maßstabs auf die Präsidentschaftswahlen 1971 zurückverfolgen, als sich der im Südosten des
Landes geborene Staatspräsident Park Chung-hee und der aus dem Südwesten stammende
Oppositionskandidat Kim Dae-jung gegenüberstanden. Verstärkt wurde die Kluft zwischen
den beiden Landesteilen durch die einseitige industrielle Förderung des Südostens, während
der Südwesten in dieser Hinsicht vernachlässigt wurde. Auch konzentrierte sich während der
Herrschaft von Park und seiner Nachfolger Chun und Roh die Elitenrekrutierung auf den
Osten Südkoreas, was ebenso Ressentiments schürte wie die Niederschlagung des
30
An dieser Stelle kann nicht näher auf die parochiale Art der Wahlkreisbetreuung in Südkorea eingegangen
werden. Siehe hierzu Chong Lim Kim et al. (1984: Kapitel 8) und Köllner (1999: 70-74) sowie die dort zitierte
Literatur. Bis Anfang der 90er Jahre spielte für die Regierungspartei auch die Instrumentalisierung der
Bürokratie auf zentraler und lokaler Ebene eine zentrale Rolle für Stimmenmobilisierung. Siehe hierzu Chon
(1999: 73-76).
20
Volksaufstandes von Kwangju im Südwesten Koreas nach dem erneuten Militärputsch 1979.
Angemerkt werden muss dabei, dass der politisierte Regionalismus niemals ernsthaft die
Stabilität des Landes oder die nationale Identität bedroht hat.
Ermöglicht wurde dieser Regionalismus durch die Tatsache, dass einige der
wichtigsten politischen Führer Südkoreas seit den 60er Jahren aus unterschiedlichen Regionen
stammen. Dies gilt für die drei ehemaligen Staatspräsidenten Park, Chun und Roh aus dem
Osten genauso wie für Kim Dae-jung als Repräsentant des Südwestens und ExMinisterpräsident Kim Jong-pil als Repräsentant der zentralen Ch’ungch’ông-Region.
Angesichts der schwachen Institutionalisierung der Parteien, ihrer begrenzten ideologischprogrammatischen Differenzen und dem Verschwinden der alten Scheidelinien Stadt-Land
und Demokratisierung ist der Regionalismus als zentrale „Ersatzgröße“ für die
Stimmentscheidung entdeckt und genutzt worden, derer sich alle größeren Parteien trotz
gegenteiliger Beteuerungen bedient haben.31
5 Fazit und Schlussfolgerungen: Auswirkungen informeller Modi der gesellschaftlichen
Anbindung südkoreanischer Parteien
Südkoreas politisches System ist mit dem Dilemma konfrontiert, dass den fluiden,
personalisierten und machtpolitisch instrumentalisierten Parteien nur wenig Vertrauen
entgegen gebracht wird, dass andererseits die Bürger aber offenbar auch nicht bereit sind,
Alternativen in Form neuer Parteien zu akzeptieren oder aber zu versuchen, die bestehenden
Parteien von innen her zu verändern. Während in Umfragen des Öfteren der Wunsch nach
zwei großen programmorientierten Parteien geäußert wird, sind keinerlei Tendenzen sichtbar,
die tatsächlich auf eine derartige Entwicklung hindeuten. Es kann zumindest vermutet
werden, dass der Wunsch nach zwei großen Parteien zu einem guten Teil einer idealisierten
Sichtweise der Parteiensysteme in etablierten Demokratien wie den USA oder Großbritannien
entspringt.
Bislang jedenfalls zeichnen sich die südkoreanischen Parteien durch nur beschränkte
ideologische und programmatische Differenzen aus. Während einige alte Scheidelinien, auf
die sich die Parteien bis in die späten 80er Jahre stützen konnten, verschwunden sind, sind
außer den politisch instrumentalisierten regionalen Zugehörigkeiten, die seither noch stärkere
31
Die Literatur zur Bedeutung des Regionalismus für Wahlen in Südkorea ist zu groß, um sie hier auch nur
annähernd angeben zu können. Umfassendere Analysen liefern Wonkyoo Lee (1995: Kapitel 13, 15) und
Dormels (1999).
21
Bedeutung erlangt haben, kaum andere klare Scheidelinien erkennbar.32 Es bleibt abzuwarten,
ob das emotional und ideologisch aufgeladene Thema der Politik gegenüber dem
kommunistischen Norden der Halbinsel längerfristig zu einer stärkeren inhaltlichen
Differenzierung der Parteien beitragen wird.
Eine Anbindung der Bürger über partizipationsorientierte Mitgliedschaften in
politischen Parteien existiert in Südkorea nicht; vielmehr stellen die Parteien weiterhin eher
elitäre Vereinigungen einzelner Politiker mit dem Ziel der Stimmenmobilisierung bei Wahlen
dar. Von einer umfassenden gesellschaftlichen Verankerung der Parteien kann jedenfalls nicht
die Rede sein. Die Anbindung der Bürger erfolgt primär über informelle Beziehungssysteme
und Erscheinungsformen der Politik, die sich in Regionalismus, Personalismus und
Klientelismus manifestieren. Aus Sicht zumindest eines Teils der Wählerschaft können
derartige partikularistische Bindungen an Mandatsträger durchaus rational sein. Und auch aus
Sicht der Politiker stellen regionalistische Appelle, klientelistische Leistungen und der
Unterhalt persönlicher Unterstützergruppen rationale Aktivitäten dar, die dazu beitragen, bei
Wahlen die notwendigen Stimmen zu mobilisieren und die damit verbundene formale
Legitimation zu erhalten.
Was mit Hilfe dieser informellen Modi der gesellschaftlichen Anbindung jedoch nicht
erreicht werden kann, ist ein umfassenderes Repräsentationsverhältnis, das eben auch
inhaltliche Responsivität, d.h. Offenheit gegenüber übergreifenden gesellschaftlichen
Forderungen,
voraussetzt.
Repräsentation,
die
sich
auf
allokative
und
Dienstleistungsresponsivität im Sinne von materiellen und immateriellen Zuwendungen
individueller und kollektiver Art beschränkt, läuft Gefahr, im Prozess der gesellschaftlichen
und wirtschaftlichen Entwicklung zu einer wachsenden Entfremdung der Bevölkerung von
ihren politischen Repräsentanten zu führen.33 In Korea offenbart sich diese Entfremdung nicht
nur immer wieder bei Befragungen der Bevölkerung, sondern, so die These, auch im Rahmen
einer zurückgehenden Beteiligung an Parlamentswahlen. Angesichts der weiterhin latent
gegebenen autoritären Orientierung in der Bevölkerung birgt eine solche Entfremdung, zumal
in Krisenzeiten (Stichwort: Vereinigung) Gefahren für die noch junge Demokratie.
32
Dies könnte sich im Fall einer Vereinigung der beiden Koreas ändern. Denkbar wäre in diesem Fall aber auch,
dass lediglich neue regionale Scheidelinien entstehen.
33
Die jüngst noch einmal von Kitschelt (2000: 851) vorgetragene These, dass klientelistische Verbindungen
zwischen Parteien und Bevölkerung auch zu einer gewissen Responsivität führen und hierdurch Schwächen der
staatlichen Absicherung (grob: Klientelismus als funktionales Äquivalent zum Wohlfahrtsstaat) kompensiert
werden, findet im Fall des gegenwärtigen Korea angesichts des heute erreichten Entwicklungsstandes keine
Bestätigung (mehr). Zu den verschiedenen Dimension politischer Responsivitiät siehe allgemein Eulau und Karp
(1978: 55-71).
22
Ein umfassendes Repräsentationsverhältnis würde die Wahrnehmung zentraler und
bisher vernachlässigter öffentlicher Funktionen voraussetzen. Solange jedoch eine
Orientierung an Personen und regionalen Sentimenten und nicht Programmen und
inhaltlichen Aussagen im Mittelpunkt der gesellschaftlichen Anbindung steht, können auch
nicht die Funktionen der Interessenartikulation und –aggregation wirkungsvoll ausgefüllt
werden. Diese Problematik wird unterfüttert von der nur schwach entwickelten Autonomie
des Parlamentes gegenüber dem Staatspräsidenten und der Führung der hierarchisch
organisierten Parteien (vgl. Köllner 2000). Zudem ist es in einer Situation, in der
Personalismus, Klientelismus und Regionalismus maßgeblich für die Stimmabgabe sind,
schwer möglich, eine Ablegung inhaltlicher Rechenschaft vonseiten der Parteien zu erwirken.
Und solange die formalen Parteistrukturen wenig mehr als eine Hülse für Machtspiele
einzelner Politiker darstellen, kann auch die Aufgabe der politischen Rekrutierung nicht
überzeugend erfüllt werden. In jedem Fall bleibt die Transparenz innerparteilicher
Entscheidungsprozesse, auch personeller Art, und damit die substantielle Legitimation der
politischen Parteien auf der Strecke.
Der Personalismus in den koreanischen Parteien, d.h. deren existentielle Verbindung
mit einzelnen Politikern, einerseits und die zentrale Rolle informeller Modi der
gesellschaftlichen
Anbindung
der
Parteien
andererseits
haben
bisher
einer
Institutionalisierung der Parteien im Sinne der Gewinnung von Anpassungsfähigkeit,
Komplexität, Autonomie und Kohärenz entgegengewirkt.34 Auch von einer „informellen
Institutionalisierung“ der Parteien im Sinne der Existenz und Dauerhaftigkeit stabiler
informeller organisatorischer und institutioneller Grundlagen und ihrer Anerkennung und
Akzeptanz durch die relevanten politischen Akteure, einschließlich der Wähler, kann im
koreanischen Fall kaum die Rede sein.35 Insgesamt erscheint die Rolle der Parteien in der
südkoreanischen Demokratie ambivalent: Während auf der staatlichen Ebene die Flexibilität,
die moderate Fragmentierung und die geringe Polarisierung des Parteiensystems
Regierungsbildungen erleichtern und damit tendenziell zu einer Erhöhung der Regierbarkeit
beitragen, bedeuten auf der gesellschaftlichen Ebene die schwache Institutionalisierung der
Parteien geringe Partizipationsmöglichkeiten der Bürger in den Parteien, ein geringe
Responsivität und insgesamt eine geringe gesellschaftliche Verankerung der Parteien.
Allgemein kann nicht von einer genuinen demokratischen Konsolidierung die Rede
sein,
34
solange
eine
durch
informelle
Beziehungssysteme
und
Erscheinungsformen
Zum Konzept der Institutionalisierung (nicht nur) politischer Parteien siehe Huntington (1968: 12). Für einen
Versuch der Anwendung auf den koreanischen Fall siehe Stockton (2001: 106-110).
35
Zum Begriff der informellen Institutionalisierung siehe O’Donnell (1997: 42).
23
gekennzeichnete Parteienwirklichkeit den Anforderungen und dem Geist der formalen
Verfassung und Gesetzesordnung widerspricht, solange formale Parteistrukturen wenig mehr
darstellen als eine leere Hülle für Machtkämpfe und solange ein umfassend definierter
Repräsentationsanspruch der Parteien nur auf dem Papier besteht. Aus dieser Perspektive
betrachtet, stellen die mangelnde Institutionalisierung und gesellschaftliche Verankerung der
politischen Parteien Südkoreas in der Tat ein deutliches Hindernis für den Prozess der
demokratischen Konsolidierung in dem ostasiatischen Land dar.
24
Literaturverzeichnis
Ansell, Christopher K. und M. Steven Fish (1999), „The Art of Being Indispensable.
Noncharismatic Personalism in Contemporary Political Parties“, in: Comparative Political
Studies 32, 3, S.283-312
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AP (April 2002)
- Die gesellschaftliche Verankerung politischer Parteien in Südkorea Patrick Köllner
Verantwortlich für den Inhalt: Prof. Dr. Joachim Betz
ISSN 1619-1161
Die Arbeitspapiere informieren über die Fortschritte in den einzelnen Forschungsgruppen des Deutschen Übersee-Instituts. Sie stellen also Werkstattberichte dar, die zur Diskussion und Kritik anregen wollen.
Zuletzt erschienen:
AP (11/2001)
AP (3/2001)
AP (3/2001)
AP (2/2001)
Die Sahel- und Sahara-Staatengemeinschaft (SinSad): Instrument der wirtschaftlichen
Entwicklung, Konfliktvermittlung und regionalen Interessensicherung
Hanspeter Mattes
Gewaltsame Konflikte in Nordafrika / Nahost: analytische Defizite, schwierige Früherkennung
und limitierte Interventionsmöglichkeiten
Sigrid Faath / Hanspeter Mattes
Faktionalismus in japanischen Parteien: Eine Annäherung aus konzeptioneller und komparativer Perspektive
Patrick Köllner
Globalization: News media, images of nations and the flow of international capital with special
reference to the role of rating agencies
Michael Kunczik
Generell wird die Forschungsarbeit des Deutschen Übersee-Instituts, soweit sinnvoll und möglich, zu Forschungsschwerpunkten verdichtet. Dabei stehen Aktualität, regionale und überregionale Relevanz und Forschungsbreite grundsätzlich vor langfristigen und theoretisch abstrahierenden Spezial- und Generalanalysen.
Aktuell existieren folgende Forschungsgruppen:
1.
2.
3.
4.
5.
Globalisierung, soziale Entwicklung und der Gesundheitssektor: nationale Politiken und "Global Governance"
Parteien im Spannungsfeld informaler und informeller Politik
Internationale Medien und politische Kommunikation
Krisenprävention und peace-building
Neuer Regionalismus
Nähere Informationen über die Forschungsarbeit des Deutschen Übersee-Instituts
erhalten Sie in unserem Online-Angebot.
Dort sind die Arbeitspapiere vollständig online gestellt und können kostenfrei als
Printausgabe ebenso bestellt werden wie alle anderen entgeltlichen Publikationen
des Forschungsverbundes.
Der Verbund Deutsches Übersee-Institut betreibt anwendungsorientierte Forschung, Beratung und Dokumentation auf dem Gebiet der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen in den Ländern
Afrikas, Asiens, Lateinamerikas und des Nahen und Mittleren Ostens sowie der Nord-Süd- und Süd-SüdBeziehungen.
Das DÜI umfasst das Institut für Afrika-Kunde, Institut für Asienkunde, Institut für Iberoamerika-Kunde, Deutsches Orient-Institut, Institut für Allgemeine Überseeforschung sowie die Übersee-Dokumentation.
DEUTSCHES ÜBERSEE-INSTITUT
Neuer Jungfernstieg 21 · 20354 Hamburg
Telefon +49 (0)40 42825-593 · Fax +49 (0)40 42825-547 · Email: [email protected]
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