Das Problem der Zeit in Hegels Jenaer Naturphilosophie und

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Das Problem der Zeit in Hegels Jenaer Naturphilosophie
und Philosophie des Geistes (1803-1806)
Inauguraldissertation zur Erlangung des akademischen Grades
eines Doktors der Philosophie
der Fakultät für Philosophie und Erziehungswissenschaft
der Ruhr-Universität Bochum
Von
Yue YU, Master Philosophie
geboren am 20. 09. 1980
in Sichuan, China
Bochum 2014
Dekan: Prof. Dr. Joachim Wirth
Gutachter:
1. Prof. Dr. Birgit Sandkaulen (Ruhr-Universität Bochum)
2. Prof. Dr. Walter Jaeschke (Ruhr-Universität Bochum)
Tag der mündlichen Prüfung: 01.07.2014
Inhaltsverzeichnis
Vorwort ........................................................................................................................................................................ 1
Einleitung .................................................................................................................................................................... 3
Erster Teil................................................................................................................................................................... 14
Die Entstehung und Entwicklung der Frage nach der Zeit in Hegels Philosophie der Natur im Ausgang von
Schelling .................................................................................................................................................................... 14
Kapitel 1 ................................................................................................................................................................ 19
Schellings Natur- und Identitätsphilosophie in der Auseinandersetzung mit Hegel .............................................. 19
1.1 Schellings naturphilosophische Konzepte von 1797 und 1799 im Hinblick auf ihre Bedeutung für Hegel 19
1.1.1 Schellings naturphilosophische Konzepte von 1797 und 1799............................................................. 19
1.1.2 Zur Bedeutung der beiden naturphilosophischen Konzeptionen Schellings für den Jenaer Hegel....... 23
1.2 Die Aporie in der Identitätsphilosophie Schellings und ihre Bedeutung für Hegel ..................................... 33
1.2.1 Die Aporie in der Identitätsphilosophie Schellings .............................................................................. 33
1.2.2 Die Bedeutung von Schellings Identitätsphilosophie für den Jenaer Hegel ......................................... 38
Kapitel 2 ................................................................................................................................................................ 43
Die Einheit von Kraft, Zeit, Raum, Bewegung und Materie hinsichtlich der Frage nach der Wirklichkeit der
Natur beim Jenaer Schelling .................................................................................................................................. 43
2.1 Zur Einheit von Kraft, Zeit, Raum, Bewegung und Materie in der Jenaer Naturphilosophie Schellings im
Vergleich zu Kant und Fichte............................................................................................................................. 43
2.1.1 Zur Einheit von Kraft und Materie bei Schelling im Vergleich zu Fichte ............................................ 43
2.1.2 Eine weitere Darstellung der Einheit von Kraft, Zeit, Raum, Bewegung und Materie bei Schelling im
Vergleich zu Kant .......................................................................................................................................... 52
2.2 Schellings Theorie der Zeit von 1797 als Einheit von Kraft, Zeit, Raum, Bewegung und Materie ............ 61
2.3 Schellings Theorie der Zeit in seinen Entwürfen ab 1799 ........................................................................... 64
2.3.1 Schellings Zeittheorie ab 1799 in der Einheit von Kraft, Zeit, Raum, Bewegung und Materie ........... 64
2.3.2 Das Problem der Zeittheorie Schellings im Entwurf von 1799 ............................................................ 69
Kapitel 3 ................................................................................................................................................................ 72
Die Einheit von Kraft, Zeit, Raum, Bewegung und Materie hinsichtlich der Frage nach der Wirklichkeit der
Natur beim Jenaer Hegel ....................................................................................................................................... 72
3.1 Überblick über die Bedeutung der Einheit von Zeit, Raum, Bewegung und Materie für die Philosophie des
Jenaer Hegel im Vergleich zu Schelling ............................................................................................................ 72
3.2 Hegels Darstellung der Einheit von Kraft, Zeit, Raum, Bewegung und Materie (1801) ............................. 75
3.3 Hegels Darstellung der Einheit von Kraft, Zeit, Raum, Bewegung und Materie (1804/05) ........................ 80
3.3.1 Die Natur als das Andere des Geistes: Der Grund der Zeittheorie Hegels von 1804/05 ...................... 81
3.3.2 Zeit und Äther: Die Zeittheorie am Anfang der Naturphilosophie von1804/05 ................................... 84
3.3.3 Die Zeittheorie Hegels 1804/05 in der erscheinenden und realisierten Bewegung ............................ 100
3.3.4 Die Zeittheorie Hegels 1804/05 im Teil Mechanik ............................................................................. 105
3.3.5 Die Zeittheorie Hegels 1804/05 im Prozess der Materie und in der Physik ........................................112
Kapitel 4 ...............................................................................................................................................................117
Hegels Darstellung der Einheit von Kraft, Zeit, Raum, Bewegung und Materie von 1805/06 ............................117
4.1 Die Zeittheorie Hegels 1805/06 am Anfang der Realphilosophie ..............................................................117
4.2 Hegels Zeittheorie von 1805/06 in den Teilen Gestaltung und Chemismus .............................................. 136
4.3 Die Zeit der lebendigen Natur: der neue Teil der Hegelschen Zeittheorie 1805/06................................... 142
Kapitel 5 .............................................................................................................................................................. 155
Die Zeit aus dem Unendlichen und die Zeit fürs Unendliche. Schellings Jenaer Identitätsphilosophie versus
Hegels Jenaer Entwürfe ....................................................................................................................................... 155
5.1 Die Zeit aus dem Unendlichen in Schellings Jenaer Identitätsphilosophie ............................................... 156
5.2 Die Zeit fürs Unendliche in Hegels Jenaer Philosophie ............................................................................ 161
Zweiter Teil .............................................................................................................................................................. 167
Die Tilgung der Zeit in der Philosophie des Geistes 1803/04 und 1805/06 ............................................................ 167
Kapitel 6 .............................................................................................................................................................. 168
Der Anfang der Zeittilgung am Anfang der Philosophie des Geistes .................................................................. 168
6.1 Der Anfang der Zeittilgung im Verhältnis von Bild und Ding am Anfang der Philosophie des Geistes ... 168
6.1.1 Die Funktion der Zeit im menschlichen Bewusstsein im Vergleich mit der Zeittheorie Fichtes von
1794/95 ........................................................................................................................................................ 169
6.1.2 Die Funktion der Zeit in der Erinnerung des tierischen Menschen .................................................... 181
6.2 Das Problem der Realität im innerlichen Zeichen und die weitere Darstellung der Tilgung der Zeit ....... 189
6.2.1 Die Ähnlichkeit der Kritik von Jacobi und Hegel am bloß subjektiv-innerlichen Zeichen ................ 190
6.2.2 Der Unterschied zwischen Jacobi und Hegel in der Überwindungsweise des Nihilismus des leeren
Zeichens ....................................................................................................................................................... 193
Kapitel 7 .............................................................................................................................................................. 199
Die vollkommene Tilgung der Zeit in der Sprache.............................................................................................. 199
7.1 Das Erwachen des Geistes und die Tilgung der Zeit in der Sprachphilosophie Hegels 1805/06............... 200
7.2 Die Darstellung der vollkommenen Tilgung der Zeit in der Sprachphilosophie Hegels 1803/04 ............. 209
7.3 Das Wiederauftauchen des Nihilismus in Hegels Zeittheorie nach der Tilgung der Zeit .......................... 217
7.3.1 Das Wiederauftauchen des Nihilismus nach der Tilgung der Zeit ...................................................... 218
7.3.2 Die Tilgung der Zeit und das Grundproblem der Zeittheorie Hegels ................................................. 222
Fazit ......................................................................................................................................................................... 231
Literaturverzeichnis ................................................................................................................................................. 238
Vorwort
„Aber wie beim Kinde nach langer stiller Ernährung der erste Atemzug jene Allmählichkeit des nur
vermehrenden Fortgangs abbricht – ein qualitativer Sprung – und itzt das Kind geboren ist, so reift der
sich bildende Geist langsam und stille der neuen Gestalt entgegen“. Diesen Satz schreibt Hegel vor
über zweihundert Jahren in der Vorrede der Phänomenologie des Geistes und er berührt mich gerade
zutiefst nach den sieben Jahren Aufenthalt in einem mir schon nicht mehr recht fremden Land,
Deutschland, wo der klassische Geist sich in der Gegenwart weiterhin bildet und der neuen Gestalt
immer noch entgegen reift. Heimlich und leise verbrachte ich hier diese lange Zeit in meinem Leben –
auf eine von mir zuvor nie geplante, aber doch hochgradig spannende Art –, und bemerke sie und
erinnere mich an sie erst jetzt, als meine Arbeit fertig vorliegt, wenn sie also quasi plötzlich aus dem
„nur vermehrenden Fortgang“ herausspringt. Sie ist für mich der erste Atemzug, der beeindruckend
frisch, jedoch im Nachdenken mühsam zu sein scheint.
Ohne die dauerhafte Unterstützung, die ausführlichen Ratschläge und die kritischen Rückfragen von
meiner Betreuerin, Frau Prof. Birgit Sandkaulen, hätte ich diese Arbeit weder beginnen noch
vollenden können, und daher sei ihr hier von Herzen gedankt. Sie war stets freigiebig mit ihrem
reichen Wissen und scheute dabei keine Mühen, dem Unverständlichen detaillierte Korrekturen zu
geben. Ihr gilt mein besonderer Dank auch für all die unzähligen Diskussionen, die wir in Jena und
Bochum führten und mein Denken entscheidend bereicherten und formten, und – nicht zuletzt – für
ihre Ermutigung und alle ihre tatkräftige Hilfe, ohne die ich die zahlreichen Probleme beim
Anpassungsprozess nicht hätte überwinden können. Herrn Prof. Walter Jaeschke danke ich für seine
Bereitschaft, als Zweitgutachter mein Dissertationsverfahren zu unterstützen, und für die zahlreichen
Inspirationen, die ich aus seinen Werken empfangen habe.
Herr Dr. Oliver Koch hat es übernommen, die ganze Arbeit kritisch zu lesen, zu überprüfen und zu
korrigieren, wofür ich ihm zutiefst dankbar bin. Seine Hinweise halfen mir, durch Dunst und Nebel in
der letzten Phase meiner Promotion hindurch zu gehen. Frau Dr. Britta Caspars und Herrn Tim
Rohmann danke ich für ihre Hilfe beim Korrekturlesen.
Einen herzlichen und aufrichtigen Dank schulde ich Christoph Lösche, nicht nur für die erste
sprachliche Korrektur, sondern auch für alle seine nie nachlassende Unterstützung und Anregung,
1
ohne die mir mein Leben in Deutschland schwergefallen wäre und mein Projekt nicht hätte bewältigt
werden können.
Schließlich gilt mein größter Dank meinen Eltern. Ohne ihre bedingungslose Unterstützung hätte es
für mich weder die Möglichkeit noch die Wirklichkeit gegeben, in Deutschland zu promovieren und
meinem eigenen akademischen Interesse zu folgen. Sie sind beide nicht mehr jung, setzten sich aber
trotzdem sehr für mein Leben in Deutschland ein. Ich widme ihnen dieses Buch und hoffe sehr, dass
sie einst erkennen werden, dass sich der Kampf und die Mühe gelohnt haben.
Bochum, im Dezember 2013
Yue Yu
2
Einleitung
Die vorliegende Studie untersucht die Genealogie der Zeitkonzeption Hegels in der Jenaer
Naturphilosophie von 1804/05 und 1805/06 sowie in der Jenaer Philosophie des Geistes von 1803/04
und 1805/06.
Viele Jahrzehnte lang wurde das Problem der Zeit in der Hegel-Literatur zwar diskutiert, aber
niemals im Sinne eines zentralen Problems. Bezeichnend dafür ist das Plädoyer von Th. Haering: „Es
ist falsch, einfach die Zeit irgendwie und -wo als ‚das Grundproblem Hegels‘ hinzustellen. Sowohl
historisch wie sachlich.“1 Dies änderte sich erst mit Heidegger. Unter Heideggers großem Einfluss
wuchs vor allem das Interesse an Hegels Lehre von der Weltgeschichte, so z.B. in den Forschungen
von K. Schilling-Wollny, H. Trivers, A. Koyré, O. D. Brauer und T. Kaschima.2 Zugleich blieben
Heideggers eigene und die durch ihn angestoßenen Beiträge zur Hegelforschung aber nicht
unwidersprochen. So versucht bspw. O. D. Brauer, in Dialektik der Zeit den Nachweis zu erbringen,
dass Heidegger Hegels wissenschaftliches System nicht wirklich verstanden habe.3 Heidegger habe
daher auch das „Jetzt“ fälschlicherweise als den Kernbegriff von Hegels Zeittheorie aufgefasst.
Entgegen dieser Interpretation sei es vielmehr die dialektische Einheit von Gegenwart, Zukunft und
Vergangenheit im Begriff des „Werdens“, die der Hegelschen Zeitkonzeption ihr charakteristisches
Gepräge verleihe. 4 Brauer rekonstruiert Hegels Zeitkonzeption hierarchisch, indem er die
quantitative, natürliche Zeitlinie der geistigen Einheit der Zeit unterordnet. Diese sei zugleich das
immanente Ziel der Natur selbst.5 So werden zwar die Unterschiede der Zeit der Natur und der Zeit
des Begriffs beleuchtet, der Bezug zur Realphilosophie jedoch gerät völlig außer Acht, obwohl er für
die Jenaer Systementwürfe von zentraler Bedeutung ist. Der Einfluss der Heideggerschen
1
Th. Haering, Hegel. Sein Wollen und sein Werk, Bd.2, Leipzig/Berlin 1938, S.277 Anm.
Siehe etwa K. Schilling-Wollny: Hegels Wissenschaft der Wirklichkeit und ihre Quellen, Bd.1, München; H. Trivers:
Heidegger`s Misinterpretation of Hegel`s View on Spirit and Time, in: Philosophy and phenomenological Research 3
(1942), S.162-168; A. Koyré: Hegel à Iéna, in: Ders.: Études d`histoire de la pensée philosophique, Paris 1961,
S.135-173; O. Daniel Brauer: Dialektik der Zeit, Stuttgart problemata frommann-holzboog 1982, S.105ff.; T. Kaschima:
Die Konkrete Gegenwart, Inaugural-Dissertation, Tübingen 1991. Für einzelne Themen zu nennen sind außerdem: D.
Wandscheider, Raum, Zeit, Relativität. Grundbestimmung der Physik in der Perspektive der Hegelschen
Naturphilosophie, Klostermann, Frankfurt am Main 1982; F.-P. Krollmann, Die Theorie eines Holistischen Idealismus.
Henologische Geistmetaphysik und noetische Naturphilosophie im Anschluß an Plotin und Hegel, Verlag die blaue Eule,
Essen 2000; B. Lakebrink, Hegels dialektische Ontologie und die thomistische Analektik, A. Henn Verlag, Ratingen 1968,
S.347-364.
3
Vgl. O. D. Brauer, Dialektik der Zeit, problemata frommann-holzboog, Stuttgart 1982, S.135-144.
4
Vgl. ebd., S.144.
5
Ebd., S.153ff.
2
3
„Eschatologie“ auf die Hegelforschung zeigt sich auch in P. Trawnys Studie Die Zeit der
Dreieinigkeit, in der deutlich wird, dass die Eschatologie nichts anderes sei als der letzte Hymnus der
Philosophie für Gott.6 Die Zeit erscheint hier in der immanenten Differenzierung der göttlichen
Ewigkeit. Der Triade der Zeit entspricht die theologische Trinität.7 In dieser Darstellung geht es
einzig um die göttliche Zeit, nicht aber um die Zeit des Endlichen. Diese bleibt vollkommen
ausgeblendet, obwohl sie für den Jenaer Hegel von größter Bedeutung ist. Die vorliegende
Darstellung folgt auch keiner der Haupttendenzen der jüngeren Hegelforschung, die offenkundig
keine solch erstaunliche These wie diejenige Trawnys vertreten. Eine weitere Dimension der
Zeitfrage hat A. Luckner in seinem Buch Genealogie der Zeit dargestellt. Die Struktur der
Zeittheorie Hegels ist bei ihm nichts anderes als die doppelte Struktur von continens und contentum
bzw. von genitivus subjectivus und genitivus objectivus. 8 Dieses Schema gibt jedoch keine
überzeugende Antwort auf die Frage, wie der Bruch zwischen der urzeitigen Geist-Essenz und der
natürlichen (mechanischen) Zeit-Existenz bei Hegel nachvollzogen werden kann. Darüber hinaus
beschränkt Luckner seine Untersuchung auf die Phänomenologie des Geistes.
Die genannten Forschungen berühren die vorliegende Studie jedoch nur am Rande oder indirekt,
insofern sie zu allgemein bleiben oder sich im Hinblick auf Hegels Schriften zu stark beschränken
(z.B. nur auf das Jahr 1807 und die Phänomenologie des Geistes). Einzig W. Grießers Untersuchung
Geist zu seiner Zeit. Mit Hegel die Zeit denken behandelt wenigstens teilweise die Zeitproblematik in
Hegels Jenaer Zeit. Grießer konzentriert sich jedoch allein auf die Anfänge von Hegels
Realphilosophien von 1804/05 und 1805/06, ohne die dynamische Bewegung der Entstehung und
Entwicklung von Hegels Zeitkonzeption zu berücksichtigen.
Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass die Erforschung der Entwicklung der Zeittheorie in
Hegels Jenaer Philosophie ein Desiderat darstellt. Diese Forschungslücke soll mit der vorliegenden
Studie geschlossen werden. Ihre zentrale These ist dabei in dem Maße durch die Forschungsbeiträge
Birgit Sandkaulens auf dem Feld der klassischen deutschen Philosophie inspiriert, wie sie im
Rahmen ihrer Arbeiten zu F. H. Jacobi gezeigt hat, dass dessen Kritik der Systemphilosophie sich am
Problem der Zeitlichkeit des Endlichen entzündet. Dies gilt m.E. auch für Hegel, so dass die
6
Vgl. P. Trawny, Die Zeit der Dreieinigkeit, Untersuchungen zur Trinität bei Hegel und Schelling, Verlag Königshausen
& Neumann GmbH, Würzburg 2002, S.7f.
7
Vgl. ebd., S.55ff.
8
A. Luckner, Genealogie der Zeit, Zu Herkunft und Umfang eines Rätsel. Dargestellt an Hegels Phänomenologie des
Geistes, Akademie Verlag, Berlin 1994, S.9.
4
Entwicklung des Hegelschen Systems im besagten Zeitraum hinsichtlich der Zeitkonzeption als eine
Geschichte der Verewigung der Zeit gelesen werden kann.
Im Hinblick auf das methodische Vorgehen liegt der Arbeit die Überzeugung zugrunde, dass es
einer Analyse von Hegels Auseinandersetzung mit seinen Zeitgenossen – d.h. Schelling und Herder,
aber auch Kant, Jacobi und Fichte – bedarf, um die historische und systematische Entwicklung der
Hegelschen Zeitkonzeption in seiner Jenaer Naturphilosophie und Philosophie des Geistes
differenziert und nuanciert darzustellen. Denn nur auf diese Weise kann gezeigt werden, dass das
Problem der Zeit als Frage nach der Zeitlichkeit des Endlichen beim Jenaer Hegel nicht plötzlich und
unvermittelt aufbricht, sondern Konsequenz einer strengen begrifflichen Auseinandersetzung mit
philosophischen Positionen seiner Zeitgenossen ist.
Die vorliegende Arbeit gliedert sich in zwei Teile: Zunächst soll in den Kapiteln 1-5 untersucht
werden, wie Hegel in der Naturphilosophie das Problem der Zeitlichkeit des Endlichen Schritt für
Schritt in den Fokus seiner Überlegungen rückt. Hier geht es v.a. darum, die Bedeutung des
Zeitlich-Endlichen in Hegels Naturphilosophie über eine Abgrenzung zum Zeitlich-Endlichen in
Schellings Natur- bzw. Identitätsphilosophie herauszuarbeiten. Die Kapitel 6 und 7 analysieren dann,
wieso die Zeitlichkeit des Endlichen am Anfang der Philosophie des Geistes von 1805/06 getilgt
werden muss. Dass diese beiden Zusammenhänge, d.h. die Frage nach dem natürlich-zeitlichen
Endlichen und die nach der Tilgung der Zeit, historisch und systematisch gesehen überhaupt relevant
sind, ergibt sich kurz aus Folgendem:
Es ist bekannt, dass der Begriff der Zeit und des Zeitlich-Endlichen einer der zentralen Begriffe in
der klassischen deutschen Philosophie ist. Weniger bekannt ist aber, dass Hegel sich für dieses
Thema nicht von Anfang an interessiert. Während Hegels Aufmerksamkeit zwischen 1800 und 1802
fast ausschließlich auf die Ewigkeit des Unendlichen gerichtet ist, 9 stellt der erste Jenaer
Systementwurf von 1803/04 erstmals die Frage nach der Zeitlichkeit des Endlichen, die bis 1807 für
Hegel ein zentrales Problem bleibt. Die Notwendigkeit der Frage nach dem natürlich-zeitlichen
Endlichen ergibt sich also daraus, dass die o.g. Veränderung in Hegels Gedanken von 1802 bis 1807
9
Vgl. dazu M. Baum, Zur Vorgeschichte des Hegelschen Unendlichkeitsbegriffs, in: Hegel-Studien, Bd. 11, Bonn 1976,
und Klaus Düsing, Spekulation und Reflexion. Zur Zusammenarbeit von Schelling und Hegel in Jena, in: Hegel-Studien,
Bd. 5, Bonn 1969, S.89-124.
5
erst durch die Hervorhebung des systematischen Sinns des Zeitlich-Endlichen nachvollzogen werden
kann. Dafür spielt Jacobi eine entscheidende Rolle.
1. Vor 1803/04 schenkt Hegel der von Jacobi provozierten Frage nach dem Zeitlich-Endlichen keine
Beachtung. Im Gegenteil macht es Hegel im Rahmen seiner Kritik der „reflexiven Philosophie“ von
1802 Jacobi gerade zum Vorwurf, das Zeitlich-Endliche als ein zentrales philosophisches Problem
darzustellen. Während Jacobi Spinoza und Kant kritisierte, dass der erste ein Paradox der „ewigen
Zeit“ in sein System einführt und der zweite letztendlich allein eine bloß subjektive Zeittheorie
entwickelt, sodass beide das reale Zeitlich-Endliche nicht wirklich nachvollzogen haben, sondern in
den Nihilismus geraten,10 führt Hegel hingegen Jacobis Spinoza- und Kantkritik im Zeichen der
Zeitproblematik auf eine falsche Interpretation der beiden Philosophen zurück. Hegel selbst geht es
zu dieser Zeit stattdessen darum, das Zeitlich-Endliche von der wahren Philosophie des Unendlichen
fernzuhalten bzw. aus ihr zu entfernen. 11 Dies ergibt sich daraus, dass Hegel die Darstellung
absoluter Identität für das zentrale philosophische Problem erachtet. Im Interesse absoluter Identität
gilt es aber, das Zeitlich-Endliche als solches aufzuheben, nicht ihm in seiner spezifischen
Verfasstheit gerecht zu werden. Daher kritisiert Hegel Jacobi, dass Jacobis Kritik der Zeittheorie
Spinozas in dem Maße abwegig ist, wie das Zeitlich-Endliche im Spinozischen System nur für ein
Schein-Produkt der menschlichen Einbildungskraft bzw. Reflexion gehalten werden soll. das, recht
10
Dies ist bereits durch die zahlreichen Arbeiten von Brigit Sandkaulen detailliert aufgezeigt worden Vgl. B.
Sandkaulen, Grund und Ursache. Die Vernunftkritik Jacobis. Wilhelm Fink: München 2000; dies., Das Nichtige in seiner
ganzen Länge und Breite. Hegels Kritik der Reflexionsphilosophie, in: Glauben und Wissen, hrsg. v. A. Arndt, K. Baal, H.
Ottmann, Hegel-Jahrbuch 2004, S.165-173; dies., Das „leidige Ding an sich“. Kant – Jacobi – Fichte, in: J. Stolzenberg
(Hrsg.), System der Vernunft. Kant und der Frühidealismus (System der Vernunft. Kant und der deutsche Idealismus,
Band 2), Hamburg 2007, S.175-201; dies., „Ewige Zeit“. Die Ontologie Spinozas in der Diskussion zwischen Jacobi und
Hegel, in: G. D’Anna u. V. Morfino (Hrsg.), Ontologia e temporalità. Spinoza e i suoi lettori moderni, Milano/Udine
2012, S.239-252; dies., Jacobis "Spinoza und Antispinoza", in: Philosophia OSAKA 8 (2013), S.23-36; dies., System und
Zeitlichkeit. Jacobi im Streit mit Hegel und Schelling, erscheint in: C. Danz u. V. Waibel (Hg.), Systeme in Bewegung,
Felix Meiner: Hamburg, im Druck.
11
In seiner Frankfurter Zeit konzentrierte sich Hegel auf eine göttliche Unendlichkeit, ein ewiges Leben, nicht auf das
Zeitliche. In diesem Sinn ist „der Zusammenhang des Unendlichen und des Endlichen […] freilich ein heiliges
Geheimnis, weil dieser Zusammenhang das Leben selbst ist“; das Leben selbst hat „von der unentwickelten Einigkeit aus
durch die Bildung den Kreis zu einer vollendeten Einigkeit durchlaufen“ (Hegels theologische Jugendschriften, hrsg. von
Hermann Nohl, Tübingen 1907, S.309f. und S.379). Zwar spricht Hegel dann im Systemfragment von 1800 von der
„Antinomie der Zeit“, zeigt dabei jedoch, dass das Zeitlich-Endliche nur verweilend auftauchen kann: Zeit ist danach
also nichts anderes als der kürzeste Moment, an dem das Immerwährende des Lebens die Agilität in sich selbst aufweist
(vgl. ebd., S.349). 1801 versteht Hegel das Endliche als die reflektierten Radien des unendlichen Fokus und beschäftigt
sich mit ihm daher überhaupt nicht: „Für die Spekulation sind die Endlichkeiten Radien des unendlichen Fokus, der sie
ausstrahlt, und zugleich von ihnen gebildet ist; in ihnen ist der Fokus, und im Fokus sie gesetzt.“ (G. W. F. Hegel,
Differenz des Fichteschen und Schellingschen Systems der Philosophie, in: Jenaer Kritische Schriften 1, hrsg. v. H.
Brockard u. H. Buchner, Felix Meiner Verlag, Hamburg 1979, S.32)
6
verstanden, irrelevant ist. Relevant ist dagegen für Hegel allein das wahre Unendliche, das Spinoza
auch verstehen will.
Hegels Jacobikritik beruht jedoch, wie heutzutage zunehmend erkannt wird, auf einem falschen
Verständnis der Philosophie Spinozas. Das Zeitlich-Endliche bei Spinoza kann nicht als ein von uns
bloß Eingebildetes aufgefasst werden, sondern stellt – wie bereits Jacobi richtig gesehen hat – ein
fundamental-ontologisches Faktum dar. Dazu schreibt Sandkaulen:
„Das zeitli he Sei der Di ge zu
Produkt der Ei
ildungskraft zu erklären und diese These mit
dem abwegigen Verweis auf prop. 28 des ersten Teils der Ethik zu belegen, läuft im wahrsten
Sinne auf die Vernichtung des ontologischen Bodens hinaus, der Spinozas ethische, am
faktischen Lebensvollzug orientierte Theorie unverzichtbar trägt. Hegels irrige Auffassung der
imaginatio unterstreicht diesen Punkt. Keineswegs ist die imaginatio für die angebliche
Schein-Existenz der zeitlichen Welt verantwortlich, wie Hegel behauptet. Ihr Defizit besteht
nach Spinoza darin, daß sie die aktuale Existenz dieser Welt, auf die sie sich bezieht, nicht
adäquat erkennt. Höchst aufschlußreich ist daher Hegels merkwürdig synonyme Rede von
Einbildungskraft oder Reflexion. Ohne jeden Anhaltspunkt bei Spinoza selbst zeigt dies nämlich,
welchem Denkmodell Hegel in Wahrheit folgt: Offenkundig hat er in Glauben und Wissen den
Ansatz der Identitätsphilosophie Schellings auf Spinozas Ethik projiziert.“12
Die Projektion des „wahren Unendlichen“ auf Jacobi verhindert nicht nur, dass Hegel ein
adäquates Verständnis Jacobis erlangt, sondern führt ebenso zunächst zum Desinteresse am
Zeitlich-Endlichen. 1802 kritisiert Hegel Jacobi daher weiterhin unrichtig, dass Jacobi nur eine
„Reflexionsphilosophie“ vertrete, weil er eine starre Entgegensetzung von rein individuell
Zeitlichem und unvollkommenem Unendlichen mache und eine abstrakte Einheit von beiden
annehme. Um diesen „Fehler“ Jacobis zu überwinden, gilt es nach Hegel, den Begriff des wahren
Unendlichen zu verstehen, der niemals im Gebiet des Zeitlich-Endlichen lokalisiert werden kann.
Die unangemessene Betonung der Zeit führt also einerseits auf ein starres Zeitlich-Einzelnes und
andererseits auf eine reflektierte „Gemeinschaft einzelner Dinge“, die beide nicht vollkommen
miteinander vereinigt werden können. In dieser Situation lautet Hegels Ziel von 1802, das ewige
Unendliche, das wahrhafte Erste/Absolute zum Bewusstsein zu bringen und von demselben aus alles
andere zu deduzieren. Dementsprechend muss zunächst das bewusstlose zeitliche Objekt aus dem
12
Ebd.
7
Problembereich
ausgeschlossen
werden.
Anders
gesagt,
bedeutet
dies
die
systematisch-wissenschaftliche Prüfung der ursprünglichen Gegebenheit des Zeitlichen, die sich auf
die ewige Anwesenheit, d.i. auf das sich manifestierende und von uns beweisbare Unendliche bezieht.
Der o.g. Widerspruch der Reflexion kann daher erst durch die Anschauung der Ewigkeit aufgelöst
werden, wie Hegel bereits 1801 in der Differenzschrift andeutet: „indem die Antinomie die
bestimmte Anschauung der Zeit postuliert, muß diese beschränkter Moment der Gegenwart und
Unbeschränktheit seines Außersichgesetztseins – beides zugleich, also Ewigkeit sein.“13
2. Hegels Perspektive auf das Zeitlich-Endliche verändert sich seit 1803. Der sachliche Grund dazu
liegt m.E. vor allem darin, dass Hegel trotz seiner Kritik am zeitlichen Dasein bei Jacobi gerade
durch die Frage des Zeitlichen eine neue ontologische Begründungsweise der Selbstverwirklichung
des Geistes findet. Hegels Position zu Jacobi gestaltet sich demzufolge in höchstem Maße
ambivalent: Er weist Jacobis Verständnis der zeitlichen Endlichkeit als unbegreiflich zurück,
während er zugleich Jacobis Verdienst würdigt, durch das Insistieren auf die Realität des
zeitlich-endlichen Daseins einen ontologischen Mangel entdeckt zu haben.
Bekanntermaßen kämpft Jacobi lebenslang mit Kant, Fichte und Schelling, um den Nihilismus in
ihren Philosophien zu zeigen. Er betrachtet Kants Zeittheorie als ein bloß „subjectives
Formenspiel“
14
und fasst Fichtes Wissenschaftslehre als „bloß logischen Enthusiasmus“ und damit
als eine noch radikalere (und konsequentere) Variante der Kantischen subjektiven Philosophie auf,
die dementsprechend den ontologischen Mangel des Kantischen Ansatzes fortschreibt. 15 Gegen
diesen ontologischen Mangel weist Jacobi auf das außer-mir-existierende Reale hin, das nicht bloß
von uns subjektiv-zeitlich konstituiert werden kann, sondern durch unsere wirklich-zeitliche
Handlung und Erfahrung geglaubt werden muss. Das reale Zeitlich-Endliche muss also nicht als das
in uns subjektiv Konstituierte, sondern als ein außer uns wirklich Geschehendes und von uns zeitlich
Behandeltes gesehen werden. Anders formuliert, das Zeitlich-Endliche darf kein reiner Schein in der
subjektiven Konstitution sein, um den ontologischen Mangel des subjektiven Systems zu vermeiden.
13
Hegel, Differenzschrift, S.33.
Jacobi, Epistel über die Kantische Philosophie, in: Schriften zum transzendentalen Idealismus. Friedrich Heinrich
Jacobi Werke, Band 2.1, hrsg. v. W. Jaeschke u. I. M. Piske, Felix Meiner Verlag, Hamburg 2004, S.129.
15
Vgl. F. H. Jacobi, Jacobi an Fichte, in: Schriften zum transzendentalen Idealismus. Friedrich Heinrich Jacobi Werke,
Band 2.1, hrsg. v. W. Jaeschke u. I. M. Piske, Felix Meiner Verlag, Hamburg 2004, S.204. Wegen dieses Mangels gibt es
bei Fichte auch keine wirkliche Zeit (vgl. Günter Zöller, Fichte als Spinoza, Spinoza als Fichte. Jacobi über den
Spinozismus der Wissenschaftslehre, in: Friedrich Heinrich Jacobi. Ein Wendepunkt der geistigen Bildung der Zeit, hrsg.
v. W. Jaeschke u. B. Sandkaulen, Felix Meiner Verlag, Hamburg 2004, S.46: „Für Jacobi gibt es nur ein konsistentes und
konsequentes spekulatives System, den Egoismus, und zwar den Egoismus entweder als Anfang oder als Ende“).
14
8
Ferner darf für Jacobi dieses Zeitlich-Endliche überhaupt kein reiner Schein dessen sein, was an
sich ewig ist und allein in sich und durch sich selbst alle Realität schöpft. In diesem Sinne entwirft er
in den Drei Briefen an Friedrich Köppen seine Erwiderung auf Schelling, genauer: auf die
Schellingsche Naturphilosophie von 1799 und die Identitätsphilosophie von 1801. Danach gilt für
diese beiden philosophischen Programme, dass ihr Wesen die „Identität und Indifferenz des Könnens
und Nichtkönnens [ist]: reine, durchaus gleichgültige Geschäftigkeit. Sie will weder Gestalt noch
Ungestalt, sondern absolut ein Weder das Eine noch das Andre; sie will absolut das, was nie werden
kann, damit ein ewiges Werden und nur dieses sey. Ein hermaphroditischer ewiger Beyschlaf ohne
Erzeugung ist ihr wahrhaftes Leben und Weben. Sie dualisirt sich, in so fern sie sich dualisirt, einzig
und allein, um diesen Zustand eines simulirenden Erzeugens hervorzubringen.“ 16 In diesem
„simulirenden Erzeugen“ gibt es wiederum keinen Platz für das Zeitlich-Endliche. Vielmehr gilt,
dass „in Gestalt des ewigen Werdens, in dem deshalb nichts eigentlich wird und werden soll, die
früher an Spinoza adressierte Problematik der ewigen Zeit wiederkehrt“. 17 Daher ist ein Nihilismus
als Resultat der Schellingschen Philosophie unvermeidbar, da sie „nur [ihre] Doppelheit“ erzeugt,
„und weil [sie] notwendig doppelt ist, so erzeugt [sie] sie in der That auch nicht.“ „Und zu sich selbst
spricht das unendliche Doppelwesen, das da nicht ist ein doppeltes: Ich bin der ich Nicht bin, und
werde seyn der ich nie seyn werde.“18 D.h. alles (die erzeugte Natur und die erzeugende Natur bzw.
die Natur und das Bewusstsein) entsteht bei Schelling nur aus dem ewigen Absoluten, das kein
Vorher und Nachher hat, sodass jedes zeitliche Dasein nur eine ewige Modifikation des Unendlichen
ist, die an sich aber nicht wirklich existiert. Daher hat das Unendliche nichts außer sich und ist an
sich selbst leer. Die Realität dieses Unendlichen kann nur durch die Tautologie desselben geliefert
werden und durch seine Selbstverdoppelung manifestiert sich nur die Tautologie (das
Selbstbesprechen) desselben.
Hegel ist Jacobis Schellingkritik als solche bekannt. M.E. hat diese Kritik Anteil daran, dass Hegel
die Aporie der Schellingschen Natur- und Identitätsphilosophie entdeckt und schließlich mit
Schelling bricht. Um also der Gefahr eines Nihilismus einer bloß formellen Tautologie des
Unendlichen zu entgehen, muss Hegel sich um das Zeitlich-Endliche bemühen, das in der
16
F. H. Jacobi, An Friedrich Köppen, in: Schriften zum transzendentalen Idealismus. Friedrich Heinrich Jacobi Werke,
Band 2.1, hrsg. v. W. Jaeschke und I. M. Piske, Felix Meiner Verlag, Hamburg 2004, S.359f.
17
Sandkaulen, System und Zeitlichkeit, im Druck.
18
Jacobi, An Friedrich Köppen, S.344f.
9
Wirklichkeit anders als jede unendliche Bestimmung existiert. Mit diesem Zeitlich-Endlichen
operiert Hegel in seiner eigenen Naturphilosophie, die sich von der Schellingschen Naturphilosophie
von 1799 grundlegend unterscheidet. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, warum Hegels
Naturphilosophie für das hier behandelte Thema relevant ist: Die Natur und das zeitlich-endliche
Wesen darin führen Hegel auf die Möglichkeit, den Nihilismus, der den Positionen von Kant, Fichte
und Schelling innewohnt, zu überwinden.
3. Trotz Hegels Aufnahme grundlegender Momente von Jacobis Kritik an den philosophischen
Systemen Spinozas, Kants, Fichtes und Schellings bleiben auch nach 1803 wesentliche, die Frage
nach dem Zeitlichen, wie wir sehen werden, zutiefst affizierende Unterschiede zwischen Hegel und
Jacobi bestehen, die sich in einem ersten Zugriff folgendermaßen skizzieren lassen: Während Jacobi
1) die Realität des Zeitlich-Endlichen gleichzeitig von der Einheit unseres Bewusstsein wie vom
davon ontologisch unabhängigen Gegenstand her denkt, 19 deren wir uns 2) allein im Modus eines
praktischen, mit unserer Handlungserfahrung verbundenen Gefühls bewusst sind, interessiert Hegel
in seiner Naturphilosophie nur der Beweis der ontologischen Realität des Zeitlich-Endlichen. Er
weist also den von Jacobi behaupteten engen Zusammenhang von Ontologie und praktischer
Philosophie zurück und konzentriert sich nur darauf, die Schellingsche Aporie auf eine
ontologisch-erkenntnistheoretische Weise zu beseitigen.
Damit ist der Unterschied zwischen Hegel und Jacobi jedoch noch nicht vollständig bestimmt. Die
Realität des Zeitlich-Endlichen schließt nach Jacobi prinzipiell ein systemlogisches Begriffenwerden
aus und kann daher nicht als irgendwie logisches Gesetztwerden verstanden werden. 20 Hegel
hingegen setzt die Andersheit der Natur im Blick auf einen systematischen Grund; er versteht sie
m.a.W. als die mit den Mitteln des Begriffs erfolgende Negation des Geistes selbst und damit
zugleich als dessen eigene Äußerung. Dieser Gedanke führt auf die logische Notwendigkeit, die
Natur in den Geist zurückzubringen, um sie begreifen zu können. Somit baut Hegel am Anfang
seiner Jenaer Philosophie des Geistes erstmals ein kategorial-wirkliches System auf, das er
„Sprache“ nennt und die konkrete Aufhebung der Andersheit der Natur bedeutet. In Bezug auf das
Zeitlich-Endliche bringt dies die Notwendigkeit der „Tilgung der Zeit“ ans Licht, da das
Vgl. Jacobi, David Hume über den Glauben, S.37: „Der Gegenstand trägt eben so viel zur Wahrnehmung des
Gegenstands bey, als das Bewußtsein zur Wahrnehmung des Gegenstands.“
20
In diesem Sinne unterscheidet Jacobi das principium compositionis vom principium generationis. Jenes bedeutet „die
Möglichkeit der Entwicklung einer deutlichen Vorstellung aus einer verworrenen“, dieses dagegen „die Möglichkeit der
Entstehung eines würklichen Dinges in der Zeit“. Jenes ist logisch erklärbar, dieses nicht (ebd., S.49).
19
10
natürlich-zeitliche Dasein an sich nicht wirklich als vom systematischen Geist emanzipiert aufgefasst
werden kann, sondern vielmehr erst als das geistig Bestimmte seine wahre Existenz in der
Wissenschaft des Geistes erhält. Fraglich ist aber, ob Hegel in diesem Kontext die Realität des
Zeitlich-Endlichen noch garantieren will oder ob die endliche Zeit aufgrund der geistigen Struktur
vollständig getilgt werden muss.
Nach der Darstellung des Anliegens der vorliegenden Studie und ihrer Gliederung im Blick auf die
Frage des Zeitlich-Endlichen soll diese zum leichteren Verständnis auch noch einmal in Bezug auf
die Abfolge der zugrunde gelegten Texte kurz umrissen werden.
1. Teil 1 (Kapitel 1-5) behandelt die Entstehung und Entwicklung der Frage nach der Zeit in Hegels
Philosophie der Natur im Ausgang von Schelling und untersucht zunächst den grundlegenden
Unterschied der Naturphilosophien Schellings und Hegels.
Kapitel 1 gibt einen Überblick über Schellings Natur- und Identitätsphilosophie in der
Auseinandersetzung mit Hegel und zeigt auf, dass sich Schellings Naturphilosophien von 1797/98
und ab 1799 grundlegend unterscheiden. In beiden Fällen bemüht sich Schelling um die höchste
Einheit, die nicht wie bei Kant oder Fichte als eine bloß subjektive Subjekt-Objektivität, sondern
vielmehr als eine objektive Subjekt-Objektivität verstanden werden soll. Hegel stimmt Schellings
Ziel zwar zu, erhebt aber zugleich, so wird sich zeigen, den Einwand, dass Schellings
Naturphilosophie von 1799 die Natur fälschlicherweise vom Geist/Bewusstsein abspaltet. Daher
bevorzugt Hegel Schellings Naturphilosophie in der Fassung von 1797/98, insofern diese die Einheit
von Natur und Geist innerhalb der Natur unterstreicht und keine vom Geist emanzipierte Natur
behauptet.
Kapitel 2 analysiert Schellings Zeittheorie in den Naturphilosophien von 1797/98 und ab 1799.
Das Stichwort dabei ist die Einheit von Kraft, Materie und Bewegung sowie Zeit und Raum. Mit der
Materiekonzeption beschäftigt sich Schelling, um die Wirklichkeit der Natur zu konstruieren. Dazu
führt er die Zeit ein, um die Realität der Natur unter Hinzunahme des Zeitbegriffes komplett
darzustellen.
Kapitel 3 untersucht Hegels Zeittheorie in der Naturphilosophie von 1804/05 und analysiert
vorbereitend zunächst kurz Hegels Naturphilosophie von 1802, in der sich Hegel unter dem Einfluss
von Schelling gegen Newtons bloß quantitative Naturwissenschaft wendet und versucht, auf der
11
Basis des Gedankens der Unendlichkeit eine geistig-ideelle Zeittheorie zu entwerfen. Allerdings
beschränkt sich die Zeittheorie von 1802 dabei auf das Planetensystem und hat mit der Frage nach
dem realen Zeitlich-Endlichen noch nichts zu tun. Dies ändert sich 1804/05 in dem Maße, wie die
Natur für Hegel zum Anderen des Geistes wird. Dazu fordert Hegel gegen das rein geistige Sein das
wirkliche Sein der Natur ein – mit der Folge, dass nunmehr auch die Kraft der Zeit philosophisch zu
bedenken und bewerten ist. Diese zeigt sich nach Hegel zunächst in ihrer Allgemeinheit als die
Äußerung des rein geistigen Äthers, dann in der erscheinenden und realisierten Bewegung als die
äußerliche Kraft des Zeitlich-Endlichen und schließlich in der „Mechanik“ als die innerliche Einheit
von Raum, Zeit, Bewegung und Materie im physisch-chemischen Endlich-Einzelnen.
Kapitel 4 untersucht Hegels Zeittheorie in der Naturphilosophie von 1805/06, in der Hegel die
Darstellung neu organisiert. Am wichtigsten ist es in dieser neuen Darstellung, dass die
Rekonstruktion des Zeitbegriffes in der Naturphilosophie von 1805/06 im Rahmen der Darstellung
des lebendigen Naturwesens auf einen völlig neuen Begriff des Zeitlich-Endlichen führt. Diese
organische Zeitkonzeption bildet den Übergang zum Geist selbst, insofern das organische Einzelne in
der zeitlichen Bewegung seinen psychophysischen Zweck erreicht und daher für sich selbst lebt. Das
zeitliche Selbstgefühl des Tieres und seine zeitliche Selbstbewegung stellen m.a.W. das erste
Element des Geistes selbst dar, d.i. die zweckmäßige Selbstbeziehung desselben.
Kapitel 5 zeigt schließlich auf, dass Schellings Identitätsphilosophie Hegel in dem Maße nicht
zufriedenstellen kann, wie für ihn die Identitätsphilosophie ohne das an sich seiende
Zeitlich-Endliche schlechthin eine leere Tautologie bleibt.
2. Teil 2 der vorliegenden Studie (Kapitel 6 und 7) erörtert die Tilgung der Zeit in Hegels
Philosophie des Geistes von 1803/04 und 1805/06. Nach Hegel verschwindet die natürliche Zeit,
wenn der in der Natur verborgene Geist zum klaren Bewusstsein kommt.
Kapitel 6 erklärt zunächst, wie die Natur nach Hegel zum Geist übergeht und wieso die natürliche
Zeit sich in die geistige Zeit verwandeln muss. Die Tilgung der natürlichen Zeit bedeutet bei Hegel
die „Nacht der Welt“, in der nichts außer dem leeren Zeichen des Ichs ausgesagt werden kann.
Jedoch argumentiert Hegel hier gegen Jacobi, dass der Nihilismus nicht aus dem Mangel des vom
Bewusstsein unabhängigen Daseins entsteht, sondern vielmehr aus dem Mangel der notwendigen
Ordnung der zeitlichen Erinnerung. In der ‚Nacht der Welt‘ ist also alles bereits zufälligerweise
bewahrt, doch fehlt noch die Kraft, diese subjektiven, bloß zufälligen Zeichen zu bestimmen. Um die
12
zunächst bestehende ‚Flüssigkeit‘ in der zeitlichen Erinnerung aufzuheben und zu ordnen, bedarf es
schließlich einer vollkommenen Tilgung auch der geistigen Zeit.
Das letzte Kapitel analysiert daher die vollkommene Tilgung der Zeit in Hegels Sprachphilosophie,
die als Kategorienlehre gelesen wird, die der Erinnerung die allgemein und notwendig geltenden
Regeln geben und die Kraft verleihen soll, das, was in der Zeit unbestimmt besteht oder jeweils
zufällig geschieht, kontinuierlich und adäquat zu fixieren. Zur Tilgung der Zeit bedarf es, so wird
sich zeigen, der Entsinnlichung, da die geistige Zeit allein in der subjektiven Empfindung existiert.
Daher ist das ausgesprochene Ich kein sinnlich-einzelnes Ich mehr, das noch in der ‚Nacht der
Welt‘ träumt; vielmehr ist das Ich von diesem individuellen Traum dadurch erwacht, dass es sich
selbst nun deutlich äußern kann und dass alle anderen verstehen, was seine Worte bedeuten.
Infolgedessen wird die zeitlich-sinnliche Einzelheit vollständig entfernt. Übrig bleibt nur das rein
allgemeine Ich samt der von ihm formellerweise produzierten Bestimmungen. Weil es jetzt außer der
reinen Formalität des selbstsprechenden Ich nichts gibt und alles Einzelnes als Einzelnes
verschwunden ist, entsteht ein neuer Nihilismus.
13
Erster Teil
Die Entstehung und Entwicklung der Frage nach der Zeit in Hegels
Philosophie der Natur im Ausgang von Schelling
Lange Zeit war Hegel nicht gut darauf vorbereitet, die philosophische Frage nach der Zeit zu stellen.
Bis 1803 findet die Zeitthematik in Hegels Philosophie nur mittelbar Eingang, gleichsam als
Randproblem der nach Hegel eigentlichen philosophischen Hauptfragen. Denn im Anschluss an
Schelling interessiert Hegel zu Beginn der Jenaer Zeit philosophisch nicht das Zeitlich-Endliche,
sondern das wahre Unendliche, das er für das wahre „Bedürfnis der Philosophie“ hält. Und auch vor
seiner Jenaer Zeit faszinierten Hegel die ewige Liebe und die göttliche Unendlichkeit,1 nicht aber die
Zeit.2 So steht 1801 das Problem der Verunendlichung des Endlichen im Zentrum von Hegels
Überlegungen:
„Das Se
i
das Ni htse
– als Werden, die Entzweyung in das Absolute – als seine
Erscheinung, – das Endliche in das Unendliche – als Le e zu setze “, das ist die Ausga e der
Philosophie.3
1
Vgl. dazu G.W.F. Hegel, Hegels theologische Jugendschriften, hrsg. von Hermann Nohl, Tübingen 1907, S.309ff. und
S.379: „der Zusammenhang des Unendlichen und des Endlichen ist freilich ein heiliges Geheimnis, weil dieser
Zusammenhang das Leben selbst ist“, und „In der Liebe ist das Getrennte noch, aber nicht mehr als Getrenntes – als
Einiges und das Lebendige fühlt das Lebendige.“ Pöggeler schreibt dazu, dass Hegels philosophische Anfänge hier aber
nicht theologisch, sondern philosophisch sind. Im Hinblick auf die zentrale Konzeption „Hen kai Pan“ in dieser Zeit
könne man Hegels philosophische Motivation deutlich sehen (vgl. Otto Pöggeler, Hegels philosophische Anfänge, in:
Der Weg zum System. Materialien zum jungen Hegel, hrsg. von. C. Jamme und H. Schneider, Suhrkamp, 1990, S.70 und
S.78ff.)..Vgl. auch Masakatsu Fujita, der beim jungen Hegel den Begriff der Ewigkeit hervorhebt (M. Fujita, Philosophie
und Religion beim jungen Hegel. Unter besonderer Berücksichtigung seiner Auseinandersetzung mit Schelling,
Hegel-Studien Beihaft 26, Bouvier Verlag, Bonn 1985, S.68). A. Tikal betont hingegen die theologische Dimension im
Verhältnis zwischen Jacobi und Hegel (A. Tikal, Leben als absolute Erkenntnis. Zum philosophischen Anspruch Hegels
an der Schwelle zum System. Wilhelm-Fink Verlag München 2012; vgl. auch Thomas Hanke: Bewusste Religion. Eine
Konstellationsskizze zum jungen Hegel. Verlag Friedrich Pustet Regensburg 2012). Die These, dass das Unendliche beim
jungen Hegel zentral ist, bekräftigt Michael Franz (M. Franz, Tübinger Platonismus. Die gemeinsamen philosophischen
Anfangsgründe von Hölderlin, Schelling und Hegel. Verlag francke, Türbingen 2012, S.225ff.).
2
K. Appel behauptet, dass die Zeit bereits beim jungen Hegel ein zentrales Thema ist. M.E. ist diese These haltlos und
auch Appel selbst kann kein konkretes Zitat anführen, das die Bedeutung der Zeit beim jungen Hegel belegt. Seine
Argumentation bleibt vielmehr sehr artifiziell (vgl. K. Appel, Zeit und Gott. Mythos und Logos der Zeit im Anschluss an
Hegel und Schelling, Ferdinand Schöningh, Paderborn/München/Wien/Zürich, S.208-223).
3
Hegel, Differenzschrift, S.15. Hier scheint Hegel nach einem eigenen Bereich des Zeitlich-Endlichen in dieser Welt zu
fragen. In der Tat rückt Hegel zwar bereits seit dem Systemfragment von 1800 die Zeitlichkeit zunehmend ins Blickfeld,
allerdings wie in den Bemerkungen zur „Antinomie der Zeit“ in negativ-kritischer Weise (Hegels theologische
Jugendschriften, S.349). Danach fällt das Verhältnis (des Subjekts) Lebens mit dem Objekt notwendig in die Zeit. Das
14
„Für die Spekulatio si d die E dli hkeite Radie des u e dli he Fokus, der sie ausstrahlt,
und zugleich von ihnen gebildet ist; in ihnen ist der Fokus, u d i
Fokus sie gesetzt.“4
Unter dem Einfluss von Schelling hält Hegel 1802 Jacobi in Glauben und Wissen sogar entgegen,
dass das Zeitlich-Endliche überhaupt kein ernsthaftes Problem für die wahre Philosophie sei, da es
nur ein unwesentliches Produkt der menschlichen Einbildung bzw. Reflexion darstelle. Hegel
zufolge setzt Jacobi in seiner philosophisch-‚unphilosophischen‘ Verteidigung des Zeitlich-Endlichen
also nur „das Abstraktum der Zeit, und das Abstraktum eines einzelnen Dings, Produkte der
Einbildung und der Reflexion, als an sich seiend“. 5 Diese Zeittheorie bleibt angesichts des
„abwegigen“ schlechthinnigen Setzens des Endlichen nach Hegel bloße „Reflexionsphilosophie“, in
der das Zeitlich-Endliche als dem empirischen Unendlichen abstrakt Entgegenstehendes und
scheinbar Wirkliches unverstanden bleibt. Die Ewigkeit oder die wahre Unendlichkeit zu denken, ist
eine solche Philosophie nach Hegel darum erst recht unfähig.6
Vor diesem Hintergrund muss die Beobachtung, dass Hegel seit 1803 das Zeitlich-Endliche
gleichsam plötzlich in seinen Systementwürfen, und insbesondere in seiner Naturphilosophie,
philosophisch hochschätzt,7 nicht nur überraschen, sondern fordert auch Aufklärung. Damit einher
geht die Frage nach den Gründen, warum sich Hegel zugleich von Schellings Idee des wahren
Unendlichen distanziert. Die philosophische Forschung hat mittlerweile erkannt, dass sich hinter der
engen Zusammenarbeit von Schelling und Hegel in Jena – insbesondere bei der gemeinsamen
Herausgabe des kurzlebigen Kritischen Journals der Philosophie – bereits von Beginn an recht
unterschiedliche philosophische Intentionen verbergen und ihre Zusammenarbeit daher auch ein
Objekt selbst ist als das Zeitliche dabei an sich noch nicht notwendig, sondern vielmehr zufällig. Es besteht als ein
vorhandenes Einzelnes, aber das Einzelne existiert bloß in der fortlaufenden Zeitkette, im Werden. Jedes Objekt kann
allein ein Moment in der zeitlichen Abfolge sein. Damit besteht einerseits die notwendig geforderte Totalität des Lebens,
andererseits gibt es immer nur ein zufällig gewesenes Objekt. In diesem Sinne zeigt sich die Antinomie der Zeit dadurch,
dass das Gebiet des Endlichen nur als unwesentliches ist: Zeit ist nichts anderes als der kürzestes Moment, in dem das
unendliche Leben seine Agilität beweist.
4
Hegel, Differenzschrift, S.32.
5
Hegel, Glauben und Wissen, S.57.
6
Vgl. ebd., S.9ff., insbesondere S.11: „In einer solchen nur Endliches denkenden Vernunft findet sich freilich, daß sie
nur Endliches denken, in der Vernunft als Trieb und Instinkt findet sich, daß sie das Ewige nicht denken kann.“ Jens
Halfwassen erklärt diese Überlegung mit der Bedeutung des Neuplatonismus für Hegels Jenaer Grundlegung der
Dialektik (vgl. Jens Halfwassen, Hegel und der spätantike Neuplatonismus. Untersuchungen zur Metaphysik des Einen
und des Nuus in Hegels spekulativer und geschichtlicher Deutung, Bouvier Verlag, Bonn 1999, S.80ff.).
7
Vgl. „In der Jenenser Logik, die zur Zeit der Habilitation Hegels entworfen wurde, ist die Zeitanalyse der
Enzyklopädie in allen wesentlichen Stücken schon ausgebildet.“ (Martin Heidegger: Sein und Zeit, Max Niemeyer Verlag
Tübingen, 1979, S.432) Heidegger zufolge erfolgt 1804/05 eine Wende in Hegels Umgang mit der Zeitthematik. Ab
1804/05 werde die Zeit zu einem bedeutsamen Thema der Hegelschen Systemphilosophie. Völlig unklar bleibt bei
Heidegger aber der Grund für diesen Umschwung.
15
Janusgesicht zeigt. Die gemeinsamen Hauptthemen sind die Identitätsphilosophie und die neue
Naturphilosophie; sie markieren zugleich wichtige philosophische Entwürfe Schellings, denen Hegel
durchaus zustimmt. Zugleich liegt der Keim der zukünftigen Rivalität zwischen beiden bereits in den
Anfängen ihrer gemeinsamen Arbeit. Seit 1803/04 zeigt er sich auch deutlich.8
Mit Jacobi und Fichte – aber zugleich gegen sie – entwickelt Schelling in der Jenaer Zeit
1798-1803 sukzessiv seine Philosophie à la Spinoza.9 Sein Hauptanliegen ist es dabei, die Realität
wiederzugewinnen, die bei Kant und Fichte bloß subjektiv begründet wird, dadurch aber aus der
Sicht Schellings verloren geht. Schelling versucht daher, die Realität durch die totale Umkehrung des
philosophischen Prinzips, d.h. auf dem Fundament des unendlich-ewigen Absoluten zu begründen.
Dieses unbedingte Absolute (die Substanz, wie Spinoza sie begriffen hat), das in Schellings
Frühschriften unter verschiedenen Namen präsent ist (z.B. ‚Ich‘, ‚Natur‘, ‚Sein‘, ‚Kopula‘ oder
‚höchste Identität‘ etc.), ist an sich der Grund der höchsten Realität. Um dieses Absolute zu erklären,
entwickelt Schelling in Jena immer neue philosophische Versuche. Schellings Jenaer Schriften
zeigen also kein in sich geschlossenes System mit geradlinigem Gedankenzusammenhang, sondern
8
Vgl. K. Düsing, Spekulation und Reflexion. Zur Zusammenarbeit Schellings und Hegels in Jena, in: Hegel-Studien ,
Bd.5, Bonn 1969, S.95; X. Tilliette, Hegel in Jena als Mitarbeiter Schellings, in: Hegel in Jena, S.11f.; E. Förster, Hegel
in Jena, in Das Interesse des Denkens – Hegel aus heutiger Sicht, hrsg. v. W. Welsch und K. Vieweg, Wilhelm Fink
Verlag, München 2003, S.110. Eine historische Darstellung des Beginns der naturphilosophischen Epoche findet man in:
D. v. Engelhardt, Hegel und die Chemie. Studie zur Philosophie und Wissenschaft der Natur um 1800, Guido Pressler
Verlag, Stuttgart 1976, S.7-22.
9
Bekanntermaßen war Schelling damals noch ein Anhänger von Fichte. Weniger bekannt ist, dass auch Jacobi für die
frühe Philosophie Schellings eine zentrale Rolle spielte. Allein durch den Einfluss Jacobis – so hat Birgit Sandkaulen
gezeigt – kommt Schelling zum Projekt einer neuen „Ethik à la Spinoza“. Der Bezug auf Spinoza ist dabei für die
Naturphilosophie Schellings ebenso essentiell wie für die Identitätsphilosophie, insofern es in ihnen um die Begründung
einer neuen Ontologie des wahren Unbedingten geht: „Hier gilt es, in kritischer Abwehr der Tübinger Orthodoxie und
mit Hilfe von Jacobis Vernunftkritik, eine radikale Umorientierung des Denkens zu vollziehen, so daß sich die
notwendige Überbietung Kants als Kritik eines spezifischen Denkmodells erweisen wird, dem ein neues entgegengesetzt
werden soll. Für diese Aufgabe gibt es kein Muster, auf das man einfach zurückgreifen könnte. Schelling konstruiert es
sich darum selbst – zunächst und entscheidend aus Jacobi, mit dem dann, gegen Jacobis Absicht, Fichtesche und
spinozistische Motive assimiliert werden.“ (B. Sandkaulen, Ausgang vom Unbedingten, S.12f. Vgl. dazu auch W.
Bonsiepen, Die Begründung einer Naturphilosophie bei Kant, Schelling, Fries und Hegel. Mathematische versus
spekulative Naturphilosophie, Vittorio Klostermann, Frankfurt a. M. 1997, S.157f., 165, 173 und 210. Dort wird der
Einfluss von Jacobis Philosophie auf Schellings Naturphilosophie vor 1799 kurz dargestellt.) Seit 1797 wendet sich
Schelling mit seiner Naturphilosophie bereits – allerdings mehr im Verborgenen – gegen Fichte, obwohl die persönliche
Beziehung zwischen ihnen noch sehr gut ist (vgl. H. Holz, Die Struktur der Dialektik in den Frühschriften von Fichte
und Schelling, in: Materialien zu Schellings philosophischen Anfängen, hrsg. v. M. Frank und G. Kurz, Suhrkamp Verlag,
Frankfurt am Main 1975, S.223. – M. Frank behauptet demgegenüber, dass die naturphilosophische Abkehr Schellings
von Fichte erst seit 1801 wirklich gut zu beobachten sei. Jedoch ist der Umstand, dass Schelling die Naturphilosophie
erst einige Jahre nach 1797 – mit Hegels Hilfe – ausdrücklich gegen Fichte benutzt, kein Gegenbeweis gegen eine bereits
1797 bestehende tiefgreifende sachliche Differenz [vgl. M. Frank, Eine Einführung in Schellings Philosophie, Suhrkamp
Verlag, Frankfurt am Main 1985, S.104].) W. Janke versucht, durch die Briefwechsel zwischen Fichte und Schelling
diese komplizierte Geschichte zu rekonstruieren (vgl. W. Janke, Die dreifache Vollendung des Deutschen Idealismus.
Schelling, Hegel und Fichtes ungeschriebene Lehre, Rodopi B.V., Amsterdam-New York, NY 2009, S.24-30 und
S.181ff.).
16
vielmehr die glühenden Funken seiner eruptiven Gedanken, die sich um das Problem der
Wirklichkeitsbegründung im Absoluten und Unbedingten zentrieren. Dabei lassen sich zwei
entscheidende Gesichtspunkte herausheben: erstens die Loslösung der Naturphilosophie von der
Transzendentalphilosophie seit 1799 und zweitens ab 1801 die Vereinigung beider in der
Identitätsphilosophie. In der ersten Frage arbeitete Hegel eng mit Schelling zusammen, in der
zweiten entwickelte er trotz seiner möglichen, wenn auch begrenzten Zustimmung jedoch seine
eigene Argumentation zunehmend gegen Schelling.
Um herauszufinden, worin beide übereinstimmen und worin sich ihre Konzeptionen unterscheiden,
werden im Folgenden zunächst die Jenaer Philosophie Schellings und Hegels Jenaer
Naturphilosophie rekonstruiert. Dadurch sollen folgende Aspekte geklärt werden:
1. Es sind zwei verschiedene Konzeptionen der Naturphilosophie bei Schelling in den Jahren 1797
bis 1799 zu unterscheiden, und zwar hinsichtlich der Beziehung von Natur und Geist. Obgleich
Hegel – wie Schelling – der Natur eine große Bedeutung zuspricht, stimmt er zu dieser Zeit
hauptsächlich mit dem Schellingschen Naturbegriff von 1797 überein, nicht aber mit dem 1799
formulierten. Hegel entwickelt den Naturbegriff durch die Triade von Logik-Metaphysik, Natur und
Geist zugleich grundlegend weiter.
2. Schellings Identitätsphilosophie stimmt Hegel nicht unumwunden und vollständig zu. Vielmehr
entdeckt er darin die Aporie, dass das reale Absolute – als der Urgrund der Realität des Daseins –
selbst nur einen nicht realen Grund hat. Daher versucht Hegel in seinen Jenaer Systementwürfen,
gegen Schelling einen neuen Weg der Ontologie zu finden (siehe dazu Kapitel 1 der vorliegenden
Arbeit).
Anschließend soll gezeigt werden, wie der Jenaer Schelling sich in seinen Überlegungen zur
Zeittheorie mit Hegel auseinandersetzt. Folgende bedeutsamen Punkte müssen dabei geklärt werden:
1. Obwohl sowohl Schelling als auch Hegel die Naturphilosophie als Ontologie der Natur zu
begründen versuchen, beeinflusst die Zeittheorie Schellings aus dem Jahr 1797 Hegels
Naturphilosophie und dessen Zeitbegriff viel stärker als die von Schelling seit 1799 vertretene
Zeitkonzeption.
Das
wesentliche
Merkmal
von
Schellings
ontologisch-naturphilosophisch
begründeter Theorie von 1797 ist dabei in der Einheit von Kraft, Zeit, Raum, Bewegung und Materie
zu sehen (siehe dazu die Kapitel 2, 3 und 4 der vorliegenden Studie).
17
2. Nachdem Hegel Schellings Begründung einer höchsten Identität kritisch gegenübersteht, stellt er
seit 1803/04 fest, dass diese Identität von Schelling als an sich unbeweisbar vorausgesetzt wird.
Hegel versucht daher ab 1805/06, die begriffliche Undurchdringlichkeit und Unbegründetheit der
Identität durch seinen neuen Begriff einer „Weltgeschichte“ zu erklären. Dieser Begriff verweist auf
die in der Sache nächste Stufe, d.i. auf den geistigen Zeitbegriff (siehe dazu Kapitel 5).
18
Kapitel 1
Schellings Natur- und Identitätsphilosophie in der Auseinandersetzung mit Hegel
1.1 Schellings naturphilosophische Konzepte von 1797 und 1799 im Hinblick auf ihre
Bedeutung für Hegel
1.1.1 Schellings naturphilosophische Konzepte von 1797 und 1799
Wegweisend rücken Schelling und Hegel in ihrer Jenaer Zeit die Naturphilosophie ins Zentrum der –
von heute aus so bezeichneten – klassischen deutschen Philosophie. Die Naturphilosophie ist nicht
nur der Prüfstein der Schlüssigkeit der gesamten Konzeption Schellings, sondern auch Hegels
Motivation zur Entwicklung einer neuen Ontologie. Durch diese neue Naturphilosophie wird die
Frage nach dem Sein und dem Dasein (und auch nach der Realität des Absoluten) in der
nachkantischen Zeit wieder belebt, nunmehr in Gestalt einer Naturontologie.1 Die Natur ist für
Schelling und Hegel niemals bloß ein vom Subjekt konstruiertes erkenntnistheoretisches Phänomen.
Vielmehr wird sie als die wirkliche und unbedingte Realität an sich aufgefasst.2
Um zur Natur im Sinne der Realität des Absoluten vorzudringen, argumentiert Schelling von 1797
bis 1801 auf zwei verschiedenen Ebenen.3
1. 1797 begreift Schelling Naturphilosophie als die Möglichkeit der Ableitung „einer Natur, d.h. der
gesamten Erfahrungswelt aus Prinzipien“.4 Der Naturbegriff sei vor allem daraufhin zu „untersuchen,
1
D. Wandschneider sieht diese Naturontologie als das grundlegende Motiv der Hegelschen Frage nach dem Begriff der
Natur; die Perspektive einer ontologischen Betrachtung der Natur sei allerdings, so Wandschneider, für die modernen
Naturwissenschaften nicht mehr von Interesse. Vgl. D. Wandschneider, Die Stellung der Natur im Gesamtentwurf der
hegelschen Philosophie, in: Hegel und die Naturwissenschaften, hrsg. v. M. J. Petry, Friedrich Frommann Verlag –
Günther Holzboog, Stuttgart-Bad Cannstatt 1998, S.11ff.
2
Vgl. J. Jantzen, Der Ausdruck des Unbedingten. Schellings Systementwürfe, in: Die Realität des Wissens und das
wirkliche Dasein. Erkenntnisbegründung und Philosophie des Tragischen beim frühen Schelling, hrsg. v. J. Jantzen,
Friedrich Frommann Verlag – Günther Holzboog, Stuttgart-Bad Cannstatt 1987, S.23f. Auch W. Schmied-Kowarzik, Die
Wirklichkeit der Natur. Zur Naturphilosophie Schellings und Hegels, in: „Von der wirklichen, von der seyenden Natur“.
Schellings Ringen um eine Naturphilosophie in Auseinandersetzung mit Kant, Fichte und Hegel, Frommann Verlag –
Günther Holzboog, Stuttgart-Bad Cannstatt 1996, S.149-175.
3
F. W. Schmidt unterscheidet diese beiden Phasen bei Schelling nicht und hält deswegen Schellings Naturphilosophie
fälschlicherweise allgemein für ein Produkt der Einbildung (vgl. F. W. Schmidt, Zum Begriff der Negativität bei Schelling
und Hegel, J.B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung, Stuttgart 1971, S.25-38) Diesen Fehler macht auch J. Laughland.
(vgl.: J. Laughland, Schelling versus Hegel. Ashgate 2007, S.45).
4
F. W. J. Schelling, Ideen zu einer Philosophie der Natur (1797), in: Friedrich Wilhelm Joseph Schellings Werke 5, hrsg.
v. Manfred Durner, Frommann-Holzboog Verlag, Stuttgart 1994, S.69.
19
ob ihm überhaupt Realität zukomme, und ob er etwas ausdrücke, das sich auch ausführen läßt.“ 5
Alle natürlichen Dinge seien außerhalb des Bewusstseins und von diesem spekulativ (bzw. in
späterer Terminologie: reflexiv) getrennt. Diese Trennung sei von der Philosophie selbst
vorausgesetzt, „denn ohne sie hätten wir kein Bedürfnis, zu philosophieren.“6 Die Trennung von
Natur und Geist oder von Gegenstand und Vorstellung als Voraussetzung der Philosophie muss
jedoch zugleich aufgehoben werden. Die wirkliche Realität lässt sich nicht auf die Natur reduzieren,
sondern ist allein in der Vereinigung der Natur mit dem Bewusstsein gegeben, „denn nur in dieser
Vereinigung liegt die Realität unseres Wissens von äußeren Dingen.“7 Die Vereinigung wird 1797
von Schelling als das Sein bezeichnet, das die Kopula zwischen dem natürlichen Ding und dem
vorstellenden Bewusstsein ist. Mit anderen Worten: mit der Frage nach der Realität der Natur in der
Vorstellung von ihr stößt man auf „ein Wesen, das, unabhängig von äußeren Dingen, ein Sein in sich
selbst hat.“8 Wichtig ist in diesem Zusammenhang also, dass die Natur nicht vom Bewusstsein
getrennt betrachtet werden darf, sie ist vielmehr in der für sie wesentlichen Beziehung zur
Vorstellung zu begreifen. Nur auf diese Weise kann die Frage nach dem Sein beantwortet werden.
Der erste, der diese beiden – Geist und Materie, Objekt und Vorstellung, Bewusstsein und Natur –
als Einheit auffasste, „war Spinoza“.9 Im Gefolge Spinozas will Schelling nun diese Einheit von
Geist und Materie tiefer erforschen. Er muss freilich danach fragen: Was ist die Materie? Wie bildet
sie sich in den Geist ein? Die Antwort Schellings lautet 1797:
„Die Materie soll et as Reales sei ,
as a er real ist, läßt sich nur empfinden. Wie ist nun
Empfindung in mir möglich? Daß von außen auf mich gewirkt wird, wie ihr sagt, ist nicht genug.
Es muß etwas in mir sein, das empfindet, und zwischen diesem und dem, was ihr außer mir
voraussetzt, ist keine Berührung möglich. Oder wenn dieses Äußere auf mich, wie Materie auf
Materie, wirkt, so kann ich nur auf dieses Äußere, nicht aber auf mich selbst zurückwirken. Und
doch soll dieses geschehen; denn ich soll empfinden, soll diese Empfindung zum Bewußtsein
erhe e .“10
5
Ebd.
Ebd., S.72.
7
Ebd., S.73.
8
Ebd.
9
Ebd., S.76.
10
Ebd., S.80.
6
20
D.h. das Reale als das Äußerliche kann allein von einem Subjekt empfunden werden. Das Subjekt
empfindet dieses Reale selbst zwar nicht, bringt es jedoch durch seine subjektive Empfindung zum
Bewusstsein, wodurch etwas Reales erst als das Reale bestimmt ist. Die Realität des Dings entsteht
also einzig durch Erhebung der subjektiven Empfindung zum objektiven Bewusstsein von der
Materie; dieser Vorgang ist dann gleichsam die Verwirklichung des Realen. Hierzu schreibt
Schelling:
„Also
lei t
i hts
ehr ü rig als der Versuch, aus der Natur unseres, und insofern des
endlichen Geistes überhaupt, die Notwendigkeit einer Sukzession seiner Vorstellungen
abzuleiten und, damit diese Sukzession wahrhaft objektiv sei, die Dinge selbst zugleich mit
dieser Aufeinanderfolge in ih
erde u d e tstehe zu lasse .“11
In diesem Sinne ist die Natur für Schelling in dieser Zeit nur vermittels des menschlichen
Bewusstseins und für dieses real, also nur mit uns und für uns. Schellings Aufgabe besteht also
gerade darin, dieses „mit uns“ und „für uns“ in der unendlichen Einheit von Natur und Geist
ontologisch zu begründen und als notwendig zu erklären, „denn wir wollen nicht daß die Natur mit
den Gesetzen unsers Geistes zufällig zusammentreffe, sondern daß sie selbst notwendig und
ursprünglich die Gesetze unsers Geistes nicht nur ausdrücke, sondern selbst realisiere, und daß sie
nur insofern Natur sei und Natur heiße, als sie dies tut.“12 Also: Die Natur als ein wahrhaft Reales
existiert nur, insofern sie bewusst gemacht wird.
2. Ab 1799 modifiziert Schelling seine Argumentation so stark, dass er seinen Naturidealismus
letztendlich für ursprünglicher hält als den transzendentalen Idealismus.13 Der Naturphilosophie –
oder in anderer Bezeichnung: der „spekulativen Physik“ oder dem „Spinozismus der Physik“14 –
11
Ebd., S.89.
Ebd., S.107.
13
Vgl. M. Frank, Eine Einführung in Schellings Philosophie, S.105. „Es gibt, sagt er, einen Idealismus des Ich und einen
solchen der Natur; der erste aber ist aus dem zweiten abgeleitet, nicht umgekehrt. Der Naturidealismus ist also
ursprünglicher als der transzendentale Idealismus, auf den sich die Wissenschaftslehre zurückzieht.“ W. Jaeschke und A.
Arndt unterstreichen Schellings Motivation, gegen Fichte die Herkunft der Subjektivität aus der Objektivität zu
rechtfertigen (W. Jaeschke und A. Arndt, Die Klassische Deutsche Philosophie nach Kant. System der reinen Vernunft
und ihre Kritik 1785-1845, C.H. Beck, München 2012, S.170f.).
14
Vgl. F. W. J. Schelling, Einleitung zu dem Entwurf eines Systems der Naturphilosophie. Oder über den Begriff der
spekulativen Physik und die innere Organisation eines Systems dieser Wissenschaft, in: Friedrich Wilhelm Joseph
Schellings Werke 8, hrsg. v. M. Durner und W. G. Jacobs, Frommann-Holzboog Verlag, Stuttgart 2004, S.30f. Grün hat
die spinozistischen Gehalte der Naturphilosophie Schellings ausführlich dargestellt (K.-J. Grün, Das Erwachen der
Materie. Studie über die spinozistischen Gehalte der Naturphilosophie Schellings. George Olms Verlag, Zürich und New
York 1993, insbesondere Kapitel VI, Der „Spinozismus der Physik“ und der Spinozismus des Geistes; vgl dazu auch C.
Lauer, Suspension of Reason in Hegel and Schelling, continuum, London/New York 2010, S.33-56).
12
21
kommt nunmehr die Aufgabe zu, das Ideelle (das Bewusstsein) aus dem Reellen (der Natur)
entspringen zu lassen und aus ihm zu erklären.15
Schelling trennt die Naturphilosophie nun völlig von der Transzendentalphilosophie:
„Die Naturphilosophie als das Entgegengesetzte der Transzendentalphilosophie ist von der
letzteren hauptsächlich dadurch geschieden, daß sie die Natur (nicht zwar insofern sie Produkt,
aber insofern sie produktiv zugleich und Produkt ist) als das Selbstständige setzt, daher sie am
kürzeste als der Spi ozis us der Ph sik ezei h et erde ka
.“16
Die Selbstproduktivität der selbständigen Natur wird seit 1799 als das Prinzip des Realismus
betrachtet. Entgegen der Argumentation von 1797 geht es nun nicht mehr darum, „meine
Empfindung“ oder „mein Bewusstsein“ als das Fundament der Natur zugrundezulegen, sondern
vielmehr darum, die Natur selbst als Inbegriff aller Naturerscheinungen als fundamental auszuweisen.
In notwendiger Weise produziert sie diese Erscheinungen als solche aus sich selbst; „so kann auch
kein ursprüngliches Phänomen der Natur zufällig sein, […] weil die Natur ein System ist“.17 Es zeigt
sich hier deutlich, dass Schelling die Natur an sich als ein System begreift, wodurch seine
Naturphilosophie jedoch „eine ganz eigne, von jeder andern ganz verschiedene und unabhängige
Wissenschaft“18 ausmacht.
Ferner nennt Schelling diese produktive Natur (natura naturans) das Sein selbst, das Produkt der
Natur (natura
naturata) demgegenüber das
seiende
Endliche.
19
Diese beiden
Sphären
zusammengenommen müssen in der Ontologie der Natur berücksichtigt werden. Mit diesem
naturontologischen Ansatz versucht Schelling zu erklären, wie „wir zum Begriff einer auf dem
Übergang ins Produkt begriffenen Produktivität, oder eines Produkts, das ins Unendliche produktiv
Vgl. Schelling, Einleitung zu dem Entwurf eines Systems der Naturphilosophie, S.30: „Aber kann die Natur nichts als
das Regelmäßige produzieren, und produziert sie es mit Notwendigkeit, so folgt, daß sich auch in der als selbständig und
reell gedachten Natur und dem Verhältnis ihrer Kräfte wiederum der Ursprung solcher regel- und zweckmäßigen
Produkte als notwendig muß nachweisen lassen, daß also das Ideelle auch hinwiederum aus dem Reellen entspringen und
aus ihm erklärt werden muß.“ Dies ist eben die „Aufgabe der Naturphilosophie“.
16
Ebd.
17
Ebd., S.36. Vgl. auch S.35.
18
Ebd., S.37. Vgl. E. Bloch, Natur als organisierendes Prinzip – Materialismus beim frühen Schelling, in: Materialien
zu Schelling, S.293. Dort beschreibt Bloch den wesentlichen Gesichtspunkt der Naturphilosophie als die Frage: „Wie
kommt das Objekt zum Objekt?“, wohingegen der wesentliche Gesichtspunkt der Transzendentalphilosophie in der Frage
besteht: „Wie kommt das Subjekt zum Objekt?“. Vgl. auch M. Rudolphi, Produktion und Konstruktion. Zur Genese der
Naturphilosophie in Schellings Frühwerk, Friedrich Frommann Verlag – Günther Holzboog, Stuttgart-Bad Cannstatt
2001, S.127ff. Er bemerkt diese Differenzierung bei Schelling bereits sogar in Von der Weltseele 1798. Auch B.
Sandkaulen weist auf diesen Aspekt hin; die Natur ist faktisch unabhängig vom Ich, obwohl sein kategorialer Rahmen
von der Transzendentalphilosophie geliefert wird (B. Sandkaulen, Ausgang vom Unbedingt, S.94ff.).
19
Vgl. Schelling, Einleitung zu dem Entwurf eines Systems der Naturphilosophie, S.40f.
15
22
ist, [gelangen]“.20 D.h. die Natur stellt hier die Mitte dar zwischen Produzierendem und Produkt
(oder zwischen Unendlichem und Endlichem). Sie ist aber zugleich die Einheit dieser beiden,
insofern sie sich aus sich selbst produziert. Diese Selbstproduktion der Natur bildet die ganze
Dynamik der Naturontologie, weil es außerhalb solcher Produktivität der Natur keine andere
Dimension von Realität des Seienden mehr gibt.
Mit anderen Worten: In seiner naturphilosophischen Konzeption von 1799 als seiner eigentlichen
Naturphilosophie ist die Natur das Ursprüngliche und zugleich das Ganze der Weltproduktion. Man
kann sagen: Die Natur und ihre Erscheinungen emanzipieren sich vom menschlichen Bewusstsein.
1.1.2 Zur Bedeutung der beiden naturphilosophischen Konzeptionen Schellings für den Jenaer
Hegel
Vermittels dieses neuen Begriffs der Natur bzw. vermittels der Naturphilosophie Schellings gelangt
Hegel in den Jahren 1801-02 zu einem ganz anderen Begriff von Realität als Kant und Fichte, die
‚Realität‘ vornehmlich subjektiv auffassten. 1801 begreift Hegel die philosophische Wissenschaft
von der Natur als den theoretischen Teil der Philosophie, dagegen die Wissenschaft von der
Intelligenz als den praktischen. Der erste Teil, so Hegel, fehle im System Fichtes, 21 mit der
Konsequenz, dass Fichte die Wirklichkeit des Seins nur subjektiv bestimme. Dazu schreibt Hegel:
„Die Wisse s haft
o
su jekti e
Su jekto jekt hat
isher Tra sze de tal-Philosophie
geheißen; die vom objektiven Subjektobjekt Naturphilosophie. Insofern sie einander
e tgege gesetzt si d, ist i je er das Su jekti e das Erste, i dieser das O jekti e.“22
Die Kantische, aber auch die Fichtesche Ansicht der Natur soll „nur als Maxime unseres
eingeschränkten, diskursiv denkenden, menschlichen Verstandes gelten, in dessen allgemeinen
Begriffen die besonderen Erscheinungen der Natur nicht enthalten seien; durch diese menschliche
Betrachtungsart soll über die Realität der Natur nichts ausgesagt sein; die Betrachtungsart bleibt also
20
Ebd., S.54.
Vgl. Hegel, Differenzschrift, S.90f. „Diese Anschauung der Natur, als Etwas, das Nichts an sich, sondern reine
Erscheinung sei, also keine Wahrheit, noch Schönheit in sich hat, gründet denn eine Teleologie der Natur, und eine
Physikotheologie, welche der ältern dem Inhalt nach geradezu entgegengesetzt, aber der Form nach in gleichem Prinzip
gegründet ist. […] Dies gemeine teleologische Prinzip, daß die Natur Nichts an sich, sondern nur in Beziehung auf ein
Anderes, ein absolut Unheiliges und Totes ist, hat die Fichtesche Philosophie mit aller Teleologie, besonders des
Eudämonismus gemeinschaftlich […].“
22
Ebd., S.84.
21
23
ein durchaus Subjektives, und die Natur ein rein Objektives, ein bloß Gedachtes.“23 Mit anderen
Worten: der Transzendentalphilosophie fehlt die Einbeziehung der Realität der Natur, die nicht
einfach diskursiv gedacht ist, sondern vielmehr ihre eigene Wirklichkeit besitzt, in diesem Sinne also
das objektive Subjektobjekt darstellt. Anders als Fichte habe Schelling bereits den Begriff einer
solchen Naturontologie gefunden, und auch Hegel ist es wichtig, den theoretischen Teil der
Philosophie stärker hervorzuheben.
1802 argumentiert er in seiner Fichtekritik dann weiter, dass Fichte, weil er „die ewige
Natur“ „schlechthin nur unter der Form absoluter Entgegensetzung [gegen die Vernunft]“ betrachte,
sie niemals als die Wahrheit des Seins begreifen könne.24 Denn:
„[D]as Wesen des Ich besteht im Handeln, das absolute leere Denken soll sich selbst setzen, es
ist nicht gesetzt, es kommt ihm kein Sein zu; aber die objektive Welt ist das Sein desselben, und
es kann zu seinem wahren Wesen nur gelangen, daß es dieses Sein vernichtet; und die Natur ist
somit bestimmt als bloße Sinnenwelt, als ein zu Vernichtendes, und muß als ein solches
erka
t erde .“25
Dies bedeutet, dass die Natur für das Ich nur ein Negatives darstellt, das vom Ich – vermittels seiner
sinnlichen Wahrnehmung – bloß subjektiv gesetzt wird. Wenn also von ‚Vernichtung‘ die Rede ist,
dann in dem Sinne, dass sie nicht als selbständig aufgefasst wird, sondern als abhängig vom
menschlichen Denken sowie vom praktischen Bezug des Menschen auf sie, also vom Handeln.
Umgekehrt hat das Ich damit einen nur negativen Inhalt, anders formuliert: dieses Wesen – das Ich –
ist leer. Es gibt bei Fichte also kein wirkliches Sein, sondern allein ein Sein-Sollen, das die Negation
des sinnlichen Seins ist. Dieses hat deswegen keine Realität in sich selbst, weil es der Natur ihre
seinsmäßige Eigenständigkeit abspricht. Der von Fichte nicht eingeholte notwendige Zusammenhang
der ursprünglichen, äußeren Natur mit der Realität, die der Vernunft zukommt, ist aus der Sicht
Schellings eben der entscheidende Mangel an Fichtes Ansatz, den Schelling nun seinerseits nicht
allein durch seine Identitätsphilosophie, sondern auch durch seine Naturphilosophie zu beheben
sucht. Die sich mit der Naturphilosophie Schellings verbindende Einsicht, dass ohne eine solche
Vorstellung von der Natur – derzufolge Natur von der Idealität oder von der bloßen Subjektivität zu
23
24
25
Ebd., S.85.
Vgl. Hegel, Glauben und Wissen, S.121ff.
Ebd., S.120.
24
unterscheiden ist – auch die Vernunft keine Realität haben kann, ist auch für Hegel von
entscheidender Bedeutung.
Wogegen sich Hegel mit seinem eigenen naturphilosophischen Ansatz (seit 1803) allerdings
immer stärker sträubt, ist eben die – aus Hegels Sicht – zu sehr an Spinoza orientierte
Naturphilosophie Schellings. Für Hegel ist die Emanzipation der Naturphilosophie von der
Transzendentalphilosophie bei Schelling seit 1799 (die zu einem selbständigen Teil innerhalb des
Systems der Philosophie wird) weniger bedeutend als die Naturphilosophie, die Schelling 1797
entwickelt.26 Die eigentliche Naturphilosophie Schellings seit 1799 darf nicht als Philosophie einer
bloß mannigfaltig erscheinenden Natur aufgefasst werden, die sich überhaupt nicht zum
„unvordenklichen Grund“ des Geistes verhalten kann. Die hier in Rede stehende Naturphilosophie ist
stets mit der echten Natur verbunden – und zwar nicht reflexiv, sondern vermittels der Anschauung.
De facto vertritt Schelling mit seiner Naturontologie seit 1799 also die Ansicht, die Natur sei autark
und in sich selbst tätig; sie ist nicht bloß für das erkennende Subjekt und seine einzigartige
Spontaneität oder Produktivität.
Doch obwohl diese neue Naturtheorie Schellings Hegel tief begeistert, greift er diesen Naturbegriff
nicht einfach auf, sondern versucht, ihn in seine eigenen Entwürfe zu integrieren. Die Realität der
Natur ist für Hegel nicht allein einer Produktivität der Natur selbst geschuldet – wie bei Schelling
und Spinoza –, sondern hat ihren Grund in der Entäußerung der Logik in der Sphäre der Natur oder:
in der Naturalisierung des Geistes.27 Während die Naturphilosophie Schellings seit 1799 – entgegen
26
Sowohl Neuser als auch Schmied-Kowarzik haben auf diesen entscheidenden Punkt hingewiesen. Neuser argumentiert:
„Schellings frühe Naturphilosophie kennt erstens eine transzendentalphilosophische Begründung seit 1797 und 1798, die
die Natur aus einer Konstruktion der Selbstanschauung des Geistes interpretiert, und zweitens eine eigentlich so zu
nennende naturphilosophische Begründung, die im Umbruch ab 1799 nicht mehr eine Konstruktion in der
Selbstanschauung des Geistes annimmt, sondern eine Selbstorganisation der Natur. […] Diese eigentliche
naturphilosophische Begründung Schellings spielt für den Beginn der Hegelschen Philosophie 1801 keine entscheidende
Rolle. Vielmehr knüpft Hegel 1801 in seiner Vorlesung Logik und Metaphysik an die transzendentalphilosophische
Begründung der frühen Naturphilosophie Schellings von 1797/98 an.“ (W. Neuser, Einfluß der Schellingschen
Naturphilosophie auf die Systembildung bei Hegel: Selbstorganisation versus rekursive Logik, in: Die Naturphilosophie
im Deutschen Idealismus, hrsg. v. K. Gloy und P. Burger, Friedrich Frommann Verlag – Günther Holzboog, Stuttgart-Bad
Cannstatt 1993, S.240f.) Schmied-Kowarzik behauptet entsprechend, dass die der Differenzschrift Hegels
zugrundeliegenden Gedanken einerseits aus Schellings Naturphilosophie 1797, andererseits aus dem System des
transzendentalen Idealismus stammen (S.-Kowarzik, Die frühe Abweichung Hegels von der Naturphilosophie Schellings
und ihre Folgen für das absolute System, in: Die Wirklichkeit der Natur, S.176 und S.182). Auf eine eigene Weise
wiederholt C. Lauer diese These (Lauer, Suspension of Reason in Hegel and Schelling, S.41).
27
Vgl. Neuser, Einfluß der Schellingschen Naturphilosophie auf die Systembildung bei Hegel, S.238-268;
Schmied-Kowarzik, Die frühen Abweichung Hegels,S.189. 1804/05 habe Hegel eine ganz besondere Stelle für die Natur
innerhalb seines Systems geschaffen, die sich nicht – wie es seine Konzeption von 1805/06 vorsieht – streng zum Geist
verhält, sondern vielmehr „der sich auf sich selbst beziehende absolute Geist [ist]“ (Hegel, Jenaer Systementwürfe II,
Logik, Metaphysik, Naturphilosophie, hrsg. v. R.-P. Horstmann, Felix Meiner Verlag, Hamburg 1982, S.191). Diese
25
derjenigen Hegels – die Wirklichkeit der eigenständigen Natur gegenüber der Logik und dem
menschlichen Bewusstsein betont, begreift Hegel die Natur tatsächlich als die Idee in der Form des
Andersseins des Geistes, oder als den sich entfremdeten Geist, und verbindet sie mit Denken und
Bewusstsein.28 Diese Verbindung ist für Hegel eine geistige und logische. Man muss also sagen,
dass nicht die Natur überhaupt in all ihren Erscheinungen, sondern ein Naturbegriff das Wesen der
Hegelschen Naturphilosophie ausmacht, der die zur logischen und geistigen Bestimmtheit gewordene
Natur bezeichnet.29
Zum Beleg dieser hier vorgetragenen These verfahre ich chronologisch, und zwar in folgenden
Schritten:
1. Im Systemfragment von 1800 geht Hegel davon aus, dass die Natur „ein Setzen des Lebens [ist],
denn ins Leben hat die Reflexion ihre Begriffe von Beziehung und Trennung, von Einzelnem, für
sich Bestehendem, und Allgemeinem, Verbundenem […] gebracht, und es durch Setzen zur Natur
gemacht.“ Und weiter:
Bedeutung, die der Natur hier zukommt, ist allerdings nur innerhalb des Ganzen von Logik und Metaphysik
nachvollziehbar. Seit 1805/06 verwendet Hegel einen solchen Naturbegriff wie den – scheinbar auf die Philosophie
Schellings verweisenden – von 1804/05 nicht mehr. Er orientiert sich vielmehr wieder an Fichte und hat den Naturbegriff
in seiner Philosophie des Geistes wiederum zweckmäßig vergeistigt. Vgl. W. Neuser, Hegels Naturphilosophie der
Jenaer Zeit und ihre Bedeutung für die Systemkonzeption, in: Die Eigenbedeutung der Jenaer Systemkonzeptionen
Hegels, S.89-97. Neuser argumentiert also, dass der Naturbegriff Hegels 1804/05 im Zuge der logischen Wende innerhalb
seiner Philosophie tatsächlich als eine logische Bestimmtheit aufgefasst wird. Diese Wendung Hegels von Schelling
zurück zu Fichte bemerkt auch V. Hösle (V. Hösle, Hegels System. Der Idealismus der Subjektivität und das Problem der
Intersubjektivität, Meiner, Hamburg 1998, S.51). Kimmerle behauptet dann weiter wie K. Nadler, dass sich die
Naturphilosophie Hegels bereits ab 1805/06 durch die Beobachtung der Natur durch die Vernunft verändere. Später führt
diese Kontroverse zwischen Schelling und Hegel zum Abbruch ihrer Freundschaft (H. Kimmerle, Das Problem der
Abgeschlossenheit des Denkens. Hegels System der Philosophie in den Jahren 1800-1804, H. Bouvier und CO. Verlag,
Bonn 1970, S.135f. und S.162.). Schelling hat bis zu seinem Tod mit der logifizierten Natur Hegels gekämpft, mit dem
Ziel, die selbständige Wirklichkeit der göttlichen Natur zu bewahren. Seine Argumentation wurde dann von Feuerbach
und Marx weiter entwickelt. Vgl. Dazu R.-P. Horstmann, Logifizierte Natur oder naturalisierte Logik? Bemerkung zu
Schellings Hegelkritik, in: Hegels Philosophie der Natur. Beziehungen zwischen empirischer und spekulativer
Naturkenntnis, hrsg. v. R.-P. Horstmann und M. J. Petry, Klett-Cotta, Stuttgart 1986, S.290-309.
28
Vgl. Kowarzik, Die Wirklichkeit der Natur, in: Natur, S.170: „Der entscheidende Differenzpunkt zu Schelling ist, daß
es Hegel gerade nicht um ein solches Begreifen der Natur in ihrem Wirklichkeitszusammenhang zu tun ist; sein
Herangang an das Problem ist ein völlig anderer. Hegel beginnt sein System mit der Selbsterkenntnis des Denkens, dem
Beisichsein der absoluten Idee. Dieser gegenüber erscheint die Natur notwendig als das Andere ihrer selbst, das es
erkennend aufzuheben gilt, um zu sich selbst als freier, bewusster Geist zu kommen.“ Weiterhin Kowarzik, Thesen zur
Entstehung und Begründung der Naturphilosophie Schellings, in: Naturphilosophie, S.96. Dort heißt es weiter, „daß
Schelling sein System mit der Naturphilosophie beginnen läßt und daß Hegel es ausdrücklich ablehnt, die Natur als einen
aus sich begründeten Prozeß zu begreifen.“
29
Obwohl Th. Haerings Hegel-Buch wegen der falschen Chronologie nicht mehr den heutigen Kenntnisstand
widerspiegelt, hat er ganz früh bereits den Unterschied zwischen Hegels und Schellings Auffassung der Natur in ihrer
Jenaer Zeit dargestellt. Für ihn ist Hegels Jenaer Naturkonzeption bereits eine dialektische, d.i. eine
logisch-natürlich-geistige (vgl. Th. Haering, Hegel. Sein Wollen und sein Werk, Band 1, Scientis Verlag Aalen, Stuttgart
1963, S.655-670).
26
„Weil u das Leben als Unendlichkeit von Gestalten, auf diese Art als Natur ein unendlich
Endliches, [als] ein unbeschränkt Beschränktes, diese Vereinigung des Endlichen und
Unendlichen und die Trennung desselben in ihr ist, die Natur nicht selbst Leben, sondern ein
von der Reflexion ob zwar aufs würdigste behandeltes fixiertes Leben ist, so fühlt, oder wie
man es nennen will, das Natur betrachtende, denkende Leben noch diesen Widerspruch, diese
einzige noch bestehende Entgegensetzung seiner selbst gegen das unendliche Leben, – oder
die Ver u ft erke
t o h das Ei seitige dieses Setze s, dieses Betra hte s […].“30
Mit anderen Worten: Die Natur existiert nur in den reflexiv gewordenen, mannigfaltigen Gestalten,
Hegel begreift sie jedoch nicht als ein sich selbst organisierendes System. Die Reflexion zerstört die
ursprüngliche Einheit, setzt sie als ein Getrenntes, woraus sich ein Widerspruch des unendlichen
Lebens ergibt. Dieser Widerspruch innerhalb der Natur selbst, insofern sie sich in allen natürlichen
Erscheinungen als „einseitige Vielheit“ zeigt, ist allein für das Denkende, für die Vernunft oder den
Geist.31 Diese Struktur entstammt aber selbstverständlich nicht der Naturphilosophie Schellings von
1799, sondern derjenigen von 1797, in der Schelling die Behauptung aufstellt, dass sich die
Trennung zwischen dem Geist und der äußerlichen Welt tatsächlich in der Natur selbst vollziehe, und
dass „mit jener Trennung zuerst […] die Reflexion (nach erster Auflage: Spekulation) [beginnt]“.32
2. In der Habilitationsschrift Hegels von 1801 heißt es:
„Die Erfahru g u d Erke
t is der Naturgesetze stützt si h ja auf i hts a deres als darauf, daß
wir glauben, die Natur sei aus der Vernunft gebildet, und darauf, daß wir von der Identität aller
Naturgesetze ü erzeugt si d.“33
Hegel verbindet also den Naturbegriff von vornherein mit der Vernunft (ratio). 34 Diese Vernunft
meint die absolute Identität. Schelling kommentiert dazu: „Dem Absoluten, durch das die Wahrheit
dauerhaft und zum Prinzip wird, muß aufs Vollkommenste Identität zugeschrieben werden – wie das
Wort besagt.“35 Das Absolute oder die Vernunft bezeichnen für Hegel auch den Geist (mens), „der
30
Vgl. Hegel, Systemfragment von 1800, in: Theologische Jugendschriften, S.346f.
Ebd., S.347: „Das unendliche Leben kann man einen Geist nennen, im Gegensatz zu der abstrakten Vielheit“.
32
Schelling, Ideen, S.71.
33
G.W. F. Hegel, Dissertatio Philosophica de Orbitis Planetarrum (Philosophische Erörterung über die Planetenbahnen),
übers., eingeleitet und kommentiert v. W. Neuser, VCH Verlagsgesellschaft mbH, Weinheim 1986, S.136.
34
T. G. Bucher hat ebenfalls auf diesen Punkt hingewiesen: „Zum Schluß (seiner Habilitation) kommt Hegel auf die
Planetenabstände zu sprechen. Maß und Zahl sind in der Natur mit der Vernunft verbunden, die Gesetzte zeigen die
Identität von Vernunft und Natur.“ (Buchner, Wissenschaftstheorietische Überlegungen zu Hegels Planetenschrift, in:
Hegel-Studien, Bd. 18, Bonn 1983, S.73)
35
Hegel, Dissertatio, S.145.
31
27
sich selbst in seiner subjektiven Gestalt erzeugt hat und dessen Übergang in seine objektive Gestalt
tatsächlich das Quadrat36 ist“.37 Hegel nennt diesen Geist „natura naturans“. Es ist also eigentlich
der Geist, niemals aber die Natur selbst, der die Natur gebiert. Dieser Gedanke entspricht zwar der
Naturphilosophie Schellings von 1797 und seiner Identitätsphilosophie seit 1801, nicht aber seiner
naturphilosophischen Konzeption von 1799.
3. 1801 versucht Hegel darüber hinaus, die Naturphilosophie auf der Basis seiner Logik zu gründen
und setzt die Natur mit der Reflexion gleich. Weil der Reflexionsbegriff bei ihm um 1801 in seiner
Vorlesung über die Logik und Metaphysik zweifellos der Sphäre der Logik zuzuordnen ist, taucht die
Natur in der ursprünglichen Verbindung mit ihrem logischen Sinn auf. 38 Einen eigenständigen
Naturbegriff – wie ihn Schelling 1799 formuliert – gibt es bei Hegel de facto nicht, da er seine frühe
Naturphilosophie an die rationale Psychologie annähert, die den „Übergang aus der Bewußtlosigkeit
in Bewußtsein“39 darzulegen versucht. Die Naturphilosophie mit der rationalen Psychologie firmiert
1801 unter dem Titel „Logik“. Es scheint daher evident, dass Hegel die Entfaltung von Natur und
Geist als die reflexive Logik begreift.40
4. Auch in der Differenzschrift von 1801 und in Glauben und Wissen von 1802 stellt Hegel die
Identität der Natur mit dem Geist durch die reflektierende Vernunft dar. 1801 gesteht Hegel zwar zu,
dass die Naturphilosophie als der theoretische Teil der Philosophie anzusehen ist, er meint damit aber:
„Die Natur [ist] so gut eine immanente Identität, als die Intelligenz eine immanente Realität; beide
Pole des Erkennens und des Seins sind in jedem, beide haben also auch den Indifferenzpunkt in
sich“.41 Dieser Indifferenzpunkt im Sinne der Vernunft42 oder der philosophischen Reflexion (=
Das Naturgesetz nämlich, denn „quadratum est lex naturae“. Vgl. ebd., S.75.
Ebd., S.131.
38
Eine ausführlichere Darstellung diesbezüglich findet sich bei Neuser, dessen Thesen ich hier nur zusammenfasse. Vgl.
W. Neuser, Einfluß der Schellingschen Naturphilosophie auf die Systembildung bei Hegel, S.238-266.
39
K. Düsing, Schellings und Hegels absolute Metaphysik, [1801-1802], Zusammenfassende Vorlesungsnachschriften
von I. P. V. Troxler, hrsg., eingeleitet und mit Interpretationen versehen v. K. Düsing, Köln 1988, S.74. Vgl. auch W.
Neuser, Einfluß der Schellingschen Naturphilosophie auf die Systembildung bei Hegel, S.246ff., und Manfred Baum, Die
Entstehung der Hegelschen Dialektik, Bouvier Verlag, Bonn 1986, S.142-173, vor allem S.156ff. zum Abschnitt „Logica
et Metaphysica“ der Vorlesung von 1801/02.
40
Ebd., S. 259ff. Bereits die Eingangsthesen seiner Habilitationsschrift thematisieren diese logische Struktur der Natur,
da Hegel zunächst die logischen Sätze, dann die naturphilosophischen aufstellt (Hegel, Dissertatio, S.75f.). Buchner legt
ausführlich dar, wie Hegel in seiner Habilitationsschrift seine erste Naturphilosophie mit der Logik verbindet. Vgl.
Buchner, Wissenschaftstheorietische Überlegungen zu Hegels Planetenschrift, S.102-111. Vgl. auch Manfred Baum, Die
Entstehung der Hegelschen Dialektik, S.127-136. Darüber hinaus sind bereits die Titel seiner Jenaer Vorlesungen ein
Beleg dessen. Vgl. K. Rosenkranz, Georg Wilhelm Friedrich Hegels Leben, Wissenschaftliche Buchgesellschaft,
Darmstadt 1977, S.156 und S.160f.
41
Hegel, Differenzschrift, S.89.
42
Vgl. ebd., S.93f.
36
37
28
Spekulation)
43
wird zum einen auf der Grundlage der Identitätsphilosophie Schellings
herausgearbeitet, zum andern jedoch unter Bezugnahme auf dessen Naturphilosophie von 1797, denn
diese Indifferenz bezieht sich noch nicht auf die Natur selbst, sondern auf den die Natur
anschauenden und reflektierenden Geist. Für Schelling ist die wesentliche Einsicht 1797 diese:
„Die Natur soll der si ht are Geist, der Geist die u si ht are Natur sei . Hier also, i der
absoluten Identität des Geistes in uns und der Natur außer uns, muss sich das Problem, wie
eine Natur außer uns möglich sei, auflösen. Das letzte Ziel unserer weiteren Naturforschung ist
daher diese Idee der Natur“.44
Eben diese Idee der Natur heißt nun bei Hegel „Vernunft“, da sie zum geistigen Ausdruck der Natur
und zur absoluten Identität von Subjekt und Objekt wird. Für Hegel sind „Natur und
Selbstbewußtsein […] an sich so, wie sie in der eignen Wissenschaft einer jeden von der Spekulation
gesetzt werden; sie sind deswegen so an sich selbst, weil es die Vernunft ist, die sie setzt, und die
Vernunft setzt sie als Subjekt-Objekt, also als das Absolute, – und das einzige Ansich ist das Absolute.
Sie setzt sie als Subjekt-Objekt, weil sie es selbst ist, die sich als Natur und als Intelligenz produziert
und sich in ihnen erkennt.“45 Im Rahmen der Setzung einer in diesem Sinne absoluten Vernunft wird
der Natur eine ihr entsprechende Wissenschaft zugeordnet und sie erhält andererseits Objektivität
innerhalb der Subjektivität.
5. Zugleich betont Hegel 1802, dass die Rekonstruktion des Wesens der Natur und der Welt „das
Wesen des Geistes enthüllen und ihn darstellen [muss], wie in ihm als frei die Natur sich reflektiert,
die sich in sich zurücknimmt und ihre ursprüngliche, ungeborgte, reelle Schönheit in das Ideelle oder
die Möglichkeit und somit sich als Geist erhebt, welcher Moment, insofern die Identität als
Ursprünglichkeit mit der Totalität verglichen wird, dadurch allein als Bewegung und Zertrümmerung
der Identität und als Rekonstruktion erscheint, – und wie das Wesen der Natur, in der Form der
Möglichkeit oder als Geist, seiner selbst als ein lebendiges Ideal in anschaubarer und tätiger Realität
genießt und als sittliche Natur seine Wirklichkeit hat, in welcher das sittlich Unendliche oder der
Begriff und das sittlich Endliche oder die Individualität schlechthin eins sind.“ 46 Die Identität
(Vernunft) taucht hier also als der lebendige Geist auf, der in der natürlichen Totalität die – reflexiv
43
44
45
46
Vgl. ebd., S.96.
Schelling, Ideen, S.107.
Hegel, Differenzschrift, S. 83.
Hegel, Glauben und Wissen, S.127.
29
zu verstehende – Zertrümmerung des lebendigen Ganzen ist; ein reflektierender Akt, durch den die
Natur als die Idee oder als das „lebendige Ideal“ erscheint. Durch diesen Akt erhält die Natur ihr
freies,
menschlich-sittlich-bewusstes
Wesen
und
wird
in
den
Geist
aufgehoben
oder
zurückgenommen. Genauso stellt Schelling 1797 die Beziehung von Natur und Geist dar. Für
Schelling ist Philosophie „nichts anderes, als eine Naturlehre unseres Geistes“, oder „das System
der Natur ist zugleich das System unseres Geistes“47. Dieses geistige Wesen der Natur findet seine
Entsprechung in der praktisch-sittlichen Natur des Menschen.48 – Der Zweck der Philosophie Hegels
1802 ist also dem philosophischen Anliegen Schellings von 1797 durchaus verwandt.
6. Diese sich zum Geist verhaltende Natur wird von Hegel seit 1803/04 immer klarer ins Auge
gefasst. „Im Geiste existiert die Natur als das, was ihr Wesen ist.“ 49 Denn das Ganze (d.i. das
Organische) der Vervielfältigung der Individuen in der Natur ist nichts anderes als „die absolute
Rückkehr der Natur in sich selbst“ oder als das „absolute Werden“50, das das Fürsichsein oder die
Einheit der Natur bildet. Daher nennt Hegel den Geist das Bewusstsein, weil der Geist „als der
Begriff des Einssein des Einfachen und der Unendlichkeit“ die Natur bestimmt, und diese
Unendlichkeit im Geist erst „für sich selbst oder als wahrhafte Unendlichkeit“ existiert.
51
In der Sphäre der Natur allerdings sind das Endliche und das Unendliche einander entgegengesetzt,
insofern die Natur das Endliche bloß reflexiv und je einzeln erkennt. Erst indem die Natur zur
begriffenen Natur wird, ist sie wahrhaft unendliche Natur. Mit anderen Worten: Das Sein des
Bewusstseins ist „überhaupt […] zuerst, wie es in sich selbst die Reflexion setzt, die bisher die
unsrige war, daß es die Identität der Natur ist, oder ist zuerst in negativer Beziehung auf die Natur;
und in dieser negativen Beziehung existiert es als bezogen auf die Natur selbst innerhalb derselben,
und die Weise seiner Existenz ist nicht eine Besonderheit, eine Einzelheit der Natur, sondern ein
allgemeines der Natur“.52 Die Negation der Natur durch das Bewusstsein ermöglicht allererst die
allgemeine Existenz oder die Identität der Natur, die dann aber keine endliche, sondern eine
unendliche, geistige und sittliche Qualität besitzt.
Schelling, Ideen, S.93, vgl. auch S.98: „Also begegnen wir hier abermals jener absoluten Vereinigung von Natur und
Freiheit in einem und demselben Wesen, die belebte Organisation soll Produkt der Natur sein, aber in diesem
Naturprodukt soll herrschen ein ordnender, zusammenfassender Geist“.
48
Vgl. ebd., S.105ff.
49
Hegel, Jenaer Systementwürfe I, Das System der spekulativen Philosophie, Fragment aus Vorlesungsmanuskripten zur
Philosophie der Natur und des Geistes, hrsg. v. K. Düsing u. H. Kimmerle, Felix Meiner Verlag, Hamburg 1986, S.183.
50
Ebd.
51
Vgl. ebd., S.183f.
52
Ebd., S.191.
47
30
7. 1804/05 weist Hegel die logisch-metaphysische Verfasstheit der Natur auf. Am Ende der Jenaer
Logik und Metaphysik heißt es:
„Die Idee des Geistes, oder der si h selbst in dem Anderen als sich selbst anschaut, ist
unmittelbar wieder der sich auf sich selbst als absoluter Geist beziehende Geist; oder es ist der
absolute Geist als Unendlichkeit, und für sein Selbsterkennen, oder den sich aus seinem
Anderen sich werdenden, das Andere desselben: Es ist die Natur.“53
Die logische Idee des Geistes erhält also ihre Natur, insofern diese Idee als das wahre Unendliche
sein Anderes in sich selbst begreift. Hier definiert Hegel die Natur erstmals als das Anderssein des
Geistes. Sie „ist der sich auf sich selbst beziehende absolute Geist“, jedoch lediglich „als ein
befangener Geist, dessen Existenz die Unendlichkeit, oder in seiner Reflexion in sich selbst zugleich
seine Befreiung, sein Übergehen in den sich in diesem Anderen als absoluten Geist findenden Geist
[ist].“54 Also: Die Natur ist zwar geistig verfasst, sie begreift ihr geistiges Wesen jedoch nicht. Sie
ist geistig, insofern sich in ihr eine logisch-metaphysisch-geistige Idee verkörpert; aber sie ist eben
nur die Erscheinung der Idee, und in diesem Sinne kann man sagen, dass sie ihrem eigenen Wesen
widerspricht, oder sie „nur ein formales Leben, nicht ein sichselbsterkennendes Leben“55 ist. Auf
diese Weise gelangt die Natur zu ihrer logisch-reflexiven Unendlichkeit und repräsentiert zugleich
den Gegensatz zwischen Natur und Geist. Nur wenn sie ihr Wesen erkennen könnte – was sie nicht
kann –, stiege sie zu wahrhaft geistig-metaphysischer Unendlichkeit auf. Denn „die Natur ist in ihrer
Bestimmtheit hiemit in dieser Bestimmtheit der Unendlichkeit. Ihr Sein, ihre Existenz, die Weise des
Gegensatzes, wie er an ihr ist, ist ihre Bestimmtheit; sie ist nur ein Bestimmtes als Geist, und also
ihre Bestimmtheit die in sich reflektierte oder ideellgesetzte logische Unendlichkeit. Sie ist als Natur
an ihr selbst, auch in ihrem Fürsichsein, in ihrer Realität als Natur diese metaphysische
Unendlichkeit“, worin sie sich „zum absoluten Geiste“ oder „zum Selbsterkennen“ verhält. 56 Der
Bereich des Natürlichen liegt also zwischen ihrer logischen und ihrer metaphysisch-geistigen
Bestimmtheit. Gemeinhin wird diese Entwicklung innerhalb der Hegelschen Philosophie als Resultat
der Auseinandersetzung Hegels mit der Naturphilosophie Schellings von 1797 betrachtet, da Hegel
hier eine logische Bestimmtheit in die Natur einführt. Zugleich ist diese Entwicklung aber auch ein
53
54
55
56
Hegel, Jenaer Systementwürfe II, S.188f.
Ebd., S.191.
Ebd., S.193.
Ebd., S.192.
31
Fortschritt gegenüber Hegels Jenaer Vorlesung von 1801, insofern er die Natur nun nicht mehr nur
logisch, sondern auch metaphysisch betrachtet.
8. In der Konzeption von 1805/06 wird die Natur dann von Hegel absolut vergeistigt. Denn Hegel
bemerkt – anders als 1803/04, wo dies lediglich am Schluss erwähnt wird, und vergleichbar mit der
Konzeption von 1804/05, wo es bereits zu Beginn der Naturphilosophie Erwähnung findet –, dass in
der allgemeinen Bestimmung der Natur „der Geist als Natur ist“57. Er behauptet also, die Natur
existiere eigentlich nur im Reich der Namen,58 da der Geist (oder die Vernunft) als „die erste
Schöpferkraft“ 59 die Natur in ihrem Wesen ausspreche. Wenn die Natur oder die natürliche
Vielfältigkeit der Erscheinungen aus ihrer Bewusstlosigkeit herausgehoben wird, wird sie unter dem
Namen betrachtet, den der Geist ihr zuordnet. 60 Dieser Name gehört zur geistig-innerlichen
Anordnung, da die „Namengebende Kraft“ des Geistes „in sich die Ordnung der Namen fixiert.“61
Und da ‚Geist‘ hier von Hegel auch als ‚Ich‘ bezeichnet wird, drückt sich darin auch wiederum der
Bezug auf die Philosophie Fichtes aus,62 die auch für Schelling 1797 eine wichtige Rolle spielt.
Festzuhalten bleibt jedoch, dass die Natur für Hegel nur durch ihr Verhältnis zum Geist und zur
Sphäre der Logik angemessen begriffen werden kann, insofern sie in sich selbst wesentlich nur der
„Name“ ist, den der Geist ihr zuerkennt, sie also in sich selbst geistig verfasst ist. Eine wahrhafte
Realität der Natur ohne ein sie begreifendes Bewusstsein oder vor demselben ist für Hegel undenkbar.
Genau hier aber distanziert sich Hegel von der Naturphilosophie Schellings von 1799. Und diese
Distanznahme erklärt auch, aus welchem Grund sich Hegel für Schellings eigentliche
Naturphilosophie gar nicht wirklich interessiert.
Es sollte deutlich geworden sein, dass Hegel sich von vornherein für Schellings Naturbegriff von
1797 ausspricht; von besonderer Bedeutung ist hier der Zusammenhang von Natur und Geist, wie
Hegel ihn denkt. Die obige Skizze ist für vorliegende Untersuchung der von Hegel formulierten
Theorie der Zeit von zentraler Bedeutung, insofern der Hegelsche Zeitbegriff eine Verwandtschaft zu
57
Hegel, Jenaer Systementwürfe III, hrsg. v. R. P. Horstmann, Felix Meiner Verlag, Hamburg 1987, S.4.
Vgl. ebd., S.175:„Die Welt, die Natur ist […] ein Reich der Namen.“
59
Ebd.
60
Vgl. ebd., S.177, Fußnote 1.
61
Ebd., S.179.
62
Kimmerle hat als erster auf diesen Punkt hingewiesen; allerdings bemerkt er nicht, dass dieser Aspekt für Hegel
bereits früher eine Rolle spielt und nicht erst um 1804/05 (vgl. H. Kimmerle, Das Problem der Abgeschlossenheit des
Denkens, S.135f. und S.162).
58
32
Hegels Begriff der Natur in ihrem Verhältnis zur Logik und zum Geist aufweist. Im Rahmen der
Hegelschen Naturphilosophie muss also auch die Zeit immer in Bezug auf den Geist verstanden
werden: Eine ganz eigenständige und in dem Sinne natürliche Zeit gibt es bei Hegel nicht. Das Sein
oder die Realität der Zeit ist für Hegel eine logisch-geistige; die reale Zeit erhält also durch die Natur
ihre Bestimmtheit in der Trias Logik-Natur-Geist, und ihre Wirklichkeit kann nicht losgelöst davon
betrachtet werden.63
1.2 Die Aporie in der Identitätsphilosophie Schellings und ihre Bedeutung für Hegel
1.2.1 Die Aporie in der Identitätsphilosophie Schellings
Durch die Trennung zwischen der Naturphilosophie und der Transzendentalphilosophie gelangt
Schelling zu der Vorstellung einer blinden und bewusstlosen Produktivität der Natur. Im Rahmen der
Transzendentalphilosophie Schellings geht es demgegenüber um die Frage nach dem Wesen der
Intelligenz und des Bewusstseins:
„We
es
u
Aufga e der Tra sze de talphilosophie ist, das Reelle de
Ideelle
unterzuordnen, so ist es dagegen Aufgabe der Naturphilosophie, das Ideelle aus dem Reellen
zu erkläre .“64
Seit 1801 versucht Schelling dann – mit Hilfe von Spinoza –, diese beiden philosophischen
Konzeptionen systematisch als ein Ganzes zu fassen. Dazu schreibt er:
„I h ha e das,
as i h Natur- und Transzendentalphilosophie nannte, immer als
entgegengesetzte Pole des Philosophierens vorgestellt; mit der gegenwärtigen Darstellung
befinde ich mich im Indifferenzpunkt, in welchen nur der recht fest und sicher sich stellen kann,
der ih zu or o ga z e tgege gesetzte Ri htu ge her ko struiert.“65
Der Indifferenzpunkt als die ursprüngliche Identität des Seins und des Erkennens „kann nicht
unendlich sich selbst erkennen, ohne sich als Subjekt und Objekt unendlich zu setzen. Dieser Satz ist
durch sich selbst klar.“66 Ohne die Entzweiung von Natur und Ich bleibt die Identität an sich dunkel
63
Inwiefern dies aber problematisch ist, stelle ich später noch dar; es wird sich zeigen, dass diese Schwierigkeit mit der
unten dargestellten Zeittheorie Hegels zusammenhängt, genauer mit dem Problem der Verewigung der Zeit.
64
Schelling, Einleitung zu dem Entwurf eines Systems der Naturphilosophie, S.30.
65
Schelling, Darstellung meines Systems der Philosophie, in: Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Schriften von
1801-1804, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1968, S.4.
66
Ebd., S.19.
33
und unbegriffen; diese Entzweiung ist also nicht als eine äußerliche Ergänzung dieser Identität zu
sehen, sondern vielmehr als immanente Notwendigkeit der Identität. Damit ergibt sich auch, dass für
diese erste Identität die Entzweiung als unbedingte Voraussetzung ihrer Selbsterkenntnis anzusehen
ist.
Schelling argumentiert weiter, dass in solcher Entzweiung, die sich innerhalb der Identität
vollzieht, nicht mehr die Identität als solche, sondern nur ihre Form oder ihr Wesen in der
quantitativen Differenz von Subjekt und Objekt vorgestellt wird.67 Die ursprünglich seiende Identität
und die sie erklärende Entzweiung sind daher überhaupt differenziert, hängen aber gleichwohl
voneinander ab. Sie sind insofern voneinander getrennt, als es in der Identität von Sein und Erkennen
einerseits die Forderung des immanenten Absoluten gibt, andererseits auch die nach einem
ontologischen Beweis vermittels der Reflexion. Die letztere Forderung in der Entzweiung kann nicht
mehr direkt durch die Identität selbst erklärt werden, sondern allein durch die Form oder das Sein
derselben potenziell und reflexiv. Festzuhalten ist hier: Die erste Identität ist für Schelling
schlechthin der höchste Realgrund; die reflexive Entzweiung dagegen ihr Erklärungsgrund.
Das Aporetische des Schellingschen Ansatzes ist nun die Loslösung des höchsten Realgrundes von
seinem Erklärungsgrund. Jener ist der unendliche Urgrund des Seins alles Seienden, dieser dagegen
eine negative Enthüllung des Vorstellungsgrundes alles Endlichen.68 Und zugleich ist jener Ursprung
der Wirklichkeit auch der Ursprung von Subjekt und Objekt, der zunächst bloß vorausgesetzt werden
muss.69 Der Erklärungsgrund, obwohl er der wissenschaftliche Beweis des ersten ist und diese
Voraussetzung begrifflich einholt und dadurch gleichsam in Wirklichkeit überführt, 70 erscheint der
ursprünglichen Identität nachgeordnet und wird nicht an sich selbst als der Grund des Absoluten
betrachtet.
Es sind folgende Gesichtspunkte, anhand derer diese Aporie einer der absoluten Identität
ontologisch-immanenten Differenz ausführlicher gezeigt werden soll:
67
Vgl. ebd.
Vgl. ebd., S.27: „Die quantitative Differenz des Subjektiven und Objektiven ist der Grund aller Endlichkeit, und
umgekehrt, quantitative Indifferenz beider ist Unendlichkeit.“ M. Frank verbindet diese Sache mit der Aporie der
cogito-Erfahrung, der der Bezug auf die tatsächlich seiende Identität fehle. Alle Erklärungen der Identität von Sein und
Erkennen belegen diese Identität also nur negativ vermittels der Reflexion. Vgl. M. Frank, Eine Einführung in Schellings
Philosophie, S.122-125.
69
Vgl. M. Frank, Eine Einführung in Schellings Philosophie, S.122f.
70
Vgl. H. Plessner, Das Identitätssystem, in: Materialien zu Schelling, S.426f.
68
34
1. „Das höchste Gesetz für das Sein der Vernunft, und da außer der Vernunft nichts ist, für alles Sein
ist das Gesetz der Identität.“71 Sie ist also der einzige ontologische Grund alles Seienden,72 oder das
einzige unendliche Ansichsein, denn „die absolute Identität ist das Einzige, was schlechthin, oder an
sich ist, also ist alles nur insofern an sich, als es die absolute Identität selbst ist, und insofern es nicht
die absolute Identität selbst ist, ist es überhaupt nicht an sich“. Daher gilt: „Nichts ist an sich
betrachtet endlich“.73 Die Differenz in Ansehung des einzelnen Dings ist nur durch die subjektiven
und objektiven Vorstellungen der Identität möglich, sie ist nur die Erscheinung derselben.74
2. Jedes einzelne Dasein scheint in dieser Vorstellung quantitativ different zu anderen. Aufgrund
seines unendlichen Wesens jedoch ist jedes Ding zugleich quantitativ indifferent in Bezug auf andere.
Diese Indifferenz ist also kein absolutes Sein selbst, kein wirklicher ontologischer Grund, sondern
ein quantitativer Ausdruck der Form dieses Seins. 75 Aber insofern ein Ding die quantitative
Indifferenz in sich selbst haben kann, ist es „in bezug auf sich selbst eine Totalität“ 76, obgleich diese
Totalität nur eine relative ist.
3. Schelling fährt fort, dass diese relative Totalität überhaupt nichts anderes als die Materie ist, 77 die
durch ihre Kraft allem Dasein seine relative Realität gibt, und „das primum Existens“ 78 des
Endlichen bildet. Es ist auffallend, dass diese materielle Kraft der relativen Totalität nun die
Schwerkraft, oder auch „die konstruierende Kraft und die absolute Identität“79 genannt wird, denn
„hieraus erhellt, daß die Schwerkraft mittelbar der Grund aller Realität, und nicht nur des Seins,
sondern auch der Fortdauer aller Dinge sei.“ Und ferner:
„Was
ir Materie e
e , ist a si h i ht Materie, so der die a solute Ide tität sel st,
insofern sie den Grund des ersten Reellwerdens von A und B (nämlich den verschiedenen
materialen Kräften) enthält.“80
Problematisch ist nun: Was berechtigt Schelling anzunehmen, dass die relative Totalität (d.i. die
Schwerkraft) als die absolute Identität bezeichnet werden kann, die sogar die Realität alles Daseins
71
Schelling, Darstellung meines Systems, S.12.
Vgl. ebd., S.13: „Das einzige Sein […] ist das der Identität selbst“, und S.14: „Das Sein gehört ebenso zum Wesen
der Vernunft als zu dem der absoluten Identität. […] Alles, was ist, ist die absolute Identität selbst.“ Vgl. auch S.15f.
73
Ebd., S.15.
74
Vgl. ebd., S.22f.
75
Vgl. ebd., S.27.
76
Ebd., S.29.
77
Vgl. ebd., S.38: „Die erste relative Totalität ist die Materie.“
78
Ebd., S.40.
79
Ebd., S.43.
80
Ebd.
72
35
aus sich selbst erzeugt, wenn diese Totalität nur die Totalität des Endlichen, aber nicht die der wahren,
unendlichen Totalität ist?
4. Die einzige Erklärung dafür ist, dass Schelling die absolute Identität hier in der Materie und ihrer
Kraft nur potenziell ausspricht. Diese Potenz der absoluten Identität heißt nun die Potenz der Natur:
„Natur nenne ich vorerst die absolute Identität überhaupt, insofern sie unter der Form des Seins von
A und B actu existiert (das objektive Subjekt-Objekt).“81 In der Anmerkung zu dieser Stelle heißt es:
„Es ist noch nicht der bestimmte Begriff. Im ganzen alles, was bloß Grund von Realität, nicht selbst
Realität = Natur.“82 Es gibt also im Grunde zwei verschiedene Realitäten innerhalb der absoluten
Identität: Die eine ist die natürliche, unselbständige und nur formell grundlegende, die andere
dagegen die selbständige und ansichseiende. Die erste stellt nur die Realität oder „das Sein des
Produkts“83 heraus. Sie ist zwar potenziell absolut, hat aber keine Realität der Bestimmtheit oder des
Wesens des sowohl produzierenden als auch produzierten Seins. Sie ist nur unter der objektiven
Form der wahren unendlichen Totalität gesetzt, obwohl sie alles Dasein potenziell umfasst. Allein die
zweite ist die wahre, unabhängige Realität – die Realität . Sie muss aber gar nicht aus
der ersten entstehen, vielmehr ist sie umgekehrt die ursprüngliche Garantie der zweiten Realität.
5. In diesem Sinn muss Schelling nur den formell ontologischen Grund der Identität, nicht aber den
wahren Grund derselben beweisen. Die absolute, wahre Identität ist der absolute Ungrund, damit
aber eben nicht reflexiv-beweisbarer Grund. Was als das Reale reflexiv bewiesen wird, ist nur die
Realität des von diesem Ungrund Abgeleiteten. 1802 bemerkt Schelling in seiner Ferneren
Darstellung dann deutlich, dass der Nachweis des wahren Seins nur durch intellektuelle Anschauung
möglich ist.
„Die
I tellektuelle
A s hauu g
i ht
ur
orü ergehe d,
so der
lei e d,
als
unveränderliches Organ, ist die Bedingung des wissenschaftlichen Geistes überhaupt und in
allen Theilen des Wissens. Denn sie ist das Vermögen überhaupt, das Allgemeine im
Beso dere , das U e dli he i
E dli he , eide zur le e dige Ei heit erei igt zu sehe .“84
81
Ebd., S.47
Ebd.
83
Ebd.
84
F. W. J. Schelling, Fernere Darstellung aus dem System der Philosophie, in: Friedrich Wilhelm Joseph Schelling,
Schriften von 1801-1804, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1968, S.258.
82
36
Und „nur in der Anschauung überhaupt ist Realität“85. Das Wesen, das intellektuell angeschaut wird,
ist schlechthin das Eine und das Unendliche. Allein in der Form der Identität gibt es das
Unterschiedliche und das Endliche, denn „das, wodurch sie [d.i. alle Dinge] sich absondern und
unterschieden sind, ist die Form.“86 Insofern das Wesen und die Form ursprünglich auch Eins sind,
ist „die formell absolute Erkenntnis […] sonach notwendig zugleich eine Erkenntnis des Absoluten
selbst.“87 Aus der formellen Realität der Einheit des Endlichen in der Natur entsteht niemals jene
absolute Realität des Unendlichen, vielmehr verhält es sich umgekehrt: die Anschauung des
Unendlichen generiert die Realität des Endlichen.
6. Es sollte also deutlich geworden sein, dass das Endliche im Rahmen der Identitätsphilosophie
Schellings nur formell aufzufassen sein kann. An sich ist es überhaupt kein Reelles, weil es in der
intellektuellen Anschauung nur das Ansichsein der Realität des Unendlichen gibt. Wenn Schelling
1802 vom „an und für sich Endlichen“ spricht, dann meint er damit also nur das „ideell endlich[e],
reell unendlich[e]“.88
Problematisch bleibt aber die Frage, wie Schelling dann weiter beweisen will, dass diese
intellektuelle Anschauung nicht an sich leer oder blind ist. Das führt zur Frage: Lässt sich das hier
beschriebene Defizit des Endlichen kompensieren? Bleibt der unendliche Realgrund vom endlichen
Erklärungsgrund dieser Realität getrennt, können die beiden Realitäten kein ontologischer Grund
füreinander sein; werden sie aber letztendlich als Eins angeschaut, ist es auch fragwürdig, wie diese
Anschauung selbst ohne alle weiteren Erklärungen schon ein ursprüngliches Reales behaupten kann,
das schlechthin unendlich ist. Recht besehen beantwortet Schelling diese Fragen mit seiner
Identitätsphilosophie nicht. Aber es sind eben diese offenen Fragen, aufgrund derer sich Hegel seit
1803/04 auf seinen eigenen Weg begibt. Wie dieser genau aussieht, soll im Folgenden dargestellt
werden.
85
86
87
88
Ebd., S.265.
Ebd., S.263.
Ebd., S.264.
Vgl. ebd., S.279 und 281.
37
1.2.2 Die Bedeutung von Schellings Identitätsphilosophie für den Jenaer Hegel
Für Hegel hat die Identitätsphilosophie Schellings eine ambivalente Bedeutung. Bis 1802 sind es
Schellings identitätsphilosophische Einsichten, die Hegels eigene Entwürfe gleichsam flankieren.
Hegels Gedanke von der „Identität der Identität und der Nichtidentität“ markiert gewissermaßen den
Höhepunkt der Zusammenarbeit zwischen Hegel und Schelling. Dieser Punkt interessiert Hegel
vermutlich insofern, als Schellings Projekt zur ursprünglichen Vereinigung von Idealem im
Bewusstsein und Realem in der Natur seinen eigenen Einsichten ähnelt. Selbst an diesem
mutmaßlichen Höhepunkt ihrer Gemeinsamkeit darf man nicht sagen, dass Hegel 1802 einfach ein
Schellingianer wäre, d.h. mit Schellings Darstellung der höchsten Identität zufrieden wäre. Vielmehr
denkt Hegel in der Tat unter dem Stichwort „Identität“ bereits seine eigenen Begriff des „wahren
Unendlichen“, der für sich eine ursprüngliche Selbstentwicklung der Reflexion fordert und daher
kein sogenanntes ideal-angeschautes, quasi gegen die Reflexion - oder besser - über alle Reflexion
bestehendes Prinzip an sich bedeutet. Es ist also die von Schelling behauptete immanente Trennung
zwischen der höchsten Realität und dem Grund ihrer Erklärung, oder die abgründige Identität aus
ihrem natürlichen Grund, mit der Hegel zunehmend nicht mehr einverstanden ist. Er fordert
Schelling vielmehr seit 1803 zum philosophischen Wettstreit auf.89 1807 schreibt Hegel vernehmbar
gegen Schelling gewandt:
89
D. Henrich stellt in seiner Abhandlung Andersheit und Absolutheit des Geistes den Punkt systematisch dar. Er zeigt
präzise, dass der Schellingsche Monismus oder die Philosophie des „All-Einen“ in sich die entscheidende Frage enthält,
„ob es Einzelnes überhaupt gäbe, oder ob alles Endliche nur wie eine Eigenschaft oder ein Zustand des Absoluten sei […]
Konzipiert er [der Monismus] das Einzelne als Attribut und Modus, so kommt er in Schwierigkeiten bei der
Interpretation der wirklichen Welt, konzipiert er es als in irgendeinem endlichen Sinne selbstständig, so folgt sogleich die
Frage, auf welche Weise dann überhaupt noch das Wirklichkeitsmonopol des All-Einen fortbestehen könne.“ (D. Henrich,
Andersheit und Absolutheit des Geistes, Sieben Schritte auf dem Wege vom Schelling zu Hegel, in: Selbstverhältnisse,
Reclam, Stuttgart 2001, S.148) Aufgrund eben dieser Frage entwerfe Hegel seine Jenaer Philosophie (vgl. ebd., S.152f.
und 162). Er bringe nicht nur das Endliche ins Absolute, sondern auch das Absolute ins Endliche. „Endliches kann nichts
vom Absoluten radikal Verschiedenes sein. Schelling hatte es eben darum mit relativer Selbstständigkeit ausgestattet,
weil es nur so auch in sich selbst dem Charakter der Absolutheit entsprach. Diese Selbstständigkeit war zugleich
aufzuheben. Und da dies wieder nur intern erfolgen konnte, schloß Hegel, daß das Absolute im Endlichen als dessen
eigene Negation durch sich gegenwärtig ist. […] daß das Endliche das Absolute und somit auch das Absolute das
Endliche sei.“ (Ebd., S.159f.) „Denn die Andersheit, welche das Endliche an ihm selbst aufweist, ist genau dieselbe, die
es auch in Beziehung auf sich selbst hat.“ (Ebd., S.161) D.h., das Endliche muss bei Hegel ansichseiend sein und
gleichzeitig sind es und das Absolute füreinander. „So ist also zu erwarten, daß der Gedanke des Endlichen den
Gedanken des Absoluten nicht nur abstrakt, sondern als einen vollständigen Gedanken impliziert, und zwar insofern
dieser Gedanke so gedacht werden muß, daß alles Endliche in ihm definitiv entfallen ist.“ (Ebd., S.163) Das Endliche bei
Henrich nenne ich nun mit Hegel das Besondere, das einmal an sich ist und ein anderes Mal zum Absoluten wird. Diese
doppelte Rolle ist daher diejenige der Mitte, insofern das Endliche und das Absolute dadurch nicht mehr wie bei Fichte
stets getrennt, sondern vielmehr miteinander verbunden sind. „Das heißt aber nur, daß das Absolute, insofern es Geist ist,
aus sich selbst heraus zu seiner Selbsterkenntnis anheben muß. Das wieder heißt, daß es selbst auch zunächst nur als
Endliches sein kann, aber als jenes Endliche, das aus seiner negativen Beziehung auf sich selbst zu denken ist und das
insofern einerseits das Absolute selbst ist, andererseits dies, in sein vollständig bestimmtes Selbstverhältnis zu kommen
38
„We
[…] das De ke das Sei der Su sta z
it si h erei t u d die U
ittel arkeit oder das
Anschauen als Denken erfaßt, so kommt es noch darauf an, ob dieses intellektuelle Anschauen
nicht wieder in die träge Einfachheit zurückfällt und die Wirklichkeit selbst auf eine unwirkliche
Weise darstellt.“90
In dem oben dargelegten Widerspruch zwischen dem einfachen nicht-reflexiven Grund und seiner
reflexiven Darstellungsweise liegt für Hegel der grundsätzliche Fehler der Identitätsphilosophie
Schellings. Für ihn ist also fragwürdig, ob die durch die intellektuelle Anschauung angesprochene
Wirklichkeit tatsächlich wirklich ist oder nicht nur einfach und unmittelbar aufgefasst – und deshalb
unwirklich.91 Mit anderen Worten: Hegel nimmt Anstoß an solcher Einfachheit oder einer solch
trägen Substanz, die durch keine reflexiv-diskursive Eigenbewegung ihre Wirklichkeit unter Beweis
stellen kann. Hegel hält Schelling also entgegen:
„Die le e dige Su sta z ist fer er das Sei ,
el hes i Wahrheit Subjekt oder, was dasselbe
heißt, welches in Wahrheit wirklich ist, nur insofern sie die Bewegung des Sichselbstsetzens
oder die Vermittlung des Sichanders erde s
it si h sel st ist. […]
ur diese si h
wiederherstellende Gleichheit oder die Reflexion im Anderssein in sich selbst – nicht eine
ursprüngliche Einheit als solche oder unmittelbare als solche – ist das Wahre.“92
Das Problem der Identitätsphilosophie Schellings ist aber eben die Unmöglichkeit der
Wiederherstellung der Wirklichkeit des Absoluten durch das Anderssein. Dieses Anderssein des
Ansichseins des Unendlichen ist nichts als das Ansichsein des Endlichen (des Einzelnen), oder nichts
als das Ansichsein der konkreten Inhalte der Wissenschaft. Dieses Andere zu erforschen, ist Hegel
zufolge nunmehr die Aufgabe der philosophischen Wissenschaft:
„Die Aufga e, das I di iduu
o
sei e
u ge ildete
Sta dpu kte aus zu
Wisse
zu
führen, war in ihrem allgemeinen Sinn zu fassen und das allgemeine Individuum, der
sel st e ußte Geist, i sei er Bildu g zu etra hte .“93
Das bedeutet freilich:
und insofern Prozeß in und ebensowohl zum All-Einen Geist.“ (Ebd., S.170) Die Frage ist dann nur: Wie entsteht dieser
wichtige Gedanke historisch bei Hegel?
90
Hegel, Phänomenologie des Geistes, S.14.
91
Eine detailliertere Darstellung von Hegels Schellingkritik in der Phänomenologie des Geistes und Schellings späterer
Erwiderung darauf findet man bei M. Frank: Der unendliche Mangel an Sein. Schellings Hegelkritik und die Anfänge der
Marxschen Dialektik. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. Main 1975, insb. S.67-103.
92
Hegel, Phänomenologie des Geistes, S.14
93
Ebd., S.22
39
„Ei esteils ist die Länge dieses Wegs (der Prüfung der Wissenschaft) zu ertragen, denn jedes
Moment ist notwendig; – andernteils ist bei jedem sich zu verweilen, denn jedes ist selbst eine
individuelle ganze Gestalt und wird nur absolut betrachtet, insofern seine Bestimmtheit als
Ganzes oder Konkretes oder das Ganze in der Eigentümlichkeit dieser Bestimmung betrachtet
ird.“94
Ohne eine solche Prüfung der endlichen und konkreten Momente gibt es also auch keine
Wissenschaft vom Unendlichen. Eine solche Untersuchung ist für die fundamentale ontologische
Frage nicht sekundär, sondern durchaus primär. Eben das ist die Innovation Hegels und auch der
entscheidende Kontrapunkt gegen Schellings Identitätsphilosophie.
„Das Ma gelhafte i der S helli gs he Philosophie ist, daß der Pu kt der Indifferenz des
Subjektiven und Objektiven vorn hingestellt, diese Identität absolut aufgestellt wird, ohne daß
es bewiesen wird, daß dies das Wahre ist. Oft braucht Schelling die Form Spinozas, stellt
Axiome auf. Man will, wenn man philosophiert, daß es so ist, bewiesen haben. Wird aber mit
der intellektuellen Anschauung angefangen, so ist das Assertion, Orakel, das man sich gefallen
lasse soll, eil die Forderu g ge a ht ist, daß
a i tellektuell a s haut.“95
Der Schellingsche „Beweis“ der Wahrheit dieser Identität ist also für Hegel entweder unmittelbar,
damit aber zugleich begrifflich nicht durchdrungen wie ein Orakelspruch, oder er ist gar nicht wahr.
Um dieses bloß „dunkle“ und „formelle“ Absolute zu überwinden, bedarf es demnach für Hegel der
Aufhebung dieser Trennung innerhalb des Absoluten vermittels des Begriffs des Selbstbewusstseins
des Absoluten.
Wo aber befindet sich dieses Selbstbewusstsein? – Halten wir zunächst fest: Für Hegel ist es
inakzeptabel, dass das Endliche das Sein des Unendlichen allein vermittels der Vorstellung und der
Reflexion erklären können soll und dass seine Wirklichkeit daher lediglich eine geborgte ist. Das
Endliche ist bei Schelling bloß Modifikation des Unendlichen, die niemals an sich, sondern
schlechthin vom Absoluten abhängig ist. Ohne diese Darstellung des Endlichen in der quantitativen
Differenz von Natur und Geist ist das wahre Unendliche nicht zu begreifen. Vermittels derselben
wird es jedoch auch nur scheinbar erkannt, es bleibt an sich abgründig und dem begrifflichen Denken
entzogen. Die Modifikation des ewigen Unendlichen ist also keinesfalls das selbständige Endliche.
94
95
Ebd., S.23.
Hegel, Vorlesung über die Geschichte der Philosophie III, S.435.
40
Hegel zufolge verhält es sich aber so, dass das Absolute – um sich selbst wirklich erkennen zu
können
–
sein
Anderssein,
also
das
Endliche, von
allem
Ursprung an als
seinen
fundamental-ontologischen Grund begreifen muss und es nicht bloß als einen vorausgesetzten
Erklärungsgrund seiner selbst nimmt. Eine schlechthin abgeleitete Endlichkeit ist für Hegel
ausgeschlossen. Der Grund für Hegels ambivalente – also zugleich würdigende und kritisierende –
Aufnahme der Identitätsphilosophie Schellings wird deutlich in seiner Auffassung vom Ansichsein
des Endlichen. Es zeigt sich darin aber auch eine gewisse List der Hegelschen Philosophie gegenüber
Schelling; zugleich ist es damit erforderlich, die Zeitfrage mit Blick auf das Endliche neu zu stellen.
Zwei der oben genannten Punkte sind im Zusammenhang der Rekonstruktion von Hegels Theorie
der Zeit während seiner Jenaer Jahre wesentlich: erstens die sukzessiv konzipierte Naturphilosophie
Schellings sowie der sich zur logisch-geistigen Bestimmtheit verhaltende Naturbegriff Hegels, und
zweitens die Identitätsphilosophie Schellings mit ihrem intellektuell angeschauten Unendlichen
sowie die Aufforderung von Seiten Hegels zum Beweis dieser höchsten Identität durch eine
Darstellung des Endlichen. Jedoch ist bisher nicht hinreichend deutlich geworden, wie und inwiefern
die Zeittheorie Schellings Hegel beeinflusst. Diese Frage soll nun in Bezug auf die oben
angesprochenen Punkte beantwortet werden; dabei werde ich den Nachweis erbringen, dass der
Einfluss der Zeitphilosophie Schellings auf Hegel im Wesentlichen in dreierlei Hinsicht von
Bedeutung ist:
1. Die Zeit ist für Schelling die lebendige Kraft der Natur. Sie bestimmt die metaphysische Ebene der
Naturphilosophie und ist damit nicht allein dem sinnlich erfahrbaren Bereich zugeordnet. Die
Spannung zwischen den beiden Ebenen markiert zugleich die Spannung zwischen den verschiedenen
Zeitkräften.
2. Die Zeit macht die Realität der Materie in der Bewegung der Erfüllung des Raums aus.
3. Die strittige Frage zwischen Schelling und Hegel lautet, ob die Zeit des Endlichen nur vom Sein
des wahren Unendlichen abgeleitet, also nur sekundär ist, oder ob sie dagegen für dasselbe primär
sein muss.
Die Punkte 1 und 2 gehören der nachkantischen Philosophie an, genauer: der Naturphilosophie
Schellings und Hegels. In den Kapiteln 2, 3 und 4 der vorliegenden Arbeit werden sie ausführlich
dargestellt. Der dritte Punkt bezieht sich freilich sowohl auf die Naturphilosophie als auch auf die
41
Identitätsphilosophie Schellings. Es geht hauptsächlich um das Defizit der primären Zeitlichkeit des
Endlichen. In den Kapiteln 3, 4 und 5 soll dann Hegels gegen Schelling gerichtete Argumentation
bezüglich der Realität des Zeitlich-Endlichen detailliert rekonstruiert werden.
42
Kapitel 2
Die Einheit von Kraft, Zeit, Raum, Bewegung und Materie hinsichtlich der Frage
nach der Wirklichkeit der Natur beim Jenaer Schelling
2.1 Zur Einheit von Kraft, Zeit, Raum, Bewegung und Materie in der Jenaer
Naturphilosophie Schellings im Vergleich zu Kant und Fichte
2.1.1 Zur Einheit von Kraft und Materie bei Schelling im Vergleich zu Fichte
Die neuen Ansätze in der Naturphilosophie durch Schelling und Hegel scheinen im Kontext der
nachkantischen Philosophie insofern merkwürdig, als sie nicht als bloße Ergänzung der
Transzendentalphilosophie oder der Epistemologie, sondern als bahnbrechende fundamentale
Ontologie begriffen werden müssen. Sowohl Schelling als auch Hegel versuchen den Mangel der
Realität in den philosophischen Systemen Kants und Fichtes zu überwinden, aber nicht durch
Einbeziehung des empirisch-physischen Seins in das philosophische System, sondern vielmehr durch
Erschließen einer ursprünglich-metaphysischen Dimension von Sein, denn diese beiden
naturphilosophischen Ansätze gehen davon aus, dass die Realität nicht nur den Erscheinungen
inhärent ist, sondern dass darüber hinaus von einem Sein der übersinnlichen Welt ausgegangen
werden müsse.
1
1. 1801 und 1802 argumentiert Hegel gegen Fichte in dem Sinne, dass allein durch eine subjektive
Subjekt-Objektivität der ontologische Anspruch der Transzendentalphilosophie nicht befriedigt
werden kann, dieser Ausgang vielmehr in einen leeren Formalismus führt und nichts als das bloße
„Sollen“ der Erfüllung eines solchen ontologischen Anspruchs formuliert. Hegels Gegenrede gegen
Fichte (und auch gegen Kant) stimmt Schelling völlig zu; so empfiehlt er Fichte Hegels
Differenzschrift und formuliert 1802 auch seine eigene Fichtekritik, um Hegels Überlegungen zu
1
Vgl. dazu I. Görland, Die Entwicklung der Philosophie Schellings in der Auseinandersetzung mit Fichte, Vittorio
Klosterman, Frankfurt am Main 1973, S.51ff.; S. Hoeltzel, Idealism and the Ground of Explanation: Fichte and Schelling,
1794-1797, in: New Essays on Fichtes Later Jena Wissenschaftslehre, hrsg von D. Breazeale und T. Rockmore,
Northwestern Universitiy Press, Amherst 2001, S.261-278; R. Lauth, Die Entstehung von Schellings
Identitätsphilosophie in der Auseinandersetzung mit Fichtes Wissenschaftslehre, Karl Alber, Freiburg 1975; N. G.
Limnatis, German idealism and the problem of knowledge: Kant, Fichte, Schelling and Hegel, Springer, 2008, S.138ff.
43
bekräftigen. Für ihn existiert im System Fichtes „die unauflösliche Amphibolie des absoluten Ichs
[…] und des relativen“.2 Das relative oder empirische Ich, weil es „ganz bloß zur erscheinenden
Welt“ gehört, „ist ohne alle Realität“. 3 In diesem Sinne ist jedes empirische Ich kein reales
Ansichsein, sondern „ein bloßes Noumen“, 4 und als solches wird es dem ansichseienden und
absoluten Ich entgegengesetzt. Insofern es dem wahren Ich entgegengesetzt ist, ist es Nicht-Ich. Es
ist jedoch zugleich das absolute Ich, insofern es – als seine Entgegensetzung – aus ihm hervorgeht.
Es soll deshalb (ebenso) real sein, weil es die Realität des absoluten Ich in sich enthält. Diese
Realität des absoluten Ich soll dann nur in und durch das empirische Ich reflektiert werden, „da das
Ich nichts ist ohne die Abhängigkeit von einem Nicht-Ich, dieses aber ins Unendliche wieder nichts
ist, als in sofern es von dem Ich als unabhängig von ihm gedacht wird, so war für die Philosophie der
unmittelbare Weg geöffnet, das absolute Nichts in diesem Gegensatz einzusehen, und durch
Erhebung zu einer absoluten Einheit zu der absoluten Realität zu gelangen.“5 Eben diese Einheit –
so die Kritik von Hegel und Schelling – kann Fichte aber nicht begründen: Weil sie für Fichte nur ein
„Sollen“, „eine bloße Idealität“6 bleibt, bleibt sie notgedrungen leer. Es gibt bei Fichte letztendlich
kein wirklich ontologisches Prinzip, keine Realität außerhalb der Idealität.
Daher stellt Schelling die Forderung auf, dass diese Realität nicht in der Sphäre des Empirischen,
sondern einzig in der der höchsten Identität aufzusuchen ist. Diese die Realität gewährleistende und
garantierende objektive Identität ist für Schelling eben die Natur. Schon bevor er der Fichteschen
Philosophie mit seiner Identitätsphilosophie entgegenarbeitet, nimmt er im Kontext seiner
Naturphilosophie dieses ontologische Defizit der Transzendentalphilosophie in den Blick. 7 Die
Natur konstruiert das Wesen der Realität durch eine ihr eigentümliche Kraft, eine Kraft des Seins:
Dies ist die entscheidende Einsicht gegenüber Kant und Fichte, zumal bei diesen beiden auch die
objektive Wirklichkeit über den subjektiven Willen oder das subjektive Erkennen vermittelt ist. Die
Realität im Sinne einer lebendigen Kraft, wie Schelling sie auffasst, ist jedoch das höchste und
wirkliche
Sein
der
Natur;
dieses
Sein
wird
fassbar
nicht
vermittels
eines
2
Schelling, Fernere Darstellung aus dem System der Philosophie, S.250.
Ebd., S.252.
4
Ebd., S.253.
5
Ebd., S.254.
6
Ebd., S.256.
7
Ohne die Kant- und Fichtekritik Jacobis ist diese Einsicht sowohl für Hegel als auch für Schelling undenkbar. Denn
wie bereits B. Sandkaulen für Schelling gezeigt hat, ist es Jacobi, der bemerkt, wo Fichte scheitert, und sich
demgegenüber daran orientiert, wie Spinoza die absolute Einheit begründet (vgl. B. Sandkaulen, Ausgang vom
Unbedingten, S.13ff.).
3
44
empirisch-naturwissenschaftlichen, sondern eines fundamental-ontologischen Begriffs von Natur.
Mit Hilfe des Begriffs der Kraft, den er in enger Anlehnung an Spinoza entfaltet, gelangt Schelling –
in der nachkantischen Zeit – zu der Vorstellung eines konstruktiven (d.i. produktiven) Organismus
der Natur8, der für Kant in seiner Kritik der Urteilskraft rein regulativ bleibt.9
Diese real-lebendige Kraft verbindet Schelling mit seiner neuen Naturontologie durch den Begriff
der Materie als der Wirklichkeit der Natur: „Die einzige Aufgabe der Naturwissenschaft ist: die
Materie zu konstruieren.“10 Dies ist für Schelling „eine Aufgabe, welche alle endlichen Kräfte
übersteigt, und welche in der Natur selbst nur durch bewußtlose Produktion gelöst werden konnte.“11
Also ist der Konstruktionsprozess der Materie als der reale Prozess der Produktion jener Kraft
aufzufassen; dieser Prozess lässt sich in allen Erscheinungen der Natur auffinden, in denen sich
verschiedene Grade dieser Kraft manifestieren. Diesen Konstruktionsprozess der Materie nennt
Schelling auch den dynamischen Prozess der Natur.12
2. Im Folgenden soll kurz gezeigt werden, dass die Auffassung der Materie als Kraft der Natur in der
Naturphilosophie
Schellings
von
1797
noch
mit
dem
Begriff
des
Geistes
in
der
Transzendentalphilosophie zusammengedacht wird. Erst 1799 legt Schelling sie dann im Rahmen der
Naturphilosophie unabhängig vom Geistbegriff bzw. von der Transzendentalphilosophie dar.
8
Zweifellos hat Schelling die Bedeutung der Realität der Natur in der nachkantischen Zeit erstmals durch Jacobi erkannt;
durch Jacobi wurde Schelling zum Nachweis einer ursprünglichen Wirklichkeit des Seins der Materie qua Naturkraft
inspiriert. Aber gegen Jacobi gewandt, repräsentiert diese Kraft für Schelling in der Natur das übernatürliche Wesen. Sie
weist zwar an sich eine immanente Differenz zwischen dem Produzierenden (natura naturans) und dem Produkt (natura
naturata) auf, ist jedoch für den Geist eine unendliche causa immanens. Diese Naturkraft bringt also aufgrund ihrer
unendlichen und absoluten Spontanität das gesamte Dasein in und aus sich selbst hervor, wohingegen Jacobi eben dieses
immanent absolute Unendliche zurückweist.
9
Vgl. Kant, Kritik der Urteilskraft, hrsg. v. H. F. Klemme, Felix Meiner Verlag, Hamburg 2001, S.263 und S.282. Kant
betont hier, dass die Zweckmäßigkeit der Natur, weil sie unterhalb der reflektierenden Urteilskraft angesiedelt ist, nicht
als konstruktiv oder produktiv, sondern als bloß regulativ aufzufassen sei. Vgl. auch: S.-Kowarzik, Vom Primat der
Praxis in der Naturkenntnis Reflexion zum Naturbegriff bei Kant und Schelling, und: Grundlegung von Kant und
Schelling, in: Natur, ebd., S.27 und S.72-82. Sowie: M. Boenke, Transformation des Realitätsbegriffs. Untersuchung zur
frühen Philosophie Schellings im Ausgang von Kant, Friedrich Frommann Verlag – Günther Holzboog, Stuttgart-Bad
Cannstatt 1990, S.304-323. Siehe auch: M. Frank, Schellings spekulative Umdeutung des Kantischen
Organismus-Konzepts. Aus einer Vorlesung vom SS 1987 über „Die Philosophie angesichts der Natur Beherrschung“, in:
Hegels Jenaer Naturphilosophie, hrsg. v. K. Vieweg, Wilhelm Fink Verlag, München 1998, S.209f.
10
F. W. J. Schelling, Allgemeine Deduktion des Dynamischen Prozess oder der Kategorie der Physik, in Friedrich
Wilhelm Joseph Schellings Werke 8, hrsg. v. Manfred Durner und Wilhelm G. Jacobs, Frommann-Holzboog Verlag,
Stuttgart 2004, S.297.
11
Ebd.
12
Vgl. ebd., S.298: „Nun behaupten wir aber, und es ist bewiesen worden, daß diejenigen Erscheinungen, welche wir
unter dem Namen des dynamischen Prozesses begreifen, und welche die einzigen primitiven der Natur sind, nichts
anderes als ein beständig nur auf verschiedenen Stufen wiederholtes Selbstkonstruieren der Materie seien.“
45
a) 1797 fasst Schelling den Naturbegriff so, als „ob ihm überhaupt Realität zukomme“13. Gemeint
ist damit die Realität der äußeren Natur und all ihrer Erscheinungen, also die Realität der Materie.
Sie ist dem menschlichen Geist zwar äußerlich, wir werden uns ihrer aber in Form von Vorstellungen
bewusst. Jene wie diese scheint unabhängig zu existieren. Erst 1799 „scheiden sich die zwei
feindlichen Wesen Geist und Materie. Beide versetze ich in verschiedene Welten, zwischen welchen
kein Zusammenhang mehr möglich ist.“14
Schelling löst also die Natur aus dem Geist vor dem Hintergrund seiner Erkenntnis des Mankos
der bloß subjektiv aufzufassenden Transzendentalphilosophie Kants und Fichtes. Dieses liegt für ihn
darin, dass sie die Fragen, woher und wie die Materie tatsächlich entsteht und was sie mit dem
Realitätsproblem unserer Erkenntnis zu tun hat, nicht zu beantworten imstande ist. Die
Transzendentalphilosophie Kantisch-Fichtescher Provenienz erkennt also die reale Kraft der Materie
selbst nicht an. Und obwohl die vorkantische Philosophie – genauer die Philosophien von Spinoza
und Leibniz – bereits erkannt hatte, dass die Materie eine eigene Kraft besitzt, können Kant und
Fichte nicht weiter begründen, was die Materie eigentlich ist und wieso sie mit unserer Erkenntnis
notwendig verknüpft ist.
Nun betont Schelling, dass die Materie nicht nur Kraft hat, sondern vielmehr Kraft ist. „Die
Materie hat Kräfte. Ich weiß, daß dieser Ausdruck sehr gewöhnlich ist. Aber wie? ‚die Materie hat‘ –
hier wird sie also vorausgesetzt als etwas, das für sich und unabhängig von seinen Kräften
besteht.“ Aber „wie auf etwas, das ursprünglich nicht Kraft ist, gewirkt werden könne, begreifen wir
gar nicht.“15 Es kann also für Schelling einzig die Kraft sein, die das Wesen der Materie ausmacht.
Schelling bezeichnet diese Kräfte dann näher als Anziehung und Zurückstoßung. 16
Gegen Newton und Kant behauptet Schelling, dass dieser Kraftbegriff nicht „ein bloß formeller,
durch die Reflexion erzeugter Begriff“ sei, sondern der vernünftige Begriff der ursprünglichen
Materie überhaupt.17 Materie als Kraft ist demnach als Vernunftbegriff aufzufassen; sie bringt sich
selbst hervor (ist dynamisch), ist in einem fundamental-ontologischen Sinne real, da sie über der
Ebene der Reflexion angesiedelt ist und deshalb auch nicht ausschließlich reflexiv aufgefasst werden
darf. Die Realität der Materie als Kraft muss mithin durch vernünftige Anschauung erschlossen
13
14
15
16
17
Schelling, Ideen, S.69.
Ebd., S.74.
Ebd., S.79, vgl. auch S. 208f.
Vgl. ebd., S.79
Vgl. ebd., S.183ff. Eben in diesem Sinne würdigt Schelling den Kraftbegriff Spinozas gegenüber Newton.
46
werden. Sie hat ihr Geistwesen und ihre höchste Wirklichkeit außerhalb ihrer äußerlich reflektierten
Form, die dem Verstand entspricht. „Alle Realität, die ihm [d.i. dem Verstand] zukommen kann, leiht
ihm doch nur die Anschauung, die ihm voranging.“18
Einerseits ist es so, dass diese Anschauung von Schelling – im Gegensatz zu Fichte – nicht allein
als „Sehen“ des ursprünglich handelnden Subjekts aufgefasst wird, sondern vielmehr auch als
produktive Kraft des „Seins“ der Natur, insofern Attraktion und Repulsion (oder Anziehung und
Zurückstoßung) „allgemeine Naturgesetze seien“; „sind beide allgemeine Naturgesetze, so müssen
sie die Bedingungen der Möglichkeit einer Natur überhaupt sein.“19 Sie sind also Bedingung für
unsere objektive Erkenntnis, nicht für die subjektive. Andererseits steht Schelling 1797 doch noch
unter dem Einfluss der Philosophie Fichtes: Für ihn ist die Realität der Materie als Naturkraft
tatsächlich nur unter der Bedingung der sich vollziehenden Anschauung oder der Vorstellung des Ich
gegeben. Diese Anschauung der Natur wird von Schelling in dieser Zeit noch nicht vom
menschlichen Geist losgelöst betrachtet, sondern vielmehr mit demselben in eins gesetzt. Denn „die
Materie soll etwas Reales sein. Was aber real ist, läßt sich nur empfinden.“20 Die materiellen Kräfte
existieren also nur in uns, in unserer Empfindung; eine Materie losgelöst von der menschlichen
Empfindung ist eine rein dogmatische Behauptung. Die Begriffe der Kräfte „sind nur Schattenrisse
Ebd., S.210. Schelling verbindet die Realität der Materie in der Natur mit der Selbstanschauung des Ich. „Nur einer
freien Tätigkeit in mir gegenüber nimmt, was frei auf mich wirkt, die Eigenschaft der Wirklichkeit an; nur an der
ursprünglichen Kraft meines Ich bricht sich die Kraft einer Außenwelt. Aber umgekehrt auch […] wird die ursprüngliche
Tätigkeit in mir erst am Objekte zum Denken, zum selbstbewussten Vorstellen.“ (Ebd., S.211) Damit bezieht sich
Schelling deutlich auf den transzendentalen Idealismus Fichtes. Ab 1799 beharrt Schelling zwar noch immer auf solcher
Realität der Materie als Kraft vermittels einer vernunftgemäßen Anschauung, er verknüpft sie jedoch nicht mehr mit dem
Selbstbewusstsein des transzendentalen Ich. Vielmehr begreift er sie als Wirklichkeit der Natur selbst. (Vgl. Schelling,
Einleitung zu dem Entwurf eines Systems der Naturphilosophie, S.29 und S.40. „Die Tätigkeit der Produktion der Materie
liegt nicht mehr im Ich-Denken, sondern vielmehr im Sein selbst, welches die natura naturans bedeutet.“ Und weiter: „So
ist das Sein selbst dieselbe produktive Tätigkeit in ihrer Uneingeschränktheit gedacht. Für die Naturwissenschaft ist
also die Natur ursprünglich nur Produktivität, und von dieser als ihrem Prinzip muß die Wissenschaft ausgehen.“) Hierbei
ist zu bemerken, dass der Kraftbegriff Hegels dem von Schelling 1797 durchaus näher steht, da dieser Begriff bei Hegel
1807 in das Selbstbewusstsein des Ich übergeht, nicht jedoch zu einer selbständigen Philosophie der Natur führt. „Wir
sehen, daß im Innern der Erscheinung der Verstand in Wahrheit nicht etwas anderes als die Erscheinung selbst, aber nicht
wie sie als Spiel der Kräfte ist, sondern dasselbe in seinen absolut-allgemeinen Momenten und deren Bewegung, und in
der Tat nur sich selbst erfährt. […] Dieser Vorhang ist also vor dem Innern weggezogen und das Schauen des Innern in
das Innere vorhanden; das Schauen des ununterschiedenen Gleichnamigen, welches sich selbst abstößt, als
unterschiedenes Inneres setzt, aber für welches ebenso unmittelbar die Ununterschiedenheit beider ist, das
Selbstbewußtsein.“ (Hegel, Phänomenologie des Geistes, S.188) „Reines ununterschiedenes Ich ist sein [des
Selbstbewusstseins] erster unmittelbarer Gegenstand.“ (Ebd., S.126) In diesem Sinne hat Hegel die Kraft auch nicht als
Vernunft-, sondern als Verstandesbegriff angesehen, den man wiederum nicht als der Vernunft entgegengesetzt begreifen
darf, sondern als Moment der Vernunft. Der Kraftbegriff ist also auch für Hegel ein Vernunftbegriff, insofern die Vernunft
absolut immanent ist. – Dadurch eben unterscheidet sich der Begriff der Kraft, wie Hegel ihn formuliert, von demjenigen
Fichtes.
19
Schelling, Ideen, S.183f.
20
Ebd., S.80f.
18
47
der Wirklichkeit. Sie entwirft ein dienstbares Vermögen, der Verstand, der erst dann eintritt, wenn die
Wirklichkeit schon da ist, der nur auffaßt, begreift, festhält, was nur ein schöpferisches Vermögen
hervorzubringen imstande war.“ 21 Zu begreifen ist Materie vermittels der Begriffe von Kraft
(Attraktion und Repulsion) nur, insofern sie empfunden wird. Die Kräfte werden 1797 also als das
gesehen, was das Empfundene zu einem verstandesmäßig Erfassten erhebt. Gleichsam als eine
Brücke zwischen diesen beiden gehören sie im Grunde der menschlichen Einbildungskraft an.
Diese Kräfte sind demnach menschliche Vorstellungen und Produkt seiner Einbildungskraft. Dazu
schreibt Schelling:
„Daß et as ist, und unabhängig von mir ist, kann ich nur dadurch wissen, daß ich mich
schlechterdings genötigt fühle, dieses Etwas mir vorzustellen, wie kann ich aber diese Nötigung
fühlen, ohne das gleichzeitige Gefühl, daß ich in Ansehung alles Vorstellens ursprünglich frei
bin, und daß Vorstellen nicht mein Wesen selbst, sondern nur eine Modifikation meines Seins
aus a ht.“22
Die Natur und ihre Kräfte äußern sich also zunächst einmal darin, den Menschen zu einer
Vorstellung von ihnen zu nötigen; die Naturkraft ist mithin noch nicht selbstproduzierende Kraft der
Natur, sondern die Ein-Bildung des Geistes in die Natur. Dieser von Schelling formulierte Ansatz
bietet eine Fülle neuer Möglichkeiten in der nachkantischen Zeit, das ursprüngliche Sein vor dem
Bewusstsein des menschlich-sittlichen Lebens unmittelbar im natürlichen Geschehen anzuschauen;
es erfordert allerdings, dieses Einbildungsverfahren als eine Naturgeschichte Schritt für Schritt
darzustellen.23
b) Seit 1799 verändert Schelling diesen Ansatz wesentlich, indem er seine eigentliche
Naturphilosophie von der Transzendentalphilosophie trennt; durch die Trennung dieser beiden
Bereiche gelangt Schelling zu der Auffassung – und für Hegel gilt das gleiche –, dass die Zeit nicht
mehr nur als eine Form subjektiver Anschauung begriffen wird, sondern als originäre Kraft der Natur.
Anders formuliert: Schelling will durch die Grundlegung seiner eigentlichen Naturphilosophie auch
einen neuen Grund für die Ontologie einer Transzendentalphilosophie legen. Der Kern des Bauplans
21
Ebd., S.208.
Ebd., S.211.
23
Diese Naturgeschichte führt weiter zur Geschichte des Menschen. Vgl. S. Dietzsch, Geschichtsphilosophische
Dimension der Naturphilosophie Schellings, in: Natur und geschichtlicher Prozess. Studien zur Naturphilosophie F. W. J.
Schellings, hrsg. v. H. J. Sandkühler, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1984, S.241-255.
22
48
befindet sich eben in der Konstruktion der Materie als einer Naturkraft, die die Realität des Seins des
natürlichen Grundes nun durch eigene Kraft trägt.
Die Konzeption von 1799 sieht vor, dass die Realität der Materie in der Natur unabhängig von der
Vorstellung des Ich gegeben ist; Schelling hält seine spekulative Physik nunmehr für einen
selbständigen Teil des gesamten Systems der Philosophie. Dementsprechend ordnet er die objektive
Konstruktion der Materie dem System der spekulativen Physik unter, um sie vom Bereich der
subjektiven Vorstellung des Ich zu trennen. In diesem Zusammenhang spricht Schelling von der
spekulativen Physik im Sinne der gesamten Naturwissenschaft, die ihr apriorisches Prinzip in sich
selbst hat. Also:
„Es ist also au h ei e Deduktio des d a is he Prozesses ei er ollstä dige Ko struktio
der Materie selbst gleich zu schätzen, und also eins und dasselbe mit der höchsten Aufgabe der
gesa te Natur isse s haft.“24
Die Materie erlangt den Status des wirklichen Seins im Vollzug der Naturwissenschaft, die „eine
ganz eigne, von jeder andern ganz verschiedene und unabhängige Wissenschaft“ ist. 25 Und die
Disziplin der Naturwissenschaft gründet ihrerseits in der spekulativen Physik.26
24
Schelling, Allgemeine Deduktion des Dynamischen Prozess, S.298.
Schelling, Einleitung zu dem Entwurf eines Systems der Naturphilosophie, S.37.
26
Selbstverständlich kann Fichte diese „eigentliche“ Naturphilosophie Schellings nicht akzeptieren. So schreibt er am
15.11.1800 an Schelling: „Ueber Ihren Gegensatz der Transscendental- und der NaturPhilosophie bin ich mit Ihnen noch
nicht einig. Alles scheint auf eine Verwechselung zwischen idealer und realer Tätigkeit zu beruhen, die wir beide hier und
da gemacht haben; und die ich durch die neue Darstellung ganz zu heben hoffe. Die Sache kommt nach mir nicht zum
Bewußtseyn hinzu, noch das Bewußtseyn zur Sache, sondern beide sind im Ich, dem ideal-realen, real-idealen,
unmittelbar vereinigt. – Etwas anderes ist die Realität der Natur. Die letztere erscheint in der TransscendentalPhilosophie
als durchaus gefunden, und zwar fertig und vollendet; und dies zwar (gefunden nemlich) nicht nach eignen Gesetzen,
sondern nach immanenten der Intelligenz (als ideal-realem).“ (F. W. J. Schelling, Briefe 2, Briefwechsel 1800-1802,
Teilband 1, hrsg. v. T. Kisser, frommann-holzboog Verlag, Stuttgart-Bad Cannstatt 2010, S.276) Für Fichte kann also die
Natur nicht selbständig oder produktiv sein, sondern ist nur im Ich vorhanden. Diese gefundene Natur unterscheidet sich
tatsächlich grundlegend vom Naturbegriff Schellings 1799, nach dem sich die Natur in der Zeit durch ihre lebendige
Kraft konstituiert. Darüber hinaus betont Fichte, dass das eigentliche Problem gar nicht im Seinsbegriff, sondern in der
Verwechselung zwischen idealer und realer Tätigkeit des Ichs liegt. Diese Meinung muss Schelling zurückweisen, da für
ihn hier gerade das Problem des wirklichen Eingangs in die Philosophie (Ontologie) liegt. Daher schreibt Schelling am
19.11.1800 an Fichte: „Der Gegensatz zwischen Transscendentalphilosophie und Naturphilosophie ist der Hauptpunkt.
Ich kann Ihnen nur soviel versichern: der Grund, warum ich diesen Gegensatz mache, liegt nicht in der Unterscheidung
zwischen idealer und realer Thätigkeit, er liegt etwas höher. […] Ich kann mir durchaus nicht denken, daß die Realität in
der Transscendetalphilosophie nur ein Gefundenes ist; denn sie wird doch wohl nach diesen immanenten Gesetzen
gefunden nur von dem Philosophen, nicht aber vom Objekt der Philosophie, was nicht das Findende, sondern das
Hervorbringende selbst ist; ja selbst dem Philosophen ist sie nicht ein bloß Gefundenes, sondern nur dem gemeinen
Bewußtsein.“ (Ebd., S.279) D.h., die Naturphilosophie muss der Transzendentalphilosophie entgegengesetzt werden,
weil die Natur nicht einfach vom Ich produziert oder gefunden ist. Vielmehr fungiert sie – genau wie das Ich – als das die
Objektivität des Seienden Herstellende. Die Produktivität der Natur ist sogar insofern höher als die bloße Tätigkeit des
Ich, als sie den ontologischen Beweis des Idealismus liefert. Was die Natur nur finden, aber nicht produzieren kann, ist
das gemeine Bewusstsein. Jedoch „was ich indeß Philosophie nennen will, ist der materielle Beweis des Idealismus. In
diesem ist allerdings die Natur, und zwar in ihrer Objektivität, in ihrer Unabhängigkeit, nicht vom Ich, welches selbst
objektiv ist, sondern vom subjectiven und philosophierenden, mit allen ihren Bestimmungen zu deducieren.“ (Ebd.,
25
49
Daraus ergibt sich, dass die Theorien der Zeit, die von Kant und Fichte formuliert worden waren,
von Schelling wesentlich modifiziert werden: Die Zeit innerhalb der sowohl spekulativ als auch
materiell aufgefassten Natur ist nicht mehr bloß die subjektive Anschauungsform und als solche
apriorische Bedingung aller natürlich-zeitlichen Erscheinungen, sondern sie muss als eigenständige
Kraft des Seins betrachtet werden. Zeit ist damit nicht mehr nur ideell zu fassen, sondern vielmehr
real in dem Sinne, dass sie der Realität der materiellen Natur als konstitutives Moment angehört.
Diese produzierende oder schöpferische Naturkraft bezeichnet im Rahmen von Schellings
eigentlicher Naturphilosophie das sich verwirklichende, absolute Ansichsein. Metaphysisch
betrachtet, vertritt sie die Realität des Seins in allem Dasein a priori, nicht mehr nur die
Erscheinungen desselben in der Naturwissenschaft a posteriori. Das bedeutet, dass die Kraft in der
Natur nicht als durch die menschliche Einbildungskraft hervorgebracht zu bestimmen ist. Sie
generiert zugleich – als Sich-selbst-Hervorbringendes – die apriorische Erkenntnis: „Wir wissen nur
das Selbsthervorgebrachte, das Wissen im strengsten Sinne des Worts ist also ein reines Wissen a
priori“.27 Dieses Wissen ist eben das Wissen der Selbstkonstruktion oder Selbsthervorbringung der
Natur. Dazu schreibt Schelling:
„Ni ht also wir kennen die Natur, sondern die Natur ist a priori, d.h., alles Einzelne in ihr ist
zum Voraus bestimmt durch das Ganze, oder durch die Idee einer Natur überhaupt. Aber ist die
Natur a priori, so muß es auch möglich sein, sie als etwas, das a priori ist, zu erkennen, und dies
eige tli h ist der Si
u serer Behauptu g.“28
Das Wissen der Natur richtet sich nicht nach dem menschlichen Begriffsvermögen, sondern
bestimmt sich gemäß der Prozesse ihrer Selbsthervorbringung, insofern die Natur absolut an sich ist
oder insofern sie das Ganze durch sich selbst repräsentiert. Schelling nennt diese Natur „das Sein
selbst“29 oder die ursprünglich produktive Tätigkeit, oder auch natura naturans. Ihre Kraft ist die
S.280) Schelling wendet sich hier also gegen die bloßen Ichheit dieser Objektivität. Demzufolge muss es zwei Teile der
Deduktion der Objektivität geben, die beide höher als die Tätigkeit der bloßen Ichheit sind.
Fichte bleibt dieser materielle Beweis des Idealismus dunkel. Er übersetzt ihn schließlich ins „materielle Gefühl“ des Ich
(vgl. 1800.12.27K, von J. G. Fichte, Berlin, den 8ten October 1800, in: ebd., S.290). Aber genau dieses Gefühl will
Schelling in seiner Naturphilosophie 1799 nicht mehr als den Grund der Realität setzen. Die Frage, wie die Materie
konstituiert ist, hat nicht mehr mit unserem Gefühl, sondern vielmehr mit der Verwirklichung des absoluten Seins, d.h.
mit der wirklichen Bewegung der Natur selbst in Zeit und Raum zu tun. Für Schelling darf die Ursprünglichkeit der
real-objektiven Materie nicht mehr aus des bloß subjektiven Gefühls abgeleitet werden (vgl. Brief Schellings an Fichte
vom 19.11.1800, ebd., S.280).
27
Schelling, Einleitung zu dem Entwurf eines Systems der Naturphilosophie, S.33.
28
Ebd., S.36.
29
Ebd., S.40.
50
Kraft der Selbstproduktion auf der ontologischen Ebene. Als die ursprüngliche Produktivität
produziert sie das materielle Dasein: Das Ganze dieses dynamischen Prozesses ist als die
Selbstorganisation oder die Identität der Natur mit sich selbst in all ihren Erscheinungen zu
bezeichnen. Die Naturkraft spielt nun im Raum der sich selbstproduzierenden und selbstproduzierten
Natur eine wichtige Rolle.
1800 bemerkt Schelling dann ausdrücklich, dass die rein produzierende Kraft als Expansivkraft,
die andere hingegen – als Bedingung der Produktivkraft – als Attraktivkraft zu bezeichnen ist.30 Sie
sind „Kräfte eins und desselben identischen Subjekts, der Natur“, dennoch sind sie absolut
entgegengesetzt, 31 da die eine der beiden konstruktiv ist, die andere hingegen allererst die
Bedingung ihrer Möglichkeit; was wir Natur nennen, gründet in dem Kräfteverhältnis dieser beiden.
Beide gemeinsam machen die Realität der materiellen Natur aus, denn „wenn die Spekulation über
jene absolute Vereinigung entgegengesetzter Tätigkeiten, die wir im Begriff der Natur denken,
hinaufsteigt, so haben wir kein anderes Objekt mehr als das absolut Identische, was für Anschauung
durch die bloße Null oder den absoluten Mangel an Realität bezeichnet ist.“ 32 Ohne die so
bestimmte Einheit in der Entzweiung (im Sinne der Entgegensetzung) der Kräfte der sich selbst
hervorbringenden Natur gibt es nur ein leeres Identisches.
Dieser Ansatz ist für Schellings naturphilosophische Konzeptionen sowohl von 1797 als auch von
1799 charakteristisch. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung aber ist vor allem zu betonen,
dass Schelling die Realität auf der Ebene der Naturontologie in der Einheit von Kraft und Materie
denkt. In diesem Kontext spielt allerdings die Zeit als eine Repräsentation der Naturkraft selbst auch
eine Rolle in der Konstruktion der Materie. Im Folgenden soll zunächst gezeigt werden, inwiefern
Schelling diese Idee von Kant übernimmt und inwiefern er sie auch wiederum stark modifiziert. In
einem nächsten Schritt werde ich dann Schellings Theorie der Zeit von 1797 und ihre veränderte
Fassung von 1799 darstellen (Kapitel 2.2 und 2.3).
30
Vgl. Schelling, Allgemeine Deduktion des Dynamischen Prozess, S.299.
Ebd., vgl. auch S.299f.: „Wir werden daher die eine jener beiden Kräfte als die schlechthin positive, die andere als die
schlechthin negative, beide aber als in einem und demselben identischen Subjekt, der Natur, ursprünglich vereinigt
annehmen müssen.“
32
Ebd., S.300.
31
51
2.1.2 Eine weitere Darstellung der Einheit von Kraft, Zeit, Raum, Bewegung und Materie bei
Schelling im Vergleich zu Kant
1. Um die Einheit von Kraft, Zeit, Raum, Bewegung und Materie überhaupt zu begründen, folgt
Schelling zunächst der Darstellung Kants in den Metaphysischen Anfangsgründen der
Naturwissenschaft, worin Materie entweder phoronomisch als „das Bewegliche im Raume“ erscheint,
oder dynamisch als „das Bewegliche, sofern es einen Raum erfüllt“, oder drittens mechanisch als
„das Bewegliche, so fern es, als ein solches, bewegende Kraft hat“, oder viertens phänomenologisch
als „das Bewegliche, so fern es, als ein solches, ein Gegenstand der Erfahrung sein kann“. 33 Kant
sieht also die Materie mit der Bewegung auf ursprüngliche Weise verbunden. Die vier hier genannten
möglichen Verbindungsweisen folgen der Kategorientafel, wobei die Phoronomie der Kategorie der
„Quantität“ entspricht, die Dynamik der der „Qualität“, die Mechanik der der „Relation“ und die
Phänomenologie der der „Modalität“.34 Daher:
„Der Begriff der Materie mußte daher durch alle vier genannten Funktionen des
Verstandesbegriffs (in vier Hauptstücken) durchgeführt werden, in deren jedem eine neue
Besti
u g dessel e hi zu ka .“35
Diese Bedingungen sind eben die Bedingungen der Materie in der Bewegung.
Die Frage ist jedoch, auf welche Weise Kant diese Bedingungen der Materie mit dem Begriff der
Bewegung verknüpft – und eine solche Verbindung ist für ihn allein epistemologisch zu erklären. D.h.
sie existiert nur in der subjektiven Anschauung und in den subjektiven Begriffen, die durch die
kritische Philosophie allererst bewusst gemacht werden können:
„Ei e ollstä dige )ergliederu g des Begriffs o ei er Materie ü erhaupt [ ird] zu
Gru de
gelegt werden müssen, welches ein Geschäfte der reinen Philosophie ist, die zu dieser Absicht
sich keiner besonderen Erfahrungen, sondern nur dessen, was sie im abgesonderten Begriffe
selbst antrifft, in Beziehung auf die reinen Anschauungen im Raum und der Zeit bedient, mithin
eine wirkliche Metaphysik der körperlichen Natur ist.“36
33
Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, hrsg. v. K. Pollok, Felix Meiner Verlag, Hamburg 1997,
S.17, 39, 91 und 113.
34
Vgl. ebd., S.11ff.
35
Ebd., S.14.
36
Ebd., S.8f.
52
Die Materie wird allein durch die subjektiven Formen der Zeit und des Raums und gebunden an die
Erscheinungen angeschaut; die Wirklichkeit der Materie existiert einzig aufgrund und vermittels
dieser Formen.
Daher existiert die Materie Kant zufolge auch aufgrund der Bewegung, weil die Zeit für Kant nicht
nur der synthetische Grund des Raums mitsamt der Bewegung in ihm, sondern auch das wirkliche
Prinzip der Bewegung ist.37 Als das subjektiv Angeschaute ist die Materie der Gegenstand von
Raum und Zeit. Insofern sie aber in der Natur, also in den räumlich ausgedehnten Körpern betrachtet
wird, ist sie der Gegenstand unserer äußeren Sinne.38 Kant bemerkt dazu:
„Die Gru d esti
u g ei es Et as, das ei
Gege sta d äußerer Si
e sei
soll,
ußte
Bewegung sein; denn dadurch allein können diese Sinne affiziert werden. Auf diese führt auch
der Verstand alle übrigen Prädikate der Materie, die zu ihrer Natur gehören, zurück, und so ist
die
Naturwissenschaft
durchgängig
eine
entweder
reine
oder
angewendete
Bewegungslehre.“39
Das durch die Bewegung Affizierte ist der Gegenstand unserer äußeren Sinne; es ist die Materie, die
der Mensch vermittels seiner Anschauungsformen im Raum wahrnimmt – dass dies möglich ist, ist
nun wiederum allein durch die der Materie zukommende Bewegung möglich.
Kant hat im Anschluss daran versucht, diese Bewegungslehre der Materie mit Hilfe der Einheit
von Materie und Bewegung bzw. Raum zu untermauern. Die vier Teile dieser Bewegungslehre sind
wie gesagt: Phoronomie, Dynamik, Mechanik und Phänomenologie.
a) Aus Sicht der Phoronomie ist Materie das Bewegliche im Raum:
„Da i der Phoro o ie o
i hts als Be egu g geredet
erde soll, so
ird de
Su jekt
derselben, nämlich der Materie, hier keine andere Eigenschaft beigelegt, als die Beweglichkeit.
Sie selbst kann also so lange auch für einen Punkt gelten, und man abstrahiert in der
Vgl. Kant, Kritik der reinen Vernunft, A32/B48. „Hier füge ich noch hinzu, daß der Begriff der Bewegung (als
Veränderung des Orts) nur durch und in der Zeitvorstellung möglich ist.“
38
Vgl. Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, S.3. „Die Natur, in dieser Bedeutung des Worts [d.i.
als Gegenstände unserer Sinne] genommen, hat nun, nach der Hauptverschiedenheit unserer Sinne, zwei Hauptteile,
deren der eine die Gegenstände äußerer, der andere den Gegenstand des inneren Sinnes enthält, mithin ist von ihr eine
zwiefache Naturlehre, die Körperlehre und Seelenlehre möglich, wovon die erste die ausgedehnte, die zweite die
denkende Natur in Erwägung zieht.“ Kant ordnet also die Gegenstände seiner Naturwissenschaft tatsächlich den
Gegenständen der äußeren Sinne unter, ohne zu erläutern, welche Rolle die Zeit darin spielt, weil die Gegenstände der
Zeit demnach allein zur Seelenlehre gehören. Dennoch muss die Funktion der Zeit hier ebenso in Betracht gezogen
werden, da sie an den Raum wie die räumliche Bewegung gebunden ist, die ihr subjektiv-synthetischer Grund ist. Diese
Funktion der Zeit wird in den Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft jedoch von Kant nicht ausgeführt;
man findet diese Ausführung aber in der Kritik der reinen Vernunft.
39
Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, S.14.
37
53
Phoronomie von aller innern Beschaffenheit, mithin auch der Größe des Beweglichen, und hat
es ur
it der Be egu g u d de , as i dieser als Größe etra htet erde ka
, zu tu .“40
Hier wird die Materie nur als ein räumlicher Punkt der Bewegung in Betracht gezogen; ihrer
quantitativen Bestimmung nach wird sie als eine Größe der Geschwindigkeit des Bewegungspunktes
betrachtet. Bewegung ist daher die Veränderung des Ortes eines Gegenstandes in unserer
subjektiv-räumlichen Vorstellung.41
b) Aus der Perspektive der Dynamik ist die Materie das Bewegliche, sofern es einen Raum erfüllt:
„Ei e Rau
erfülle , heißt alle
ei e ge isse Rau
Eine
solche
Erklärung
ei zudri ge
gemäß
Be egli he
iderstehe , das dur h sei e Be egu g i
estre t ist.“
der
theoretischen
Dynamik
„setzt
die
phoronomische
[Betrachtungsweise] voraus, aber tut eine Eigenschaft hinzu, die sich als Ursache auf eine Wirkung
bezieht, nämlich das Vermögen, einer Bewegung innerhalb eines gewissen Raumes zu
widerstehen“.42 Weil die Materie nicht allein durch ihre Existenz, sondern „durch eine besondere
bewegende Kraft“43 den Raum erfüllt, wird sie als aufs engste mit der Kraft verbunden angesehen.
Kraft ist demnach – dynamisch und qualitativ – Eigenschaft der Materie; entweder in Gestalt der
Attraktion oder der Repulsion, durch die die Materie den Raum zu erfüllen vermag.44 Anders
formuliert: Die Kräfte der Materie sind Ursache und Wirkung der Bewegung im Sinne der Erfüllung
des Raums.
c) Aus Sicht der Mechanik erscheint die Materie, wie bereits gesagt, als das Bewegliche, insofern
es – als ein solches – bewegende Kraft hat. Gegenstand der Mechanik ist damit insbesondere, wie
sich die Mitteilung der Bewegung vollzieht und erklären lässt. 45 Diese Mittteilung soll sich durch
Verbindung der verschiedenen Kräfte miteinander vollziehen. Was in diesen Kraftrelationen, also in
der Wirkung und Gegenwirkung von Kräften, bleibt, ist die Substanz der Materie, die „nur im Raume
und nach Bedingungen desselben, folglich als Gegenstand äußerer Sinne möglich ist“.46 Oder „der
Begriff einer Materie als Substanz [ist] der Begriff des Beweglichen im Raume“.47 Die substanzielle
40
41
42
43
44
45
46
47
Ebd., S.17.
Vgl. ebd., S.19f.
Ebd., S.39.
Ebd., S.40.
Vgl. ebd., S.73f.
Vgl. ebd., S.91.
Ebd., S.98.
Ebd., S.99.
54
Materie kann einzig als das, was räumlich gesehen mit sich identisch bleibt, als in Bewegung seiend
betrachtet werden. Mit anderen Worten: diese substanzielle Materie hat keine innere sinnliche
Bestimmung wie Wille oder Denken; sie ist daher ein nicht Lebendiges.48 Eine Mitteilung von Kraft
vollzieht sich zwischen zwei leblosen Körpern, die in einem bestimmbaren räumlichen Verhältnis
zueinander stehen und in diesem Sinne eine Bewegung darstellen.
d) Aus Sicht der Phänomenologie bedeutet die Materie – wie bereits zitiert – „das Bewegliche, so
fern es, als ein solches, ein Gegenstand der Erfahrung sein kann.“ Bewegung erscheint hier nicht
mehr als das reine (physikalisch-natürliche) Phänomen, sondern als Erfahrung. Jedoch:
„Dazu ird o h erfordert, daß et as dur h de Versta d geda ht erde, ä li h zu der Art,
wie die Vorstellung dem Subjekte inhäriert, noch die Bestimmung eines Objekts durch dieselbe.
Also wird das Bewegliche, als ein solches, ein Gegenstand der Erfahrung, wenn ein gewisses
Objekt (hier also ein materielles Ding) in Ansehung des Prädikats der Bewegung als bestimmt
geda ht ird.“49
Die erscheinende Bewegung der Materie muss nach einem bestimmten Modus prädiziert werden,
und dasjenige, was subjektiv-innerlich prädiziert wird, nennen wir Erfahrung. Um die relative
Bewegung eines Dinges im Raum zu prädizieren, müssen wir einen absoluten Raum annehmen,
innerhalb dessen alle relativen Bewegungen beschrieben werden können. Der absolute Raum ist aber
nicht Erscheinung, sondern eine Idee, mit deren Hilfe wir sowohl die mögliche Linienbewegung als
auch die wirkliche Kreisbewegung als auch die Bewegung eines Dinges gegen die eines anderen
bestimmten Dinges erklären können. 50 Der hier diskutierte Zusammenhang erfordert keine
eingehende Beschreibung dieser verschiedenen Formen von Bewegung, wichtig ist hier nur, dass
sich die an den Raum gebundene Materie durch das Prädizieren der Bewegung in Hinsicht
verschiedener Modalitäten bloß subjektiv erfahren lässt.
Soweit also die Kantische Darstellung des Verhältnisses von Materie, Bewegung und Raum in
seiner Naturphilosophie. Diese Darstellung bleibt jedoch eine epistemologische, denn die Realität der
Materie ist für Kant an unsere Erkenntnis von ihr gebunden. Die Frage nach einer ansichseienden
Realität der Materie erübrigt sich vom Kantischen Standpunkt. Und dies ist eben einer der
wesentlichen
48
49
50
Unterschiede
zwischen
Kant
und
Schelling:
Schelling
versucht,
die
Vgl. ebd., S.100f.
Ebd., S.113.
Vgl. ebd., S.118ff.
55
(Selbst-)Konstruktion der Materie gerade nicht nur epistemologisch, sondern ontologisch zu
begründen. Er versucht zu ergründen, wie sich das Sein der Materie in Hinsicht auf die menschliche
Erkenntnis (1797) und in Hinsicht auf sie selbst (seit 1799) darstellen lässt.51 Im Folgenden soll
zunächst Schellings philosophischer Ansatz einführend kurz erläutert werden, um ihn anschließend
in den Kapiteln 2.2 und 2.3 ausführlicher zu betrachten.
2. Einerseits stimmt Schelling allen Kantischen Erklärungen des oben erläuterten Verhältnisses
zwischen Raum, Materie und Bewegung vollkommen zu. Im Wesentlichen geht es dabei für
Schelling um die folgenden Aspekte: a) Die Materie ist das Bewegliche; b) das Bewegliche erfüllt
einen bestimmten Raum, demzufolge ist die Materie als die Erfüllung des Raumes anzusehen und c)
diese Raumerfüllung kann allein durch eine bewegende Kraft möglich werden. Allerdings hält
Schelling Kant entgegen, dass eine Naturphilosophie die folgenden Punkte zu vertiefen hat: 52
a) Wie bereits gesagt: die Bewegung ist Schelling zufolge nicht nur epistemologisch, sondern
ontologisch darzustellen. 1797 nennt Schelling das Ich, das die Materie konstruiert, „ein Sein in sich
selbst“53. Seine Absicht ist die, vermittels des Seins des Geistes auch die Existenz der Materie, und
umgekehrt vermittels dieser Existenz auch die des Seins zu erklären. Dieses Sein und diese Existenz
sind keineswegs bloß empirisch zu ermitteln, also in den natürlichen Erscheinungen aufzusuchen.
Während die übrigen Nachfolger Kants aus der Sicht Schellings den Realismus der Materie nur
empirisch-epistemologisch zu begründen versuchten, blieben sie einem bloß empirischen Idealismus
verhaftet, da sie das ‚ursprüngliche‘ Sein (in Kantischer Terminologie: das ‚Ding an sich‘) nicht aus
dem ‚Ich an sich‘ oder aus einem ‚ursprünglichen‘ Ich abgeleitet haben. Schelling zufolge bleibt
Kant im Grunde der Sphäre der erscheinenden Natur verhaftet, worin entsprechend auch die
Bewegung der Materie als empirisches Phänomen erscheint. Was Schelling aber viel mehr
interessiert, ist die Natur, in der die Bewegung der Materie als Resultat geistigen Handelns betrachtet
wird.
Schelling folgt also nicht „der Einschränkung des Kantischen Erfahrungsbegriffs, Erfahrung nur als die
gegenständliche Erfahrung der phänomenalen Realität und Erfahrungserkenntnis nur als Erkenntnis wirklicher oder
möglicher phänomenaler Gegenstände und ihres gesetzlichen Zusammenhang zuzulassen“ (M. Boenke, Transformation
des Realitätsbegriffs, S.308).
52
Eine detaillierte Darstellung, wie Schellings Naturphilosophie aus der Kantischen Schritt für Schritt unterschieden
wird, findet man bei W. Bonsiepen: Die Begründung einer Naturphilosophie bei Kant, Schelling, Fries und Hegel,
S.164-307. Hier behandle ich nur den Unterschied überhaupt zwischen den beiden.
53
Schelling, Ideen, S.73.
51
56
Seit 1799 tritt diese Absicht Schellings immer deutlicher hervor, sodass die dynamische Bewegung
der Materie das unabhängige Sein der Natur konstruiert:
„Da alles, o de
a sage ka
, daß es ist, bedingter Natur ist, so kann nur das Sein selbst
das Unbedingte sein. Aber da das einzelne Sein als ein bedingtes sich nur als bestimmte
Einschränkung der produktiven Tätigkeit (des einzigen und letzten Substrats aller Realität)
denken läßt, so ist das Sein selbst dieselbe produktive Tätigkeit in ihrer Uneingeschränktheit
gedacht. Für die Naturwissenschaft ist also die Natur ursprünglich nur Produktivität, und von
dieser als ihre
Pri zip
uß die Wisse s haft ausgehe .“54
Die Natur ist das Sein selbst, das die Materie durch seine Tätigkeit produziert. Dieser Prozess ist
insofern ein dynamischer, als er durch die bewegende Kraft der Natur selbst konstruiert wird. Was
hier produzierend wirkt, ist die natura naturans, das Sein selbst; das Produzierte hingegen ist die
natura naturata, das produzierte Seiende. Schellings Begründung der Materie in der Zeit seit 1799
basiert also von allem Anfang an auf ontologischen Voraussetzungen. Und dies ist ein entscheidender
und auch von Schelling selbst häufig betonter Unterscheid zu Kant.
b) Ein weiterer Unterscheid ist: Die Erfüllung des Raums ist für Schelling nicht nur im Hinblick
auf unsere äußeren Sinne zu betrachten, sondern vielmehr als die Verwirklichung der natürlichen
(oder seit 1799 auch spekulativ-physischen) Bewegungsdimension, zu der ebenso die Zeit gehört. In
den Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft spricht Kant über die Funktion der Zeit
nur ganz am Rande, da die Naturlehre für ihn nur die Lehre hinsichtlich eines Gegenstandes unserer
äußeren Sinne ist. Für Schelling aber ist die Natur, wie gesagt, nicht auf den Bereich der räumlichen
Erscheinungen begrenzt; die Natur muss vielmehr als ein ursprünglich-ontologisches Faktum
demonstriert werden. Für Schelling geht es also weniger um die einfache Einheit von Materie, Raum,
Kraft und Bewegung, sondern vielmehr um das Verhältnis der Zeit zu den übrigen Bestimmungen
von Raum, Kraft, Materie und Bewegung, da die Zeit im Kontext der Naturphilosophie Schellings
als ein fundamental-ontologisches Element anzusehen ist; dies wird aber an späterer Stelle detailliert
ausgeführt.
c) Über das Gesagte hinaus gilt für Schelling: Die bewegende Kraft ist nicht eine mechanische
Größe, sondern eine organische Entität. „Mechanik“ ist hier nicht im engeren Sinne – wie in den
Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft – aufzufassen, sondern vielmehr als
54
Schelling, Einleitung zu dem Entwurf eines Systems der Naturphilosophie, S.40.
57
diejenige empirische Wissenschaft, die sich mit den äußerlich wirkenden Kräften befasst. Zu dem
Gegenstandsbereich der Mechanik gehören dann etwa die Optik, der Magnetismus, die Elektrizität
oder die Chemie nicht. Kant selbst bezeichnet im Übrigen die Chemie auch nicht als eine eigene
Wissenschaft, sondern als eine empirische „Technik“ oder eine „Experimentallehre“, deren
Prinzipien „bloß empirisch sind und keine Darstellung a priori in der Anschauung erlauben, folglich
die Grundsätze chemischer Erscheinungen ihrer Möglichkeit nach nicht im mindesten begreiflich
machen, weil sie der Anwendung der Mathematik unfähig sind.“55 Kant bezieht sich also – anders
als Schelling – ausschließlich auf die Kraft in einem mechanischen Sinne. Schelling bezieht das
Prinzip der Kraft also nicht allein auf das Gebiet der Mechanik, sondern für ihn ist es ebenso
Bestandteil der Lehre von der Schwerkraft und des Lichts, des Magnetismus, der Elektrizität und des
Chemismus, und schließlich sieht er es wirksam im Leben überhaupt (mit seinen Momenten der
Reproduktion, Irritabilität und Sensibilität). Zusammenfassend sind die Kernpunkte hier wie folgt zu
charakterisieren:
Erstens: Schelling zufolge lässt sich das Wesen der Materie als Kraft der Natur nicht durch einen
Rekurs auf die Erklärung des Grundes der empirischen Mechanik fassen, sondern allein in
Beziehung auf ein organisches Ganzes. Der Organismus ist so beschaffen, dass die bewegende Kraft
die Materie – auf jeder Stufe des Organischen – nicht nur auf äußerliche Weise, sondern vielmehr als
ihr inneres belebendes Prinzip bestimmt. In diesem Zusammenhang muss akzentuiert werden, dass
Schelling die Stelle der mechanischen Kraft in der Naturlehre, die ihr von Newton und Kant
zugewiesen wurde, im Rahmen seiner Naturphilosophie gewissermaßen herabsetzt, da die Mechanik
seiner Ansicht nach (verstanden als eine Wirkung der äußeren Kräfte) nicht aus dem Sein selbst,
sondern immer nur aus einem Anderen des Seins abzuleiten ist. Das ist es aber gerade, worauf es für
Schelling vor allem ankommt: die Kraft des Seins selbst zu demonstrieren; diese Kraft der Natur
muss demnach auch ursprünglich und von sich aus in die Produktion der Materie eingehen. So ist es
zu verstehen, wenn behauptet wird, dass Schelling sich auf den Standpunkt des Spinozismus begibt –
entgegen der Newtonschen Naturphilosophie, da Spinoza diese innere und lebendige Kraft der Natur
angenommen hat.56
55
Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, S.6.
Spinoza argumentiert: „Imstande sein, nicht zu existieren, ist Ohnmacht, während imstande sein zu existieren, Macht
ist (wie sich von selbst versteht).“ (Spinoza, Ethik, 1. Teil, Lehrsatz 11, Anderer Beweis, S.25) Jene Macht, die unserem
Alltagsverständnis – wie Spinoza nahelegt – recht nahekommt, also die Macht, imstande zu sein, zu existieren (potentia)
56
58
Zweitens: Auch der mathematische Grund der Naturwissenschaft, der für Newton und Kant der
relevante Gesichtspunkt bleibt, 57 ist für Schelling durchaus nebensächlich. Schelling zieht der
Mathematik etwa die Chemie vor, die jedoch aus der Sicht Kants nicht zu mathematisieren ist.
Während Kant behauptet, „daß in jeder besonderen Naturlehre nur so viel eigentliche Wissenschaft
angetroffen werden könne, als darin Mathematik anzutreffen ist“58, betont Schelling den organischen
Grund der Naturlehre, die wiederum ihren Grund in der lebendigen Kraft der Natur hat. Schelling
hält also gegen die durch die Verbindung des Mechanismus mit der Mathematik erklärte Bewegung
innerhalb der Natur an einem Naturbegriff fest, der wesentlich auf dem des Organismus basiert.59
ist die immanente Kraft Gottes, die die einzig wesentliche Kraft des Seins der Natur ist. „Aus der bloßen Notwendigkeit
der Essenz Gottes folgt nämlich, daß Gott die Ursache selbst und aller Dinge ist. Folglich ist Gottes Macht, durch die er
und alles ist und handelt (agunt), genau seine Essenz. “ (Ebd., 1. Teil, Lehrsatz 34, Beweis, S.77) Für Spinoza ist die
immanent-göttliche Macht und die Kraft also die Ursache (das agens) der Bewegung der Selbstverwirklichung der Natur.
Schelling folgt Spinoza darin, diese immanente Kraft zu betonen, die bei ihm der Macht der göttlichen natura naturans
angehört. Newton dagegen (aber ebenso Kant) richtet das Hauptaugenmerk auf die wechselseitige Wirkung der
mechanischen und äußeren Kräfte in der körperlichen Bewegung. „So bezieht man gewöhnlich […] Mechanik auf die
Bewegung. In diesem Sinne ist die rationale Mechanik die genau dargestellte und erwiesene Wissenschaft, welche von
den aus gewissen Kräften hervorgehenden Bewegungen und umgekehrt den, zu gewissen Bewegungen erforderlichen
Kräften handelt. […] Wir aber […] betrachten hauptsächlich diejenigen Umstände, welche sich auf Schwere und
Leichtigkeit, auf die Kraft der Elasticität und den Widerstand der Flüssigkeiten und auf andere derartige anziehende oder
bewegende Kräfte beziehen, und stellen daher unsere Betrachtung als Mathematische Principien der Naturlehre auf.“ (I.
Newton, Mathematische Prinzipien der Naturlehre, übersetzt, eingeleitet und herausgegeben v. J. Ph. Wolfers,
Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1963, S.10) Die von Newton hervorgehobenen Aspekte haben – wie ich
gezeigt habe – in der Tat mit jener göttlich-lebendigen Kraft, die Spinoza und auch Schelling annehmen, nichts zu tun;
Newtons Betrachtung zielt vielmehr auf die Bewegung als eine mathematisch auszumittelnde Größe. Diese Bewegung
als solche nennt Newton auch die mechanische Bewegung.
57
Vgl. W. Gent, Die Philosophie des Raums und der Zeit. Historische, kritische und analytische Untersuchungen. Band
1. Die Geschichte der Begriffe des Raums und der Zeit von Aristoteles bis zum vorkritischen Kant (1768), Georg Olms
Verlagbuchhandlung, Hildesheim 1962, S.154ff.
58
Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, S.6.
59
In seinen naturphilosophischen Konzeptionen spricht Schelling ganz wenig über die Mathematik. Der Grund dafür ist
nach meinem Dafürhalten in der Ausarbeitung der Transzendentalphilosophie zu sehen. Obwohl Kant die Mathematik
qua Wissenschaft der Zeit nicht zur Naturwissenschaft zählt, schätzt er sie doch sehr hoch. Er nennt sie „den Stolz der
menschlichen Vernunft.“ Also: „Selbst die eigentliche Würde der Mathematik (dieses Stolzes der menschlichen Vernunft)
beruht darauf, daß, da sie die Vernunft die Leitung gibt, die Natur im Großen sowohl als im Kleinen in ihrer Ordnung und
Regelmäßigkeit, imgleichen in der bewundernswürdigen Einheit der sie bewegenden Kräfte, weit über alle Erwartung der
auf gemeine Erfahrung bauenden Philosophie einzusehen, sie dadurch selbst zu dem über alle Erfahrung erweiterten
Gebrauch der Vernunft, Anlaß und Aufmunterung gibt, imgleichen die damit beschäftigte Weltweisheit mit den
vortrefflichsten Materialien versorgt, ihre Naturforschung, so viel deren Beschaffenheit es erlaubt, durch angemessene
Anschauung zu unterstützen.“ (Kant. Kritik der reinen Vernunft, A464/B492) Die Wissenschaft der „Natur im Großen
sowohl als im Kleinen in ihrer Ordnung und Regelmäßigkeit“, d.i. die Mathematik der Anschauung, hat ihre empirische
Anwendung für Kant nicht nur in den Erfahrungen, sondern auch „über alle Erwartung“ ihren philosophischen Wert.
„Die Mathematik gibt das glänzendste Beispiel, einer sich, ohne Beihülfe der Erfahrung, von selbst glücklich
erweiternden reine Vernunft.“ (Ebd., A712/B740) „Es bedarf keiner Kritik […] in der Mathematik, wo ihre Begriffe an
der reinen Anschauung sofort in concreto dargestellet werden müssen, und jedes Ungegründete und Willkürliche dadurch
alsbald offenbar wird.“ (Ebd., A711/B739) Die Konstruktion der Begriffe durch die Mathematik stellt die dem Begriff
korrespondierende Anschauung a priori dar, die in der Kritik der reinen Vernunft selbstverständlich die zeitliche
Anschauung meint, jedoch in den Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft auf die räumliche Anschauung
hinweist. Jedenfalls ist die Mathematik der „Probierstein“ der Anschauung in der Wissenschaft überhaupt. Wegen ihrer
rein formellen Subjektivität fehlt diesem Probierstein dann ihr ontologischer Grund, sofern die Mathematik nur im
„Ich-denke“ bleibt, und deswegen sie – der Anschauung passend – allein gedacht ist. „Denn sogar die Möglichkeit der
Mathematik muß in der Transzendentalphilosophie gezeigt werden“ (ebd., A733/B76), hat sie in sich selbst keinen
59
„Sobald nur unsere Betrachtung zur Idee der Natur als eines Ganzen sich emporhebt, verschwindet
der Gegensatz zwischen Mechanismus und Organismus“ 60 , „Wo kein Organismus ist, ist
Mechanismus.“61 Daher muss der mathematische Grund der Natur bei ihm vollständig aufgehoben
werden. Stattdessen liegt vor uns zunächst der organische Grund der Naturkraft und der
Naturbewegung sowie der realen Materie.
ontologisch-realen Grund.
Nach Kant versucht Fichte bereits, den ontologischen Grund der Transzendentalphilosophie zu finden. Für ihn muss
das Geheimnis des Seins im ursprünglich tätigen Ich liegen. Dieser Entdeckung des synthetischen Ich entsprechend
verliert die Mathematik ihre Wichtigkeit für die Konstruktion der der Anschauung passenden Begriffe, denn die
ontologische intellektuelle Anschauung – statt der epistemologischen mathematischen Anschauung – spielt bei Fichte die
Hauptrolle im ganzen Wissen(schaft)ssystem. Mithin wird von der Mathematik seit Fichte viel weniger als bei Kant
geredet, denn die intellektuelle Anschauung als der Kern der Transzendentalphilosophie in der nachkantischen Zeit
ermöglicht die gesamte Wissenschaft und übertrifft deshalb auch die Leistung der Mathematik.
Auch in diesem Sinn interessiert die Mathematik Schelling in seinen Naturphilosophien nicht mehr so sehr wie Kant.
Die intellektuelle Anschauung, die in seiner Naturphilosophie durch den Organismus der Natur präsentiert wird,
funktioniert von Anfang an auf der höheren ontologischen Ebene. Darauf muss zunächst das Sein der Natur, keinesfalls
aber die mathematische Form oder Struktur derselben, untersucht werden. Weil Newton und Kant selbst die Mathematik
mit der Mechanik (der Bewegungslehre) verbunden haben, muss Schelling aufgrund der Geringschätzung der Mechanik
bzw. der Hochschätzung des Organismus zugleich die Mathematik gering schätzen. Darüber hinaus erwähnt Schelling
auch nicht, dass Kant die beiden auch in gewissem Sinne trennt. Anders formuliert: Für Schelling kann der reale Grund
des Seins allein durch die ursprüngliche Tätigkeit der intellektuellen Anschauung (bzw. die lebendige Kraft des
Organismus der Natur) geliefert werden. Die formelle Mathematik ist hier – ontologisch gesehen – völlig leer und
unwichtig, kann daher nur die Form der Mechanik darstellen, niemals aber die innere lebendige Kraft derselben einsehen.
Jedoch bietet die lebendige Kraft die Möglichkeit der Wirklichkeit der Anwendung der Mechanik. Durch die Verbindung
von Mathematik und äußerlicher formeller Mechanik gibt Schelling der Mathematik in seiner Naturphilosophie keinen
Ort, insofern er die Natur von vornherein organismisch darstellen will.
Schellings Verbindung von Mathematik und äußerlicher formeller Mechanik beeinflusst Hegel tief. Auch für ihn sind
Mathematik und Mechanik korreliert. Seit 1805/06 nennt er den ersten Teil der Naturphilosophie „Mechanik“, der aber in
der Enzyklopädie der Philosophischen Wissenschaft im Grundriss 1817 „Mathematik“ heißt. Dieser Teil
„Mathematik“ 1817 handelt vom Wissen des Raums und der Zeit. Die Mechanik folgt erst darauf als Wissen von der
Bewegung und der Materie. Daher ist klar, dass Hegel 1817 die Mathematik als das Wissen der Formen der
zeitlich-räumlichen Anschauungen sieht. Der Unterschied zwischen Mathematik und Mechanik liegt nur darin, dass die
Mathematik noch nicht mit der Bewegungslehre und mit den realen Materialien zu tun hat. 1817 stellt die Mathematik
also den bloß ideellen und formellen Teil der Naturwissenschaft dar. Seit 1827 vereinigt Hegel in der Enzyklopädie
Mathematik und Mechanik schließlich wiederum unter dem gemeinsamen Titel „Mechanik“.
Obwohl Hegel – gegen Schelling, der dieser Frage wenig Aufmerksamkeit schenkt – den Zusammenschluß von
Mathematik und Mechanik für die erste Stufe der Naturphilosophie hält, meint er doch, dass die Mathematik niemals wie
bei Kant „das glänzendste Beispiel, einer sich, ohne Beihülfe der Erfahrung, von selbst glücklich erweiternden reinen
Vernunft“ sein kann. Vielmehr ist sie nur das Einfachste in der Naturphilosophie, wird allein durch die Bewegung der
Natur zum Geist erklärt. Ohne diese Bewegung, die in der Naturphilosophie als das organische Ganze dargestellt werden
muss, würde die Mathematik schlechthin formell und leer bleiben.
Zusammenfassend läßt sich also festhalten: Weder Schelling noch Hegel wollen ihre Naturphilosophien auf der
Grundlage einer epistemologisch-mathematischen Struktur aufbauen, sondern vielmehr auf der Ontologie bzw. der
Wirklichkeit der Naturkraft. Deswegen orientiert sich die Hauptfrage bei beiden gar nicht an der Frage nach der
„eigentlichen Wissenschaft“ und damit nach der Mathematik, sondern allein an der Ontologie der organischen
Naturbewegung.
60
Schelling, Von der Weltseele - Eine Hypothese der höheren Physik zur Erklärung des allgemeinen Organismus. Nebst
einer Abhandlung über das Verhältnis des Realen und Idealen in der Natur oder Entwicklung der ersten Grundsätze der
Naturphilosophie an den Prinzipien der Schwere und des Lichts, in: Friedrich Wilhelm Joseph Schellings Werke 8, hrsg.
v. Kai Torsten Kanz und Walter Schieche, Frommann-Holzboog Verlag, Stuttgart 2000, S.68.
61
Ebd., S.69.
60
2.2 Schellings Theorie der Zeit von 1797 als Einheit von Kraft, Zeit, Raum, Bewegung
und Materie
Die ontologische Einheit der realen Materie und der Kraft der Bewegung sowie Zeit und Raum ist
für Schelling seit 1797 Ausdruck/Abbild der inneren Konstruktion/Beschaffenheit der Natur, die
grundsätzlich in der Beziehung der entgegengesetzten Momente der Abstoßungs- und
Anziehungskraft zueinander besteht. Da die Kraft der Anziehung und Zurückstoßung „allgemeine
Naturgesetze [sind], so müssen sie die Bedingungen der Möglichkeit einer Natur überhaupt
sein.“ Und weiter:
„Sie
üsse also orerst als Bedi gu ge der Mögli hkeit der Materie ü erhaupt etra htet
werden, und es muß keine Materie ursprünglich gedacht werden können, ohne daß zwischen
ihr u d ei er a der A ziehu g u d )urü kstoßu g stattfi de.“62
1. Im Jahr 1797 schreibt Schelling: „Materie ist uns vorjetzt nichts, als überhaupt etwas was, nach
drei Dimensionen ausgedehnt, den Raum erfüllt.“63 Aber „die Frage ist, woher die Begriffe von
attraktiver und repulsiver Kraft der Materie?“64 Allein durch die Begriffe der Kräfte wird die
Realität der Materie nicht erklärt, denn „der bloße Begriff ist ein Wort ohne Bedeutung, ein Schall
für das Ohr, ohne Sinn für den Geist. Alle Realität, die ihm zukommen kann, leiht ihm doch nur die
Anschauung, die ihm voranging.“65 Offenbar begründet Schelling die Realität der Kräfte vermittels
des Hinweises auf die Realität der ontologisch-intellektuellen Anschauung,66 die die „ursprüngliche
Kraft meines Ich“ darstellt. Aber allein vermittels dieser absoluten Tätigkeit kann noch kein Objekt
angeschaut werden. Um zur Realität des Objekts oder der bestimmten Materie zu gelangen, muss
diese absolute Tätigkeit des Ich beschränkt werden. Dazu bedarf es einer entgegengesetzten Tätigkeit.
„Und so haben wir zwei einander widersprechende Tätigkeiten als notwendige Bedingungen der
Möglichkeit einer Anschauung.“67 Diese sich widersprechenden Tätigkeiten haben ihren Grund in
einem „X“, das nicht sinnlich ist und deshalb Schelling zufolge als „das Hirngespinst von Dingen an
62
Schelling, Ideen, S.183.
Ebd.
64
Ebd., S.209.
65
Ebd.
66
Es ist auch auffallend, dass Schelling von der Anschauung der Natur gar nicht in mathematischer Weise spricht, die
die dem Begriff korrespondierende Anschauung nur in den Erscheinungen der Welt liefert. Vielmehr argumentiert er von
einem ontologischen Standpunkt, demzufolge die Anschauung als ursprünglich reale begriffen werden muss.
67
Ebd., S.213.
63
61
sich“ 68 gedacht werde. Gleichwohl werde sie gesetzt, weil der unbeschränkte Geist sich als
beschränkt erfahren soll.
„Also […] das Wese der Anschauung, das, was die Anschauung zur Anschauung macht, ist, daß
in ihr absolut-e tgege gesetzte, e hselseitig si h es hrä ke de Tätigkeite
erei igt si d.“69
Diese Tätigkeiten erscheinen nun „als Kräfte, die dem Objekt an sich selbst, ohne allen Bezug auf
eine mögliches Erkenntniß zukommen. Für den Verstand sind sie etwas bloß Gedachtes und durch
Schlüsse Gefundenes. Aber er setzt sie als reell voraus, weil sie aus der Natur unseres Geistes und
der Anschauung selbst notwendig hervorgehen.“70 D.h. obwohl die Begriffe jener beiden Kräfte bloß
gedacht sind, sind sie aufgrund der Anschauung ihrer Wirkung doch real. Schelling nennt die erste
positive Tätigkeit die repulsive Kraft, die zweite negative die attraktive.
2. Die positiv-repulsive Kraft bewegt sich nach allen möglichen Richtungen.71 Dagegen hat die
negativ-attraktive Kraft gar keine Richtung, da sie die erste Kraft in ihrer Bewegung auf einen
bestimmten Punkt hin beschränkt. Dadurch ergeben sich zwei Formen des Raumes, genauer: der
dreidimensionale Raum und der punktförmige. Die positive Kraft muss auf die negative
zurückwirken, wenn sie von derselben gehemmt wird. Diese beschränkende Tätigkeit bewegt sich
daher nicht nach allen möglichen Richtungen, vielmehr nur nach einer bestimmten Richtung. Diese
Form der Bewegung der beschränkten positiven Tätigkeit wird durch eine Linie dargestellt. Schelling
nennt sie die Form der Zeit. Also:
„Diese Ha dlu gs eise des
e s hli he Geistes allge ei aufgefasst, gi t de Begriff o
Zeit, die nur nach Einer Di e sio ausgedeh t ist.“72
Die Zeit ist für Schelling in seiner Konzeption von 1797 die eindimensionale Bewegung der
geistigen Kraft. Durch sie vermag sich der Raum zu erfüllen. Mit anderen Worten: Die Zeit
repräsentiert die reale Synthesis der beiden räumlichen Kräfte; sie gehört deswegen notwendig zur
wirklichen Bewegung der Materie qua Kraft.
3. Der Raum ist erst durch die zeitliche Grenze in ihm anschaubar. „Daher kommt es, daß Raum nur
bestimmbar ist durch Zeit“.73 Und umgekehrt erhält die Zeit nur im und durch den Raum ihre
68
Ebd.
Ebd., S.215.
70
Ebd., S.217.
71
Ebd., S.219: „dies angewandt auf die repulsive Kraft, gibt den Begriff von einer Kraft, die nach allen möglichen
Richtungen handelt, oder was dasselbe ist, den Raum nach drei Dimensionen zu erfüllen strebt.“
72
Ebd.
69
62
Ausdehnung; „Zeit [ist] nur durch Raum bestimmbar“. 74 Zeit und Raum entsprechen diesen beiden
Kräften; die Kräfte wiederum sind die Materie selbst.75 Die in der Raum-Zeit sich bewegenden
Kräfte (und Materien) beziehen also ihre objektiv bestimmbare Realität daher, dass „alles Objekt der
äußern Sinne […] als solches notwendig Materie, d.h. ein durch anziehende und zurückstoßende
Kräfte begrenzter und erfüllter Raum [ist].“ Die Einheit von Materie, Bewegung, Raum, Zeit und
Kraft in der naturphilosophischen Konzeption Schellings sollte mit dem Gesagten deutlich geworden
sein.
In seinem Entwurf von 1797 begreift Schelling diese Einheit in dem Sinne, dass die Materie nichts
anderes als „das Produkt einer ursprünglichen Synthesis (entgegengesetzter Kräfte) in der
Anschauung“76 ist. Die in sich widersprüchliche Tätigkeit des Ich im Akt der der Anschauung ist ein
Gedanke, den Schelling offenbar von Fichte übernimmt. Schelling übersetzt sie dann auf kreative
Weise in seine Auffassung der Naturkräfte, wodurch er dem von ihm konstatierten Problem, dass es
der Natur aus der Sicht Fichtes an Sein mangelt, abhelfen will. Um die Realität der bestimmten
Bewegung der Materien zu begründen, wendet Schelling sich der Realität der Anschauung zu. Diese
Anschauung existiert zwar in ihrer räumlichen Form bereits, wird aber überhaupt noch nicht
bestimmt, insofern die beiden Tätigkeiten (d.h. die zwei Grundkräfte) noch nicht synthetisiert sind.
Allein durch die Zeit wird diese Synthesis in der Form der Linienbewegung erzeugt, worin alle
räumlichen Punkte erfüllt sind, insofern jeder Punkt darin seine Grenze findet und zugleich einen
Verknüpfungspunkt beider Kräfte darstellt, vermittels dessen sich die Grundkräfte faktisch
gegeneinander abgrenzen.77
73
Ebd.
Ebd., S.220.
75
Vgl. ebd., S.220. Die Grenze qua Zeit entsprach in der Konzeption von 1797 der Attraktivkraft; die Sphäre
(Ausdehnung) dagegen der Repulsivkraft. Ferner bemerkt Schelling in diesem Zusammenhang: „Die Materie erfüllt
einen Raum nicht durch ihre bloße Existenz, sondern durch eine ursprünglich-bewegende Kraft […] Die Materie ist
selbst nichts anderes, als eine bewegende Kraft“.
76
Ebd., S.226.
77
Ganz im Gegensatz dazu hält Schellings Frühschrift Vom Ich als Prinzip der Philosophie noch das Ich für das einzige
Sein und alle Realität. „So ist das Ich die einige Substanz“; „alles, was ist, [ist] bloßes Akzidens des Ichs.“ (F. W. J.
Schelling, Vom Ich als Prinzip der Philosophie oder über das Unbedingte im menschlichen Wissen, in: Friedrich Wilhelm
Joseph Schellings Werke 2, hrsg. v. Hartmut Buchner und Jörg Jantzen, Frommann-Holzboog Verlag, Stuttgart 1980,
S.119) Das Nicht-Ich, das gegen das substanzielle und identische Ich die Urform der Vielheit ist, muss auch zum Ich, also
„zur Identität erheben und dem Ich gleichsam assimilieren“ (ebd., S.120). Diese Urform der Vielheit wird von der
Einbildungskraft in den Raum gesetzt, „damit aber euer Ich, indem es, um die Synthesis zu vollbringen, die Vielheit
aufnimmt, nicht ganz zerstreut werde, setzt ihr die Vielheit in Wechsel (Sukzession)“, deren Form die Zeit ist. Durch die
Zeit erhebt das Ich das Nicht-Ich zu sich selbst. Das Ich selbst ist aber ewig und außer aller Zeit, da die Zeit als die Dauer
74
63
2.3 Schellings Theorie der Zeit in seinen Entwürfen ab 1799
2.3.1 Schellings Zeittheorie ab 1799 in der Einheit von Kraft, Zeit, Raum, Bewegung und
Materie
Im Entwurf von 1799 stellt Schelling seine Erörterung der Theorie der Zeit in den Kontext der
Darlegung des Übergangs von der absoluten Produktivität zur empirischen Natur. Diese Frage ist nun
die nach der Materie, da sowohl die produzierende als auch die produzierte Kraft der Natur und
damit der Materie angehören.
1. In der Naturgeschichte repräsentiert die Zeit der absoluten Produktivität „die ursprüngliche Reihe
(das Ideal aller unendlichen Reihen)“, „worin unsere intellektuelle Unendlichkeit sich evolviert“. 78
Ohne diese ursprüngliche und stetige Evolution ist die Kontinuität der Natur überhaupt undenkbar.
Schelling bezeichnet sie als das Ideal, weil sie die absolute Tätigkeit der natura naturans aufweist,
damit aber keinesfalls durch eine aposteriorische Induktion gefasst werden kann.
allein endlich ist, denn „Dauer ist nur in bezug auf Objekte denkbar“, und was Objekt ist, ist nur noch Nicht-Ich und
daher noch kein Ich, keine Ewigkeit (vgl. ebd., S.130) . M.a.W. existiert das Ich „in gar keiner Zeit“ (ebd., S.151).
Jedoch ist das Ich ohne Zeit nur eine bloße Möglichkeit. Wirklich gesehen ist es aber in allen Zeiten. Die notwendige
Synthese von zeitloser Möglichkeit und zeitlicher Wirklichkeit ist die Zusammensetzung von Ewigkeit und Zeit. „Da Zeit
Bedingung aller Synthesis ist, und eben deswegen von der transzendentalen Einbildungskraft durch und in der Synthesis
hervorgebracht wird, so kann man das Ganze auch so darstellen. Das Schema des reinen (außerhalb aller Zeit gesetzten)
Seins ist Dasein in Zeit überhaupt (d.i. in der Handlung der Synthesis überhaupt). Objektive Möglichkeit ist also
Gesetztsein in der Zeit überhaupt. Da das Dasein in der Zeit wechselt, so ist das Objekt, obgleich in der Zeit überhaupt
gesetzt, doch zugleich setzbar und nicht setzbar. Um ein Objekt zu setzen, muß ich es in bestimmte Zeit setzen, was nur
dadurch möglich wird, daß ein anderes ihm seine Stelle in der Zeit bestimmt, und sich die seine wieder von ihm
bestimmen läßt. Nun soll aber das Nicht-Ich bloß durch seine Möglichkeit, bloß durch das Schema des reinen Seins
gesetzt werden.“ (ebd., S.158) In diesem Absatz bestimmt Schelling das Ich, das absolut zeitlos ist, also die Zeit
überhaupt, die das „Schema der gänzlichen Zeitlosigkeit“ sei (ebd.). Dagegen sind die objektiv-wechselnden Zeiten, die
aus dem Nicht-Ich heraus gesetzt werden, die bestimmten Zeiten. Die Synthese der Zeit überhaupt und der bestimmten
Zeiten wird durch die Bestimmung des Nicht-Ich durch das Ich oder durch die Bestimmung des Daseins durch das Sein
vollzogen. „Nun ist, sowie Zeit überhaupt Schema der gänzlichen Zeitlosigkeit ist, alle Zeit [d.h. die wirkliche ins
Unendliche fortgehende Synthesis] hinwiederum Darstellung [Bild] der Zeit überhaupt [d.i. der Handuing der Synthesis
überhaupt], wodurch Dasein in der Zeit überhaupt mit Dasein in bestimmter Zeit vermittelt wird.“(ebd.) Also müssen die
Zeitlosigkeit = Zeit überhaupt hier als das Schema, die zeitlichen Bestimmten hingegen als die Bilder und Darstellungen
des Schemas in der Wirklichkeit angesehen werden. Dadurch wird das Nicht-Ich vom Ich völlig gesetzt, mithin wird die
Ewigkeit = Zeitlosigkeit auch mit der Zeit identifiziert. Denn „alle Zeit also ist nichts als Bild der Zeit überhaupt, und
zugleich bestimmte Zeit, weil alle Zeit so gut bestimmt ist, als ein einzelner Zeitteil. Insofern nun das Nicht-Ich in
bestimmte Zeit gesetzt ist, erhält es seine ursprüngliche Form (des Wechsels, der Vielheit, der Negabilität), insofern es in
der Zeit überhaupt gesetzt ist, drückt es die schematische Urform des Ich aus, Substantialität, Einheit, Realität. Aber es ist
in bestimmte Zeit nur in sofern gesetzt, als es zugleich in Zeit überhaupt gesetzt ist, und umgekehrt“ (ebd.).
Diese Zusammenziehung von Zeit und Ewigkeit in der Ichschrift 1795 geschieht offensichtlich nach Kantischer und
hauptsächlich Fichtescher Weise. Gegen Kant betont Schelling jedoch das ewige Sein in allem zeitlichen Dasein, d.i. den
ontologischen Grund der Synthesis in der Zeit selbst und ihren Bestimmungen. Dieser ontologische Grund ist bis hierher
nur durch das Ich und seine transzendentale Einbildungskraft gezeigt. Ihm fehlt daher die Realität des Inhalts des Ich.
Also fehlt es an der realen Materie, die Schelling später gegen Fichte in seiner Naturphilosophie immer mobilisiert. Ohne
diese reale Materie bleibt das Ich formell und leer, insofern sein zeitlicher Inhalt allein eingebildet oder allein gedacht ist.
Daher wendet sich Schelling seit 1797 der Naturphilosophie zu, in der er die Zeitfrage und mithin auch die Frage nach
der Verbindung von Ewigkeit und Zeit besonders akzentuiert.
78
Schelling, Einleitung zu dem Entwurf eines Systems der Naturphilosophie, S.42.
64
„Die )eit also, als E olutio je er Tätigkeit, kann nicht durch Zusammensetzung erzeugt werden.
Da nun alle anderen unendlichen Reihen nur Nachahmung der ursprünglich-unendlichen Reihe,
der )eit, si d, so ka
kei e u e dli he Reihe a ders als stetig sei .“79
Als die primäre Produktivität ist die Zeit die Kraft, das Sein der Natur kontinuierlich (stetig) zu
produzieren. Sie ist allein in der intellektuellen Anschauung gegeben, denn „die absolute Kontinuität
existiert also nur für die Anschauung, nicht aber für die Reflexion. Anschauung und Reflexion sind
sich entgegengesetzt. Die unendliche Reihe ist stetig für die produktive Anschauung, unterbrochen
und zusammengesetzt für die Reflexion.“80
Diese anderen Dimensionen der Zeit ahmen dagegen die ursprüngliche Zeit in der Reflexion nach.
Jedes Dasein hat also seine bestimmte Dauer, die auf keinen Fall absolut kontinuierlich (stetig) ist:
„Da u alle a dere u e dli he Reihe
ur Na hah u ge der ursprü gli h-unendlichen
Reihe, der Zeit, sind, so kann keine unendliche Reihe anders als stetig sein. Das Hemmende in
der ursprünglichen Evolution ist nichts anderes als die ursprüngliche Reflexion; die
Notwendigkeit der Reflexion auf unser Handeln in jedem Moment (die beständige Duplizität in
der Identität) ist der geheime Kunstgriff, wodurch unser Dasein Dauer erhält.“81
Das dauernde Dasein ist kein ursprünglich ansichseiendes, sondern ein vom absolut-produktiven
Sein sukzessive Produziertes.
Die angeschaute unendliche Zeit und die reflexiven dauernden Zeiten sind sich entgegengesetzt
wie zwei verschiedene Kräfte. „Für die Anschauung z.B. geschieht die Wirkung der Schwerkraft mit
vollkommener Kontinuität, für die Reflexion ruck- und stoßweise.“82 Die Schwerkraft ist hier die
Präsentation der ursprünglichen Zeit, wohingegen die Anziehungs- und Rückstoßkraft die entzweiten
Zeiten repräsentieren. Als Schwerkraft ist die Zeit absolut kontinuierlich; in Gestalt der genannten
beiden anderen Kräfte sind die Zeiten dagegen „gesondert und ohne Kontinuität“ 83. Jene konstruiert
das Sein der Natur selbst, diese ermöglicht den Begriff des Werdens derselben. So lässt sich sagen:
Die Zeit, die diese Doppelheit in sich trägt, eröffnet in Schellings Entwurf von 1799 die
fundamental-ontologische Dimension der seienden und werdenden Natur.
79
80
81
82
83
Ebd.
Ebd.
Ebd.
Ebd.
Ebd., S.43.
65
2. Diese einander entgegengesetzten Zeiten müssen aber wiedervereinigt werden, da sie ursprünglich
Eines sind. Dieser Synthetisierungsprozess ist nun für Schelling der Reproduktionsprozess der Natur:
„Wir sehe
i ht eige tli h das Bestehe
des Produkts, so der
ur das
estä dige
Reproduziert erde .“84
In diesem Reproduziertwerden lässt sich dann die Realität der Welt erfahren. Was wir erfahren, ist
„das Bestehen des Produkts“, worin „alles Beharren nur in der Natur als Objekt [ist]“. Dieses Objekt
ist jedenfalls kein „bloßer Punkt, bloße Grenze“, kein leerer Raum also, insofern „die Natur gegen
diesen Punkt ankämpft“, bis zur wirklichen Erfüllung dieser Punkte im Raum.85 Nur wenn der leere
Raum in diesem Reproduktionsprozess erfüllt wird, ist das Objekt unserer Erfahrung wahrhaft real.
Der Reproduktionsprozess, der sich gerade aufgrund des angesprochenen Doppelcharakters der Zeit
vollzieht, ist daher zugleich der Erfüllungsprozess des Raums. Der erfüllte Raum heißt dann die reale
Materie. Mithin muss sich dieses zweifache Wesen der Zeit in der räumlichen Materie darstellen:
„Was de Rau
erfüllt, ist i ht die Materie, de
die Materie ist der erfüllte Rau
sel st. Was
also den Raum erfüllt, kann nicht Materie sein. Nur was ist, ist im Raum, nicht das Sein selbst.
[…] Was i
Rau
ist, ist als solches mechanisch und chemisch zerstörbar. Was weder
e ha is h o h he is h zerstör ar ist,
üßte also je seits des Rau s liege . […] A er
dieses Unzerstörbare, was nur als reine Intensität denkbar ist, ist als Ursache alles Substrats
zugleich das Pri zip aller Teil arkeit i s U e dli he.“86
Das Sein selbst also, das in der Zeit bleibt, ist nicht im Raum. Vielmehr wäre dieses Sein im Jenseits
des Raumes, weil das, was den Raum erfüllt, mechanisch oder chemisch teilbar (oder zerstörbar) ist,
– wohingegen das Sein selbst das Unendliche, das unteilbare Prinzip und die Ursache des Substrats
sein muss. Die Zeit selbst, also das Sein oder die reine Intensität, kann nicht durch die mechanische
und chemische Bewegung zerstört werden, sondern führt alles, was räumlich geteilt ist, ins
unendliche Ganze, das Schelling das „Einfache“ nennt. Dieses Einfache (die einfache Zeit selbst) ist
jedoch die reine Aktion oder Tätigkeit. Es kann nur durch die Spekulation der idealen Produktivität
angeschaut werden. Umgekehrt bleibt das Reflektierte auch schlechthin ideell, weil es nicht an sich
tätig ist. Also:
84
85
86
Ebd., S.45.
Vgl. ebd.
Ebd., S.48.
66
„Beide S ste e S ste
der A s hauu g u d Refle io
gehe
o et as loß Ideelle
aus.
Die absolute Synthesis ist ebenso gut bloß ideell als die absolute Analysis. […] Das Produkt ist
das z is he
eide E tre e Begriffe e.“87
3. Der nächste Schritt besteht dann darin, den Mittelbegriff beider Extreme zu ermitteln. „Und so
gelangen wir zum Begriff einer auf dem Übergang ins Produkt begriffenen Produktivität, oder eines
Produkts, das ins Unendliche produktiv ist.“ 88 Zwischen der reinen Produktivität, die sich
fortwährend entfaltet, und dem Produkt, das der Richtung der Expansion entgegengesetzt wird und
sich in sich kontrahiert, gibt es ein Drittes, durch das „Differenz und Streben nach Indifferenz […]
der Zeit nach schlechthin Eins und zugleich [sind].“89 Dieses Dritte existiert also zwischen der bloß
tätigen Zeit selbst (der reinen Produktivität) und den vorhandenen Zeiten (den Produkten). Schelling
nennt es „die Fortdauer des Dritten“ und schließt daran die Frage an:
„A er ie soll de
der Gege satz als fortdauer d geda ht erde ?“90
Die einander zeitlich-entgegengesetzten Extreme von Produktivität und Produkt berühren sich in
der Dauer des Dritten.
„So ist der Gegensatz aufgehoben, und mit ihm jenes Streben, und damit alle Tätigkeit der
Natur. – Daß aber der Gegensatz fortdaure, ist nur dadurch denkbar, daß er unendlich ist – daß
die äußersten Grenzen ins Unendliche auseinander gehalten werden, so daß immer nur
vermittelnde Glieder der Synthesis, nie die letzte und absolute Synthesis selbst produziert
werden kann, wobei es nie zum absoluten, sondern immer nur zu relativen Indifferenzpunkten
kommt, und jede entstandene Indifferenz einen neuen, noch unaufgehobenen Gegensatz übrig
läßt, dieser wieder in Indifferenz übergeht, welche abermals den ursprünglichen Gegensatz nur
zum Teil aufhebt. Durch den ursprünglichen Gegensatz und das Streben nach Indifferenz
kommt ein Produkt zustande, aber das Produkt hebt den Gegensatz nur zum Teil auf; durch das
Aufheben dieses Teils, d.h. durch das Entstehen des Produkts selbst, entsteht also ein vom
aufgehobenen verschiedener neuer Gegensatz, durch diesen ein vom aufgehobenen
87
88
89
90
Ebd., S.52.
Ebd., S.54.
Ebd., S.63.
Ebd.
67
verschiedenes Produkt, aber auch dieses läßt den absoluten Gegensatz unaufgehoben, es wird
also a er als Dualität, u d dur h diese ei Produkt e tstehe , u d so i s U e dli he fort.“91
Die Synthetisierung der beiden Extreme innerhalb der Zeit muss durch jenes Dritte, also durch die
Zeitkette des Geschehens in unserer Erfahrung sukzessive vollgezogen werden. Daraus folgt, dass
dieser Synthetisierungsprozess nicht enden darf, da sonst die Tätigkeit der Natur auch beendet würde.
Jedes Drittes als ein Mittel der Vereinigung kann die Synthesis nur partiell verwirklichen. Jedes
Dritte stellt dabei die Bedingung der Möglichkeit einer Vereinigung zweier Verschiedener dar, den
neuen Anfang dieses Prozesses, nicht aber den letzten Punkt desselben. Anders formuliert: jedes
Produkt in der Kette dieses Dritten ist ein relativer Indifferenzpunkt, während die Metamorphose sich
in der zeitlichen Fortdauer Schritt für Schritt immer weiter verwirklicht.
4. Diese selbständige Natur existiert im Gestaltungsprozess, in dem sich die Expansions- und
Kontraktionskraft miteinander verbinden. Die dritte Kraft als die die beiden anderen Kräfte
synthetisierende bezeichnet Schelling als Schwerkraft:
„Die S h erkraft ist ei fa h, a er ihre Bedi gu g ist Duplizität. – Indifferenz geht nur aus
Differe z her or.“92
Also erfüllt die Schwerkraft die Räume in der Zeitkette und macht die Materie real. Weil sie erst
nach dem Akt der Differenzierung entstehen kann, kann sie das Objekt nicht ursprünglich
produzieren, sondern allein reproduzieren. Mit anderen Worten: die Synthesis vermittels der
Schwerkraft repräsentiert „das Reproduziertwerden des Objekts selbst“93. Das endliche Objekt in
seinem spezifischen Schwerpunkt repräsentiert die Allgemeinheit der Schwerkraft.
Wenn aber zwei Dinge ihre verschiedenen Schwerpunkte in sich haben, stehen sie einander
gegenüber, da beide ihren individuellen Schwerpunkt fürs synthetische Zentrum der Welt halten. Und
daraus folgt für Schelling: „Sie müssen gegeneinander gravitieren.“ 94 Und so taucht die Differenz
auf einer höheren Stufe wieder auf und muss wiederum aufgehoben werden; dies geschieht im
chemischen Prozess. Aber Schelling fragt:
„Was ges hieht de
i
he is he Prozeß? ) ei ga ze Produkte gra itiere gege ei a der.
Die Indifferenz des einzelnen wird also absolut aufgehoben. Dieses absolute Aufheben der
91
92
93
94
Ebd., S.64.
Ebd., S.65, vgl. auch S.75.
Ebd., S.68.
Ebd., S.69.
68
Indifferenz setzt den ganzen Körper in Lichtzustand, sowie ihn das Partielle im elektrischen
Prozeß i partielle Li htzusta d setzt.“95
„Wo also je e I differe z si h auflöst i
he is he Prozess, da
uß u s Li ht ers hei e .“96
Das Licht in der Natur bringt die Indifferenz durch mannigfaltige Weisen (nämlich durch die
Phänomene des Magnetismus, der Elektrizität und des Chemismus) wieder hervor.
Es sollte hervorgehoben werden, dass die Natur im Entwurf von 1799 nicht mehr vom
Bewusstsein abhängig ist, sondern tatsächlich als selbständig aufgefasst wird. Das Licht stellt im
Entwurf seit 1799 das anfängliche Zeichen der weiteren Entwicklung der Materie in der Natur. Für
mein Thema relevant ist, dass die Zeit 1799 immer in der unendlichen Kette der Indifferenzpunkte
fortläuft. Die Ewigkeit der Zeit bedeutet in sich selbst die natura naturans. Sie muss nunmehr ihre
lebendige Kraft in der Zeit bewahren und hier geht es nun um die ewige Fortdauer derselben. Daher
begreift Schelling das Licht als eine wesentliche Eigenschaft der ursprünglichen Konstruktion der
Materie, das den Prozess der Synthesis der verschiedenen Massen flankiert.
2.3.2 Das Problem der Zeittheorie Schellings im Entwurf von 1799
Die Realität der Natur bedeutet bei Schelling 1799 einerseits das absolute Sein selbst, die natura
naturans, andererseits das endliche Produkt, die natura naturata. Das absolute Sein ist der Ursprung
aller Realität, aber aus welchem Grund es selbst wahrhaft wirklich ist, kann nicht Gegenstand von
Erfahrung sein. D.h. wir setzen die Realität des Seins in einem idealen Sinne voraus. Dies ist aber ein
Verfahren, das die Naturphilosophie nicht anwenden kann, weil sie ja gerade versucht, „das Ideelle
aus dem Reellen zu erklären.“ Aus diesem Grunde – in seiner bloßen Voraussetzung – bleibt das Sein
ein jenseitiges, denn allein vom ideell gesetzten Sein aus lässt sich noch keine konkrete Realität der
Natur begründen.
Durch die Synthesis der verschiedenen Kräfte entsteht die konkrete und reale Materie. Aber jeder
reale Körper ist nur partiell real, insofern er eine partielle Indifferenz darstellt. Er erlangt seine
Realität nur für einen Moment innerhalb der Zeitkette. Für ihn bleibt diese Realität selbst aber nur
noch eine ideelle in dem Sinne, dass sie immer noch nicht die reale Identität der Duplizität der Natur
95
96
Ebd., S.83, Fußnote 70,22.
Ebd., S.70.
69
in sich enthält, sondern eine bloß relative Indifferenz. Die vollständig verwirklichte Realität des
Endlichen entsteht in der Zeitdimension der Zukunft. Sie soll zwar erreicht werden, kann es aber
nicht, denn dann gäbe es die Produktivität auch nicht mehr. In diesem Sinne kann die Realität des
Endlichen zur Unendlichkeit des Seins selbst nicht wirklich zurückkehren. Die Realität des zeitlichen
Endlichen kommt aus der des Unendlichen, die aber an sich ideell ist; für das Endliche bleibt sie
schlechthin jenseitig. Das zeitliche Endliche setzt dem Sein des Unendlichen nur einen partiellen
Grund; und auch das Unendliche setzt dem Sein des Endlichen einen Grund bloß ideell und nur in
unerreichbarer Zukunft. Beide sind daher niemals wirklich füreinander. Mithin bleibt die Realität der
Natur äußerst problematisch, insofern weder das Endliche noch das Unendliche als das im
eigentlichen Sinne Reale ausgewiesen werden können.
In Bezug auf die Zeitfrage lässt sich festhalten: Die Natur selbst ist der ewig-zeitliche Archetyp
seines Produkts. Die Naturkonstruktion vermittels der realen Kräfte ist die dynamische Darstellung
der Zeiten innerhalb dieser ontologischen Natur; in dieser macht sich der angesprochene
Doppelcharakter der Zeit geltend. Die Ewigkeit ist also für Schelling der einzige und immanente
Grund alles zeitlichen Werdens. Damit aber ergibt sich ein Problem: Was in der Ewigkeit ist, existiert
ohne Zeitinhalt, ohne zeitliche Abfolge in ein Vorher und ein Nachher. Das zeitliche Dasein wird nur
reflektiert, macht jedoch nicht den Grund des Seins aus. Zugleich müssen die Zeiten aber doch
notwendig sein, denn sonst hätte die Ewigkeit keinen realen Inhalt. Darin verbirgt sich also ein
Dilemma im Verhältnis von Ewigkeit und Zeitlichkeit: Das Zeitliche soll das Ewige sein, kann
jedoch nicht mit ihm identisch sein. Das schlechthin ewige Sein wäre dann leer oder bloß formell,
wenn alles zeitliche Dasein in ihm kein wirkliches Dasein wäre oder wenn es die ansichseienden
endlichen Zeiten im Grunde gar nicht gäbe.
1802 schreibt Jacobi an Friedrich Köppen und legt ihm die Aporie dieser Darstellung des
zeitlich-endlichen Daseins bei Schelling dar. Für Jacobi bedeutet die von Schelling genannte ewige
Natur – genau wie das Ich Fichtes – nichts als „ein bloßes Wort“, „durch welches von Ewigkeit her
alle Dinge gemacht sind.“97 Bereits Spinoza kam auf den Gedanken, diese – aus der Sicht Jacobis
bloß dem Wort nach ewige – Natur zu erforschen, worauf sich Schelling später auch bezieht. Da
Schelling das wirkliche Sein jedoch – wie Spinoza – als die ewige Natur, nicht aber als das
97
F. H. Jacobi: An Friedrich Köppen, in: Schriften zum transzendentalen Idealismus. Friedrich Heinrich Jacobi Werke
Band 2.1, hrsg. v. W. Jaeschke und I. M. Piske, Felix Meiner Verlag, Hamburg 2004, S.354.
70
Zeitlich-Endliche ansieht, nennt Jacobi die Einheit Schellings das „ganze, totale, absolute Ist“, das
ihm eben aufgrund seiner absoluten Selbständigkeit ein „Unding“ und „das schlechthin Unendliche
und Ewige, das allein Selbständige und Reale, das Wesen aller Wesen, Eins und Alles: absolute
Identität, absolute Totalität: Universum“ ist. Dieser Vorstellung gemäß bleibt die ewige Natur in
allem zeitlichen Ablauf doch ewig; sie negiert ihn daher in sich selbst und ist „ein Werden eines
Werdens, aber deswegen in Wahrheit auch kein Werden; nur ein Thun eines Thuns, aber darum in
Wahrheit auch nichts weniger als ein Thun“. Sie setzt sich „von Ewigkeit zu Ewigkeit in ein
Werden“,98 dem die Philosophie nachzuforschen hat. In diesem Dilemma des Werdens ohne Werden
der Natur selbst kann eigentlich nichts wahrhaft real sein, insofern das Unendliche seine Realität
nicht aus dem realen Dasein, sondern aus nichts gewinnt. Es kann seine Realität nur an sich, d.h.
aufgrund eben eines solchen Nichts beweisen; was es herstellt, existiert aufgrund eines solchen
Nichts. Das zeitliche Produkt der Realität des Endlichen lässt sich daher schlechthin als ein
„Scheinprodukt“ bezeichnen, „denn auf das ewige Nicht-Seyn ist alles gegründet“. 99 Die
ansichseiende Natur selbst ist dementsprechend das absolute „Unding“, das überhaupt verstandeslos
ist.100 In der Jenaer Zeit mündet Schellings Konzeption dann folgerichtig im Nihilismus, demzufolge
kein Ansichsein innerhalb des Zeitlich-Endlichen wirklich bewiesen werden kann. Das, was ich als
‚ontologischen Mangel‘ des Endlichen bezeichne, wird also auch von Schelling nicht überwunden –
ebenso wenig wie von Spinoza, Kant oder Fichte vor ihm.101
98
Ebd., S.356f.
Ebd., S.360.
100
Vgl. ebd., S.364.
101
1813 unterstreicht Jacobi ferner diesen entscheidenden Punkt der verewigten Zeit im „Naturalismus“ Schellings und
hält ihn für nicht begründet. Jacobi zufolge fasst „dieser Begriff [der Natur] […] absolut Alles in sich, mit Ausnahme nur
des absoluten Nichts; oder die Erklärung: Es sey die Natur der Inbegriff alles Seyns, alles Wirkens und Werdens; alles
Entstehenden und Vergehenden“. Die „Natur oder die absolute Productivität sey – die heilige ewig schaffende Urkraft der
Welt, die alle Dinge aus sich selbst erzeuge, und werkthätig hervorbringe; sie sey der allein wahre Gott, der Lebendige“.
„Sind Sie nur in ihm [Gott] vorhanden, so sind sie bloße Veränderungen, Modificationen seiner selbst, und es wird in
Wahrheit nichts geschaffen als – die Zeit.“ „Ihr Heute ist nicht vollkommener als ihr Gestern, und ihr Morgen wird nicht
vollkommener seyn, als ihr Heute. Sie bringt also in Wahrheit nichts hervor, sondern macht sich ewig nur eine
Veränderung mit sich selbst, das heißt, wie schon vorhin gesagt wurde: sie gebiert ewig nur die Zeit. Diese zu erzeugen
in einem ununterbrochenen Wechsel, das ist alle ihr Leben und ihres ganzen Lebens Inhalt; nur damit sie lebe, thut sie
alles, was sie thut; sie hat keinen höhern Zweck, keinen Lebens Inhalt.“ (F. H. Jacobi, Von den göttlichen Dingen und
ihrer Offenbarung, in: F. H. Jacobi Werke, Bd. 3, hrsg. v. W. Jaeschke, Meiner und Frommann-Holzboog, Hamburg 2000,
S.97ff., und 100f.) Die Ewigkeit, die die Zeit gebiert, ruft nichts aus dieser geschaffenen Zeit als sich selbst hervor. In
dieser Tautologie gibt es keinen Inhalt außer der leeren Produktivität. Der Naturalismus bringt also von Ewigkeit zu
Ewigkeit keine endlich-wirkliche Zeit, sondern nur die unendlich-leere Zeit hervor – für Jacobi liegt eben darin der
Fehler Schellings, den auch Spinoza begangen habe. Das Dasein, das Endliche hat keine selbständige Geschichte außer
der Geschichte der absoluten Macht. Zugleich ist diese Geschichte der Macht eigentlich keine wirkliche Geschichte, da
sie ewig ist.
99
71
Kapitel 3
Die Einheit von Kraft, Zeit, Raum, Bewegung und Materie hinsichtlich der Frage
nach der Wirklichkeit der Natur beim Jenaer Hegel
3.1 Überblick über die Bedeutung der Einheit von Zeit, Raum, Bewegung und Materie
für die Philosophie des Jenaer Hegel im Vergleich zu Schelling
In seiner Enzyklopädie stellt Hegel die Einheit von Raum, Zeit, Bewegung und Materie dar: Er
versteht diese Einheit als den Kernpunkt des Übergangs von den bloß idealen Formen der Zeit und
des Raums zur Realität derselben. Für ihn ist es bereits vom Anfang der Naturphilosophie an klar,
dass es sich in Hinsicht auf diese Einheit vorrangig um die ontologische Frage der Natur handelt.1
Ebenso wie Schelling betont Hegel bereits in seiner Jenaer Zeit die Bedeutung der Realität der Natur
aufgrund der o. g. Einheit.2 Bei Hegel wie bei Schelling enthält also die Naturkraft der Zeit den
1
Nach Fulda beabsichtigt Hegels reife Naturphilosophie von 1830 weder eine rationale Rekonstruktion der
Naturwissenschaft noch eine praktische Bestimmung der Natur, um die Idee der Natur zu realisieren (vgl. H. F. Fulda,
G.W. F. Hegel. Verlag C.H. Beck, München 2003, S.133-139). Anders als Jacobi versteht Hegel die reale Natur als die
Natur des zeitlichen Daseins tatsächlich nicht aus einem praktischen Gefühl, sondern betrachtet sie vielmehr auf eine
völlig neue Weise, die weder rational noch empirisch ist, da die Realität der Natur durch eine Theorie genauso wenig
bewiesen werden kann wie durch unsere Erfahrung. Der ontologische Sinn der Natur besteht lediglich auf der Ebene der
absoluten Vernunft, die jenseits aller theoretischen und praktischen Darstellungen der Natur existiert und sich entfaltet.
In diesem Sinne muss die Natur zuerst als die Idee verstanden werden, die durch die göttliche Logik gesetzt ist.
Demzufolge kann die Realisierung der Natur schlechthin auf eine systematische Weise, d.h. auf eine in der
Manifestation des Absoluten erst ermöglichte Weise, nachvollziehbar sein. Die Naturphilosophie als die Anwendung der
Logik ist dementsprechend kein Nachweis der Logik, sondern die Entwicklung und Äußerung derselben, die nun durch
das konkrete Dasein, aber nicht durch die ontologischen Begriffe dargestellt werden muss. In dieser Lage gibt es dann
die Spannung zwischen dem allgemein-seienden Begriff und dem daseienden Zeitlich-Endlichen, die sich gänzlich
innerhalb der systematischen Vernunft befindet. Die Frage dabei ist aber, wie diese systematische Vernunft nicht nur
ewig, sondern auch zeitlich sein kann, da sie auf der Metaebene jenseits aller zeitlichen Erfahrungen existiert. Hier hilft
es nicht mehr, den empirischen Sinne der Natur hervorzuheben. Wenn Bonsiepen mit Recht über das theoretische und
praktische Verhalten des Naturdings bei Hegel redet (W. Bonsiepen, Die Begründung einer Naturphilosophie bei Kant,
Schelling, Fries und Hegel, S.482ff.), thematisiert er sie daher nicht im Sinne der echten Naturphilosophie. Hegel hebt
sie in der Tat, so zeigt auch Bonsiepen, auf eine systematische Weise auf – eine Weise, die ihm dazu dient, gegen
Schelling die negative Erzeugung des wirklich-naturphilosophischen Begriffs zu zeigen (vgl. ebd., S.483f./487).
2
Genau wie Schelling verdankt Hegel Kant den Begriff der Konstruktion der Materie. „Kant hat unter anderem auch
das Verdienst, durch seinen Versuch einer sogenannten Konstruktion der Materie, in seinen Metaphysischen
Anfangsgründen der Naturwissenschaft, den Anfang zu einem Begriff der Materie gemacht und mit diesem Versuche
den Begriff einer Naturphilosophie wiedererweckt zu haben.“ (G. W. F. Hegel, Enzyklopädie der philosophischen
Wissenschaften im Grundrisse 1830, in: G.W.F. Hegel Gesammelte Werke, Felix Meiner Verlag 1992, §262, S.254.)
Jedoch meint er, dass Kant die Materie nur manchmal als vorhandene sieht. Schelling ist dagegen der erste, der die
Konstruktion der Materie in dieser Einheit von Zeit, Raum, Bewegung und Materie ursprünglich zu deduzieren versucht
hat.
72
neuen ontologischen Anspruch in sich selbst und repräsentiert – wie bereits dargestellt wurde – der
Naturphilosophie Schellings 1797-98 gemäß die Untrennbarkeit von Geist und Natur.
Jedoch kann dieser neue ontologische Anspruch bei Hegel nicht wie bei Schelling durch die
Evolution aus dem Absoluten befriedigt werden, sondern Hegel muss versuchen, das Problem des
Mangels der ursprünglichen Endlichkeit auf eine ganz andere Weise aufzulösen. Als Hegel in der
Enzyklopädie das Wesen der materiellen Natur als den Begriff des Geistes beschreibt, meint er nicht
mehr wie Schelling die Idee der Natur durch die subjektive Anschauung. Diese Idee kann auch nicht
unmittelbar sein, da der Begriff bei Hegel seit 1804/05 aufgrund der vorherlaufenden Logik und
Metaphysik mittelbar verstanden werden muss. M.a.W. kann die Realität der Natur, die das Andere
der Idee ist, erst nach dem Entstehen des metaphysischen Geistes und dem gesamten Vorprozess der
logisch-metaphysischen Idee bestimmt und begriffen werden.3 Diese Realität der Natur als das
Andere des Geistes selbst wächst also immer mit dem logisch-metaphysischen Begriff zusammen.
D.h., für Hegel ist der Schellingsche empirische Beweis der Natur nicht mehr von Bedeutung.
Während Schelling aufgrund des transzendentalen Charakters seiner Naturphilosophien 1797 die
produzierte Natur gegen das apriorische Ich noch stark empirisch beschreibt, betont Hegel seit
1804/05 bereits die rein aus den Ideen deduzierte Natur, die niemals experimental, sondern
spekulativ oder begrifflich interpretiert werden muss.4 Durch diese spekulative Darstellung der
begrifflichen Natur im Geist möchte Hegel das Problem bei Schelling, d.i. das nicht wirkliche
Füreinander-Sein des natürlichen Endlichen und des geistigen Unendlichen, durch die innere
Demonstration der endlichen Natur im unendlichen Geist auflösen. Bei Schelling ist also das
geistige Unendliche als das absolute Prinzip schlechthin vorhanden, während das natürliche
3
Neuser beschreibt diesen Unterschied Hegels von Schelling als logische Wende (W. Neuser, Hegels Naturphilosophie
der Jenaer Zeit und ihre Bedeutung für die Systemkonzeption, S.94-97): „Ab 1804/05 indessen interpretiert Hegel das
Anderssein der Natur gegenüber dem Geist aus der Sicht der (inneren) Natur. Natur hat nun zu ihrer Wesensbestimmung
das Anderssein an sich selbst. Die Bestimmungen sind in der Natur außereinander. Der Widerspruch ist in der Idee (vor
der Natur selbst). Hegel wechselt zu einer logischen Sicht, hin zu einer logischen Beschreibung der Idee der
Natur.“ (ebd., S.96f.) Diese Meinung ist nicht neu. K. Rosenkranz schreibt sogar im Jahr 1844 schon dazu, dass, weil
Hegel „auch die Naturphilosophie logisch behandelte, so hatte er in Jena von Seiten der Romantik bald das Vorurtheil
gegen sich, daß er die Poesie der Natur verkenne. Weil er über Schelling dadurch hinausging, daß er den Geist nicht bloß
der Natur coordinirte, vielmehr ihn als das absolut Allgemeine setzte, so ging er allerdings dazu fort, für die Befreiung
des Geistes von der Naturgebundenheit sogar von der Verachtung der Natur zu sprechen.“ (K. Rosenkranz, Georg
Wilhelm Friedrich Hegels Leben, S.186f.) Die sogenannte „Verachtung der Natur“ bedeutet hier eigentlich die
Verachtung der nicht logisch-geistigen Gestaltung der Natur. Rosenkranz sieht also deutlich, dass Hegel nicht nur
einfach die Natur mit dem Geist verbinden, sondern vielmehr sie vom Geist logisch-geistig deduzieren will.
4
Vgl. H. Kimmerle, Das Problem der Abgeschlossenheit des Denkens, S.153f.: „Die Naturphilosophie von 1804 wird
[…] rein deduktiv entwickelt, sie enthält keinerlei Bezüge mehr auf empirisch oder experimentell gefundene
Wahrheiten.“ Diese Tendenz gegen Schelling ist bei Hegel bereits seit 1803/04 deutlich nachweisbar.
73
Endliche nur produziert und attributiv ist. Nun muss Hegel das Andere des Geistes nicht nur als eine
Eigenschaft des Seins betrachten, sondern es vielmehr als das wesentliche Moment oder als das
Andere des Geistes selbst begreifen. Der Geist wird keinesfalls nur „prinzipiell“ gesetzt, sondern als
der Anfang des Kreises des Realwerdens zwischen der Natur und dem Geist. Die Natur ist im
Vergleich mit der Philosophie Schellings 1797-98 keinesfalls nur produziert und endlich, sondern
auch metaphysisch unendlich, indem sie ihr Sein im Geist erkennt. Der Geist und die Natur kreisen
umeinander und bewegen sich in einem Ganzen zueinander. Diese Kreisbewegung muss durch die
Spekulation ausgelöst werden und die Darstellung derselben bedeutet das Begreifen der Absolutheit
des Ganzen. In Schellings Naturphilosophien von 1797 wird der Kreis von Geist und Natur nicht
geschlossen, weil das geistige Unendliche und das natürliche Endliche nicht vollkommen
wiedervereinigt werden. Bahnbrechend wird die metaphysische Unendlichkeit von Hegel nun
anhand des Begriffs der materiellen Naturkraft in die endliche Natur eingebettet, die wiederum aus
dem unendlichen Geist hergeleitet wird.5 D.h., die Natur bekommt ihre Realität vom Geist und
konstruiert gleichzeitig die Realität des Geistes von sich selbst aus. Nur durch die vorherlaufende
geistige Bestimmung der Natur kann verstanden werden, wieso Hegel die erste Materie in der Natur,
d.i. den Äther, als eine rein geistige Materie sieht und wieso er nicht wie Schelling die Zeit und den
Raum in den Prozess der Konstruktion der Materie hineinbringt, sondern sie als die erste ideelle
Bestimmtheit der Natur am Anfang der Naturphilosophie darstellt.
Im Folgenden werden diese Einheit und ihr ontologischer Begründungsprozess bei Hegel von
1801 bis 1805/06 Schritt für Schritt dargestellt. Dabei wird thematisiert, wie Hegel versucht, durch
die Konstruktion des Zeitlich-Endlichen innerhalb des Zusammenhangs von Natur und Geist den
von Jacobi deutlich aufgezeigten ontologischen Mangel bei Kant, Fichte und Schelling zu
beseitigen.
5
Das Verständnis der Naturphilosophie als Philosophie der Endlichkeit entsteht bei Hegel ab 1804/05 (vielleicht sogar
schon 1803/04) und bleibt fortan ein zentraler Gedanke (vgl. Spahn, Lebendiger Begriff, begriffenes Leben. Zur
Grundlage der Philosophie des Organischen bei G.W.F. Hegel, Königshausen & Neumann, Würzburg 2007, S.112-122).
74
3.2 Hegels Darstellung der Einheit von Kraft, Zeit, Raum, Bewegung und Materie
(1801)
In seiner Habilitation hält Hegel 1801 Newton für einen seiner Hauptgegner,6 denn Newton weist
den zentralen Begriff der „Kraft“ „nicht aus physikalischen Gründen, sondern aus geometrischen“ 7
nach, d.i. nicht aus spekulativ-physischen oder philosophisch-inhaltlichen Gründen, sondern nur aus
mathematischen und bloß formellen. Stattdessen stellt Hegel das Gewicht der faktisch existierenden
Kräfte fest. Hegel nennt die realen Kräfte der Natur die syndetische Schwerkraft und ihre zwei
entgegengesetzten Teile: Zentrifugal- und Zentripetalkraft.8 Diese Kräfte sind der immanente Grund
der Natur.9 Wie Schelling sieht auch Hegel die realen Kräfte als den Grund der Wirklichkeit. Doch
muss dazu ergänzt werden, dass die Natur hier hauptsächlich die himmlische Natur meint, d.h.,
Hegel beschränkt seine Krafttheorie auf das Planetensystem.10
1801 meint Hegel, dass Newton den Zeitbegriff fälschlicherweise vom Raumbegriff trennt. Die
Erkenntnis der formalen Ganzheit der Naturkraft wird „von der tatsächlichen Beziehungen der Natur,
6
Vgl. W. Neuser, Hegels Habilitation und Reaktion auf seine Habilitation, in: Hegel, Dissertatio, S.5-34. Neuser zeigt,
dass Hegel „Newtons eigene explizite Aufforderung an die Leser seiner Philosophiae Naturalis Principia Mathematica
auf[nimmt], seinen bloß mathematischen Kraftbegriff philosophisch zu begründen.“ (Ebd., S.5) „Kraft, Stoß oder
Mittelpunkt seien nur mathematische Größen, aber keine realen, so referiert Hegel Newton kritisch.“ (Ebd., S.8)
„Newtons Kräfte seien Folgerung aus der Mechanik, die ihrerseits Natur nachahme. Zufall und Willkür spielen dabei
immer eine Rolle. Erkenntnis aber dürfe nicht zufällig oder willkürlich sein, weil sie ja gerade sicher sein solle.“ (Ebd.,
S.9) „Aus dieser Kritik Hegels an der Himmelsmechanik wird deutlich, daß Hegel keinen Beweis im Sinne einer
mathematischen Naturwissenschaft vorlegen wollte und Newton aus dieser Perspektive auch nicht kritisiert, sondern die
begrifflichen Komponenten der Newtonschen Physik hinterfragt. Die Lösung, daß die Natur nun einmal so sei, wie sie
die Newtonschen Gesetze beschreiben, ist für Hegel in diesem Zusammenhang unbefriedigend, aber nicht etwa, weil die
Erfahrungstatsachen philosophisch hinterfragt werden sollten, sondern wegen der Begriffe, mit denen sie erklärt
werden.“ (Ebd., S.10; vgl. auch T. G. Buchner, Wissenschaftstheorietische Überlegungen zu Hegels Planetenschrift, S.73)
Einen historischen Überblick über Hegels Newtonkritik findet man bei M. J. Petry, Hegel’s criticism of Newton, in: G. W.
F. Hegel. Critical Assessments, hrsg. von R. Stein, Volume IV, Hegel’s philosophy of Nature and philosophy of sprit,
Routledge, London/New York, 1993, S.52-70. Ebenso in W. Neuser: Von Newton zu Hegel.Traditionslinien in der
Naturphilosophie. in: Hegel-Jahrbuch, 1989, S.27-40 sowie in Bonsiepen, Die Begründung einer Naturphilosophie bei
Kant, Schelling, Fries und Hegel. Mathematische versus spekulative Naturphilosophie, S.497ff.
7
Hegel, Dissertatio, S.82f.
8
Vgl. ebd., S.118f.: „Die Kräfte […] sind in Wahrheit in der Materie enthalten, und durch sie wird die Natur die Materie
bestimmt, der das Prinzip der entgegengesetzten Kräfte immanent und innerlich ist.“
9
Parra versucht, im Vergleich mit der modernen Naturwissenschaft den Hegelschen Kraftbegriff als einen
grundlegenden Begriff zu bewiesen. Er argumentiert, dass die Kraft, die eine Grundstruktur der Physik präsentiert, nicht
nur empirisch wahrgenommen werden darf. Vielmehr muss sie, genau wie die anderen grundlegenden physikalischen
Begriffe, wie „Energie“, „Feld“, „Masse“, „Impuls“ usw., „eine Projektion des direkt im Selbstbewusstsein erkannten
Begriffs der sich selbst bestimmenden Ursache, d.h. der Selbstbestimmung des Geistes“ sein (Parra, Hegel hat recht. Der
Mythos der empirischen Wissenschaft, übers. von Peter Storandt, Centro de Estudios Flosóflcos José Porfirio Miranda,
México 2011, S.236-260, insbes. S.258).
10
Sicher folgt Hegel in dieser Zeit Schellings Interesse für die Naturphilosophie (vgl. Jaeschke, Hegel Handbuch.
Leben – Werke – Schule. 2. Auflage, J.B. Metzler, Stuttgart/Weimar, 2010, S.107), die einen Identitätsanspruch in sich
schließt und sich nicht mit dem Endlichen als Endlichem an sich beschäftigt. Auch deswegen wählt Hegel 1801 m. E.
das Planetensystem als den Gegenstand seiner Forschung aus, um die reale Materie in einem nicht irdisch-endlichen
Rahmen darzustellen, da die zeitlich-räumliche Masse im Himmel unendlicher als die irdische Masse ist.
75
in denen Raum und Zeit untrennbar verknüpft sind, abgetrennt […], wenn die Geometrie als Teil der
Mathematik von der Zeit abstrahiert, die Arithmetik aber vom Raum, und wenn jene das Ganze der
Geometrie allein aus dem Prinzip des Raums, diese das Ganze der Arithmetik allein aus dem Prinzip
der Zeit konstituiert.“ 11 – „Andererseits aber ist die höhere Geometrie, die Geometrie mit
analytischem Rechnen verbindet, aus derselben Notwendigkeit entstanden, den Raum und die Zeit
als Einheit zu durchwandern, wobei sie die Trennung nur negativ durch den Begriff des Unendlichen
aufhebt, aber keine wahre Synthese der beiden darlegt und sich in ihrer Negation keineswegs von
der formalen Methode der Geometrie und der Arithmetik trennt.“12
D.h., die Einheit von Raum und Zeit bleibt bei ihm bloß formell und negativ, durch die keine
wirkliche Synthesis der beiden, sondern vielmehr eine abstrakte Unendlichkeit hervorgebracht
werden kann. Aufgrund dieser bloß formellen Trennung und Einheit sehe Newton weder eine
wirkliche Trennung noch eine wirkliche Einheit der Kräfte. Ihre Differenz ist nur die bloß formelle
Differenz der Richtungen, ihre Einheit dann der bloß formelle Begriff der Schwerkraft.13
Dagegen muss Hegel seinen Kraftbegriff in der realen Zeit und im realen Raum klarmachen. Der
reale Raum heißt keineswegs die mathematische Form, sondern vielmehr der erfüllte oder dichte
Raum.14 Er bestimmt alles Objektive. Jedoch ist dieser Raum als das Ganze der Objektivität jetzt
noch leer, denn:
„[I]st der Rau
ä li h erfüllt, so
ird jedes Pri zip der Verä deru g u d des Widersta des
aufgehoben, so daß es anderswoher genommen werden muß. Damit wir die reale Materie
erkennen, muß dem abstrakten Begriff des Raumes der Gegensatz beigegeben werden, den
wir in der lateinischen Sprache eher mens (deutsch, Geist) nennen, und wenn wir dies auf den
Raum beziehen: Punkt. Auf diese Weise erzeugen der Punkt oder, unter derselben Gestalt des
Unterschiedes, die Zeit sowie der Raum die Elemente der Materie, die also nicht aus ihnen
zusa
e ge ürfelt, so der dere Pri zip ist.“15
11
Hegel, Dissertatio, S.80f.
Ebd.
13
Die Kritik Hegels könnte sich nicht nur an Newton richten, sondern auch an Kant, der die Zeit qua Arithmetik und
den Raum qua Geometrie parallelisiert und zugleich die reine Mathematik aus den beiden aufbaut. Vgl. Kant, Kritik der
reinen Vernunft, A25/B40f. sowie A39/B56: „Zeit und Raum sind demnach zwei Erkenntnisquellen, aus denen a priori
verschiedene synthetische Erkenntnisse geschöpft werden können, wie vornehmlich die reine Mathematik in Ansehung
der Erkenntnisse vom Raume und dessen Verhältnissen ein glänzendes Beispiel gibt.“
14
Vgl. Hegel, Dissertatio, S.126f.
15
Ebd., S.128f.
12
76
Also ist der völlig erfüllte Raum unveränderlich, weil das Ganze nun absolut voll ist. Es gibt daher
nur eine tote Ruhe darin und das total Objektive ist also das Tote. Alles Objektive ist im absoluten
erfüllten Raum homogen, d.i. ohne Unterschied. Um die Veränderung und den Unterschied in den
Raum einzuführen, muss etwas anderes als der Raum gegeben werden, das gegen die Objektivität
die Subjektivität oder der Geist (mens)16 und gegen die Ganzheit der einzelne Punkt ist, gegen die
Ruhe die Veränderung sowie gegen die Gleichgültigkeit die Verschiedenheit. Dieses dem Raum
Entgegengesetzte heißt die Zeit. Sie ist ein geistiges Prinzip der Veränderung. Insofern der erfüllte
Raum schlechthin allgemein ist und deswegen mit der konkreten Materie noch nichts zu tun hat,
hängt er von der Zeit ab, weil er sich nur in dieser konkretisieren kann. In der Zeit wird entweder die
Einheit der räumlichen Vorstellung der entgegengesetzten Pole im Mittelpunkt (d.i. im
Kohäsionspunkt) erzeugt oder umgekehrt die Differenz zwischen den Polen von der räumlichen
Vorstellung des Kohäsionspunkts. Dieser Zeitprozess der Wiederproduktion der Differenz oder der
relativen Einheit aus der abstrakt-räumlichen Einheit heißt bei Hegel die Veränderung:
„Verä deru g ist ä li h i hts a deres als die e ige Wiederherstellung der Identität aus der
Differenz und die Erzeugung einer neuen Differenz: Zusammenziehen und Ausdehnen. Die
andere Potenz aber, der Geist der sich nach vollzogener Abstraktion vom Raum ständig selbst
erzeugt, ist die )eit.“17
Also: Nachdem der Raum von aller natürlichen Realität der Bewegung der Materie abstrahierte,
bringt die geistige Zeit die Realität im Subjekt selbst wieder zurück. Daher ist die Zeit das Prinzip
des Raums. Ferner ist sie zudem das Prinzip des Einzelnen, indem sie den konkreten Inhalt an jedem
singulären Zeitpunkt konstruiert. Sie vertritt überdies auch die Einheit innerhalb der Vielheit der
Realität; ohne sie sind die verschiedenen Kräfte überhaupt nicht nachvollziehbar. D.h., die Kräfte
sind wesentlich die zeitlichen Kräfte, da die Kräfte die qualitative Differenz in sich selbst haben
müssen, die durch die Zeit erst ans Licht gebracht werden können. Ist die Zeit wesentlich geistig,
sind die Kräfte es auch. An dieser Stelle redet Hegel von den Naturkräften der Vernunft. Er schreibt
dazu:
„Die Natur sei aus der Ver u ft ge ildet.“18
Diese Idee der mens führt sicher auf Schellings Begriff der „Weltseele“ zurück (vgl. W. Jaeschke, Hegel Handbuch.
Leben – Werke – Schule. S. 106ff.).
17
Hegel, Dissertatio, S.128f.
18
Ebd., S.136f.
16
77
„Auf die Darlegu g der S these o )eit u d Rau
u d de Ü erga g des Geistes […] stützt
sich jene gewöhnliche Auflösung der Kräfte, deren mathematische Wahrheit und
Notwendigkeit postuliert wurde, die jedo h u
die ph sikalis he Wahrheit etroge
urde.“19
Die mathematische Wahrheit erreicht niemals diese Synthese und diesen „Übergang“ des Geistes.
Aufgrund der wahren Synthese von den beiden sind alle mathematisch postulierten Unterschiede der
Kräfte erstmals real erklärbar. Diese Synthese ist durch die Zeit möglich. Die Zeit bildet die
spekulativ physische (d.i. philosophische) Realität aller Kräfte in der himmlischen Natur.20
Ferner: Weil die Zeit eigentlich der sich bewegende Raum ist, der nun dynamisch erfüllt wird,
konstruiert sie auch die reale Materie. Diese Materie ist also nunmehr nicht abstrakt, denn sie muss
am einzelnen Punkt nicht ruhig lokalisiert werden, sondern vielmehr in die bewegenden Linien und
Fläche konstruiert werden. D.h., die Materie muss als real-dynamische in der Zeit hervorgebracht
werden. Angesichts der als bewegender Raum aufgefassten geistigen Zeit versagt die reflexive und
mathematische Darstellung der ruhig-räumlichen Materie:
„Vo diese
Ü erga g der )eit i den Raum scheint jene Reflexion weit entfernt, die in der
Mathematik von den Dingen selbst absieht und glaubt, deren Zahlen und Maße zu vergleichen,
a er i ht die i ko
e sura le Di ge sel st, ofür sie )eit u d Rau
sel st hält.“21
Die inkommensurablen Dinge, die niemals im abstrakt-ruhigen Raum angeschaut werden können,
sondern
die
allein
im
zeitlich-dynamischen
Raum
existieren,
gehören
zu
keiner
reflexiv-mathematischen Darstellung. Allein diese voneinander dynamisch unterschiedenen Dinge
sind die konkrete und reale Materie, die nunmehr im Geist faktisch erkannt und erzeugt ist. Der
zeitliche Geist ist also das ontologische Prinzip der natürlichen Wirklichkeit der Materie qua
Bewegung.
Nicht wie später 1804/05, sondern wie bei Schelling 1797 sind bei Hegel 1801 die Zeit und der
Raum, die in der geistigen Synthese identifiziert sind, nur eine subjektive Quelle der äußerlichen
Natur. Sie entstehen eigentlich nach dieser Forderung des Bewusstseins, die natürliche Realität der
19
Ebd., S.132f.
Die prinzipielle Zeit stellt den Geist dar. Sie synthetisiert auch den natürlichen Raum und die natürliche Zeit. Daher
wird vermutet, dass Hegel schon wusste, wie seine Naturphilosophie ins System eingeordnet wird und wohin sie führen
sollte. In seiner ersten Jenaer Logikvorlesung verortet er die Naturphilosophie bereits zwischen der Logik und der
Psychologie (vgl. W. Neuser, Einfluß der Schellingschen Naturphilosophie auf die Systembildung bei Hegel, S.238-266,
insbesondere S.240f. und M. Baum, Die Entstehung der Hegelschen Dialektik, S142-174). In den anfänglichen Thesen
seiner Habilitation erwähnt Hegel den Widerspruchsatz und den Syllogismus zunächst als Prinzip des Idealismus,
danach kommen das Gesetz der Natur und das Gesetz des Geistes ins Spiel (vgl. Hegel, Dissertatio, S. 74f.).
21
Ebd.
20
78
Materie in uns zu begründen. Die Natur ist 1801 weder die Natur selbst noch das ansichseiende
Andere des Geistes selbst, sondern eine phänomenologische Sicht des Geistes. Daher bedeutet die
Natur eine bloß äußerlich-erscheinende Natur, die dem Geist zwar äußerlich, zugleich aber „aus der
Vernunft gebildet“ und nur „ein erhabenerer und reiner Ausdruck der Vernunft“ ist. 22 Die materielle
Natur zu erforschen bedeutet, die „vernünftige“ Verfassung der Idee der „Einheit des Unendlichen
und des Endlichen (infiniti et finiti)“ im geistig-ontologischen Erkennen zu erklären,23 keinesfalls
aber die wesentliche oder substanzielle Natur selbst als solche, geschweige denn das wesentliche
Endliche in der Natur. Demgemäß ist die Einheit von Raum, Zeit, Kraft, Materie und Bewegung nur
die Äußerung der Unendlichkeit der geistigen Identifikation. Die Realität dieser geistigen
Identifikation kann niemals aufgrund des Andersseins der ansichseinden Natur bewiesen werden.
Oder anders formuliert: Allein aufgrund der Erzeugung des Geistes selbst existiert die Natur, die
„ein erhabenerer und reinerer Ausdruck der Vernunft (sublimior purioque rationis expressio)“24 ist.
Dementsprechend kann die natürliche Zeit bei Hegel 1801 überhaupt nicht gefunden werden. Die
Zeit ist entweder die ideal subjektive Form oder die wirkliche Genesis des Geistes. Beide sind aber
gar nicht an sich natürlich.
Folglich besteht hier m. E. ein Problem: Die Zeit könnte nur dann „endlich“ sein, wenn die
verschiedenen Phasen der Erzeugungsbewegung des Geistes bereits dargestellt würden. Gleichzeitig
müsste der Geist selbst jedoch ewig sein, indem der wahrhaft unendliche Geist selbst die Idee der
Einheit des Unendlichen und des Endlichen wäre. D.h., dass die Zeit als das Prinzip des Ganzen des
Geistes selbst auch unendlich sein müsste. Demzufolge müsste die scheinbare Endlichkeit der Zeit
an dieser Stelle so gesetzt werden, dass sie kein faktisch endlicher Zeitlauf, sondern nur eine
endliche Bestimmung (d.i. ein Begriff) wäre, die als die endliche Zeitbestimmung eigentlich eine der
zeitlosen Anordnungsphasen des ewigen Geistes wäre. Oder in dieser „endlichen“ Zeitbestimmung
gäbe es kein reales Entstehendes und Verschwindendes, sondern allein die ewige Bestimmung einer
22
Ebd., S.136f. und S.80f. Vgl. auch W. Neuser, Hegels Naturphilosophie der Jenaer Zeit und ihre Bedeutung für die
Systemkonzeption, S.90-94 und S.96. Neuser argumentiert dort, dass die Natur bei Hegel 1801-1803/04 „nur als die im
Bewusstsein des Subjektes präsente akkulturierte Natur verstanden ist. Natur als äußere Natur entzieht sich zwar
zwingend dem erkennenden Subjekt, insofern sie niemals als Natur an sich zugänglich ist, aber diese äußere Natur wird
von dem Subjekt partiell dessen Zwecksetzungen unterworfen und so zu einer inneren Natur, die die dem Subjekt
zugängliche Natur ist.“ Obwohl es umstritten ist, ob Hegel seit 1803/04 die Natur nur als die äußere sieht, so ist doch
sicher, dass er sie 1801 tatsächlich nur als äußerliche denkt. Denn er betrachtet das Sonnensystem, das hier die materielle
Natur meint, allein als einen „erhabenere[n] und reine[n] Ausdruck der Vernunft“.
23
Hegel, Dissertatio, S.76f.
24
Ebd., S.80f.
79
besonderen Episode des wesentlichen Prozesses. Wäre dem so, so würde das faktisch
Zeitlich-Endliche nicht existieren, denn es herrschte lediglich die ewige Bestimmung des geistigen
Wesens des Endlichen. Ob Hegel 1801 dieses Problem gesehen hat, lässt sich in Bezug auf seine
Habilitationsschrift nicht bestimmen. Sicher ist aber, dass die Quelle der Realität der Zeit 1801
keinesfalls im natürlichen Endlichen liegt. Seit 1803/04 hat die Zeit bei Hegel eine Dimension des
natürlichen Endlichen.
3.3 Hegels Darstellung der Einheit von Kraft, Zeit, Raum, Bewegung und Materie
(1804/05)
Im Gegensatz zu 1801 beschränkt Hegel die Bedeutung der Naturkraft und der Materie nicht mehr
auf das Planetensystem, sondern wendet sie auf die ganze Natur an.25 1804/05 gibt es die erste
systematische Darstellung der natürlichen Zeit in der Realphilosophie Hegels, der die Logik und
Metaphysik vorangehen. Darin unterscheidet sich die Zeittheorie Hegels dadurch deutlich von
Vgl. W. Jaeschke, Hegel Handbuch. Leben – Werke – Schule. S.160ff. Die Naturphilosophie 1803/04 wird in der
vorliegenden Arbeit nicht thematisiert, weil der Zeitbegriff dort nicht ausführlich und die Beziehung zwischen Natur und
Logik-Geist gar nicht dargestellt wird. Einen Überblick über den Prozess vom himmlischen zum irdischen System in
Hegels Jenaer Zeit geben W. Jaeschke und A. Arndt (W. Jaeschke und A. Arndt, Die Klassische Deutsche Philosophie
nach Kant, S.362-364). Hegels Darstellung der Bedeutung der Naturkraft und der Materie von 1803/04 sei hier im
Hinblick auf Hegels Kraftbegriff gleichwohl kurz skizziert:
a) Im Teil Zum Anfang des irdischen Systems der Naturphilosophie und zur Mechanik sieht Hegel die Masse als die
Sichselbstgleichheit. Sie „ist das Seiende, Tätige“ (Hegel, Jenaer Systementwürfe I, S.9), ist das Allgemeine und die
Einheit aller einzelnen Massen, die auch Atome heißen. Diese Atome sind nicht tätig. Ihre tätigen Beziehungen kommen
nur aus ihrer tätigen Allgemeinheit, aus der Schwerkraft. Die Schwerkraft taucht hier als die negative Synthesis der sich
entgegensetzenden Atome auf. Als die einzige allgemeine selbständige Kraft hebt sie alle einzelnen Selbständigen (d.h.
die Atome) in sich auf. Hegel nennt dieses „Negativsein Sichselbstgleiches“ dann die Attraktivkraft, dagegen die in
Atome unteilbar geteilte Masse die Expansivkraft (ebd., S.17, vgl. auch die Fußnoten 2 und 3). Beide konstruieren den
Spielraum des ganzen irdischen Systems. Sie machen die Vielfältigkeit der Masse mit ihrer spezifischen Schwere
möglich.
b) Im nächsten Teil Zum Ende der Mechanik, zum Chemismus, zur Physik und zum Anfang des Organischen müssen
die Naturkräfte, die als die spezifische Schwere bereits in ihren Beziehungen und Unterscheidungen existieren,
wiederum verbunden werden. Die Differenten hier „sind […] spezifisch schwer“ (ebd., S.29) und müssen dann durch
den Chemismus wiedervereinigt werden, jedoch nicht nach der bloß allgemeinen Weise, sondern nach der ganz
konkreten. Daher kommt der chemische Prozess ans Licht, worin die verschiedenen Stoffe sich individualisieren und die
kraft ihrer Verwandtschaft mit anderem verbinden. Hegel nennt diesen Prozess den Prozess des Feuers, und dann die
Verwandtschaft zwischen den verschiedenen Dingen qua spezifischer Schwere „die Kraft des Feuers“ (ebd., S.106).
c) Im dritten Teil Zum Organischen und zur Philosophie des Geistes beschränkt Hegel den Kraftbegriff nicht mehr auf
den mechanischen oder chemischen Kraftbegriff, sondern er gibt ihm den Vorzug im Sinne des lebendigen Kraftbegriffs.
Obwohl Hegel diesen lebendigen Kraftbegriff 1803/04 noch nicht offiziell erwähnt, meint er doch, dass das Leben seine
Realität durch seine Kraft (d.i. seine Selbstorganisationsfähigkeit) konstituiert. 1805/06 benutzt Hegel dann – in seiner
zweiten systematischen Darstellung des Organischen – den Begriff „lebendige Kraft“ und schreibt dazu: „Das
Organische ist das Selbst, die Kraft, die Einheit seiner selbst und seines Negativen.“ (Hegel, Jenaer Systementwürfe III,
S.102) Dieser Kraftbegriff in Mechanik, Chemismus und Organismus 1803/04 existiert auch in den anderen
Systementwürfen und in Hegels reifem System. Die Kraft konstituiert die Realität der Natur in der Naturphilosophie also
überall. Sie steht – zweifellos wie bei Schelling – für Hegel im Zentrum des ontologischen Beweises.
25
80
derjenigen Schellings, dass sie aus der logisch-metaphysischen Idee aufgebaut ist.26 Ein anderer
wichtiger, damit zusammenhängender Unterschied zwischen beiden Theorieentwürfen liegt darin,
dass die Natur von Hegel nun als das Andere des Geistes selbst verstanden wird,27 wodurch Hegel
den Schellingschen Zusammenhang von Natur und Geist von 1797 strukturell verändert. Im
Folgenden wird zunächst die Andersheit der Natur dargestellt. Anschließend wird die Zeittheorie
Hegels von 1804/05 Schritt für Schritt untersucht mit dem Ziel, die Bedeutung des realen Daseins
des Zeitlich-Endlichen für Hegel im Vergleich zu Schelling aufzudecken.
3.3.1 Die Natur als das Andere des Geistes: Der Grund der Zeittheorie Hegels von 1804/05
Über die Natur als das Anderssein des Geistes selbst schreibt Hegel:
„Die Idee des Geistes, oder der si h sel st i
de
A ders als si h sel st a s haut, ist
unmittelbar wieder der sich auf sich selbst als absoluter Geist beziehende Geist; oder es ist der
absolute Geist als Unendlichkeit, und für sein Selbsterkennen, oder den sich aus seinem
A ders si h erde de , das A dere dessel e : es ist die Natur.“28
Die Natur existiert also für das Selbsterkennen der Unendlichkeit des Geistes selbst. Ohne diese
geistige Unendlichkeit gäbe es kein Selbsterkennen, sondern allein ein Erkennen der äußerlichen
Natur. M.a.W., das Wesen der Natur ist das zum Geist Werdende. Aber solange sie noch nicht der
Geist selbst ist, bezieht die Natur sich auf den Geist in diesem Werden nur negativ, d.h. sie ist noch
etwas anderes als der Geist. Diese dem Geist entgegengesetzte Idee der Natur, die sich zwar in
ihrem Werden zum Selbsterkennen verhält, die aber ihr wesentliches Selbsterkennen noch nicht
erreicht, ist die erste Bestimmung der Natur.
In diesem Werden wird jedes Moment der Natur mit dem Ganzen noch nicht vollständig
identifiziert, sondern es gibt immer noch ein Moment, das für die Wesentlichkeit des Ganzen der
Natur selbst negativ bleibt. Dieses negative Moment in der Natur ist das natürliche Einzelne oder
Besondere, das noch nicht konkret erklärt werden kann. Das natürliche Ganze, das dieses negative
26
Die logische Struktur der Zeittheorie Hegels in Bezug auf den Kraftbegriff wird weiter unten ausgeführt.
W. Grießer entfaltet dazu die folgenden drei Punkte: „Die Natur ist so a) ein Anderes des Geistes, aber dabei b) selbst
ein eigener Geist, doch so, dass sie als Natur c) ein Ganzes des Nicht-Geistes ist“. Sie ist nämlich die „Vermittlung
selbst“, die aber aus und zum Geist kommt. Siehe W. Grießer, Geist zu seiner Zeit, Mit Hegel die Zeit denken, Verlag
Königshausen & Neumann, Würzburg 2005, S.42 & 43ff. Auf dieser Grundlage führt Grießer auch aus, wie Hegel das
Ansichsein der Natur in den geistigen Ideen der Zeit und des Raums darstellt.
28
Hegel, Jenaer Systementwürfe II, S.188f.
27
81
Einzelne immer noch in sich enthält, erreicht die Identität seiner selbst noch nicht und bleibt deshalb
als die allgemeine natürliche Gattung.29 Daher entsteht in der Natur die Spannung zwischen dem
Ganzen (der Gattung) und den Teilen (den Einzelnen). 30 Die Naturbewegung, deren Ziel die
Aufhebung der Entgegensetzung der beiden ist, wird durch diese Spannung ausgelöst. Diese
Aufhebungsbewegung der Natur ist nämlich der Vereinigungsprozess des Seins der Natur und seines
Erkennens. Je vollkommener die Natur die innerlichen negativen Teile mit sich selbst identifiziert,
desto mehr erkennt sie ihr Wesen in ihrem Werden und desto vollendeter verhält sie sich zu sich
selbst. Dazu schreibt Hegel:
„Ihre [der Natur] E iste z so ie ihre Ide tität oder ihr Werde zu
etaph sis he Werde oder das Werde des Erke
e zu
Sel sterke
a solute Geist ist das
e .“31
Dieses metaphysische Werden bedeutet also die Aufhebung des natürlichen Andersseins oder die
Aufhebung der Negativität der Natur. Durch diese Aufhebung bekommt die Natur ihre Identität dann
faktisch im Selbsterkennen. Jedoch sind die beiden, d.i. das Einzelne und die Gattung, nicht wirklich
an sich selbst, insofern sie sich gegenseitig negieren. Die Einheit (oder die Identität) der beiden, d.i.
der selbsterkannte Geist, ist noch nicht absolut da, sondern schwebt ideal dazwischen. Das Ganze
der Natur ist daher immer noch kein Ganzes des Geistes. Solange dieses Werden seine ideale
Identität nicht erreicht, ist „die Natur […] nach dieser Seite ihrer idealen Momente nicht an sich
selbst“.32 Also:
29
Der Gattungsbegriff ist 1804/05 ein zentraler Begriff, der die Jenaer Metaphysik mit Naturphilosophie verknüpft.
Dadurch wird der Zusammenhang von der logischen Natur (als Idee) und der realen Natur erforscht. Tatsächlich hält
Hegel in der Metaphysik die Welt als einen Gattungsprozess, der der einzelnen Seele entgegensteht. Im Hinblick auf
Hegels Lebensbegriff stellt A. Sell die Gattung als die Schüssel, die Beziehung von Lebendigem mit Geist zu verstehen.
Dazu vgl.: A. Sell, Der lebendige Begriff. Leben und Logik bei G.W.F. Hegel. Verlag Karl Alber, Freiburg/Münschen,
2013, S.44-59.
30
Vgl. Hegel, Jenaer Systementwürfe II, S.192ff., insbesondere S.195: „Das Leben [der Natur] in dieser Erscheinung,
als nicht an sich selbst, sondern an einem andern seiend, ist es an Einzelnen und an der Gattung.“ D.h., das Anderssein
der Natur differenziert sich in Gattung und Einzelheit; wegen dieser Differenzierung ist die Natur immer noch nicht an
sich selbst.
31
Ebd., S.192. Diese Spannung bemerkt Hegel bereits 1800. Im Systemfragment von 1800 argumentiert er, dass der Teil
der Vielheit des Lebens (als ein Individuum oder Einzelnes) dem Ganzen des Lebens entgegengesetzt werden muss.
Ferner: „Sie [die Natur] ist ein Setzen des Lebens, denn ins Leben hat die Reflexion ihre Begriffe von Beziehung und
Trennung, von Einzelnem, für sich Bestehendem, und Allgemeinem, Verbundenem, jenem also einem Beschränkten,
diesem einem Unbeschränkten gebracht, und es durch Setzen zur Natur gemacht.“ (Hegel, Theologische Jugendschriften,
S.346f.) Das Neue 1804/05 ist, dass das Allgemeine des Lebens der Natur nun die Idee der Natur genannt und als
Resultat der metaphysischen Darstellung des Geistes gesehen wird.
32
Hegel, Jenaer Systementwürfe II, S.196f.
82
„Die Natur ist gesetzt ur als Begriff, i de
die ideale Mo e te der Idee als ese tli h, u d
das Leben nur als ideales Moment dieser Wesentlichkeiten, und nur das gemeinschaftliche
dersel e ist.“33
Jedoch muss die Idee der Natur als das Selbstwerden des Geistes betrachtet werden, insofern
dieser Geist seinen realen Anfang in der natürlichen Spannung von Gattung und Einzelheit bereits
erkennt,34 obwohl dieses Erkennen noch kein vollkommenes Selbsterkennen des Geistes ist. D.h.: 1.
Der Geist muss sich in der Natur verbergen und sie begleiten. Ohne ihn würde auch die Möglichkeit
der Vereinigung der natürlichen Spannung verschwinden. 2. Der sich in der Natur versteckende
Geist ist aber kein vollkommener Geist, sonst gäbe es allein den absoluten Geist, aber kein
natürliches Ansichseiendes mehr. Es wäre nichts anderes als eine Tautologie. Daher: 3. Der Geist in
der Natur muss auch gegen die Natur sein. Er existiert darin, weil er sie als eine Einheit mit sich
selbst erkennt; er steht ihr aber zugleich gegenüber, weil er diese Einheit noch nicht als seine Einheit
von sich selbst aus erkennt.
Auf dieser Grundlage schreibt Hegel: „Die Idee der Natur, welche sich selbst ihr erstes Moment
wird, bleibt das absolut Allgemeine ihrer selbst; sie ist nur erstes Moment für die erkennende,
differente Natur“35, weil die Differenz von Einzelheit und Allgemeinheit hier noch nicht dargestellt
ist und weil die ganze Natur als das erste Moment des Erkennens gegen den Geist auf ihrer
Negativität beharrt. Sie wird vom Geist selbst als „erstes Moment für die erkennende, differente
Natur“ gesetzt, erstens um sein Sein vom Sein des Geistes allgemein zu trennen und zweitens um für
ihn den Grund des Erkennens seiner Realität zu setzen. Denn der Geist braucht einen grundlegenden
Beweis seines Seins durch das Ganze der Natur, das das erste Moment des Erkennens ist. Dieses
Ansichsein der Natur ist deshalb für den Beweis zentral, weil ohne sein Ansichsein der Geist allein
das reine Ich wäre, dessen Realität – wie bei Kant und Fichte – nur eine subjektiv-reale Bestimmung,
keinesfalls aber die objektiv-reale Existenz sein könnte. D.h., diese objektiv-reale Existenz, die
gegen die Subjektivität des Geistes ein Anderes und außer uns ist, kann niemals direkt von uns
gedacht werden. Oder anders formuliert: Dies Andere muss 1. wirklich sein, denn sonst wäre es nur
33
Ebd., S.197f.
Vgl. ebd., S.199: „Indem das Leben in dieser Bestimmtheit [der Reflexion], und zugleich Leben ist, so hat seine
Reflexion in sich selbst oder Bewegung die erste metaphysische Form: des Prozesses der Einzelheit und der Gattung“.
D.h. sogar reflexiv gesehen hat das Leben der Natur seine metaphysische Form. Obwohl sie noch kein total
fürsichseiender und selbsterkannter Geist ist, ist sie doch schon Geist. Dieser Geist muss durch den Prozess der
Einzelheit und der Gattung hindurch zu sich selbst zurückkehren.
35
Ebd., S.199f.
34
83
subjektiv gedacht und wäre damit dann auch kein ontologischer Beweis des Seins des Ich mehr. 2.
Das Andere muss auch für den Geist sein, denn sonst würde das Sein des Geistes noch immer im
negativen und blinden Werden bestehen.
1804/05 werden die Zeit und die Natur als das Andere des Geistes selbst zusammengeführt,
insofern die Zeit sich eben als die Kraft des natürlichen Andersseins präsentiert. Im Folgenden wird
der Begriff „Äther“ angesichts der Zusammenführung von Zeit und Naturkraft geklärt. Danach soll
die Zeittheorie Hegels in der Fassung von 1804/05 detaillierter untersucht werden.
3.3.2 Zeit und Äther: Die Zeittheorie am Anfang der Naturphilosophie von1804/05
Die Bedeutung von Hegels Äthertheorie ist vor dem Hintergrund seiner Zeit zu erklären: Aristoteles
verstand den Äther als masselose, unveränderliche, ewige Substanz. Descartes operierte mit der
Ätherkonzeption dann zur Erklärung der Erfüllung des Raums und der Ausbreitung von Licht.
Dieser postulierte Stoff wurde auch als ein homogenes Medium der Übertragung von Wärme,
Magnetismus und Elektrizität vorgestellt. In Hegels Zeit bemühte sich die Naturwissenschaft nun
um eine große vereinheitlichte Theorie der Energie, die nicht nur mechanische Kraft, sondern auch
die Phänomene der Wärme, des Magnetismus und der Elektrizität insgesamt erklären kann. In dieser
Lage wurde der Äther als ein allgemeines Medium der Energie hypostasiert. Hegel verbindet vor
diesem Hintergrund den Äther mit der allgemeinen Realität der Natur, um damit das Ganze der
indifferenten Natur zu beschreiben. In Anlehnung an Aristoteles hält er den Äther auch für ein
ideales Element, das der eigentümliche Ausdruck des Wesens der materiellen Natur ist. 36 Er
überführt aber dieses ideale Element weiterhin in die religiöse Sprache von Gott, um die Schöpfung
der Welt nach dem göttlichen „Logos“, nicht aber mit irgendeiner von der Vernunft unabhängigen
oder unerkennbaren, realen Materie zu zeigen. Auch hier kann die enge Verbindung von Hegels
Naturphilosophie mit der Philosophie des Geistes bemerkt werden.
36
Gruner argumentiert dazu, dass Hegel hier die Äthertheorie von Platon und Aristoteles aufnimmt und modifiziert
(Gruner, Hegels Ätherlehre, including a Summary in English: Hegel’s Aether Doctrine, VDM Verlag Dr. Müller,
Saarbrücken 2010, S.55). Gruner bietet dabei auch eine detaillierte Darstellung von Hegels Äthertheorie von 1804/05
(ebd., S.47-66). Ob Hegels Äthertheorie beim Übergang von der Logik-Metaphysik zur Natur einen mysteriösen
Charakter hat, den Schnädelbach in Hegels reifer Naturphilosophie findet (H. Schnädelbach: Wilhelm Friedrich Hegel
zur Einführung. 5. Auflage, Junius, Hamburg 2013, S.106), kann hier offenbleiben. Sicher ist aber, dass Hegel hierbei
die göttliche Schöpfung mitdenkt, wenn er von der Unendlichkeit des Äthers redet.
84
Systematisch gesehen lässt Hegel 1804/05 dann diese vernünftige Materie eine wichtige Rolle am
Wendepunkt von der Metaphysik zur Naturphilosophie spielen: Sie bildet in sich das erste Moment
der Natur als das Anderssein des Geistes selbst. Wie früher gezeigt, hat die Natur ihre Allgemeinheit
im Sinne des abstrakten Gattungsbegriffs, und Hegel zufolge ist es zentral für die Diskussion über
die Natur, die dialektischen Beziehungen zwischen Gattung und Einzelnem durchzuführen. Weil das
reale Einzelne nicht direkt vom abstrakten Gattungsbegriff deduziert werden kann, muss es ein
Reales, das zugleich aber auch ideal und allgemein ist, in der Gattung geben, welches die Basis der
Metamorphe der Natur bildet. Die ganze Natur ist also die höchste Gattung, die am Anfang zwar
eine abstrakte Einheit von unendlich vielen Einzelnen repräsentiert, in sich aber noch keine konkrete
Bestimmtheit derselben einschließt. Allerdings denkt Hegel 1804/05 diesen Gattungsbegriff nicht
formal logisch, sondern als eine metaphysische Idee, die in sich selbst eine ontologische Dimension
enthält und einen wirklichen Grund hat. Mehr als ein bloßer Gattungsbegriff hat die Natur somit
eine allgemeine Realität, die ontologisch gesehen anders als die Abstraktion des Gattungsbegriffs ist.
Diese allgemeine Realität der Natur präsentiert sich in der einzigen allgemeinen Materie, also im
Äther, der an sich unruhig bleibt und den Raum des Weltalls durchdringt.
Die o.g. Punkte werden im Folgenden ausführlich dargestellt. Darüber hinaus werden die
folgenden Fragen auch in den vorliegenden Kapiteln diskutiert.
Als das allgemeine Medium des Lichtes bewegt sich der unruhige Äther nicht von Anfang an in
der Welt, also nicht in der Zeit und im Raum. Vielmehr spricht er mit seiner Bewegung die Welt aus.
Die Realität derselben kommt aus der idealen Materie selbst. Sie vermittelt sich selbst und dadurch
differenziert sie sich selbst ins Räumlich-Zeitliche. Daher fließt die reale Zeit von ihm aus, niemals
aber umgekehrt. D.h., das konkrete Zeitliche kommt durch die Konkretisierung des Äthers, nämlich
durch die Bewegung des Lichtes zur Vorschein. Trotzdem ist unklar, ob die Bewegung des Lichts
bei Hegel überhaupt keine Zeit braucht, insofern einige naturwissenschaftliche Erkenntnisse in
Hegels Zeit bereits zeigen, dass die Ausbreitung von Licht durch den Äther auch Zeit brauche, da
Äther als eine Materie in sich eine Hemmkraft habe und daher einen Widerstand gegen diese
Ausbreitung leiste, sodass das von einem Punkt A ausgehende Licht erst nach einer irgendwie
kalkulierbaren Zeitdauer einen anderen Punkt B erreicht. Hegel sind diese Erkenntnisse
wahrscheinlich auch bekannt. Daher entsteht die Frage, ob die Bewegung des (ideal und göttlich
sprechenden) Lichtes doch zeitlich geschieht, oder als ein Zeitloses vor der Zeit bestimmt werden
85
soll, oder sowohl zeitlich als auch zeitlos ist. Diese Frage wird von Hegel m. E. nicht klar
beantwortet. Wieso sie heikel ist, wird versucht, am Ende der vorliegenden Kapitel zu erklären.
Fragwürdig ist hier auch, ob die Realität des Äthers als eine Voraussetzung der Entstehung der
Natur bloß gedacht ist oder ob sie doch durch Hegels Zeit-Raumtheorie, insbesondere durch seine
Lichttheorie 1804/05 bewiesen werden kann. Im Vergleich mit seiner Äthertheorie 1804/05 schätzt
Hegel mindestens ab 1805/06 den Ätherbegriff nicht mehr so hoch wie hier, sondern setzt den Raum
direkt als das erste Moment am Anfang der Naturphilosophie. Er bemerkt da also vielleicht die
Schwierigkeit, durch die Lichttheorie die mechanisch-physische Realität des Äthers zu begründen
(siehe Kapitel 4.1). Diese Schwierigkeit wird auch am Ende der vorliegenden Kapitel umfassend
dargestellt.
1. Das erste Moment, das an sich seiend ist und vom Geist erkannt wird, ist das Natursein, das
erstens allgemein gegen den Geist existiert und zweitens vom Geist als der einfache Beweis seiner
selbst betrachtet wird. Dieses Natursein heißt nunmehr der Äther.
„Der ei fa he, a solute, si h auf si hsel st eziehe de Geist ist der Äther, die absolute Materie,
und daß er der Geist ist, der sich in seinem Anders selbst gefunden hat, ist die in sich selbst
ges hlosse e u d le e dige Natur.“37
Der Äther ist der Geist überhaupt, weil er das erste allgemeine Moment des Naturerkennens des
Geistes ist. Er ist das sich auf den Geist Beziehende und das letztendlich mit dem Geist
Gleichgesetzte. Als das erste Natursein wird der Äther aber zugleich im Anderssein des Geistes
geschlossen, und dieses geschlossene Ganze der Natur steht gegen den Geist und zugleich zur
Verfügung des Erkennens desselben. Und ferner:
„Der Äther ist der a solute Geist als die Seite sei er a solute Si hsel stglei hheit, oder er ist
es, insofern der Geist als reine Beziehung auf sich selbst ist und darum dem sich selbst
erke
e de Geist als Besti
theit der Sel stglei hheit gege ü ersteht.“38
Der Äther ist die real seiende Materie daher nur aufgrund der Forderung der Sichselbstgleichheit des
Geistes, nicht aber aufgrund des Erkennens desselben. Das Sein des Äthers ist deshalb noch
37
38
Ebd., S.189.
Ebd., S.200f.
86
überhaupt nicht bewiesen. Es ist nur eine allgemeine Idee der Sichgleichheit, deren Realität völlig
leer ist. Oder:
„Die a solute Materie ist diese Sichgleichheit der sich in ihrem Sein negierenden Unendlichkeit,
oder das reine, absolute Nichts, die absolute Unruhe, die eben als absolut ewig ihr Anders in
si h sel st erzehrt hat.“39
D.h., diese absolute Materie ist hier noch nichts, kein Seiendes. Sie ist unendlich, weil sie einfach
allgemein ist, sodass noch kein konkretes Einzelnes dargestellt werden kann. Sie ist zudem auch die
absolute Unruhe, weil sie noch über keinen Beweis ihres Seins verfügt. Sie ist der unkonkrete
(nämlich bloß allgemeine und unendliche), zum Beweis seines ontologischen Grundes tendierende
Begriff des anfänglichen Naturseins.
2. In dieser Tendenz zur Begründung seines Seins muss der Äther sich entfalten und konkretisieren.
Hegel nennt diese Entfaltung des Äthers nun das „Sprechen“ desselben: „Er (der Äther) ist
unendlich als sich aussprechend, sich bewegend“, und „dieses Sprechen des Äthers mit sich selbst
ist seine Realität“. 40 Dieses Sprechen bedeutet nichts anderes als die Artikulierung der
Allgemeinheit und Unendlichkeit des Äthers in seinen konkreten Momenten. In Hegels Worten:
„Das Spre he ist die Artikulatio der Tö e der U e dli hkeit“.41
Allein durch dieses Sprechen oder diese Entfaltung der absoluten Materie, die sich bewegt und
gliedert, kann die Möglichkeit des Auftauchens von Raum und Zeit verstanden werden, denn „die
Momente des unmittelbar als wahrhaft unendlich sich aufschließenden Äthers sind Raum und Zeit,
und die Unendlichkeit selbst ist die Bewegung und als Totalität ein System von Sphären oder
Bewegungen.“
42
Die
Entfaltung
ist
das
Aufschließen
des
Äthers,
insofern
seine
anfänglich-unmittelbare Allgemeinheit in seinen konkreten Gliederungen durchgeführt wird. Diese
Tendenz zur Durchführung des Äthers wird nun im Raum und in der Zeit betrachtet. Der Äther
spricht mit sich selbst in Raum und Zeit. Dies Sprechen ist das Aufschließen der absoluten Materie.
Es ist dann der erste Ausdruck der Einheit von Raum, Zeit, Materie und Bewegungskraft.
Ebd.,S.202. D. Emundts und R.-P. Horstamnn halten den Terminus „Äther“ für die Basis von Hegels Jenaer
Naturphilosophie: „Jedes Naturphänomens soll als eigentümlicher Ausdruck der absoluten Materie ein Element in der
geordneten Abfolge der Naturerscheinungen darstellen.“ (D. Emundts und R.-P. Horstamnn, G. W. F. Hegel. Eine
Einführung, Reclam, Stuttgart 2002, S.30) Für Hegels Naturphilosophie von 1804/05 ist diese Argumentation zwar
richtig, die Bedeutung des Äthers wird aber ab 1805/06 bereits geringer geschätzt (vgl. Kapitel 4 der vorliegenden
Arbeit).
40
Vgl. Hegel, Jenaer Systementwürfe II, S.203.
41
Ebd., S.204.
42
Ebd., S.205.
39
87
Wichtig ist im Zusammenhang mit der Zeitfrage, dass der Raum und die Zeit an dieser Stelle noch
nicht als das konkrete Moment der realen oder besonderen Materie verstanden werden dürfen. Sie
bilden nur die allgemeine Bedingung des Aufschließens des Äthers. Sie sind hier also die ideale
Bestimmung der natürlichen Realität überhaupt. Oder wie Hegel sagt:
„Die Realität des Rau s u d der )eit ist sel st der Ausdru k der Totalität der Mo e te; a er
das so i ih e Getre
te lei t u
ittel ar i der Besti
theit des Ei fa he .“43
Sie sind also der Ausdruck der Totalität, noch nicht der der Einzelheit; sie sind daher einfach und
unmittelbar, noch nicht konkret und mittelbar. Vor der konkreten Realität der Natur taucht nun diese
einfache und ideale, d.h. logisch-metaphysische Bestimmung von Raum und Zeit auf.
Der Äther, das absolute Allgemeine, spricht mit sich selbst. Also ist er das Sprechende:
„Das Erste sei es Spre he s ist, daß er si h zu
Spre he de
a ht, u d ist sei erstes Wort;
daß er sich zum Erzeuger macht, ist seine erste Erzeugung. Diese Kontraktion der Gediegenheit
des Äthers ist das erste Mo e t des egati e Ei s, des Pu kts.“44
Der Äther ist ein Punkt, weil er das Singuläre ist. Indem aber er allgemein und unendlich ist,
existiert das Singuläre überall. Das überall gleichgültige Singuläre, das durch die Kontraktion des
Äthers entsteht, heißt dann bei Hegel der Stern.45 Der Stern ist das „gleichgültige Eins, ist aber
ebenso einfach reine Quantität, vom Eins sich unterscheidende, aber in sich alle Unterscheidung
aufhebende Sichselbstgleichheit, absolut sich verbreitendes Licht.“ 46 Das Licht zeigt hier die
Unendlichkeit der Sichselbstgleichheit, denn alles Singuläre gehört direkt zum Eins, weil sowohl das
Eins als auch die Punkte nur das Einfachste in sich selbst haben.47 Demnach verbreitet das Licht der
Sterne sich in seiner absoluten Einfachheit nur aus sich selbst und für sich selbst, überhaupt nicht für
anderes. Die Sterne sind deshalb „Selbst-Sonnen“48, die sich selbst als die absolute Mitte der
gleichgesetzten Welt sehen. Jeder Punkt ist eine Grenze, die an sich von anderem unterschieden wird,
die aber an sich in der absoluten Einfachheit und mit anderem in der Sichselbstgleichheit existiert.
43
Hegel, Jenaer Systementwürfe II, S.206.
Ebd., S.204.
45
Vgl. ebd.
46
Ebd.
47
Eine weitere Untersuchung von Hegels Licht-Konzept in seinem reifen System findet man in Hegels Licht-Konzepte.
Zur Verwendung eines metaphysischen Begriffs in Naturbetrachtungen, hrsg. von Neuser und Kohne, Verlag
Königshausen und Neumann, Würzburg 2008, insbesondere S.93-106.
48
Hegel, Jenaer Systementwürfe II, S.204.
44
88
Der Unterschied zwischen den Punkten liegt nur darin, dass jeder Punkt sich als das Einzige oder
„das absolute Dies“49 sieht, mithin die anderen von sich völlig ausschließt.
3. Diese Punkte, die das quantitative Eins in sich haben und die die Vielheit für die
Sichselbstgleichheit halten, existieren nur in sich selbst hier oder da. Der daseiende Punkt, der in
seiner Grenze alle anderen ausschließt, wird nunmehr von Hegel die „Gegenwart“ oder das
„Jetzt“ genannt:
„Die Gre ze, oder der Mo e t der Gegenwart, das absolute Dieses der Zeit oder das Jetzt, ist
absolut negativ einfach, absolut alle Vielheit aus sich ausschließend und darum absolut
esti
t, i ht ei si h i si h ausdeh e des Ga zes oder Qua tu “50.
Die Zeit ist nun noch überall gleich und eine einzige. 51 Hier gibt es noch keine zeitliche Sukzession,
weil die Sterne mit ihrem allschnellsten Licht gleichzeitig erscheinen. Sie sind aber trotzdem
beziehungslos. D.h., sie sind schlechthin in sich selbst begrenzt, sind daher also das daseiende Eins,
das absolute Jetzt. Dies Jetzt ist freilich absolut negativ, weil es auf der einer Seite andere Jetzte in
anderen daseienden Punkten negiert und auf der anderen Seite auch von denselben negiert wird.
Insofern jedes Jetzt in allen Zeitpunkten gleichgültig gesetzt wird, ist diese Negation der
gegeneinander existierenden Punkte die Negation des einfachen Jetzt selbst. Oder „das Jetzt ist
unmittelbar das Gegenteil seiner selbst, das sich Negieren.“ 52 Dieses Negieren ist die einzige
Tätigkeit des Jetzt in allen Punkten. Insofern dieses Negieren die Vielheit der Punkte immer noch
nicht aufhebt, ist das absolute Jetzt immer noch nicht da, sondern in der Zukunft.
Die Zukunft ist das vollendete Jetzt selbst. Das Jetzt, das alles mit sich Gleichgültige (d.i. das
einfache Jetzt selbst in allen Zeitpunkten) aufgehoben hat, ist die Zukunft. Dazu schreibt Hegel:
„Die Gege
art so si h aufhe e d, i de
die )uku ft iel ehr i ihr
ird, ist sel st diese
Zukunft; oder diese Zukunft ist selbst in der Tat nicht Zukunft, sie ist das die Gegenwart
Aufhebende, aber indem sie dies ist, das absolut negierende Einfache, ist sie vielmehr die
49
Ebd., S.207.
Ebd.
51
Angesichts der Beziehung zwischen Licht und Zeit weist C.-A. Scheier auf eine interessante Parallele zu Heideggers
Darstellung der Beziehung von Zeit und Licht hin. Er meint, dass Hegel quasi wie Heidegger die Ursprünglichkeit der
Zeit gesehen habe (C.-A. Scheier, Der vulgäre Zeitbegriff Heideggers und Hegels lichtscheue Macht, in: Das Rätsel der
Zeit. Philosophische Analysen, hrsg. von. Hans Michel Baumgartner, Verlag Karl Alber, Freiburg, München 1993,
S.51-73).
52
Hegel, Jenaer Systementwürfe II, S.207.
50
89
Gegenwart, die aber ebenso [nach] ihrem Wesen das Nichtsein ihrer selbst oder die Zukunft
ist.“53
Die Zukunft ist also das Wesen der Negativität der Gegenwart selbst, d.i. das absolut negative
Einfache oder das absolute Nichtsein der Gegenwart selbst.
Die Differenz zwischen der Zukunft und der Gegenwart kann nur so sein, dass das Jetzt vor der
Zukunft nicht mehr als das sich selbst Aufhebende, sondern als das Aufgehobene gesehen wird. Dies
aufgehobene Jetzt heißt die Vergangenheit. Das Jetzt ist für die Zukunft die Vergangenheit, und die
Zukunft ist dieses Jetzt, das sich vergehen lässt, um seine wesentliche Negativität durchzuführen.
Also wird in der Vergangenheit das Jetzt zur Zukunft und erreicht dadurch sein Wesen. Oder wie
Hegel sagt:
„Die Verga ge heit ist diese i
si h sel st zurü kgekehrte )eit; das Ehe als ist ei e
Sichselbstgleichheit, aber einem aus diesem Aufheben herkommende, eine synthetische,
erfüllte, die Dimension der Totalität der Zeit, welche die beiden ersten Dimensionen in sich
aufgeho e hat.“54
In der Vergangenheit der Gegenwart hebt sich diese selbst auf und realisiert ihr negatives Wesen in
der Zukunft. Daher kommt die Totalität der Zeit erstmals in dieser Synthesis ans Licht. Die
Unterschiede dazwischen sind nur reflexiv, denn wesentlich gesehen sind die drei Dimensionen
gleich. Und diese Gleichheit existiert in allen Zeiten unendlich. Daher:
„Die Totalität des U e dli he ist a er i Wahrheit i ht ei )urü kgehe i das erste Mo e t;
sondern das erste Moment ist sel st als ei es der Mo e te aufgeho e
orde .“55
D.h., diese Totalität entsteht allein in der Vergangenheit des ersten Moments. Sie ist aber zugleich
die Realisierung desselben. Das durch das zweite Moment (das zukünftige Moment) aufgehobene
und zugleich verwirklichte erste Moment ist nicht mehr das erste, sondern als das verwirklichte
Moment das dritte Moment (das vergangene Moment), „aber dieses Dritte ist die Reflexion der Zeit
in sich, oder es ist in der Tat Gegenwart“56, insofern die Totalität der Zeit die vollendete Gegenwart
53
54
55
56
Ebd.
Ebd., S.208.
Ebd., S.209.
Ebd.
90
selbst ist. Die Gegenwart in allen Zeiten ist hier völlig realisiert und daher die Zeit selbst. Hegel
nennt sie nun „die reale Zeit“, die „die paralysierte Unruhe des absoluten Begriffs ist.“57
4. Diese Zeit, die absolute Gegenwart, die für alle daseienden Punkte überhaupt gleichgültig ist,
heißt nun Raum. Oder besser gesagt: Die Zeit verräumlicht sich selbst. „Der absolute Raum ist das
unmittelbar Sichselbstgleiche“, „in welche das Negative, die Grenze und ihre Bewegung, wie sie
Zeit ist, schlechthin aufgehoben [sind], und der Raum ist dies gesetzte Aufgehobensein.“ 58 M.a.W.,
die Zeit selbst wird im Raum aufgehoben; mithin wird auch ihre Negativität in der zeitlichen
Bewegung aufgehoben. Der Raum fungiert nunmehr als der positive Ausdruck der Zeit selbst, deren
Negativität nicht mehr an sich, sondern im Jenseits existiert. D.h., die in der Zeit für sich seiende
Negativität „ist hier nur ein Beschränken des Raumes, nur am Raume, nicht für sich“ 59. Dies
Beschränken des Raums bezieht sich von außen auf jeden räumlichen Punkt; deswegen existiert es
eigentlich nicht im positiven Raum, sondern in der äußerlichen Dimension desselben. Hegel nennt
es dann die Dimension überhaupt. Sie zeigt die äußerliche Negation des Raums. Dagegen ist die
Negation im Zeitpunkt innerlich. Diese äußerliche Negation des Raums stellt Hegel durch die
Fläche, die Linie und den Punkt dar.
„Die Flä he ist das A derssei des Rau es, die Beziehu g z eier Di e sio e dessel e
aufeinander, der einen als der formalen Bestimmtheit, und der andern, wodurch diese selbst
als ihr eige es Gege teil ausgedrü kt ird.“60
Sie ist das Anderssein, insofern sie die äußerliche Negativität des Raums in sich behält. Die Fläche
wird also als das Anderssein des positiven Raums und als das Nichtanderssein des nicht-negativen
Raums gesetzt. Die Linie als die Einheit der Dimensionen „ist ein gleichgültiges Moment gegen sie
als Negation der Fläche“61. Sie ist eigentlich das reflektierte Wesen des Raums. Anders gesagt
existiert sie allein dann, wenn ihr Gegensatz auch gesetzt wird. Gleichzeitig präsentiert die Linie
auch die Verwirklichung des Raums, obwohl diese Verwirklichung nur in ihrer Negativität
durchgeführt wird. Sie ist also das zu sich Zurückkehren des Raums in seiner negativen
Verwirklichung. Dazu schreibt Hegel:
57
58
59
60
61
Ebd., S.210.
Ebd.
Ebd., S.211.
Ebd., S.212.
Ebd., S.214.
91
„Der i si h zurü kgega ge e Rau
ist die Negatio dieser sei er Di e sio , a er e e so die
Negation seiner selbst als Raum; denn der Raum als allgemeiner Raum ist nur als Positives
gesetzt; zu seinem Wesen sich reflektierend, ist er Negation seiner Einschränkungen, aber als
Negation das Gegenteil seiner selbst, das Aufgehobensein der sichselbstgleichen Beziehung
des Vielen, die absolute Ausschließung derselben: er ist Punkt.“62
Wenn die Linie ihren Gegensatz völlig aufhebt, fällt sie auf einen Punkt zurück. Der Punkt ist das
absolut Positive, das die Totalität des Raums bedeutet. Er ist also das vollkommen Singuläre, das
alles umfasst. Zugleich schließt er alles aus, insofern alles für ihn eine Negation ist. Kurzum: Die
Positivität des Raums existiert aufgrund seiner absoluten Negativität. Diese absolute Negativität
präsentiert das Sein des Raums, das schlechthin im Punkt begrenzt wird. Es wird aber nicht von
etwas anderem, begrenzt, sondern von sich selbst, weil alles andere schon darin aufgehoben ist.
Diese Grenze seiner selbst, die sowohl nur in diesem Punkt als auch in jedem anderen Punkt als
solchem existiert, ist wiederum das einfachste Dasein, das mit jedem Punkt als solchem unendlich
gleichgültig ist. Es ist also wiederum die Zeit.
5. Der in den Punkt zurückgekehrte Raum verzeitlicht sich selbst, wie die Zeit sich einmal
verräumlicht hat. Dazu schreibt Hegel:
„Die )eit, die so aus de
u d der Rau
Rau e zu si h sel st ge orde , ist also in der Tat nur am Raum real,
ist ur diese aus ih
erde de )eit, ie er ur das Werde zur )eit [ist].“63
Das Werden der Zeit durch den Raum liefert den Beweis der Realität der Zeit, die vor dieser
Verräumlichung abstrakt war. Nur im Raum wird der daseiende Punkt durch das äußerliche
Beschränken und die Aufhebung desselben erfüllt; und daher taucht er wiederum als der Zeitpunkt
für sich selbst auf. M.a.W., die Zeit wird durch ihr Anderssein, d.i. durch den Raum, erst real
daseiend, ebenso wie umgekehrt. Also:
„Die reale Ei heit eider hat eide i si h als tre
e de u d u
ittel ar i
Tre
e als si h
selbst aufhebend; sie ist selbst einfach und die reale Unendlichkeit des Äthers, deren
Momente, Zeit und Raum, selbst absolut einfache, die Unendlichkeit nicht als Fixieren der
Mo e te, so der [als] ei u
62
63
64
ittel ares Aufgeho e
erde darstelle .“64
Ebd.
Ebd., S.217.
Ebd.
92
Der Äther entfaltet also durch die Einheit von Raum und Zeit seine Realität in jedem daseienden
Moment. Diese Realität ist noch wie immer unendlich, denn der Äther wird in keinem endlichen Teil
bestimmt. Jedoch wird er nunmehr nicht mehr allein als das ruhige Sprechende, sondern auch als die
zeitlich-räumliche Bewegung der Verwirklichung des Sprechens gesetzt – oder in den Worten
Hegels: „Die Materie ist wesentlich Bewegung“.65
6. Der Äther im bestimmten Punkt war ursprünglich ruhig, nicht entfaltet. In der Bewegung der Zeit
ist er aber nicht ruhig, sondern entfaltend. Diese Entfaltung des Äthers in der zeitlichen Bewegung
wird als das Andere desselben gesetzt. Insofern der absolute ruhige Punkt des Äthers nicht der
zeitlich gewordene Punkt ist, ist diese absolute Ruhe keine Bewegung, sondern die Ursache
derselben, indem sie die Bewegung ausspricht. Andererseits: Insofern die beiden Punkte letztendlich
ein und derselbe Punkt sind, gehören die Ruhe und die Bewegung auch untrennbar zusammen. Die
Realität der Materie kommt eigentlich aus der Einheit von der ruhigen Materie mit ihrer zeitlichen
Bewegung. In der Unendlichkeit des Äthers müssen Bewegung und Ruhe ungetrennt sein. Diese
Untrennbarkeit bedeutet auch die Unendlichkeit der Zeit.
Von der endlichen Dimension der Zeit wird dagegen allein dort geredet, wo Bewegung und Ruhe
getrennt sind oder wo der ruhig sprechende Äther gegen den gewordenen Punkt steht. Der
gewordene Punkt existiert in der auf den Raum bezogenen Zeit, die sich durch ihr räumliches
Anderssein äußert. Also muss sich die zeitliche Bewegung durch die Veränderung des Raums äußern
und letztendlich in einem räumlichen Punkt beendet werden. Insofern der Anfangs- und der
Endpunkt getrennt sind, ist jeder Punkt endlich. Ferner kann ein ruhiger Punkt sich nur dann
bewegen, wenn es draußen schon einen anderen bewegenden Punkt gibt, der ihn treibt. Umgekehrt
kann ein sich bewegender Punkt nur dann zur Ruhe gebracht werden, wenn es einen anderen ruhigen
Punkt gibt, der ihn behindert. Beide sind aber ein endlicher und einzelner Massepunkt. Wichtige ist
hier, dass der Raum als das Anderssein der Zeit die Endlichkeit derselben ermöglicht: „Was der Zeit
von Endlichkeit zukommt, kommt ihr allein durch den Raum.“66 D.h., der Unterschied in der Zeit
zwischen dem ruhigen und dem sich bewegenden Punkt kann nur durch den Unterschied zwischen
der einfach zum Raum werdenden Zeit und der aus dem Raum gewordenen Zeit verstanden werden.
Mithin muss die Endlichkeit der Zeit in den verschiedenen Punkten auch dadurch begriffen werden.
65
66
Ebd.
Ebd., S.218.
93
Jedoch befinden sich Ruhe und Bewegung in der Zeit in einer unendlichen Einheit. Sie sind
ursprünglich nicht getrennt. „Denn außerdem, daß sie einzelne Körper sind, sind sie auch noch
wesentlich real oder absolute Materie und haben Ruhe und Bewegung ungetrennt in sich“.67 Die
absolute Materie ist am Anfang nur ruhig in sich (in ihrer innerlichen Zeit), wird am Ende jedoch
zum durch den Raum realisierten, zeitlich-bewegenden Sein. In der wesentlich-unendlichen Zeit
selbst, die die Einheit der innerlichen Zeit und des verzeitlichten Raums ist, kommt also diese
Untrennbarkeit von Ruhe und Bewegung zum Vorschein. Dazu schreibt Hegel:
„Es ist gezeigt
orde ,
ie die a solute Materie a ihr sel st ihrer Natur a h Ruhe u d
Bewegung in sich hat, indem sie die Einheit des Sichselbstgleichen und des Unendlichen ist,
jenes in der Differenz oder als Moment Raum, dieses Zeit, jener das Moment des Bestehens
oder Fürsichseins überhaupt, dieses des sich selbst Negierens; die Endlichkeit des Endlichen ist
darin, daß die Momente in die Form des Fürsichseins treten, und ihre Unendlichkeit ist, daß sie
e e so ese tli h )eit si d oder si h als Besti
theit aufhe e .“68
D.h., die absolute Materie hat in sich selbst die Momente von Zeit und Raum: Im Raum ist alles
gleichgültig bestehend; dagegen muss in der Zeit das räumlich Bestehende aufgehoben werden.
Beide sind aber für die Materie in einer und derselben Einheit. Weil das Äußerliche letztendlich zum
Immanenten werden muss, muss der Raum durch die Zeit selbst nachvollzogen werden, die die
geistige Macht der Natur heißt. Die Zeit selbst im geistigen Sinn ist die unendliche Macht der Natur
als die Einheit der endlichen Zeit und des endlichen Raums:
„Die )eit ist des ege die a solute, ur li de, Ma ht der Natur, sie ist daru
ei er der ältern
Götter, dem, was der Natur angehört, nichts widerstehen kann, aber der, wo der Geist sich
realisiert, sel st i die Gre ze der Na ht zurü k er iese
ird.“69
Sie steht also gegen die endlichen Zeiten und Räume, die als der natürliche Ausdruck des Geistes in
der Natur erkannt werden.70
67
Ebd.
Ebd.
69
Ebd.
70
Für die Jahre 1804/05 ist es fraglich, ob Hegel das System der Sonnen nur in der unendlichen Zeit gesehen hat oder
doch auch in den endlichen Zeiten. Einerseits betont er, dass die himmlischen Körper selbst „nicht solche einzelne[n]
Körper, in welchen Ruhe und Bewegung auseinander fällt, [sind].“ D.h., es gibt die Trennung von Zeit und Raum im
System der Sonne noch überhaupt nicht. Daher muss das Sein darin allein unendlich sein; endlich ist es erst im irdischen
System (genauer: nach dem Teil der Mechanik). Andererseits muss Hegel aber auch sagen, dass die Entgegensetzung
von Zeit und Raum in der weiteren Entwicklung des Systems ganz klar zu bemerken ist. Das Einzelne gibt es also schon
im irdischen System. Damit besteht ein Widerspruch. Seit 1805/06 gibt Hegel dem System der Sonne vor der irdischen
68
94
Bisher wurde zunächst die Einheit von Raum, Zeit, Bewegung und Materie erklärt. Dies ist auch der
Hauptinhalt des ersten Teils der Realphilosophie im Jenaer Systementwurf 1804/05 (d.i. des Teils
Begriff der Bewegung). Ich fasse die wichtigsten Punkte hier zusammen.
1. Die Ursprünglichkeit von Raum und Zeit liegt in der Sprache des Äthers. Diese Sprache ist
allgemein. Daher werden alle Glieder des Äthers allgemein gleichgesetzt. Jeder Punkt ist in diesem
Sinne ein Stern oder eine Selbst-Sonne, der absolut an sich ist. Die absolut gleichgesetzte Beziehung
zwischen den Punkten ist das Licht, das jeden Punkt gleichzeitig beleuchtet.
2. Daher existiert jeder Punkt in ein und demselben gleichen Zeitmoment, d.i. im Jetzt. Diese
Gegenwart ist aber negativ, weil sie sich selbst begrenzt, um sich von anderen Punkten zu
unterscheiden. Also vergeht die negative Gegenwart, die sich zum zukünftigen Punkt verhält. Erst
durch das Vergehen dieser Gegenwart kommt die Zukunft ans Licht. Die innerliche Einheit von
Gegenwart, Zukunft und Vergangenheit heißt nun die Zeit selbst oder die reale Zeit.
3. Diese Zeit selbst ist rein innerlich gesehen nicht mehr negativ. Jedoch bleibt äußerlich gesehen
stets ihre Negativität. Diese negative „Dimension überhaupt“ begrenzt nun jeden Punkt äußerlich.
Die äußerliche Begrenzung der Zeit selbst heißt der Raum. Die Zeit verräumlicht sich selbst im
Raum, also in der Fläche, in der Linie und im Punkt. Im absoluten Punkt wird die äußerliche
Negativität des Raums völlig aufgehoben. Dieser Punkt heißt wiederum die Zeit selbst. Der Raum
verzeitlicht daher sich selbst.
4. Der Äther (die absolute Materie) zeigt sich dann sowohl in der Verräumlichung der Zeit als auch
in der Verzeitlichung des Raums. Raum und Zeit werden unendlich zueinander und entfalten
zusammen die unendliche Materie.
5. In der Unendlichkeit des Äthers sind Raum und Zeit untrennbar. Allerdings müssen sie trotzdem
getrennt werden, um die Bewegung der endlichen Materie zu erklären. Also: Nur nach der Trennung
von Raum und Zeit kann bestätigt werden, dass eine Masse sich in einer bestimmten Zeitsukzession
(vom Zeitpunkt a zum Zeitpunkt b) vom Raumpunkt A zum Raumpunkt B bewegt. A kann von B
dadurch unterschieden werden, dass A im Zeitpunkt a, nicht im Zeitpunkt b ist. Umgekehrt kann a
von b dadurch unterschieden werden, dass a nur dem Raumpunkt A entspricht. Die Endlichkeit kann
Mechanik keinen besonderen Platz mehr. Vielmehr kann man sagen, dass die Unendlichkeit und die Endlichkeit der Zeit
(oder die Doppelheit der Zeit) von Anfang an in der Naturphilosophie existieren. 1804/05 war diese Doppelheit im
System der Sonne in der Naturphilosophie noch unklar.
95
also lediglich durch das Anderssein der Zeit selbst (d.i. den Raum) und des Raums selbst (d.i. die
Zeit) äußerlich beschrieben werden. Der endliche Massepunkt Bb71 kann sich bewegen nur wegen
der Triebkraft des Massepunkts Aa. Aa wirkt zwar auf Bb, beendet seine Bewegung aber bei Bb
wegen der Hemmkraft des Massepunkts Bb. In einer bestimmten Zeit und einem bestimmten Ort
existiert zwar entweder Aa oder Bb, aber der abwesende Massepunkt ist die mechanische Ursache
des anwesenden Massepunkts.
Weil jedoch der Unterschied zwischen Aa und Bb – nach dem unendlichen Aspekt – eigentlich
nicht existiert (da a und b in der absolut kontinuierlichen Zeit unendlich und untrennbar bleiben),
muss doch gesagt werden, dass Aa und Bb schlechthin Eins sind. Diese Einheit der verschiedenen
Massepunkte kann nicht durch den äußerlichen Raum, sondern allein durch die innerliche Zeit
begriffen werden. (Denn im äußerlichen Raum bleiben A und B nur zugleich und nebeneinander. Die
These „Etwas bewegt sich von A bis B“ kann nur durch das kontinuierliche Werden von a zu b
verstanden werden.) D.h., die absolut kontinuierliche, bloß für sich seiende Zeit selbst hebt alle
Unterschiede in sich auf. (Dagegen bestehen allein durch den Raum die Unterschiede immer noch
nebeneinander.) Diese Zeit selbst ist die eigentliche Macht der Natur. Diese Macht ist für Hegel aber
geistig, weil sie in keinem endlich-räumlich-zeitlichen Punkt existiert, sondern weil sie das Ganze
der räumlich-zeitlichen Natur darstellt.
Was hier schwer zu begreifen ist, sind: 1. Wie kann die Beziehung zwischen Licht und Zeit real
verstanden werden. Zweifellos wird die Zeit durch die Selbstentfaltung des Äthers und die
Ausbreitung des Lichts real bestimmt, aber diese reale Bestimmung bedeutet noch keine materielle
Realität des zeitlichen Wesens. Jetzt, Zukunft und Vergangenheit sind drei unendliche Dimensionen
in der Ausbreitung des Lichts oder in der Sichselbstgleichheit des Geistes. Sie unterscheiden sich
voneinander allein dadurch, dass sie räumlich vorgestellt werden müssen, d.h., sie werden durch die
verschiedenen Punkte auf einer Linie repräsentiert. Für Hegel kann die Ausbreitung des Lichts also
durch eine gedachte Linie gezeichnet werden, weil die Geschwindigkeit derselben unendlich schnell
ist, sodass darin eine im materiellen Sinne reale zeitliche Sukzession undenkbar ist, geschweige
dann die Unterscheidung von Jetzt, Vergangenheit und Zukunft innerhalb dieser Sukzession. Hegels
71
Bb bedeutet hier den in der Zeit b erfüllten Raumpunkt B, d.i. einen endlichen Massepunkt.
96
Wort nach sind alle Zeitpunkte auf der Linie der Lichtausbreitung gleichgültig, und darauf können
sie nur äußerlich begrenzt (=bestimmt) werden, sind aber nicht wirklich real geworden.
Hegel kennt wahrscheinlich aber einige Zeittheorien seiner Zeit, die behaupten, dass die
Ausbreitung des Lichts durch den Äther doch zeitlich geschieht, weil der Äther – falls er tatsächlich
als eine Materie existiert – die Ausbreitung des Lichts hemmen soll. Vor diesem Hintergrund könnte
man die Verbindung von Zeit und Lichtausbreitung bei Hegel als ein reales Geschehen betrachten,
obwohl dieses Geschehen niemals mit dem Geschehen des anderen konkret-endlichen Wesens
verwechselt werden darf.72 Diese Lesart steht aber vor dem Problem, ob der materielle Sinn des
Äthers hier zu hoch geschätzt wird. Hegel spricht zwar nicht deutlich aus, dass die Lichtausbreitung
eine bloß ideal gedachte, quasi rein mathematisch gemeinte, unendliche Geschwindigkeit hat, sodass
eine reale physische Hemmung derselben eigentlich undenkbar ist, betont jedoch in der Tat, dass die
Realität der Zeit nun nur der Ausdruck der idealen Totalität, noch nicht der der realen Einzelheit ist.
Sie ist also eine einfache und ideale, d.h. logisch-metaphysische Bestimmung. In diesem Sinne ist
sehr schwer zu begreifen, wie der Äther die Lichtausbreitung physisch-real hemmen kann. Hegel
redet überhaupt nicht davon, ob man – im Sinne der Physik – die Korpuskeltheorie oder die
Wellentheorie des Lichts annehmen soll, geschweige denn davon, wie sich das Licht von einer
Selbstsonne zu einer anderen Schritt für Schritt ausbreitet, und wie die Geschwindigkeit der
Lichtausbreitung durch die mögliche Hemmung des Äthers physikalisch berechnet werden kann.73
2. Die o.g. Schwierigkeit hat mit der folgenden zu tun. Es ist schwer festzustellen, ob die
Realität des Äthers eine bloß logische Voraussetzung der Entstehung der Natur ist, oder ob er
physisch gesehen real ist. Klar ist zunächst, dass Hegel die Doppelheit des Äthers, zugleich eine
reale und ideale Materie zu sein, fordert, um den Übergang durch das metaphysische Werden zu
ermöglichen. Jedoch bleibt hier unklar, wie das Sprechen des Äthers auf eine natürliche Weise
72
Denn, wenn wir von der realen Zeit der Lichtausbreitung redet, meinen wir tatsächlich die Zeit, die die Horizont unserer Erfahrung
überhaupt ermöglicht. In diesem Sinne ist die Vergangenheit nur für uns die Vergangenheit, fürs Licht aber keine, sondern immer noch
gegenwärtig, sodass das für uns bereits vergangene fürs Wesen auf anderer „Selbstsonne“ noch ein zukommendes sein kann (Dieser
Fall gilt auch zugleich umgekerht, sodass das Wort „Zugleich“ hier physisch gesehen keinen Sinn macht. Es bezeichnet nur die
Begrenze unseres subjektiven Zeitverständnisses. Hegels Wort nach negiert jedes Jetzt sich selbst direkt, indem es entweder im
Zusammenhang mit der Zukunft oder mit der Vergangenheit, oder mit den Beiden zusammen relativ beschrieben werden kann.
Geichfalls ist auch für die Zeitdimensionen von Zukunft und Vergangenheit. Die sogenannte Zeit selbst kann man nur durch die
Lichtausbreitung selbst definieren). Wir reden also nicht von der Zeit, die in unserer alltäglichen Erfahrung, dort existieren die
Vergagangheit selbstverständlich vor dem Jetzt und die Zukunfz notwendig nach demselben.
73
In diesem Sinne ist bis heute umstritt, ob es bei Hegel einen möglichen Ansatz der Relativitätstheorie gäbe. Nehmen wir an, dass
Hegel hier durch seine Äthertheorie eine ganz besondere Zeittheorie im Sinne der Relatitätstheorie twirklich entdeckt, muss erklärt
werden, wie diese Theorie physisch angewendet werden kann, und nich nur als ein metaphysischer Gedanke ohne alle realen
Anwendungen vorausgesetzt ist. Stellen wir hingegen vor, dass Hegel allein eine bloß logische Grundlage setzt, wird dann gefragt,
wie die Realität der Verbingdung von Zeit, Äther und Lichtausbreitung am Anfang der Naturphilosophie verstanden werden kann..
97
materiell-real existieren und gelten soll. Wir wissen also nur, dass es innerhalb der Idealität des
Äthers eine Tendenz zur Begründung seines Seins gibt, die durch die Konkretisierung des Äthers
selbst in den Zeiten und Räumen dargestellt werden soll; wir wissen aber nicht, welche reale Kraft
der Äther außerhalb seiner metaphysischen Bestimmungen hat, diese Tendenz zu verwirklichen.
Denn die metaphysische Bestimmung, den reinen Geist zu verwirklichen, ist nur eine Forderung des
Geistes selbst, aber kein realer Antrieb dieser Verwirklichung, der anders als der Geist sein muss.
(Sonst gäbe es hier dann allein eine Tautologie des Geistes selbst.) Was der Äther aber außer seiner
geistigen Forderung zur Verwirklichung noch als einen realen Antrieb liefern kann, ist allein der
Inhalt seines Sprechens, nämlich die allgemein ausgesprochene, reale Selbstsonne und das Licht. Sie
treiben die einfache ideale Materie in den differenten und konkreteren Zeiten und Räumen.
Die Frage ist aber danach, ob Hegels Lichttheorie hier die Realität des Äthers tatsächlich
beweisen kann. Dies ist möglich, nur wenn die physisch reale Anwendung dieser Lichttheorie
möglich ist. (Sonst könnte sie allein als ein mathematischer oder metaphysischer Modus des
Denkens bleiben.) Hegel redet 1804/05 aber von keiner solchen Anwendung, da nun am Anfang der
Naturphilosophie sogar keine realisierte Bewegung, keine Mechanik und auch keine Physik
dargestellt werden. Wahrscheinlich ist dies auch eine Ursache dafür, dass Hegel ab 1805/06 den
Äther nicht mehr so stark wie zuvor unterstreicht; und ganz anders als 1804/05 stellt Hegel in
seinem reifen System die Darstellung des Lichts überhaupt nicht mehr an den Anfang der
Naturphilosophie, sondern behandelt sie im Kapitel der Physik, nachdem das physische Individuum
bereits zum Vorschein gekommen ist. Denn er kann die Realität des Äthers nicht einfach durch die
metaphysische Voraussetzung des Lichts erklären, ohne die reale Wirkung dieses Lichts auf die
zeitlich-räumlichen Individuen. In Kapitel 4.1 werden diese Änderungen noch einmal und
genauerdiskutiert werden.
Zur Zeittheorie Hegels muss noch ein anderer Punkt im Vergleich mit Schellings Zeittheorie ergänzt
werden. Obzwar Hegels Darstellung hier sicher unter dem Einfluss von Schellings Entwurf von
1797 steht, ist die eigene Zeittheorie Hegels zu erkennen.
1. Die Darstellung der Einheit der Natur erfolgt bei Hegel weder wie bei Schelling 1797 durch die
subjektive Empfindung noch wie im eigenen Entwurf von 1801 allein durch den zeitlichen Geist.
Sondern sie wird in der idealen, aber doch natürlichen Entfaltung der absoluten Materie geschaffen.
98
Die anfängliche, logisch-metaphysisch formelle Zeitdimension bei Hegel gibt es bei Schelling nicht.
Am Anfang der Naturphilosophie wird ihr logisch-metaphysisch abgeleiteter Charakter noch nicht
aufgehoben. Das Dasein mit seiner konkreten Zeit, die niemals unendlich, sondern stets endlich ist,
wird am Ende des Teils Begriff der Bewegung kurz angedeutet. D.h., es gibt hier das reale Dasein
der Natur noch nicht wirklich, geschweige denn ihren ontologischen Beweis. 74 Ohne dieses
konkrete Dasein bleibt die unendlich-zeitliche Materie schlechthin formell. Demzufolge wird die
Zeitdimension beim Übergang von der Logik-Metaphysik zur Natur noch nicht als der komplette
ontologische Beweis gesehen.
2. Im Vergleich zu Schelling ist die Bedeutung der Doppelheit der Zeit bei Hegel eine völlig andere.
1799 bezeichnet diese Doppelheit bei Schelling die ewige Seite der Zeit in der ursprünglichen natura
naturans und die dauernde Seite in der reflexiven natura naturata, während sie bei Hegel 1804/05
keineswegs innerhalb der Natur, sondern zwischen der Natur und dem Geist dargestellt werden muss.
Also sind die endlichen Zeiten in der Natur das Andere der geistigen Zeit selbst, das nicht einfach
von der geistigen Zeit begründet wird, sondern vielmehr den ontologischen Beweis für diese
erbringt. Überdies kann die Doppelheit der Zeit bei Hegel im Teil Begriff der Bewegung noch nicht
komplett verstanden werden, denn die endlichen Zeiten in den konkreten natürlichen Dingen werden
zwar erwähnt, jedoch nicht wirklich erklärt. Deshalb bleibt der konkrete ontologische Sinn der
Doppelheit der Zeit an dieser Stelle dunkel. Die komplette Darstellung der geistigen Zeit kann nach
Hegel anders als bei Schelling 1797 niemals in der Einleitung der Naturphilosophie erfolgen,
sondern erst in der Philosophie des Geistes. Diese geistige Zeit in der Philosophie des Geistes wird
in Kapitel 6 dargestellt. Was im Folgenden erklärt werden soll, ist das konkrete Seiende in den
endlichen Zeiten, das zunächst in der erscheinenden Bewegung zum Vorschein kommt.
74
Viele Forscher zur Zeittheorie Hegels, wie z. B. H. Kimmerle, W. Grießer und V. L. Waibel, fokussieren gerne den
Teil Begriff der Bewegung, in dem die ontologische Dimension der Zeit und des zeitlichen Endlichen noch nicht
vollkommen gezeigt wurden. Dies ist m. E. insofern unbefriedigend, als dabei nicht klar ist, was Hegel durch die Zeit
eigentlich zeigen will. Die reale Zeit und das zeitliche Endliche müssen nicht in diesem Teil, sondern in der ganzen
nachfolgenden Natur untersucht werden. Sie sind auch das, was seit 1804/05 (vielleicht auch bereits seit 1803/04) für
Hegel und für den Metamorphismus der Natur zentral ist. Im Folgenden wird versucht, dies zu verdeutlichen.
99
3.3.3 Die Zeittheorie Hegels 1804/05 in der erscheinenden und realisierten Bewegung
1. In den Erscheinungen der Bewegung werden Raum und Zeit entgegengesetzt, obwohl sie in der
Zeit selbst vereinigt werden müssen. Demzufolge gibt es nunmehr keine einfache Unendlichkeit des
Absoluten mehr, sondern nur noch das „Besondere“ und das „Einzelne“. Dagegen ist das Absolute
der reine Punkt, der als die letztendliche Bestimmung des Raums und der Zeit die Einheit von
beiden darstellt. Hegel nennt ihn „die Substanz“. „Der Punkt der Bewegung drückt an ihm die
Beziehung der Zeit auf den Raum aus“,75 genau weil er die einfache Einheit von beiden ist. Das
Substanzielle als die unendliche Einheit von beiden existiert nicht in den Erscheinungen. Das
Erscheinende (d.i. das Besondere und das Einzelne) ist deshalb nicht substanziell, sondern
akzidentell. Seine Bewegung „am Raum als Ortveränderung, die sich wieder aufhebt, ist dauernde
Bewegung, oder es ist die Zeit so am Raum erscheinend nur als Veränderung des Raumes, und sie
selbst als sich verändernd ist aufgehoben, sie ist absolute Dauer.“76 Die absolute Dauer ist dann nur
die akzidentelle und besondere Bewegung des Raums, der in der Zeit aufgehoben werden soll. Wenn
diese Aufhebung durchgeführt wird, wird auch der endliche Raum in der Erscheinung verunendlicht.
2. In der Erscheinung geschieht die Vereinzelung nur auf die mögliche Weise, nicht auf die wirkliche
Weise, 77 denn die Bewegung des Massepunktes „geht überhaupt in ihrer [der Einfachheit]
Realisierung nur bis dahin, daß ihre Momente ihr als Größe äußerlich, ideell werden, oder das Leere
der Quantität ist ihr als Einheit existierende Einheit nicht als Totalität“. 78 D.h., diese Realisierung
des einfachen Punktes kann in der Erscheinung niemals als eine innerliche oder qualitative, sondern
nur als die äußerliche und quantitative verstanden werden. Dieses äußerliche und quantitative
Verständnis muss durch die Zeit und den Raum gezeigt werden:
„Die Be egu g,
el he )eit u d Rau
als Größe erhält isse ausdrü kt, ist hiedur h si h
nicht die Bewegung selbst, sondern eine Verhältniseinheit, Geschwindigkeit. In der
75
Hegel, Jenaer Systementwürfe II, S.220.
Ebd., S.221. Diese „absolute Dauer“ konstituiert bis 1805/06 die Einheit von Raum und Zeit. Die Bedeutung der
Rolle des „Ortes“ ist bei Hegel dabei 1805/06 genauso nachweisbar wie später in der Enzyklopädie. Dass der Dauer für
Hegel 1805/06 eine zentrale Rolle zukommt, dokumentiert auch Georg Andreas Gabler: „Zu Zeit und Raum war das
Dritte damals nicht der Ort und die Bewegung, sondern die Dauer“ (Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen, hrsg. v. G.
Nicolin, Felix Meiner Verlag, Hamburg 1970, S.87).
77
Vgl. Hegel, Jenaer Systementwürfe II, S.221: „Die Bewegung ist in der Dauer absolut kontinuierlich, ohne
Vereinzelung; denn der Punkt, der ein Vielfaches wird, hebt seine Vielfachheit auf und wehrt dadurch seiner
beginnenden Vereinzelung. Sie ist in ihrer Kontinuität schlechthin nur als die Möglichkeit der Vereinzelung, d.i. eben sie
ist kontinuierlich“.
78
Ebd.
76
100
Entgegensetzung ist die Zeit nach ihrem Prinzip Punkt, das Eins, und der Raum überhaupt
dieser Punkt als Quantum, sich selbst außer sich setzend und dieses Außersichsein wieder
es hrä ke d, a er ur dur h si h sel st.“79
D.h., in den Größenverhältnissen von Raum und Zeit wird die Bewegung des Punkts in der
Erscheinung durch die Geschwindigkeit ausgedrückt. Die Geschwindigkeit eines Körpers (d.i. eines
Massepunktes) wird als die Zeitableitung des Ortes, d.h. als das Quantum der Wegstrecke pro dafür
benötigte Zeit verstanden. Zeit ist hier für Hegel die Maßeinheit, nämlich „das Eins“ oder das
Gesetz der beiden. Dagegen ist Wegstrecke das Quantum der erscheinenden Bewegung des
Massepunktes, d.i. das beschränkte Außersichsein.
3. Wenn die Zeit und der Raum scheinbar getrennt wurden und die Geschwindigkeit eines Körpers
scheinbar gleichförmig ist, ist die Bewegung des Körpers noch keine Bewegung für sich selbst, da
Raum und Zeit auf diesem Platz nur quantitativ und attributiv bestimmt sind. – Jedoch muss die Zeit
nicht nur als das vom Raum Getrennte gefasst werden, vielmehr ist sie auch die Einheit der beiden,
d.i. die eigentliche Zeit oder die Zeit²:
„Die Größe des dur hlaufe e Rau s ist also ur das Quadrat der )eit, u d die Be egu g für
si h, als geradli ige ist s hle hthi
ur ei e glei hför ig es hleu igte oder er i derte.“80
Diese Beschleunigung oder Verminderung ist die „ursprüngliche Geschwindigkeit“ im empirischen
Verhältnis. Die beschleunigte Bewegung ist hier bereits die Bewegung für sich selbst, 81 da die
Realisierung des Punkts nunmehr in seiner eigentlichen Zeit = Zeit² durchgeführt wird. Folglich gilt
das Gesetz der empirischen Bewegung, c=s/t²: „Es ist das Gesetz des freien Falls des Körpers“82
und zeigt das wirkliche Verhältnis der Zeit (als Einheit oder Synthese) zum Raum (als
Äußerlich-Sein und Anderssein der Zeit) in der empirischen Erscheinung. Im freien Fall hängen
Raum, Zeit, Bewegungskraft und Materie erst in der wirklichen Empirie zusammen; dieser kann nun
durch eine geradlinige Bewegung vorgestellt werden. „Die Erscheinung der Zeit im Raume ist
notwendig dieses zur Linie Werden des Punktes.“83
79
Ebd., S.223.
Ebd.
81
Das heißt aber nicht, dass diese Bewegung für sich hier die absolut verwirklichte Bewegung ist, insofern diese
Bewegung für sich auch nur in der räumlichen Erscheinung existiert. Die Zeit selbst hebt hier m.a.W. ihre äußerliche
räumliche Erscheinung noch nicht auf.
82
Ebd., S.224.
83
Ebd., S.225.
80
101
4. Die Einheit von Raum, Zeit und Materie ist in der Linienbewegung bloß quantitativ.84 D.h., die
Bewegung mit ungleicher Geschwindigkeit bekommt ihr Wesen noch nicht. Sie kann niemals als das
vollkommene und ruhige Wesen der Zeit selbst betrachtet werden, sondern allein als die
Erscheinung desselben in der Bewegung. Demzufolge:
„Diese U glei hheit der Be egu g ist ei e U glei hheit der Beziehu g des Be egte auf sei e
Ruhe, seinen Mittelpunkt; sie existiert unmittelbar als Ungleichheit der Radien, welche mit der
Ungleichheit der Geschwindigkeit in Beziehung steht, und die Form der Rückkehr wird nicht
ei Kreis, i
el he
diese Beziehu g a solut glei h ist, so der ei e Ellipse sei .“85
Der ruhige Punkt kann also durch die erscheinende Bewegung mit ungleicher Geschwindigkeit nicht
erreicht werden, sondern er kommt der Bewegungsbahn des Köpers nur immer näher oder bewegt
sich von dieser weg. Daher muss diese Bewegung auf einer den Punkt umkreisenden Ellipse
geschehen. Die geradlinige Bewegung wird dann auch zur „flächebeschreibende[n] Bewegung“.86
Die
Bewegungsbahn
des
Massepunktes
(im
Sonnensystem
nämlich
der
sogenannten
„Selbstsonne“ oder des Sterns) in der räumlich-zeitlichen Erscheinung wird also als Bewegung auf
einer Ellipse beschrieben.
In dieser erscheinenden Bewegung des Sterns repräsentiert die Zeit² die ursprüngliche Einheit; der
Raum dagegen ist die quantitative Vielheit. Denn „das Quadrat der Zeit ist nur die realisierte Zeit,
der Begriff des Raums, nicht der realisierte Raum“;
87
hier bewegt der Körper sich immer noch in
der quantitativen Erscheinung und bekommt noch nicht sein Wesen. „In dieser totalen Bewegung
aber muß das Verhältnis eines der reellen Zeit zu dem reellen Raume sein.“88 Anders gesagt: Weil
der Raum als das Anderssein der Zeit immer noch nicht die Zeit selbst ist, kehrt die Zeit als die
Einheit der beiden immer noch nicht zu sich selbst zurück. Um ihr Wesen in der Bewegung völlig zu
zeigen, muss die Zeit sich nicht nur mit dem erscheinenden Raum = R, sondern vielmehr auch mit
dem realisierten Raum = R² (der Raum als Raum selbst) verbinden. Der realisierte Raum ist
derjenige, der die Bewegung durch die Ellipsenbahn hindurch hinter sich gebracht hat. Dagegen ist
der erscheinende Raum der, in dem ein Massepunkt sich immer noch bewegt. Daher muss die
Dazu schreibt Hegel: „In dieser totalen Bewegung ist das Verhältnis der Zeit zum Raume ebenfalls ein Verhältnis
ihrer Größen, das sich als ungleiche Geschwindigkeit ausdrückt.“ (Ebd., S.226)
85
Ebd.
86
Ebd.
87
Ebd., S.228.
88
Ebd.
84
102
Bewegung des Sternpunkts nicht einfach wie die Bewegung des Falls nur durch die Beziehung
zwischen R und Z² erklärt werden, sondern vielmehr – als die Einheit der durchgeführten und der
nicht durchgeführten Bewegung – sowohl durch die Beziehung zwischen R und Z² als auch durch
die Beziehung zwischen R² und Z² dargestellt werden. Es ist demzufolge nichts anderes als die
Beziehung zwischen R³ und Z². Oder die Bewegung der Sternpunkts muss nach dem Gesetz s³: t²
beschrieben werden. Dieses Gesetz heißt das dritte Keplersche Gesetz: Die Quadrate der
Umlaufzeiten zweier Planeten – einem als ruhigem Mittelpunkt und einem sich um diesen
Mittelpunkt bewegenden – verhalten sich wie die dritten Potenzen der großen Bahnhalbachsen.89
Allein in dieser Kreisbewegung wird die Zeit selbst wiederum mit dem Raum vereinigt. Sie kommt
also wieder zur Sichselbstgleichheit mit ihrem Anderssein. 90 Dieser Punkt, an dem die Zeit selbst
und der Raum selbst synthetisiert und die Bewegung daher beendet wird, ist nicht mehr der
anfängliche, absolut ruhige Punkt des Sterns, weil darin die Bewegung aufgehoben wurde. Nach
Hegel ist dieser Punkt der „andere Brennpunkt der Ellipse“.91
5. Eben an diesem „anderen“ Brennpunkt entsteht erst die realisierte Einzelheit. Es ist keine
Erscheinung mehr, weil die Bewegung nunmehr keine erscheinende ist, sondern die realisierte. D.h.:
a) Die absolute Einzelheit muss mit der Bewegung zusammengesetzt werden. Sie bleibt nicht
absolut ruhig. Als die andere Mitte wird sie der anderen absolut ruhigen Mitte (d.i. der Selbstsonne)
entgegengesetzt. Diese beiden Mittelpunkte könnten nur gleich sein, wenn sie auf der gleichen
Achse liegen. Real gesehen existieren sie aber nicht auf der gleichen Achse. Daher muss die
absolute Einzelheit als die bewegende Mitte sich so bewegen, dass „diese einfache sich auf sich
selbst beziehende Bewegung […] die Achsendrehung [ist].“92 D.h., die bewegende Mitte verhält
sich zum ruhigen Punkt. Sie existiert noch nicht wirklich für sich selbst, sondern fürs Andere. Diese
Einzelheit ist also „schlechthin nichts für sich, sondern durchaus sich auf den vergangenen und
künftigen beziehend, also durchaus außer sich“.93 Deswegen dreht die Einzelheit sich um den
89
Eine detaillierte Darstellung der Rolle der Keplerschen Gesetze bei Hegel findet man bei Ziche, Mathematische und
naturwissenschaftliche Modelle in der Philosophie Schellings und Hegels, frommann-holzboog, Stuttgart 1996,
S.133-194.
90
Vgl. Hegel, Jenaer Systementwürfe II, S.229: „Da diese hier die Zeit ist, so ist das Ganze selbst eine Funktion der
absoluten Zeit, die selbst zum Momente, als Quadrat der Zeit wird und den Kubus des Raums zu ihrem andern Momente
hat, als jenes sich als erstes Moment, die Sichselbstgleichheit an sich selbst darstellend, an diesem das Entgegengesetzte,
die Ungleichheit der Dreiheit.“
91
Ebd., S.230.
92
Ebd.
93
Ebd., S.232.
103
anderen Mittelpunkt (die Selbstsonne). Hegel nennt diese Einzelheit das Reale; den anderen
Mittelpunkt dagegen das Ideale.
b) Obwohl die Bewegung der Einzelheit fürs Andere ist, muss sie letztendlich als das sich auf sich
selbst Beziehende bewiesen werden, da der ruhige Punkt das Anderssein seiner selbst ist. Diese
Einzelheit kann mit der absolut ruhigen Mitte nur auf eine negative Weise, d.i. durch die
Selbstaufhebung und Selbstberuhigung wiedervereinigt werden. D.h., die Einheit von Raum und
Zeit im real-unendlichen Einzelnen ist an sich negativ. Hegel nennt diese negative, aber reale Einheit
gegen die ideale Selbstsonne nun die Erde. Diese strebt nach ihrem Wesen, d.i. nach der
Selbstsonne.94 Dieses Streben geschieht in der Zeit, denn die Erde ist zwar das Einzelne, aber doch
noch das unendliche und negative Einzelne – oder vielmehr „die absolute Einzelheit“95. Sie muss
sich in der Zeitdauer weiter realisieren. D.h., die Erde muss sich als das wesentlich Reale beweisen,
sonst bleibt sie gegenüber der Sonne immer noch äußerlich. Es muss also bewiesen werden, dass das
Einzelne in der einfach unendlichen Erde auch wesentlich ist. Folglich tritt nun das ganze irdische
System ein, welches eben das System des realen Einzelnen ist.
Zusammenfassend ist festzuhalten: 1. Hegel stellt die Trennung von Raum und Zeit in der
erscheinenden Bewegung dar. Diese Trennung muss als die Äußerung der substanziellen Zeit selbst
im attributiven Raum verstanden werden. Die Verhältnisse der beiden sind hier nur quantitativ. 2.
Diese erscheinende Bewegung muss auch als das Negieren der räumlichen Erscheinung und als das
Zurücktreiben zu der Zeit selbst begriffen werden, indem der Raum im Fall mit der Zeit selbst (Z²)
verbunden wird und dann als Raum und Raum² in der Kreisbewegung mit derselben synthetisiert ist.
3. Diese Synthese in der Kreisbewegung um die Selbstsonne (d.i. um den absolut ruhigen Zeitpunkt)
ist aber eine negative Einheit von Raum und Zeit, die in der absoluten Einzelheit (= Erde)
repräsentiert wird. Die Vereinzelung des absoluten Zeitpunkts bekommt nun erstmals ihre Realität.
Vgl. ebd., S.241: „Die Erde ist also das gegen die Sonne Tätige, sie subsumierende, als negative Einheit“. „Die Erde
als die Mitte der Unendlichkeit, welches sie an ihr selbst ist, hat die Sonne nicht als allgemeines an ihr selbst, sondern
nur als ihren Grund, als ihr Wesen, und ist als Unendlichkeit gegen das Wesen gekehrt und es subsumierend, als
Bestimmtheit oder Identität setzend, und es so in sich setzend, daß es in ihm sei, als eines, das sein Gegenteil gewesen,
und welches es in sich selbst sich genommen hat, das nicht ursprünglich bewegungslos in ihm sei.“
95
Ebd., S.242.
94
104
Im Vergleich mit Schelling 1799 wird bei Hegel 1. die erscheinende Zeit nicht einfach als die
schlechthin reflektierte gesehen, die immer der ewigen Zeit selbst gegenübersteht. Vielmehr muss
die Zeit durch die Selbstnegation und durch das Zurückkehren zur Einheit bewältigt werden. Die
ursprüngliche Einheit, die Zeit selbst (Z²), spielt hier als ein konkretes Moment der erscheinenden
Bewegung eine Rolle. D.h., sie existiert weder im Jenseits noch nur einfach als Urbild, sondern
vielmehr als ein Konstruktionsfaktor der reflexiven und erscheinenden Bewegung. Die beiden
Punkte, d.h. die Tendenz innerhalb der erscheinenden Zeit zum Zurückkehren zur Zeit selbst und die
Kooperation der ursprünglich-zeitlichen Einheit mit der Erscheinung in der reflexiven Bewegung,
helfen Hegel, seine Darstellung von der Schellings zu unterscheiden.
2. Mithin kommt Hegel zur Realität der zeitlichen Einzelheit. Die endliche Zeit, solange sie in der
erscheinenden Bewegung fungiert, ist noch keine reale Zeit, sondern nur die Äußerung der Zeit
selbst. Die Einzelheit wird als die Einzelheit an sich nur dann bewiesen, wenn diese erscheinende
Zeit als die reale Einzelheit (die Erde) verwirklicht wird. M.a.W., das erkannte Ansichsein und die
Realität der Zeit können nur mit der wirklichen Einzelheit zusammengesetzt werden. Allein in der
Doppelheit der Zeit, in ihrer Substanz und in der Erscheinung, wurde das Wesen derselben
schlechthin ideal gesetzt. Nachdem die reale Erde als die negative Einheit oder als die negative
Verwirklichung der Sonne aufgetaucht ist, kommen die Realität und Wesentlichkeit der Zeit erstmals
ans Licht. Bei Schelling sieht dies zwischen 1797 und 1799 hingegen ganz anders aus. Die Realität
der Zeit selbst wird bei ihm von vornherein unmittelbar angeschaut. Undenkbar ist bei Schelling
aber die Bedeutung der Einzelheit und der realen endlichen Zeiten im irdischen System. Im
Folgenden soll nun betrachtet werden, inwiefern diese für Hegel wichtig sind.
3.3.4 Die Zeittheorie Hegels 1804/05 im Teil Mechanik
Im irdischen System wird die konkrete Materie in der endlichen Zeit konstruiert. Sie bekommt darin
ihr wesentliches Ansichsein. Demzufolge wird die endliche Zeit als das reale Anderssein der Zeit
selbst dargestellt.
1. In der Mechanik werden zunächst die Themen „Konstruktion des Körpers oder der Gestalt“ und
„Der Hebel“ behandelt. Sie sind das erste und zweite Moment des irdischen Systems, in dem eine
Wiederholung und Weiterentwicklung der Darstellung der Fallbewegung und Kreisbewegung
105
ausgeführt wird. Sehr interessant dabei ist, dass der Teil Mechanik – statt des Teils „Erscheinende
Bewegung“ – seit 1805/06 der idealen Darstellung von Raum und Zeit direkt folgt. D.h., seit
1805/06 gliedert Hegel die beiden Teile (die erscheinende Bewegung und die Mechanik) in den Teil
„Mechanik“, während 1804/05 die irdische Mechanik noch von der erscheinenden himmlischen
Bewegung unterschieden wird. Hegel führt das realisierte Einzelne und die wirkliche (qualitative)
Kraft also nur in der Mechanik ein, während es in der erscheinenden Bewegung allein die einzelne
und quantitative Erscheinung gibt.
2. Das Einzelne oder das Endliche existiert durch die Trennung von Raum und Zeit in der Bewegung.
Die Erde, die einerseits um die Sonne kreist, die andererseits aber auch die negative und unendliche
Einheit der Kreisbewegung mit dem ruhigen Mittelpunkt repräsentiert, bewahrt in sich selbst
zugleich die Trennung und die Wiedervereinigung von Raum und Zeit. Solange sie sich also in
Raum und Zeit bewegt, bleiben Raum und Zeit für sie noch immer getrennt. Weil sie aber die ganze
Bewegung in sich erfahren hat, hat sie bereits die Einheit der beiden in der zu sich
zurückgegangenen Zeit selbst erkannt.
Die konkreten Momente in der Bewegung der Erde sind das reale Einzelne und der konkrete
Punkt in der endlichen Zeitdauer. Dagegen ist die ganze Bewegung der Erde das allgemeine Gesetz
dieses Einzelnen.96 Die Erde ist der absolute Punkt. „Der Punkt ist von der Bewegung getrennt“.97
Daher hat die Bewegung der Erde in Raum und Zeit zwei verschiedene Bedeutungen: nämlich
entweder als einzelne Momente der Bewegung (in der Zeitdauer) oder als das allgemeine Ganze
derselben (im Zeitganzen). Auf einer negativen Weise werden die beiden synthetisiert und diese
reale Synthese in der Erde wird nun die Schwere genannt.98 In der realen Bewegung dominiert
Vgl. ebd., S.244: „Das Moment der absoluten Bewegung, die Zeit als die Unendlichkeit, ist in der Realisation der
Bewegung in Punkte auseinanderzerstäubt, welche in den Raum aufgenommen, für sich, gegeneinander gleichgültig sind.
Es ist das seelenlose Bild der Unendlichkeit; die Bewegung ist als ganze Sphäre nur ein allgemeines Gesetz, als
Einzelnes existiert sie in ihren Momenten, welche absolute einzelne sind.“ Diese Trennung der räumlich-einzelnen
Punkte von der zeitlichen Unendlichkeit haben wir bereits am Ende der idealen Darstellung von Zeit und Raum und am
Anfang der erscheinenden Bewegung gesehen. Es scheint, dass Hegel hier die Wirklichkeit der Vereinzelung der
absoluten Unendlichkeit darstellen will, währendeer dort die Möglichkeit derselben gezeigt hat. Problematisch ist aber,
dass es diese Trennung von Raum und Zeit in der himmlischen Bewegung tatsächlich schon gibt und dass daher das
Einzelne dort auch faktisch existieren sollte. Jedoch behauptet Hegel 1804/05, dass es kein wirkliches Einzelnes in die
himmlischen Bewegung gibt. Das Einzelne darin ist vielmehr nur das erscheinende Einzelne. Die Frage allerdings ist,
wie man diese bloße Möglichkeit des Einzelnen in der Erscheinung von der Wirklichkeit desselben deutlich
unterscheiden kann, wenn die Trennung von Raum und Zeit in beiden Fällen prinzipiell existiert. Um dieses Problem zu
vermeiden, vereinigt Hegel seit 1805/06 die beiden Teile.
97
Ebd.
98
Vgl. ebd.: „Die Bewegung, so als das Allgemeine, und in ihrer Allgemeinheit so entgegengesetzt, daß sie einmal als
negierte Bewegung, das andermal als Positives sich auf sich bezieht, ist die Schwere.“
96
106
überall die Schwere. Jedes Einzelne treibt in einer bestimmten Zeitdauer zu seinem Schwerpunkt,
der der Angelpunkt der Synthesis der Zeit ist.
Die Bewegung der einzelnen Masse wird am Anfang als der Fall oder die geradlinige Bewegung
zum Schwerpunkt gefasst, weil die Synthese im Schwerpunkt (im absoluten Punkt der Zeit selbst)
noch nicht innerhalb des bewegenden Einzelnen gesetzt ist. Die Bewegung ist noch nicht diejenige,
„welche den Gegensatz der Elemente, der Zeit und des Raums in sich vertilgt hat, aber die
Mannigfaltigkeit des Raums oder die Zeit, insofern sie den Raum differentiiert“. 99 D.h., im Fall löst
der Gegensatz von Raum und Zeit sich noch nicht faktisch auf. Der Schwerpunkt außerhalb der
Masse wird als das Ziel dieser Fallbewegung verstanden, woran die Zeitdauer ihr Wesen bekommen
kann.
In der Wurfbewegung muss das Einzelne sich nicht mehr direkt zum äußerlichen Schwerpunkt
bewegen, wie in der Fallbewegung. Und „die Zeit, der Punkt ist nicht bloß als sich als Linie
produzierend gesetzt oder nicht bloß als gerade Richtung, sondern als ein an ihm selbst Differentes,
nicht ein in sich Reflektiertes, sondern sich in sich Reflektierendes, in seinem Einssein den
Gegensatz an sich habend oder ein anderes, als es selbst ist.“100 D.h., das Einzelne bewegt sich nicht
zum äußerlich gesetzten synthetischen Punkt des Wesens der Zeit. Vielmehr gibt es in ihm bereits
dieses Wesen. Dieses Einzelne ist kein Differentes außerhalb der Einheit, sondern ein „an ihm selbst
Differentes“. Sein Schwerpunkt ist also nicht nur außerhalb von ihm, sondern gleichzeitig auch in
ihm selbst. Daher muss die Wurfbewegung eine Verbindung der geradlinigen Bewegung nach dem
äußerlichen Schwerpunkt und der zentripetalen Bewegung nach dem innerlichen sein. Durch sie
geht der Massepunkt teilweise zu sich selbst zurück.101
In der Pendelbewegung stellt sich das Zurückgehen zum eigenen Schwerpunkt und zum eigenen
Zeitwesen so dar, dass der innerliche Schwerpunkt eben die wirklich innerliche Mitte der Bewegung
des Einzelnen ist. „Die Pendelbewegung ist in der Tat aufgehobene Bewegung, denn sie fällt ganz
innerhalb der Schwere“.102 Bzw. diese Bewegung der Masse kommt immer näher zum Ruhepunkt,
der eben der absolute und wesentliche Zeitpunkt ist. Der Mittelpunkt dieser Bewegung muss dann
eben als der Ruhepunkt bewiesen werden.
99
Ebd., S.248.
Ebd., S.250.
101
Vgl. ebd., S.254: „Die Verdopplung des Punkts im Wurfe ist ein Zurückgehen desselben in ihn selbst.“
102
Ebd., S.255.
100
107
3. Im Hebel „sind alle Momente der Bewegung als einer aufgehobenen, und sie ist als solche
realisiert.“ „So ist sie [die Bewegung] in sich zurückgegangen aus der Bewegung in die Ruhe; aber
diese Ruhe ist so das Extrem der Bewegung oder aus ihr herkommend.“ 103 D.h., im Hebel wird die
Pendelbewegung aufgehoben, indem sie ihren Ruhepunkt durch ihr Medium (d.i. durch die
Bewegung um ihren Mittelpunkt) letztendlich erreicht. Jedoch ist diese Aufhebung nur im extremen
Fall erreichbar, bzw. die Ruhe wird eigentlich als ein drastischer Erfolg der Bewegung gesehen.
Daher gilt: „Die zur Ruhe reduzierte Bewegung hat für sich selbst ihre ursprüngliche
Entgegensetzung gegen ein Anderes noch nicht abgelegt.“104 Sie reduziert sich zwar zur Ruhe,
dauert aber als das reale Einzelne in diesem Beruhigungsprozess immer noch fort. D.h., der Hebel
vertritt die Dialektik von der Ruhe und der Bewegung. Er ist also ein mechanischer Kraftwandler,
bestehend aus einem starren Körper, der an einem Angelpunkt drehbar befestigt ist. Der befestige
Angelpunkt meint einen absolut ruhigen Punkt. Zugleich bewegt sich der Kraftwandler aber auch
um den Angelpunkt. Im Hebel wird die Zeitdauer der Bewegung der verschiedenen Einzelnen nicht
beendet. Vielmehr müssen sie weiter gegeneinander kämpfen, um die Realität des absolut ruhigen
Wesens zu bewahren. Also:
„Die Be egung der Bewegung zur Ruhe muß die umgekehrte sein und die Einseitigkeit jenes
Übergehens aufheben, und die Ruhe sich ebenso als Bewegung [erkennen], wie die Bewegung
si h als Ruhe erka
te.“
Das ruhige Wesen oder der absolute Zeitpunkt wird allein als der Erfolg der Bewegung real erkannt,
genau wie die Bewegung in der Zeitdauer wesentlich nur zum Ruhepunkt gesetzt werden kann.
Ruhe und Bewegung, Zeitwesen und Zeitdauer wirken aufeinander.
Fürs ruhige Wesen existiert die Zeitdauer der Bewegung des Einzelnen (als das Andere der
absoluten Ruhe) daher auch wesentlich. Oder besser formuliert: Diese Zeitdauer des Einzelnen wird
nun als das Wesentliche für die Konstruktion des realen Körpers betrachtet. Die Einzelheit ist „das
103
Ebd., S.257. Ziche unterstreicht, dass der Hebel in den Jenaer Systementwürfen und der Enzyklopädie jeweils im
systematischen Zusammenhang mit anderen Bewegungsformen behandelt wird. In der Jenaer Zeit „wird insbesondere
das Konzept der Selbstbestimmung von Bewegung, der Begriff des Körpers und die damit verbundene Idee der
Internalisierung von Bestimmungen entscheidend.“ (Ziche, Mathematische und naturwissenschaftliche Modelle in der
Philosophie Schellings und Hegels, S.253) Und „entscheidend ist hierbei, daß am Hebel die verschiedenen
Bestimmungsstücke der Bewegung in einem Körper vereinigt und so zu Momenten dieses Körpers werden.“ (Ebd.,
S.256) Diese wesentliche Änderung im Vergleich zur Darstellung in der Dissertatio von 1801, bedeutet m. E. eben die
Hervorhebung des Endlich-Einzelnen.
104
Hegel, Jenaer Systementwürfe II, S.258.
108
Wesen des Körpers“105, insofern sie den leeren Raum erfüllt und den ideell gesetzten Ruhepunkt
realisiert. Mit der Entstehung des wesentlichen einzelnen Körpers bekommt also die Einheit von
Raum, Zeit, Bewegung und Materie ihre wesentliche Realität dadurch, dass der in der Zeitdauer
erfüllte Raum, d.i. die Materie oder die Masse, nun nach der Bewegung des einzelnen Körpers
erstmals komplett hervorgerufen wird. Das bedeutet zugleich, dass nicht nur der ruhige Zeitpunkt
oder der absolut innerliche Schwerpunkt das Wesen der räumlichen Bewegung ist, sondern vielmehr
dass umgekehrt die räumliche Bewegung (als das reale Sein des Körpers) auch das Wesen der Zeit
ist. Die räumliche oder zeitdauernde Bewegung negiert zunächst das einfache Wesen der Zeit, wird
dann aber im extremen Ruhepunkt der Zeit wiederum selbst negiert. Die beiden Negationen sind für
die Konstruktion der Realität der Masse wesentlich. Die Zeit und der Raum konstruieren ihr Wesen
füreinander, indem sie ineinander aufgehoben werden. Dazu schreibt Hegel:
„[…] i
ei zel e Körper oder ielmehr in der Masse, insofern sie die Einzelheit des Körpers
an ihr hat, ist Raum und Zeit überhaupt nach ihrem sich Trennen und Abschneiden aufgehoben.
Es ist in dem Raume die absolute, reale Negation desselben; sie ist selbst räumlich, und
ebenso ist er unter sie subsumiert und in der Einzelheit der Masse absolut vertilgt. Ebenso die
Zeit, – und der erfüllte Raum ist die dauernde Zeit oder die Zeit ebenso als aufgehoben. Aber
beide sind mit dem Unterschiede aufgehoben, daß der Raum nach seiner positiven Natur als
das Sichselbstgleiche in seinem Aufgehobensein sich selbst gleich und von seinem Gegenteil
erfüllt ist, die Zeit hingegen als das Gegenteil ihrer selbst nur das Negative, die Totalität der
Dimensionen des Körpers, das Bild der Unendlichkeit darstellt und als existierende
Unendlichkeit, als solche, darin untergeht, indem sie hier in dem Bestimmtsein des
Aufgehoben seins ist, der wesentlichen Bestimmtheit des Raums, aber der entgegengesetzten
der )eit.“106
D.h., der erfüllte Raum (die einzelne Masse) existiert in der dauernden Zeit, insofern er sich in der
Zeit bewegt und durch seine Bewegung nach dem ruhig-befestigen Zeitwesen strebt. Die Zeit
repräsentiert den aufgehobenen Raum, insofern sie die Realität der Bewegung des Endlichen in
ihrem unendlichen Wesen bewahrt. Die beiden sind Eins, zugleich aber auch Zwei. Eins sind sie,
105
106
Ebd.
Ebd., S.259.
109
weil die Unterschiede schon in der Einzelheit negiert werden; zwei, weil sie trotzdem einander
entgegengesetzt sind, um die Realität und Wesentlichkeit füreinander zu schaffen.
Die absolute Bewegung ist nun die Bewegung des Einzelnen zur Ruhe und wiederum aus
derselben heraus. Sie heißt bei Hegel der Kreislauf. „Ihre [der Bewegung] Einzelheit ist, ganzer
Kreislauf zu sein, oder eben die Einzelheit selbst ist das Aufheben der Entgegensetzung.“107 Im
Kreislauf werden Raum und Zeit synthetisiert. Diese reale Synthese kann nur durch das reale
Einzelne oder Endliche erkannt werden, das nunmehr wesentlich an sich ist.
Zusammenfassend lässt sich festhalten: Die Einheit von Raum, Zeit, Bewegung und Materie kommt
im Teil „Mechanik“ durch das wesentliche Endliche zustande, das nicht mehr die erscheinende
Größe, sondern vielmehr die reale Kraft der Natur repräsentiert. Die wichtigen Punkte dazu sind: 1.
Die Trennung von Raum und Zeit (mithin die Trennung von Bewegung und Ruhe) muss durch die
Konstruktion der irdischen Gestalt wirklich gezeigt werden. In der Fall-, Wurf- und
Pendelbewegung kommt der sich räumlich bewegende oder zeitlich dauernde Körper immer näher
zu seinem innerlichen Schwerpunkt und zu seinem absoluten Zeitwesen. Schließlich werden 2.
Raum und Zeit, mithin Bewegung und Ruhe, durch den Hebel und den Kreislauf in ihrer
Wechselwirkung synthetisiert. Die Bewegung und die Ruhe sind gleich wesentlich, genauso wie die
Zeitdauer und das Zeitwesen.
Im Vergleich zu Schelling taucht 1. die reale Zeit qua realer Naturkraft erst im irdischen System auf.
Also redet Hegel 1804/05 gar nicht von Anfang an von der Schwerkraft im Sinne der Zeit selbst. Für
ihn kann die Realität der Zeit selbst qua realer Kraft nicht ursprünglich existieren, sondern muss erst
einmal durch eine lange Entwicklung der Natur zutage kommen. Anders gesagt: Während Schelling
1799 die Zeit selbst als die substanzielle Kraft schätzt und sie dann als die Gewährleistung der
Realität der reflexiven Zeitdauer beurteilt, darf die Zeit bei Hegel am Anfang nur ein abstrakter
Begriff sein, der noch keine wirkliche Gestalt hat. Gegen diesen abstrakten Begriff wird die
Zeitdauer oder das zeitliche Endliche bei Hegel als das Wirkliche gesehen. Dieses Endliche
begründet die Realität des Zeitwesens durch seine Bewegung und seine Kraft. Der Kernpunkt des
ontologischen Beweises in der Naturphilosophie wird also vom unendlichen Zeitwesen bei Schelling
107
Ebd., S.264.
110
an die endliche Zeitdauer bei Hegel herangerückt. Demensprechend wird die Zeit nicht nur aufgrund
des Zeitwesens, sondern auch aufgrund der endlichen Zeitdauer erst real daseiend. Das zeitliche
Endliche ist das Wesentliche. D.h., das Endliche qua Zeitdauer hat seine Essenz in sich selbst.
Demzufolge ist die Trennung von Raum und Zeit (mithin von Bewegung und Ruhe) nicht nur
erscheinend oder bloß attributiv, sondern wirklich und wesentlich. Das endliche Einzelne mit seiner
Zeitdauer ist für die Realität der Bewegung genauso wichtig wie das unendliche und ruhige
Zeitwesen. Sonach bedeuten der Kreislauf und die Wechselwirkung von Raum und Zeit oder von
Zeitdauer und Zeitwesen hier keine vollendete Synthesis von Endlichem und Unendlichem, sondern
allein die Synthesis innerhalb der Endlichen.
2. Eben wegen der Bedeutung des Endlichen ignoriert Hegel – anders als Schelling – die Mechanik
nicht. Die Mechanik ist für Schelling überhaupt nicht wichtig, weil für ihn alles, was durch die
immanente Unendlichkeit produziert wird, niemals als ein wesentlich Äußerliches oder ein
ansichseiendes Anderssein gesehen werden darf. Dagegen wird der Spielraum der Mechanik bei
Hegel dadurch hervorgerufen, dass das wesentliche-äußerliche Dasein des Endlichen (als das
Anderssein der Unendlichkeit selbst) nunmehr seinen ontologischen Sinn bekommt. D.h., das
Anderssein der Natur, insofern es die Realisierung der logisch-metaphysisch gesetzten
Unendlichkeit in seiner zeitlichen Entwicklung durchführt, existiert nicht einfach im Geist, sondern
vielmehr als das Andere des Geistes selbst außerhalb desselben. Dieses natürliche Anderssein
bekommt seine Realität und seinen ontologischen Sinn durch das reale Endliche in der Zeitdauer,
keineswegs direkt durch die Unendlichkeit im Zeitwesen. D.h. in der Natur muss es das Gebiet des
zeitlichen Endlichen geben, wo das Endliche wesentlich außer der Unendlichkeit des Geistes
herrscht und wo es als das wesentliche Endliche mechanisch wirkt.
Wegen des Auftretens des Kreislaufs am Ende der Mechanik bekommt jedes Einzelne die
Gelegenheit, eine innerliche Wirkung in sich selbst zu tun, indem das irdische Einzelne nun seinen
Mittelpunkt in sich selbst findet und dieses darum umkreist. Diese innerliche Bildung des Einzelnen
wird dann im Prozess der Materie und in der Physik gezeigt.
111
3.3.5 Die Zeittheorie Hegels 1804/05 im Prozess der Materie und in der Physik
Die Teile „Prozess der Materie“ und „Physik“ sind in der Naturphilosophie 1804/05 am
kompliziertesten. An dieser Stelle werden nur die kurzen Absätze diskutiert, die direkt die
Zeittheorie behandeln.
1. Der Prozess der Materie fängt mit der Verinnerlichung als Kreisbewegung an. In der
Kreisbewegung sind das ruhige Ganze und das bewegende Ganze immer noch entgegengesetzt und
wechselwirkend. Das ruhige Ganze wird von Hegel der „Ton“ genannt, der das ruhige Zeitwesen
(die „einfache Zeit“108) oder den absoluten Schwerpunkt bedeutet; dagegen wird das bewegende
Ganze die „Flüssigkeit“ genannt, die in der Zeit und in dem Raum zum absoluten Schwerpunkt hin
„fließt“.
Zwischen Ton und Flüssigkeit gibt es einen neuen Gegensatz innerhalb des Einzelnen, nämlich
den Gegensatz der in äußerlich-zeitlichen Gestalten existierenden Schwere. Dazu schreibt Hegel:
„Das Wese des ei zel e Körpers als ei es sol he ist das Spezifische der Schwere; es ist
seine absolute Bestimmtheit, nicht ein Äußerliches, sondern wodurch er dieser ist, nicht etwas,
das o ih
a gestreift erde ka
.“109
D.h., das Einzelne ist jetzt das absolut In-sich-Seiende mit seiner spezifischen Schwere. Im
einzelnen Körper vertritt diese spezifische Schwere das Wesen des Tons und der Zeit selbst, durch
die die Materie als realer Schwerpunkt innerhalb des einzelnen Körpers ihre konkrete Gestalt
bekommt.110 Aber das ist nur eine Seite der Sache. Auf der anderen Seite muss diese innerliche
spezifische Schwere wiederum in die Bewegung oder in die Flüssigkeit gesetzt werden. D.h., sie
muss – genau wie die Zeit selbst – noch einmal verräumlicht werden, um die Realität des einzelnen
Körpers zu bewahren. Denn allein kraft der spezifischen Schwere bleibt die Gestalt des einzelnen
Körpers ideal, insofern sie nur auf der idealen Seite des Tons und des Zeitwesens liegt. Dieses
Zeitwesen oder dieser Ton muss dann auch in dem Anderssein seiner selbst, d.i. in der Flüssigkeit
oder in der räumlich-zeitlichen Dauer bewiesen werden. Diese Dauer der Zeit selbst im Raum, oder
das Einzelne in seinem innerlichen Anderssein, heißt nun der reale Prozess oder Chemismus. Hegel
108
Ebd., S.269.
Ebd.
110
Vgl. ebd., S.270: „Diese Einheit der Schwere und des Tons, und zwar die Einheit der gedoppelten Einheit, nämlich
derselben als spezifischer Schwere und derselben als Ausdrucks der Raumdimensionen: seiner Unendlichkeit oder die
Zeit an ihm selbst, ist die Gestalt“.
109
112
sagt selbst dazu, dass der Chemismus in der absoluten Flüssigkeit den Übergang der Zeit in den
Raum verwirklicht.111
2. Die ideale Gestalt im Ton und ihre chemische Realisierung in der Flüssigkeit müssen
wiedervereinigt werden. „Das Reale ist dieser ganze Gang“ 112 des Kreises zwischen Ton und
Flüssigkeit. Als die Einheit der beiden wird dies Reale nun von Hegel das Physikalische genannt.
In der Physik muss jedes Einzelne an sich als ein Ganzes gesehen werden. Dieses an sich selbst
als eine Totalität seiende Einzelne sind „die physikalischen Elemente“113: Feuer, Wasser, Luft und
Erde. Die Erde ist nicht nur eines der vier Elemente, sondern sie ist zugleich auch das wirkliche
Anderssein der geistigen Sonnen und die negative Einheit. Diese negative Einheit bekommt ihre
Realität erst in der Physik, und zwar dadurch, dass sie nunmehr auch die Einheit der Elemente wird.
Demzufolge:
„Der Prozess der Erde als der Totalität dieser Ele e te ist der Prozess ihrer Gestalt u d
ebendarin ein Prozess ihres sich auf sich selbst Beziehens oder ihrer Ruhe. Die Erde als diese
Totalität ist der existierende Geist, aber der es nicht für sich selbst, und also nicht an sich Geist
ist, so der
ur für u s [ist] es, oder das A derssei des Geistes.“
„Sie ist i diese
Mo e te sel st reell das Ga ze“.114
Dieses reale Ganze bewegt sich zwar immer noch, doch erreicht es bereits seinen innerlichen
Mittepunkt. D.h., es existiert einerseits in der Zeitdauer, ist andererseits aber bereits am ewigen
Zeitwesen angelangt. Das o. g. Ganze existiert also in der ewigen Dauer ohne Zeit. Die Erde
bekommt mithin diese Bestimmtheit, „die an ihr dauert, der Zeit sich entzogen hat“. „Diese Dauer
der Momente, das Aufgehobensein der Zeit, ist die formale Allgemeinheit, in welcher die Erde
existiert als solche“.115 Hegel erklärt aber sofort, dass sie nur formal gesehen so existiert, konkret
gesehen muss sie doch auf irgendeine Weise in der endlichen Zeitdauer sein, denn sonst wäre dieses
Ganze leer. „Die Macht der Erde oder die irdische Zeit ist das Feuer und das Regierende oder der
Vgl. ebd., S.277: „Die so zurückgekehrte Gestalt hat ihre Einzelheit verloren und sich in ihren Momenten in die
Flüssigkeit ausgebreitet; es ist der Übergang der Zeit in den Raum, deren Momente in diesem Dimensionen werden,
bestehende, unterschiedene Momente.“
112
Ebd., S.278.
113
Ebd., S.279.
114
Ebd., S.325.
115
Ebd.
111
113
Begriff des Prozesses der Erde selbst.“116 Das Zeit-Feuer regiert also den realen Prozess der Erde,
worin die Erde noch nicht zur formellen Allgemeinheit gekommen ist.
Sobald die Erde aber als die allgemeine Erde existiert, wird das Feuer des irdischen Prozesses
gelöscht. Dazu schreibt Hegel:
„Die Erde also als diese Totalität stellt nur das Bild des Prozesses ohne den Prozeß selbst dar;
das Feuer desselben ist verloschen, und die Zeit hat keine [andere] Macht über die Gebilde als
die allgemeine äußere, welche sie über das Einzelne als solches hat, aber nicht über sie als
allge ei e, de
ihre Allge ei heit ist die i differe te.“117
Diese allgemeine Zeit oder die ewige Dauer ist noch keine wirkliche Ewigkeit des Geistes, sondern
bleibt nur in ihrem Formalismus und in ihrer Leerheit. Denn:
„[D]er Prozess selbst ist also für diesen Inhalt eine Vergangenheit; ihn durch die Zeit zu bleiben
und die Momente seines Bildes als eine Folge vor[zu]stellen, greift nicht in den Inhalt derselben
selbst ein. Denn die Zeit ist der ganz leere Prozeß, eine Abstraktion desselben, für welche die
realen Momente desselben etwas absolut Besonderes sind, ein Inhalt, die nicht die Idee der
)eit sel st ist.“118
In der ewigen Dauer gibt es also nur die Gebilde des Inhaltes, insofern das in der Zeit real
Existierende (das Feurige) absolut negiert wird. In den kalten Gestalten der Erde, also in den
mineralogischen Formen derselben, gibt es nur Nachbilder des einstmals lebendigen Feuers der Erde.
Der physische Inhalt wird nun allein durch diese abstrakte und tote Erde repräsentiert. Diese
abstrakte Repräsentation, weil sie ruhig und wesentlich ist, ist die Idee der Zeit selbst, die aber nicht
die reale Zeit sein muss.
Diese formelle Zeit selbst der Erde ist also überhaupt nicht lebendig, sondern tot. Sie ist auch kein
wirklicher Geist. Was hier noch fehlt, ist eben die Lebendigkeit oder der Organismus, der zur
geistigen Zeit selbst führt. 1804/05 stellt Hegel diese organische Zeit gar nicht dar. Obwohl der
Organismus in der Naturphilosophie 1803/04 schon existierte und dann 1805/06 weiter ausgeführt
wird, gibt es ihn 1804/05 nicht. In der Forschung über die Naturphilosophie Hegels 1805/06 wird
die Rolle der Zeit vor allem dahingehend verstanden, dass durch sie der Übergang von der
natürlichen Zeit zur geistigen Zeit überhaupt begreifbar werde.
116
117
118
Ebd., S.326.
Ebd.
Ebd.
114
Bevor im Folgenden die Zeittheorie Hegels von 1805/06 dargestellt wird, seien zunächst noch
einmal die Ergebnisse zur Fassung von 1804/05 kurz zusammengefasst.
In der Jenaer Naturphilosophie 1804/05 erbringt Hegel den ontologischen Beweis des Geistes, der
bei Kant und Fichte fehlt.119 Unter dem Einfluss Schellings liefert Hegel diesen Beweis durch die
natürliche und reale Einheit von Raum, Zeit, Bewegungskraft und Materie. (Dagegen war diese
Einheit 1801 noch bloß subjektiv oder geistig.) Die Genealogie der realen Natur in der Zeit heißt die
Realisierung dieser Einheit. Im Vergleich mit Schelling 1797 erhält der Naturbegriff 1804/05 bei
Hegel eine ganz neue Bedeutung: Er ist das Anderssein des Geistes selbst. Die Natur ist der Geist,
weil sie als eine metaphysische unendliche nur in der geistigen Bestimmtheit konkret erkannt
werden kann. Sie ist aber das Anderssein desselben, weil sie sich selbst noch nicht erkennt, sondern
allein existiert als eine dunkle Macht gegen die begrifflich klare Logik-Metaphysik sowie gegen die
noch zu erklärende Philosophie des Geistes. Das erste Moment des Andersseins des Geistes selbst ist
der Äther. Er bleibt am Anfang völlig abstrakt und ideell. Um sich zu verwirklichen, spricht er sich
selbst in Raum und Zeit aus. Als sein Ausspruch sind Raum und Zeit am Anfang nur ideell. Danach
werden die Beziehungen von verzeitlichendem Raum und verräumlichender Zeit sowie die
Doppelheit der Zeit überhaupt dargestellt. Das ideelle Zeitwesen oder der absolute Zeitpunkt
erscheint
in
der
räumlich-zeitlichen
Dauer.
Die
erscheinende
Bewegung
heißt
die
räumlich-zeitlich-quantitative Bewegung der Masse. Weil die wirkliche Bewegung erst in der
mechanischen Bewegung derselben eruiert wird, bleibt die Wirklichkeit darin äußerlich, solange die
zeitdauernde Masse ihr Zeitwesen noch nicht in sich selbst bekommen hat. Die quantitative
Einzelheit in der Erscheinung und die wirkliche Einzelheit in der realen Mechanik sind keine völlig
realisierten. Der Unterscheid zwischen ihnen liegt darin, dass die letztere Einzelheit bereits das
wesentliche Endliche ist. Die weitere Realisierung des zeitlichen Einzelnen geschieht im Prozess der
Materie und in der Physik. Nachdem das Einzelne sein Zeitwesen in der innerlichen Bewegung
verwirklicht hat, hat es als die kalte Erde auch seinen feurig lebendigen Zeitprozess aufgehoben. Das
in der Physik erreichte Zeitwesen ist das tote, das weder der Geist selbst noch das geistige Zeitwesen
ist. Jedoch existiert dieses Zeitwesen in der abgeleiteten Natur, während die zeitlich-abgeleitete
119
1803/04 gab es bei Hegel zwar bereits diesen ontologischen Beweis, jedoch war er dort in seiner Zeittheorie noch
nicht ganz klar und ausführlich formuliert.
115
Natur (natura naturata) bei Schelling 1799 überhaupt nicht zur zeitwesentlichen Natur (natura
naturans) zurückkehrt; eine innerliche Dialektik der gedoppelten Zeit gibt es bei Schelling also nicht.
Allerdings stellt Hegels Naturphilosophie 1804/05 noch nicht die lebendige Zeit im Organismus dar.
116
Kapitel 4
Hegels Darstellung der Einheit von Kraft, Zeit, Raum, Bewegung und Materie von
1805/06
Hegels Zeittheorie von 1805/06 unterscheidet sich von Anfang an von derjenigen in der
Naturphilosophie 1804/05: Im Entwurf von 1805/06 fehlen die Teile „Logik-Metaphysik“ und „das
Sonnensystem“. Die Einheit von Raum, Zeit, Bewegung und Materie wird von vornherein in der
Mechanik dargestellt. Eine andere wichtige Veränderung ist, dass der Anfang der Mechanik nicht
mehr in der Zeit, sondern im Raum liegt. Was diese Veränderungen genau bedeuten, soll im
Folgenden detailliert erläutert werden.1
4.1 Die Zeittheorie Hegels 1805/06 am Anfang der Realphilosophie
Hegels Überlegungen von 1805/06 beginnen mit der Beziehung zwischen der Materie überhaupt
(dem Äther) und dem seligen Geist. Wie bei Schelling 1797 und in den eigenen Entwürfen von
1804/05, definiert Hegel diese absolute Materie der Natur als den „bestimmungslose[n] selige[n]
Geist“2. Darüber hinaus ist der Äther auch „das aus dem Anderssein ewig in sich zurückgekehrte
Wesen“, „die Substanz und Sein aller Dinge“, „ist selbst Alles, denn er ist das Sein.“ 3 Als die alles
umfassende Substanz ist er das Unendliche, das „die Idee als das in seinen Begriff zurückgegangene
1
H. Kimmerle argumentiert, dass besonders die letzte Veränderung für die Zeittheorie zentral ist. Wenn Hegel seit
1805/06 die Zeit „nach dem Modell des Raums“ denkt, ist die Zeit nicht mehr die reale Zeit in der Natur, sondern der
„absolute Begriff selbst“ (Kimmerle, Georg Wilhelm Friedrich Hegel interkulturell gelesen, S.60f.). Demnach hätte
Hegel bereits seit 1805/06 durch die Verräumlichung der Zeit die konkrete Zeit vertilgt. Raum und Zeit wären nur
abstrakt, nicht mehr konkret (vgl. ebd., S.50-54 und S.60-62). Im Text Kann Zeit getilgt werden? legt Kimmerle
weiterhin dar: „Die Zeit wird nach dem Modell des Raums gedacht. Dabei ist entscheidend, dass die drei Dimensionen
des Raums ohne inhaltliche Bestimmtheit aufgefasst werden. Der Raum bildet gewissermaßen eine leere Schachtel, die
beliebig gefüllt werden kann. […] [So verhält es] sich in Hegels Systementwürfen seit der Realphilosophie von 1805/06,
in denen von Raum und Zeit als Bedingungen des leeren Anschauens gesprochen wird, bei denen die quantitative
Bestimmung des Raums die quantitativen Momente der Zeit gewissermaßen in sich aufsaugt.“ (ders., Kann Zeit getilgt
werden? In: Hegel-Jahrbuch 2001, S.259) M. E. ist diese Argumentation nicht besonders überzeugend, denn 1. gibt es
die Verräumlichung der Zeit auch 1804/05; 2. wird die Zeit eigentlich in der ganzen Natur konkretisiert und nicht nur am
Anfang der Naturphilosophie; und 3. geschieht die Tilgung der Zeit nicht wegen der Abstraktion der Zeit, sondern, wie in
Kapitel 5 gezeigt werden wird, wegen der Verinnerlichung der natürlichen Zeit in die sprachliche Kategorie.
2
Hegel, Jenaer Systementwürfe III, S.3.
3
Ebd.
117
Dasein“4 bedeutet. D.h., der Äther wird eigentlich als das Anderssein der Idee oder der unendliche
Begriff gesetzt, der das Sein in allem Dasein vertritt. Während das „Sein“ 1805/06 stark betont wird,
wird die Ebene des „Werdens“ des Äthers und der Natur im Vergleich mit der Naturphilosophie
1804/05 erstaunlicherweise nicht mehr akzentuiert. Wurde die Natur 1804/05 als das zum Geist und
auch zum Selbstbewusstsein „werdende Wesen“ angesehen, so erscheint sie nun als das „ewig in sich
zurückgekehrte Wesen“, das bereits vorhanden ist. Ferner hält Hegel den Äther nunmehr bereits für
Selbstbewusstsein,5 das 1804/05 noch schlechthin zum Geist selbst gehörte.
1. Die Darstellung des Äthers von 1805/06 ist von der Darstellung von 1804/05 gleichwohl nicht
wesentlich verschieden. Denn Hegel betrachtet dieses Selbstbewusstsein keineswegs als das reale, da
es „als seiend überhaupt, nicht als seiend oder reell bestimmt“6 ist. D.h., das wesentliche Sein des
Äthers wird nur als das Seiende überhaupt erfasst, mithin kann sein Selbstbewusstsein auch nur
ideell sein, nicht also konkret, d.h. ohne Erkenntnis des wirklichen Daseins. Allein durch den Geist
kommt dieses Selbstbewusstsein der absoluten Materie zu seiner Realität, da das Seiende überhaupt
nur durch den Geist sein Dasein wirklich erkennen kann. Dazu schreibt Hegel:
„Diese Besti
theit des i ht daseie de Sei s geht i das Dasei ü er, u d das Ele e t der
Realität ist die allgemeine Bestimmtheit, in welcher der Geist als Natur ist: das innere Wesen,
der Äther ist nicht da; oder die Innerlichkeit seines Insichseins ist nicht seine Wahrheit; ebenso
4
Ebd.
Der Äther ist, so Hegel 1805/06, „in sich, oder reines Selbstbewusstsein“ (ebd.). Vgl. dazu auch Grießer: „Die
Zeitdialektik [ist] in JS II vom werdenden Wesen geprägt; schon ein äußerer Vergleich mit der Zeitdialektik in JS III zeigt,
daß […] das Wort Reflexion bzw. reflektiert [in JS II] sechs Mal vorkommt, dagegen JS III kein einziges Mal.“ (W.
Grießer, Geist zu seiner Zeit, S.266) Es scheint tatsächlich so, dass Hegel seit 1805/06 die Natur nicht mehr für die
reflektierte, sondern für die selbsterkennende hält. Grießer behauptet weiter, dass Hegel die Natur nun als die reale
Natur ohne Hilfe der zeitlichen Reflexion auffasst, während er sie 1804/05 noch in der reflexiven Zeit des Geistes setzt.
M. E. ist diese Behauptung von Grießer zwar richtig, unterschätzt aber, dass Hegel die Natur und den Äther noch immer
als das zum Geist Seiende überhaupt begreift, das zwar an sich wesentlich und sich selbst erkennend ist, doch kein
wirklich geistiges Wesen in sich hat. (Deshalb redet Hegel vom wirklich geistigen Zeitwesen erstmals am Anfang der
Philosophie des Geistes von 1805/06.) Das wesentliche Sein der absoluten Materie ist jetzt auch nur das zum Geist
Werdende. Hegel nennt diese Materie nicht mehr die reflektierte, weil er m. E. die Wesentlichkeit des Seins und des
Daseins (d.i. des Endlichen) der Natur nunmehr von Anfang an feststellen will, die 1804/05 erst in der Mechanik
erscheint. D.h., das Sein und das Dasein der Natur werden nicht mehr als reflexives Sein oder Dasein angesehen, weil es
1805/06 die erscheinende Bewegung im Sonnensystem nicht mehr gibt, die tatsächlich nur attributiv und reflexiv, aber
niemals wesentlich ist. Das ist eine entscheidende Entwicklung der Hegelschen Überlegungen, die sich gegen die
Schellingsche Zeittheorie von 1799 (genauer: gegen die Doppelheit der Zeit von substanzieller Zeit in der Anschauung
und attributiver Zeit in der Reflexion bzw. Erscheinung) richtet, da die erscheinende Zeit für die Darstellung der
Naturphilosophie nicht mehr nötig ist.
6
Hegel, Jenaer Systementwürfe III, S.3. In diesem Sinne wird das Selbstbewusstsein noch nicht wie 1807 wirklich
geistig dargestellt, weil es in diesem Bewusstsein immer noch ein Anderssein des Geistes selbst gibt, das nicht
aufgehoben ist.
5
118
wie die Bestimmung, an sich zu sein, seine Wesenheit ausdrückt, welche der Form
e tgege gesetzt ist.“7
Dieses Selbstbewusstsein ist m. E. dann als eine abstrakte Bestimmung des Äthers, dessen inneres
Wesen noch leer und formell bleibt, insofern das konkrete Dasein oder die Wahrheit des Seienden
überhaupt noch nicht im Geist realisiert ist. Diese abstrakte Bestimmung des Äthers existiert 1804/05
selbstverständlich auch. Durch ihre Konkretisierung muss sie 1805/06 zum Geist werden. Sein
Wesen und sein Selbstbewusstsein müssen durch die ganze Natur hindurch erst geworden sein,
obwohl dieses Wesen hier von Hegel ausdrücklich das Sein überhaupt genannt wird. 1805/06
orientiert sich die Äthertheorie also genau wie die von 1804/05 an dem wahrhaften und wirklichen
Wesen der natürlichen Materie im Geist selbst.
2. Zugleich gibt es wegen des Selbstbewusstseins des Äthers doch einen Unterschied zwischen der
Darstellung desselben von 1804/05 und der Darstellung von 1805/06. Während Hegel 1804/05 –
gegen seine Argumentation des subjektiv-formellen Begriffs der Zeit in uns von 1801 – den
logisch-metaphysisch vorausgesetzten, aber natürlich seienden Begriff gegen uns betont,8 kehrt die
subjektive Bedeutung dieses Begriffs 1805/06 in die Naturphilosophie deutlich zurück – und zwar in
erster Linie im Begriff des Selbstbewusstseins des Äthers:
„Der daseie de Äther ist u
ittel ar der Rau . Daß der Raum als diese einfache Kontinuität
unmittelbar mit dem Ich eins ist, dadurch ist die Anschauung gesetzt“.
Gleichzeitig geht uns „aber diese Bemerkung […] hier nicht [an]; sondern es ist dies die
Bestimmtheit dieser Kontinuität, da zu sein; und als von Ich hierin unterschieden ist er Raum“.9 D.h.,
trotz der Ichheit (der Subjektivität oder der formellen Anschauung) bedeutet die Materie nun – nicht
wie 1801 – auch das natürliche (hier räumliche, später aber auch zeitliche) Daseiende. In der
absoluten Materie gibt es also sowohl die Subjektivität und Anschauung des Ich als auch das
natürliche Dasein als das Andere des Geistes selbst. Die Natur existiert nunmehr sowohl in uns und
für uns als auch gegen uns und an sich. Diese neue Darstellung deutet die Verbindung der
7
Vgl. ebd., S.3f.
1804/05 hat die Anschauung vom „Ich“ oder „Wir“ in der Natur noch keinen Platz. „Der Geist als das Eins dieser
Prozesse, als Ich, ist das in der Natur nicht Existierende.“ (Vgl. Hegel, Jenaer Systementwürfe II, S.199.) Obzwar Hegel
das Ich dort auch für die Einheit desselben mit dem natürlichen Prozess hält, unterstreicht er doch die Entgegensetzung
der Idee der Natur gegen den Geist. Die subjektive Anschauung des Ich ist 1804/05 also für Hegel kein entscheidender
Punkt.
9
Hegel, Jenaer Systementwürfe III, S.4.
8
119
räumlich-zeitlich daseienden Materie mit dem Ich in der Phänomenologie des Geistes 1807 bereits
an.
Im Vergleich mit der Darstellung 1804/05 wird hier erstens das Selbstbewusstsein der absoluten
Materie mit seinem Für-uns-Sein und seinem Ansichsein zugleich festgestellt und zweitens wird der
phänomenologisch-geistige Sinn statt des logisch-metaphysischen Sinns am Anfang der
Naturphilosophie angedeutet, indem der Begriff der seienden Materie in ihrem Dasein nicht von
einem vorlaufenden logisch-metaphysischen Prozess abgeleitet, sondern vielmehr in der
erfahrungsmäßigen Anschauung gefunden wird.10 Durch dieses angeschaute Für-uns-Sein im Äther
wird das Selbstbewusstsein des Äthers erklärt. Oder anders formuliert: Der Äther kann sich selbst
wissen, weil sein Dasein – für uns – geistig erkennbar und – für ihn selbst – im Geist zu erkennen ist.
Dieser Äther ist das Selbstbewusstsein, weil wir wissen, dass er zwar noch kein Geist selbst ist,
jedoch seine Erkenntnis im Geist die eigene Erkenntnis von ihm selbst bedeuten würde. Eben in
diesem Sinne wird er an sich aber für uns als das Selbstbewusstsein festgestellt: An sich ist er das
von uns abstrahierte Ansichsein, das als das Anderssein des Ich selbst ausgelegt wird; für uns ist er
dann der erkannte Gegenstand; für sich selbst ist er dann aber lediglich das noch bestimmunglose
Selbstbewusstsein, dessen Bestimmung nur im Geist völlig zum Ausdruckt gebracht werden kann.
Ferner: Das Selbstbewusstsein des Seienden überhaupt bekommt sein Selbst, indem es als die
absolute Materie an sich identifiziert wird. Das Bewusstsein erkennt dieses Ansichsein als das
Andere des Geistes selbst. Dieses Andere existiert aber auch im Bewusstsein, weil es für mich immer
schon als der Gegenstand der Anschauung gesetzt wird. Diese Anschauung des Ich steht daher zur
Verfügung des Für-uns-Seins der absoluten Materie. Der Raum (und auch die Zeit) ist in diesem
Zusammenhang sowohl das Reale im Sein als auch das Ideale in der Anschauung. Dieses ideale
Grießer sieht beide Punkte und betont: „Auch innerhalb des eigentlichen Ausführungsteils sind wir – und hier sind es
expressis verbis wir! – deutlich von der Sache unterschieden. Man ersieht daran, wie sehr der Systementwurf aus
1805/06 schon in den Entstehungszeitraum der Phänomenologie des Geistes fällt, die Bewußtsein und Gegenstand
unterscheidet wie auch die Idee tatsächlich erreicht, und das heißt, in ihrer Darstellung einlöst.“ (W. Grießer, Geist zu
seiner Zeit, S.267) „Die Zeitdialektik aus JS II wirkt gegen jene aus JS III phänomenaler und diese hingegen
logischer.“ (Ebd., S.268) Erstaunlicherweise behauptet Grieser aber, dass die Dimension des Für-uns-Seins 1804/05 mit
der Natur verwobener sei als 1805/06, insofern die Reflexionsdimension der Natur 1804/05 deutlicher herrsche als
1805/06 (vgl. ebd., S.267). M.E. muss die Reflexion 1804/05 aber nicht als die Reflexion des Ich, sondern vielmehr als
die Weise des Erkennens der Natur verstanden werden. Also verweist die Reflexion 1804/05 auf keine subjektive
Betrachtung, sondern auf die objektive Vielheit gegen die geistig-lebendige Einheit. Im Systemfragment von 1800 sieht
Hegel die natürliche Reflexion gegenüber der geistig-lebendigen Einheit als das Getrennte, Vielfältige und Begrenzte,
das die objektive Zerspaltung oder Entgegensetzung zwischen dem Endlichen und dem Unendlichen bedeutet (vgl. Hegel,
Theologische Jugendschriften, S.346f.). Daher hat die Reflexion 1804/05 nicht die Bedeutung des Für-uns-Seins in der
Einheit des Ich.
10
120
Reale heißt nun das Dasein, das momentan noch abstrakt ist und dass sich selbst später im Geist
konkret erkennen muss.
Die Beziehung der räumlichen (bzw. zeitlichen) Anschauung und der Materie verweist in diesem
Zusammenhang auf den Unterschied zwischen den Zeittheorien Hegels (1805/06) und Kants sowie
Schellings (1797). Anders als bei Kant sind für Hegel der Raum (und die Zeit) wie die Materie
ontologische Bestimmungen: Die Materie wird nicht nur in der räumlichen (zeitlichen)
Anschauungsform erkannt, sondern sie ist der daseiende Raum (und die daseiende Zeit). 11
Gegenüber Schelling 1797 wird von Hegel 1805/06 das Ansichsein der Materie und des daseienden
Raums (und der daseienden Zeit) akzentuiert. Obwohl die Anschauung bei Schelling auch
ontologisch ist, ist sie dort nur als die der ursprünglich-unendlichen Einheit des Seins und des
„Ich-Denkens“ an sich. Als die Anschauung des Daseins bleibt sie dagegen nur empirisch, nicht
wesentlich an sich. Anders als bei Schelling 1797 ist bei Hegel die Wesentlichkeit des ansichseienden
Endlichen oder die ontologische Wahrheit des Daseins aus dem Sein zu erklären.
Im Folgenden soll die Zeittheorie Hegels 1805/06 in der Mechanik Schritt für Schritt dargestellt
werden:
1. Der Äther (das Seiende überhaupt) ist im Raum da. „Der daseiende Äther ist unmittelbar der
Raum“. Das Ansichsein desselben repräsentiert das abstrakte Wesen oder die „reine Wesenheit“, die
schlechthin negativ existiert, denn außer diesem allgemeinen Sein überhaupt gibt es nichts, d.h. es
gibt weder Besonderes noch vom Allgemeinen Unterschiedenes. „Der daseiende Unterschied fällt
nicht ein, oder er ist die absolute Möglichkeit des Unterscheidens.“12
Der Raum muss sich dann von der Negativität des allgemeinen Seins zum konkreten Dasein
entwickeln. „Diese Entwicklung der Negativität sind die Dimensionen des Raums.“13 Jedoch muss
er sich am Anfang dieser Entwicklung noch „als gleichgütiger darstellen“. 14 Diese Gleichgültigkeit
drückt hier die einfache Beziehung des Seins und des Daseins des Raums aus. An sich erhält das
Dasein in diesen negativen räumlichen Dimensionen noch keine besondere Bestimmung. Die erste
11
Kimmerle sieht die Ähnlichkeit und den Unterschied zwischen Kant und Hegel ebenfalls deutlich. Einerseits werde
bei Hegel wie bei Kant „von Raum und Zeit als Bedingungen des leeren Anschauens gesprochen“; andererseits gehören
sie aber „nicht dem erkennenden Subjekt als solchen an, sondern nur sofern es sich auf natürliche Gegenstände
richtet.“ (H. Kimmerle, Kann Zeit getilgt werden? in: Hegel-Jahrbuch 2001, S.259)
12
Vgl. Hegel, Jenaer Systementwürfe III, S.5.
13
Ebd.
14
Ebd.
121
Dimension des Raums heißt daher der Punkt. Er wird als Negatives des Raums bestimmt und setzt
überhaupt eine Beziehung auf das Sein des Raums. Hegel nennt diesen räumlichen Punkt das
„Dasein überhaupt“, das den absoluten Anfang des Werdens des Seins zum Dasein bedeutet. 15 Der
Punkt als das Dasein überhaupt existiert nicht nur im bestimmten „Da“, sondern vielmehr überall als
das mit dem Sein überhaupt Gleichgesetzte:
„Dies Dasei i
Raume als den Anfang überall bezeichnet; d.h. das Dasein des Punktes im
Raum ist die Linie.“16
Die Linie repräsentiert die Kontinuität des Punkts überhaupt im Raum. Zugleich negiert der Punkt
sich selbst dadurch, dass er nicht in sich, sondern außer sich überall existiert. Jedoch wird sein
Außersichsein ebenso begriffen wie sein Insichsein, weil die Punkte auf der Linie überall
gleichgültig gesetzt werden. Das Außersichsein des Punktes in der Linie muss also im Insichsein des
Punkts entstehen und auch vergehen. Daher bekommt die Linie ihren Anfang und ihr Ende, mithin
auch ihre Richtung:
„Dieses Außersi hsei sel st als dieses ei fa h erhalte d, das ur auf Ei e A fa g u d Ei
E de, auf Ei Vorher u d Ei Na hher si h ezieht, […] ist die rei e Ri htu g.“17
Die Linie beginnt also mit einem Punkt, geht in einer bestimmen Richtung durch alle Punkte
hindurch und wird an irgendeinem Punkt beendet, sodass alle Punkte in dieser bestimmten Richtung
in die Linie eingeschlossen werden. Trotzdem muss es etwas Äußerliches gegen diesen innerlichen
Punkt geben, das „ein Anderes“18 ist. Die Linie muss in diesem Außersichsein (oder Anderssein)
gesetzt werden. Hegel nennt diese außer sich gesetzte Linie nun die Fläche. Diese ist die Negation
der Linie und die Negation der Negation des Punkts. Der Punkt als das Dasein überhaupt existiert
überall in der Fläche, d.h., die Fläche ist an sich nichts anderes als das Dasein überhaupt. In der
Fläche gibt es nur das Dasein überhaupt, kein real Unterschiedenes. Der Unterschied zwischen dem
Insichsein und Außersichsein der Punkte ist bloß von uns gedacht, 19 weil alles darin gleichgesetzt
ist.
15
16
17
18
19
Vgl. ebd., S.6.
Ebd.
Ebd., S.7.
Ebd.
Vgl. ebd., S.9: „Der Unterschied [ist] selbst kein seiender mehr oder ein gemeinter.“
122
2. Hegel nennt den Raum, der nur in der gleichgültigen Beziehung des Daseins unwesentlich und
unreal bleibt, „die unmittelbare daseiende Quantität“. 20 Der Unterschied in der quantitativen
Beziehung des Daseins ist momentan nur für uns, an sich gibt es noch keinen realen Unterschied.
Auf dieser Grundlage schreibt Hegel weiter:
„Diese rei e Qua tität als rei er für si h daseie der U ters hied ist das a strakte Unendliche,
oder an sich selbst Negative; die Zeit.“
Das unterschiedliche Dasein ist zwar da, dieses „Da“ darf aber nur negativ und abstrakt verstanden
werden, d.h., das „Da“ ist in der gleichgültigen Beziehung von Sein und Dasein nur als das
„Nicht-Da“ da, weil das „Da“ überall (d.h. unendlich) existiert und zugleich sich selbst negiert. Die
Zeit drückt also den Widerspruch des Daseins in seiner unendlichen und bloß abstrakten Gleichheit
aus: Diese Gleichheit ist „das daseiende Sein, das unmittelbar nicht ist, und [das] daseiende
Nichtsein, das ebenso unmittelbar ist; dies ist der daseiende reine Widerspruch.“ 21 Eben dieser
„daseiende reine Widerspruch“ heißt später bei Hegel das Wesen der Zeit, das Werden.
Die Zeit ist wie der Raum das negative Eine. Sie wird davon aber dadurch unterschieden, dass das
Eine des Raums nur im „Jenseits“ desselben gefunden werden kann, dagegen das Eine der Zeit stets
„immanent“22 ist. Das Dasein und sein Anderes werden also dem Raum immer noch entgegengesetzt
(z.B. wie links gegen rechts, oben gegen unten usw.), sodass die Einheit der beiden nur äußerlich
besteht; In der Zeit ist das Dasein dagegen an sich bereits sein Anderes. Dieses immanente Eine
negiert alles Andere unmittelbar in sich selbst. Hegel nennt es die Gegenwart oder das Itzt. „Dies Itzt
schließt schlechthin alles Andere aus sich aus, es ist schlechthin einfach.“23 Dieses Einfache darf
aber nicht anders als einfacher Widerspruch verstanden werden, da das Dasein desselben schlechthin
negativ bleibt und zum Nichtsein wird:
„Halte
ir das Ni htsei ihres Sei s [des Sei s der )eit] fest, gege sie, die als seie d gesetzt
ist, so daß dies Nichtsein sie aufhebe, so setzen wir die Zukunft; es ist ein Anderes, welches das
Negiere dieses Itzt ist.“24
Das Nichtsein des Seins der Gegenwart heißt die Zukunft. Jedoch existiert diese Zukunft auch nur in
der Gegenwart, wenn die Gegenwart in sich selbst ihre Negation enthält. Die Gegenwart hebt daher
20
21
22
23
24
Ebd.
Ebd.
Ebd.
Ebd.
Ebd., S.11.
123
sich selbst in sich selbst auf. Das in sich aufgehobene Nichtsein stellt sich als das Sein der
Gegenwart heraus. Hegel nennt dieses Nichtsein nun die Vergangenheit, die als die Einheit von der
seienden Gegenwart und der nichtseienden Zukunft „die vollendete Zeit“ oder „das reine Resultat
oder die Wahrheit der Zeit“ sowie „die Zeit als Totalität“ bedeutet,25 die wiederum dasjenige Itzt ist,
das sein Anderes (oder sein Nichtsein) schon in sich selbst verwirklicht hat bzw. das sich selbst
aufhebende Dasein bedeutet. Das Itzt ist deshalb das Vollkommene und das Überall-Existierende. Als
die Vergangenheit seiner Zukunft wird es jetzt „die Zeit selbst“ genannt, die ewig ist.26 Insofern es
als die Einheit von Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft in jedem Moment selbständig existiert,
heißt es auch „das reine Selbst des Fürsichseins. […] Sie [die ewige Zeit] ist um deswillen die
höchste Macht alles Seienden, und die wahre Betrachtungsart alles Seienden ist deswegen, es in
seiner Zeit, d.h. in seinem Begriffe, worin alles nur als verschwindendes Moment ist, zu
betrachten“.27 D.h., in dieser Ewigkeit der Zeit besteht alles durch das absolute Verschwinden ewig.
Das ewige Sein der Zeit selbst ist nichts anderes als das absolute Verschwinden der zeitlichen
Momente. M.a.W. ist die Zeit für sich die dialektische Einheit von Sein und Werden. Sie fließt
unendlich in ihrer Totalität. Jedoch wird durch diese Ewigkeit nur eine Seite der Zeit dargestellt. Die
andere Seite heißt die konkrete (d.i. endliche) Dauer der Zeiten. Jede Bewegung geschieht in der
konkreten Zeitdauer (in den Zeiten), die ihr Anderes als ein räumlich-äußerliches Dasein ansieht. Die
Doppelheit der Zeit (die ewige Dauer der Zeit selbst und die Zeitdauer in den Zeiten) bildet nun das
Ganze derselben.
3. In der Bewegung wird dann weiter dargestellt, wie die Zeit sich verräumlicht und wie der Raum
sich verzeitlicht. Durch dieses Zu-einander-Werden werden beide realisiert.
Die mechanische Bewegung heißt „Bewegung des Übergehens des Einen in das Andere“ 28 in der
Zeitdauer. Oder genauer heißt sie a) die Bewegung von einem räumlich-zeitlichen Punkt zu einem
anderen räumlich-zeitlichen Punkt und b) die Bewegung vom zeitlichen Sein zum räumlichen Sein.
Also muss die Bewegung in der Zeitdauer durch die Veränderung des Raums – und zwar durchaus
„für uns“ – dargestellt werden. An sich bedeutet die Bewegung dagegen die des „einfachen Punkts“,
25
26
27
28
Ebd., S.11f.
Vgl. ebd., S.12.
Ebd.
Ebd., S.13.
124
der die Einheit von Zeit und Raum repräsentiert.29 Hegel nennt diesen Punkt, der die Realität der
Zeit im Raum zeigt, das „Hier“ und zugleich auch das „Itzt“, weil er hic et nunc ist. Dieser Punkt hic
et nunc heißt auch der „Ort“30:
„Dieser Ort
eist i ht ur auf ei e a dere hi , so der he t si h sel st auf,
ird ei
anderer; aber der Unterschied, ist ebenso ein aufgehobener. – Es ist in der Substanz der Dauer
eben dieses unmittelbare in sich Zurückgekehrtsein gesetzt; oder der Ort ist das schlechthin
Allge ei e.“31
D.h., der Ort ist die zu sich selbst zurückgekehrte Dauer, in der der Unterschied zwischen diesem
und jenem räumlich-zeitlichen Punkt aufgehoben wird. Der Ort ist deshalb allgemein, weil er die
Einheit der räumlich-zeitlichen Bewegung in einem bestimmten Punkt festhält und weil dieser
bestimmte Punkt eigentlich an jedem Ort sein kann. Die Zeit ist darin nur begrifflich, nicht wirklich
gesetzt, denn der Ort ist nur der jetzige Ort, der in der Zukunft zum einem anderen wird. „Der Ort ist
schlechthin nicht an sich, sondern relativ, d.h. als anderer Ort“,32 insofern die Zeit sich immer noch
bewegt und daher im fließenden räumlichen Punkt repräsentiert wird. Hier wird der Begriff
„Bewegung“ deutlich definiert: Sie ermöglicht das Werden des jetzigen Orts, der zu einem anderen
zukünftigen Ort übergeht und damit sich selbst zum vergangenen wird. Die Bewegung wird also als
die zeitliche Bewegung von einem Ort zu einem anderen begriffen, durch die die Zeit ihre Realität
im Raum gewinnt, ebenso wie umgekehrt. „[S]ie [die Bewegung] ist die durch den Raum reale,
bestehende Zeit, oder der durch die Zeit erst wahrhaft unterschiedene Raum.“33 Diese Realität ist
aber schlechthin fließend und sich bewegend, obwohl die Zeit selbst als die Wahrheit der Bewegung
ewig besteht.
Auf eine außergewöhnliche Weise nennt Hegel diese wahrhafte Zeit nun „die einfache Seele“, die
Bewegung in der Zeit selbst dann den „Begriff der wahren Seele“ oder „das Subjekt als
Subjekt“ sowie „Ich als Ich“. Dagegen bezeichnet er die Bewegung in der Zeit als das „Prädikat“.34
Die erste subjektive Zeit selbst bekommt ihre Realität nur durch die zweite prädikative. An sich ist
29
Ebd., S.14.
Vgl. ebd.
31
Ebd., S.15.
32
Ebd.
33
Ebd., S.16.
34
Ebd. Dies hat m.E. mit dem Vorbegriff der Zeit selbst zu tun (d.h. mit dem Vorbegriff des Ich in der Phänomenologie
des Geistes). Die Hegelsche Darstellung der Zeit ist hier nicht wie 1804/05 im logischen, sondern vielmehr schon im
phänomenologischen Sinne gemeint.
30
125
diese Zeit selbst allein formell-begrifflich bzw. nur „die Dauer als Bewegung in der Form der Zeit“,35
nicht aber die Zeiten in ihrem real-räumlichen Dasein. Weil jedoch die Zeit selbst die fließende Zeit
ist, muss sie sich selbst negieren und dann zum real daseienden Zeitmoment werden, denn „das erste
unmittelbare Dasein des Negativen ist die Zeit, und an der Dauer ist es zum Dasein gekommen.“36
Dieses zeitliche Dasein wird von Hegel eben als das räumliche Zeitmoment der Bewegung
verstanden. Daher müssen nun von Hegel die Beziehungen zwischen den verschiedenen
Bewegungen und den verschiedenen Raum-Zeitmomenten untersucht werden.
Die erste Bewegung ist die lineare. Sie repräsentiert die Kontinuität des Werdens von einem Ort
zu einem anderen Ort, worin jener wie dieser jetzig ist. Die zweite Bewegung ist die geradlinige. Um
zu seiner Realität zu kommen, bewegt sich der jetzige Punkt zu einem zukünftigen Punkt und negiert
zugleich sich selbst, da er damit zu einem vergangenen Punkt wird. Dazu schreibt Hegel:
„Die geradli ige,
ie [sie] z.B. i
Fall oder so st ist, ist i ht die Be egu g a u d für si h,
sondern einem anderen unterworfen, worin sie zum Prädikate geworden, oder Aufgehobenes,
Mo e t ist.“37
Indem der zukünftige Punkt wesentlich auch ein jetziger ist, geht der an und für sich seiende
Zeitpunkt in der Zukunft zu sich zurück. Diese Rückkehr verweist auf die Synthese des
unwesentlichen Punkts mit dem wesentlichen.38 Die dritte Bewegung ist die kreisende. Der jetzige
Punkt wird zum zukünftigen, der aber auch ein jetziger ist. Zugleich wird der jetzige Punkt zum
vergangenen, der ein jetziger war. Das Itzt und das Vor- und Nachher schließen sich mithin
zusammen. Diese Einheit heißt die Kreisbewegung, worin alles vergeht, um zu sich selbst
zurückzukommen. In der Kreisbewegung lautet also das Ziel die Vergangenheit. Alles (das Itzt und
das Vor- und Nachher) wird darin synthetisiert. Das Sein des absoluten Itzt oder der Zeit selbst wird
aber dadurch nicht völlig erreicht, weil die Bewegung immer noch andauert. Jedoch ist das
räumlich-zeitliche Dasein nunmehr real, weil es nicht mehr das abstrakt-begriffliche Wesen ist, d.h.
weil es in der Bewegung erfüllt wird. Diese Bewegung heißt dann bei Hegel „die daseiende
Bewegung“ oder die „ganze Dauer“,39 die in der Kreisbewegung wiederhergestellt wird. Das Andere
35
Ebd., S.17.
Ebd.
37
Ebd., S.18.
38
Vgl. ebd. S.18. Hier wird die Darstellung der Fallbewegung im Verhältnis des prädikativen Raums (R) zur
wesentlichen Zeit selbst (Z²) angedeutet, wie sie bereits Hegels Überlegungen von 1804/05 entwickeln.
39
Ebd., S.20.
36
126
(das Dasein) des unendlichen Seins wird in jedem Moment der Bewegung konkret gesetzt und nicht
mehr nur in der idealen Zeit oder in dem idealen Raum angeschaut. Dementsprechend wird der
Raum durch die zeitliche Bewegung erfüllt. „Er ist da“40 als die Masse oder die reale Materie.
4. Durch die räumlich-zeitliche Bewegung hindurch tritt nun die Masse zum Vorschein. In der Masse
fungiert erstmals die reale Kraft der Natur. Die ontologische Einheit von Raum, Zeit,
Bewegungskraft und Materie kommt hier erstmals völlig ans Licht.
Die Masse existiert in der Kreisbewegung wegen der zeitlichen Erfüllung des Raums als
wirkliches Dasein. Als das vollendete Bewegte ist sie die ruhige Masse gegen das sich noch
dauerhaft Bewegende. Weil jedoch die Masse nur durch die Bewegung existiert und weil die
Bewegung immer noch andauert, wird sie als „die Einheit der Momente der Ruhe und Bewegung“41
aufgefasst. Die Masse ist also das in der Bewegung Ruhende und das die Ruhe wiederum negierende
Bewegende. D.h., „Ruhe und Bewegung wird durch ein Anderes in sie gesetzt“, dieses Andere ist für
die Ruhe die Bewegung und umgekehrt für die Bewegung die Ruhe. Mithin wird die Masse beiden
gleichgesetzt. Sie existiert gleichzeitig in Bewegung und Ruhe. Aber wegen des Widerspruchs von
Bewegung und Ruhe ist sie eigentlich kein konkretes Da-sein, sondern sie existiert allgemein und
überall. D.h.:
„Die Materie e istiert auf diese Weise allerdi gs, a er hier e istiert sie o h i ht so, oder sie
an und für sich nicht, sondern um zu dieser Gleichgültigkeit zu kommen, muß sie selbst zum
Prädikate, zu
aufgeho e e Mo e te hera gesu ke sei “.42
Die Masse an und für sich kann ihre Existenz also nur in den räumlich-zeitlichen (prädikativen),
zwar daseienden (endlichen), aber doch aufzuhebenden Momenten bekommen. Ihre Realität existiert
nicht nur in sich selbst, sondern auch in einem Anderen. Oder anders formuliert: An sich ist diese
Realität zwar wesentlich, aber dieses Wesen bleibt abstrakt. Dazu schreibt Hegel:
„A si h also ist die Materie, heißt, sie ist ur ihrer A straktio
a h ge o
e ; als diese
Abstraktion selbst existiert sie zwar auch, aber dann eben nicht mehr als ihre eigene Realität;
so der ei A deres ist ihre Realität.“43
40
41
42
43
Ebd.
Ebd., S.21.
Ebd.
Ebd., S.22.
127
Hegel nennt die Masse (die Substanz und die Einheit von Bewegung und Ruhe) den himmlischen
Körper. „Die himmlischen Sphären sind bleibende, dauernde, d.h. ruhende Bewegungen an ihnen
selbst, denn das Ganze der Bewegung ist die Dauer; sie sind es nicht durch einen Stoß oder
desgleichen“, daher kommen ihnen „die Form der Bewegung, Fall, Wurfbewegung und der gleichen
[…] gar nicht“ zu.44 Der himmlische Körper kennt noch keine fremde Kraft, keine prädikative
Realität, sondern er ist an sich unendlich und abstrakt. Seine Kraft existiert nur begrifflich. Erst wenn
dieser Köper zum endlichen prädikativen wird, d.h. erst wenn er in der Fallbewegung,
Wurfbewegung oder dergleichen existiert, wird er zum Realen.
Die Bewegung des himmlischen Körpers ist die achsendrehende, weil die räumlich-zeitliche
Bewegung andauert, um ihren absolut ruhigen Massepunkt zu erreichen. Sie kann diesen aber
niemals erreichen, insofern dieser absolute Massepunkt eigentlich „nicht da“,45 also nicht an einem
bestimmten ruhigen Ort existiert. Er existiert vielmehr überall gegenwärtig in jedem
zeitlich-räumlichen Punkt. Daher kann kein einziger Punkt als Mittelpunkt der Bewegung angesehen
werden, sondern alle Punkte bilden miteinander eine Mittellinie der achsendrehenden Körper.
Jedoch soll diese Linie im absolut wesentlichen und ruhenden Punkt zusammenschrumpfen.
Mithin soll die achsendrehende Bewegung ihren absoluten Mittelpunkt finden. Insofern kommt die
Wirbelbewegung zum Vorschein. Jedoch liegt in dieser Bewegung der absolute Punkt allein im
Jenseits, denn der absolute Punkt wird zwar immer gesucht, aber nie gefunden. Trotzdem nähert sich
diese achsendrehende Bewegung immer weiter an ihren absoluten Mittelpunkt an, um sich zu
realisieren. Daher entstehen die realen Kräfte, d.h. Zentripetal- und Zentrifugalkraft, die die
„Beziehung des daseienden auf seinen Mittelpunkt“ repräsentieren.46 Die reale Kraft ist also die
Triebkraft hin zum Mittelpunkt der Bewegung, die einmal zukünftig da sein soll.
Da die Wirbelbewegung ihren Mittelpunkt gegenwärtig nicht erreichen kann, bleibt sie unruhig.
„Aber diese Unruhe ist eben Moment des Wirbels, der seinem Mittelpunkt zugeht, das reine
Übergehen.“47 D.h., diese Bewegung muss nicht nur zum Mittelpunkt treiben, sondern auch in ihn
übergehen, und „das Übergehen ist wesentlich nicht nur der reine Wandel, sondern dies Anderssein
44
45
46
47
Ebd., S.23.
Ebd., S.24.
Ebd., S.27.
Ebd., S.27f.
128
ist an ihm selbst unmittelbar das Gegenteil seiner selbst.“48 Einerseits existiert der absolute, aber
unerreichbare Mittelpunkt nicht nur außerhalb der Bewegung, sondern auch in derselben, da er
überall gegenwärtig ist; andererseits muss die Bewegung ihn wegen der Unerreichbarkeit in sich
selbst negieren, d.i. in ihn übergehen. Die Bewegung hebt also den Mittelpunkt in sich selbst auf und
lässt ihn an sich vorbeigehen. Insofern jeder gegenwärtige Punkt in der Bewegung vorbeigehen muss,
herrscht in der Bewegung des Übergehens die Vergangenheit. Der bewegende Massepunkt reflektiert
sich selbst nur dann real, wenn der absolut-wesentliche Punkt, der früher der zukünftige hieß, in der
Bewegung aufgehoben wird (d.h. wenn er zum vergangenen Punkt wird). In eben diesem Sinne ist er
an und für sich, weil das äußerlich gesetzte Wesen des absolut gegenwärtigen Massepunkts jetzt
verinnerlicht ist.
Nachdem die Bewegung des Massepunkts ihr Anderes in sich selbst aufgehoben hat, ist sie zu sich
selbst zurückgekommen. Sie wird nun nicht mehr als die Bewegung hin zum äußerlichen Mittelpunkt
gesetzt, sondern vielmehr als diejenige, die den Mittelpunkt in sich selbst enthält. In diesem Sinne ist
sie an und für sich die achsendrehende Bewegung um sich selbst. Hegel nennt die Sphäre dieser
Bewegung des „Werden[s] zum Ansich“ die vollkommene Sphäre „die anderen stellen nur ihre
vereinzelten Momente dar.“
49
D.h., diese Bewegung an sich hebt seine Momente, die einzelne und
endliche sind, in sich selbst völlig auf. Sie ist daher auch Fürsichsein. Im Vergleich zum anfänglich
absolut substanziellen Massepunkt ist dieser ansichseiende Punkt zwar auch substanziell, hat aber die
prädikativ-einzelnen Punkte (die Momente der räumlich-zeitlichen Bewegung) in sich selbst. Die
Bewegung der Masse ist daher die totale Bewegung. Sie verwirklicht sich selbst in ihren Momenten,
und jedes Moment wird als ein Entfaltungsmoment durch die reale Kraft der Bewegung der Masse
bewiesen. Wegen der realen Kraft ist die absolut innerliche Einheit des Massepunkts mit seinem
Anderen kein ideales Allgemeines mehr, sondern wird durch ein reales Individuum dargestellt. Hegel
sieht dieses ewig in der himmlischen Bewegung gesetzte Individuum als die Erde, deren Dasein
momentan aber nur von uns „gemeint“ wird, insofern sie als das die vielfältigen Momente in sich
Umfassende zwar existiert, aber nur allgemein und als alles konkrete Dasein Aufhebendes.
Ich fasse die wichtigen Punkte zusammen:
48
49
Ebd., S.28.
Ebd., S.29.
129
Mit dem Erscheinen der Erde als absolutem Individuum wird der Teil „Mechanik“ von Hegel
beendet. Die Einheit von Raum, Zeit, Bewegungskraft und Materie bekommt hier ihre Realität,
während das Sein zu seinem konkreten Dasein kommt. Den Übergang vom Sein zum Dasein
gestaltet Hegel als zeitlichen, weil die Zeit – wie 1804/05 – die „Macht der Natur“50 ist. Bisher
wurde Hegels Zeittheorie 1805/06 zusammenfassend so erklärt: 1. Im Raum wird das „Sein zum
Dasein“ durch die Entwicklung vom Punkt über die Linie bis zur Fläche. Das räumliche Dasein
existiert gleichzeitig im ganzen Raum. Es ist aber kein reales Dasein, sondern ein schlechthin ideales,
weil es keinen wirklichen Unterschied zwischen diesem und jenem Dasein gibt, sondern allein das
Dasein überhaupt. 2. In der Zeit wird das „Sein zum Dasein“ durch den Aufbau der Zeit (Itzt,
Zukunft und Vergangenheit). Das Dasein existiert nicht mehr gleichzeitig wie im Raum, sondern
allmählich und sukzessiv. Es negiert das Andere auch nicht nur äußerlich, sondern innerlich. D.h., es
sieht das andere Dasein als sein Anderes und hebt es in sich selbst auf. Daher gibt es eine Doppelheit
der Zeit: die sich aufhebende Zeit, die ewig dauert, und die aufgehobenen Zeiten (das Andere der
Zeit selbst), die in jedem Moment negiert werden. Die Ewigkeit des zeitlichen Daseins existiert aber
nur in ihrer negativen Dauer. Das zeitliche Dasein ist deshalb auch nicht real, sondern ideal. 3. Der
Raum und die Zeit werden in der Bewegung und im Ort synthetisiert. Das Dasein bewegt sich zu
Anfang auf lineare Weise, daraufhin geradlinig und zuletzt als Kreisbewegung. Diese Entwicklung
entspricht der Zeitfolge der Selbstrealisierung des Daseins und der Erfüllung des verzeitlichten
Raumes. 4. In der Masse wird das Dasein als der himmlische Körper gesehen. Die Masse dreht sich
zunächst um sich selbst, wird von Hegel dann als Wirbelbewegung und als Bewegung des
Übergehens entwickelt, um schließlich zurück zur um sich selbst drehenden Bewegung der Masse
selbst zu kommen. Wie die Bewegung des Ortes entspricht die Bewegung des konkreten
Massepunkts hier auch der Zeitfolge. In dieser Zeitfolge individualisiert sich das Dasein (der
Massepunkt) selbst. Daher wird die Einheit von Raum, Zeit, Bewegung und Materie überhaupt
erstmals in diesem konkreten Dasein (d.i. in der Erde) verstanden.
Im Folgenden soll die Frage vertieft werden, wieso die dargestellten Schritte Hegels zu Recht ihren
Ort am Anfang der Naturphilosophie haben. Dabei geht es 1. um den Unterschied der
Darstellungsstruktur der Einheit von Raum, Zeit, Bewegungskraft und Materie 1805/06 im Vergleich
50
Ebd., S.10, Fußnote 1.
130
zur Fassung von 1804/05 und zur Enzyklopädie 1830. Dieser Unterschied führt noch einmal auf die
Frage des endlichen Daseins. Daran anknüpfend geht es 2. um den Unterschied der Überlegungen
Hegels und Schellings, mithin um Hegels neue dialektische Auffassung des Verhältnisses von
zeitlich-endlichem Dasein und ewig-unendlichem Sein - und demzufolge schließlich 3. um die neue
Doppelheit der Zeit bei Hegel. Zusammengenommen wird damit die prinzipielle Bedeutung des
Zeitlich-Endlichen bei Hegel gezeigt. Zuletzt soll 4. noch eine weitere Veränderung der Zeittheorie
von 1805/06 im Vergleich mit derjenigen von 1804/05 betrachtet werden; 1805/06 räumt Hegel dem
Raum und nicht mehr der Zeit den ersten Platz in der Naturphilosophie ein.
1. Durch die oben zusammengefassten vier Schritte entwickelt Hegel 1805/06 den ontologischen
Beweis der zeitlichen Natur. Dieser Beweis muss aber grundlegend von demjenigen von 1804/05
unterschieden werden. Im Vergleich zur Darstellung in der Enzyklopädie ist der Unterschied sogar
noch tiefgreifender. Folgende Tabelle soll die Unterschiede veranschaulichen:
131
Kapitel
1804-05
1805-06
1830
„Die
Dieser Teil gehört
Dieser Teil existiert 1805/06 nicht mehr.
Dieser Teil existiert 1830 nicht
erscheinende
zum Teil „System der
Bewegung“
Sonne“. Es geht
mehr.
sowohl um die
Möglichkeit des
himmlischen
Endlichen als auch
um die ideelle Fall-,
Wurf- und
Pendelbewegung des
Endlichen.
„Mechanik“
Inklusive der Teile
Ohne den Teil „Gestaltung“. Es geht nur
Im Teil „Endliche
„Konstruktion des
um die reale Bewegung des himmlischen
Mechanik“ werden sowohl die
Körpers oder der
Körpers, nicht aber um die reale Fall-,
reale Bewegung des himmlischen
Gestalt“ und „Der
Wurf- und Pendelbewegung des
Körpers als auch die reale Fall-,
Hebel“. Es geht um
irdisch-realen Endlichen. Vor der
Wurf- und Pendelbewegung des
die reale Fall-, Wurf-
Darstellung der Fallbewegung als solcher
Endlichen untersucht. Nach der
und Pendelbewegung
werden die Zentripetal- und
Darstellung der Fallbewegung als
des irdisch
Zentrifugalkraft diskutiert.
solcher werden die Zentripetal-
Endlichen.
oder Zentrifugalkraft in der
„Absoluten Mechanik“ diskutiert.
„Gestaltung“
Dieser Teil gehört
Dieser Teil ist mit dem
Dieser Teil existiert 1830 nicht
zum Teil „Mechanik“.
„Chemismus“ zusammengefasst. Es geht
mehr.
um die reale Fall-, Wurf- und
Pendelbewegung des irdisch-realen
Endlichen.
132
In der dargestellten Tabelle gibt es einen roten Faden: Um die Realität der Natur, die am Anfang
schlechthin im unendlichen Wesen existiert, im weltlichen Daseins zu verwirklichen und zu
beweisen, muss die Wesentlichkeit der Realität des real-räumlich-zeitlichen Daseins als die an und
für sich seiende Wahrheit dargestellt werden, die das Anderssein der unendlichen Natur ist. Und
diese Darstellung muss immer an erster Stelle stehen, denn die Realität des real-räumlich-zeitlichen
Daseins muss nicht nur von der wesentlichen Unendlichkeit der Natur begründet werden, sondern sie
begründet umgekehrt auch diese Unendlichkeit. M.a.W. muss sie für Hegel so früh wie möglich
vorkommen, um ihre fundamental ontologische Funktion zu erfüllen: Sie existiert also nicht nur aus
der Unendlichkeit, sondern vielmehr auch an sich und zugleich für den Beweis dieser Unendlichkeit.
Nach diesem roten Faden können wir die oben genannten Veränderungen der Organisation des
Textes auf folgende Weise erklären:
1804/05 erscheint die wesentlich-ansichseiende Realität des endlichen Daseins erstmals nach
dem Abschnitt „System der Sonne“. Im Teil „Mechanik“ wird die Vereinzelung erst tatsächlich
durchgeführt. Dagegen besteht in der erscheinenden Bewegung allein die quantitative Möglichkeit
dieser Realität, in der es keinen Platz für die wirklich-mechanische Kraft des Daseins gibt. Hingegen
betont
Hegel
1805/06
gegen
die
Unendlichkeit
des
Seins
die
Bedeutung
der
wesentlich-ansichseienden Realität des räumlich-zeitlichen Daseins von Anfang an. Die reale Kraft
des Daseins kommt nunmehr bereits im ersten Teil der Naturphilosophie vor. Dementsprechend wird
der Teil „Mechanik“ von Hegel auch an den Anfang seines Entwurfs gezogen. Später in der
Enzyklopädie wird nicht nur die Realität des Daseins akzentuiert, sondern die Realität des
räumlich-zeitlichen Daseins muss in der Mechanik sogar vor derjenigen des vereinzelten Daseins
betrachtet werden, während sie 1805/06 im Teil über die Masse noch lediglich als die Realität des
absoluten Daseins überhaupt (d.i. der Erde) bewiesen wird. Zusammengefasst heißt das: Die
Wesentlichkeit des Daseins und die Realität der mechanischen Kraft des Einzelnen werden in der
Entwicklung der Naturphilosophie Hegels immer höher geschätzt.51 Die ontologische Einheit von
Raum, Zeit, Bewegungskraft und Materie muss in dieser Entwicklung immer klarer als die Einheit
im wesentlichen Dasein verstanden werden.
51
In der reifen Naturphilosophie von 1830 stellt Hegel bereits von Anfang an die Vereinzelung der Elemente dar. Vgl. H.
Drüe u.a.., Hegels Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaft (1830). Ein Kommentar zum Systemgrundriß,
Suhrkamp 2000, S.142-153.
133
2. Dieser Punkt ist gegenüber Schellings Jenaer Überlegungen entscheidend. Denn Schelling
unterscheidet zwar das endliche Dasein vom unendlichen Sein, hält diesen Unterschied aber für
keinen wirklich-absoluten, weil er ihm als einseitig abhängig von der Einheit des absoluten Seins gilt.
Das Zeitliche und das Ewige bedingen sich nicht gegenseitig, sind niemals füreinander. Eben
deswegen gibt es bei Schelling auch keine vollkommende Dialektik des ontologischen Unterschieds
zwischen ewigem Sein und zeitlichem Dasein. Nur durch eine solche Dialektik aber können das
räumlich-zeitliche Dasein und das ewige Sein selbst in einer fundamentalen Ontologie gesichert
werden.
3. Die Dialektik von ewigem Sein und zeitlichem Dasein geht bei Hegel mit der Doppelheit der Zeit
zusammen. Nachdem Jacobi den Nihilismus in der Doppelheit der Zeit der bloß subjektiven
Philosophien Kants und Fichtes kritisiert hat, will, wie gesehen, bereits Schelling diesen
ontologischen Mangel beseitigen. Hegel folgt zunächst Schellings Ansatz, sieht aber, nachdem er die
ursprüngliche Bedeutung des Daseins erkennt, die ontologische Funktion der daseienden Zeit der
Natur als immer drängendere Herausforderung. Daher kommt der Doppelheit der Zeit bei Hegel
1805/06 nicht nur in der Darstellung der idealen Zeit, sondern auch in der realen Bewegung und
Masse eine grundlegende Bedeutung zu. Diese Doppelheit ist die substantiv-subjektiv gemeinte Zeit
selbst (die Bewegung als die Bewegung sowie die Masse an sich) und die prädikativ-real daseienden
Zeiten (die Bewegungsmomente sowie die Masse in der konkreten Raum-Zeit). Ohne die Zeiten ist
die Zeit selbst allein ein leerer Begriff. Daher muss die Einheit von Raum, Zeit, Bewegungskraft und
Materie stets zusammen mit der These des Übergangs des ewigen Seins der Zeit selbst zum
endlichen Dasein in den Zeiten und Räumen behandelt werden.
4. Einen markanten Unterschied von Hegels Fassung der Naturphilosophie von 1805/06 gegenüber
derjenigen von 1804/05 liegt, wie angedeutet, darin, dass 1805/06 der Raum am Anfang der
Naturphilosophie steht, an dem 1804/05 noch die Zeit stand. Da Hegel diese Änderung 1805/06 nicht
erklärt, soll im Folgenden zur Erhellung ihres Grundes auf die Darstellung in der Enzyklopädie
zurückgegriffen werden. Denn auch in der Enzyklopädie steht der Raum wie bereits 1805/06 an
erster Stelle. Hegel definiert ihn dort wie folgt:
„Die erste oder u
ittel are Besti
u g der Natur ist die a strakte Allgemeinheit ihres
Außersichseins, – dessen vermittlungslose Gleichgültigkeit, der Raum. Er ist das ganz ideelle
134
Nebeneinander, weil er das Außersichsein ist, und schlechthin kontinuierlich, weil dies
Außereinander noch ganz abstrakt ist u d kei e
esti
te U ters hied i si h hat.“52
Diese Definition passt sehr gut zur Darstellung von 1805/06. Der Raum ist also der äußerlichste und
abstrakteste, in dem es noch keine reale Erkenntnis über die Natur selbst, sondern allein den leeren
Begriff derselben gibt. Obzwar der Raum allgemein und substanziell ist, bleiben die räumlichen
Punkte schlechthin nebeneinander. Der Raum wird nur als eine ideale Form der synchronen
Anschauung gesetzt. In diesem Sinn verbindet Hegel ihn mit der Anschauungsform des Raumes bei
Kant:
„We
o de
a gesehe
ird, was in dem Kantischen Begriffe dem subjektiven Idealismus
und dessen Bestimmungen angehört, so bleibt die richtige Bestimmung übrig, daß der Raum
eine bloße Form, d. h. eine Abstraktion ist, und zwar die der unmittelbaren Äußerlichkeit.“53
Dieser Satz hat zwei Bedeutungen: Erstens: der Raum ist bloß formell. Er hat mit der realen
Empfindung nichts zu tun, weil die reale Empfindung etwas Reales empfinden muss, es im Raum
jedoch überhaupt kein Reales gibt. Was im Raum bleibt, ist nur die Hülle des Begriffs, die von uns
erkannt wird. Zweitens: dieser von uns erkannte Raumbegriff ist aber auch kein bloß Subjektives im
Sinne des erkenntnistheoretisch-subjektiven Idealismus. Es gibt einen ontologisch-objektiven Grund
für diesen von uns erkannten Raumbegriff, das Ansichsein des Raums. Dieses Ansichsein ist abstrakt,
aber es kann nicht als das Subjektive selbst, sondern als das Anderssein dieses Subjekts verstanden
werden. Gegen Schellings Naturphilosophie muss dieses Ansichsein des Raumes bei Hegel in der
Enzyklopädie durch die Logik seine erste Bestimmtheit bekommen, die aber an sich begrifflich leer
ist. 1805/06 entwickelt Hegel diesen logischen Vorlauf zwar nicht, bestätigt die Begrifflichkeit des
Raumes aber doch bereits von Anfang an. Hegel zieht das Raumkapitel deshalb vor das Zeitkapitel,
weil der Raum, obzwar er wie die Zeit ideell ist, als das äußerlichste existiert. Diese Äußerlichkeit
des Raumbegriffs versteht Hegel keineswegs wie Kant bloß als unseren äußeren Sinn, sondern als
den äußeren Begriff. Hegel abstrahiert also im Raumbegriff von aller Realität der Natur ebenso wie
von aller Innerlichkeit des Selbstseins und gründet ihn vielmehr im Geistig-Logischen. Der
natürliche Raum kommt m.a.W. nicht aus sich selbst, sondern aus einem äußerlichen Anderen zum
Sein. Dieses Sein, insofern es am Anfang noch nicht das Sein selbst ist, existiert außer sich selbst und
52
53
Hegel, Enzyklopädie 1830, in: G.W.F. Hegel Gesammelte Werke, ebd., §254, S.243.
Ebd., S.244.
135
im Anderen. Genau hier greift bei Hegel die Dialektik von Natur und Geist (bzw. Logik), da die
Äußerlichkeit des Raumbegriffs als der Anschlusspunkt an das natürliche Anderssein und daher als
der Zugangspunkt zur Negation seiner selbst betrachtet wird.54 Im Vergleich mit der Äußerlichkeit
des Raumbegriffs besitzt der Zeitbegriff in sich selbst eine Innerlichkeit des Selbstseins. D.h., die
Zeit ist das Selbstnegierende und nicht etwa ein von Anderem Negiertes. Deswegen kommt dem
Zeitbegriff 1805/06 schon nicht mehr die erste Stelle in der Naturphilosophie zu.
Offen ist allerdings noch die Frage, wieso Hegel 1804/05 gleichwohl die Zeit dem Raum
voranstellt M.E. hat dies mit Hegels damaligen Überlegungen zum Sonnensystem und zur großen
Bedeutung des Äthers zu tun. Das Anderssein des Geistes und seine Einfachheit werden 1804/05
nicht durch den Raumbegriff, sondern durch den Äther und seine Sprache dargestellt. Die Bedeutung
des Äthers ist 1805/06 aber bereits geschwächt;55 in der Enzyklopädie kommt ihm am Anfang der
Naturphilosophie sogar keine wesentliche Rolle mehr zu. Hegel erklärte 1804/05 die vom Äther
geäußerte Sprache durch den Begriff des Lichts. Diese Äußerung des Äthers (der Selbstsonne) ist das
Licht, das sich mit absoluter Geschwindigkeit verbreitet, sodass es gleichzeitig überall ist. Hegel
nennt das sich mit absoluter Geschwindigkeit ausbreitende Licht die absolute Gegenwart. Er sieht es
nicht direkt als Räumliches, weil es nicht nebeneinander als Vorhandenes existiert, sondern weil es
tatsächlich im gleichen Moment überall geschieht. Daher muss er den Zeitbegriff direkt im
Anschluss an den Ätherbegriff darstellen. Seit 1805/06 betont Hegel die Beziehung der Sprache des
Äthers mit dem Licht und der Zeit jedoch nicht mehr. Stattdessen wird die Bedeutung des Raums
immer höher geschätzt. Das bedeutet m. E. aber nicht, dass Hegel die Zeit nunmehr allein nach dem
räumlichen Modus denken würde.
4.2 Hegels Zeittheorie von 1805/06 in den Teilen Gestaltung und Chemismus
1805/06 erhält die Einheit von Raum, Zeit, Bewegungskraft und Materie ihre Realität in der
Mechanik letztendlich durch das absolute Dasein der Erde, das weder ein wirklich Vereinzeltes noch
ein komplett Endliches ist. Hegel entwickelt diese Einheit im Dasein im Teil „Gestaltung und
Chemismus“ weiter, in dem die Wesentlichkeit und die Realität des endlichen Daseins zusammen mit
54
Die ähnliche Erklärung bietet V. Hösle im Kontext von Hegels reifer Naturphilosophie (V. Hösle, Hegels System. Der
Idealismus der Subjektivität und das Problem der Intersubjektivität, S.297).
55
Insgesamt kommt das Wort „Äther“ im dritten Jenaer Systementwurf nur 6 Mal vor, und zwar in 5 verschiedenen
Sätzen. Eine detaillierte Darstellung dieser Sätze findet man bei S. Gruner (Hegels Ätherlehre, S.66-71).
136
der Entfaltung des natürlichen Zeitprozesses dargestellt werden. Da dieser Abschnitt sehr komplex
ist, sollen im Folgenden nur die Absätze betrachtet werden, die direkt mit Hegels Theorie der Zeit
verbunden sind. Dabei handelt es sich vor allem um die Überlegungen zu der Gestaltung der Materie
und ihrer Beziehung zur Zeit sowie zum Zeitprozess im Chemismus.
1. Im Teil „Gestaltung“ wird das allgemeine Dasein der Erde tatsächlich vereinzelt oder verendlicht.
Am Ende der „Mechanik“ ist die Bewegung des Massepunkts bereits zu sich selbst zurückgekehrt.
Daher erhält sie dort ihre Realität und ihre verwirklichte Kraft. Hegel nennt diese zu sich selbst
zurückgekehrte Bewegung bzw. Kraft nun ‚Schwerkraft‘: „Die Masse ist schwer, dies ist ihr
Insichsein“.56 Dieser insichseiende Schwerpunkt der Masse besteht am Anfang nur abstrakt und
allgemein, insofern er hier lediglich als das in jeder Bewegung ruhig Bleibende gesehen wird, „worin
das Prinzip der Bewegung außer ihr [der abstrakten Materie] fällt“ 57 . Anders formuliert: Der
Schwerpunkt der Masse existiert außerhalb der Bewegung des Daseins.
Um diesen Schwerpunkt wiederum in sich selbst zu verschieben, muss die Materie in der irdischen
Bewegung sich zu sich selbst entwickeln. Diese Entwicklung geschieht also nicht mehr in der
unendlichen Bewegung des himmlischen Körpers, sondern in der endlichen Bewegung des irdischen
Daseins. Diese endliche Bewegung des einzelnen Körpers muss im Zeitablauf geschehen. Hegel
stellt sie nacheinander als Fall-, Wurf- und Pendelbewegung sowie schließlich als Bewegung eines
Hebels dar. Diese Folge von Bewegungsarten gleicht Hegels Darstellung von 1804/05. Jedoch erklärt
Hegel die Beziehung dieser Bewegungen zur Zeit nicht mehr so ausführlich wie zuvor. Festzustellen
ist aber, dass diese Bewegungen tatsächlich mit der endlichen Zeit verknüpft sein müssen, da es sonst
unerklärbar wäre, wie das sich irdisch bewegende Einzelne seinen Schwerpunkt in sich haben
könnte.
2. Während Hegel seine Zeittheorie des wesentlich Endlichen 1804/05 hauptsächlich durch die
Bewegungen des irdischen Körpers darstellt, vertieft er 1805/06 die Zeitthematik in der Gestaltung
der physischen Elemente (Feuer, Wasser, Luft und Erde) und im Chemismus.
Das irdische Einzelne, das seinen Schwerpunkt durch die Fall-, Wurf- und Pendelbewegung
hindurch wieder in sich verwirklich hat, ist der das wahre erfüllte Raum, und:
56
57
Hegel, Jenaer Systementwürfe III, S.35.
Ebd.
137
„E e so ist das Ga ze dieses Ei s der S h ere, die Oberfläche macht ein Eins aus, das aber als
Ganzes in den Mittelpunkt zurückgenommen ist. So daß das Eins nur die Oberfläche ist, oder
das ganze Kontinuierliche ist, ist der Körper vollkommen hart; er ist absolute Schwere, absolute
Kraft, absolutes Fürsichsei i sei er Ga zheit“.58
D.h., nachdem der irdische Körper seinen Schwerpunkt festhält, ist er nunmehr an und für sich die
Einheit der Schwerkraft: Er selbst ist der Schwerpunkt und deshalb völlig in sich selbst. Er ist das
absolute Insichsein, das „starr“ ist. Aber weil das absolute Einzelne (Endliche) als der Schwerpunkt
in allen Bewegungen existiert, bewegt es sich auch kontinuierlich mit seinem räumlich-zeitlich
dauernden Dasein zusammen. Das Einzelne existiert deshalb auch „absolut weich“59, sodass es ein
elastischer Punkt ist. Die Elastizität des Insichseins wird durch die Duktilität der Oberfläche
repräsentiert. Daher gibt es in diesem Insichsein des realen Endlichen einerseits die Weichheit in
seiner Bewegung und andererseits die Starrheit in seinem absoluten Mittelpunkt. Jene heißt die Kraft
der endlichen Masse zum Fließen, diese dagegen die Kraft zum Hemmen. Jene macht die Wirkung,
diese die Gegenwirkung, und die Masse ist die Einheit der beiden, die wegen der Gegensätzlichkeit
der beiden Wirkungen eine ‚schwingende‘ ist. Hegel nennt dieses Schwingen des Körpers nun das
Schwingen in der Zeit:
„Es ist als daseie d ausgespro he das si h dur hdri ge de S h i ge des Körpers; die )eit
der Masse, ihre ei fa he U e dli hkeit;
it Masse a geta e )eit.“60
In der Zeit existiert die endliche Masse erstmals völlig als die innerlich-reale Massekraft, die die
Wirklichkeit der Einheit von Kraft und Gegenkraft in sich selbst bewahrt.
Die Starrheit an und für sich heißt bei Hegel der Ton, dagegen heißt die Weichheit in der
Bewegung die Flüssigkeit. Beide gehören zum Insichsein des irdischen Körpers. Die Masse fließt
also immer von einem daseienden Punkt zu einem anderen daseienden Punkt, muss aber ihre
Flüssigkeit aufheben, weil alles Andere eigentlich die Masse selbst ist, insofern alles im Insichsein
der Masse selbst existiert. Hegel nennt die Aufhebung der Flüssigkeit des endlichen Daseins die
Kristallisierung. „Indem der Kristall aber dieser ruhige Zweck ist, so ist die Bewegung ein anderes
als sein Zweck, der Zweck ist noch nicht als Zeit.“61 D.h., gegen die zeitliche Flüssigkeit wird der
58
59
60
61
Ebd., S.40.
Ebd., S.41.
Ebd., S.42.
Ebd., S.53.
138
Kristall anfangs nur als ein nicht Verzeitlichtes gesehen, mithin wird die zeitliche Flüssigkeit
aufgegeben. Dieser zeitlose Kristall ist der Kern der Masse oder der harte Ton. Insofern er nicht
zeitlich ist, ist er bloß räumlich. Der Zeitfluss der Masse nimmt ihn als seinen Zweck an, bezieht sich
auf ihn, wird aber noch nicht mit ihm vereinigt.62 Weil jedoch der Zweck des Zeitflusses nicht
außerhalb, sondern im Insichsein existiert, muss die Zeit in dieser zeitlos-räumlichen kristallischen
Gestaltung ebenso existieren. Die Zeit vertilgt also den Raum in ihrem Fluss, indem der Zeitfluss
seinen räumlichen Kern in sich selbst aufgehoben hat.63 D.h., dieser Fluss hebt seinen Zweck in sich
auf. Weil diese Aufhebung nicht formell, sondern mit der realen Massekraft zusammen geschieht,
muss die Triebkraft des Fließens die Kraft der Kristallisierung bewältigen, die nichts anderes ist als
die ‚Stoßkraft‘. Das Spiel zwischen den beiden Kräften macht eine höhere Einheit von zeitlichem
Fließen und zeitlosem Kristall möglich, die bei Hegel nunmehr die Wärme heißt:
„Die Su sta z,
el he ei fa h si h sel st glei h ist, als ei
kräftiges flüssiges
Sichselbstgleichsein, Materie, Wär e.“64
Die Wärme kommt zum Vorschein durch das Spiel zwischen der Treib- und der Stoßkraft, d.i.
durch die Reibung zwischen beiden. Sie ist dasjenige Fließende, das zu sich selbst zurückgekommen
ist und mit sich selbst gleich gesetzt wird. Wegen dieses Zurückkehrens ist die Wärme real. Sie ist
also die verwirklichte Gestaltung der Materie, die als die Einheit von zeitlichem Fließen und
räumlichem Kern (Ton oder Kristall) der Masse gesehen werden muss. 65 Die Wärme repräsentiert
daher die Einheit von Raum, Zeit, Materie und Bewegungskraft im absoluten Insichsein der
einzelnen Masse selbst, weil der zeitliche Fluss den räumlichen Kern durch die innere
Reibungsbewegung in sich selbst aufgehoben hat und weil dann die völlig innerliche Materie
entsteht. Also gibt es seither keine äußerliche, bloß mechanische Realität der Materie mehr, sondern
allein die absolut innerliche Realität derselben, die Hegel jetzt im Chemismus darstellt.
3. Im Chemismus ist die Wärme „die allgemeine Materie“. 66 Sie hat ihre zeitliche Bedeutung, stellt
sie aber noch nicht zur Schau, da sie als die Einheit von Raum und Zeit einfach schlechthin existiert,
d.h., sie ist am Anfang nicht entfaltet:
62
Vgl. ebd.
Vgl. ebd., S.53f.
64
Ebd., S.55.
65
Vgl. ebd., S.56: „Sie [die Wärme] ist zuerst allgemeines Medium überhaupt, […] allgemeines Insich – (oder die Dauer,
Einheit der Zeit und des Raums, welche in dieser Einheit sind.)“
66
Ebd., S.55f.
63
139
„Die Wär e, el he ihre Mo e te, ihre Ele e te o h i ht e t i kelt hat, sie ist o h i ht
Feuer, diese rege )eit, el he ihre Mo e te realisiert hat.“67
Sie ist also momentan nur das einfache Insichsein, das zeitlos bleibt. Ihre Zeitmomente werden noch
nicht realisiert. Jedoch herrschen die entgegengesetzten Momente (das zum anderen Fließende vs.
das sich Kohärierende) in der Wärme. Diese Wärme muss daher nicht mehr das Einfache bleiben,
sondern vielmehr in der Zeit agieren, um die innerliche Unruhe aufzuheben. Also entwickelt sie sich
in der Zeit und kommt dann als Feuer zum Vorschein, das Hegel auch den Prozess des Chemismus
oder der Physik nennt. „Der physische Körper ist nur erst das Feuer überhaupt.“68
Dieser chemisch-physische einzelne Körper bekommt seine Realität nur durch das Feuer in seinem
zeitlichen Prozess. Das Feuer ist das „innerliche Prinzip, Individualität, Einzelheit“.69 Es produziert
das reale Dasein des wesentlichen Einzelnen in sich selbst. Dieser innerliche Prozess ist daher „die
Bewegung des Selbst zum Selbst – das Erzittern – das physische Feuer, zum physischen Feuer – das
zu einem ebenso einfachen Dasein kommt, und zwar einem negativen, verschwindenden, als Zeit
ist.“70 Eben aufgrund dieser zeitlichen Bewegung des Selbsts zum Selbst, tritt das wesentlich in sich
seiende Endliche selbst ins Leben. Es ist der relevanteste Punkt und der Gipfel der physischen
Zeittheorie. Also: Durch das Feuer des Zeitprozesses entsteht das selbstwerdende Einzelne, das an
und für sich ist, d.h. nicht mehr das äußerliche Dasein als das Prädikat der unendlichen Substanz,
sondern schon an sich „Selbst, Subjekt, wahre Substanz“ 71 . Das Endliche und das Einzelne
bekommen ihre selbständige und wesentliche Realität, indem das Feuer „sich durch sich selbst
erzeugt, aus dem physischen selbständigen Körper, das Selbst an ihm selbst hat.“ 72 D.h., das
Einzelne ist nunmehr das Selbstorganisierende, und die Zeit ist damit die selbstorganisierende Zeit,
die Zeit des Organischen. Der Chemismus geht danach zum Organismus über. Damit wird 1805/06
eine neue Zeittheorie des endlichen Lebens, die wir bei Hegel 1804/05 nicht gesehen haben,
entwickelt.73
67
Ebd., S.58.
Ebd., S.92. Hierbei bedeutet das Wort „physisch“ eigentlich „chemisch“.
69
Ebd.
70
Ebd., S.93.
71
Ebd., S.100.
72
Ebd.
73
Eine weitere Darstellung der Funktion der Chemie zwischen Physik und Organik im reifen System Hegels gibt
Engelhart. Er argumentiert auch, dass die Chemie für die Gestalt der individuellen Einheit zentral ist (Engelhart, Hegel
und die Chemie, S.101). Vgl. auch A. Sell, Der lebendige Begriff, S.86-91 und S.169-174.
68
140
Das bisher Herausgearbeitete sei noch einmal zusammengefasst und sein zentraler Punkt vertieft:
1. Im Teil „Gestaltung“ wird der unendliche und himmlische Körper in der endlichen Zeit und dem
endlichen Raum vereinzelt. Wie 1804/05 stellt Hegel diese Vereinzelung zunächst in der Fall-, Wurfund Pendelbewegung dar, betont dabei die Zeitlichkeit aber nicht mehr. Gleichwohl erhalten die
Gestalten des Einzelnen ihre Realität in der Zeit, weil sie ihren Schwerpunkt erst im
Vermittlungsprozess erreichen können.
Sobald das Einzelne seinen Schwerpunkt in sich selbst begreift, gerät es in einen neuen
Widerspruch, den Widerspruch zwischen dem Ton und der Flüssigkeit. Sowohl der Ton als auch die
Flüssigkeit existieren im Insichsein der Masse. Vom Ton geht der räumliche Kristall und von der
Flüssigkeit der Zeitfluss aus. Ihre Einheit heißt die Wärme. Sie ist die erste Gestaltung der
immanenten realen Einheit von Raum, Zeit, Bewegung und Materie.
2. Diese immanent-reale Einheit in der Wärme entwickelt sich weiter im Chemismus, also im
Prozess des Feuers. Die Wärme als die innerliche Einheit von räumlichem Ton und zeitlicher
Flüssigkeit bedeutet am Anfang das zeitlos absolute Insichsein. Dieses Insichsein existiert aber
unruhig, weil die Wärme nur eine schwache Balance zwischen den treibenden und stoßenden Kräften
bildet. Aber die innerliche Stabilität fehlt hier noch. Deswegen muss die Wärme zum Feuer werden,
um sich in der Zeit zu entfalten und um alles, was in sich noch nicht gleich gesetzt wurde,
gleichzusetzen. Dieses Zeitwerden bedeutet letztendlich das physisch-organische Selbstwerden, weil
es nun in der Sichselbstgleichheit der Masse geschieht. Es ist also das Werden von sich selbst zu sich
selbst oder die innerliche Zeitorganisation. Durch den Prozess des Feuers hindurch taucht das wahre
natürliche Selbst (oder das Subjekt) auf. Der Chemismus geht zum Organismus, zur wirklich
lebendigen Welt über.
Im Vergleich zu Schelling bekommt dieses innerliche Zeitwerden des Einzelnen oder Endlichen
selbst ein völlig neues Recht, weil es die wesentliche Selbständigkeit des zeitlichen Endlichen
bedeutet. Die Zeit des Endlichen wird 1805/06 deutlich als die lebendige erörtert. Sie hängt nicht
mehr wie bei Schelling einseitig vom unendlichen Sein ab, sondern existiert an und für sich selbst.
D.h., sie ist das in sich zeitlich geschlossene Selbstwerden des Endlichen oder Einzelnen. Das
Selbstwerden bringt jedes Dasein kontinuierlich und konkret hervor; dieser Prozess ist ontologisch
fundamental. Erstens nämlich gewinnt das Selbst (Subjekt) des Endlichen 1805/06 im Chemismus
141
Gestalt. Im Vergleich mit der Darstellung von 1804/05 ist der zeitliche Chemismus als Zugang zum
Organismus und zur lebendigen Welt hier völlig neu. Während der Chemismus 1804/05 als
anorganischer verstanden wird, entsteht 1805/06 im Chemismus „das Bild des organischen
Prozesses“74. Die Natur kann ihren Zweck also in der innerlichen Zeit erfassen. Dieser Zweck ist
kein anderer, als das Endliche oder das Dasein selbst zu begreifen. Die Möglichkeit des Begreifens
des Zwecks muss sich im chemischen Zeitprozess ergeben.75 Anders gesagt, spielen der Chemismus
und die innerliche Zeit des Endlichen die entscheidende Rolle im Übergang von der anorganischen
zur organischen Natur. Zweitens wird von Hegel auch bewiesen, dass das natürliche Anderssein des
Geistes tatsächlich ein real Anderes ist und nicht nur ein ideal gesetztes. Im Gegensatz zur
Unendlichkeit des Geistes von 1804/05, die erst nach dem Prozess der Metaphysik auftritt, steht die
Unendlichkeit des Geistes 1805/06 direkt am Anfang der Naturphilosophie und muss hier durch die
Endlichkeit des Daseins ihren ontologischen Sinn erhalten. Nicht wie bei Schelling durch die
Trennung der Naturphilosophie von der Transzendentalphilosophie, sondern allein durch die
innerlich-dialektische Entwicklung des Geistes selbst gewinnt die Natur ihre ontologische
Selbständigkeit, die ansichseiende Realität des Andersseins im Zeitlich-Endlichen. Diese wesentliche
Realität des Endlichen in der innerlich-organischen Zeit muss aber wieder zum Geist übergehen.
Dieser Übergang wird von Hegel 1804/05 noch nicht ausgeführt, obwohl er bereits im ersten Jenaer
Entwurf 1803/04 angelegt ist, und erst 1805/06 detaillierter entwickelt.
4.3 Die Zeit der lebendigen Natur: der neue Teil der Hegelschen Zeittheorie 1805/06
1. Das zeitliche Selbst oder das Einzelne, das durch den Chemismus entstanden ist, ist am Anfang
des Organischen kein konkretes organisches Einzelnes, sondern ein allgemeines. Die Zeit darin ist
fürs Organische auch nur allgemein. Sie ist „die allgemeine Gegenwart und Wirklichkeit“76 und wird
als Licht interpretiert. 77 Dieses allgemeine Selbst kann nur durch das Selbstwerden verstanden
werden, weil es sein vollkommenes Selbstsein noch nicht erreicht hat:
74
Hegel, Jenaer Systementwürfe III, S.100.
Nur in diesem Sinn kann verstanden werden, wieso Hegel später in der enzyklopädischen Logikl den Chemismus mit
der Teleologie verbindet und ihn in der Naturphilosophie der Enzyklopädie auch als den Zugang zur organischen Physik
ansieht. 1805/06 kann man diese Struktur gut beobachten, während der Chemismus 1804/05 noch nicht direkt mit dem
Organismus verknüpft ist.
76
Ebd.
77
Dieses Licht ist aber nicht mehr schlechthin ideal wie bei Hegel 1804/05. Vielmehr ist es die Quelle des Lebens, die
das Ganze der Wärme in sich selbst hat.
75
142
„Das Orga is he ist s ho a si h das, as es wirklich ist. Es ist die Bewegung seines Werdens.
Aber was das Resultat ist, ist auch das Vorhergehende. Bisher dies unser Erkennen. Physischer
Körper ist an sich, Einheit der Schwere und Wärme, dies wird er, und gerade dies Werden ist
seine Wirklichkeit sel st.“78
Dieses selbständige, aber allgemeine Organische wird in seinem Werden konkretisiert und vereinzelt.
Um die beiden, das allgemeine Einzelne und das Konkrete, zu unterscheiden, nennt Hegel das
Allgemeine die „Einzelheit“ 79 . Sie ist die reale und absolut gegenwärtige Substanz des
Selbstwerdens, die die Erde heißt und die Einheit des Lebendigen repräsentiert.
Die Erde als die Substanz des Selbstwerdens hat ihre Vorgeschichte im Chemismus und im
zeitlichen Feuer. Sie ist das gekühlte Feuer und die allgemeine beruhigte Zeit. „Die Geschichte ist
früher in die Erde gefallen; itzt aber ist sie zur Ruhe gekommen. Ein Leben, das in sich selbst gärend,
die Zeit an ihm selbst hatte, – der Erdgeist, der noch nicht zur Entgegensetzung gekommen“ ist.80
1804/05 wurde diese Geschichte des Werdens vom zeitdauernd-unruhigen Feuer zur absolut
gegenwärtig-ruhigen Erde (d.i. die Geschichte der Versteinerung der flüssig-wärmen Masse) bereits
dargestellt. 1805/06 wird von Hegel aber das weiteren gezeigt, inwiefern die Erde im organischen
Prozess eine wichtige Rolle spielt.
2. Die abgekühlte Erde war flüssig. Ihr „Leben ist wesentlich diese vollkommene flüssige
Durchdringung aller Teile desselben“.81 Dagegen bleibt nach der Abkühlung der Erde alles Einzelne
als Momente oder Teile des Selbstwerdens nebeneinander und gleichgültig bestehen, weil sich nichts
mehr in der Zeit bewegt. Die Erde ist also allgemein, ihre Teile sind dagegen individuell. Daher
schreibt Hegel:
„Das Allge ei e, der ) e k a er, si h i sie [die Mo e te] ausbreitend, kehrt in sich zurück,
ihre Gleichgültigkeit ist das einseitige Moment, das sich in die Negativität zusammennimmt,
und Individuum ist. Die Substanz teilt sich nicht nur in verschiedene, sondern in absolut
entgegengesetzte, und solche, deren jedes die Totalität, i si h Reflektiertes ist“82.
78
Ebd., S.101.
Vgl. ebd., S.102. 1803/04 nennt Hegel es „die absolute Einzelheit“ (Hegel, Jenaer Systementwürfe I, S.121: „Das
Organische ist vors erste die absolute Einzelheit der Erde, das numerische Eins und Ideellgesetztsein derselben an ihm“).
80
Hegel, Jenaer Systementwürfe III, S.106.
81
Ebd., S.111.
82
Ebd.
79
143
D.h., die Erde als das Ganze oder die Einzelheit alles Einzelnen wird nun den Teilen und den
Einzelnen entgegengesetzt. Jedoch behält jeder Teil die Totalität in sich selbst, da diese Totalität (als
das Insichsein) ja in jedem Teil wohnt. Sonach gibt es nun eine gedoppelte Totalität: Die Totalität in
jedem Einzelnen und die Totalität in der allgemeinen Einzelheit alles Einzelnen. Beide sind
ursprünglich eins, weil beide zum Selbst des Organischen auf der Erde gehören. Hegel nennt die
allgemeine Totalität die Gattung, die „die Macht gegen das Einzelne“83 ist. In ihrem Prozess „hebt
[sie] dieses Einzelne auf, bringt ein anderes hervor, das die Wirklichkeit der Gattung ist“.84 Der
Gattungsprozess bekommt seine Wirklichkeit also dadurch, dass diese organische Gattung die
Negation des Einzelnen und die Konstruktion des anderen Einzelnen in die Zeitreihe bringt. Sie
vermittelt dieses Einzelne mit seinem Anderen, oder besser, sie existiert als die Einheit der beiden.
„Diese Einheit der Substanz ist das unmittelbare Übergehen, die unmittelbare Verwandlung“ 85. Sie
ist daher das zeitlich Dauernde oder der zeitlich entwickelte Prozess.86
Im zeitlichen Gattungsprozess wird die gedoppelte Totalität synthetisiert, weil die allgemeine
Substanz nun nicht mehr nur an sich bleibt, sondern vielmehr durch alles Einzelne hindurch dauert.
Einerseits bedeutet diese Synthesis das Entstehen und Vergehen des zeitlichen Einzelnen aus der
absoluten Substanz und wiederum in dieselbe zurück; andererseits wird die allgemeine Substanz im
zeitlichen Gattungsprozess auch verwirklicht und konkretisiert; sie negiert mithin also selbst ihre
Allgemeinheit, also:
„Dies Allge ei e a er hat si h a ihm selbst zu verwirklichen – es gibt sich sein Selbstgefühl –
eben durch die Bewegung – für sich werden. Sie ist in es selbst verlegt; – es zehrt sich selbst auf;
es ist gegen sich selbst als dies unmittelbar Allgemeine, als diese ORGANISCHE Gattung gekehrt;
es ist si h sel st das Orga is he. Dies ist sei I di idualisieru gsprozeß.“87
D.h., durch die Verwirklichung der Substanz, die die ruhige Einzelheit bedeutet, kehrt das
Allgemeine zurück zu sich selbst, indem es in seiner Bewegung alles Einzelne aufgehoben hat.
Dieser Aufhebungsprozess heißt auch der Individualisierungsprozess der Substanz. Was aufgehoben
ist, ist nicht nur das sich zu Anderem zeitlich bewegende Einzelne, sondern auch die absolute Ruhe
und Starrheit der substanziellen Einzelheit. Dazu schreibt Hegel: „Das Organische fängt mit der
83
84
85
86
87
Ebd., S.112.
Ebd.
Ebd., S.115.
Vgl. ebd., S.117: „Dieses unmittelbare Übergehen ist eben so der entwickelte Prozess.“
Ebd., S.118.
144
Einzelheit an und erhebt sich zur Gattung“, 88 denn das konkrete Einzelne, obwohl es in der
allgemein-substanziellen Einzelheit negiert wird, pflanzt sich im Anderen seiner selbst im
Gattungsprozess fort. Mithin wird die substanzielle Einzelheit auch als nichts anderes als der
Gattungsprozess betrachtet. Diese Fortpflanzung des einzelnen Organischen durch die Gattung
konstruiert die Wirklichkeit der Einheit von Zeit, Bewegungskraft und Materie in der lebendigen
Welt. Eben dieser Prozess ist der zeitliche Prozess des Fürsichseins des organischen Stoffs.
3. Das Resultat der Individualisierung im Gattungsprozess ist kein einfaches Einzelnes, das
schlechthin gegen die allgemeine Einzelheit steht, sondern ein synthetisches Individuum, das den
Gattungsprozess in sich selbst enthält. Anders formuliert: Das neue organische Individuum muss
einerseits im Gattungsprozess entstehen und vergehen, ihn andererseits aber auch in sich selbst
aufheben. Es muss das Andere seiner selbst aus sich produzieren oder gebären. Diese Fortpflanzung
des Einzelnen im Gattungsprozess geschieht zunächst im vegetabilischen Organismus, also in der
Pflanze.
Die Pflanze ist „die unmittelbare organische Individualität“ oder „die individuelle Gattung“.89 Sie
„tritt […] als einfache unmittelbare Einheit des Selbsts und der Gattung auf“. 90 Sie hebt a) die
einfache Einzelheit (die Erde) in sich selbst auf, indem ihr Samenkorn die Kraft der Erde in sich
selbst aufnimmt und diese Kraft dann als die eigene benutzt, um sich zu vermehren. 91 Das
Samenkorn entfaltet b) sein Selbst allmählich durch sein Wachsen. D.h., die Pflanze produziert ihre
anderen Teile (wie z.B. Wurzel, Blatt usw.) von sich selbst (d.i. vom Samenkorn) aus und erhebt sich
danach selbst zur Gattung dieser verschiedenen Teile.
In der Pflanze fehlt aber noch die Kraft, die absolut gegen die Erde steht. Ihre Kraft kommt
schlechthin aus der Erde, d.i. aus der allgemeinen Einzelheit, und wird niemals derselben
entgegengesetzt. 92 Deshalb ist die Pflanze auch kein absolutes Individuum, sondern allein
Individualität. Zudem bleiben die Teile der Pflanze immer noch relativ voneinander getrennt, weil
die Pflanze kein Selbstgefühl besitzt93 und die Teile daher auch niemals für ihre wesentlichen Teile
88
Ebd., S.119.
Ebd., S.120.
90
Ebd., S.121.
91
Die Macht des Samenkorns bedeutet bei Hegel dann die „Einheit des Raums, Kraft“. Die „Bedeutung des Raums ist
also hier Leben“, weil das Samenkorn das Leben in seinem Raum behält und noch nicht in der Zeit verwirklicht (vgl.
ebd., S.122).
92
Vgl. ebd., S.128, Fußnote 6: „Pflanze nur die Erde, Kraft.“
93
Vgl. ebd., S.120: „Der Prozeß ist die unmittelbare organische Individualität, worin die Gattung das Übergewicht hat,
89
145
hält. Das Ganze der Teile ist demzufolge auch nur ein abstraktes Allgemeines, das seine Teile als das
andere Einzelne seiner selbst betrachten kann, insofern jeder Teil der Pflanze (wie z.B. Wurzel oder
Blatt usw.) die Möglichkeit in sich hat, eine andere Pflanze oder ein anderes Einzelnes zu werden.
„Dies andere Einzelne ist nur ein TEIL derselben, und eine Pflanze wie sie.“94 Die Individualität der
Pflanze ist m.a.W. nur in sich reflektiert, insofern das Ganze und die Teile im Widerspruch stehen.
„Ihr Reflektiertsein ist sich selbst daher nicht die Einheit zweier Einzelnen, sondern diese fallen an
ihr auseinander.“95 Das Leben der Pflanze in dieser Reflexion ist daher immer entzweit, weil ihr
Ganzes und ihre Teile weder faktisch füreinander sind, noch vollkommen in eins gebracht werden
können. Mithin gibt es in der Pflanze eigentlich noch keine völlig verwirklichte Zeit des von der Erde
(oder von der absoluten Einzelheit) befreiten, absolut selbständigen und organischen Einzelnen. Die
Zeit als solche muss man daher im animalischen Prozess, also in der Bewegung der Tiere suchen.
4. 1803/04 sieht Hegel bereits, dass im animalischen Prozess „das Einzelne […] dem Elemente der
Einzelheit […] gegenüber[tritt]“ und dass das Einzelne (Besondere), das Tier, „das negative
Allgemeine, die Zeit gegen die Erde“ ist.
96
„So hat das Tier willkürliche Bewegung, es erweist sich
als die lebendige Zeit gegen die indifferente bestehende Erde und geht an ihr, die es sich besondert
hat, vorüber.“97 Nicht wie die Pflanze, die immer an einem bestimmten Ort steht, bewegt sich das
Tier auf der Erde, wie es will. Seine Zeit ist also die lebendige Zeit des von der Erde befreiten
Einzelnen. Während die Zeit der Erde oder der Pflanze ganz ruhig und immer nur gegenwärtig ist, ist
die Zeit des Tieres vorübergehend.98 D.h., das Tier besitzt die fließende Zeit in sich selbst. Es macht
sie sogar zu seinem Selbst, weil es – als das gegen die Einzelheit existierende Einzelne – eben das
sich willkürlich bewegende Zeitliche ist, das dem starr dastehenden Substanziellen entgegensteht.
1805/06 nennt Hegel diese Zeit deshalb „Freie Bewegung“. 99 In der freien Bewegung ist das Tier
das vollkommen einzelne Selbst. Oder:
und die Reflexion nicht individuell ist, das Individuelle nicht als solches in sich zurückgeht, sondern ein anderes ist, kein
Selbstgefühl. Diesen Charakter hat ihr ganzer Prozeß.“
94
Ebd., S.129.
95
Ebd.
96
Hegel, Jenaer Systementwürfe I, S.141.
97
Ebd.
98
Vgl. auch ebd., Fußnote 2: „Es [das Tier] ist Zeit, geht vorüber“.
99
Hegel, Jenaer Systementwürfe III, S.137.
146
„[D]as Tier ist ei auss hließe des Sel st,
el hes zur Individualität gelangt, es schließt, es
sondert sich aus, und trennt sich von der allgemeinen Substanz der Erde ab, sie hat ein
äußerli hes Dasei für es“.100
Gegen die allgemeine Einzelheit ist das Tier „ein Einzelnes, das sich zu Einzelnem als solchem
verhält.“ Dementsprechend ist der animalische Organismus „das als Leben daseiende Leben“. 101 Für
dieses wirkliche Einzelne sind die folgenden zwei Punkte besonders wichtig:
1. Das Einzelne heißt das absolut Fürsichseiende, das anders als die Pflanze existiert, in der das
Ganze den Teilen widerspricht. D.h., das animalische Einzelne existiert niemals wie die Pflanze, die
als „das selbstlose Leben“ besteht, insofern das Leben der Pflanze immer noch entzweit ist. Vielmehr
existiert das animalische Fürsichseiende „als Zweck, der sich selbst hervorbringt – ist eine
Bewegung, welche in dieses Individuum zurückgeht – der Prozess der Individualität ein
geschlossener Kreislauf.“102 Das Tier wird deswegen „das als Leben daseiende Leben“ genannt, weil
es den Zweck seiner natürlichen Bewegung in sich selbst hat und weil es den Kreislauf zwischen
seinem Ganzen und seinen Teilen so vollkommen teleologisch aufbaut, dass jeder Teil (jedes Glied)
vom Tier absichtlich benutzt werden kann, um das psychophysisch-teleologische Bedürfnis seines
Ganzen zu erfüllen. D.h., jeder Teil des Tieres wird nun nur als sein Teil verstanden, während die
Teile der Pflanze noch dem Ganzen der Pflanze entgegengesetzt sind. Das Tier als das Einzelne ist
das psychophysisch-teleologische Ganze seiner natürlichen Bewegung.103
2. Das animalische Einzelne hat im Gegensatz zur Pflanze ein Selbstgefühl. Während das Selbst
der Pflanze in ihrer Entzweiung nur abstrakt-reflexiv gesetzt wird, kann das Tier sein Selbst auch
lebendig fühlen. Jedes Tier fühlt also seinen Hunger, seinen Durst, seine Begierde. 104 Dieses
Selbstgefühl orientiert das Einzelne auf die Verwirklichung seines Zwecks. Aufgrund seines
Selbstgefühls und seiner Begierde hebt das Tier alles in sich selbst und für sich selbst auf: „Der
100
Ebd.
Ebd., S.138.
102
Ebd.
103
Wie gesagt, darf dieses psychophysisch-teleologische Ganze nur mit dem Selbstwerden des natürlichen Andersseins
zusammengedacht werden. Es ist noch kein teleologisches Ganzes im Sinne des Selbstseins, das nur im Geist wesentlich
hervortritt. Der Zweck ist hier m.a.W. noch kein geistig-ontologischer Zweck. Die Zufälligkeit des individuellen Zwecks
wird im Folgenden anhand des beliebigen Gefühls und der blinden Begierde des Tieres dargestellt. Eine Darstellung der
teleologischen Struktur der Naturentwicklung in Hegels reifem System findet man bei M. Bormann, Der Begriff der
Natur. Eine Untersuchung zu Hegels Naturbegriff und dessen Rezeption, Centaurus Verlag, Herbolzheim 2000, S.104ff.
104
Eine logische Darstellung dieses Selbstgefühls gibt Hegel später in der Enzyklopädie (vgl. P. S.-Weithofer, Über die
Seele bei Platon, Aristoteles und Hegel, in: Über die Seele, hrsg. von. K. Crone, R. Schnepf und J. Stolzenberg,
Suhrkamp, Berlin 2010. S.222-229).
101
147
Organismus hat sich selbst als dieses Ganze hervorgebracht – es ist nach außen Gekehrtes: tierische
Begierde; es ist Fürsichsein, das die Gewißheit hat, daß das Ausgeschlossene nicht an sich, sondern
an sich Aufgehobenes ist.“ 105 Die äußerliche Begierde des Einzelnen muss vom innerlichen
Selbstgefühl ausgehen und letztendlich als das für sich Gefühlte bewiesen werden; dies ist für die
vollkommene Selbstheit des natürlichen Einzelnen entscheidend.
In diesem Zusammenhang treten die Charaktere der lebendigen Zeit des animalischen Einzelnen
allmählich zutage. Erstens muss im Vergleich mit anderem natürlichen Leben die Zeit im
Selbstwerden hier teleologisch verstanden werden; und zweitens wird die Zeit vom Tier gefühlt.
Diese beiden Punkte, die miteinander zusammenhängen, werden im Folgenden näher erläutert.
Die lebendige Zeit wird 1805/06 wie bereits 1803/04 mit der tierischen Bewegung verknüpft. Das
Tier „ist die absolute Bewegung, das natürliche lebendige Selbst, der Prozeß selbst“106. Es kann sich
bewegen, weil sein Herz das Blut bewegt. Eben darum ist das Blut selbst „das Prinzip der
Bewegung“, „das Subjekt, so gut als der Willen eine Bewegung anfängt“, sowie „die Einheit, das
Allgemeine der Grund und die Bewegung selbst“107. Das Blut hat einen Trieb zu bewegen. Dieser
Trieb des Blutes wird von Hegel auch der Wille oder der Nous genannt. 108 Dieser zwingt das Tier,
sein Selbst durch seine Bewegung zu fühlen. Anders gesagt, das Blut zeigt die lebendige Tätigkeit.
Dieses Blut fungiert „als Mein, als Ich; nicht als Dinge, bloßer Inhalt, von diesem kann ich
abstrahieren.“ So wird „die lebendige und belebende Kraft des Bluts aus der Gestalt – und seine
innere Bewegung erfordert auch die eigentliche mechanische äußere Bewegung“. 109
Um diese Bewegung, mithin die lebendige Zeit, zu verstehen, muss man die Aktivität des
jemeinigen Blutes inkl. seines Triebes oder Willens immer im Blick behalten. Die Beziehung
zwischen dem Blut (als dem Prinzip der Bewegung) und der Zeit besteht nach Hegel wie folgt:
„Es [das Blut] ist die ga ze Be egu g; es tritt e e so auf die Seite,
ie die )eit gege de
Raum; als ein Moment, denn es ist die Unterscheidung seiner von sich selbst; die Bewegung ist
105
Ebd., S.152.
Ebd., S.147.
107
Ebd., S.148.
108
Zu Hegels Zeit war es ganz normal, den ursprünglich-tierischen Trieb mit der Bewegung (oder den ‚Gezeiten‘) des
Blutes zu verbinden. Damit soll ein heimlicher Zusammenhang von Körper und Seele angedeutet werden.
109
Ebd.
106
148
eben dies auf die Seite Treten ihrer selbst, wodurch sie Subjekt, Ding ist, und das Aufheben
ihres auf der Seite Stehe s u d Ü ergreife s ü er si h u d das E tgege gesetzte.“110
Dieser Satz ist nicht einfach zu verstehen. Hegel meint, dass der lebendige Trieb des Blutes eine
zeitliche Kraft hat, die der räumlichen Kraft entgegensteht. Diese zeitliche Kraft repräsentiert
selbstverständlich die Kraft der tierischen Bewegung, dagegen die räumliche die der äußerlichen
Welt. Der Trieb des Tieres entsteht kraft seines Blutes aus der Selbstheit des endlichen Einzelnen,
geht aber nach außen, um seine Selbstheit zu verwirklichen. Diese Selbstverwirklichung wird als
sein Zweck gesetzt. Dieser Zweck kann allein durch diejenige Unterscheidung erreicht werden, nach
der das Tier sich einerseits, etwas wollend, in der lebendigen Zeit bewegt und es andererseits das,
was es bekommen will, in der äußerlich-räumlichen Welt sucht. Als das Subjekt an sich muss das
Tier also die äußerlich-räumlich existierenden Sachen in seinem innerlich-zeitlichen Leben aufheben,
um seinen Zweck (seine Selbstheit im natürlichen Selbstwerden) zu verwirklichen. Ein Tier, das
bspw. Hunger und Durst verspürt, muss in der äußerlichen Welt etwas zu essen und zu trinken finden.
Es muss also für sich das Äußerliche vernichten. Das Tier fühlt die Begierde zu essen oder zu trinken
durch sein Blut, denn „die Bildung seines Blutes ist die Erzeugung der Begierde“.111 Es verwirklicht
seinen Zweck (seine Begierde) in der Bewegung nach außen bzw. in der Zeit in Bezug auf den
Raum.
Das „Ich“ des Tieres, das immer aus sich selbst heraus ein Äußerliches begehrt, bedeutet das
entzweite Selbst des Tieres, in dem die lebendige Zeitlichkeit des Tieres noch der Räumlichkeit
seiner Umwelt entgegengesetzt ist. Nachdem das Tier seine Begierde befriedigt hat, versenkt es sich
in seinem Insichsein oder in seiner Einheit: „Die gesättigte Begierde aber ist sein Schlaf, sein
Insichsein; die Nacht, die Selbst ist.“ 112 Es ist nun das Ganze als Individuum, in dem die
innerlich-zeitliche Bewegung das äußerlich-räumlich Seiende bereits aufgehoben hat. Das Tier im
Insichsein ist also das „Ich-Ganze“, denn „der Gegenstand ist Mein; der umgekehrte: Ich bin der
Gegenstand“113. Hegel nennt dieses Ich-Ganze den Satz des Geschlechts. Ein Tier fühlt sein Selbst
im Geschlechtsverhältnis, weil es in einem anderen Ich sein Selbst fühlt oder weil das, was als
Gegenstand ist, das Seinige ist. Mithin gibt es nun die „unmittelbare Einheit des Seins und des
110
111
112
113
Ebd.
Ebd., S.153.
Ebd., S.154.
Ebd.
149
Seinen“.114 Diese Einheit muss bei Hegel mit der Zeit zusammengedacht werden. Während das nach
äußerlichen Dingen begehrende „Ich“ des Tiers seine Zeit verräumlicht, geht im „Ich“ des
befriedigten Tiers „die Geleichgültigkeit im Raume […] in der Zeit in sich zurück.“ Also:
„Rau
u d )eit si d sel st so als glei hgültige ausei a der gehalte : itzt ur räu li hes
Verhältnis, dann zeitliches, – der Raum das gleichgültige auseinanderfallende Bestehen – Zeit
Aufheben dieses Auseinanderfallens – aa) Verschwinden des Subjekts und Objekts füreinander,
bloß negative leere Bedeutung der Negation; – aber bestimmt Negation der Form, des
Auseinanderfallens; – unmittelbare Berührung in der Gleichgültigkeit des Bestehens beider –
Sinn der Gestalt; die Bestimmtheit des räumlichen Fürsichseins, daß sie in Gegensatz treten; ist
er als die Bestimmtheit an jedem selbst; die heraustretende Zeit, die ihre Mitte ist; als Mitte
einfacher Einheitspunkt, ihre Unterschiede an dem erfüllten räu li he .“115
D.h., sobald die Begierde befriedigt ist, wird das äußerlich-räumliche Ding auch im
innerlich-zeitlichen Leben aufgehoben. Diesen zeitlichen Prozess nennt Hegel die Verdauung. Das
früher Auseinanderfallende wird nunmehr in der Zeit negiert. Die Zeit ist die Einheit und die Mitte
dieser Einheit.116 Alles, was im Raum existiert, wird nun für das Tier selbst aufgelöst. Das absolute
„Ich“ des Tieres heißt eben „Bestehen und Aufgelöstsein – Raum und Zeit unmittelbare Einheit“.117
Mithin wird der Raum (d.i. das nichtlebendig-äußerliche Ding) erfüllt, indem das Ding nunmehr als
Ding innerhalb der Begierde und innerhalb der Zeit existiert und durch die (Verdauungs-)Bewegung
des Tieres aufgehoben wird:
„Die Si
e si d der satte erfüllte Rau ; – Begierde ist Bewegung, die sich nicht nur
aufgehobener Raum, sondern aufgehobener erfüllter Raum ist. – Er selbst ist sich das
Ma gel de; Sel stgefühl des Hu gers. Durst.“118
Also: Die Begierde nach dem äußerlich-räumlichen Ding entsteht im tierischen Leben immer durch
das Selbstgefühl des Mangels. Sobald der Mangel beseitigt ist, wird auch der Raum, der Gegenstand
des Lebens, erfüllt.
114
Ebd., S.154f.
Ebd., Fußnote 4.
116
Vgl. auch Hegel, Jenaer Systementwürfe I, S.166f.: „Sie [die Bewegung] existiert im Tier als Zeit“. „Es [das System
der Sinne] bleibt so am Tier ein System als Moment des Ganzen, das unter der Herrschaft der Individualität, der
numerischen Einheit bleibt oder als Zeit.“ D.h., diese zeitliche Einheit ist auch das Ganze der Bewegung des lebendigen
Einzelnen, das sich darin selbst durch seine Sinne fühlt.
117
Hegel, Jenaer Systementwürfe III, S.153.
118
Ebd., S.158.
115
150
In der Zeit und Bewegung fühlt das Tier seine Begierde und verwirklicht den Zweck seiner
natürlichen Bewegung. Daher kommt die lebendige Einheit von Raum, Zeit, Bewegungskraft und
Materie (als Einheit des organischen Einzelnen) komplett ans Licht.
Das selbstfühlende Tier erkennt seine Begierde durch sein Gehirn, das das innerliche Organ des
Individuums ist. Jedoch fühlt das Tier sich als das wirklich-lebendige Einzelne nur dann, wenn es
einen Mangel in sich selbst hat. Sobald die Begierde befriedigt ist, muss auch die lebendige
Bewegung des Einzelnen beendet werden. Anders formuliert: „Die gesättigte Begierde hat hier nicht
die Bedeutung des sich als dieses einzelne hervorbringenden Individuums, sondern als allgemeine,
als Grund derselben, an dem die Individualität nur Form ist; der innere Organismus, das Fürsichsein,
das zur Äußerlichkeit geworden. Die befriedigte Begierde ist daher das zu sich zurückgekehrte
Allgemeine – das unmittelbar die Individualität an ihm hat.“119 Also: Die Befriedigung der Begierde
ist auch die Negation des Lebens des Einzelnen. Sie repräsentiert die Allgemeinheit, nie die
Besonderheit, indem alles äußerliche Andere absolut aufgehoben wird.
Um seine Individualität zu behalten, muss das Tier seinen Mangel und das äußerliche Andere
seiner selbst akzeptieren. Es muss das Entgegengesetzte empfangen. D.h. einerseits, der absolute
Mangel des einzelnen Tieres, der absolut ruhig ist (weil alle Gegensätze darin aufgehoben werden)
und der immer zu seinem Selbst (d.i. zu seinem Einzelnen) gehört, ist der Tod des Tieres.
Andererseits aber beweist „der Tod dieses Individuums“120 nicht nur das einzelne Sein des Tieres,
sondern bedeutet auch die Untrennbarkeit des Einzelnen und seiner Bewegung – jedoch nicht mehr
in diesem Tier (da es bereits gestorben ist), sondern in einem anderen Tier, das auch ein Einzelnes ist.
Dieses Einzelne, das einmal eben das bereits gestorbene Tier und ein andermal ein anderes
lebendiges Tier ist, ist das Kind des Tieres. Durch seinen Tod wird das Tier zur Gattung. „Er [der Tod]
ist das Werden des Individuums zur Gattung.“121 Über den Tod muss sich die lebendige Zeit des
wirklichen Einzelnen im Gattungsprozess immer fortpflanzen und zwar so lange wie die ewige
Dauer der lebendigen Natur.
Zusammenfassend lässt sich festhalten:
119
Ebd., S.159.
Ebd., S.161. E. Fink hält den Tod bei Hegel für den Eigensinn des Eigenstandes des Endlichen (E. Fink, Metaphysik
und Tod, W. Kohlhammer Verlag, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1969, S.163ff.).
121
Hegel, Jenaer Systementwürfe III, S.162, vgl. auch S.161.
120
151
Die ontologische Einheit von Raum, Zeit, Bewegungskraft und Materie im Organismus ist die
lebendige Einheit von Raum, Zeit, Bewegungskraft und organischem Einzelnen. Das Einzelne (das
wirkliche Endliche oder Dasein) wird hier betont, weil es seinen Sinn von seinem Selbst (Subjekt)
bekommt und daher die Realität der Natur im absoluten Fürsichsein darstellt.
1. Durch den Übergang vom Chemismus zum Organismus ist das in der Zeit dauernd-unruhige Feuer
zur absolut gegenwärtig-ruhigen Erde geworden. Dieses Werden ist kein äußerliches wie das
mechanische, sondern das organische Selbstwerden der Erde.
2. Die Einzelheit der Erde ist das Ganze. Was im Selbstwerden als die Momente der Bewegung
erscheint, sind die Teile. Die Erde und ihre Teile existieren füreinander, weil beide in einem und
demselben Selbst sind. Hegel nennt das Ganze im Verhältnis der beiden nun die Gattung und die
Momente das konkrete Einzelne. Der Gattungsprozess muss sich in der Zeit entwickeln. Er wird als
der Individualisierungsprozess definiert, insofern das Ganze sich in seinen Teilen verwirklicht und
fortpflanzt.
3. Die organische Einheit von Gattung und Einzelnem wird zunächst in der Pflanze verwirklicht. Die
Pflanze benutzt die Kraft der Erde, um sich selbst zu stärken. Sie ist noch kein vollkommenes
Einzelnes (Individuum), sondern nur die allgemeine Individualität. Ihr Ganzes und ihre Teile sind
noch nicht völlig vereinigt. Es gibt in ihrem Leben auch noch keine lebendige Zeit, die von der
absoluten Gegenwärtigkeit der allgemeinen Erde befreit wäre.
4. Die lebendige Zeit entsteht im vollkommenen Einzelnen, d.i. im Tier. Sie wird von Hegel als die
willkürliche aber konkrete Zeit gegen die ruhige Gegenwärtigkeit der allgemeinen Erde verstanden.
Ihre Lebendigkeit zeigt sich durch die physiopsychologisch-zweckmäßige Bewegung des Tieres, sein
Selbstgefühl sowie seine Begierde. Die zwei wichtigsten Punkte der Zeittheorie des
organisch-wirklichen Einzelnen im Tierischen sind also die psychophysisch-teleologische Zeit in der
natürlichen Bewegung und die vom Selbst gefühlte Zeit. Beide stehen gegen die abstrakte Einzelheit
der Erde und der Pflanze. Sobald das Tier seine Begierde befriedigt hat, wird der äußerliche
Gegenstand in die innerliche Zeit aufgehoben, sodass das Tier dann auch nicht mehr ein Einzelnes
oder Endliches gegen ein äußerliches Anderes ist. Das Tier ist nun vielmehr zur allgemeinen
Einzelheit oder zur allgemeinen Individualität geworden. Wenn das Tier den Unterschied zwischen
sich und einem äußerlichen Anderen fühlt, fühlt es sein endliches Selbst erst in einem Mangel (wie
152
z.B. Hunger oder Durst). Das Mangelgefühl zeichnet also das tierische Dasein und die Wirklichkeit
des organischen Einzelnen aus.
Der brisanteste Punkt ist in diesem Zusammenhang das ontologische Verhältnis der Zeit zum
Selbstleben. Dieses Verhältnis bedeutet den Übergang zur geistigen Welt. Die Lebendigkeit der Zeit
der Natur in Bezug auf den Geist war bei Hegel 1804/05 noch nicht zu sehen. 1805/06 wird sie durch
das Selbstgefühl und die Befriedigung der Begierde des Tieres als das vollkommene Subjekt der
Natur begriffen.122
Im Vergleich zu Schelling kommt dem Zusammenhang von Natur und Geist bei Hegel noch
immer eine wichtige Bedeutung zu. Wie vielmals betont, unterscheidet sich Hegel von Schelling vor
allem dadurch, dass er das Verhältnis von endlich-ansichseiendem Anderssein des Geistes und
unendlichem Geist als dialektisches fasst. D.h. erstens: Die Natur als das Andere des Geistes selbst
garantiert die Realität des Geistes. Diese geistige Realität wird durch das Bewusstsein des
natürlichen Lebendigen hervorgebracht, das allein durch das zeitliche Selbstwerden des
organischen-wirklichen Daseins in Kraft gesetzt werden kann. Um die Leerheit der Bestimmung des
Geistes selbst zu vermeiden, muss sein Anderssein (das An- und Fürsichsein des endlichen Einzelnen)
sich in der Ontologie etablieren. Nur im zeitlichen Selbstgefühl und in der Bewegung zur
Verwirklichung
des
psychophysischen
Zwecks
kann
die
Realität
der
Selbstheit
des
lebendig-natürlichen Daseins gefunden werden. Hierbei ist das Selbst sein Selbst, weil das tierische
Subjekt sich selbst und zugleich die Begierde nach einem Anderen seiner selbst fühlt; und die
Realität ist seine Realität, weil das Einzelne kraft seines Leben die äußerlich-reale Materie (und ihre
zeitlich-räumlichen Gestalten) in sich selbst aufgehoben hat. Zweitens: Das Leben des zeitlich
Endlichen muss nicht nur aufgrund des natürlichen Daseins, sondern vielmehr erst aufgrund der
Selbstbestimmung des Geistes zum Ausdruck gebracht werden. Obzwar der Geist in der Natur
verborgen bleibt, ist er der wahrhafte (d.h. nicht nur psychophysische) Zweck des Naturwesens. In
der Entfaltung der natürlichen Realität erkennt die Natur m.a.W. allmählich sich selbst, ihr
Bewusstsein erwacht durch die lebendige Zeit des Subjekts. Obwohl dieses Bewusstsein momentan
noch kein Selbstbewusstsein des Geistes selbst ist, ist es doch die Empfindung des äußerlichen
Gegenstandes der Begierde des animalischen Subjekts selbst. Ohne den wahrhaften Zweck, sich
122
Eine Darstellung der Entstehung der organischen Natur in Hegels reifem System findet man bei Spahn, Lebendiger
Begriff, begriffenes Leben, S.227-275
153
selbst in der Zeit zu erkennen, könnte das natürliche Lebendige niemals sich für sich selbst frei
bewegen; mithin wäre seine Realität auch keine Realität für es selbst. Dagegen ist das Lebendige für
Schelling stets ewig, niemals zeitlich. Er schreibt:
„Das Le e a er esteht i ei e
Kreislauf, in einer Aufeinanderfolge von Prozessen, die
kontinuierlich in sich selbst zurückkehren, so daß es unmöglich ist anzugeben, welcher Prozeß
eigentlich das Leben anfache, welcher der frühere, welcher der spätere sei. Jede Organisation
ist ein in sich beschlossenes Ganzes, in welchem alles zugleich ist, und wo die mechanische
Erklärungsart uns ganz verläßt, weil es in einem solchen Ganzen kein Vor und kein Nach
gi t.“123
Schelling unterstreicht selbstverständlich das ewige Ganze, bestreitet aber zugleich die Bedeutung
der Zeit fürs Lebendige oder Organische. D.h., das zeitliche Endliche ist bei Schelling 1797 nicht das
selbständige Anderssein des Geistes selbst, geschweige denn der Grund der Realität desselben.
Allerdings muss mit dem Übergang des natürlichen Endlichen zum Geist auch bei Hegel die
Relevanz der Zeit verschwinden. Die Zeit muss im Geist vertilgt und zugleich verewigt werden. Auf
die Tilgung der Zeit werde ich in den Kapiteln 6 und 7 zu sprechen kommen. Zuvor sollen aber in
Kapitel 5 noch einmal die bisherigen Überlegungen zu Hegels Zeittheorie in der Naturphilosophie
kurz zusammengefasst und ihr Verhältnis zur Zeittheorie in Schellings Jenaer Identitätsphilosophie
skizziert werden.
123
Schelling, Von der Weltseele, S.237.
154
Kapitel 5
Die Zeit aus dem Unendlichen und die Zeit fürs Unendliche. Schellings Jenaer
Identitätsphilosophie versus Hegels Jenaer Entwürfe
Entscheidender Bezugspunkt von Hegels Jenaer Zeittheorie stellt Schellings Naturphilosophie dar.
Zwar sind auch Bezüge zum System des transzendentalen Idealismus nachweisbar, doch beeinflusst
diese Schrift kaum Hegels Naturphilosophie und steht daher im Fokus der vorliegenden
Untersuchung. In diesem Kapitel begrenze ich meine These nur insofern, als Hegel trotz seiner
programmatischen
Zustimmung
zur
Vereinigung
von
Transzendentalphilosophie
und
Naturphilosophie in Schellings Identitätsphilosophie einen völlig anderen Weg verfolgt, die Einheit
von Geist und Natur bzw. die zeitliche Realität des Endlichen zu erörtern. D.h., Hegel orientiert sich
nicht an Schellings Identitätsphilosophie; sie ist für ihn vielmehr ein ganz anderer Weg der
Philosophie. Obwohl deren Ausgangspunkt Hegel fasziniert, nämlich das Absolute, in dem das
natürliche Zeitlich-Endliche nicht mehr einfach unabhängig von der Transzendentalphilosophie
besteht, sondern zu einer höheren Einheit gehört und daher mit dem Bewusstsein ins Eins gebracht
wird, begreift Hegel das Absolute m.a.W. auf eine von Schelling ganz verschiedene Weise. Der
zentrale Unterschied zwischen beiden liegt m. E. darin, dass Schelling in seiner Identitätsphilosophie
das Zeitlich-Endliche als eine Manifestation des ewig-geistigen Unendlichen selbst betrachtet,
während Hegels Jenaer Entwürfe die Realität des zeitlichen Endlichen als die sehen, die in der als
das Andere des Geistes selbst seienden Natur existiert, die nicht bloß aus dem Unendlichen kommt,
sondern vielmehr für dasselbe den Grund des ontologischen Nachweises legt.
Vor diesem Hintergrund gliedert sich das vorliegende Kapitel in zwei Teile: In Kapitel 5.1
werden Schellings Zeittheorie in der Identitätsphilosophie und die Aporie darin diskutiert. In Kapitel
5.2 liefere ich eine Zusammenfassung der Zeittheorie Hegels in seinen Jenaer Systementwürfen, um
die Differenz zwischen beiden umfassend zu erklären.
155
5.1 Die Zeit aus dem Unendlichen in Schellings Jenaer Identitätsphilosophie
1. Seit der Darstellung meines Systems der Philosophie 1801 versucht Schelling, seine
Identitätsphilosophie als Einheit von Transzendentalphilosophie und Naturphilosophie aufzubauen.
Die absolute Identität, die Schelling als das Unendliche und das Sein selbst auffasst, 1 „ist nicht
entstanden, sondern ist schlechthin, also ohne alle Beziehung auf Zeit und außer aller Zeit gesetzt,
denn ihr Sein ist eine ewige Wahrheit (§8, Zusatz 2), mithin ist auch alles dem Sein an sich nach
absolut ewig.“2 Die Ewigkeit bildet also das Zentrum der Identitätsphilosophie.3
Mithin wird die Zeitlichkeit des Endlichen beim Jenaer Schelling nicht in Frage gestellt. Falls sie
in gewissem Sinne doch in Frage gestellt wird, steht diese Frage auch unter dem Hauptthema der
ewigen Identität:4
„Der Sta dpu kt der Philosophie ist der Standpunkt der Vernunft, ihre Erkenntnis ist eine
Erkenntnis der Dinge, wie sie an sich, d.h. wie sie in der Vernunft sind. Es ist die Natur der
Philosophie, alles Nacheinander und Außereinander, allen Unterschied der Zeit und überhaupt
jeden, welchen die bloße Einbildungskraft in das Denken einmischt, völlig aufzuheben, und mit
Einem Wort in den Dingen nur das zu sehen, wodurch sie die absolute Vernunft ausdrücken,
nicht aber, insofern sie Gegenstände für die bloß an den Gesetzen des Mechanismus und in der
)eit fortlaufe de Refle io si d.“5
D.h., solange die Zeit in der natürlichen Fortdauer nur eingebildet wird, ist sie für den Standpunkt
der Philosophie oder für die Vernunft nicht wesentlich und muss daher aufgehoben werden. Die
Zeitgeschichte des Endlichen spielt dabei überhaupt keine Rolle. Auch für die Ontologie ist die
Zeitgeschichte überhaupt nicht zentral, insofern sie nur eingebildet oder abgeleitet (reflektiert) ist.
In seiner Jenaer Zeit stellt Schelling seine Zeittheorie und das Verhältnis der Zeit zur Ewigkeit, das
auch für Hegel bis 1803/04 ein wichtiges Thema bildet, vor allem im Gespräch Bruno oder über das
1
Vgl. Schelling, Darstellung meines Systems, S.13ff.
Ebd., S.15.
3
Ziche stellt fest, dass das Endliche als Endliches bei Schelling in dieser Zeit „unfähig ist, in irgendeiner Weise
konstitutiv für Unendliches (im Sinne von Ewigem) zu sein.“ (Ziche, Mathematische und naturwissenschaftliche Modelle
in der Philosophie Schellings und Hegels, S.119) In diesem Sinne redet Schelling von „Einzelnem“ niemals im ersthaften
Sinne von „Endlichem“ (vgl. ebd., S.118-132).
4
J. F. Marquet zeigt mit Recht, dass das Problem der Zeit in der Identitätsphilosophie also de facto nicht von der Zeit
des Endlichen selbst, sondern vom „Setzende[n] der Zeit“, also vom Unendlichen oder von der Identität her bzw. als
„de[r] Abfall der Idee“ gedacht wird (vgl. J. F. Marquet, Das Zeitproblem der Identitätsphilosophie, in: Materialien zu
Schelling, S. 407-413).
5
Schelling, Darstellung meines Systems, S.11.
2
156
göttliche und natürliche Princip der Dinge 1802 dar. Im Folgenden wird dessen Hauptinhalt
dargestellt und seine Wirkungsgeschichte bei Hegel umrissen.
2. 1802 rückt Schelling die Ewigkeit der Identität ins Zentrum der Identitätsphilosophie. Das
Zeitliche kommt allein aus der göttlichen Ewigkeit, er ist niemals ursprünglich-wesentlich an sich für
diese Ewigkeit. Die Erkenntnis des zeitlichen Daseins repräsentiert keine absolute Wahrheit, und:
„Wir
erde also erst da
auf de
Gipfel der Wahrheit sel st a geko
e sei , u d die
Dinge sowohl mit Wahrheit erkennen als darstellen, nachdem wir mit unsern Gedanken zu dem
unzeitlichen Dasein der Di ge u d de e ige Begriffe dersel e gela get si d.“6
Was ewig ist, ist vollkommen. Was dagegen unvollkommen ist, existiert „nur für die bloß zeitliche
Betrachtungsweise“. Jedoch entsteht das Unvollkommene schlechthin aus dem Vollkommenen.7 Das
Unvollkommene ist also nachgebildet und hervorgebracht, dagegen das Vollkommene vorbildlich
und hervorbringend. Das ewige Vollkommene existiert innerhalb des Unvollkommenen. Das
Endliche „sei vollkommen dadurch, daß es dem Unendlichen verknüpft werde.“ 8 Sonach bekommt
das Endliche seinen ewig-unendlichen Begriff. Trotzdem bedeutet der unendliche Begriff des
Endlichen nicht die absolute Unendlichkeit selbst, sondern ein von ihr Hervorgebrachtes. Das
Endliche steht also immer gegen das Unendliche. Während das Unendliche unbegrenzt existiert, wird
das Endliche von einem anderen Endlichen begrenzt, das die Ursache des Endlichen genannt werden
kann. Das Unendliche ist ewig oder „schlechthin gegenwärtig“9; das Endliche einerseits nach dem
göttlich-unendlichen Begriff unzeitlich, andererseits aber in der Bestimmungskette zeitlich. Jenes
muss intellektuell angeschaut und begriffen werden (Anschauung und Begriff sind eins), dieses wird
unter einer zeitlich-realen Bedingung reflektiert, aber nach seinem unzeitlich-ideellen Wesen
begriffen.
Daher werden Begriff und Anschauung im Endlichen getrennt. Das Wesen des Endlichen oder sein
Begriff ist zwar zeitlos, jedoch existiert das Wesen oder der Begriff des Endlichen in jedem Fall auf
endliche Weise als „unendliche Endlichkeit“.10 Diese unendliche Endlichkeit darf nicht mit den
6
Schelling, Bruno oder über das göttliche und natürliche Prinzip der Dinge, Wissenschaftliche Buchgesellschaft,
Darmstadt 1968, S.117.
7
Ebd., S.119. Vgl. auch ebd. S.118.
8
Ebd., S.124.
9
Ebd., S.141.
10
Vgl. ebd., S.144: „Bruno: Also eine Endlichkeit, die zeitlos unendlich ist? Lucian: Es folgt wohl. Bruno: Zeitlos
unendlich aber ist nur der Begriff? Lucian: Dies ist angenommen. Bruno: Eine zeitlos unendliche Endlichkeit ist also die,
157
empirisch angeschauten Zeiten identifiziert werden. Die wesentliche Beziehung dieses Endlichen auf
ein anderes ist – absolut gesehen – keine empirisch-zeitliche Beziehung von Ursache und Wirkung,
sondern eine Beziehung von einem „Teil eines organischen Leibes zu dem anderen Einzelnen“, eine
Beziehung, die „außer aller Zeit“ existiert und die „ein ewiges Leben“ voraussetzt. 11 Die
Möglichkeit der Zeit wird dann bei Schelling allein in die Reflexion der organischen Einheit gelegt.12
Die Zeit kann m.a.W. bei Schelling 1802 nur reflexiv, niemals ursprünglich gesetzt werden. Erst in
der Reflexion findet Schelling das wahre Verhältnis: „und wenn dieses nicht ohne Zeit [ist], so setzt
es sich selbst seine Zeit, und zwar das, wovon es nur die Wirklichkeit ohne die Möglichkeit, als
Vergangenheit, das, wovon es die Möglichkeit ohne Wirklichkeit, als Zukunft.“13 Wie die folgenden
Überlegungen zeigen, kommt daher hier die Zeit des Endlichen erstmals ans Licht:
a) Das Unendliche „ist der Geist, welcher die Einheit aller Dinge ist, das Endliche aber an sich
zwar gleich dem Unendlichen, durch seinen eigenen Willen aber ein leidender und den Bedingungen
der
Zeit
unterworfener
Gott.
14
Die
zeitliche
Entfaltung
vollzieht
sich
in
einer
Ursache-Wirkungskette, in der ein Einzelnes zu einem anderen wird. Was darin aber unverändert
bleibt, ist das unendlich-endliche Wesen des Einzelnen. Zu fragen ist demzufolge, wieso das
Endliche sich der Zeitbedingungen unterwerfen will. Die Antwort lautet: Nicht fürs Unendliche,
sondern fürs Endliche selbst. Dazu schreibt Schelling:
„So si d also alle i je er zeitlose E dli hkeit, die ei de
U e dli he ist, o E igkeite
begriffenen Dinge unmittelbar durch ihr Sein in den Ideen auch belebt, und mehr oder weniger
des Zustandes fähig gemacht, durch welchen sie sich für sich selbst, aber nicht für das Ewige
lossage
o je er u d zu de
zeitli he Dasei gela ge .“15
b) Trotzdem darf das zeitliche Endliche nicht als das Ansichseiende betrachtet werden, sondern
allein als ein Für-die-Reflexion-Seiendes, denn an sich wesentlich und ewig ist es nur, wenn es im
Unendlichen wohnt. Allein für die Reflexion oder für unsere Anschauung, die keine intellektuelle,
sondern dem ideellen Begriff (dem Denken) entgegengesetzt ist, ist das Für-die-Reflexion-Seiende
welche an und für sich selbst oder ihrem Wesen nach unendlich ist. Lucian: Auch das. Bruno: Eine Endlichkeit aber, die
ihrem Wesen nach unendlich ist kann nie und auf keine Weise aufhören endlich zu sein. Lucian: Nimmermehr.“
11
Ebd., S.146.
12
Vgl. ebd., S.147.
13
Ebd.
14
Ebd., S.148.
15
Ebd., S.155.
158
zeitlich und real.16 Dieses zeitliche Einzelne existiert in der Entzweiung von Begriff und Anschauung
bzw. zwischen Denken und Sein. Mithin bedeutet dieses Einzelne das Bestimmte, das „nur durch den
relativen Gegensatz des Reellen und Ideellen [besteht], deren keines für sich, jedes aber durch das
andere sterblich gemacht [ist]“.17 Das Endliche für sich selbst heißt hier also das Endliche im
relativen Gegensatz. Dieses Endliche wird auch das Fürsich genannt, um es vom Unendlichen zu
unterscheiden. Eigentlich jedoch ist das sogenannte „Endliche für sich“ nicht für sich selbst, d.i. für
sein Wesen. Es scheint nur so, dass es für sich ist.
c) Aufgrund der gedoppelten Entzweiung (einerseits zwischen der ursprünglichen Identität der
Unendlichkeit und der abgeleiteten Endlichkeit und andererseits zwischen Denken und Anschauung,
die beide in der Endlichkeit parallel existieren) stellt Schelling das Verhältnis der Identität und der
Reflexion dar. Das Endliche ist vom Unendlichen abgefallen, weil es in der Erscheinung bzw.
Reflexion nicht mehr unendlich und ewig, sondern endlich und zeitlich scheint. Das zeitliche Dasein
präsentiert die reale Seite des Endlichen, die von uns angeschaut wird. Zugleich hat das Endliche
noch eine andere ewig-ideale Seite, die begrifflich gedacht wird. Jenes „ist notwendig wieder ein
Einzelnes, und insofern es [das Ding] als solches existiert, der Zeit und der Dauer
unterworfen.“ Dieses ist dagegen die unendliche Endlichkeit, die vom unendlichen Denken erkannt
wird. „Das unendliche Erkennen also könne nur als die Seele eines Dings existieren, welches das
Endliche unendlich, also das Universum in sich darstellt“.18 Jenes ist der real-wirkliche Leib, dieses
die ideal-mögliche Seele.19
d) Die Zeit des Endlichen entsteht aus der Spaltung zwischen Endlichem und Unendlichem:
„Wie also das Di g si h sei e )eit setzt, i de
es ei e Wirkli hkeit e thält, o
der die
Möglichkeit, oder eine Möglichkeit, von der die Wirklichkeit außer ihm selbst ist, ebenso auch
der Begriff, sofer er s hle hthi e dli h ist.“20
Die Möglichkeit ohne Wirklichkeit ist für die Zeit des Endlichen die Zukunft, umgekehrt ist die
Wirklichkeit ohne Möglichkeit die Vergangenheit.21 Daher wären die absolute Identität und der
16
Vgl. ebd., S.156f.
Ebd., S.157.
18
Ebd., S.285.
19
Vgl. ebd., S.182: „Die Seele also, insofern sie sich auf den Leib bezieht, bestimmten wir als die Möglichkeit, wovon
in dem Leib die Wirklichkeit ausgedrückt wäre.“
20
Ebd., S.179.
21
Vgl. ebd., S.147: „So ist also kein Endliches an sich außer dem Absoluten, und nur für sich selbst einzeln, denn im
17
159
Begriff der unendlichen Endlichkeit das Zeitlose, das Dasein des Endlichen in der empirischen
Anschauung aber das Zeitliche. Jedoch unterscheidet Schelling die absolute Identität vom Begriff der
unendlichen Endlichkeit. Die absolute Identität repräsentiert die Ewigkeit, der Begriff der
unendlichen Endlichkeit aber die Zeit selbst:
„Die U e dli hkeit des Begriffs also ist ei e loße U e dli hkeit der Refle io , das S he a der
Reflexion aber die Linie, welche den Dingen zwar, an denen sie ausgedrückt ist, die Zeit
einpfla zt, le e dig a er u d tätig gesetzt, ie i
o jekti e Erke
e , die )eit sel st ist.“22
Mit dem Wort „Schema“ verweist Schelling offensichtlich auf das Schema der Zeit bei Kant und
Fichte. Er möchte zeigen, dass das begriffliche Schema der Zeit sogar dann gedacht wird, wenn es
die Zeit selbst und die Unendlichkeit ist. Demzufolge kann das absolute Sein, d.i. die Ewigkeit,
durch diesen Begriff der unendlichen Zeit nicht verstanden werden. Der Zeitbegriff kann also
lediglich eine ideale Indifferenz sein, die weder als eine ontologische Identität noch als ein absolutes
Sein, sondern als eine relative Einheit gegen alles reale Dasein gedacht wird. Was für Schelling
entscheidend ist, ist aber weder der Zeitbegriff, noch die Zeitanschauung in der Reflexion, sondern
die Ewigkeit der absoluten Identität, durch die die Identitätsphilosophie sich von der Kantischen und
Fichteschen Transzendentalphilosophie unterscheidet.
e) Um den idealen Zeitbegriff und die reale Zeitanschauung zu unterscheiden, nennt Schelling die
real empfundenen Zeiten die verräumlichten Zeiten, die äußerlich gefühlt werden. Dagegen heißt der
ideale Begriff die Zeit selbst bzw. die relative Einheit der empirischen Zeiten. Für Schelling gibt es
daher insgesamt drei verschiedene Seiten, die zu einem Ganzen gehören:
„So ie es u s u klar ge orde ist, daß das U e dli he, E dli he u d E ige, de
E dli he
oder der Differenz untergeordnet, als Raum, dem Unendlichen oder der relativen Einheit, als
Zeit erscheine, so ist es offenbar, daß dieselbe Einheit angeschaut unter der Form des Ewigen
die Ver u ft sel st sei u d si h als Ver u ft i
Begriff ausdrü ke.“23
D.h. erstens, dass die Vielheit alles Einzelnen im Raum gefunden wird. Zweitens wird die relative
Einheit der Endlichkeit in der Zeit selbst gedacht. Die absolute Einheit der beiden ist drittens jedoch
Absoluten ist, was im Endlichen ideal ohne Zeit, auch real, und wenn jenes Verhältnis von Möglichkeit das von Ursache
und Wirkung ist, so setzt es sich selbst dieses Verhältnis, und wenn dieses nicht ohne Zeit, so setzt es sich selbst seine
Zeit, und zwar das, wovon es nur die Wirklichkeit ohne die Möglichkeit, als Vergangenheit, das, wovon es die
Möglichkeit ohne die Wirklichkeit enthält, als Zukunft“.
22
Ebd., S.190.
23
Ebd., S.192.
160
nicht mit der Zeit verbunden, sondern besteht ewig. Diese drei (die Zeiten, die Zeit selbst und die
Ewigkeit) sind aber auch einunddasselbe, insofern die absolute Identität ihnen immanent ist. Durch
diese Dreieinigkeit erreicht Schelling sein Ziel, die Kantische und Fichtesche Einheit der Zeit selbst,
die von diesen als die höchste Bedingung unserer theoretischen Vernunft gesetzt wird, abzuwerten.
Die Einheit der Zeit bedeutet für ihn also allein eine reflektierte und erkenntnistheoretische, niemals
aber die ursprüngliche und fundamentalontologische Einheit.
5.2 Die Zeit fürs Unendliche in Hegels Jenaer Philosophie
Wie in den Kapiteln 3 und 4 dargestellt wurde, kommt dem Zeitlichen in Hegels Jenaer
Naturphilosophie ein viel wichtigerer Platz als bei Schelling zu. Im Folgenden möchte ich im
Vergleich mit Schellings Naturphilosophie zunächst eine Zusammenfassung dieser besonderen
Zeittheorie Hegels geben. Anschließend wird dargestellt, wie Hegel durch die Zeit seinen
ontologischen Beweis für das Unendliche entwirft und inwiefern diese Überlegung keine
Identitätsphilosophie, sondern eine neue Philosophie des Geistes fordert.
Durch
Jacobis
Entdeckung
eines
grundlegenden
ontologischen
Mangels
in
der
Transzendentalphilosophie Kants und Fichtes stehen Schelling und Hegel vor der Frage, wie die
Philosophie ihren ontologischen Sinn wiedergewinnen kann. Schelling, der mit Hilfe der
Vernunftkritik Jacobis diesen ontologischen Mangel schon frühzeitig erkennt,24 versucht seit 1797,
das Problem auf einem ganz neuen Weg aufzulösen: durch die Konstruktion der wirklichen Natur,
der Materie und ihrer Realität im Raum, in der Zeit und in der Bewegung. Diese neue Strategie
beeinflusst Hegel sehr stark. Als dieser 1801 das Projekt der Naturphilosophie Schellings gegen
Fichte verteidigt, rückt er – wie Schelling – das ontologische Problem ins Zentrum der Philosophie
und will es durch eine ganz neue Naturphilosophie lösen.25
24
B. Sandkaulen argumentiert zu Recht, dass Schelling mit Jacobi und gegen Kant sogar bereits vor der Ichschrift die
Bedeutung der Ontologie erkannt habe. Für Schelling sei das entscheidende Problem nicht die Kantische Subjektivität,
sondern die Ontologie des Absoluten (vgl. B. Sandkaulen, Ausgang vom Unbedingt, S.34 und S.28ff.).
25
Auch D. Henrich bemerkt diesen Punkt genau. In seinem Text Kant und Hegel stellt er die bahnbrechende Arbeit
Hegels als eine „neue Ontologie“ dar. „Will man also Hegel von Grund aus verstehen, so darf man nicht von seiner
Theorie der Subjekt-Objektbeziehung ausgehen. Man muß mit seiner Kritik an der Ontologie beginnen, die auch in Kants
Kritik der reinen Vernunft unangetastet geblieben war.“ (D. Henrich, Kant und Hegel, Versuch der Vereinigung ihrer
Grundgedanken, in: Selbstverhältnisse, S.194) Hegel wolle durch die Kritik an der Kantischen Ontologie eine neue
konstruktive Ontologie entwickeln. „Gerade die Ontologie, die Hegel selbst ausgearbeitet hat, läßt sich am besten und
161
Schelling konstruiert seine Ontologie der materiellen Natur aber nicht einfach wie die
vorkantische Philosophie, sondern er verbindet sie von vornherein mit der Transzendentalphilosophie,
d.h. mit der Untersuchung des Subjekts. Für ihn kann die materielle Natur 1797 nur dann als reale
begriffen werden, wenn auch zugleich das Sein des Subjekts erkannt wird. Das Sein der materiellen
Natur und das Sein des Subjekts werden miteinander verbunden. Das ontologische Verhältnis der
beiden wird anhand von Zeit und Raum (d.i. den Formen der Anschauung) verstanden. Die Natur
kann bei Schelling 1797 also niemals als vom Geist getrennte und damit als selbständige gedacht
werden. Natur und Geist hängen vielmehr immer in einem absoluten System zusammen. Dies ist für
Hegel entscheidend. In seinen Entwürfen der Naturphilosophie vergisst Hegel niemals diese
Innovation Schellings. Sie führt ihn zur Dialektik von Natur und Geist, die immer als die
Ko-Relation des natürlichen Einzelnen und der geistigen Ordnung verstanden werden muss. 26 In
seinem ersten Versuch zur Darstellung der Natur steht Hegel 1801 der Naturphilosophie Schellings
von 1797 sehr nah. Er sieht mit Schelling die Zeit und den Raum hier als die subjektiv-ontologische
Bedingung der Realität der Materie an.
Diesen engen Zusammenhang von Natur und Geist gibt es bei Schelling ab 1799 nicht mehr. Die
Naturphilosophie muss für ihn nun von der Transzendentalphilosophie getrennt werden. (Eine neue
Einheit der beiden wird erst 1801 in der Identitätsphilosophie wieder etabliert.) Mithin wird die
Einheit von Kraft, Raum, Zeit, Bewegungskraft und Materie nunmehr in der schlechthin
selbständigen Natur gedacht. Das absolute Sein der selbständigen Natur bildet also von 1799 bis
1801 eine wesentliche Bestimmung in Schellings Naturphilosophie. Allerdings übt diese Fassung der
Naturphilosophie nur wenig Einfluss auf Hegel aus, der vielmehr zunächst hauptsächlich Schellings
Naturphilosophie von 1797-98 verpflichtet bleibt. Mithin darf die Einheit von Kraft, Raum, Zeit,
Bewegung und Materie bei Hegel niemals vom Geist getrennt gedacht werden. Obwohl es bei Hegel
auch das selbständige Natürliche gibt (z.B. das Tier), müssen die folgenden zwei Punkte immer
berücksichtigt werden: a) Hegel betrachtet die materielle Natur niemals als die Natur selbst ohne
wahrscheinlich sogar einzig und allein aus ihrem Verhältnis zur natürlichen Ontologie und aus einer intelligenten
Operation verstehen, durch die sie unter Voraussetzung der natürlichen Ontologie entwickelt worden ist.“ (Ebd., S.197)
D.h., die Ontologie Hegels muss mit der Natur zusammengedacht werden. Trotzdem existiert diese natürliche Ontologie
niemals wie die vorkantische ohne den Grund der intelligenten Ordnung. Vielmehr entsteht sie nur in der Ko-Relation
des natürlichen Einzelnen mit der geistigen Ordnung, d.i. in der Dialektik von Natur (als dem Anderssein des Geistes)
und Geist (vgl. ebd., S.200ff.).
26
Vgl. D. Henrich, Kant und Hegel, S.193 und S.198ff.
162
Subjektivität oder ohne erkennenden Geist. Die Natur selbst muss für das geistige Erkennen immer
nur als das Anderes des Geistes selbst verstanden werden. b) Die Selbständigkeit in der Natur, z.B.
das Selbst des Tieres, muss ebenso mit dem erkennenden Geist zusammengedacht werden, weil
Selbständigkeit und Selbstheit sich am Geist orientieren und nur durch ihn erkannt werden können.
Zugleich folgt Hegels Begriff der materiellen Natur aber nicht der Schellingschen Ontologie.
Vielmehr stellt er dieser einen eigenen ontologischen Entwurf entgegen, der die materielle Natur aus
der Dialektik des ewig-unendlichen Begriffs des Seins der Natur und des zeitlich-endlichen Daseins
derselben entwickelt. Die Verschiedenheit der Naturontologien Schellings und Hegels manifestiert
sich dabei in der grundlegend unterschiedlichen Betrachtung des zeitlich-endlichen Einzelnen.
Anders als bei Schelling muss die Natur (das Anderssein des Geistes selbst) bei Hegel ihre
Andersheit durch ihr Ansichsein und durch ihren Bezug auf den Geist (Für-ihn-sein) zeigen. Ihr
Ansichsein wird im zeitlichen Dasein entfaltet, denn sonst bliebe das anfängliche Ansichsein
(konkret gesagt: der Äther) nur allgemein und abstrakt. Das bedeutet zugleich, dass das zeitliche
Dasein für die Ontologie Hegels absolut zentral ist. Die begriffliche Entwicklung der
zeitlich-daseienden
Materie
geschieht
dabei
in
drei
Schritten:
als
mechanische,
als
physisch-chemische und als organische Materie. Alle drei Teile gehören zur Dialektik von Endlichem
und Unendlichem. Im Jenaer Systementwurf 1804/05 erfolgt die Konstruktion der Materie nur in der
Mechanik und Physik.27 (Jedoch ist die erste Stufe der Konstruktion der Materie nicht die Mechanik,
sondern das System der Sonne.) Der Äther als das absolute Allgemeine spricht sich aus, setzt sich
zeitlich-räumlich in die Welt, aber auf eine ideelle Weise. Diese ideelle Weise muss dann in den
himmlischen und irdischen Bewegungen aufgehoben werden und der anfänglich ideell gesetzte
Raum und die ebenso ideell gesetzte Zeit werden daher in den verschiedenen Bewegungsweisen
verwirklicht. Dieser im Zeitprozess verwirklichte oder erfüllte Raum heißt bei Hegel die Materie. Sie
kommt in der äußerlich mechanischen Bewegung ans Licht. In diesem Teil konstruiert das äußerlich
sich bewegende Zeitlich-Räumliche das Anderssein der ruhigen Substanz selbst. Die Äußerlichkeit
der
Materie
repräsentiert
die
Entzweiung
des
zeitlich-räumlichen
Daseins
vom
substanziell-allgemeinen Sein. Um die beiden zu vereinigen, muss die materielle Natur in ihrem
27
D.h., die Zeit und das zeitliche Endliche herrschen im ganzen Naturprozess. Im Gegensatz zu den meisten
Darstellungen von Hegels Zeittheorie, die sich ausschließlich dem Anfang von Hegels Naturphilosophie widmen,
untersuche ich die Zeittheorie des Endlichen in allen Teilen der Naturphilosophie Hegels. Dadurch kann deutlich gezeigt
werden, wie Hegel den ontologischen Beweis des Endlichen Schritt für Schritt aufbaut.
163
zeitlichen Dasein die Substanz selbst finden. Physik oder Chemismus heißt bei Hegel dann dieser
Vereinigungsprozess, in dem das zeitlich-natürliche Einzelne als das Wesentliche und Insichseiende
bewiesen wird, das jedoch noch dem Widerspruch zwischen innerlich-unruhigem Anderssein (Feuer)
und Allgemeinem (Erde) unterliegt. 1805/06 stellt Hegel dieses Insichsein des Einzelnen im
Organismus weiter dar. Im chemischen Insichsein ist das Insichsein nur das Selbstwerdende, niemals
aber das vollkommen Gewordene, denn das Einzelne kann sein Selbstsein nicht für sich selbst
beweisen. Trotzdem kann es sich selbst im Organismus fühlen und das selbstfühlende Subjekt
existiert im tierischen Leben. Dieses zeitlich-einzelne tierische Leben muss sich selbst erkennen, und
das in sich selbsterkannte Leben heißt dann das Ich oder der Geist selbst.
Jedenfalls ist festzuhalten, dass das Endliche den Kern des ontologischen Beweises Hegels
darstellt. Beim Jenaer Schelling sieht dies anders aus. Dieses ontologischen Beweises bedarf Hegel
insofern, als das Sein des Absoluten, das die Einheit von Geist und Natur ist, nicht einfach in sich
und durch sich real sein darf. Eine Tautologie des Unendlichen, die einen unlösbaren und
unbeweisbaren Zirkus in der Ewigkeit bildet, führt auf die Gefahr, dass außer der Ewigkeit selbst
nichts tatsächlich zeitlich-endlich existiert und dass die Ewigkeit sein reales Sein allein behauptet,
aber niemals wirklich begründet. In diesem Fall muss entweder das ewige Absolute ein Abgrund des
Seins selbst sein, dessen „Realität“ wir durch eine bloß intellektuelle Anschauung „einsehen“ können;
wie diese Anschauung möglich ist, bleibt aber immer rätselhaft und fragwürdig; Oder aber: das
Absolute muss die Realität des Seins in der Reflexion erfüllen, in der das selbst anschauende und
von sich selbst angeschaute Unendliche doch etwas anderes braucht. Jedoch ist diese sogenannte
Reflexion insofern hochgradig problematisch, als das Reflektierte (das Endliche) zwar anders
erscheint, an sich aber doch das Unendliche selbst ist. Das scheinbar reale Endliche setzt keinen
Grund der Realität des Unendlichen, so dass das Unendliche seine Realität wiederum durch die
Selbstanschauung und damit ewig tautologisch garantieren muss; zugleich gibt es eigentlich keinen
Platz für das ansichseiende, zeitlich-endliche Andere als das Andere des Geistes selbst. Wenn
Schelling in seiner Identitätsphilosophie allein die Zeit aus dem Unendlichen darstellt, gerät er in
diese problematische Tautologie.
164
Die o.g. Aporie bei Schelling sieht Hegel in seiner Jenaer Zeit ein. Das Andere darf also nicht
einfach als eine Manifestation des ewigen Unendlichen, sondern als ein Zeitlich-Endliches an sich
reflektiert werden. D.h., die zeitliche Natur darf mit dem Bewusstsein nicht unter einer höheren
Potenz oder einem ewigen Prinzip vereinigt werden, so dass die Natur nur ein scheinbares Anderes
des Geistes ist und überhaupt kein Ansichsein haben könnte. Vielmehr muss die Natur tatsächlich ein
Anderes sein, welches nicht in die Unendlichkeit reduziert werden darf. Anders gesagt muss die
zeitliche Natur nicht nur aus dem ewigen Geist, sondern auch für denselben sein. Sie muss also als
eine Voraussetzung desselben angenommen werden. Der Geist existiert nicht nur in sich selbst,
sondern auch in einer Welt, die außer ihm real besteht und ihrerseits für ihn die Wirklichkeit
desselben garantiert. Als außer ihm ist sie etwas anderes, zeitliche Natur; für ihn ist sie ein anderes
Moment, das im Geist aufgehoben wird. Der in Kapitel 5 sich anschließende Blick auf Schellings
Identitätsphilosophie ab 1801 soll die behauptete Bedeutungslosigkeit des Endlich-Zeitlichen bei
Schelling bekräftigen. Es wird gezeigt, dass Hegel zwar Schellings Projekt, Ideales und Reales in
eine Einheit zu bringen, zustimmt, zugleich aber mit seiner identitätsphilosophischen Umsetzung
unzufrieden ist und seine grundlegende Kritik daran durch seine neue Zeittheorie des Endlichen
entwickelt, insofern diese nicht unter dem Einfluss von Schellings Identitätsphilosophie steht.
In diesem o.g. Doppelsinne der Beziehung von Natur und Geist (also die Natur ist zugleich
außer dem Geist und für denselben) darf man Hegels ontologischen Beweis nicht auf triviale Weise
erklären, als ob das natürlich-zeitliche Endliche starr neben dem geistigen Unendlichen existieren
würde. Man darf Hegel auch nicht wie Schelling 1799 verstehen derart, dass die Naturphilosophie
unabhängig von der Philosophie des Bewusstseins eine emanzipierte Disziplin wäre. Vielmehr muss
das Zeitlich-Endliche zwar sein Ansichsein verlieren, aber für sich selbst im geistigen Unendlichen
aufgehoben werden. Das Zeitlich-Endliche wird m.a.W. als ein Vergehendes bewiesen, das seine
wirkliche Wahrheit noch nicht erreicht (sich ihrer noch nicht bewusst wird) und deswegen nur ein
Moment im System des Geistes ist. Das Endliche ist, aber es hat eben kein wahrhaftes Sein, wie sich
in der Vergänglichkeit alles Endlichen zeigt: sein Sein ist zugleich Nichtsein.28
Relevant für das Verständnis ist dabei die entscheidende Rolle dieses Momentes des
Zeitlich-Endlichen, das für sich selbst (d.i. für seine Wahrheit) nur das Nichtsein ist, aber zugleich
28
Professor Jaeschke pointiert es ganz richtig in seinem Zweitgutachten zu meineer Dissertation.
165
die ansichseiende Voraussetzung des wirklichen Bewusst-Seins bildet, da ohne diese Voraussetzung,
d.h. ohne dieses seiende Andere, der absolute Geist sofort in die Tautologie oder den Zirkelbeweis
einer Anschauungsphilosophie gerät. Eben hier muss gefragt werden, wie der Geist in seiner
Unendlichkeit dieses natürliche Zeitlich-Endliche bewahren soll, um einen gültigen ontologischen
Beweis zu machen, und wie er es negieren soll, um diesen „Beweis“ nicht als einen äußerlichen,
sondern als die wesentliche Darstellung des Geistes selbst zu entwerfen, sodass dieser sogenannte
„Beweis“ letztendlich insofern sinnlos scheint, als der Geist – genau genommen – absolut in sich
selbst wurzelt. Im Übergang zur Philosophie des Geistes wird indes auch bei Hegel, so werden die
Kapitel 6 und 7 zeigen, die Bedeutung der natürlich-endlichen Zeit fragwürdig. Im Geist muss diese
vielmehr sogar getilgt werden.
166
Zweiter Teil
Die Tilgung der Zeit in der Philosophie des Geistes 1803/04 und 1805/06
Im zweiten Teil der vorliegenden Arbeit wird diskutiert, wieso und wie die Zeit, oder besser, das
natürliche Zeitlich-Endliche, in der Philosophie des Geistes getilgt werden muss. Der wichtigste
Grund dafür besteht darin, dass das Ansichsein des Endlichen nicht für sich wahr ist. Um die Natur
zum Geist zu führen, muss die Zeit aufgehoben werden, die einerseits das Anderssein des
unendlichen Geistes, andererseits aber das Vergehen der Natur ins Nichts repräsentiert. Im ersten Teil
wurde gezeigt, dass das zeitliche Anderssein des Geistes kein vom Geist selbst unabhängiges Sein ist;
hier soll nun weiter dargestellt werden, dass dieses natürliche Sein seine Wirklichkeit, nämlich seine
Selbstbestimmung der Realität, im Geist und in der geistigen Sprache erst bekommt.
Wenn Hegel 1803/04 und 1805/06 am Anfang der Philosophie des Geistes von der Tilgung der
Zeit spricht, muss diese Forderung zugleich eng mit seiner Sprachphilosophie zusammengedacht
werden. Daraus ergeben sich für die folgende Untersuchung drei Schritte: 1. der Anfang der
Zeittilgung im Verhältnis von Bild und Ding am Anfang der Philosophie des Geistes (Kapitel 6.1), 2.
das Problem der Realität im innerlichen Zeichen und die weitere Darstellung der Tilgung der Zeit
(Kapitel 6.2) und 3. die vollkommene Tilgung der Zeit im Namen oder in der Sprache (Kapitel 7.1
und 7.2). Abschließend soll das Resultat der Zeittilgung diskutiert werden, d.i. die Gefahr des
doppelten Nihilismus in der Zeittheorie Hegels (Kapitel 7.3).
167
Kapitel 6
Der Anfang der Zeittilgung am Anfang der Philosophie des Geistes
6.1 Der Anfang der Zeittilgung im Verhältnis von Bild und Ding am Anfang der
Philosophie des Geistes
Die Tilgung der Zeit entdeckt Hegel bereits 1803/04.1 In der Philosophie des Geistes erklärt Hegel
zunächst den Übergang vom natürlich-tierischen zum geistig-menschlichen Leben. Dazu bringt er
erneut Zeit und Raum ins Spiel, dieses Mal aber, so soll im Folgenden gezeigt werden, in einem ganz
anderen Sinn. Einerseits stehen beide hier am Anfang der Philosophie des Geistes mit dem tierischen
Gefühl in Verbindung, andererseits werden sie aber auch mit dem menschlichen Bewusstsein
verknüpft. Genauer: Hegel stellt – ähnlich wie Fichte – die konstruktive Funktion der Zeit im
menschlichen Bewusstsein oder im Ich hauptsächlich durch das subjektive Verhältnis von Bild und
Ding dar. Zugleich unterstreicht er aber, dass die Zeit – anders als bei Fichte – immer auch mit dem
natürlich-tierischen Leben zusammengedacht werden muss, ihre natürlich-ontologische Dimension
also nicht ignoriert werden darf.
Im Folgenden wird zunächst die geistige Funktion der Zeit im menschlichen Bewusstsein
analysiert, die sich grundlegend von der natürlichen Funktion der Zeit unterscheidet und einen
gänzlichen Neueinsatz der Zeittheorie bei Hegel darstellt (Kapitel 6.1.1). Anschließend wird die
natürlich-tierische Bedeutung der Zeit betrachtet, die mit der Zeittheorie in der Naturphilosophie eng
verbunden ist (Kapitel 6.1.2). Dabei wird sich im Blick auf das Verhältnis von Bild und Ding zeigen,
dass Hegel die Funktion der Zeit in einer doppelten Weise darstellt, sowohl in einem abrupten
1
Vgl. Hegel, Jenaer Systementwürfe I, S.199. Siehe auch H. Kimmerle, Georg Wilhelm Friedrich Hegel interkulturell
gelesen, T. Bautz, Nordhausen 2005, S.47-77 und ders., Über Derridas Hegeldeutung, in: Philosophie und Poesie. Otto
Pöggeler zum 60. Geburtstag, Bd. 1, hrsg. v. A. G. Siefert, Stuttgart-Bad Cannstadt 1988, S.431; ders.,., Zeitbegriff und
Entwicklungsbewußtsein in Afrika und in der westlichen Welt – Mit besonderer Berücksichtigung des frühen Jenaer
Hegel, in: Hegel-Jahrbuch 1997, Hegel und die Geschichte der Philosophie, Erster Teil, Akademie Verlag, Berlin 1998,
S.187-196; ders., Kann Zeit getilgt werden?, in: Hegel-Jahrbuch 2001, Akademie Verlag, Berlin 2002, S.259-268; ders.,
Der Zusammenhang von Sprache und Zeit bei Hegel, Heidegger und Gernot Böhme, in: Hegel-Jahrbuch 2007, Das
Leben Denken, Zweiter Teil, hrsg. v. A. Arndt, P. Cruysberghs und A. Przylebski, Akademie Verlag, Berlin 2007,
S.237-241.
168
Sprung (vom natürlichen Leben zum geistigen Selbstbewusstsein) als auch in einer kontinuierlichen
Entwicklung (vom Tier zum tierischen Menschen).
6.1.1 Die Funktion der Zeit im menschlichen Bewusstsein im Vergleich mit der Zeittheorie
Fichtes von 1794/95
Unter dem Titel Intelligenz2 verbindet Hegel 1805/06 das Thema „Sprache“ mit jenem der „Zeit“.
Wenn Hegel hier nicht nur Zeit, Raum, Ich (als einfacher unendlicher Geist) sowie Bild und auch
Ding zusammenführt, sondern deren Vereinigung auch als Eingang in die Namens- und
Sprachphilosophie auffasst, verweist dies auf Fichtes Zeittheorie von 1794/95. Diese soll daher
zunächst kurz dargestellt werden, bevor eine ähnliche Struktur des Zeitbegriffs bei Hegel 1803/04
und 1805/06 aufgezeigt und der abrupte Sprung vom natürlichen Leben zum geistigen
Selbstbewusstsein erklärt wird.
Die Grundidee Fichtes besteht darin, die Zeit als die theoretische Erfüllung des Abstands zwischen
dem Ich (mithin dem Bild) und dem Nicht-Ich (mithin dem Ding) zu verstehen.3 Durch insgesamt
drei Schritte wird diese These bei Fichte erreicht:
2
Der Titel ist nicht original, passt allerdings gut zum Inhalt. Siehe: G. W. F. Hegel, Jenaer Systementwürfe III, S.171.
Eigentlich muss dieser Teil als ein Vorentwurf der Psychologie, Der Geist in Die Philosophie des Geistes gesehen werden
(und in gewissem Sinne auch der Anthropologie, Die Seele). Ohne die strukturelle Ähnlichkeit der beiden untersuchen zu
können, sei hier nur daran erinnert, dass die Zeit in beiden eine ganz wichtige Rolle spielt und dass man beide ohne
Fichte nicht verstehen kann (auch wenn die Motivation für und gegen Fichte in der Psychologie sicher nicht so leicht
erkennbar ist wie in den Jenaer Systementwürfe III).
H. Kimmerles These, dass Hegel sich vor allem seit 1804 erneut stärker an Fichte orientiert, macht vollkommen zu
Recht auf Fichtes große Bedeutung am Anfang von Hegels Philosophie des Geistes aufmerksam (vgl. H. Kimmerle, Das
Problem der Abgeschlossenheit des Denkens, S.33). Gleichwohl ist fraglich, ob Hegels Haltung für und gegen Fichte
wirklich erst seit 1804 so bedeutsam und brisant ist, wie Kimmerle annimmt.
3
Die folgende Darstellung von Fichtes Zeittheorie bezieht sich vor allem auf den Grundriß des Eigentümlichen der
Wissenschaftslehre (1795) und die Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre (1794/95) (J. G. Fichte, Grundriß des
Eigentümlichen der Wissenschaftslehre in Rücksicht auf das theoretische Vermögen als Handschrift für seine Zuhörer, in:
Fichtes Werke, Auswahl in sechs Bänden, Erster Band, hrsg. v. F. Medicus, Verlag von Felix Meiner Verlag in Leipzig,
Leipzig seit 1911 sowie ders., Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre als Handschrift für seine Zuhörer, in: Fichtes
Werke, Auswahl in sechs Bänden, Erster Band, hrsg. v. F. Medicus, Verlag von Felix Meiner Verlag in Leipzig, Leipzig
seit 1911). Dabei stellt m.E. der Grundriß die Basis zur Erklärung von Fichtes Zeittheorie dar, insofern der Zweck und
der Schluss des Buchs die apriorische Deduktion der Zeit, des Raums und des Mannigfaltigen der Anschauung aus dem
absoluten Ich ist, so dass Fichte seinen Leser am Ende dieses Buch „gerade bei demjenigen Punkte nieder[setzt], wo Kant
ihn aufnimmt.“ (Fichte, Grundriß des Eigentümlichen der Wissenschaftslehre, S.603) Vgl. „Kant geht aus von der
Voraussetzung, daß ein Mannigfaltiges für die mögliche Aufnahme zur Einheit des Bewusstseins gegeben sei, […] er
wollte nichts weiter begründen, und ging daher mit Recht von dem Besondern zum Allgemeinen fort. Auf diesem Wege
nun lässt sich […] nie aber ein unendliches Allgemeines, ein Fortgang der Erfahrung in die Unendlichkeit [erklären]. Von
dem Endlichen aus gibt es keinen Weg in die Unendlichkeit; wohl aber gibt es umgekehrt einen von der unbestimmten,
und unbestimmbaren Unendlichkeit, durch das Vermögen des Bestimmens zur Endlichkeit, (und darum ist alles Endliche
Produkt des Bestimmenden). Die Wissenschaftslehre, die das ganze System des menschlichen Geistes umfassen soll,
169
1. Das absolute Ich qua absoluter Tätigkeit begründet am Anfang die ursprüngliche Realität in seiner
einfachen Unendlichkeit. Insofern das Ich absolut tätig ist, ist sein Tun noch schlechthin gesetzlos.
Die Realität bedeutet hier nur das Selbstvergessen des Ich in seinem Gegenstand, im Nicht-Ich, das
stets in einer bloß idealen Beziehung zum Ich steht und noch nicht vom Ich real getrennt ist.4 Mithin
ist das Ich der Real-Grund aller Gegenstände, an die wir uns noch nicht erinnern.5 Die wahrhafte
Zeit gibt es hier noch nicht, insofern sie als eine der apriorischen Formen allein in der Reflexion des
Ich fungiert, das Ich sich selbst aber momentan noch nicht reflektiert. Trotzdem gibt es darin bereits
etwas Zeitliches, indem das Ich sich in dem „Immer-weiter-zum-Gegenstand-Gehen“ entfaltet.6
2. Das Ich muss die Grenze für sich aufrichten. Mittels der Einbildungskraft überträgt das Ich seine
Tätigkeit auf das Nicht-Ich7 und setzt es gegen das Ich als ein auf dieses wirkenden Zwang. Durch
muß diesen Weg nehmen, und vom Allgemeinen zum Besondern herabsteigen.“ (Ebd., S.524f.)
4
Vgl. ebd., S.525ff.
5
Dazu schreibt Fichte 1795: „Also das Ich vergißt in dem Objekte seiner Tätigkeit sich selbst, und wir haben eine
Tätigkeit, die lediglich als ein Leiden erscheint, wie wir sie suchten. Diese Handlung heißt eine Anschauung; eine
stumme, bewußtseinlose Kontemplation, die sich im Gegenstande verliert. Das Angeschaute ist das Ich, inwiefern es
empfindet. Das Anschauende gleichfalls das Ich, das aber über sein Anschauen nicht reflektiert, noch insofern es
anschaut, darüber reflektieren kann.“ (Ebd., S.533) Später erklärt Fichte im Sonnenklaren Bericht, dass diese Realität
nichts anderes als die wahre Tatsache des gegenwärtigen Erfahrens und Lebens sei. Während man z.B. ein Buch liest
oder den Uhrzeiger beobachtet, konzentriert man sich allein auf den Gegenstand, niemals auf sich selbst. Daher bekommt
man eine reale Empfindung, eine Wahr-nehmung, oder eine Erfahrung, indem man sein Selbst vergisst und sich hingibt,
um das Reale für sich zu vernehmen (vgl. J. G. Fichte, Sonnenklarer Bericht an das größere Publikum über das
eigentliche Wesen der neuesten Philosophie, Ein Versuch, die Leser zum Verstehen zu zwingen, in: Fichtes Werke,
Auswahl in sechs Bänden, Dritter Band, hrsg. v. F. Medicus, Verlag von Felix Meiner Verlag in Leipzig, Leipzig seit
1911, S.564ff.). D.h. der Real-Grund ist der Grund des realen Vernehmens eines Gegenstandes im Bewusstsein. Jedoch
herrscht hier schlechthin ein Idealismus, gar kein Realismus, da es nur eine Sicherheit der realen Wahrnehmung oder ein
Sich-Gewissheit-Verschaffen des Ich im reinen Bewusstsein gibt, keinesfalls das wahre Material. Diesen Sachverhalt
interpretiert Hegel präzise, indem er herausstellt, dass dieser vernünftige Idealismus das Vergessen der Realität zur
Bedingung hat: „Sie [die Vernunft] versichert so nur, alle Realität zu sein, begreift dies aber selbst nicht; denn jener
vergessene Weg ist das Begreifen dieser unmittelbar ausgedrückten Behauptung. […] Der Idealismus, der […] mit dieser
Behauptung anfängt, ist daher auch reine Versicherung, welche sich selbst nicht begreift, noch sich andern begreiflich
machen kann. Er spricht eine unmittelbare Gewissheit aus, welcher andere unmittelbare Gewissheiten gegenüberstehen,
die allein auf jenem Wege verloren gegangen sind.“ (Hegel, Phänomenologie des Geistes, S.159) In der Kette der
Realität wird das sogenannte Material lediglich als die subjektive Formel dargestellt. Zugleich wird die Wirklichkeit an
jedem Glied der Kette durch ein anderes Glied negiert, demnach bleibt letztendlich keine wirkliche Sicherheit der
Realität übrig.
6
In dieser Realität gibt es noch keine Zeitbedingung, denn „teils ist die Zeit noch nicht deduziert, und wir haben hier
noch gar nicht das Recht, uns ihres Begriffs zu bedienen“, teils ist das Ich hier eigentlich ein substanzielles, das dem
begrifflichen Zeitattribut vorhergeht (Fichte, Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, S.329ff.). Also kann es keine
Zeitbedingung im Übertragen geben, „denn die Substanz kommt nicht in den Wechsel“ (ebd., S.374). D.h., das
Übertragen darf hier allein in einem Moment, gar nicht in einer Zeitdauer gedacht werden, denn dieses Übertragen ist nur
eine wesentliche Transformation des Ich ins Nicht-Ich, die im Ich ursprünglich-substanziell gesetzt ist, aber gar nicht in
einer Zeitreihe entsteht, sodass es hier gar keinen Zeitbegriff, keine Zeitbedingung sowie keine Zeitform gibt.
Währenddessen existiert an dieser Stelle doch etwas Zeitliches bei Fichte, das zwar noch nicht begriffen, aber doch
gefühlt werden kann, wenn das Ich in seinem Übertragen sich entfaltet. Ohne diese Entfaltung kann das Werden dieses
Übertragens gar nicht eingesehen werden. Um dieses Werden zu erklären, muss sogar Fichte selbst fordern, dass „man
[…] mir indes den Begriff der Zeit als bekannt vorauszusetzen [erlaube]“ (Ebd., S.341. Siehe auch S.339f.)
7
Vgl. Fichte, Grundriß des Eigentümlichen der Wissenschaftslehre, S.543ff.
170
den Zusammenstoß der beiden entgegengesetzten Tätigkeiten bekommt das Ich den Ansatz zur
Reflexion, die aus dem Zwang qua Nicht-Ich besteht, aber auch den Ansatz zur Selbstreflexion,
indem das Nicht-Ich eigentlich nur aus dem Ich kommt.8 In der letzten Reflexion erinnert das Ich
sich an sich selbst. Das reflektierte Ich ist also vom Ich selbst produziert und besteht nun als das
Ding außerhalb desselben; dagegen betrachtet das reflektierende Ich das Ding nur als das Bild von
sich aus und in sich selbst, insofern es von ihm (ein)gebildet ist. Das reflektierte Ich wird als das
äußerliche Ding angeschaut und das reflektierende Ich schaut es in seinem Bild an.9 Jenes entspricht
der äußeren Anschauung, dieses der inneren.10
3. Das Ich begegnet dem Ding daher in der äußeren Anschauung, deren Form der Raum ist.11 Das
Ding ist schlechthin vom Ich bestimmt; hingegen bestimmt das Ich das Ding kraft seines Bildes, das
nach der Zeitform in der inneren Anschauung konstruiert wird. 12 Die Grenze ist allein ein
Bestimmbares, die entweder vom Ich oder vom Nicht-Ich bestimmt ist. Daher muss eine neue
Grenze gesetzt werden, die aber wiederum bloß entweder vom Ich oder vom Nicht-Ich bestimmt ist.
So weist die Bewegung des Setzens der Grenze bis ins Unendliche. Die Sphäre, die Grenze immer zu
überschreiten und immer wieder zu setzen, ist der ideale Raum zwischen Ich und Nicht-Ich und jeder
Teil des Raums ist wiederum ein räumlich Ganzes. Dadurch wird der stete Abstand von Ich und Ding
8
Vgl. ebd., S.559ff.
Ein Ding ohne Bild ist äußerlich. Ein Bild ohne Ding ist leer. „Das Ich soll das Bild beziehen auf das Ding. Es ist zu
zeigen, daß diese Beziehung nicht möglich sei, ohne Voraussetzung des Bildes, als eines solchen, d. i. als eines freien
Produkts des Ichs. Wird durch die geforderte Beziehung das Ding überhaupt erst möglich, so wird durch Erhärtung der
letztern Behauptung bewiesen, daß das Ding nicht möglich sei, ohne das Bild. – Umgekehrt, das Ich soll mit Freiheit das
Bild entwerfen. Es müsste gezeigt werden, daß dies nicht möglich sei, ohne Voraussetzung des Dinges; und es wäre
dadurch dargetan, daß kein Bild möglich sei, ohne ein Ding (es versteht sich, ein Ding für das Ich).“ (Ebd., S.571) So
entsteht eine Wechselwirkung. Ein Bild wird hergestellt, indem das Ich in seiner Selbstreflexion alles in sich selbst
einschließt und innerhalb des eingeschlossenen Ganzen (d.i. innerhalb der Totalität der Bestimmtheit) in sich
hineinschaut.
10
Vgl. ebd., S.582ff.
11
Konkret kommt der Raum bei Fichte auf folgende Art zum Vorschein: Um die Bestimmtheit ins Ich zu setzen, muss
zwischen dem vom Ich gesetzten Punkt und dem vom Nicht-Ich gesetzten Punkt ein Mittelpunkt geschaffen werden, in
dem das Ich das Nicht-Ich in seiner eigenartigen Bestimmung einnehmen kann. Dieser Mittelpunkt ist aber ein
Bestimmbares, das wiederum entweder vom Ich oder vom Nicht-Ich bestimmt wird, daher muss ein neuer Mittelpunkt
gesetzt werden, um die Bestimmtheit wiederum ins Ich zu setzen. Der so gesetzte Punkt ist wiederum nur ein
Bestimmbares. So ist der Bestimmungsprozess endlos. Das Bestimmbare = O entfaltet sich mithin auch unendlich.
Jedoch als schlechthin ideal gesetzter Punkt ist jedes Bestimmbare leer und formal. Fichte nennt die Sphäre des O den
Raum: „Also O wird gesetzt als ausgedehnt, zusammenhängend, teilbar ins Unendliche, und ist der Raum.“ (Ebd.,
S.592)
12
Die Zeit entsteht bei Ficht also auf die folgende Weise: Das Ich soll den Raum komplett besetzen. Dies ist aber ein
Ideal des Ichs, real gesehen ist das Nicht-Ich immer noch da, denn sonst gäbe es keinen realen Grenzpunkt, kein
wirkliches Ding mehr. Demnach muss es neben dem Raum auch eine Form geben, denn sonst „bleibt die geforderte
Harmonie zwischen der Vorstellung und dem Dinge, die Beziehung derselben aufeinander, demnach auch sogar ihre
Entgegensetzung durch das Ich, unmöglich.“ (Ebd., S.597) Diese Form ist bei Fichte die Zeit. Durch die Zeitform wird
das Zusammentreffen von Ich und Nicht-Ich am Grenzpunkt erst real begriffen.
9
171
charakterisiert. Das Ich nähert sich dem Nicht-Ich in diesem Prozess des Setzens der Grenzen, in
dem jede Grenze als ein erfüllter Punkt des leeren Raums oder des leeren Abstands gedacht ist. Der
Prozess der Synthesis oder der ganzen Erfüllung ist bei Fichte die Zeit und jede Grenze darin ist ein
Zeitmoment.13 Mithin soll das Ganze der Zeit nicht mehr akzidentell, sondern vielmehr substanziell
sein. In diesem Sinn ist das Ganze der Zeit das Wesen des „Ich=Ich“.
Im Fragment 20, I. Potenz in den Jenaer Systementwürfe I ist die strukturelle Ähnlichkeit der
Hegelschen Raum-Zeit-Theorie mit der Fichteschen leicht zu erkennen. Dort fängt Hegel mit der
Unendlichkeit der Empfindung an. Das Empfundene im empirischen Raum oder in der empirischen
Zeit wird durch Zeit und Raum angeschaut. Die Zeit spielt hier wie bei Fichte eine entscheidende
Rolle, denn.
„das Be ußtsei s haut u
ittel ar i Rau
u d )eit a , i
Rau
das ei zel e als ei
Bestehendes und sein Anderssein außer ihm, aber indem es zugleich in der Zeit gesetzt ist, so
ist es als ein Vergängliches, als ein an ihm selbst Ideelles, nicht mehr Seiendes, indem es ist:
nicht daß es nur indem Zeit vorübergeht, sondern daß es mit der Reflexion gesetzt ist als in der
)eit seie d.“14
Also stehen sich das Empfindende und das Empfundene im Raum schlechthin entgegen. Allein durch
die Zeit kann der Abstand dazwischen überschritten werden. Der Zeitprozess zur Erfüllung der
einfachen Unendlichkeit ist gleichzeitig der Prozess zur Vereinzelung, indem alle einzelnen
Zeitpunkte darin bestimmt werden. Sie werden nunmehr auch zum „allgemeine[n] Element des
13
Also ist der Raum die Form des theoretischen Vorhandenseins des Abstands zwischen Ich und Nicht-Ich, in dem alle
Punkte nebeneinander stehen. Dagegen ist die Zeit die Form der theoretisch-wirklichen Überschreitung des Abstands, in
der die Punkte nacheinander auftauchen. Beide sind formal, weil beide mit der Bestimmung zu tun haben.
„Formal“ meint hier also eine Voraussetzung vor der inhaltlichen Erscheinung im Bewusstsein. Ferner muss der Raum
sich verzeitlichen, um sich in die Bestimmtheit des Ichs zu bringen, denn sonst würde er allein als die Sphäre eines
unbestimmten Bestimmbaren bleiben. Die Zeit muss sich verräumlichen, um sich bildhaft ausdehnen zu können, denn
sonst würde sie jedes Mal nur als ein bestimmter Punkt bleiben und könnte keine Kontinuität erhalten, da Zeit sich selbst
vernichtet, sodass kein befestigter Gestalt, kein fester Körper darin existieren kann. „Daher können wir das eine nur
durch das andre messen: den Raum durch die Zeit, die man braucht, um ihn zu durchlaufen; die Zeit durch den Raum,
den wir, oder irgendein regelmäßig sich fortbewegender Körper […] in ihr durchlaufen kann.“ (Ebd., S.602) Hier muss
angemerkt werden, dass es allein im Raum keine Synthesis gibt, denn alles existiert darin ohne Berührung miteinander.
Wenn der Raum als die Sukzession der Raumerfüllung gedacht wird, gibt es in diesem Erfüllungsprozess erst die
Synthesis, die aber eigentlich durch die Zeit in Geltung gebracht wird. Die Sukzession der Raumerfüllung ist also nichts
anderes als die sich fortsetzende Zeitreihe. Die Zeit ist daher die fundamentale Form der Synthesis. Obwohl Fichte
selbst dies nicht ausdrücklich behauptet, inhaltlich muss er doch meinen, dass er im Raum die Harmonie zwischen
Vorstellung und Ding nicht finden kann und deshalb eine andere Form (d.i. die Zeit) suchen muss.
14
Hegel, Jenaer Systementwürfe I, S.197f.
172
Bewußtseins selbst“,15 insofern sie das Einzelne im unendlich-allgemeinen Prozess sind. M.a.W.: Im
intellektuell zeitlichen Prozess wird alles zum allgemeinen Geist gebracht, indem der Geist die
unendliche Empfindung ist; alles empfundene Einzelne wird am Ende im Geist absolut verunendlicht
und verallgemeinert.
Auf diese Weise wird „das Dieses der Zeit und des Raumes getilgt“, 16 oder besser: im
Bewusstsein unendlich formalisiert. Die Tilgung der Zeit bedeutet die Vollendung des Zeitprozesses
im anschauenden Geist. Damit erreicht Hegel eine Konzeption, die derjenigen Fichtes grundlegend
ähnelt: Das Ich (der einfache Geist) empfindet sich selbst. Die Entgegensetzung des Empfindenden
und des Empfundenen liegt in Raum und Zeit. Es ist die Zeit, durch die der leere Abstand erfüllt und
schließlich zum „Ich=Ich“, zum unendlichen Geist zurückgekehrt werden kann.
Noch deutlicher spiegelt sich diese Ähnlichkeit in den Jenaer Systementwürfe III: Hegel weist hier
zunächst die Entgegensetzung des Ich mit dem Ding „im Raume“ auf 17 und zeigt, dass der Raum im
Ich das formale Allgemeine, das Ding dagegen das Besondere ist. Jenes ist die allgemeine Form der
Anschauung des Ich, die produktiv und bestimmend ist, dieses hingegen das Mannigfaltige, das
produziert und bestimmt ist. Das Ding wird daher vom Allgemeinen abgeleitet, indem es nur dadurch
angeschaut, produziert oder bestimmt wird. Dieses formale Allgemeine ist deshalb das unmittelbare
Wesen und Wissen des Seienden in der Anschauung; damit ist alles Seiende an dieser Stelle
schlechthin formal, d.h., noch nicht vom Inhalt erfüllt. „Sein ist Form der Unmittelbarkeit, es soll
aber in seiner Wahrheit gesetzt werden.“ Das Ich oder der Geist weiß nur solche Dinge, die von ihm
bloß formal hergestellt sind. D.h., das Ich weiß eigentlich nur von sich selbst, und zwar nur formal.
Es weiß demnach gar nichts, weil sein Wissen leer ist. Raum ist dabei der Name des auf solche Art
unerfüllten formalen Allgemeinen.
Jedoch muss das Ding nicht allgemein, sondern konkret bestimmt werden. Falls alles Seiende „im
Geiste Sein [ist]“18 (hier nämlich im Raum), dann „[ist] das Ding […], es ist nicht im Sein – sondern
es ist selbst.“19 Also muss das Ding auch ein Ansichsein außer dem bloß formalen Sein sein.20 Die
15
Ebd., S.199.
Ebd.
17
Hegel, Jenaer Systementwürfe III, S.171.
18
Ebd.
19
Ebd.
20
Ebd. Vgl. auch: „Somit, indem er [der Geist] in seinem Anfang bestimmt ist, ist diese Bestimmtheit die gedoppelte,
die des Seienden und die des Seinigen; nach jener etwas als seiend in sich zu finden, nach dieser es nur als das Seinige zu
16
173
Entgegensetzung des Ich mit dem Ding ist bei Fichte nichts als die Entgegensetzung der allgemeinen
Tätigkeit des Ich mit seinem konkreten Produkt. Durch den Raum wird der Abstand zwischen den
beiden unmittelbar gezeigt. Das Ich soll das Ding in sich aufheben, es zugleich aber in seine
Wahrheit setzen. Jedoch hat es das nur formell geschafft, reell gesehen bleibt der Widerspruch noch
wie zuvor. Das Ich oder der Geist muss den Abstand (er)füllen. Er muss von sich aus ein Vermitteltes
zwischen beiden erzeugen und sich dann alles als das seine aneignen. Dies gelingt dem Geist durch
die Zeit. Er erinnert sich in der Zeit daran, dass eben er selbst dies ansichseiende Ding für sich
produzierte. Daher hat der Geist seine Selbstbestimmung in seiner Selbstreflexion völlig
hervorgebracht. Bei Fichte hat man den Prozess als solchen bereits gesehen. Hegel stellt die Sache
nun wie folgt dar: Der Geist ist „die Zeit, die für sich ist, und ebenso Freiheit der Zeit; dies reine
Subjekt, das frei ist von seinem Inhalt.“21 Die Zeit ist also das Wesen des Geistes. Sie ist die geistige
Zeit selbst. In dieser Zeit hat der Geist seine Dinge gesetzt. D.h., er hat sie im zeitlichen Prozess
abgeleitet und dieser Prozess soll sein Prozess sein, weil der Geist das Wesen des Prozesses und
daher das Wesen der Zeit sein soll. Er kann die Dinge in sich selbst schaffen, denn er existiert absolut
frei (tätig) für sich selbst. Demzufolge ist sein Gegenstand eben der Geist selbst. Mithin „[ist] im
Anschauen […] das Angeschaute in mir, – denn ich schaue ja an – es ist meine Anschauung.“22
Ferner ist das Ding – der Gegenstand des Geistes – nur das Bild in der Anschauung. Oder anders
formuliert: Das Bild hat das Ding im Geist aufgehoben. Dieses „Bild gehört ihm an, er ist im Besitz
desselben [des Seins], er ist Herr darüber; es ist in seinem Schatze aufbewahrt, in seiner Nacht – es
ist bewusstlos, d.h. ohne als Gegenstand vor die Vorstellung herausgestellt zu sein.“23 D.h., der Geist
hat sich zwar an sich erinnert, aber nur in der Nacht, d.i. nur in seinem flüssigen Selbstbilden, das
keinen fixierten Gegenstand hat.
Diesen Prozess nennt Hegel die bewusstlose Anschauung. Alles, was in der Erinnerung des Ich
produziert wird, wird in meiner flüssigen Anschauung als meine Bilder angeschaut.
„Eri
eru g setzt das Mo e t des Fürsi hsei s hi zu – ich hab es schon einmal gesehen, oder
gehört; ich erinnere mich, ich sehe, höre nicht bloß den Gegenstand, sondern gehe dabei
setzen.“ (Hegel, Enzyklopädie 1830, §443, S.437)
21
Hegel, Jenaer Systementwürfe III, S.171.
22
Ebd., S.172.
23
Ebd.
174
innerhalb meiner-erinnere-mich, nehme mich aus dem bloßen Bilde heraus, und setze mich in
i h“.24
M.a.W., das Ich muss sich daran erinnern, dass es sich damals vergessen hat. Infolgedessen weiß das
Ich nun, dass die Erinnerung nicht eine Erinnerung an das äußerliche Ding ist, sondern die
Erinnerung-in-sich, in der alle Dinge zu seinen Bildern werden. Daher assoziiert und reproduziert
das Ich oder der Geist seine Bilder in einer leeren Freiheit, d.i. im einfachen Wesen der Zeit. Alles
wird von ihm m.a.W. willkürlich produziert. Die Willkürlichkeit der Produktion und mithin die
Gleichgültigkeit der Dinge für das Ich ist die ‚Nacht des Bewusstseins‘.
Zusammenfassend ist also festzuhalten, dass bei Hegel die Zeit (wie bei Fichte) die erfüllende
Vermittlung von Ich (Geist) und Ding ist, die als das Wesen und auch als die einzelnen Momente des
Geistes das Bild des Dings in der Erinnerung – in der unendlichen und inneren sowie intellektuellen
Anschauung des Bewusstseins – frei produziert.
Das „Fichtesche“ Ich Hegels mit seiner geistigen Zeit (d.i. mit seiner Erinnerung im
Selbstbewusstsein) wird als der radikale Ansatz der Philosophie des Geistes gedacht und macht den
dramatischen Unterschied zwischen Geist und Natur sichtbar. Nach Hegels Jenaer Manuskripten
bedarf es nämlich eines abrupten Sprunges, um den Geistes zu verstehen. Im natürlichen Leben
könne die wirkliche Existenz des Ich in keiner Weise ausgesprochen werden:
„I de
das Le e i dieser Besti
theit [das Andere der Natur zu sein], und zugleich Leben
ist, so hat seine Reflexion in sich selbst oder Bewegung die erste metaphysische Form, des
Prozesses der Einzelheit und der Gattung; der Geist als das Eins dieser Prozesse, als Ich, ist das
in der Natur nicht E istiere de.“25
Dagegen heißt es in der Philosophie des Geistes:
„[…] Es [das Be usstsei ] e istiert, i sofer es dasje ige ist,
ori si h die eide , das si h
Bewußtseiende und das, dessen dies sich bewußt ist, in ihm als Eins setzen, und sich auch ihm
Hegel, Jenaer Systementwürfe III, S.173f. Vgl. auch: „Als die Anschauung zunächst erinnernd, setzt die Intelligenz
den Inhalt des Gefühls in ihre Innerlichkeit, in ihren eigenem Raum und ihre eigene Zeit.“ (Hegel, Enzyklopädie 1830,
§452, S.446)
25
Hegel, Jenaer Systementwürfe II, S.199.
24
175
entgegensetzen, d.h., das Bewußtsein selbst ist auf diese Weise ein mit einer Bestimmtheit
Behaftetes, E istiere des.“26
Das Ich, das in der Natur schlechthin „Nicht-Existierende“, kann allein im Bewusstsein das
„Existierende“ sein. Seine ontologische Selbstbestimmung darf niemals aufgrund der Andersheit der
Natur aufgebaut werden. Vielmehr muss die Natur hier vollständig negiert werden. Denn das Sein
des Ich ist das Selbstbewusst-Sein. Was aber kein Selbstbewusst-Sein ist, darf nur als das Anderssein
des Ich betrachtet werden, das nichts als das natürliche Dasein oder das natürliche Endliche ist.
Dieses Endliche (in der natürlichen Zeit und im natürlichen Raum) darf selbstverständlich kein
Grund des Selbstseins des Ich sein, insofern es sich – wie im ersten Teil dargestellt –selbst gar nicht
erkennt. Hierzu schreibt Hegel:
„Sei Sei [das Sei des Be usstsei s] ü erhaupt ist zuerst, ie es i si h sel st, die Refle io
setzt, die bisher die unsrige war, daß es die Idealität der Natur ist, oder ist zuerst in negativer
Beziehung auf die Natur; und in dieser negativen Beziehung existiert es als bezogen auf die
Natur selbst innerhalb derselben, und die Weise seiner Existenz ist nicht eine Besonderheit,
eine Einzelheit der Natur, sondern ein Allgeneines der Natur […]“.27
Diese „Idealität der Natur“, d.i. das Selbstbewusstsein der Natur, unterscheidet sich vollständig von
der Natur, indem es diese in sich selbst reflektiert.
1. Das selbstreflektierte Bewusstsein ist nunmehr, weil es sich selbst als das Existierende bestimmt,
das wahre Sein, die absolute Substanz28; weil es zugleich die Idealität der Natur ist, ist es die Idee des
natürlichen Daseins. „Diese Idee fiel in der Philosophie der Natur absolut auseinander“. 29 Sie ist also
das Nichtexistierende in der Natur und das wahre Existierende im Geist. Das letztere als das
Selbstsein begründet das erstere, denn es kann niemals vom Nichtexistierenden begründet werden:
„Er [der Geist] geht o diese
Sei [aus], u d setzt dassel e i si h als ei Ni htseie des, als
ein Aufgeho e es ü erhaupt“.
Dass das Ich oder der Geist in der Natur nicht existiert, liegt m.a.W. nicht an der Kraft der Natur,
sondern am Setzen des Geistes selbst. Er setzt den Anfang bewusst für sich selbst, und zwar sowohl
für sein Sein als auch für sein Nichtsein. Er fängt mit sich selbst an. Daher wäre es freilich
26
27
28
29
Hegel, Jenaer Systementwürfe I, S.191.
Ebd., S.191f.
Vgl. ebd., S.185.
Ebd.
176
vollkommen falsch, den Anfang des menschlichen Selbstbewusst-Seins als eine einfache Folgerung
des natürlichen Lebens zu denken.
Auf diese Weise ist auch klar, wieso Hegel einen Sprung von der Natur zum Geist macht.
Entscheidend dabei ist, dass das Selbstsein des Ich für sich einen ganz anderen Grund als das
natürliche Anderssein des Geistes setzt. Das Selbstbewusst-Sein beweist sich hier nach ontologischer
Weise als die Idee oder die Idealität der Natur (bzw. des natürlich-realen Seienden), die niemals aus
der vorhandenen Natur, sondern vielmehr nur aus der ichhaften Freiheit zum Sein und der Tätigkeit
der Selbstverwirklichung verstanden werden kann. Obwohl Hegel den Geist im Gang der
philosophischen Überlegungen nach dem natürlichen Leben diskutiert, sieht er diesen keinesfalls als
eine Weiterführung des natürlichen Endlichen, sondern als den neuen und absoluten Anfang der
Philosophie der Unendlichkeit:
„Der so esti
te Begriff des Geistes ist das Bewußtsein als der Begriff des Einsseins des
Einfachen und der Unendlichkeit; aber im Geist ist sie für sich selbst oder als wahrhafte
U e dli hkeit“.30
2. Demzufolge muss die natürliche Zeit getilgt werden:
„Es [das Allge ei e] ist i ih
[de
Be usstsein] die Bestimmtheit der Empfindung, das
Dieses der Zeit und des Raumes getilgt, und ihre Sukzession und Koordination erscheint als eine
freie; sie ist ganz gleichgültig für das allgemeine Element, und ein tätiges Reproduzieren, indem
es dies allgemei e Ele e t ist, das eso dert ird.“31
Das natürliche Zeitliche ist – wie im ersten Teil der vorliegenden Arbeit bereits gezeigt wurde – das
zeitlich Endliche. Als das Angeschaute ist es hier „das Dieses der Zeit und des Raums“. Jedes
natürliche Dasein wird durch ein endliches „Dieses hic et nunc“ repräsentiert und beschränkt. Der
Geist ist dagegen allgemein und unendlich, ist also an sich frei. Diese Allgemeinheit oder
Unendlichkeit des Geistes existiert in der innerlich-freien Er-innerung des Empfindenden. Die
Er-innerung ist frei, weil es für sie keine natürliche Zeitfolge, auch keine Sukzession und
Koordination mehr gibt, da sie überhaupt nicht in der natürlichen Zeit ist. Vielmehr existiert sie in
30
31
Ebd., S.183f.
Ebd., S.199.
177
der Zeit selbst, die als „die Freiheit der Zeit“ die Synthesis von Bild und Ding in der Anschauung des
„reine[n] Subjekt[es]“ herstellt.32
Die Tilgung der in der natürlichen Besonderheit existierenden Zeit und die Er-innerung in der
Freiheit der geistigen Zeit selbst ohne Sukzession und Koordination zeigen zusammengenommen,
wie verschieden die Zeittheorie Hegels hier von derjenigen in der Naturphilosophie ist. Um die
geistige Zeittheorie zu verstehen, muss das „Diese hic et nunc“ sprunghaft zur Allgemeinheit und zur
Freiheit der geistigen Zeit selbst übergehen.
3. Daraus ergibt sich aber ein grundlegendes Problem: Der Sprung geschieht in der Er-innerung des
Subjekts. Diese Erinnerung ist frei, weil sie noch keine bestimmte Zeitfolge hat, sondern im
Verhältnis von Ding und Bild alles aus sich selbsttätig, aber willkürlich reproduziert. Daher gibt es
zwischen zwei Reproduzierten keinen wesentlichen Unterschied im Sinne des Unterschieds zwischen
„Dies“ und „Das“, insofern es nun überhaupt kein „Dieses hic et nunc“, kein natürliches Besonderes
oder Endliches mehr gibt, sondern allein die Allgemeinheit und Unendlichkeit. Die Erinnerung in der
geistigen Zeit ist mithin das Vergessen des daseienden Zeitlich-Endlichen. Sie existiert in der
absoluten „Nacht“33 des Bewusstseins, in der alles gleich aussieht. Die geistige Zeit selbst wird
allein durch eine willkürliche „Ideenassoziation“34 konstituiert, hat aber keinen konkreten Inhalt.
Der abrupte Sprung vom natürlichen Leben zum geistigen Selbstbewusstsein hat daher seine
zeitliche Bedeutung nur in dem Sinne, dass erstens die Zeit des Ich selbst eine leere Zeit ist 35 und
dass zweitens diese Leerheit bzw. die Nichtigkeit der geistigen Zeit das Sein des Geistes selbst
repräsentiert, solange dieses vom natürlichen Dasein völlig unterschieden ist. Wie kann dann aber
das Sein des Ich sich in seiner Erinnerung als das Reale beweisen, da es selbst doch noch nichts ist?
Zur Klärung dieser Frage hilft es offensichtlich nicht, auf die Realität des natürlichen Dinges zu
verweisen, denn diese natürliche Realität ist völlig getilgt. Der ontologische Anspruch der geistigen
Realität ist wegen seines dramatischen Unterschieds von der natürlichen Realität zudem auch vom
Anspruch in der Natur völlig verschieden. Er ist nämlich der Anspruch des Selbstbewusst-Seins,
dessen Gegenstand kein natürliches Ding ist, sondern das Sein des Ich selbst in seiner Erinnerung:
32
33
34
35
Hegel, Jenaer Systementwürfe III, S.171.
Ebd., S.172.
Ebd., S.173.
Vgl. ebd., S.172. und S.198.
178
„Eri
eru g setzt das Mo e t des Fürsi hsei s hi zu. – ich hab es schon einmal gesehen, oder
gehört; ich erinnere mich; ich sehe, höre nicht bloß den Gegenstand, sondern gehe dabei
innerhalb meiner – erinnere – mich, nehme mich aus dem bloßen Bilde heraus, und setze mich
i
i h; i h setze
i h eso ders zu
Gege sta d.“36
Die Realität der Erinnerung qua geistiger Zeit selbst zu beweisen, muss also allein durch die Freiheit
des Ich selbst ermöglicht werden, die aber schlechthin leer ist. Die Negativität in dieser Leerheit der
Zeit selbst heißt hier weder, dass ein „Dieses hic et nunc“ durch ein anderes „Dieses illic et tunc“ in
der Sukzession negiert würde, noch, dass die geistige Zeit selbst nur eine leer-formelle Äußerung des
natürlichen Seienden ist. Vielmehr bedeutet diese Negativität die Willkürlichkeit der Reproduktion
des Ich.37 Wegen dieser Willkürlichkeit sind alle Dinge gleichgültig für mich. Das Ich assoziiere
zwar alle Dinge nacheinander, nehme diese Folge der Assoziation aber überhaupt nicht ernst. M.a.W.:
Die Negativität des Ich in seiner Erinnerung ist weder ein zeitliches Verschwinden des Ich (wie das
Verschwinden eines natürlichen Dings) noch die bloß äußerliche Formalität des Bewusstseins (gegen
den konkreten und natürlichen Gegenstand), sondern vielmehr die Egalität der Folge der
Reproduktion und Erkenntnis des absoluten Ichs.
Nachdem die Bedeutung der Negativität der Leerheit der geistigen Zeit selbst verstanden worden
ist, kann versucht werden, die oben erwähnte Frage zu beantworten, wie das Sein des Ich sich in
seiner Erinnerung als das Reale beweisen kann, wenn es selbst nichts ist.
a) Festzuhalten ist zunächst: Für das Ich ist alles gleichgültig, weil es von der Natur als absolut
getrennt gedacht wird. Das Ich muss sich also nicht mehr um die Befriedigung seiner natürlichen
Begierde sorgen, insofern diese immer von einem äußeren Ding abhängig ist. Vielmehr versinkt das
Ich jetzt ganz in sich selbst, weil es alles als das seinige sieht, ist es absolut frei von äußeren Dingen:
„Der Gege sta d hat hiedur h ü erhaupt die For , die Besti
u g,
ei er zu sei , erhalte ;
und indem er wieder angeschaut wird, so hat sein Sein nicht mehr diese Bedeutung des Seins,
sondern des Meinen, er ist mir schon bekannt; oder ich erin ere
i h sei er.“38
b) Genau weil alles ‚meines‘ ist, muss alles in der willkürlichen Folge der Ideenassoziation vom
Ich abgeleitet werden. Anders gesagt: Das Ich ist das Allgemeine, und alles ist vom Ich besondert.
36
37
38
Ebd., S.174.
Vgl. ebd., S173.
Ebd.
179
Weil das Ich mit seiner allgemein-geistigen Zeit leer gedacht wird, ist das vom Ich Besonderte auch
leer.39 Diese Besonderung des allgemeinen Ich heißt bei Hegel das „tätige Reproduzieren“40.
c) Das „tätige Reproduzieren“ bedeutet hier die Reproduktion ohne eine bestimmte Folge. Denn in
ihm gibt es kein „Dies“ oder „Das“, sondern nur ein schlechthin Allgemeines.41 Das Allgemeine ist
jedenfalls keine einfach-äußerliche Form des natürlichen „Diesen hic et nunc“, sondern es entfaltet
seinen Inhalt, der von ihm besondert wird, von sich selbst aus. Dieses Besonderte hat aber überhaupt
keine konkrete Bestimmung wie z.B. in diesem oder jenem Zeitpunkt (oder Raumpunkt). Es ist ein
besonderes, nur weil es ein Moment der willkürlichen Reproduktion des Ich ist. Aber was es genau
ist, ist für die Erinnerungsfolge des Ich völlig egal.
d) Gleichwohl hat das Ich hier nicht überhaupt nichts in sich selbst. Sein Inhalt ist aber kein
äußerlicher Inhalt in der Natur (oder in der natürlichen Zeit und dem natürlichen Raum), sondern
etwas bloß Subjektives und Innerliches ohne Bestimmtheit. Sein Inhalt ist m.a.W. nichts als das, was
von ihm selbst besondert wird und daher ein bloßes Ichhaftes ist. Hegel nennt dieses Ich hier zwar
auch die „Form“42, meint aber nicht, dass das Ich die äußerliche Form ohne Inhalt sei und daher
allein jenseitig gesetzt werde, sondern vielmehr, dass die Inhalte des Ich in diesem selbst noch nicht
genau bestimmt seien und deshalb nur als „Inhalt überhaupt“ gesehen werden müssen.
e) Das Ich darf also als das Nichts gedacht werden, weil es völlig gleichgütig ist, was es darin gibt,
nicht aber weil es darin überhaupt nichts gäbe. Die „absolute Nacht“ des Bewusstseins ist also die
schlechthinnige Gleichgültigkeit, für die allein wesentlich ist, dass irgendetwas existiert, ganz egal
was. Hegel nennt sie deswegen die „Nacht der Aufbewahrung“.43 Das Ich beweist sein Sein in seiner
Vgl. Hegel, Jenaer Systementwürfe I, S.198: „Diese Vereinzelung bleibt aber unmittelbar in dem allgemeinen
Elemente des Bewusstseins, in demselben, in seinem allgemeinen Raum und seiner allgemeinen Zeit; aber so, daß dieser
Raum und Zeit des Bewusstseins unmittelbar ebenso eine absolute leere Einfachheit als eine erfüllte ist; jene Einzelheiten
des Anschauens sind in ihm ebenso verschwundene, und es ist ihre allgemeine Möglichkeit. Als in dieser leeren
Möglichkeit sind sie von der Seite der Empfindung, welche sie an sich hatten, befreit worden, die Seite der Empfindung
war ihre Einzelheit, ein äußerer Zusammenhang mit andern nach ihrer Notwendigkeit, sie gehören itzt nur der
Allgemeinheit des Bewusstseins an. Aber eben absolut diese seine leere Zeit und seinen leeren Raum es sich wieder
besondert und ruft jene Stücke wieder in sich hervor. Diese Besonderung ist zunächst dem Inhalt nach jene ersten
sinnlichen Vorstellungen, aber das Allgemeine, das besondert wird, ist das allgemeine Element des Bewusstseins selbst,
seine leere Unendlichkeit als Zeit und Raum, das Hervorrufen in ihm selbst der ehmals oder an einem andern Orte
gehabten Anschauung.“
40
Ebd., S.199.
41
Vgl. ebd.
42
Vgl. ebd.: „Dieses formale Sein des Bewußtseins hat keine wahrhafte Realität, es ist etwas Subjektives, es existiert
nicht äußerlich“. Aber auch Hegel, Jenaer Systementwürfe III, S.173: „Diese Willkür ist die leere Freiheit, denn ihr Inhalt
ist nacheinander, sie liegt bloß in der Form, und geht nur diese an.“
43
Hegel, Jenaer Systementwürfe III, S.172, Fußnote 2. Später schreibt Hegel dazu: „Der Geist, der als Seele natürlich
bestimmt, als Bewußtsein im Verhältnis zu dieser Bestimmtheit als zu einem äußeren Objekte ist, als Intelligenz aber 1.
39
180
Erinnerung m.a.W. deshalb in dieser ‚absoluten Nacht‘, weil sie nicht die Annihilation des Seins ist,
sondern dessen unendlicher Speicher. Dieser Speicher, der zunächst ohne Ordnung existiert, ist
unsere freie Erinnerung. Damit ist die Antwort auf die obige Frage gefunden: Wegen des radikalen
Unterschieds zwischen Natur und Geist darf die Negativität des Ich niemals als die Vernichtung des
natürlichen Gegenstands begriffen werden, sondern allein als die innerliche Negation der Zeitfolge
des Verhältnisses von Bild und Ding.
4. Sonach ist klar: Kraft seiner Tätigkeit und Freiheit bringt das absolute Ich alles durch Assoziation
hervor. Dabei ist ganz und gar egal, in welcher Reihenfolge das Ich die Dinge in seinen inneren
Bildern erzeugt. Der Anfang der Ideenassoziation und Reproduktion liegt schlechthin in ihm selbst
als Subjekt. Die scheinbar unverkennbare Ähnlichkeit zwischen Hegel und Fichte an dieser Stelle
führt bei genauerem Hinsehen aber zu neuen Fragen: Falls die Tätigkeit und Freiheit des Ich bei
Hegel so ursprünglich wie bei Fichte ist, wieso nennt Hegel sie von Anfang an die Freiheit zur
Re-produktion? Wieso taucht das absolute Ich nicht bereits vor der Welterkenntnis auf, sondern erst
in der Erinnerung an seine Welt? Bedeutet die vorlaufende natürliche Welt für das Ich nur ein
ideelles Vorhaben (d.i. ein bloß gedachtes) oder ist ihre Realität auch für die Realität des Ich auch
irgendwie konstruktiv? Ferner: Ist die willkürliche Reproduktion des Ich für den ontologischen
Beweis der Realität des Geistes bereits ausreichend? Und inwiefern spielt die Zeit für diesen Beweis
eine Rolle? Um diese Fragen zu beantworten, muss im Folgenden die Beziehung von Natur und
Geist noch einmal von einer anderen Seite aus untersucht werden.
6.1.2 Die Funktion der Zeit in der Erinnerung des tierischen Menschen
Die obige Darstellung zeigt nur die zeitliche Synthesis im subjektiven Bewusstsein, ignoriert aber,
dass Hegel den Geist, der „meine Anschauung“ ist,44 die Zeit nennt, „die für sich ist, und ebenso
Freiheit der Zeit.“45 D.h. ganz anders als Fichte sieht Hegel die geistige Zeit nicht einfach als ein
isoliert-geistiges Prinzip, das vom absoluten und ursprünglichen Ich gesetzt wird. Das Fichtesche Ich
darf niemals anthropologisch im Sinne der natürlich-animalischen Existenz des Menschen
sich selbst so bestimmt findet, ist sein dumpfes Weben in sich, worin er sich stoffartig ist und den ganzen Stoff seines
Wissens hat.“ (Hegel, Enzyklopädie 1830, §446, S.442)
44
Hegel, Jenaer Systementwürfe III, S.172.
45
Ebd., S.171.
181
verstanden werden, da es als erstes Prinzip der Philosophie, in dem von allem Empirischen
abstrahiert wird, an sich absolut rein ist. Dagegen konzipiert Hegel die geistige Zeit tatsächlich auch
im Blick auf das animalische Selbstwerden und setzt den natürlichen Vorlauf der geistigen Zeit
voraus. Den Geist bzw. die geistige Zeit versteht Hegel als die Anschauung des animalischen
Menschen. Dieser Vorlauf des menschlichen Bewusstseins erweist sich als das natürlich-zeitliche
Selbstwerden des Tieres nach der folgenden Weise:
„[…] ie das Tier, er [der Geist] ist i si h illkürli he Be egu g die Freiheit, als Sel st der )eit
und des Raums setzt willkürlich den Inhalt da oder dort i Rau
u d )eit.“46
D.h., die Freiheit, die hier die Freiheit der geistigen Anschauung bedeutet, ist nur die Willkürlichkeit,
die durch den vom Tier in seiner Zeit und seinem Raum beliebig gesetzten (d.i. angeschauten) Inhalt
präsentiert. Mithin ist klar, dass die Freiheit des Geistes überhaupt kein reines Fichtesches Subjekt
sein kann, sondern
die Willkürlichkeit des tierisch-menschlichen Bewusstseins.
Dieses
anthropologisch dargestellte tierisch-menschliche Bewusstsein ist niemals ein von der empirischen
Welt abstrahiertes Prinzip, sondern versinkt völlig in die Welt, oder präziser gesagt, in die „Nacht der
Welt“47, die vom Tier real (d.h. empirisch erfahrbar) gefühlt werden kann.
1. In Kapitel 4 wurde das Tier als „die Zeit gegen die Erde“ dargestellt:
„So hat das Tier
illkürli he Be egu g, es er eist si h als die le e dige )eit gege
die
i differe te estehe de Erde u d geht a ihr, die es si h eso dert hat, orü er.“48
Diese willkürliche Bewegung bedeutet die noch nicht reflektierte (oder noch nicht in der tierischen
Erinnerung wiederholte) Bewegung. Trotzdem ist diese tierische Bewegung bereits lebendig und frei.
Das sich bewegende Tier fühlt sein Selbst in der Zeit und befriedigt seine gefühlte Begierde dann
durch ihre lebendig-zeitliche Bewegung.
Dieses zeitliche Selbstgefühl und die zeitlich-freie Bewegung des Tieres sind zwar real, können
seine Realität aber überhaupt nicht beweisen. Denn der Geist (das Selbstbewusstsein) ist für es
verborgen. Das Tier fühlt zwar seinen Zweck, versteht ihn aber überhaupt nicht; es erinnert sich
daran auch nicht. Es bewegt sich vielmehr willkürlich hin und her, weil sein Zweck kein von ihm
selbst bewusst bestimmter Zweck ist. Genau deswegen bleibt die tierische Realität problematisch,
46
47
48
Ebd., S.172, Fußnote 1.
Ebd., S.172.
Ebd., S.141.
182
insofern das Für-sich-Sein des Tieres noch nicht als sein Fürsichsein von ihm selbst erkannt wird.
Daher schwebt der Grund des tierischen Daseins in der Luft. Dieser Grund der tierischen Realität
muss teleologisch gesetzt werden, denn er ist der reale Grund nur, wenn er der des Tieres selbst ist.
Daher muss, um die Realität des tierischen Lebens zu beweisen, der Zweck von ihm selbst bestimmt
und identifiziert werden.
1803/04 schreibt Hegel:
„I sei er [des Tieres] E pfi du g ist das E pfi de de ei ei zel es, ei a deres, als es selbst
ist; aber es hat dieses Anderssein nicht an ihm selbst, sondern außer ihm; das Tier ist die Zeit,
die daran vorbeigeht und in der seine Empfindungen selbst als einzelne vorübergehen; die
Allgemeinheit ist nur in Form der Notwendigkeit, die Unendlichkeit nur die verborgene Einheit
ihrer Gegensätze. Das einzelne der Empfindung ist für das Tier bezeichnet als ein Ideelles,
Negatives, es ist als ein Aufgehobenes; aber es hat seine Idealität nicht an ihm selbst, sondern
seine Idealität ist nur als die andre Seite des Gegensatzes, das Allgemeine nur ein Übergehen
zu a der “49.
Die Allgemeinheit oder die Unendlichkeit bedeutet hier die Identität von Empfindendem und
Empfundenem, d.i. von dem selbstbestimmenden und -seienden Tier und seinem zeitlich-äußerlich
gefühlten Gegenstand bzw. von innerlich-selbsterkanntem und äußerlich-selbstgefühltem Zweck.
Diese Allgemeinheit-Unendlichkeit steht der Einzelheit-Endlichkeit des animalischen Lebens
gegenüber. Sie ist also für das tierische Leben nur ein Ideales, sodass die Realität des Tieres für sich
nicht reell ist. Dem Tier fehlt noch die wirkliche geistige Einheit. Das Ziel Hegels aber ist, diese
Realität aufzuzeigen. In den Worten Hegels „[ist] dies […] das Ziel, die absolute Realität des
Bewusstsein, in die wir seinen Begriff zu erheben haben“, zu beweisen.50
1805/06 argumentiert Hegel weiter:
„Es [das Tier] ko
t zur
illkürli he Be egu g; das äußerli he i ht u ter die Herrs haft
seines Selbst Gekommene ist für es ein Negatives seiner selbst, ein Gleichgültiges; die absolute
Gleichgültigkeit ist das Bestehen als räumlich; dies ist ein durch es selbst bestimmtes Verhältnis,
dadur h er eist es sei e Freiheit o ihr.“51
49
50
51
Hegel, Jenaer Systementwürfe I, S.179f.
Ebd., S.190.
Hegel, Jenaer Systementwürfe III, S.137f.
183
D.h., das Selbst des Tieres in seinem Selbstgefühl ist nur negativ, weil der Gegenstand (d.i. das
äußerliche „Gekommene“) immer noch kein Gegenstand seiner selbst ist. Er bleibt vielmehr in der
Natur als ein Anderes, d.i. ein Räumliches, nicht aber die zeitliche freie Bewegung des Tieres. D.h.,
die tierische Freiheit in der zeitlichen Bewegung ist eigentlich nur ein Freiheitgefühl, keine wirkliche
Freiheit im Selbstbewusstsein, die absolut an und für sich sein müsste und deshalb alles
Entgegengesetzte bereits in sich selbst aufgehoben hätte. Die Realität dieser tierischen Freiheit ist
also noch nicht absolut aus sich selbst verwirklicht, sondern sie ist abhängig von einem
räumlich-äußerlichen Bleibenden. Jedoch ist der Zweck des Tieres eben die absolute Verwirklichung
seiner selbst:
„Es [das Tier] e istiert als ) e k, der si h sel st hervorbringt – ist eine Bewegung, welche in
dieses Individuum zurückgeht – der Prozeß der Individualität ein geschlossener Kreislauf;
ü erhaupt i
Orga is he die Sphäre des Fürsi hsei s.“52
Solang die Entgegensetzung zwischen dem Tier selbst und seinem Gegenstand nicht aufgehoben ist,
ist das Tier noch kein wirkliches Fürsichsein.
2. Die Freiheit des Tieres in der Natur ist noch keine selbstbewusste Freiheit. Jedoch gibt es darin das
Ziel, zum Selbstbewusst-Sein zurückzukehren. Daher muss ein teleologischer Beweis gefordert
werden.53
a) Um den teleologischen Beweis der Realität des Tieres selbst zu liefern, muss das tierische
Leben in den Geist hineingehen, in dem es durch sich selbst die reale Identität zwischen seinem
Selbst und seinem Gegenstand erkennen kann. Nur vor diesem Hintergrund kann verstanden werden,
wieso die zeitliche Freiheit des Tieres im Bewusstseinskapitel noch einmal betrachtet werden muss.
52
Ebd., S.138.
Auch R.-P. Horstmann sieht richtig, dass Hegel bereits seit 1802 versucht, die teleologische Naturlehre in seine
Geschichtsphilosophie zu übersetzen. Es ist auch evident, dass Hegel in seiner Philosophie des Geistes und in der
Philosophie der Weltgeschichte eine Transformation der teleologischen Naturlehre vornimmt. Der Zweck des natürlichen
Lebens kann nunmehr nicht in der Natur, sondern nur im menschlichen Bewusstsein erreicht werden (vgl. R.-P.
Horstmann, Die Grenze der Vernunft. Eine Untersuchung zu Zielen und Motiven des Deutschen Idealismus, Verlag Anton
Hain, Frankfurt am Main 1991, S.223-233). Hegels Auseinandersetzung mit Kants Naturteleologie stellt K. Düsing
folgendermaßen dar: Anders als bei Kant fordert Hegel „eine objektive, ontologische Erkenntnis der inneren
Zweckmäßigkeit der Organismen“ und „geht auf die bleibende Inadäquatheit der Teleologie zur Erfassung des
Organischen und damit auf den bloßen Modellcharakter der Naturteleologie nicht ein; er sieht in der inneren
Zweckmäßigkeit vielmehr wesentlich die Immanenz des Begriffs als des Telos im organischen Naturwesen.“ (K. Düsing,
Naturteleologie und Metaphysik bei Kant und Hegel, in: Aufhebung der Tradition im dialektischen Denken.
Untersuchungen zu Hegels Logik, Ethik und Ästhetik. Wilhelm Fink, München 2012, S.192f.) Für Hegel spielt der
Begriff des Zwecks also zur Bestimmung der Objektivität innerhalb der Natur die zentrale Rolle, insofern er der innere
Begriff des tierlichen Lebens ist und den Eingang zur wahren Erkenntnis des Lebenswesens bildet (vgl. ebd., S.197ff.).
53
184
Das Tier ist also hier das sein Bewusstsein habende Tier („zoon logon echon“) bzw. der tierische
Mensch, der kein bloßes Tier ist, sondern vielmehr dasjenige Lebewesen, das seinen eigenen
selbsterkennenden Geist hat.
Im Bewusstsein des animalischen Menschen ist das Empfindende (Anschauende) das Ich, das
durch sein Bild präsentiert wird. Dagegen ist das Empfundene (Angeschaute) das Ding, das nicht
mehr der natürliche Gegenstand ist, sondern vielmehr als mein Gegenstand erkannt wird. Insofern
das Verhältnis zwischen dem Bild und dem Ding nur in meiner Identität gewusst wird, überwindet
das Ich dadurch sowohl den subjektiven Widerspruch in ihm selbst als auch den Widerspruch
zwischen sich und der Natur. Denn diese Überwindung muss als die Verwirklichung des Zwecks der
Natur betrachtet werden. Das Bewusstsein des tierischen Menschen ist als die Einheit von Bild und
Ding also – teleologisch gesehen – auch die Einheit des tierischen Gefühls mit seinem natürlichen
Gegenstand. 54 Erst im Geist des tierischen Menschen ist das Dasein ontologisch-teleologisch
bewiesen.55
b) Sonach denkt Hegel den teleologischen Übergang von der Natur zum Geist in gewissem Sinne
tatsächlich kontinuierlich. Die Weise, diesen Übergang zu denken, charakterisiert den Unterschied
zwischen Fichte und Hegel. Die Einheit von Bild und Ding in der geistigen Zeit selbst bedeutet die
teleologische Aufhebung des natürlichen Widerspruchs zwischen dem zeitlichen Selbstgefühl und
der räumlichen Umwelt.56 Die geistige Einheit kann erst nach dem natürlichen Widerspruch erkannt
54
In diesem Sinne ist das menschliche Selbstgefühl bereits ein anderes als das animalische. L. Siep stellt den
Unterschied zwischen beiden im Kontext der reifen Philosophie des Geistes von 1830 so dar: „Das [menschliche]
Selbstgefühl hat hier einen dreifachen Sinn: Gefühl meiner Einheit in besonderen leiblichen Gefühlen, reflexionsloses
Gefühl meiner Habitualitäten und Gefühl meiner anerkannten individuellen Selbstständigkeit.“ (Siep: Leiblichkeit,
Selbstgefühl und Personalität in Hegels Philosophie des Geistes, in: Hegels Theorie des subjektiven Geistes, S.225) Der
dritte Sinn steht hier nicht die Rede, aber der erste und zweite sind von Bedeutung.
55
Vgl. T. Pinkard, Hegel’s Naturalism. Mind, Natur and the Final Ends of Life, Oxford University Press, New York 2012,
S.17-49. Pinkard argumentiert im Zusammenhang mit Aristoteles‘ Philosophie, dass das Tier bereits eine
Selbstbeziehung in der Empfindung hat. Trotzdem kann dieses sie nicht teleologisch beweisen. Daher muss vom Tier
zum Menschen übergegangen werden, der nicht nur ein Selbstgefühl, sondern auch Selbstbewusstsein hat. Vgl. auch J. H.
McDowell, Having the World in View: Essays on Kant, Hegel and Sellars, Harvard University Press, Cambridge Mass.,
2009, S.285ff.
56
R. Wiehl bemerkt, dass Hegel später in seiner Anthropologie die lebendig-animalische Natur mit dem Wesen des
Geistes zwar verbindet, die beiden aber nicht einfach vermischt. Einerseits sieht Hegel das geistige Wesen tatsächlich als
„ein fremdes und ganz anderes Wesen“ gegenüber dem tierischen Menschen, der nur endlich und abhängig von seiner
Umwelt ist (vgl. R. Wiehl, Das psychische System der Empfindung in Hegels „Anthropologie“, in: Hegels
philosophische Psychologie, Hegel-Studien Beiheft 19, hrsg. v. D. Henrich, Bouvier Verlag, Bonn 1979, S.91).
Andererseits gibt es doch eine Beziehung zwischen Natur und Geist „gemäß der Form der inneren
Zweckmäßigkeit“ (ebd., S.110ff. sowie S.139). Ferner erklärt Wiehl, dass der tierische Mensch bei Hegel allein im
animalischen Selbstgefühl verstanden werden kann, worin die Umwelt des Menschen klar bestimmt bleibt (vgl. ebd.,
S.120-129, insb. S.128f.). Dagegen muss im „erwachende[n] Selbstgefühl der menschlichen Seele“ keine besondere
Umwelt existieren, eher die universale „Welthaftigkeit“ (ebd., S.138), die die Zweckmäßigkeit der Seele präsentiert.
185
werden. In der Zeit selbst konstruiert sie die Mitte der Natur und muss deshalb immer mit der Natur
zusammengedacht werden:
„Die U e dli hkeit des Be ußtsei s ist das Aufhe e
des E tgege gesetzte
i
sei er
Einfachheit; das Wesen ist immer diese Mitte, innerhalb welcher der oberflächliche sich
aufhe e de Gege satz des Be ußtseie de u d Be ußte ist.“57
Im Gegensatz zu Fichte existiert die Einheit des absoluten Ich bei Hegel also nach der
erfahrungsmäßigen Entzweiung, nicht aber davor. Wiederum anders als bei Fichte ist diese Einheit
bei Hegel auch nicht als das absolut-erste Prinzip gesetzt, sondern wird im Widerspruch des
tierischen Menschen als das dritte angesehen, das aber für sich selbst der Ausgang oder das erste ist.
Nur durch die Konstruktion der Mitte (d.i. des Dritten) im Geist kann die Tätigkeit des Ich als die
Fähigkeit zur Re-Produktion verstanden werden. Denn was der Geist produziert, ist nicht direkt die
äußere Realität des Gegenstandes, sondern vielmehr die wahrhafte und wirkliche Beziehung
zwischen dem Selbstsein des Ich und dem Gegenstand, d.i. zwischen dem Bild und dem Ding. In
dieser Beziehung wird der Zweck des äußeren Seienden repräsentiert. Aber dieses repräsentierte
Seiende ist kein äußeres Ding mehr, sondern die Äußerung meines Bewusstseins. D.h. erstens: Es
wird produziert, was innerhalb der Natur bereits existiert, aber noch nicht erklärt wurde. In diesem
Sinne ist die Tätigkeit des Ich die Fähigkeit zur Reproduktion. Zweitens: Der geistige Nachweis der
Realität der Natur im Ich darf aber niemals als eine bloß formelle und leere Bestätigung dessen
verstanden werden, was schon vollständig in der Natur existiert. Vielmehr weist er auf die
teleologische Verwirklichung des natürlichen Selbstwerdens. Was in der Natur absolut
entgegengesetzt ist, wird im Geist erst vermittelt und synthetisiert und daher als das seinen Zweck
Erreichende realisiert:
„Das Erste ist: ie der Geist, das Produkt der Ver u ft, die Mitte als ihr Begriff, als Be ußtsei
ist u d si h dari realisiert […]“58.
Bisher wurde einerseits bereits festgestellt, dass die Tätigkeit des Ich vom Produktionsprozess der
Natur vollständig unterschieden werden muss und dass der Geist daher allein in sich selbst und durch
Daher sagt Wiehl: „die animalische Umwelt ist keine eigentliche Welt, keine Welt aus möglicher Freiheit“ mehr (ebd.,
S.139). M. E. existiert diese von Wiehl genannte Struktur bereits in Hegels Jenaer Zeit, denn das Selbstgefühl bleibt –
teleologisch gesehen – nicht mehr in der Entgegensetzung zur Umwelt, sondern kann seine Welt durch das
Selbsterkennen absolut von sich aus beleuchten.
57
Hegel, Jenaer Systementwürfe I, S.186, Fußnote 1.
58
Ebd., S.197.
186
sich selbst unmittelbar begründet wird.59 Andererseits muss das Selbstsein des Ich die wahrhafte
Vermittlung zwischen dem Tier und seinem Gegenstand leisten.
„[D]er Geist ist dieses mit sich Vermittelnde, er ist nur als aufhebend das, was er unmittelbar ist,
davon zurücktretend“.60
Das Zurücktreten ist der Zweck des Tieres. Als das Zu-sich-Zurücktretende ist der tierische Mensch
das sich Realisierende, indem er den äußerlichen Gegenstand als seinen Gegenstand nunmehr in sich
selbst vermittelt. Diese Vermittlung hat deswegen ihren ontologischen Sinn darin, den Zweck des
Tieres zu verwirklichen. Wesentlich muss diese Vermittlung nicht mehr endlich, sondern vielmehr
unendlich sein. Denn das Ich reproduziert kraft seiner Allgemeinheit niemals „Dies“ oder „Das“,
sondern alles. Wie alles im Ich bestimmt wird, ist hier völlig egal. Wichtig ist nur, dass das
menschliche Bewusstsein als die absolute Mitte kein einzelnes Bewusstsein, sondern die allgemeine
Einheit aller Gegensätze sein soll. Also ist das Ich hier kein endliches, sondern ein unendliches und
absolutes.
3. Dementsprechend ist auch leicht zu erklären, dass nicht die natürliche Zeit die Mitte im
Bewusstsein konstruiert, sondern die geistige Zeit.61
Der Gegenstand des Tieres kann als mein Gegenstand erkannt werden, nur weil er der räumliche
Gegenstand meiner äußeren Anschauung ist; dagegen kenne ich ihn allein dadurch, dass ich durch
meine innere Anschauung ihn in mir selbst zeitlich begreifen kann. Zeit und Raum sind sowohl die
Existenzweise der natürlichen Dinge als auch die Formen meiner Anschauung.62 „Das Bewußtsein
schaut unmittelbar in Raum und Zeit an“.63 Die beiden bilden gemeinsam den Zugang zum Ich. Das
Ich ist die Erinnerung in der geistigen Zeit selbst. Es existiert nicht mehr in den einzelnen Zeiten und
Räumen:
Vgl. ebd., S.189: „Das Wesen des Bewußtseins ist, daß unmittelbar in einer ätherischen Identität absolute Einheit des
Gegensatzes sei; es kann dies nur sein, indem unmittelbar, insofern es entgegengesetzt ist, die beiden Glieder des
Gegensatzes es selbst sind, an ihnen als Glieder des Gegensatzes unmittelbar das Gegenteil ihrer selbst, die absolute
Differenz, sich selbst aufhebende und aufgehobne Differenz sind, einfach sind.“
60
Hegel, Jenaer Systementwürfe III, S.171.
61
Derrida sieht im Kontext von Hegels reifer Philosophie des Geistes (1830) richtig, dass „die Wahrheit oder die
teleologische Essenz des Zeichens als Aufhebung der sinnlich-räumlichen Anschauung […] hier das Zeichen als Zeit sein
[wird], das Zeichen im Element der Temporalisation.“ In dieser Lage spielt Zeit tatsächlich eine zentrale Rolle (Derrida,
Der Schacht und die Pyramide. Einführung in die Hegelsche Semiologie, in: Randgäng der Philosophie, Erste
vollständige deutsche Ausgabe, hrsg. von Peter Engelmann, übers. von Gerhard Ahrens, Passagen Verlag, Wien 1988,
S.102).
62
Vgl. J. Simon, Das Problem der Sprache bei Hegel, W. Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1966, S.86ff. Dort wird auch
die subjektive und objektive Bedeutung der Zeit gezeigt.
63
Hegel, Jenaer Systementwürfe I, S.197.
59
187
„Wie das Tier, ist er [der Geist] in sich willkürliche Bewegung die Freiheit, das Selbst der Zeit
und des Raums setzt willkürlich den Inhalt da oder dort in Raum und Zeit; – die Zeit und Raum
ist die äußere Beziehung, diese äußere Beziehung als Form hebt er auf; das Sein, dies gehört
eige tli h de
I h als sol he
a , i ht Rau
u d )eit.“64
Die synthetische Zeit (d.i. die geistige Zeit selbst in der freien Erinnerung), die von der natürlichen
Zeit unterschieden werden muss, ist allgemein. Diese geistige Zeit kann aber trotzdem als die Zeit
des Tieres angesehen werden,65 weil sie die kontinuierliche Verwirklichung des Zwecks des Tieres
selbst darstellt.66 Zu unterstreichen ist nur, dass die Mitte der Verwirklichung hier allein ideell
gesetzt wird.
In den Kapiteln 6.1.1 und 6.1.2 hat sich damit folgendes gezeigt:
1. Am Anfang der Philosophie des Geistes besteht eine unübersehbare Ähnlichkeit zwischen Hegel
und Fichte: Insofern der Geist oder das Ich überhaupt nicht durch die Natur, sondern schlicht für sich
selbst begriffen werden muss, muss der Übergang von der Natur zum Geist als ein abrupter Sprung
aufgefasst werden. Was dabei zunächst noch fehlt, ist kein äußerer Gegenstand, sondern eine
innerliche Bestimmtheitsfolge.
2. Der Geist erscheint bei Hegel nur in der geistigen Zeit selbst, die die Tilgung der natürlichen Zeit
bedeutet. Die geistige Zeit des Ich ist allgemein, unendlich und frei; dagegen ist die natürliche Zeit
endlich und von einem Anderssein beschränkt. Sie muss deswegen in der Synthesis der geistigen Zeit
völlig negiert werden.
3. Gleichwohl kann ein entscheidender Unterschied zwischen Fichte und Hegel konstatiert werden:
Bei Hegel geschieht im Geist die teleologische Verwirklichung des natürlichen tierischen Lebens.
Das menschliche Bewusstsein konstruiert die geistige Mitte. Diese teleologische Vermittlung weist
ferner auf die Kontinuität zwischen dem natürlichen Tier und dem tierischen Menschen hin, indem
der menschliche Geist den ontologischen Nachweis des Wesens der vorlaufenden Natur und des
64
Hegel, Jenaer Systementwürfe III, S.172, Fußnote 1.
Ebd., S.172: „Er [der Geist] ist, wie das Tier, die Zeit, die für sich ist, und ebenso Freiheit der Zeit, dies reine Subjekt,
das frei von seinem Inhalt [ist]“.
66
Dadurch kann die Teleologie Hegels von der teleologischen Naturlehre Kants unterschieden werden, d.i. insofern
Hegel „die der Kantische[n] Geschichtstheorie zugrundeliegende Lehre von den Naturzwecken entschieden ablehnt“. Für
Hegel ist es also unmöglich zu denken, dass die Natur ihren Zweck in sich selbst erreichen kann (vgl. R.-P. Horstmann,
Die Grenze der Vernunft, S.228 und 231f.).
65
188
lebendigen Tieres reproduziert. Beide, d.h. sowohl die vorgesehene teleologische Forderung des
Tieres zur Verwirklichung seines Zwecks als auch die ursprüngliche Re-produktion im
Vermittlungsprozess des Geistes, sind bei Fichte hingegen undenkbar
4. Die Kontinuität zwischen Natur und Geist kann durch die immanente Beziehung zwischen der
natürlichen und der geistigen Zeit aufgespürt werden. In der Natur stellte die natürliche Zeit bereits
die Freiheit des Tieres dar. Die natürliche zeitliche Freiheit des Tieres war aber keine wirkliche,
sondern eine von Anderem abhängige und beschränkte Freiheit. Trotzdem existiert die Zeit für das
Tier nicht nur in der gegenständlichen Form. Vielmehr bildet sie das Selbstgefühl desselben. Allein
wenn das zeitliche Selbstgefühl alles als das Seinige erkennt und wenn die natürliche Zeit getilgt
wird, kommt das Tier zu Bewusstsein; somit wird die natürliche Zeit im Geist aufgehoben. Daher
stellt die geistige Zeit die vollkommene, anthropologische Freiheit des Selbstseins des Menschen und
die absolute Internalisierung des tierisch-zeitlichen Gefühls dar. Diese Internalisierung ist eben die
Er-Innerung des subjektiven Geistes.
6.2 Das Problem der Realität im innerlichen Zeichen und die weitere Darstellung der
Tilgung der Zeit
In der freien Erinnerung des Subjekts wird der Geist qua Zeit selbst dargestellt. Das Subjekt versinkt
ganz in sich selbst, d.i. in die Nacht der Welt oder ins Nichts, und:
„Dies for ale Sei des Be usstsei s hat kei e ahrhafte Realität, es ist etwas Subjektives, es
existiert nicht äußerlich; es ist nur als Form des abstrakten, reinen Begriffes der Unendlichkeit
u
ittel ar als )eit u d Rau , ie er als Be ußtsei ist“.67
Dieses „Fichtesche“ Ich Hegels gerät deswegen in die schwierige Lage des Nihilismus. Es existiert
in der „Unendlichkeit unmittelbar als Zeit und Raum“ nur, weil Zeit und Raum als die Formen der
Anschauung allgemein sind.
Philosophiegeschichtlich gesehen war Jacobi der Erste, der den Nihilismus des Fichteschen Ich
kritisiert hat. Jacobis Systemkritik folgend erkennt auch Hegel den Nihilismus in Fichtes System und
versucht seine eigene systematische Alternative zu entwickeln, die in der Lage ist, den Nihilismus
67
Hegel, Jenaer Systementwürfe I, S.199.
189
Fichtes zu überwinden. Im Folgenden wird zunächst kurz Jacobis Kritik an der bloß subjektiven
Realität in Fichtes Wissenschaftslehre erinnert, um die Ähnlichkeit zwischen Hegel und Jacobi
bezüglich der Realitätsfrage im innerlichen Zeichen markieren zu können (Kapitel 6.2.1). Dabei wird
zugleich auch der grundlegende Unterschied zwischen beiden deutlich werden. Denn anders als
Jacobi will Hegel die Realität des Zeichens gar nicht durch die Bewahrung der vor und außer mir
existierenden Realität Gottes garantieren. Vielmehr soll dies die Fixierung der freien
Erinnerungsfolge des unendlichen Subjekts in der Sprachphilosophie leisten. Das Problem der
Realität im innerlichen Zeichen führt schließlich aber zum Problem der völligen Tilgung der Zeit
(Kapitel 6.2.2).
6.2.1 Die Ähnlichkeit der Kritik von Jacobi und Hegel am bloß subjektiv-innerlichen Zeichen
1. In der berühmten Polemik „Idealismus vs. Realismus“ tadelt Jacobi Fichte dafür, dass dessen
System von A bis O ein bloß logischer Traum ist. Im theoretischen Teil der Wissenschaftslehre von
1794/95 operiert Fichte mit dem Wort „Realität“ hauptsächlich in zwei Bedeutungen. Sie ist a) die
ursprünglich-absolute Tätigkeit des Ich, die alles produziert. Diese Realität hat aber noch keine
objektive Wirksamkeit, sondern ist schlechthin subjektiv. D.h., in dieser Realität ist „von allem
Objekte der Tätigkeit völlig zu abstrahieren“.68 Was darin übrig bleibt, ist nur unser bloß subjektiver
Erfahrungsfluss, der streng genommen leer ist, weil er sich immer negativ fortsetzt und nichts in sich
selbst bewahrt. b) In der Reflexion bedeutet die Realität aber die eingebildete oder verstandene
Realität. In diesem Sinne, so Fichte, werde „alle Realität – es versteht sich für uns, wie es denn in
einem System der Transzendentalphilosophie nichts anderes verstanden werden soll – bloß durch die
Einbildungskraft hervorgebracht“. 69 „Nur im Verstande ist Realität (wiewohl erst durch die
Einbildungskraft); er ist das Vermögen des Wirklichen; in ihm erst wird das Ideale zum Realen“. 70
An dieser Stelle bekommt die Realität erst ihre objektive Wirksamkeit, die die durch Reflexion
hergestellte objektive Bestimmtheit ist. Diese Bestimmtheit wird von der Einbildungskraft in der Zeit
produziert und dann vom Verstand fixiert. Eine wirkliche Realität darüber hinaus als Realität an sich
68
69
70
Fichte, Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, S.329.
Ebd., S.420.
Ebd., S.427.
190
gibt es nicht, denn alles in der Reflexion ist allein „für uns“, ist nur ens certum für unser Bewusstsein.
Daher ist alles schlechthin ens cogitans, nicht aber ens actu, d.i. das ansichseiende Dasein außerhalb
der schlechthin reinen Vernunft.71 Demnach muss auch die Zeit bei Fichte als ein rein intellektuelles
Prinzip verstanden werden, insofern sie die Realität in sich selbst durchaus subjektiv-vernünftig
„zeichnet“. Dieses bloß vernünftige Zeichen nennt Fichte die verständliche Bestimmtheit, die wir als
etwas Reales wissen können. Oder in den (kritisch gemeinten) Worten Jacobis:
„[D]er Me s h erke
t ur i de
er egreift; u d er egreift ur i de
Gestalt verwandelnd – Gestalt zur Sa he, Sa he zu Ni hts
er – Sache in bloße
a ht.“72
Durch dieses Gestalten oder Zeichnen des Realen im Bewusstsein zählt Fichte letztlich alles zur
homogenen Bestimmtheit des Bewusstseins selbst. Das Ganze des Zählungsprozesses heißt bei ihm
die Wissenschaft, in der eine bestimmte Anzahl, oder besser, ein quantitativ bestimmtes Wissen für
uns erscheint. Noch einmal in den Worten Jacobis:
„We
a
dieser Wahrheit, de
iße s haftli he
Wisse ,
ie Fi hte auf de
Gru d
gekommen ist, und es eben so klar, zum wenigsten, wie ich, vor Augen hat: daß wir im rein
wißenschaftlichen Wissen nur ein Spiel treiben mit leeren Zahlen – mit Zahl- Zahlen; neue
Sätze ausrechnen, immer nur zum weiter Rechnen, und es für abgeschmackt,
lächerlich-erbärmlich halten müssen, nach einer Zahlen-Bedeutung, einem Zahlen-Inhalt nur zu
frage .“73
Die Identität des Bewusstseins, die das höchste Gesetz der Wissenschaft ist, ist somit nur die
quantitative Identität, die zwar in der Zeit „erfüllt“ werden soll, aber real gesehen immer noch
unerfüllt bleibt. Eben dies „immer noch nicht“ entlarvt die Täuschung des Erfüllungsprozesses, denn
es gibt hier bei Fichte faktisch kein wirklich Zu-Erfüllendes, sondern nur ein bloß Eingebildetes oder
Verstandenes, das für Jacobi ein Traumwesen ist, da es die Unmöglichkeit der Erfüllung in der
idealen Identität und im einfachen Wesen der Zeit ist.74 Dies ist nach Jacobi der ontologische
Günter Zöller zeigt auch, dass „für Jacobi […] es nur ein konsistentes und konsequentes spekulatives System, den
Egoismus, und zwar den Egoismus entweder als Anfang oder als Ende [gibt].“ (Günter Zöller, Fichte als Spinoza,
Spinoza als Fichte. Jacobi über den Spinozismus der Wissenschaftslehre, in: Friedrich Heinrich Jacobi, S.46) „Die
Schlußgestalt spekulativen Philosophierens ist für Jacobi der absolute Egoismus und nicht ein neutraler, prädisjunktiver
Monismus.“ (Ebd., S.49) Hier bedeutet der Egoismus eben das bloß „für uns“ seiende Fichtesche System.
72
Jacobi, Jacobi an Fichte, in: Schriften zum transzendentalen Idealismus. Friedrich Heinrich Jacobi Werke, Band 2.1,
S.201.
73
Ebd., S.207.
74
Vgl. ebd., S.214f.
71
191
Mangel der Realität in der idealen Zeit und der fundamentale Fehler des Fichteschen
transzendentalen Idealismus. Denn alles dabei ist schlechthin „Zeichen“75 oder „Wort“76, also alles
besteht in einem langweiligen Spiel77, aber keinesfalls in Wirklichkeit.
2. Im Einklang mit Jacobi zeigt Hegel 1803/04 im Paragraph „b.“ den Übergang vom subjektiven
Bild zum Zeichen. In den Jenaer Systementwürfe I hat das bloß intellektuelle Ganze des zeitlichen
Wesens, d.i. das formale Sein des Bewusstseins, „keine wahrhafte Realität, es ist etwas Subjektives,
[…] es ist nur als Form des abstrakten, reinen Begriffs der Unendlichkeit unmittelbar als Zeit und
Raum, wie er als Bewußtsein ist; und das Bewußtsein als diese empirische Einbildungskraft ist leeres,
wahrheitsloses, wachendes oder schlafendes Träumen“. 78 Daher ist das ins zeitliche Wesen
formalisierte Einzelne, das aus dem allgemeinen Ich selbst besondert wird und an sich die
begriffliche Mitte des Bewusstseins wäre, „nur Zeichen überhaupt“. Ferner:
„Die Bedeutung des Zeichens ist nur in Beziehung auf das Subjekt; es hängt von seiner
Willkür ab und ist nur durch das Subjekt selbst begreiflich, was dieses dabei denkt.“
79
Auch Hegel entlarvt m.a.W. die Negativität des Subjekts, d.i. das rein subjektive Zeichen des Realen
durch die intellektuelle Zeitmitte.
Nicht anders argumentiert Hegel auch 1805/06 in den Jenaer Systementwürfe III, ) und am
Anfang von ): Die geistige Zeit kennzeichnet die Freiheit des Geistes, durch die das Ich alles in
seiner reinen Innerlichkeit formalisiert und intellektualisiert. Daher gibt es eigentlich kein Reales für
die geistige Zeit, denn „der äußere Gegenstand selbst ist eben darin aufgehoben worden.“ 80 Das Ich
mag behaupten, dass es sowieso sich und das Ding dadurch synthetisiert, dass es alle Dinge von sich
aus einbildet und sich an seine eigenen Inhalte erinnert. Dazu führt Hegel aus:
„Es ist i ht ur ei e S these ges hehe , so der das Sei des Gege sta des ist aufgeho e
worden; es ist also dies, daß der Gegenstand nicht ist, was er ist. Der Inhalt ist sein einfaches
Wesen überhaupt – dies ist ein anderes als sein Sein; er gilt als Ganzes anderes, hat ein anderes
Wesen, Selbst, andere Bedeutung; oder gilt als Zeichen. Im Zeichen ist das Fürsichsein als
Wesen des Gegenstandes Gegenstand, und er als aufgehobener seiner Totalität, seinem Inhalt
75
76
77
78
79
80
Ebd., S.196.
Ebd., S.216 und S.222.
Vgl. ebd., S.206.
Hegel, Jenaer Systementwürfe I, S.199.
Ebd., S.200
Hegel, Jenaer Systementwürfe III, S.174.
192
nach; sein Inhalt hat keinen freien eigenen Wert mehr; sein Sein ist Ich selbst – Idealismus, der
si h Gege sta d ird; das Di g ist i ht, as es ist; je es Sei ist sel st.“81
Im einfachen Wesen, d.i. in der Zeit selbst, gibt es nur das Zeichen, das das bezeichnete Sein des
Gegenstands konstruiert, das aber nicht das eigene Sein desselben ist.
Genau hier besteht die Ähnlichkeit zwischen Jacobi und Hegel. Während Jacobi Fichte kritisiert,
dass „das Zeichen, welches Sie gegeben haben, […] die Vereinigung des Materialismus und
Idealismus zu Einem untheilbaren Wesen [ist]“82, übersetzt Hegel diese Kritik kreativ in seine eigene
Philosophie. Er operiert damit, um die bloß subjektive Innerlichkeit der Einheit von Idealismus und
Realismus darzustellen, in der es keine wirkliche Realität gibt. Selbstverständlich weiß Hegel, dass
Jacobi mit dem Wort „Zeichen“ nicht das meint, was wir als Information herauslesen können oder
worauf wir aufmerksam werden sollen. Jacobi spricht stattdessen ja über eine Phantasie in unserem
‚Kopf‘. Genau diesen Punkt betont Hegel selbst auch: Das Ich, das durch seine Einbildungskraft alles
als sein Innerliches bezeichnet, äußert sich beliebig, weil es absolut frei ist. Jedes geäußerte Zeichen
ist bei Hegel ein Name. Die Dinge in der Einbildung des Ich sind also innerlich gesehen ein Zeichen,
äußerlich gesehen ein Name, jedenfalls aber kein wirkliches Ding. „Jenes Reich der Bilder ist der
träumende Geist, der mit einem Inhalte zu tun hat, der keine Realität, kein Dasein [hat] – sein
Erwachen ist das Reich der Namen.“83 Die Welt existiert nur im phantastischen und leeren Traum
oder in der Einbildung, die das Dasein bezeichnet.
6.2.2 Der Unterschied zwischen Jacobi und Hegel in der Überwindungsweise des Nihilismus
des leeren Zeichens
Unter dieser oberflächlichen Ähnlichkeit der Kritik des Nihilismus besteht doch im sachlichen Kern
ein entscheidender Unterschied zwischen Jacobi und Hegel. Im Folgenden wird zuerst beschrieben,
wie Jacobi den Nihilismus zu überwinden versucht. Im Anschluss daran wird der eigene Weg Hegels
untersucht und damit auch die Divergenz zwischen beiden aufgezeigt.
81
Ebd.
Jacobi, Jacobi an Fichte, S.196.
83
Ebd., S.175. Vgl. auch „Der Menschliche Geist also, da sein philosophischer Verstand schlechterdings nicht über sein
eigenes Hervorbringen hinausreicht, muß, um in das Reich der Wesen einzudringen, um es mit dem Gedanken zu erobern,
Welt-Schöpfer, und – sein eigener Schöpfer werden.“ (Ebd., S.202)
82
193
1. Nachdem Jacobi die bloße Subjektivität des eingebildeten Zeichens erwiesen hat, erklärt er
deutlich, wie man aus diesem Traum im Zeichen wieder erwachen kann. Ein Unterschied muss nach
Jacobi zwischen dem „Wahren“ und der „Wahrheit“ gemacht werden. Er wolle, so erklärt Jacobi
Fichte, genau wie dieser die Vollendung der Wissenschaft, doch verfolgten beide damit ganz
unterschiedliche Intentionen. Fichte wolle es, „damit sich der Grund aller Wahrheit, als in der
Wißenschaft des Wißens liegend zeige; ich, damit offenbar werde, dieser Grund: das Wahre selbst,
sey außer ihr vorhanden. Meine Ansicht ist aber der ihrigen auf keine Art im Wege, so wie Ihre nicht
der meinen, weil ich zwischen Wahrheit und dem Wahren unterscheide. Sie nehmen von dem, was
ich mit dem Wahren meyne, keine Notiz, und dürfen, als Wißenschafslehrer, keine davon nehmen –
auch nach meinem Urtheil.“84 Was „das Wahre“ meint, erklärt Jacobi dann:
„I h erstehe u ter de
u d de
Wahre et as,
as or u d außer de
Wiße ist;
as de
Wiße ,
Ver öge des Wiße s, der Ver u ft, erst ei e Werth gie t. […] Mit sei er Vernunft
ist dem Menschen nicht das Vermögen einer Wißenschaft des Wahren; sondern nur das Gefühl
u d Be ustse
sei er U
iße heit dessel e : AHNDUNG des Wahre gege e .“85
Das Wahre, dessen Wirklichkeit durch unser Gefühl und unsere Ahnung bestätigt wird, ist „vor und
außer dem Wißen“. Es ist also das ursprüngliche Reale, dessen Möglichkeit wir nicht
wissenschaftlich verstehen können. Was wir wissen können, ist nur die Wahrheit, die aber aus dem
ursprünglich-realen Wahren abgeleitet wird und dieses Wahre anerkennt. Anders gesagt: Wir können
das Wahre niemals wissen, sondern allein wahr-nehmen.86 Jacobi nennt dieses Wahre die Vernunft,
„welche das Wesen selbst der Wahrheit ist, und in sich die Vollkommenheit des Lebens hat“.87
Um die Vernunft (oder den Verstand) des Menschen aus der Not der bloß subjektiv-innerlich
zeichnenden und einbildenden Phantasie zu retten, muss die ursprüngliche Vernunft bereits davor
existieren, die „Mehr als Ich! Beßer als Ich! – ein ganz Anderer“88 ist. Sonst müsste das menschliche
Verständnis immer nur in der leeren Phantasie bleiben. Der Fehler Fichtes sei, dass er dieses
ursprüngliche Wahre als ein intelligentes Gesetz der „Einstimmigkeit des Menschen mit sich selbst“89
denke und damit zu einer nur eingebildeten Einheit der menschlichen Vernunft mache. Als unreale
84
85
86
87
88
89
Jacobi, Jacobi an Fichte, S.199.
Ebd., S.208.
Vgl. ebd., S.209.
Ebd.
Ebd., S.210.
Ebd., S.212.
194
Einheit sei das wissenschaftliche Gesetz aber „öde, wüst und leer“90, insofern es nicht aufgrund des
außer dem Ich existierenden Wahren entstehe, sondern kraft meiner Voraussetzung in mir gedacht sei.
„Ich verwünsche mein Dasein“91, bilde mir selbst eine reine Identität ein, die aber schlechthin ideell
ist. Dagegen kann das wirklich Wahre nach Jacobi niemals vom Ich konstruiert werden. Mit einem
Wort: Eine reine Konstruktion durch das Ich und im Ich ist nur ein rein-abstraktes Gesetz des Ich. In
dieser Reinheit der Wahrheit der Ichhaftigkeit gibt es keine Realität, denn die Realität kann man
niemals bloß einbilden, egal ob dieses bloße Ausdenken wissenschaftlich oder abergläubisch ist. In
diesem Sinne ist das Fichtesche Ich die Einheit von causa sui und causa rerum, ist causa essendi,
aber auch causa essentiae:
„De
es ist sei er sel st als der Realität ge äß; oder daß alle Wirkli hkeit i hts anderes ist
als es“.92
Es ist eigentlich der ontologische Grund, der bei Spinoza die Substanz ist.93
2. Ganz anders versteht Hegel den ontologischen Mangel des Subjekts. Dieser resultiere nicht aus
einem Mangel an vor und außer dem Wissen existierender Realität, sondern vielmehr aus dem
empirischen Charakter der Einbildung. Das eingebildete Zeichen ist also leer und nihilistisch, nicht
weil es vom Ich gesetzt ist, sondern weil es von mir nur willkürlich empfunden ist:
„Diese For
des Be usstsei s ist empirische Einbildungskraft, als positive Allgemeinheit ist die
Anschauung in der Kontinuität der Zeit und des Raumes überhaupt, zugleich aber sie
unterbrechend und vereinzelnd, zu einzelnen bestimmten, d.i. erfüllten Stücken der Zeit und
des Raumes machend.“94
90
Ebd.
Ebd., S.213.
92
Hegel, Phänomenologie des Geistes, S.157.
93
G. Zöller ist daher zuzustimmen, wenn er zeigt, dass die Fichtesche Philosophie für Jacobi einerseits die Verkehrung
des Spinozismus ist, insofern das Gedachtsein bei Fichte statt der Substanz der Kernpunkt der Philosophie ist;
andererseits ist dieses Gedachtsein aber nur eine Variation desselben, insofern die systematische Funktion der Denkkraft
(d.i. des Ich) derjenigen der Substanz bei Spinoza gleich ist (vgl. Günter Zöller, Fichte als Spinoza, Spinoza als Fichte.
Jacobi über den Spinozismus der Wissenschaftslehre, in: Friedrich Heinrich Jacobi, S.49f.). Der Versuch Fichtes zur
Verkehrung des Spinozismus ist eigentlich eine Vertiefung eines ähnlichen Versuchs Herders, den Jacobi in der IV. und V.
Beilage zur zweiten Auflage seines Spinozabuchs kritisiert. (Detaillierte Darstellungen dazu finden sich bei M. Heinz,
Die Kontroverse zwischen Herder und Jacobi über Spinoza, und auch bei G. d. Giovanni, Hen kai pan.
Spinozafigurationen im Frühidealismus, in: Friedrich Heinrich Jacobi, S.75-106.) Der Kern der Versuche, sowohl
Herders als auch Fichtes und sogar später Schellings und Hegels, ist für Jacobi das Hochschätzen der reinen Denkkraft,
d.i. der Intelligenz ohne Personalität, „die durch Vernunft und Freiheit wirke“ (Jacobi, Über die Lehre des Spinoza,
S.238). Darüber spottet Jacobi beißend: „Was redest du von blinder Macht? Setzt das Denken deinem Gotte Augen ein?
Und woher das Licht in diese Augen, ohne welches auch kein Inneres Auge sieht?“ (Ebd., S.247)
94
Hegel, Jenaer Systementwürfe I, S.198.
91
195
Wie in Kapitel 6.1.1 bereits gezeigt wurde, fehlt in der freien Erinnerung des Subjekts noch eine
Folge der Notwendigkeit, durch die das, was reproduziert wird, seine eigentliche Bestimmtheit
bekommt. Solange die Erinnerung nur willkürlich eingebildet ist, bleibt das Subjekt im Nihilismus
der Weltnacht gefangen. Die Einbildungskraft, die die notwendige Bestimmungsfolge des
Bewusstseins nicht erzeugen kann, ist empirisch, weil das konkrete (erfüllte) Zeitlich-Räumliche
darin gegen die Allgemeinheit der geistigen Zeit und des geistigen Raums überhaupt steht. Ihr
empirischer Charakter wird durch die Entzweiung innerhalb der allgemeinen Zeit und des
allgemeinen Raums dargestellt.95 Diese empirische Entzweiung innerhalb des Bewusstseins kann
nur nach der folgenden Weise verstanden werden:
a) Zwar wird die natürliche Zeit durch die geistige Zeit und den geistigen Raum überhaupt getilgt.
Trotzdem werden die zeitlich-räumlichen Inhalte, die vormals im natürlichen Leben waren, nunmehr
in ganz neuer Form im Bewusstsein aufbewahrt. Diese neue Form ist aber die „Jemeinigkeit“ der
Inhalte. Die Inhalte sind jetzt also schlechthin meine Inhalte. Sie sind phantastisch, insofern sie
eingebildet sind und insofern die Folge der Einbildung der Inhalte bloß zufällig ist. Empirisch sind
diese Inhalte, weil ihnen die kategoriale (d.i. notwendig gültige) Bestimmtheit fehlt, nicht jedoch,
weil sie dem natürlichen Gegenstand entsprechen.96
Vgl. ebd., S.199. „Es [das formale Sein des Bewusstseins] ist nur als Form des abstrakten, reinen Begriffs der
Unendlichkeit unmittelbar als Zeit und Raum, wie er als Bewußtsein ist; und das Bewußtsein als diese empirische
Einbildungskraft ist ein leeres, wahrheitloses, wachendes oder schlafendes Träumen“.
96
In diesem Zusammenhang ist der Einfluss der sogenannten „Kopernikanischen Revolution“ Kants auf Hegel deutlich
zu bemerken. Was empirisch ist, wird nicht durch die Entsprechung von Wissen und äußerlichem Ding definiert, sondern
durch die blinde Anschauung und den Mangel der allgemein-notwendigen Kategorien gezeigt. Hegel unterscheidet sich
jedoch zugleich darin grundlegend von Kant und Fichte, dass er die Einbildungskraft nicht als transzendentale, sondern
nur als empirische schätzt. Vgl. B. Sandkaulen, „Esel ist ein Ton“: Das Bewusstsein und die Namen in Hegels Jenaer
Systementwürfen von 1803/04 und 1805/06, in: Die Eigenbedeutung der Jenaer Systemkonzeptionen Hegels, hrsg. von H.
Kimmerle, Akademie Verlag, Berlin 2004, S.151: „Was es hingegen ausgehend von Kant bei Fichte und Schelling
systematisch fruchtbar gemacht gibt, sind Variationen der transzendentalen Einbildungskraft. Dass sie aber die
maßgebliche Orientierungsinstanz bei Hegel nun gerade nicht mehr ist, hat sich schon gezeigt. Dieses ‘nicht mehr‘ ist
hier ganz wörtlich gemeint. Denn eben das Vermögen, das in Hegels Kant-Kritik in Glauben und Wissen soeben noch als
spekulativer Index absoluter Identität galt, dies sieht man jetzt auf seine reproduktive Leistung als empirische oder
vorstellende Einbildungskraft zurückgestuft, auf ein Vermögen, das nur leere Form gibt.“ Bei Hegel ist m.a.W. die
reproduktiv-empirische Einbildungskraft trotz ihrer reinen Ichheit nur reflexiv (und entzweit) gesetzt. Sie bekommt
noch keine wirkliche Identität, keine Bestimmung für sich selbst. Oder wie Hegel später ausführt: „Die in diesem
Besitz tätige Intelligenz ist die reproduktive Einbildungskraft, das Hervorgehen der Bilder aus der eigenen Innerlichkeit
des Ich, welches nunmehr deren Macht ist.“ „Der reproduzierte Inhalt, als der mit sich identischen Einheit der Intelligenz
angehörend und aus deren allgemeinem Schachte hervorgestellt, hat eine allgemeine Vorstellung zur assoziierenden
Beziehung der Bilder, der nach sonstigen Umständen mehr abstrakten oder mehr konkreten Vorstellungen“. Jedoch: „Die
sogenannten Gesetze der Ideenassoziation haben besonders in der mit dem Verfall der Philosophie gleichzeitigen Blüte
der empirischen Psychologie ein großes Interesse gehabt. Fürs erste sind es keine Ideen, welche assoziiert werden. Fürs
andere sind diese Beziehungsweisen keine Gesetze, eben darum schon, weil so viele Gesetze über dieselbe Sache sind,
wodurch Willkür und Zufälligkeit, das Gegenteil eines Gesetzes, vielmehr statthat.“ (Hegel, Enzyklopädie 1830, §455,
S.448f.)
95
196
b) Trotz der bloßen Innerlichkeit bleibt im Ich selbst immer noch eine Entzweiung, nämlich
zwischen dem unendlich-allgemeinen Ich oder der geistigen Zeit einerseits und seinen Gegenständen
im vom Ich selbst besonderten (d.i. willkürlich assoziierten) Zeitlichen und Räumlichen andererseits.
Die Entzweiung begleitet die ganze Reflexion des Ich. In der Allgemeinheit des Ich qua geistiger
Zeit gibt es etwas willkürlich Gesetztes, das als das Besondere gegen das Allgemeine steht. Dieses
sogenannte Besondere wird aber nur beliebig markiert. Sein Zeitlich-räumlich-Sein ist außerhalb der
Allgemeinheit des Ich nur ein Sein-Sollen:
„Diese E iste z des Be ußtsei s ird ei e e e so u ollko
e e, for ale sei , als es sel st
als Allgemeines ist. Es kann nichts an sich ausdrücken, [als] daß das Angeschaute überhaupt als
ein Anderes, als es ist, gesetzt sein soll, aber daß das Bewußtsein darin noch nicht wahrhaft für
sich sei, sondern nur als ein noch auf den Gegensatz, auf eine Subjektivität sich Beziehendes,
auf das Sein des Subjekts so wie das dem Subjekt Entgegengesetzte, ebendarum aber dieses
bleibt, was es ist – es hat noch auch sein Sein für sich – und sein Anderssein nur als
Anderssein-Sollen gesetzt ist. Das Bewußtsein, als sein Begriff in Raum und Zeit zerfallend, ist,
es so auszudrücken, gleichsam zu unmächtig, den Gegensatz des Subjekts und Objekts
vollkommen aufzuheben und in seinem Äußerlichwerden das wirkliche Einssein derselben
vorzustellen, mehr als ein Sollen. Das Bewußtsein als diese existierende Mitte seines Begriffs ist
daher ur )ei he ü erhaupt“.97
D.h., die Unfähigkeit des Bewusstseins in der begrifflichen Zeit und im begrifflichen Raum zeigt
sich einmal durch das leere Sein-Sollen des inhaltlichen Andersseins und zum anderen durch das
leere Sein-Sollen des vollkommenen Einsseins von Ich und Inhalt. Das Anderssein ist hier nur ein
Sein-Sollen, weil es weder das natürliche Dasein noch das bestimmt-geäußerte geistige Dasein ist.
Das Einssein ist auch nur ein Sein-Sollen, insofern das subjektiv zeitlich-räumlich gesetzte
Besondere der allgemeinen Zeit immer noch entgegengesetzt ist.
Diese zwei Seiten (die zufällige Jemeinigkeit der Inhalte ohne kategoriale Ordnung98 und die
Entzweiung im Ich selbst) stellen zusammen den empirischen Charakter des subjektiven Zeichens
dar. Im zweiten Sinne ist der empirische Charakter des Ich auch der Mangel der absoluten Einheit,
97
Ebd.
Auch hier kann man den Einfluss von Kant bemerken, insofern das empirische Mannigfaltige auch bei Kant das unter
Raum und Zeit Subsumierte und Assoziierte bedeutet, aber kein von den Kategorien Geordnetes.
98
197
denn was empirisch eingebildet wird, ist immer abhängig von etwas anderem, d.h., es ist immer
vermittelt. Obwohl das Zeichen als die „existierende Mitte seines Begriffs“ sich selbst vermittelt,
bleibt in der Selbstvermittlung doch noch eine Abhängigkeit. D.h., das Zeichen ist noch abhängig
vom Anderen seiner selbst. Obwohl dies Anderssein kein natürliches Dasein mehr ist, sondern
aufgrund der Gleichgültigkeit seiner inhaltlichen Bestimmtheit ein bloßes Sein-Sollen darstellt, zeigt
die verbleibende Abhängigkeit in der Selbstvermittlung den empirischen Charakter der Einbildung
des Ich an.
c) Jedenfalls ist nun klar, dass die Tilgung der Zeit, die am Anfang der Philosophie des Geistes
bereits angesprochen ist, weiter ausgeführt werden muss. Denn in der Erinnerung wurde nur das
„Nicht-für-mich-Sein“ des äußeren zeitlich-räumlichen Gegenstandes getilgt. Jedoch bleibt eine
Entzweiung strukturell innerhalb der geistigen Zeit selbst erhalten. Die empirische Einbildungskraft
setzt die Mitte zwischen der allgemeinen Zeit und dem von ihr immanent-besonderten
Zeitlich-Räumlichen. Diese Mitte ist nichts anderes als das bloß subjektive Zeichen. Durch die
Vermittlung des Zeichens im Ich wird die Entzweiung nicht nur nicht wirklich überwunden, sondern
gerade konserviert. Das Zeichen nämlich setzt sowohl das Gezeichnete als auch die höhere Einheit
allein als ein Sein-Sollen. Was sie aber eigentlich sind, weiß man durch das Zeichen noch nicht.
Daher gilt es, auch die Entzweiung innerhalb der geistigen Zeit zu überwinden. Um dies zu
gewährleisten, muss Hegel die entzweite Zeitstruktur vernichten, d.h., er muss die vollkommene
Tilgung der Zeit in der Sprachphilosophie erreichen (Kapitel 7).
198
Kapitel 7
Die vollkommene Tilgung der Zeit in der Sprache
„In Namen ist erst eigentlich das Anschauen, das Tierische, und Zeit und Raum überwunden“. 1
Wovon Hegel spricht, ist die vollkommene Tilgung der Zeit. Nach dem langen Traum in der
Weltnacht muss der Geist nunmehr erwachen. Er existiert nicht mehr zeitlich im Bewusstsein des
tierischen Menschen. Diese entscheidende Veränderung kann nur durch das Entstehen der Welt des
Namens aus blinden und bloß innerlichen Zeichen (oder Bildern) verstanden werden: Das „Reich der
Bilder ist der träumende Geist, der mit einem Inhalte zu tun hat, der keine Realität, kein Dasein [hat]
– sein Erwachen ist das Reich der Namen“2. Das Entstehen dieses Reichs wird im Folgenden
detailliert dargestellt.
In der Weltnacht ist das tierische Bewusstsein noch dunkel. Alles darin bleibt ontologisch
unbeweisbar, weil alles willkürlich gesetzt ist. Um zu bestimmen, was der Inhalt für sich und für
mich ist, muss das Ich sich deutlich artikulieren. In der Äußerung seiner selbst muss das Ich das, was
von ihm und von der geistigen Zeit selbst besondert ist, Schritt für Schritt bestimmen:
„Sie [die Beso deru g des allge ei e
Ele e ts der U e dli hkeit]
uß ei e E iste z
erhalten, äußerlich werden oder das so in der Anschauung auf die formale Weise
Unterschiedene als ein Äußerliches setzen, an der die beiden Entgegengesetzten, das
Anschauende und Angeschaute, sich abscheiden und das Bewusstsein als eine existierende
Mitte ist.“3
Jedoch kann die subjektiv-gezeichnete „Mitte“ diese Äußerlichkeit überhaupt nicht konstruieren. „Es
[das Ich] ist unmittelbare Innerlichkeit erst so, es muß auch ins Dasein treten, Gegenstand werden,
umgekehrt diese Innerlichkeit äußerlich sein; Rückkehr zum Sein.“4 Eben diese „Rückkehr zum
1
Hegel, Jenaer Systementwürfe III, S.176.
Ebd., S.175.
3
Hegel, Jenaer Systementwürfe I, S.199. In diesem Sinn ist das Zeichen nicht mehr das wirkliche Mittel der Erkenntnis,
da ihm die bestimmte Gegenständlichkeit fehlt. Vgl. dazu J. Simon, Das Problem der Sprache bei Hegel, S.166: „Das
Zeichen ist schon deshalb nicht Mittel der Erkenntnis, weil es in seiner Funktion überhaupt nicht den Charakter der
Gegenständlichkeit hat, den ein Mittel haben müßte.“
4
Hegel, Jenaer Systementwürfe III, S.174.
2
199
Sein“ zeigt, dass der Mangel des ontologischen Beweises durch die Bestimmung des Daseins selbst
beseitigt werden muss. Selbstverständlich ist dieses äußerliche Dasein nicht mehr das natürliche,
sondern das geistige. Hegel nennt dieses vom Ich ausgedrückte Dasein nun den Namen und den
ontologischen Beweis des Ganzen von absolutem Ich und konkretem Dasein die Sprache:
„Dies ist die Spra he, als die Na e ge e de Kraft, – Einbildungskraft nur leere Form gebende,
bezeichnende [Kraft] die Form als Innerliches Setzende, aber die Sprache [setzt Innerliche] als
Seiende. Dies ist denn das wahre Sein des Geistes als Geistes überhaupt – er ist da als Einheit
zweier freier Selbst; und ein Dasein, das seinem Begriffe gemäß ist, – es hebt sich ebenso
unmittelbar auf – erhallt, a er ist er o
e .“5
Die namentliche Welt des geäußerten Zeichens, deren Ganzes die Sprache ist, entsteht m.a.W. aus der
schöpferischen namengebenden Kraft. Mit der Einführung dieser Kraft, die eine ganz eigene
Variation der Einbildungskraft darstellt, betritt Hegel einen philosophisch neuen Weg, der ihn bis hin
zu den Überlegungen der Enzyklopädie führt. Die namengebende Kraft kann die absolute Mitte
heißen, die als das für-sich-wie-für-mich-seiende Besondere, d.i. als das konkrete Allgemeine, das
teilbare Ganze mit seinen Teilen in sich verbindet.6
Die folgenden Überlegungen argumentieren in zwei Schritten: Zunächst muß danach gefragt
werden, wieso und wie genau die Tilgung der Zeit von Hegel 1805/06 mit der namengebenden Kraft
und dem Erwachen des Geistes zusammengedacht wird. Dabei wird die kategoriale Ordnung der
Sprache eine zentrale Rolle spielen (Kapitel 7.1). Anschließend soll dieser Zusammenhang mit Blick
auf die Darstellung Hegels 1803/04 und den Ausführungen zur ‚VolkSprache‘ noch einmal
unterstrichen und zugespitzt werden (Kapitel 7.2).
7.1 Das Erwachen des Geistes und die Tilgung der Zeit in der Sprachphilosophie Hegels
1805/06
Der Name und die Sprache gelten bei Hegel als die Mitte im ganz neuen Sinne. 1805/06 stellt Hegel
deutlich dar, dass diese neue Mitte, durch die die Realität des Bewusstseins überhaupt erst gewonnen
wird, erst mit dem Prozess des Erwachens des Geistes denkbar ist.7
5
6
7
Ebd.
Vgl. B. Sandkaulen, „Esel ist ein Ton“, S.151 und 158ff.
Dem Erwachen des Geistes kommt später auch in der Enzyklopädie eine wichtig Rolle zu: „Das Unterscheiden der
200
1. Der Traum geschieht im Reich der Bilder. Er hat nunmehr aber seinen Namen. Der Träumende
erträumt den Namen als die Wahrheit der ganzen Welt, d.h. er birgt die Wahrheit erst nur in seinen
Bildern:
„Der Träu e de
ei t dies ohl au h, a er es ist i ht
ehr – der Träumende kann sich nicht
vom Wachenden unterscheiden; aber der Wachende sich vom Träumenden, dadurch daß es
wahr ist, was für ihn ist – es ist wahr – es ist nicht bloß mehr sein Fürsichsein vorhanden – der
Gegenstand Bilder; sondern das verschlossene Fürsichsein hat zugleich die Form des Seins, es
ist.“
8
Wenn der Geist erwacht, kann er wissen, dass es in ihm selbst einen ontologischen Anspruch gibt,
den er während seines Traums niemals deutlich aussprechen kann. Durch das Erwachen erkennt er
die Realität, die nicht nur für mich, sondern auch für sich selbst ist. Als das Fürsichsein ist sie die
Realität des ausgesprochenen Daseins; als das Fürsich-wie-für-mich-Sein ist sie die Realität der
Einheit von sprechendem Ich und seinem ausgesprochenen Dasein.
Problematisch ist nun aber, wie ein Wachender sprunghaft zum Vorschein kommt, der weiß, dass
es nur einen Traum, d.i. eine formalisierte Welt gibt, in der aber trotzdem die Wahrheit des Seins
existiert, die nicht nur für ein bloßes Zeichen, sondern tatsächlich für das Sein gehalten werden muss.
Individualität als für sich seiender gegen sich als nur seiender, als unmittelbares Urteil, ist das Erwachen der Seele,
welches ihrem in sich verschlossenen Naturleben zunächst als Naturbestimmtheit und Zustand einem [anderen] Zustande,
dem Schlafe, gegenübertritt. – Das Erwachen ist nicht nur für uns oder äußerlich vom Schlafe unterschieden; es selbst ist
das Urteil der individuellen Seele, deren Fürsichsein für sie die Beziehung dieser ihrer Bestimmung auf ihr Sein, das
Unterscheiden ihrer selbst von ihrer noch ununterschiedenen Allgemeinheit ist. In das Wachsein fällt überhaupt alle
selbstbewußte und vernünftige Tätigkeit des für sich seienden Unterscheidens des Geistes.“ (Hegel, Enzyklopädie 1830,
§398, S.394f.) Nur wenn der Geist erwacht, kann er mit seinem Selbstbewusstsein vernünftig denken. Vgl. auch R. Wiehl,
Das psychische System der Empfindung in Hegels „Anthropologie“, S.129-139. Zu Hegels Sprachphilosophie in seinem
reifen Systems siehe: J. Simon, In Namen denken. Sprache und Begriff bei Hegel, in: Hegel: Zur Sprache. Beiträge zur
Geschichte des europäischen Sprachdenkens, hrsg. von B. Lindorfer und D. Naguschewski, Gunter Narr Verlag,
Türbingen 2002, S.33-46; G. Wohlfart, Denken der Sprache, Verlag Karl Alber, Freiburg/München 1984, S. 208-231 und
B. Lindorfer, Zum Verhältnis von Sprache, Denken, Dingen bei Hegel, Kojève & Barthes, in: ebd., S.79-94. Habermas
hält überdies die Sprache für „Medien des Geistes“ und nicht für eine „Reflexion des einsamen Selbstbewusstsein“. In
diesem Sinne führt das Erwachen des Geistes in der Sprache dazu, die Interaktion der Menschen zu verwirklichen. Gegen
Kant und Fichte muss diese also als ein „Muster dialektischen Beziehungen“ zwischen Menschen betrachtet werden (J.
Habermas, Technik und Wissenschaft als Ideologie, Suhrkamp, Frankfurt a.M. 1970, S.23-25). Wie Habermas betont auch
Düsing, dass Hegel am Anfang seiner Philosophie des Geistes – nicht wie Kant oder Fichte – die einfache
Selbstbeziehung des Ichs darstellt, die zum Zirkel des „Ich denke mich“ führt. Gegen Habermas meint Düsing aber, dass
Hegel den Zirkel nicht aufgrund des Gedankens der Intersubjektivität vermeidet, sondern weil er seit 1805/06 die Einheit
von Subjekt und Objekt „durch vorangehende einfachere Gedankenbestimmungen und deren Synthesis als
unterschiedliche Momente der Bestimmung ihrer selbst“ konstituiert, die später der logischen Struktur des Geistes
entsprechen (K. Düsing, Endliche und absolute Subjektivität, in: Hegels Theorie des subjektiven Geistes, hrsg. von. L.
Eley, frommann-holzboog, Stuttgart-Bad Cannstatt 1990, S.45ff.). In diesem Sinne ist m. E. das Erwachen des Geistes
eben das Bewusstsein der im Geist inhärenten logischen Struktur.
8
Hegel, Jenaer Systementwürfe III, S.176.
201
Um diese Frage zu beantworten, muss die Funktion des Namens und der Sprache genauer dargestellt
werden. Im Folgenden wird zuerst im Vergleich mit Jacobi gezeigt, welches wahre Dasein der Name
bedeutet. Daraufhin wird detailliert analysiert, wieso der Geist erwachen kann, wenn er dieses wahre
Dasein als solches erkennt.
2. Zwar verweisen Hegels Überlegungen zum Unterschied von Träumendem und Wachendem ein
weiteres Mal auf Jacobi, insofern es bereits in David Hume über den Glauben heißt:
„Vo
Träu e
läßt si h das Wa he
i ht u ters heide ,
ohl a er o
Wa he
das
Träu e .“9
Doch während Jacobi auf die Unmöglichkeit der Darstellung des Wirklichen in der bloß
intellektuellen Vorstellung zielt, will Hegel gerade ein Wirkliches innerhalb derselben durch die
Veräußerlichung der bloß innerlichen Bilder darstellen. Für Hegel bedeutet das Wirkliche also nichts
anderes als den bestimmten Inhalt, der nunmehr nicht nur zum Selbst des Subjekts gehört, sondern
vielmehr auch als ein Äußerliches ontologisch bewiesen werden muss. Dieses Äußerliche ist zwar
kein Natürliches, sondern ein Geistiges, aber es hat doch sein Sein, das vom bloß innerlichen
Selbstbewusstsein unterschieden ist.
Aber was ist das Wirkliche? Es heißt bei Hegel „das sinnlich Seiende“:
„Der Gege sta d, i
)ei he , hat ei e a dere Bedeutu g als er ist – das Innere; des Namen
Bedeutung umgekehrt ist das sinnlich Seiende. Sein Inhalt muß ihm selbst, seiner einfachen,
seie de Geistigkeit glei h erde .“10
Dieses sinnlich Seiende kann nur im Reich des Namens existieren, denn im Vergleich mit dem
innerlich-bildhaften Mannigfaltigen muss es das sein, was äußerlich bestimmt ist und sein eigenes
Sein hat. Es ist das fixierte Individuum, das „in sich abgeschlossene“, das wegen seines
eigentümlichen Seins nicht mehr in der Verknüpfung mit dem Ich gedacht wird. D.h., die Namen
sind keineswegs die blind eingebildeten Mannigfaltigen, die miteinander verbunden sind, sondern sie
werden von anderen Namen abgeschieden und separat festgehalten.11 Der Name oder das sinnlich
9
F. H. Jacobi, David Hume über den Glauben, oder Idealismus und Realismus, in: Schriften zum transzendentalen
Idealismus. Friedrich Heinrich Jacobi Werke, Band 2.1, hrsg. v. W. Jaeschke und I. M. Piske, Felix Meiner Verlag,
Hamburg 2004, S.68.
10
Hegel, Jenaer Systementwürfe III, S.176.
11
Gegenüber dem innerlich-zeitlichen Mannigfaltigen ist der Name äußerlich-räumlich (vgl. ebd., S.176, Fußnote 5).
Trotzdem kann man das Sinnliche als das Äußerlich-Zeitliche betrachten, insofern der äußere Raum mit der Zeit
ursprünglich eins ist. Auch bei Hegel hat also die Zeit ihre Äußerlichkeit, die jetzt aber nicht mehr das äußerlich-zeitliche
202
Seiende ist also das völlig entäußerte Individuelle, das reale Einzelne oder, wie Hegel auch sagt, das
Ding-Moment. Dieses Einzelne ist zwar vom Ich reproduziert; zugleich hat es sich aber von der bloß
innerlich-zeitlich-ichhaften Reproduktion losgesagt. Es ist also nunmehr das Anderssein des Ich oder
der konkrete Inhalt an sich.
Dabei ist festzuhalten, dass der Name zwar sinnlich, aber nicht natürlich ist. Er ist sinnlich, weil
die Namen noch nicht in einer kategorial bestimmten Ordnung vom Ich klar erkannt werden, sondern
vielmehr als beziehungslose Einzelne dem Ich schlechthin gegenüberstehen.
Dieses von der Beziehung auf das Ich abgeschnittene Dasein ist kein völlig bestimmtes Dasein,
denn es existiert nur als eine Äußerung der Innerlichkeit des Ich, während seine konkrete
Bestimmung dem Dasein noch fehlt. Der Name des Daseins ist noch unbestimmt und bloß negativ.
In diesem Sinn ist es gleichgültig, was der Name äußert und exakt für das Ich bedeutet.
„Sei
I halt [d.i. der I halt des I h] si d die glei hgültige
Na e ; a er a
ihrer
Glei hgültigkeit als Vieler ist i ht das Sel st, als Negati es, ie es i Wahrheit ist.“12
Der Name außerhalb der Ordnung der Bestimmungen ist „nicht das Selbst“, denn er sagt eben nicht
aus, was er für das Ich genau ist. Seine reine Negativität muss daher aufgehoben werden. Diese
Aufhebung geschieht in der Sprache. Wenn die Namen selbstbewusst und deutlich ausgesprochen
werden, erwacht man aus seinem Traum.
3. Zusammenfassend lässt sich also festhalten: Um den Mangel an Realität wie in der Fichteschen
Philosophie zu vermeiden, führt Hegel das Prinzip der Individualisierung als ein dem Allgemeinen
entgegengesetztes Prinzip ein,13 das ihm ermöglicht, jedes Glied der bloß allgemeinen Intelligenz
nicht mehr beliebig, sondern konkret zu bestimmen. Mithin wird das, was als „Ding-Moment“14
existiert, fixiert. Das Ding-Moment heißt nunmehr das sinnliche Einzelne, das als ein real Anderes
Werden des natürlichen Dings ist, sondern die äußerliche Zeitform des geistigen Inhalts. Das Sinnliche ist als Äußerung
des Geistes selbst auch räumlich-zeitlich; Hegel nennt es später dann die sinnliche Gewissheit. Jedoch ist die bloß
subjektiv-innerliche Zeit bereits im Namen völlig getilgt. 1805/06 stellt Hegel die sinnlich-äußerliche Zeit des
Ding-Moments im Namen zwar nicht so deutlich dar wie später in der Enzyklopädie, verbindet sie aber doch mit dem
Begriff der Sinnlichkeit.
12
Ebd., S.177.
13
Vgl. Hegel, Jenaer Systementwürfe III, S.177, Fußnote: „Im Namen ist Ich unmittelbare Einzelheit“ (vgl. auch ebd.,
S.182). Vermutlich wollte Hegel damit auch Schelling widersprechen, da Schelling im System des transzendentalen
Idealismus behauptet, dass die eigentliche Aufgabe der Transzendentalphilosophie das Wegnehmen aller Schranken der
Individualität und das Zurückkommen zum absoluten Ich sei (vgl. F. W. J. Schelling, System des transzendentalen
Idealismus, in: Friedrich Wilhelm Joseph Schelling Werke 9.1, hrsg. v. H. Korten und P. Ziche, Frommann-Holzboog,
Stuttgart 2005, S.181).
14
Hegel, Jenaer Systementwürfe III, S.180, Fußnote.
203
außerhalb des Subjekts empfunden wird. Es wird die sinnliche Gewissheit genannt, die per se besteht
und noch nicht im Ganzen der Namen bestimmt ist.
Da das philosophische Ziel freilich ist, das Einzelne im Ganzen zu bestimmen, muss das Ich nach
Hegel eine feste Ordnung innerhalb der vielen Namen anbieten. Das Ganze der miteinander
ordentlich verbundenen Namen ist die sich artikulierende Sprache:
„)u ä hst spri ht die Spra he ur
it diese
Na e , u d spri ht dies als das Sei
Sel st, der Bedeutu g des Di gs, gi t ihm einen
des Gege sta des aus; […] – Dies ist die erste
Schöpferkraft, die der Geist ausübt; Adam gab allen Dingen einen Namen, dies ist das
Majestätsrecht und erste Besitzergreifung der ganzen Natur, oder das Schaffen derselben aus
dem Geist; logos, Vernunft, Wesen des Dinges und Rede, Sache Kategorie. Der Mensch spricht
zu de
Di ge als de
sei ige , u d dies ist das Sei des Gege sta des.“15
Diesen Satz kann man auf folgende Weise interpretieren:
a) Die Sprache ist eine Schöpfungskraft des Geistes selbst, insofern die Sprache vom Geist
ausgeübt wird. Eine bloß natürliche Sprache ist für Hegel undenkbar. Die natürlich-tierische Stimme
wird allein durch die Übung des Geistes zum Organ der Sprache. Diese geistige Sprache äußert „das
wahre Sein“ der Natur;16 sie spricht das geistige Wesen der Natur aus. Ohne diesen ontologischen
Beweis muss die Natur ihr blindes Sein als Nichts setzen, insofern die Natur ihr Selbst-sein nicht
wesentlich besitzt. (Sie ist nur das zum Selbstsein Werdende, das aber immer noch das Andere des
Selbstseins ist.) In diesem Sinn ist die Sprache „das Majestätsrecht und erste Besitzergreifung der
ganzen Natur, oder das Schaffen derselben aus dem Geist“, nicht nur weil sie die Natur erkennt,
sondern auch weil sie sie schafft. Sie ist also nicht nur epistemologisch, sondern auch ontologisch
relevant. Das Naturwesen kann an sich sein, weil es vom unendlichen Ich oder vom ursprünglichen
Menschen (Adam) so gesprochen wurde. Ohne diese alles schaffende Sprache kann die Natur nicht
beweisen, dass sie erstens ihr allgemeines Selbstsein und zweitens ihr konkretes Dasein hat.
b) Was die Sprache spricht, sind Namen, wobei ein Einzelnes ein Ton ist, der von den Anderen
absolut getrennt ist. D.h., alles wird am Anfang nur durch einen lauten Ton von anderen Lebewesen
unterschieden. Anders formuliert: Der Name oder der Ton, der vom Bewusstsein deutlich
15
16
Ebd., S.175.
Ebd.
204
ausgesprochen wird, weist uns auf das einzigartige Dasein des besonderen Lebewesens hin.17 Er ist
sowohl der Hinweis auf das einzelne Sein des Gegenstands als auch das Unterscheidungsmerkmal
von anderen Lebewesen.18 „Durch den Namen ist also der Gegenstand als seiend aus dem Ich heraus
geboren.“19 Der Gegenstand als der geäußerte steht dennoch gegen das bloß innerliche Ich.
17
Interessanterweise kommentiert Derrida dazu, dass Hegel wegen der Betonung der Tonsprache die Bedeutung des
Modells der chinesischen Sprache vergisst. Einerseits hat er m. E. Recht, dass Hegel in seiner Zeit die chinesische Kultur
nicht als essentiell erkennt, sodass Hegel die Bedeutung der chinesischen Sprache überrsieht. – Anderseits ist es aber
problematisch, wenn Derrida diese These als den zentralen Vorwurf gegen Hegels Sprachphilosophie benutzt und Hegel
entgegenhält, dass er im Gegensatz zu Leibniz die äußerlich-mathematische Ebene der Sprache nicht zureichend ernst
nehme (Derrida, Der Schacht und die Pyramide. Einführung in die Hegelsche Semiologie, S.109-118). In der Tat
unterstreicht Hegel selbst 1830 den mechanischen Sinn der Sprache; er sieht ihn sogar als den Gipfelpunkt des
subjektiven Geistes, da er diese extreme sprachliche Äußerung (Äußerlichkeit) für einen Gewinn hält, nicht aber für
einen Irrweg des menschlichen Verstands. Die Kritik an der Äußerlichkeit der Sprache resultiert bei Hegel auch nicht aus
der Überzeugung, dass die Sprache nicht anders als äußerlich sein kann, sondern vielmehr daraus, dass das einzelne Ich
samt seiner praktisch-kreativen Handlung in der mechanischen Sprache noch keinen wirklichen Ausdruck findet (vgl.
auch Derrida, Glas, übers. von H.- D. Gondek und M. Sedlaczek, Wilhelm Fink Verlag 2006, S.13f.: „Die Sprache
erreicht ihren eigenen Begriff nur, indem sie bis ans Ende dessen geht, was sie induziert, ans Ende ihrer eigenen inneren
Negativität, einem Schema des Wesens als sich unaufhörlich verifizierender und ausarbeitender Negativität gemäß.“) und
S.134ff.) Hier argumentiert Derrida also, dass der Übergang vom theoretischen zum praktischen Geist bei Hegel 1803/04
nur insofern erfolgen kann, als der sprechende Geist schlechthin der Tod ist; er spricht kein Lebendiges aus, sondern
allein ein Formelles. Diese Formalität wird erst durch die lebendig-praktische Begierde verändert, die überhaupt
zeitgeschichtlich gegenwärtig ist (vgl. ebd., S.136 und S.246ff.). Fraglich aber ist, ob die getilgte Zeit hier tatsächlich –
wie Derrida behauptet – wiederum eine wichtige Rolle spielt und die bloß formelle Sprache aufhebt oder ob Hegel selbst
einer ganz anderen Strategie folgt, um die Formalität der Sprache zu beseitigen. M.E. betont Hegel in Jena nicht die
Bedeutung der geschichtlichen Gegenwärtigkeit der Begierde des praktischen Geistes, ebenso wenig wie die Zeitlichkeit
der Familien. Die vollkommene geschichtliche Zeit (die absolute Gegenwart) taucht sogar beim späteren Hegel erst im
absoluten Geist auf, der eine völlig neue Phase der Entwicklung des Geistes bedeutet und mit der Familie oder der
praktischen Begierde des einzelnen Menschen nichts zu tun hat, sondern allein mit der Geschichte der Staaten. Sachlich
ist dies insofern wichtig, als Hegel nicht einfach einen Logozentrismus, der sich nur um die Ewigkeit und die
Gegenwärtigkeit bekümmert, in die Entwicklung des sprechenden Geistes einführt. Hegel entwickelt die Philosophie des
Geistes vielmehr auf eine viel kompliziertere Weise, die nicht einfach durch die absolute Geschichte erklärt werden kann.
Sonst könnten wir die Bedeutung der Tilgung der Zeit zu einfach nachvollziehen, sodass wir die Tilgung der Zeit im
subjektiven Geist direkt für das Entstehen der Geschichte im absoluten Geist halten würden und damit die Motivation der
Tilgung der Zeit in der Philosophie des Geistes von 1803/04 und 1805/06 mit derjenigen in der Phänomenologie des
Geistes von 1807 vermischten, obwohl beide, sachlich gesehen, sich grundlegend unterscheiden.
18
Sicher ist, dass Hegel hier an Herder denkt. Herder argumentiert bereits, dass der Mensch, „in dem Zustand von
Besonnenheit gesetzt, der ihm eigen ist, und diese Besonnenheit (Reflexion) zum erstenmal frei würkend, […] Sprache
erfunden [hat].“ (J. G. Herder, Über den Ursprung der Sprache, in: Johann Gottfried Herde Werke, Bd. 1, hrsg. v. und
Gaier, Deutscher Klassiker Verlag, Frankfurt a. M. 1985, S.722) D.h., der Mensch kann die Sprache nur durch seine
geistige Kraft (die Besonnenheit) hervorbringen. Vgl. auch: „Der Mensch beweiset Reflexion, wenn die Kraft seiner
Seele so frei würket, daß sie in dem ganzen Ocean von Empfindungen, der sie durch alle Sinnen durchrauschet, eine
Welle, wenn ich so sagen darf, absondern, sie anhalten, die Aufmerksamkeit auf sie richten, und sich bewußt sein kann,
daß sie aufmerke. Er beweiset Reflexion, wenn er aus dem ganzen schwebenden Traum der Bilder, die seine Sinne
vorbeistreichen, sich in ein Moment des Wachens sammeln, auf Einem Bilde freiwillig verweilen, es in helle, ruhigere
Obacht nehmen, und sich Merkmale absondern kann, daß dies der Gegenstand und kein andrer sei. Er beweiset also
Reflexion, wenn er nicht bloß alle Eigenschaften, lebhaft oder klar erkennen; sondern Eine oder mehrere als
unterscheidende Eigenschaften bei sich anerkennen kann: der erste Aktus dieser Anerkenntnis gibt deutlichen Begriff; es
ist das Erste Urteil der Seele – und – wodurch geschah die Anerkennung? Durch ein Merkmal, was er absondern mußte
und was, als Merkmal der Besinnung, deutlich in ihn fiel. […] Dies Erste Merkmal der Besinnung war Wort der Seele!
Mit ihm ist die Menschliche Sprache erfunden.“ (Ebd., S.722) Mit dem wachen Geist unterscheidet der Mensch das
Besondere von allem anderen durch das bestimmte sprachliche Merkmal. Dieser Punkt ist selbstverständlich auch der
Hegels.
Auch in Verstand und Erfahrung, Eine Metakritik zur Kritik der reinen Vernunft argumentiert Herder, dass die
Einbildungskraft „nicht nur […] jedem empfindenden Wesen seinen Ton, seinen Charakter, seine Welt außer und in ihm
205
c) Aber der Name ist nicht nur ein Gegenstand. Er ist auch der von mir gesprochene Name oder
das von mir ausgesprochene Ding-Moment. „Der Mensch spricht zu dem Dinge als dem seinigen,
und dies ist das Sein des Gegenstandes.“ In diesem Sinne wird erst hier die wirkliche Einheit von
Ding und Ich erreicht. Die Entzweiung, die in der geistigen Zeitanschauung noch erhalten geblieben
war, ist nunmehr vollkommen getilgt, sodass die Zeit auch in der Sprache „überwunden“ wird. Die
ehedem durch die Reflexion gemachte innerliche Spaltung zwischen dem Ich und dem Inhalt, wird
überwunden, weil der Inhalt jetzt für sich als ein Besonderes und zugleich auch als mein Besonderes
bestimmt ist. Dieses Besondere ist „etwas ganz anderes als es in der Anschauung ist, und dies sein
wahres Sein.“20 Es ist nicht mehr sinnlich. Das Ich wird nunmehr auch nicht mehr vom sinnlichen
Gegenstand beschränkt, sondern produziert ihn mit seiner „freie[n] Kraft“21.
d) Hegel nennt diese Einheit in der Sprache ‚Logos‘, ‚Vernunft‘ oder ‚Kategorie‘. Das Vermögen
des Ich, mit dem die Kategorie nach einer bestimmten Weise auf die Namen angewendet werde, sei
aber kein anderes als der Verstand. Der Verstand bringt das sinnlich Reale zur Entsinnlichung, indem
das sprachliche Ganze nun das verwirklichte „Ich selbst“ ist. Die vom Verstandesvermögen
begriffenen Ding-Momente (die Namen) gehören m.a.W. zum Ich selbst. „Ding, Verstand,
Notwendigkeit“22 verbinden sich daher miteinander in der durch den Verstand fixierten sprachlichen
Ordnung der Namen der Dinge. An dieser Stelle konstruiert der Verstand die ontologische Einheit
von Ich und den Dingen.23
Nur der wachende Geist kann nach Hegels Verständnis denken.24 Der Geist weiß, dass er wach ist,
nur dadurch, dass er weiß, dass er alles als das Seinige nach seiner Kategorie in die Ordnung bringen
zu geben, sondern auch die Empfindung davon im Sinn des Lesers oder Hörers oft mit einem Nichts, mit den kleinsten
Merkmalen, Worten und Zeichen dergestalt zu erwecken und festzuhalten [imstande ist]. Daß jetzt nicht unser, sondern
der Geist des Dichters, des Künstlers uns gebietet. An einem kleinen Merkmal wacht eine Welt der Gefühl in uns auf.“ (J.
G. Herder, Verstand und Erfahrung, Eine Metakritik zur Kritik der reinen Vernunft, in: Johann Gottfried Herdes Werke,
Bd. 8, Hrsg. v. H. D. Irmscher, Deutscher Klassiker Verlag, Frankfurt a. M. 1985, S.387) Also repräsentiert sogar ein
minimales Merkmal auch den zentralen Unterschied zwischen der äußerlichen Welt und unserem innerlichen Wesen. Die
Einbildungskraft, die durch dieses Merkmal festgehalten wird, ist in diesem Sinne die sprachliche, die den Geist erweckt.
Eben dieser Punkt tangiert den Kern der Sprachphilosophie Hegels.
19
Hegel, Jenaer Systementwürfe III, S.175.
20
Ebd.
21
Vgl. ebd., S.178.
22
Ebd., S.181, auch: S.180f., Fußnote.
23
Vgl. ebd., S.180, Fußnote 1: „Verstand a) Beziehung entgegengesetzter Begriffe b) Einheit derselben, Grund; jene
haben am Sein ihre Substanz; Grund ist aufgehobenes Sein“. Das „aufgehobene Sein“ bedeutet hier das beziehungslose
Sein des Namens.
24
Vgl. auch Hegels spätere Ausführungen in der Enzyklopädie: „Aber das Fürsichsein der wachen Seele, konkret
aufgefaßt, ist Bewußtsein und Verstand, und die Welt des verständigen Bewußtseins ist ganz etwas anderes als ein
Gemälde von bloßen Vorstellungen und Bildern. Diese letzteren als solche hängen vornehmlich äußerlich, nach den
206
kann. Diese Ordnung, in der das Ich seine Erinnerung artikulierend bestimmt und wiederholt, heißt
das Gedächtnis, und:
„die Ü u g des Gedä ht isses ist des ege
die erste Ar eit des er a hte
Geistes als
Geistes“25.
Das Gedächtnis ist die Wieder-Erinnerung des Ich, in der alles nach einer streng bestimmten
Ordnung bestimmt wird. Weil der Name jedes Glied des Vereinzelungsprozesses des Ich äußert und
das wachende Ich alles, eins nach dem anderen, ins sprachliche Gedächtnis bringt, ist das Allgemeine
nunmehr real erfüllt. Hegel stellt m.a.W. ein doppeltes Sein – d.i. das Sein vom Ich zum Ding und
dasjenige vom Ding zum Ich – dadurch dar, dass „die fixierende und fixierte Ordnung“ zugleich
konstruiert wird.26
4. Im Namen und in der Sprache geschieht die vollkommene Tilgung der Zeit.
„I
Na e ist erst eige tli h das A s haue , das Tieris he und Zeit und Raum überwunden.“
Das „Tierische“ heißt hier derjenige Geist, der in sein einfaches Wesen und substanzielles Leben
versinkt. Der animalische Geist stellt etwas erst in den leeren Formen von Zeit und Raum vor, ohne
es aber bereits zu begreifen. Denn Verstehen setzt nach Hegel die Tilgung von Zeit und Raum durch
sogenannten Gesetzen der sogenannten Ideenassoziation, auf unverständige Weise zusammen, wobei sich freilich auch
hier und da Kategorien einmischen können. Im Wachen aber verhält sich wesentlich der Mensch als konkretes Ich, als
Verstand; durch diesen steht die Anschauung vor ihm als konkrete Totalität von Bestimmungen, in welcher jedes Glied,
jeder Punkt seine durch und mit allen anderen zugleich bestimmte Stelle einnimmt. […] Das Wachen ist das konkrete
Bewußtsein dieser gegenseitigen Bestätigung jedes einzelnen Momentes seines Inhalts durch alle übrigen des Gemäldes
der Anschauung.“ (Hegel, Enzyklopädie 1830, §398, S.394f.) In §398 und §399 der Anthropologie überlegt Hegel
schließlich, wie man vom Schlaf oder Traum erwachen kann. Die entscheidenden Punkte dabei sind: Im Schlaf oder
Traum ist die Seele in ihre unterschiedslose Einheit versunken. Es gibt nur die allgemeine Macht der Intelligenz oder des
einfachen Wesens, sodass wir die Gegenstände allen notwendigen, objektiven, verständigen, vernünftigen
Zusammenhang verlieren und nur in eine ganz oberflächliche, zufällige, subjektive Verbindung, d.i. in eine Assoziation
durch die Einbildungskraft kommen. – Dagegen steht die Seele der Einheit oder dem einfachen Wesen im Wachen des
Geistes entgegen. Man sieht sie schon bewusst als ein Individuum durch den Verstand und die Vernunft. Man kann
sich dann von der äußeren Welt unterscheiden und sie in die bestimmte Ordnung bringen, die den Unterschied und den
Zusammenhang zwischen den Menschen und der äußeren Welt gleichzeitig in sich selbst enthält . Diese Unterscheidung
kann man auch in den Jenaer Systementwürfen III finden.
25
Hegel, Jenaer Systementwürfe III, S.178.
26
Ebd., vgl. auch S.180ff. Ein Jahr später behauptet Hegel auch in Das Absolute Wissen in der Phänomenologie des
Geistes dieses doppelte Sein, d.h. einmal: „das Sein des Ich [ist] ein Ding“, und zum anderen: „das Ding ist Ich“ (Hegel,
Phänomenologie des Geistes, S.517f.). Darüber hinaus kann man in der Sinnlichen Gewissheit die Beziehung des
räumlich-zeitlichen „Diesen“ mit der Sprache deutlich erkennen: „Dieses, das heißt das allgemeine Diese, oder: es ist;
das heißt das Sein überhaupt. Wir stellen uns dabei freilich nicht das allgemeine Diese, oder das Sein überhaupt vor, aber
wir sprechen das Allgemeine aus; oder wir sprechen schlechthin nicht, wie wir es in dieser sinnlichen Gewißheit meinen.
Die Sprache aber ist, wie wir sehen, das Wahrhaftere“ (ebd., S.71f.). W. Grießer argumentiert, dass die Sinnliche
Gewissheit die Anthropologie vorwegnimmt, woraus folgen würde, dass der sprechende Geist, der die sinnliche
Gewissheit in sich enthält und auch aufhebt, die fühlende Seele ist (W. Grießer, Geist zu seiner Zeit. Mit Hegel die Zeit
denken, S.308). Diese Argumentation ist aber wenig überzeugend, da die Zeit in der Philosophie des Geistes nicht
derjenigen in der Phänomenologie entspricht. Indiz dafür ist bereits der jeweilige Ort ihrer Thematisierung. Während
jene nach der Logik und der Naturphilosophie kommt, hat diese ihren Platz davor.
207
den Namen und die Sprache voraus. Das Tierische sowie Zeit und Raum werden m.a.W. dadurch
überwunden, dass jedes Glied (jeder Name) in seinem Zeitpunkt wirklich bestimmt wird und daher
nicht mehr nur im Reich des Zeichens (bzw. des einfachen Wesens der bloß innerlichen Zeit des Ich)
existiert.
Statt der in der geistigen Anschauung existierenden, bloß innerlichen Zeit bleibt bei Hegel allein
die zeitlos-kategoriale Ordnung des Geistes.27 Diese Ordnung wird im Gedächtnis ontologisch und
unsinnlich gedacht; „Gedächtnis ist Werden des Gedenkens, Werden des unsinnlichen
Gegenstandes.“28 Die geistige Ordnung hat mit der subjektiv-zeitlichen Anschauung im Sinne der
Sinnlichkeit nichts mehr zu tun, denn das äußerlich-räumliche Zeitliche ist nur als ein
Beziehungsloses sinnlich. Die sprachliche Wiederverbindung der Namen durch den Verstand führt
zur absoluten Entsinnlichung; jeder konkrete Gegenstand ist nach der Entsinnlichung als Glied der
geistigen Ordnung absolut zeitlos. Jedes Glied der Ordnung, die vom Verstand als der ontologische
Grund des Seins des Ich und seines Gegenstandes gesetzt wird, ist m.a.W. schlechthin
begrifflich-ewig:
„Itzt ist für I h der Gru d das Allge ei e als sol hes, es weiß sich als den Verstand, es spricht
o
esti
te Begriffe als de sei ige “.29
Aufgrund dieses Begriffs versteht Hegel die Ordnung nun tatsächlich als die logisch-geistige
Ordnung, sodass er anhand dieses Begriffs weiter von Urteil und Schluss des Geistes redet. 30
„Ur-teil“ meint in diesem Sinne, dass der unsinnliche Gegenstand sein Sein hat und daher gegen das
Ich steht; „Schluss“ heißt demzufolge, dass die beiden durch die Sprache des Ich wiederum
verbunden werden. Im Schluss ist die Kopula das Ich selbst, das die begriffliche Identität bedeutet.
27
Auf eine interessante Weise sieht Agamben im Zusammenhang mit Heidegger die Sprache in Hegels Jenaer Zeit als
die Negation des Daseins, d.h. als den Tod des tierischen Lebens (G. Agamben, Die Sprache und der Tod, Suhrkamp
2007, S.74-84). Agamben verbindet dies mit dem Anfang der Welt der Freiheit und der sich ereignenden Zeit (ebd.,
S.140f. und S.162-167). Bei Hegel selbst taucht die Freiheit jedoch nicht in der Sprache auf.
28
Hegel, Jenaer Systementwürfe III, S.180, Fußnote 1. Die Unsinnlichkeit des Gegenstandes bedeutet eben seinen
Namen. Um die Bedeutung des Namens „Löwe“ oder „Esel“ zu verstehen, bedarf es nicht der Anschauung eines Dinges,
wie z.B. eines Löwen oder eines Esels, sondern vielmehr eines kreativen Denkens. D.h., der Gegenstand ist tatsächlich
der Gegenstand des Denkens, nicht mehr der sinnliche Gegenstand: „Bei dem Namen Löwe bedürfen wir weder der
Anschauung eines solches Tieres noch auch selbst des Bildes, sondern der Name, indem wir ihn verstehen, ist die
bildlose einfache Vorstellung. Es ist in Namen, daß wir denken.“ (Hegel, Enzyklopädie 1830, §462, S.460)
29
Hegel, Jenaer Systementwürfe III, S.181, Fußnote 2.
30
Vgl. ebd., S.182ff., aber auch S.181, Fußnote 2. Tatsächlich redet Hegel von Sprache und Zeit auch im logischen
Sinne. Vgl. dazu J. Simon, Philosophie und ihre Zeit. Bemerkung zur Sprache, zur Zeitlichkeit und zu Hegels Begriff der
absoluten Idee, in: Dimension der Sprache in der Philosophie des Deutschen Idealismus, hrsg. v. B. Scheer und G.
Wohlfart, Königshausen und Neumann, Würzburg 1982, S. 18-31.
208
Die Ordnung als das Ganze der Gliederungen ist selbst die Drei-Einheit von Begriff, Urteil und
Schluss. Sie ist die sich selbst aussprechende Vernunft, die gar nicht mehr zeitlich denkbar ist.31
7.2 Die Darstellung der vollkommenen Tilgung der Zeit in der Sprachphilosophie
Hegels 1803/04
Obwohl das Erwachen des Geistes in Hegels Sprachphilosophie 1803/04 noch nicht so deutlich
dargestellt wird wie 1805/06, ist die Struktur der Tilgung der Zeit durch den wachenden Geist auch
hier klar nachweisbar.
1. 1803/04 muss das stumme Bewusstsein, das „ein leeres, wahrheitsloses, wachendes oder
schlafendes Träumen“32 ist, „die Indifferenz des Bestehens der idealen Glieder absolut aufheben. […]
Die Idee dieser Existenz des Bewußtseins ist das Gedächtnis und seine Existenz selbst die
Sprache.“33 Das Gedächtnis (die Mnemosyne) macht das, „was wir sinnliche Anschauung genannt
haben, zur Gedächtnissache, zu einem Gedachten“ und „hierin erhält das Bewußtsein erst eine
Realität, daß an dem nur in Raum und Zeit Idealen, d.h. das Anderssein außer sich Habenden diese
Beziehung nach außen vernichtet und es für sich selbst ideell gesetzt werde, daß es zu einem Namen
werde.“ Klar betont Hegel hier wie 1805/06 die Aufhebung des raumzeitlich-sinnlichen Gegenstands
im Gedächtnis.34 Die Realität, die in Raum und Zeit nur ideal bleibt, wird als das Anderssein des Ich
nun durch den Namen gedacht. Genauer: Die Realität, die früher durch das einfache raumzeitliche
Wesen des Geistes gefühlt wurde, ist keine wirkliche Realität, sondern die bloß subjektive bzw. die
bloß für das Bewusstsein selbst seiende Realität. Dagegen ist „im Namen […] die fürsichseiende
Realität des Zeichens vernichtet.“ 35 Der Name „ist an sich, bleibend, ohne das Ding und das
Vgl. Hegels Ausführungen in der Enzyklopädie: „Vielmehr hat es das Gedächtnis nicht mehr mit dem Bilde zu tun,
welches aus dem unmittelbaren, ungeistigen Bestimmtsein der Intelligenz, aus der Anschauung, hergenommen ist,
sondern mit einem Dasein, welches das Produkt der Intelligenz selbst ist, - einem solchen Auswendigen, welches in das
Inwendige der Intelligenz eingeschlossen bleibt und nur innerhalb ihrer selbst deren auswendige, existierende Seite
ist.“ Also braucht das Gedächtnis tatsächlich kein zeitliches Bild mehr, sondern allein ein begrifflich-zeitloses Wort
(Hegel, Enzyklopädie 1830, §462, S.460). D.h., das Wort als das Intelligente oder als der Gedanke funktioniert überhaupt
nicht wie die Zeit, die alles vernichtet. Vielmehr bewahrt das Wort alles als Begriff in sich selbst. Das vernünftige Wort
darf daher nicht als zeitliches verstanden werden.
32
Hegel, Jenaer Systementwürfe I, S.199.
33
Ebd., S.200.
34
1803/04 unterscheidet Hegel anders als 1805/06 und in der Enzyklopädie, aber ähnlich wie Herder (vgl. Herder, Über
den Ursprung der Sprache, S. 772 sowie Metakritik, S.386) terminologisch noch nicht zwischen „Erinnerung“ und
„Gedächtnis“. Insofern Hegel jedoch die Versinnlichung des bloß innerlichen Geistes im Gedächtnis und die
Entsinnlichung in demselben als zwei verschiedene Phasen der Entwicklung des subjektiven Geistes betrachtet, ist deren
Unterscheidung in der Sache aber auch 1803/04 bei Hegel bereits angelegt.
35
Ebd., S.201.
31
209
Subjekt.“36 Als ein realer Gegenstand ist er das Einzelne als solches, das allein durch den Ton
geäußert wird.
1803/04 unterstreicht Hegel bereits die bloß tönende Seite des Gedächtnisses, die später in der
Psychologie wiederkehrt. Hier sind die Einflüsse Herders leicht zu bemerken.37 Herder behauptet,
dass es eine Sprache der Empfindung gäbe und diese mit den Sprachtönen verbunden sei. Die Töne
sind bei ihm ein Merkmal der Differenz, ferner ein Merkwort und gefasstes Zeichen, d.i. ein Name.38
„Das erste Wörterbuch war also aus den Lauten aller Welt gesammelt. Von jedem tönenden
Wesen klang sein Namen: die menschliche Seele prägte ihr Bild drauf, dachte sie als
Merkzei he […] Der Geda ke a die Sa he sel st s h e te o h z is he de
und der Handlu g; der To
Ha del de
ußte die Sa he ezei h e , so ie die Sa he de To ga .“39
Der Name ist daher die wirkliche Mitte, das zwischen Subjekt und Ding schwebende Zeichen, das
zwar durch den Verstand (bzw. die Besonnenheit) gefasst wird, das uns jedoch nicht zur
Selbstwiederholung und -verwirklichung des Geistes führt. Vielmehr leitet es nach Hegel zum
Besonderen, das wir
„ eder auf der Seite des Su jekts […], o h auf der a der Seite des Gege satzes als ei e
Bestimmtheit der Dinge [betrachten], sondern wie es als Einheit und Mitte von beidem absolut
für sich ist; es ist in ihm selbst die Bewegung einer Tätigkeit gegen ein Passives, aber als die
Bewegung selbst ist es das Eins, in welchem der Gegensatz nur ideell, an sich ein aufgehobener
ist.“40
Diese „Einheit und Mitte“, die Hegel 1805/06 auch thematisiert, ist die Sprache. Sie existiert nicht
„auf der Seite des Subjekts“, weil sie nicht mehr bloß innerlich existiert, sondern eine Äußerlichkeit
in sich selbst hat. – Zugleich existiert die Sprache auch nicht „auf der andern Seite des Gegensatzes
als eine Bestimmtheit der Dinge“, denn der äußerliche, bloß tönende Ausspruch liegt in der Sphäre
des Namens, in der es aber kein räumlich-zeitliches einzelnes Ding mehr gibt. Der Name als Name
36
Ebd.
Vgl. M. Bienenstock, Zu Hegels Erstem Begriff des Geistes (1803-04): Herdersche Einflüsse oder Aristotelisches Erbe?
In: Hegel-Studien, Bd.24, Bonn 1989, S.41ff. sowie Birgit Sandkaulen, „Esel ist ein Ton“, S.154ff. Selbstverständlich
denkt Hegel 1805-06 in dem Maße auch an die Herdersche „Namengebung“, die Vernunft und Sprache vereint, wie er
mit der „namengebenden Kraft“ operiert und diese zur Einheit von Sache und Sage erklärt. Zugleich spielt aber auch
Schelling als Hintergrund dieser Auffassung eine wichtige Rolle (vgl. Bienenstock, Zu Hegels Erstem Begriff des Geistes,
S.43).
38
Vgl. Herder, Über den Ursprung der Sprache, S.698ff. u. 724.
39
Ebd., S.737.
40
Hegel, Jenaer Systementwürfe I, S.203.
37
210
eines einzelnen Dinges ist also nichts als „das unmittelbare Nichtexistieren desselben.“41 – Die
Sprache ist die ontologische Identität von Ich und Ding.
Der tönende Name – wie z. B. die leere Stimme des Tieres – enthält „eine unendlich in sich
bestimmte Bedeutung“. Oder
„der Na e e istiert als Spra he. Sie ist der e istiere de Begriff des Be ußtsei s, die si h also
nicht fixiert, ebenso unmittelbar aufhört, als sie ist. Sie existiert im Elemente der Luft als eine
Äußerlichkeit der formlosen freien Flüssigkeit, indem sie so absolut außer sich ist, als sie ist, die
allge ei
itteile de E iste z hat.“42
Wäre die Sprache allein frei-flüssig, also, wäre die Bedeutung eines Wortes unendlich viel und jedes
Mal anderes, sodass es unmöglich wäre, den Sinn eines tönenden Namens ein ums andere Mal
nachvollzuziehen, wie kann man sich dann an einen Namen stets genau in einem und demselben
Sinne erinnern und ihn in einer und derselben Sprache zum Bewusstsein bringen?
2. Bereits Herder versucht, die Frage nach der Konkretheit der Namen zu beantworten, indem er auf
den familiären bzw. kulturell-gemeinschaftlichen Sinn der Sprache verweist. Dies soll im Folgenden
kurz erläutert werden, um anschließend die Bedeutung der Herderschen Argumentation für Hegel
wie auch den entscheidenden Unterschied in dieser Frage zwischen beiden aufzuzeigen.
Im zweiten Teil „Auf welchen Wege der Mensch sich am füglichsten hat Sprache erfinden können
und müssen“ im Buch Über den Ursprung der Sprache argumentiert Herder, dass die Tiere wegen
ihres träumenden Geistes keine Sprache haben könnten:
„Tiere er i de ihre Geda ke , du kel, oder klar, a er i ht deutli h. So
ie freili h die
Gattung, die nach Lebensart und Nervenbau dem Menschen am nächsten stehen, die Tiere des
Feldes, oft viel Erinnerung, viel Gedächtnis, und in manchen Fällen ein stärkeres als der Mensch
zeige : so ists ur i
er si
li hes Gedä ht is; […] Es lei t also ur i
er ei de
Ei zel e
sinnlichen Falle hangen, und sein Gedächtnis wurde eine Reihe dieser sinnlichen Fälle, die sich
producieren und reproducieren – aber nie durch Überlegung verbunden: ein Mannichfaltiges
ohne deutliche Einheit: ein Traum sehr sinnlicher, klarer, lebhafter Vorstellungen, ohne ein
Hauptgesetz des helle Wa he s, die diese Trau
41
42
43
ord e.“43
Ebd., S.202.
Ebd.
Herder, Über den Ursprung der Sprache, S.772.
211
Herder meint, dass das tierische Gedächtnis stets alles Sinnliche durcheinander bringe, weil ihm eine
deutliche Ordnung durch (sprachlich verfasste) Überlegung (bzw., mit Hegel gesprochen, durch den
Verstand) fehlt. Nur der Mensch als sprachfähiges Wesen kann eine solche Ordnung hervorbringen.
„Ko
te
u der erste )usta d der Besi
u g des Me s he
i ht oh e Wort der Seele
würklich werden: so werden alle Zustände der Besonnenheit in ihm sprachmäßig: seine Kette
von Geda ke
ird ei e Kette o Worte .“44
Der denkende Mensch muss sprechen, sich der Sprache bedienen. Was er denkt, ist aber kein bloß
Sinnliches; das sinnliche Zeichen ist vielmehr (primär) ein klangliches „Merkmal“ oder
„Merkwort“45. So gibt das „Blöken“ des Lammes dem Menschen den Eindruck, dass es eben ein
„Lamm“ ist, das blökt, und kein Löwe. Das „Blöken“ des Lammes wird ihm mithin zum
Unterscheidungszeichen zwischen Lamm und Löwe, zu einem Merkwort, mit dessen Hilfe er sich
auch dann an das Lamm erinnern kann, wenn er es nicht mehr sinnlich anschaut. Also erst durch das
tönende Merkwort kann man ein bestimmtes Besonderes genau erkennen und als solches
identifizieren.
Die Frage danach, wie man sich an den bloß tönenden Namen genau erinnern könne, ist damit aber
noch nicht hinreichend beantwortet. Denn noch ist der Fall denkbar, das ein klangliches Merkwort
nur für einen bestimmten Menschen deutlich, es also subjektiv-willkürlich und rein privat ist. Das
private Merkwort würde – allgemein gesehen – aber keine konkrete Bedeutung besitzen.
Um auch dieses Problem aufzulösen, argumentiert Herder, dass sich die Sprache notwendig mit
dem Wachstum der menschlichen Gesellschaft entwickle, da das menschlichen Denken oder die
menschliche Besonnenheit gesellschaftlich sei:
„Der Me s h ist i
sei er Besti
Fort ildu g ei er Spra he ir ih
u g ei
Ges höpf der Herde, der Gesells haft: die
also atürli h, ese tli h, ot e dig.“46
Zunächst erwähnt Herder die „Familienfortbildung der Sprache“, die durch das „Band des
Unterrichts und der Erziehung“ in einer Familie ermöglicht wird.47 Dann entstehen notwendig die
Ebd., S.774. Die enge Beziehung zwischen den Begriffen „Verstand“ und „Sprache“ zeigt sich auch in Herders
Metakritik: „Ontologie liegt allen zum Grund; denn alle gebrauchen ihre Sprache; rechtverstanden ist sie nichts als
Philosophie der allgemeinen Verstandessprache. […] Ihrer [der Ontologie] Natur nach ist sie nichts als die reinste
Philosophie der Verstandes- und Vernunftsprach.“ (Herder, Metakritik, S.412, vgl. auch S.419-429)
45
Herder, Über den Ursprung der Sprache, S.723.
46
Ebd., S.783.
47
Vgl. ebd., S.785f.
44
212
Sprache des Stammes 48 und die Nationalsprache 49 . Diese Notwendigkeit der Fortbildung der
Sprache kommt nach Herder aus der Kontinuität des menschlichen Geistes (bzw. aus unserer
gemeinsamen Besonnenheit):
„Dur h Beso
e heit
ird also ei
progressi es Ei s aller )ustä de des Le e s – mithin
Fortbildung der Spra he.“50
Für Herder kann die Sprache also nicht privat sein, da man sie spricht, um eine Erkenntnis von einem
anderen zu empfangen oder ihm mitzuteilen. Es ist m.a.W. der Mensch als Gattungswesen, der die
Sprache spricht, die die ganze Welt durch das Empfangen und Mitteilen von Erkenntnis konstruiert.
Eben in diesem Sinn geht „endlich […] dieser sonderbare Plan [des progressiven Eins aller Zustände
des Lebens] auch aufs ganze Menschengeschlecht fort; und dadurch wird eine Fortbildung im
höchsten Verstande, die aus den beiden vorigen unmittelbar folgt“, so dass „der erste Gedanke in der
ersten menschlichen Seele […] mit dem letzten in der letzten menschlichen Seele
zusammen[hängt].“51 Weil also der menschliche Geist (die Besonnenheit) weltlich oder universal ist,
ist er allgemein. Er ist aber nicht einfach unmittelbar allgemein, sondern erst durch die Vermittlung
im
Gattungsprozess.
Dieser
Prozess
ist
keiner
der
einfachen
Fortpflanzung
des
Menschengeschlechtes, sondern die Entwicklung der menschlich-sprachlichen Erkenntnisse. Nur als
Volkgeist kann die Sprache völlig entfaltet werden, mithin auch das allgemein-menschliche Denken.
Dementsprechend ist klar, wie man sich – allgemein gesehen – an den tönenden Namen genau
erinnern kann, nämlich durch das Empfangen und Mitteilen im Volk und in der Gesellschaft. Die
Eltern bringen ihrem Kind die Wörter bei, die sie wiederum von ihrer Eltern gelernt haben. In der
bestimmten Gesellschaft teilen die Leute einander die Wörter mit und entwickeln sie dabei
allmählich weiter. Daher wird ein Name in seiner genauen Bedeutung allgemein akzeptiert. Die
Identität im Prozess des Empfangens und Mitteilens von Erkenntnis gewährleistet unser Geist (oder
unsere Besonnenheit) selbst, da er an sich universal ist.
3. a) Zweifellos gehört die Sprache bei Hegel wie bei Herder zum allgemeinen Volksgeist.52 Darin
besteht die größte Ähnlichkeit zwischen beiden. 1803/04 behauptet Hegel deutlich, dass das ganze
48
49
50
51
52
Vgl. ebd., S.787f.
Vgl. ebd., S.791ff.
Ebd., S.799.
Ebd., S.800.
K. Düsing hält fest, dass es in der Philosophie des Geistes von 1803/04 keinen Platz für das Einzelne geben kann, da
213
Bewusstsein „als der Geist eines Volks existiert“.53 Der Volksgeist ist allgemein und unendlich. Er
ist zugleich auch die wirkliche Mitte zwischen den Individuen. Was wegen der Vielheit des
individuellen Bewusstseins niemals als das bestimmte Sein bewiesen wird, kann nur durch das
einfache Wesen dieser Vielheit im Volksgeist als das Reale begriffen werden:
„Dies ist das )iel, die a solute Realität des Be ußtsei s, i die
ir sei e Begriff zu erhe e
haben. Es ist die Totalität, die es als der Geist eines Volkes hat, der absolut das Bewußtsein aller
ist, den sie anschauen und als Bewußtsein sich entgegensetzen, aber ebenso unmittelbar ihre
Entgegensetzung, ihre Einzelheit in ihm als aufgehoben erkennen oder ihr Bewußtsein als ein
a solut Allge ei es.“54
„Die absolute Realität“ heißt hier die ontologische Einheit mit ihrer kategorial-bestimmten Ordnung
im Ich. Sie existiert aufgrund des Volksgeistes, da das einzelne Bewusstsein beschränkt ist und daher
den ontologischen Beweis niemals allgemein liefern kann. Durch den Volksgeist (die Mitte zwischen
den Individuen) wird alles nach der bestimmten Ordnung in eins synthetisiert. Jedes Individuum
muss nun als ein real bestimmt existierendes Glied der Totalität der Mitten erkannt werden:
„I de
ir also die Gliederu g des Be ußtsei s zu sei er Totalität erke
e , so erke
e
ir
es, wie es sich als Moment, in einer Bestimmtheit ist, und es ist als eine Bestimmtheit, als eine
in Entgegengesetzten, indem es eine Mitte ist; und die Organisation desselben an der Realität
sei er Mo e te ei e Orga isatio sei er For e als Mitte .“55
Der Volksgeist ist in seiner ersten Potenz aber die Sprache:
das Selbstbewusstsein des Einzelnen „sich schließlich in der Substanz des Volksgeistes versenken und sein
selbstständiges Dasein aufheben soll“ (K. Düsing, Endliche und absolute Subjektivität, in: Hegels Theorie des
subjektiven Geistes, S.38.). Auch in Hegels reifer Philosophie des Geistes (1830) bleibt die Struktur, die Einzelheit in der
Volkssprache nicht zu fixieren, in dem Maße erhalten, wie die Sprache die allgemeine Vernunft bedeutet (vgl. Hösle,
Hegels System. Der Idealismus der Subjektivität und das Problem der Intersubjektivität, S.401-411.). Auch Düsing
bestätigt, dass der sich erkennende Geist seit 1805/06 „nicht mehr endliche, sondern absolute Subjektivität“ ist. Und das
Programm der Psychologie „besteht darin, die verschiedenartigen Leistungen und Vorstellungsweisen des endlichen
Bewusstseins und das durch sie jeweils verschiedenartig Konstituierte in einem durchgängig notwendigen genetischen
Zusammenhang, d.h. systematisch aus einem Prinzip zu entwickeln, nämlich aus einem leitenden Begriff der Struktur des
Selbstbewusstseins“ (K. Düsing: Endliche und absolute Subjektivität, S.41 und S.51). M.E. setzt der subjektive Geist
dieses Prinzip genau kraft der allgemeinen Volkssprache, insofern diese nicht von einem Einzelnen und auch nicht
sinnlich gesprochen werden kann. Weil dieses sprachliche Prinzip und daher auch die Tilgung der Einzelheit in der
Sprache nur formell ist, bleibt dabei die Frage noch „ungeklärt“, „wie aber die Einzelheit des subjektiven Geistes zur
Einzelheit der absoluten Subjektivität und des absoluten Geistes steht.“ Diese Frage kann vermutlich erst im
Zusammenhang mit der Weltgeschichte beantwortet werden (vgl. ebd., S.57f.).
53
Hegel, Jenaer Systementwürfe I, S.187.
54
Ebd., S.190.
55
Ebd., S.191.
214
„Je e erste ge u de e E iste z des Be ußtsei s als Mitte ist sei
Sei
als Spra he, als
Werkzeug u d das Gut. Oder als ei fa hes Ei ssei : Gedä ht is, Ar eit u d Fa ilie .“56
„Die Spra he ist nur als Sprache eines Volks, ebenso Verstand und Vernunft. Nur als Werk eines
Volks ist die Sprache die ideale Existenz des Geistes, in welcher er sich ausspricht, was er
sei e
Wese [ a h] u d i sei e
Sei ist“.57
Nur in diesem Sinne kann die Allgemeinheit und Notwendigkeit der Sprache verstanden werden. Sie
ist niemals die willkürliche Sprache des Einzelnen, sondern wird immer von uns in einem Volk
zusammen konstruiert und gemeinsam akzeptiert.
„Die Spra he, die si h zu
Versta de erhe t, geht da it ieder in sich, sie hebt den einzelnen
gesprochenen Namen auf – der Begriff, wie alles, fällt selbst in die Sprache und [ist] ein absolut
itzuteile der.“
D.h., die Sprache existiert – wie bei Herder – notwendig in der gesellschaftlichen Mitteilung:
„Der aufgehobene Namen oder er als ein Gesetzter nicht nach seinem Einzelsein, sondern nur
seiner Beziehung nach, d.h. als allgemeiner oder der Begriff, muß sich absolut in sich
reflektiere .“58
Durch diese allgemein bestimmte Beziehung kann man nur genau wissen, was ein tönender Name
bedeutet, weil dieser Name in jener Beziehung nicht mehr beliebig existiert, sondern für alle Leute
das gleiche bedeutet.
b) Trotz der Gemeinsamkeit bzgl. der gemeinschaftlichen Konstitution der Sprache, ist der
Unterschied der Sprachauffassungen Hegels und Herders genau besehen grundlegend und resultiert,
so die These, aus der Tilgung der Zeit und dem logisch-geistigen Sinn der Sprache bei Hegel.
Bei Herder ist die Entwicklung der Sprache eine historisch-erfahrungsmäßige Entwicklung qua
gemeinsamer Vernunft:
„Es gehört ei großer Grad Küh heit oder U
isse heit dazu, zu leug e , daß si h i ht die
Sprache mit dem menschlichen Geschlecht nach allen Stufen und Veränderungen fortgebildet:
56
Ebd., S.193.
Ebd., S.226. Hegel verweist auch auf die Beziehung zwischen Sprache und Familie, wonach die Sprache erst in den
Familien realisiert werden kann (vgl. ebd. S.218, Fußnote).
58
Ebd., S.206.
57
215
das zeigt Geschichte und Dichtkunst, Beredsamkeit und Grammatik, ja wenn alles nicht, so
Ver u ft.“59
Diese Vernunft ist in diesem Sinne keine reine Vernunft oder kein reiner Verstand ohne
Zeitgeschichte, sondern die anthropologische Vernunft in der Zeiterfahrung. Während Herder also
nicht behaupten möchte, dass die vernünftige Sprache zeitlos ist, stellt Hegel gerade die Zeitlosigkeit
der Sprache fest. Er spricht niemals einfach von der historisch-erfahrungsmäßigen Entwicklung der
Sprache, sondern hält sie vielmehr für eine zeitlos-logisch strukturierte Ordnung, die durch die reine
Vernunft erst als die absolute Form innerhalb der Inhalte der menschlich-anthropologischen
Erfahrungen dargestellt wird.60 Hegel bemüht sich also um keine empirische Geschichte der Sprache,
sondern interessiert sich nur für ihre begriffliche Struktur, deren Identität zwar auch von der Vernunft
gewährleistet wird, die aber niemals als zeitlich-endliche, sondern kraft des rein unendlichen Ich
wirkt. Während Herder die Notwendigkeit der Sprache wegen der Unvollkommenheit der
menschlichen Historie nur aufgrund der zu seiner Zeit bekannten Dokumente beweisen kann,
beweist Hegel sie vollkommen aufgrund logisch-ewiger metaphysischer Strukturen, aus der
ursprünglich-reinen Idee, die alles Reale aus sich selbst heraus hervorbringt.61 M.a.W.: Eine stets nur
allmählich fixierte, bloß anthropologische Bestimmung des Namens in einer relativ bestimmten
Zeitphase der menschlichen Historie befriedigt Hegel grundsätzlich nicht. Er setzt diese Bestimmung
vielmehr als den absolut unveränderlich-philosophischen Grund. Dazu benötigt er letztendlich kein
Zeitliches mehr, sondern allein die ewigen Ideen des Namens. Die Tilgung der Zeit und die
Logifizierung der Sprache führen zur absoluten Entsinnlichung des menschlichen Bewusstseins.
59
Herder, Über den Ursprung der Sprache, S.808. In der Metakritik kritisiert Herder Kant sogar dafür, dass bei ihm die
zeitliche Kausalität gar nicht wirklich zeitlich sein könne. „Die Bedingung aber ist nie die Zeitfolge, sondern das
Wirkende in ihr, wonach eben gefragt wird. Die gegebene Regel also ist kein Aufschluß, sondern eine Tautologie der
Frage.“ (Ebd.) Dagegen lautet Herders Ziel: „So muß nicht nur Klassen und Arten des Vortrags der Begriffe, sondern in
Bildung der Begriffe selbst die gesamte Sprache ein Ausdruck des anerkennenden Verstandes sein und als solcher ihre
lebendige Form bewähren.“ (Ebd., S.427) Die Bildung muss also für Herder in einem lebendigen geschichtlichen Prozess
geschehen, der eben der zeitliche Prozess der Anerkennung ist. Die Anerkennung sei „bewährbar durch Erfahrung“ (ebd.,
S.447) und bilde die „praktische[n] Grundsätze des erfahrenden Verstandes“ (ebd., S.460). „So entstand die menschliche
Sprache; sie ist von Gemeinwörtern voll, die in einer langen Zeitfolge erst partikularisiert wurden, lange noch nicht alle
partikularisiert sind, und nie alle pratikularisiert werden können und werden.“ (Ebd., S.551, vgl. auch S.596) Zeit meint
bei Herder mithin „einen Erfahrungsbegriff“, der – im Gegensatz zu Kant – „keine notwendige Vorstellung [ist], die allen
Anschauungen zum Grund läge.“ (Ebd., S.361) Sie geschieht vielmehr „nach Datis der menschlichen Natur und
Sprache“ (ebd., S.357) und, kann nur zu einem praktischen Zweck hervorgebracht werden (ebd., S.358). Dagegen bleibt
die Sprache bei Hegel schlechthin im theoretischen Teil – und zwar unzeitlich.
60
Vgl. Hegel, Jenaer Systementwürfe I, S.206.
61
Selbstverständlich könnte man sagen, dass die Sprache bei Hegel auch geschichtlich ist. Jedoch ist diese Geschichte
im strengen Sinn nichts anderes als die Weltgeschichte, die nicht wie bei Herder anthropologisch, sondern vielmehr
logisch-philosophisch gedacht wird.
216
Diese Entsinnlichung bedeutet nicht nur, dass das sprechende menschliche Bewusstsein sich
grundsätzlich vom animalischen Bewusstsein unterscheiden muss und überhaupt nicht mehr tierisch
sein kann, sondern auch, dass die menschliche Intelligenz ohne alle zeitlich-räumlichen
sinnlich-endlichen Inhalte existiert. Die Intelligenz in der Sprache ist schlechthin unendlich und
allgemein; sie ist „die absolute Leerheit des Unendlichen, das Formale der Vernünftigkeit, die
einfache, absolute Abstraktion der Einheit“,62 und ist daher nichts. Der Nihilismus charakterisiert die
Selbstbestimmung der an sich unendlichen Sprache. Diese Konsequenz, die bei Herder undenkbar ist,
führt eine tiefgreifende Schwierigkeit in die Zeittheorie und Sprachphilosophie Hegels ein, das
Wiederauftauchen des Nihilismus nach der Tilgung der Zeit.
7.3 Das Wiederauftauchen des Nihilismus in Hegels Zeittheorie nach der Tilgung der
Zeit
Die bisherige Darstellung hat drei Schritte aufgezeigt, durch die sich die Tilgung der Zeit bei Hegel
vollzieht:
1. Mit der Entwicklung von der Natur zum Geist wird die endlich-natürliche Zeit im subjektiven
Verhältnis von Bild und Ding erstmals getilgt und durch die unendlich-geistige Zeit ersetzt. Durch
diese schaut man keinen natürlichen Gegenstand direkt an, sondern seinen Gegenstand, d.i. ein
Korrelat der eigenen innerlichen Erinnerung. Diese bedeutet die Aufbewahrung der Dinge in der
‚Weltnacht‘, in der bloßen Innerlichkeit des Ich. Dabei taucht die Gefahr des Nihilismus auf, d.h. die
Unvollkommenheit des ontologischen Beweises im bloß innerlichen Ich.
2. Die Unvollkommenheit des ontologischen Beweises kann durch die Unvollkommenheit der
Tilgung der Zeit gezeigt werden, die die potenzielle Entzweiung (von allgemeiner Zeit und ihren
Inhalten) innerhalb der geistigen Zeit selbst ist. Im subjektiven Zeichen gibt es keine bestimmte
Äußerung der Inhalte des Ich. Insofern die geistige Zeit selbst entzweit ist, ist der ontologische
Beweis für das konkrete Sein des Subjekts nicht hinreichend. Die Gefahr des Nihilismus bleibt
weiterhin bestehen.
3. Der Nihilismus muss durch die Sprache überwunden werden, während die Zeit im Namen und in
der Sprache völlig getilgt wird. Die bloße Innerlichkeit der geistigen Zeit muss sich äußern, um das
Ebd., S.206. Vgl. auch Hegel, Jenaer Systementwürfe III, S.185: „Diese Intelligenz ist frei, aber ihre Freiheit ist
umgekehrt ohne Inhalt, auf dessen Kosten, durch dessen Verlust eben sie sich befreit hat.“
62
217
Sein ihres Inhalts nicht nur als ein Jemeiniges, sondern vielmehr als sein Sein konkret zu bestimmen.
Das geäußerte Dasein ist der Name, dessen Gegenstand das Sinnliche ist. Weil aber das geäußerte
Sinnliche auch zum Ich gehört, muss das Ich es für das Seinige halten. Das Ich muss erkennen, dass
das sinnliche Sein nichts als etwas von ihm selbst Produziertes ist und dass das unendliche Ich die
ursprüngliche Schöpfungskraft ist. Diese Schöpfungskraft der Selbstäußerung ist die Sprache. Das
Dasein ist nun bloß ausgesprochen oder ausgedacht und bekommt seinen kompletten ontologischen
Nachweis in der sprachlichen Totalität der subjektiven Beziehungen, in der die Entsinnlichung des
Namens geschieht. Daher verschwindet der erste Nihilismus, der aus dem Mangel des ontologischen
Beweises resultierte, indem jedes Glied nun nach der sprachlichen Kategorie deutlich fixiert wird.
Jedoch zeigt sich nach der Tilgung der Zeit zugleich ein neuer, anderer Nihilismus, d.i. der
Nihilismus in der bloßen Begrifflichkeit des Ich, und verweist damit auf problematische
Konsequenzen, die sich aus der Tilgung der Zeit ergeben.
Im Folgenden wird zunächst dargestellt, wie genau der neue Nihilismus in der Sprache erscheint
(Kapitel 7.3.1), um dann im Ausgang von ihm die Probleme der Zeittheorie Hegels detailliert
diskutieren zu können (Kapitel 7.3.2).
7.3.1 Das Wiederauftauchen des Nihilismus nach der Tilgung der Zeit
Die Sprache ist eine freie Kraft, die alles aus sich selbst heraus ausdenkt. Sie ist daher „DIE
STOFFLOSE BESCHÄFTIGUNG und Bewegung des Geist mit sich“. 63 Tatsächlich muss das
natürlich-zeitliche, materielle Endliche hier grundsätzlich unbrauchbar sein, denn, worum es Hegel
bisher allein geht, ist der ontologische Beweis des Selbstbewusst-Seins in allem Dasein. Obwohl –
wie im ersten Teil der vorliegenden Arbeit gezeigt wurde – das Endliche (das Anderssein des
unendlichen Geistes selbst) auch Teil des ontologischen Beweises des geistigen Selbstseins ist,
kommt ihm darin keine substantielle Bedeutung zu. Denn der Nachweis eines materiellen und
äußerlichen Seins ist aus der innerlichen Bestimmung des Geistes, aus dem Selbstbewusstsein, nicht
zu leisten. Für den Geist selbst geht es vielmehr um einen stofflosen und innerlichen Beweis. Wenn
der Geist z.B. den Esel „Esel“ nennt, weiß bzw. setzt er bereits zugleich die Art der
63
Hegel, Jenaer Systementwürfe III, S.178.
218
ontologisch-weltlichen Beziehung, die der Esel mit anderen Dingen hat, ohne sich um die Materie
des Esels zu kümmern.
Gleichwohl zielt Hegel nicht auf ein bloß „nominalistisches“ Ding. Vielmehr ist das Ding-Moment
„(so an sich und für uns) […] denkendes Anschauen, oder anschauendes Denken. Es sind nicht
gleichgültige Namen, sondern Momente, Teilung in ihm selbst; durch Arbeit hervorgebracht, es hat
dies Produkt zum Gegenstande und zunächst zum unmittelbaren; es ist begreifender Verstand,
verständige Notwendigkeit, Erklären, Suchen nach Ursache der Wirkung“.64 D.h., das Ding-Moment
ohne Materie entspricht unbedingt sowohl dem kategorialen Denken als auch der sinnlichen
Anschauung. Es ist in dem Maße nicht bloß nominalistisch, wie es auch wirklich angeschaut oder
empfunden werden kann. Das anschaubare Ding-Moment existiert in der Sprache aber nicht
aufgrund der Anschauung, sondern kraft der Vernunft. Seine ontologische Bestimmung ist rein
vernünftig, d.h. unsinnlich.
„Die I tellige z hat auf diese Weise i ht ei e a dere Gege sta d mehr zu ihrem Inhalte,
sondern sie hat sich erfaßt, und ist sich der Gegenstand, – das Ding, das Allgemeine ist ihr, wie
es a si h ist, aufgeho e es Sei , u d dies positi , oder als I h.“65
Das Seiende, d.i. alle Ding-Momente, ist m.a.W. nur die sich selbst erfassende Intelligenz. Erst als
das intellektuelle Bestimmte kann es vom Geist selbst angeschaut werden. Den Prozess der geistigen
Schöpfung des Ding-Moments nennt Hegel daher das Werden des Ich zum Ding, das nichts anderes
als das Werden des Ich zu sich selbst bedeutet. Allein in der Beziehung zwischen Ich und Ding – d.h.
zwischen produzierendem Ich und produziertem Ich – kann das Sein des Dings verstanden werden.
Trotzdem scheint es so, als könnte behauptet werden, dass das natürliche Ding auch ohne die geistige
Verwirklichung existieren würde. De facto muss dieses Ding aber überhaupt nicht existieren. Denn
erstens kann nur das Bewusstsein alle Dinge wirklich und immanent konstruieren, und zweitens ist
es undenkbar, dass ein Ding ohne alle denkbaren Beziehungen auf uns ein konkret
beweisbar-daseiendes Ding sein könnte.
Kein bewusstloses Sein ist für den Geist wirklich unerkennbar. Denn das bewusstlose Dasein
existiert nicht, weil es sein Sein für sich selbst hat, sondern nur, weil sein Sein vom Geist gefordert
wird, obwohl es ihm als solches unbekannt ist. Dieses Sein-Sollen wird als das von der Kategorie
64
65
Ebd., S.180.
Ebd., S.185.
219
bestimmte Dasein verwirklicht – und zwar nicht nur nominalistisch, sondern auch tatsächlich. Denn
das „Ich schaut die Kategorie an, es begreift, was es versteht, ist die Sache selbst – nicht aber darum,
weil es versteht, oder Form der Ichheit [ist] – sondern es versteht die Sache“.66 Kurzum: Nicht
aufgrund einer „nominalistischen“ Ichheit des Verstandes, sondern wegen der Sache selbst ist das
Ding, das in der Natur nur ein bewusstloses Sein-Sollen ist, bestimmt da.
Oben wurde die Tilgung des zeitlichen Dings dargestellt. Das Ding wird nur Ding genannt, weil es
vom Ich in seinen Weltverhältnissen verstanden und gesetzt wird. Ein absolut undenkbares Ding ist
ein Unding, egal ob es zeitlich ist oder nicht. Das Weltverhältnis muss vom Ich im Ich selbst
produziert werden. Demzufolge gilt: „Unterschied im Dinge ist Unterschied im Selbst.“ 67 Die
stofflose Beschäftigung des Geistes „mit sich ist eben dies, sich hervorzubringen; – die
UMGEKEHRTE als die, das Ding zum Ich [zu] machen; die Ordnung festhalten, ist der Gedanke des
eigenen Inhalts des Ich“.68 Aus dieser Umorientierung vom Ding zum Ich resultiert aber eine neue
Gefahr des Nihilismus, d.i. die Formalität der zeitlosen Intelligenz, die im Folgenden zu betrachten
ist.
Obwohl jetzt alles vom Ich als real Seiendes bewiesen wird, ist die Realität des Seienden allein
eine subjektiv ausgedachte. Sie existiert nicht im Einzelnen selbst, sondern ausschließlich im
allgemeinen Weltverhältnis bzw. in der intellektuellen Einzelheit. Ein einzelner Name hat seine
Realität nur, weil er in Beziehung auf den Verstandesbegriff bestimmt ist. Ob dieses (ideal) Reale als
das Einzelne noch an sich (bestimmt) ist, ist völlig gleichgültig. Denn alles Einzelne – sowohl das
Natürlich-Zeitliche als auch das Sinnlich-Zeitliche – ist in der Sprache vollkommen getilgt. Daher
wird der äußerliche und beziehungslose Name als das Einzelne überhaupt aufgehoben. Denn der
Name existiert nicht, wie Hegel unterstreicht, weil er das geäußerte Einzelne ist, sondern weil er in
der Beziehung wirklich bestimmt wird:
„Der aufgeho e e Na e
oder er als ei
Gesetzter
i ht
a h sei e
Ei zelsei ,
sondern nur seiner Beziehung nach, d.h. als allgemeiner oder der Begriff, muß sich
a solut i si h reflektiere .“69
66
67
68
69
Ebd., S.180, Fußnote.
Ebd., S.181.
Ebd., S.180.
Hegel, Jenaer Systementwürfe I, S.206.
220
D.h., was das Ich für sich produziert, ist nur das Sein in der ontologischen Beziehung, die aufgrund
der inneren Ichheit bloß allgemein ist. Das Ich kann zwar erklären, wie und wieso ein Einzelnes –
allgemein und als Notwendiges betrachtet – für uns bewusst sein muss, die Realität des Ansichseins
des Einzelnen als Einzelnes kann es jedoch nicht hervorbringen.70
Das vom Ich produzierte Ich (der Gegenstand des Ich selbst) ist m.a.W. nur ein Korrelat seines
Denkens. Dass dieses Korrelat auch ein konkretes Dasein an sich ist, kann der Verstand nicht
garantieren. Wenn wir durch die logisch-geistige Sprache deduzieren können, dass dies oder das
notwendig sein muss, dann können wir dies also deshalb, weil es von uns immer schon so oder so
bestimmt ist. (So muss bspw. der Esel sein, weil er als Name in meinem Gedächtnis bestimmt wird
und von mir ausgesprochen werden kann – genauer, weil ich mir erstens ziemlich sicher bin, dass
mir mein Gedächtnis Wahres zeigt, da ich in ihm das Sein des Esels auch in einer streng bestimmten
Ursache-Wirkungskette verstehen kann; und weil ich zweitens vom Esel rede wie alle anderen
Angehörigen meines Volkes, die alle verstehen können, was ich mit dem Wort „Esel“ meine.) In
diesem Sinn beweisen wir das Sein eines Einzelnen im Verhältnis zu uns nach einer allgemeinen
Weise. Dieser Beweis ist aber nicht hinreichend, um das Ansichsein des Einzelnen als Einzelnes zu
zeigen, da er allein kraft der reinen Intelligenz erbracht wird. Weil die Intelligenz kein Dasein des
Einzelnen als Einzelnes hervorbringt, schafft sie ihren Inhalt nur als eine allgemeine Einzelheit,71 in
der das Ansichsein des konkreten Einzelnen als Einzelnes durch das gedachte Ansichsein im
allgemeinen Verstand völlig negiert wird.72 Ohne das daseiende Einzelne ist diese intellektuelle
Einzelheit „reine Beziehung, die absolute Leerheit des Unendlichen, das Formale der Vernünftigkeit,
die einfache, absolute Abstraktion der Einheit, die Reflexion als Punkt. Als diese absolute
T. Sören behauptet, dass niemand die Endlichkeit des an sich Endlichen im Systemzyklus von 1805/06 bestreit; „zu
bestreiten ist allerdings, daß das Endliche, das Unvernünftige als solches dasjenige ist, dem das letzte Wort vorbehalten
bleibt.“ (T. Sören, Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Eine Propädeutik, Marixverlag 2012, S.194) Tatsächlich liegt der
Streitpunkt darin, ob man – nicht wie Hegel, sondern wie Jacobi – das Endliche nicht für ein Unvernüftiges halten darf
und dieses nicht durch die Sprache tilgt. Nancy meint dazu, dass Hegels Philosophie „auf eine erste Art und Weise […]
nichts anderes“ macht, „als das Endliche als Endliches zu exponieren,“ (J.-L. Nancy, Hegel, übers. von. T. Laugstien und
J. Etzold, diaphanes, Zürich 2011, S.186), ignoriert dabei aber die Frage, wieso Hegel dann das Zeitlich-Endliche tilgen
will.
71
Vgl. Hegel, Jenaer Systementwürfe III, S.184: „Der Verstand ist Vernunft, und sein Gegenstand ist Ich
selbst.“ Fußnote dazu: „(oder daß die Einzelheit, der INHALT der Sprache, als rein negative Einzelheit wird; – es wird
Gegenstand als solcher)“.
72
Vgl. ebd.:„Die Dingheit als Sein vorgestellt geht aus dem Urteil in den Schluß über; die Beziehung durch den
Gegensatz ist ein Anderes, Drittes; aber, jedes ist durch das Dritte mit dem Anderen vermittelt, das Einzelne nach seinem
sich auf sich Beziehen ist es ansich nicht da, der Verstand ist sein Ansich. Er ist das Innere eines jeden.“ Vgl. auch Hegel,
Jenaer Systementwürfe I, S.207.
70
221
Abstraktion ist das Bewußtsein in seiner negativen Beziehung absolut geworden; es vertilgt alle
Bestimmtheit, ist rein sich selbst gleich.“73 D.h., diese Einzelheit ist an sich leer – nicht weil das
Bewusstsein das Sein des Inhalts der Einzelheit nicht beweisen kann, sondern weil dieses Sein nur in
einem subjektiven Verhältnis (aus)gedacht wird, an sich aber nichts ist. Die Vertilgung des konkreten
(zeitlichen) Einzelnen durch die Intelligenz nennt das Ich ihre absolute Freiheit. Zu gleicher Zeit
verliert sie aber, wie Hegel ausführt, ihre realen Inhalte:
„Diese I tellige z ist frei, a er ihre Freiheit ist u gekehrt oh e I halt, auf desse Koste , dur h
dessen Verlust eben sie sich befreit hat. Ihre Bewegung ist die entgegengesetzte, sich zu
erfüllen […] durch Erzeugung [eines Inhalts] und zwar eines solchen, worin sie das Bewußtsein
ihres Tu hat; d.h. ihrer als des Setze s des I halts, oder si h zu
I halte Ma he s.“74
Aufgrund der Leerheit der Intelligenz entsteht ein neuer Nihilismus in der Sprache. Weil sie ohne
Inhalt existiert, wird die Intelligenz von Hegel als Form bestimmt, die das wahrhafte Sein nur
theoretisch beweist.75 Obwohl der ontologische Beweis im Selbstbewusstsein nicht fehlt, führt er als
bloß theoretischer zu einem neuen Nihilismus, d.i. zum Nichtsein des einzelnen Inhalts als solcher.
7.3.2 Die Tilgung der Zeit und das Grundproblem der Zeittheorie Hegels
Die Überwindung des Nihilismus durch die Tilgung des zeitlichen Einzelnen führt, so zeigte sich, in
einen neuen Nihilismus, der gerade aus dem Mangel am zeitlich-endlichen, realen Einzelnen als
solchem resultiert. Diese grundlegende Schwierigkeit der Zeittheorie Hegels hat ihren strukturellen
Grund in der Doppelheit des Hegelschen Zeitkonzepts. Inwiefern Hegel zwei miteinander
kollidierende Zeittheorien als immanente Einheit zusammenzudenken versucht, soll im Folgenden
noch einmal systematisch zusammengefasst und vertieft werden.
1. Das zeitliche Einzelne, so Hegels Zeittheorie im ersten Sinne, ist negativ. Dies heißt einerseits,
dass alles in der Zeit entsteht und vergeht bzw. dass alles zu einem anderen wird, insofern es endlich
ist und vom anderen negiert wird. Die Negativität existiert innerhalb der Endlichkeit des Zeitlichen.
73
Hegel, Jenaer Systementwürfe I, S.206f.
Hegel, Jenaer Systementwürfe III, S.185.
75
Vgl. ebd.: „Im theoretischen [weiß die Intelligenz] wohl auch im Bilde, [in der] Erinnerung, sich selbst, aber nicht als
Inhalt, sondern als Form“.
74
222
Andererseits jedoch zeigt sich diese Negativität auch im Widerspruch zwischen dem
zeitlich-endlichen Einzelnen und dem zeitlosen Allgemeinen:
„Das Ei zel e a er als das egati e ist das egati e Auss hließe de ei es A dere , des i ht
Negati e , des Allge ei e “.76
Das Einzelne ist also nur für den Augenblick bei seinem Selbst, wird aber in der natürlichen Zeit
sofort zum anderen Endlichen. Es existiert m.a.W. im absoluten Werden und kann sein Selbst
niemals erkennen, weil dieses „Selbst“ sich immer verändert. Das Endliche hat mithin in der
natürlichen Zeit kein wirkliches Selbstbewusstsein, weil es noch nicht mit dem anderen ontologisch
identifiziert werden kann. Hingegen hat das Einzelne in der geistig-sinnlichen Zeit sein Selbstsein im
singulären Namen nur auf beziehungslose Weise. Allgemein gesehen ist es vollkommen gleichgültig,
ob das Selbstsein des Einzelnen auch tatsächlich existiert. Denn, was auch immer es ist, hat es als
reales Einzelnes mit dem Allgemeinen nichts zu tun. Das Einzelne ist daher zwar die Äußerung des
allgemeinen Geistes, diese Äußerung bleibt aber noch schlechthin willkürlich und unbestimmt.
Anders formuliert: Durch die geistige Bestimmtheit wird das Einzelne noch nicht mit dem
Allgemeinen identifiziert. Die kontinuierlich-bestimmende ontologische Identität fehlt sowohl
zwischen dem Einzelnen und dem Allgemeinen als auch zwischen zwei Zeitlich-Endlichen. Die
Negativität des zeitlichen Einzelnen bedeutet in diesem Sinn den Mangel an höherer Einheit bzw. die
bloß reflexive Entzweiung in der Zeit.
Diese unvollkommene Reflexion manifestiert sich nicht nur in der Entzweiung zwischen den
natürlichen Zeiten und der geistigen Zeit, sondern auch innerhalb der geistigen Zeit selbst, d.i. in der
Entzweiung zwischen der allgemein-geistigen Zeitform und dem einzeln-geistigen Zeitinhalt. Um
die reflexive Entzweiung aufzuheben und die höhere Identität zu konstruieren, muss die Negativität
des zeitlichen Einzelnen negiert werden. Diese Negation der Negation ist die zeitlose Sprache. Sie ist
zeitlos, da sie nicht mehr in der zeitlichen Reflexion existiert. Vielmehr stellt sie die wirkliche
positive Einheit von Selbstsein und Anderssein dar. Das zeitliche Einzelne wird also vollkommen
vernichtet, weil es für den ontologischen Beweis qua ontologisch-unendlicher Identität nicht nur
76
Ebd., S.182.
223
unbrauchbar, sondern auch absolut unwirklich ist.77 Es ist also ein absolut unbestimmtes Unding,
dessen Realität nur in der Reflexion, nicht aber an sich gesetzt wird.
2. Dem zeitlichen Einzelnen kommt im zweiten Sinne des Hegelschen Zeitkonzepts hingegen an sich
eine wesentliche Realität und eine positive Kraft zum Sein zu.
Das natürlich-zeitliche Endliche, d.i. das Anderssein des Geistes selbst, muss an sich real sein.
Würde nämlich die Realität des Einzelnen allein aus dem unendlichen Geist heraus gedacht werden,
so würde diese Realität nur aufgrund des Selbstseins des Geistes existieren. Jedoch hat der
unendliche Geist seine Realität nur dann, wenn diese Realität nicht allgemein-formell, sondern
konkret-tatsächlich bewiesen werden kann. D.h. er ist real nur, wenn alle seine einzelnen Teile real
sind. Damit zeigt sich aber ein Zirkelschluss: Das endliche Einzelne wäre wegen des unendlichen
Ganzen real, weil es unwesentlich wäre; zugleich müsste das unendliche Ganze aber umgekehrt
wegen des endlichen Einzelnen real sein, sonst wäre es bloß formell. Wenn das unendliche Ganze
letztlich also allein aufgrund seiner selbst real wäre, dann wäre der Beweis dieser Realität nichts als
eine bloße Tautologie: Es ist real, weil es real ist.
Um diesen schlechten Zirkelschluss zu durchbrechen und so die Tautologie zu vermeiden, muss
das Einzelne an sich auch seine wesentliche Realität haben, die für das Allgemeine existiert. Dieser
entscheidende Punkt wurde im ersten Teil der vorliegenden Arbeit bereits dargestellt: Gegen den
Formalismus Schellings entwickelt Hegel in seiner Jenaer Naturphilosophie die Zeittheorie des
endlichen, aber wesentlich-ansichseienden Einzelnen, um den in der Formalität des unendlichen
Absoluten liegenden Nihilismus zu überwinden. Das Ansichsein des endlichen Einzelnen in der
Natur wird also durch die reale Zeit konstruiert. Das zeitliche Sein ist das reale Dasein des Einzelnen.
Ohne dieses verschwindet unvermeidlich auch das endlich-ansichseiende Einzelne. Auch wenn es
möglich ist, das Einzelne als ein Seiendes zeitlos-ontologisch zu definieren, so ist diese zeitlose
Definition nicht an sich wirklich. Denn ohne ein wirkliches Geschehen kann das zeitlose Einzelne
nur existieren, wenn es als Seiendes bestimmt wird. Eine solche Bestimmung schließt aber jedes
Vorher und Nachher, jedes Entstehen oder Vergehen aus und ist nichts anderes als eine ewige Kopula.
77
Auch H. Kimmerle betont die Vernichtung der Zeit in Hegels Jenaer Philosophie und sieht völlig richtig, dass die
Tilgung der Zeit nicht einfach eine normale Aufhebung darstellt, in der noch etwas Positives aufbewahrt ist, sondern ihre
gänzliche Liquidierung bedeutet, da die Negativität der Zeit als völlig unnütz und unwirklich gilt: „Schließlich wird die
Zeit als der letzte Rest der Natürlichkeit des Wissens nicht nur aufgehoben, sondern getilgt. Die Zeit wird getilgt, das
heißt, sie wird aufgehoben ohne Rest, auch der Rest wird noch vernichtet. Dann ist es freilich keine Aufhebung
mehr.“ (H. Kimmerle, Georg Wilhelm Friedrich Hegel interkulturell gelesen, S.64)
224
Das auf solche Weise bestimmte Einzelne ist nur das „ist“ selbst, das zwar durch alle Zeit hindurch
existieren kann, das aber schlechthin leer existiert, insofern ihm alle zeitlich-endlichen Inhalte
fehlen.
3. Die beiden skizzierten Bedeutungen widersprechen einander, insofern das Zeitliche nach dem
ersten Sinn getilgt, nach dem zweiten Sinn aber aufbewahrt werden soll. Zwar könnte man vielleicht
behaupten, dass sich in diesem Widerspruch der dialektische Charakter des Hegelschen Denkens
zeige, doch mindert dies de facto nicht das grundlegende Problem der Zeittheorie Hegels. Denn die
erste Bedeutung müsste mit der zweiten immanent vereinigt werden. Mehrere Gründe sprechen
jedoch dagegen, dass eine solche Vereinigung möglich ist:
a) Im Zentrum der ersten Bedeutung liegt ein immanenter Identitätsanspruch, der zwar erst nach
der vollkommenen Negation der zeitlichen Negativität vollständig sichtbar wird, aber in der Sache
bereits von Beginn an besteht. Die zeitlose Identität, d.i. die absolute Intelligenz, existiert m.a.W.
ursprünglich im Wesen der ganzen Zeit. Das Wesen der Zeit als die wahrhafte Identität ist daher
zeitlos. Die Negativität der Zeit stellt mithin keine wesentliche Negativität dar. Ferner muss das
Negieren der Zeit so radikal erfolgen, dass letztlich kein Zeitliches bewahrt wird. Existierte noch ein
Zeitliches, dann gäbe es noch etwas reflexives Entgegengesetztes, da die Zeit die reflexive
Entzweiung repräsentiert. Diese Entzweiung kann aber nicht mehr bestehen, insofern die zeitlose
Identität vollkommen ist. In ihr ist alles Entgegengesetzte aufgehoben, so dass kein zeitlich-reflexiv
Entgegengesetztes mehr existieren kann.
Es ist daher unmöglich zu sagen, dass das Zeitliche in der Vorstufe der Identität real existiert, denn
diese Vorstufe wird nur reflexiv gesetzt. In der Tat gibt es diese Vor-stufe überhaupt nicht, weil die
zeitlose Identität, für die kein Vor- oder Nachher existiert, bereits von Anfang an herrscht. Diese
Stufe kann eigentlich also nicht Vor-stufe genannt werden, weil das Zeitliche vor der Identität
bestünde, sondern allein deshalb, weil es sich selbst noch nicht erkannt hat.
Es ist auch nicht möglich, dass das Zeitliche außerhalb der Identität noch real ist, denn außer
dieser gibt es nichts. Die Identität ist also keine epistemische oder transzendentale Identität, der das
Selbstsein des Zeitlich-Endlichen zwar äußerlich entspricht, aber nicht diese Identität selbst ist.
Vielmehr konstituiert sie auf eine immanente Weise vollständig alles Zeitliche. Das Zeitliche kann
225
nicht deshalb ein Äußerliches genannt werden, weil es nicht innerhalb des Seins der Identität
existiert, sondern allein, weil es die Äußerung desselben ist.
Schließlich ist es auch unmöglich, dass das Zeitliche als Materie dieser Identität potenziell real
sein kann. Denn die Identität ist das absolut verwirklichte Sein des Zeitwerdens, in der es kein
materielles Potenzielles mehr gibt, sondern alles wesentlich-gegenwärtig ist. Die Identität produziert
ihre Inhalte zeitlos und stofflos für sich selbst.
Kurzum: Das Zeitliche kann in der absoluten Identität nicht bewahrt werden. In dem Maße wie die
Identität der Zeit von vornherein immanent ist, kann das Zeitliche niemals anders als ein
unwesentlicher, bloß reflektierter Vorschein gedacht werden.
b) Ein Ansichsein des zeitlichen Einzelnen kann es demnach nicht geben. Dies würde jedoch der
Forderung im zweiten Sinne widersprechen, so dass zu fragen ist, ob das zeitliche Einzelne (d.i. das
Anderssein der Identität selbst) auf irgendeine Weise gleichwohl weiter real existieren kann und was
dieses Anderssein dann bedeutet. Es kann, so viel ist unmittelbar ersichtlich, zumindest kein
gesetztes Korrelat der Intelligenz selbst meinen, insofern dasjenige, was als Korrelat der zeitlosen
Intelligenz gesetzt ist, selbst auch zeitlos sein muss.
Das Zeitliche, das wesentlich aufbewahrt werden soll, kann aber auch kein Natürliches, d.i. das
Anderssein des Geistes selbst, sein, da die Natürlichkeit hier überhaupt nicht mehr existiert. Falls das
Bedürfnis zur Aufbewahrung des Zeitlichen im Geist trotzdem erfüllt werden könnte, dann also nur
im Sinne eines Andersseins in der absoluten Identität selbst. Dies würde jedoch wiederum in einen
Widerspruch und eine neue Entzweiung führen und die Identität zu einer bloß reflexiven oder
relativen Identität machen, die jedoch in dem Maße ausgeschlossen ist, wie alles reflexiv
Entgegengesetzte bereits getilgt ist.
c) Das Dilemma, das Hegels Zeittheorie bestimmt, liegt damit offen zu Tage: Im Geist muss die
Zeit sowohl sein als auch nicht sein, sie kann aber weder sein noch nicht sein. Das abwechselnde
Auftauchen der beiden verschiedenen Nihilismen zeigt diese Schwierigkeit sehr präzise an. Hegel
selbst spricht zwar über die Einzelheit beim Übergang vom theoretischen Geist zum praktischen und
bemerkt auch den Nihilismus in der Sprache, aber doch nicht im Blick auf die Frage nach dem
Einzelnen als Einzelnem. Vielmehr gehört die Einzelheit, die der Inhalt des Ich ist, nach Hegel
schlechthin zum Ich und muss durch den Willen des Ich wiederum produziert werden. Dies hat
226
jedoch mit dem realen Einzelnen außer dem Ich und der Sprache nichts zu tun. Obwohl Hegel selbst
festhält, dass die Freiheit der Intelligenz „ohne Inhalt [ist], auf dessen Kosten, durch dessen Verlust
eben sie sich befreit hat“,78 sieht er also diesen Verlust letztlich als einen Gewinn, der den Anlass des
kommenden praktischen Geistes zeigt, nämlich „durch Erzeugung [eines Inhalts] und zwar eines
solchen, worin sie [die Intelligenz] das Bewußtsein ihres Tuns hat; d.h. ihrer als des Setzens des
Inhalts, oder sich zum Inhalte Machens.“79 Was hier als der Inhalt des Ich betrachtet wird, ist der
Wille und der Zweck des Ich, etwas wirklich zu produzieren, das aber im theoretischen Geist oder in
der intelligenten Sprache noch gar nicht produziert ist. Dieses Ich produziert für sich selbst seine
Einzelheit.80 Es ist nämlich an sich auch das Einzelne selbst,81 das niemals das Einzelne als das
absolut-reale Andere des Ich ist, sondern das zu verwirklichende allgemeine Ich. Eben weil das
einzelne Ich im allgemeinen Ich und im Selbstbewusstsein existiert, ist die oben genannte
Schwierigkeit nicht gelöst. Denn diese zeigt sich gerade aufgrund der reinen Ichheit. Hegel selbst
spricht zudem hier auch gar nicht mehr von der Zeitlichkeit. Das Beweisziel ist vielmehr die
wesentliche Freiheit des Ich, die nach der systematischen Tilgung der Zeit nur eine zeitlose
kategorial-allgemeine sein kann. Das zeitliche Einzelne ist als solches beim Übergang vom
theoretischen zum praktischen Geist gar nicht mehr thematisch.
Ein letzter Schritt ist für die Analyse der Entwicklung des Hegelschen Zeitbegriffs von 1803 bis
1805 indes noch offen. Denn obwohl Hegel am Anfang der Philosophie des Geistes (1805/06) die
Tilgung der Zeit darstellt, bedeutet dies nicht das Ende der Diskussion der Zeitproblematik. Vielmehr
stellt Hegel selbst am Schluss der Philosophie des Geistes auf hochgradig komplizierte und dunkel
Art noch einmal die Zeitfrage. Dort heißt es:
„Dies Wisse der Philosophie ist die
iederhergestellte U
ittel arkeit; – sie selbst ist die
Form der Vermittlung, des Begriffs; als Unmittelbarkeit ist der sich wissende Geist überhaupt –
und er ist Bewußtsein, unmittelbares sinnliches Bewußtsein – das sich unter der Form des
Seienden ein Anderes ist – das Entzweite in die Natur – und Wissen von sich – Er ist sein
ruhendes Kunstwerk – das seiende Universum, und die Weltgeschichte. – Die Philosophie
78
79
80
81
Hegel, Jenaer Systementwürfe III, S.185.
Ebd.
Vgl. ebd., S.186, Fußnote 1: „Der Trieb hat einen Inhalt, Zweck; das Entgegengesetzte ist es selbst, und zwar für es.“
Vgl. ebd.: Das Wollende ist „das Einzelne, Selbst, Tätigkeit, Wirklichkeit“.
227
entäußert sich ihrer selbst – kommt bei ihrem Anfange, dem unmittelbaren Bewußtsein an –
das eben das entzweite ist – Sie ist so Mensch überhaupt – und wie der Punkt des Menschen
ist – ist die Welt – und wie sie ist, ist er – Ein Schlag erschafft sie beide – Was ist vor dieser Zeit
gewesen – das Andere der Zeit – nicht eine andere Zeit, sondern die Ewigkeit, der Gedanke der
Zeit – darin ist die Frage aufgehoben; denn diese meint eine andere Zeit; – aber so ist die
Ewigkeit selbst in der Zeit, sie ist ein Vorher der Zeit – also selbst Vergangenheit – es ist
gewesen; absolut gewesen, es ist nicht – Die Zeit ist der reine Begriff – das angeschaute leere
Selbst in seiner Bewegung, wie der Raum in seiner Ruhe – Vorher, ehe die erfüllte Zeit ist; ist
die Zeit gar nicht – Ihre Erfüllung ist das Wirkliche aus der leeren Zeit in sich Zurückgekehrte –
sein Anschauen seiner selbst ist die Zeit – das Ungegenständliche – Wenn wir aber sagen, vor
der Welt – Zeit ohne Erfüllung – der Gedanke der Zeit, eben das Denkende, das in sich
Reflektierte. – Es ist notwendig hinauszugeben über diese Zeit, jede Periode – aber in den
Gedanken der Zeit; – jenes [ist die] schlechte Unendlichkeit, die das nie erreicht, wohinaus sie
geht.“82
Die Weltgeschichte wird auch hier also deutlich mit der Philosophie verbunden. Das Wissen der
Philosophie ist „die wiederhergestellte Unmittelbarkeit“, die die Weltgeschichte mit einem Schlag
erzeugt. Die Zeit in der Weltgeschichte ist ausschließlich der Zeitbegriff, nicht die
natürlich-äußerliche Zeit. Daher müsste der folgende Satz („Was ist vor dieser Zeit gewesen – das
Andere der Zeit – nicht eine andere Zeit, sondern die Ewigkeit, der Gedanke der Zeit – darin ist die
Frage aufgehoben; denn diese meint eine andere Zeit; – aber so ist die Ewigkeit selbst in der Zeit, sie
ist ein Vorher der Zeit“) so verstanden werden, dass sich die Frage nach dem „Vorher“ der Zeit nach
dem Paradigma von Augustinus dadurch nicht mehr stellt, dass es ein zeitliches „Davor“ gar nicht
gibt, weil es auch noch kein Nachher und überhaupt keine Zeitform gibt. Was „Vor-der-Zeit“ und das
Andere der Zeit (nicht die andere Zeit) heißt, ist selbst nicht zeitlich. Nach diesem Paradigma von
Augustinus kann man die Ewigkeit als die Göttlichkeit verstehen und die Weltgeschichte als die
Manifestation Gottes im Universum.83
82
Hegel, Jenaer Systementwürfe III, S.261f.
Deutlich verknüpft Hegel das vorhergehende Moment der Philosophie (d.i. die Religion) auch mit dem Paradigma von
Augustinus: „Gott, das Wesen des reinen Bewusstseins wird sich ein anderes, das Welt ist – aber dies Dasein ist Begriff –
Insichsein, Böse, und die Natur, das Unmittelbare muß als böse vorgestellt werden, jeder zur Einsicht seiner bösen Natur
kommen – […] d.h., Gott tritt in der Natur auf – als Wirkliches.“ (Ebd., S.257f.) In der Phänomenologie des Geistes
83
228
Nach dem „schöpferischen Schlag“ der Philosophie kommt die Weltgeschichte zunächst im
„unmittelbaren sinnlichen Bewußtsein“ zum Vorschein. Hiermit ist der Anfang der Phänomenologie
des Geistes gemeint. Die Frage ist aber, wie man nun das zeitlich-sinnliche Bewusstsein genau
verstehen soll. Dieses Bewusstsein ist produktiv und begrifflich und nicht mit dem
zeitlich-reproduktiven Bewusstsein im theoretisch-anthropologischen Geist zu verwechseln. In
diesem Sinn muss die Zeit (der reine Begriff) nicht einfach nur mit der sinnlichen Gewissheit,
sondern vielmehr auch mit dem logischen Wissen zusammengedacht werden. Der Übergang der
göttlichen Ewigkeit zum zeitlichen Universum entspricht mithin dem Übergang der Logik zur
Naturphilosophie:
„Diese Ei si ht ist die Philosophie, a solute Wissenschaft – derselben Inhalt als der der
Religion – aber Form des Begriffs – a spekulati e Philosophie, a solutes Sei
Naturphilosophie, […] Werde zu
Geist, de
[…] – b)
als Begriff e istiere de Begriffe.“84
Die Darstellung der Weltgeschichte 1805/06 wird daher als die Einheit der verschiedenen
Augmentationen aufgefasst, d.i. als Einheit von a) der Andeutung des Anfangs der Phänomenologie
des Geistes und b) dem Übergang von der Phänomenologie des Geistes zur Logik sowie c) dem
Übergang von der Logik zur Naturphilosophie. Zu den o. g. Punkten a) und b) kommentiert W.
Jaeschke korrekt:
„I
diese
A s h itt ü er die Philosophie ist jedo h ei e, für die E t i klu g der
S ste ko zeptio
Hegels sehr
i htige Skizze
erste kt. […] Diese k appe Skizze hat
beso deres I teresse er e kt u d ei e ausführli he De atte ausgelöst […], de
sie hat ei e
Schlüsselstellung für das Wissen um Hegels damalige Logik-Konzeption, vor allem aber um
deren Verhältnis zur Phänomenologie des Geistes. Von ihr sagt Hegel, daß ihre Gestalten
jeweils einem Begriff der Logik entsprächen – wobei er unausgesprochen läßt, auf welche
Logik-Konzeption er sich bezieht – schwerlich auf die des Systementwurf II, aber auch nicht auf
die noch dar nicht ausgearbeiteten der Bamberger und Nürnberger Jahren, und der
Systementwurf III – eigentlich bloß eine Realphilosophie – enthält keine Logik. So ist es
spricht Hegel im übrigen auch von dem „noch unentwickelten Ansich“, das als „die wissende Substanz früher da“ ist und
in der Zeit seine „Offenbarkeit“ hat (Hegel, Phänomenologie des Geistes, S.524).
84
Hegel, Jenaer Systementwürfe III, S.260f.
229
plausibel, die Logik der Phänomenologie von dieser Skizze aus zu erschließen und Argumente
für die Ko siste z ihres Baus zu ge i
e .“85
Zu Punkt c) erklären W. Jaeschke und A. Arndt:
„Hegel ko statiert Natur u d Geist als das se e de U i ersu , u d die Weltges hi hte; do h
das vom Geiste freie Universum müsse zum Geist zurückkehren, und diese Rückkehr werde
o
Si h egreife des Geistes ollzoge ; […] Hier spri ht Hegel erst als – wenn auch in
kryptischen Wendungen – den für seine spätere Geistesphilosophie tragenden Zusammenhang
von Geist und Geschichte aus: Er denkt Geschichte als die auf die Seite des Wissens fallende
Bewegung, die Entgegensetzung von Natur und Wissen zu überwinden und die Einheit
herzustellen, und zwar durch die Selbsterkenntnis des Geistes und die darin liegende
Erke
t is, daß die NaturWerde zu
Geist a si h ist.“86
Zum Verständnis dieser Konstellation bedürfte es jedoch einer detaillierten Erörterung der
Grundstruktur der Phänomenologie des Geistes in Bezug auf Hegels ganzes System. Ein solches
Forschungsvorhaben geht weit über das Anliegen der vorliegenden Studie hinaus. Diese hat jedoch
durch die Analyse der Entwicklung von Hegels Zeitbegriff zwischen 1803 und 1806 den
unverzichtbaren Hintergrund dargestellt, vor dem sich die weitere Entwicklung des Zeitbegriffs in
Hegels Philosophie allererst richtig verstehen und bewerten lässt.
85
W. Jaeschke, Hegel Handbuch, S.174f. Vgl. auch K. Düsing, Phänomenologie und Spekulative Logik. Untersuchung
zum „absoluten Wissen“ in Hegels Phänomenologie, in: Aufhebung der Tradition im dialektischen Denken, S.124.
86
W. Jaeschke und A. Arndt, Die klassische deutsche Philosophie nach Kant, S.571f.
230
Fazit
Der Anspruch der vorliegenden Untersuchung war, a) die Wichtigkeit des Zeitlich-Endlichen in
Hegels Naturphilosophie von 1804/05 und 1805/06 darzustellen und b) die Problematik der Tilgung
des Zeitlich-Einzelnen in Hegels Philosophie des Geistes von 1803/04 und 1805/06 zu analysieren.
Dabei ging es um den Nachweis einer sich letztlich aus der Kritik an Schelling ergebenden engen
sachlichen Beziehung beider Aspekte ebenso wie um den Aufweis einer in Hegels Jenaer
Systementwürfen selbst auch ungelösten Aporie: Hegels Bemühung der Jenaer Zeit, so die These,
gilt der Überwindung des von Jacobi markierten, den Philosophien Spinozas, Kants, Fichtes und
Schellings inhärenten Nihilismus, der aus dem Ausschluss des realen Daseins aus dem logisch
geschlossenen philosophischen System entsteht und sich in der Verewigung der Zeit manifestiert.
Der Vergleich von Hegels Jenaer Naturphilosophie mit derjenigen Schellings zeigt dabei eine
doppelte Bedeutung des Gedankens der Natur bei Hegel auf: Einerseits begründet Hegel seine
Naturphilosophie mit Schelling in einem neuen ontologischen Sinne, wonach das Sein nicht mehr
wie bei Kant oder Fichte schlechthin innerhalb der Subjektivität konstituiert ist. Vielmehr stiftet
dieses Sein für die reine Subjektivität die wahrhafte Objektivität, die als eine Voraussetzung der
Subjektivität selbst gesetzt ist. Es geht m.a.W. um die Rechtfertigung einer vorgängigen Objektivität,
die die Grundlage der Wirklichkeit des menschlichen Bewusstseins darstellt – und nicht umgekehrt
durch das rein subjektive Bewusstsein allererst begründet wird. Andererseits verzichtet Hegel jedoch
ab 1803/04 auf die Schellingsche Überlegung, à la Spinoza die Naturphilosophie aus einer
intelligiblen Unendlichkeit zu begründen. Um die bei Schelling diagnostizierte Tautologie der
Realität des Unendlichen zu vermeiden, entwickelt Hegel vielmehr in Anlehnung an Jacobi die
eigene Naturphilosophie als Begreifen des Ansichseins des wirklichen Zeitlich-Endlichen. Ohne
dieses Zeitlich-Endliche an sich bleiben nach Hegel die Natur- und die Identitätsphilosophie
Schellings absolut leer, da sie außerhalb des ewigen Seins des Unendlichen nichts als wirklich
beweisen können. – Aus dieser Korrektur an Schelling folgt aber für Hegel zugleich die
Notwendigkeit, in der Philosophie des Geistes selbst die Zeit zu tilgen. Der scheinbare Widerspruch
zwischen der Hervorhebung des Zeitlich-Endlichen in der Naturphilosophie und der Vernichtung
231
desselben in der Philosophie des Geistes erfordert eine nähere Betrachtung des Übergangs von der
Naturphilosophie zur Philosophie des Geistes. Nach Hegel verschwinden alle naturphilosophischen
Redeweisen
notwendigerweise
vor
der
wissenschaftlichen
Sprache
des
Bewusstseins.
Dementsprechend ist das natürliche Zeitliche zu vernichten. Aus diesem Anlass, den philosophischen
Zweck der Natur zu erfüllen, integriert der Geist nun dieses natürliche Zeitliche in seine Erinnerung
im Bewusstsein, wobei dieses als das vom Subjekt Empfundene bezeichnet wird und daher
schlechthin vom Ich eingebildet ist. Dieses sinnlich Eingebildete muss demzufolge unter die
zeitlos-kategoriale Ordnung der Sprache subsumiert werden, um die innerhalb der sinnlichen
Einbildung bestehende Zufälligkeit zu entfernen. Dabei geschieht die vollkommene Tilgung der Zeit;
die sprachphilosophische Entsinnlichung hebt sowohl das Natürlich-Zeitliche als auch das als
Sinnlich-Zeitliches Eingebildete auf. Diese Operation führt jedoch in eine Aporie dergestalt, dass
nunmehr kein Endlich-Einzelnes als solches in der stets Allgemeines benennenden sprachlichen
Ordnung gefunden werden kann; die Sprache an sich erscheint als schlechthin leer, sie spricht
faktisch nichts aus.
Zum Nachweis dieser komplexen These galt es, in einem ersten Schritt Schellings
Naturphilosophie von 1797 bis 1800 bzw. die Identitätsphilosophie ab 1801 in dem Maße zu
untersuchen, wie sie für die Entwicklung von Hegels Jenaer Manuskripten von Bedeutung sind.
Gegen Kant und Fichte versucht Schelling eine objektive Subjekt-Objektivität zu begründen und
unterstreicht daher in der Naturphilosophie den ontologischen Sinn von ‚Kraft‘ und ‚Materie‘. Dabei
zeigte sich, dass sich der Sinn der objektiven Realität in den Fassungen der Naturphilosophie
Schellings von 1797 und 1799 allerdings signifikant unterscheidet: Während 1797 die Natur noch
mit dem Bewusstsein zusammengedacht wird, emanzipiert sich Schellings Naturphilosophie 1799
bereits von der Transzendentalphilosophie und begreift die Natur als eine gegenüber dem
Bewusstsein selbständige Entität. War 1797 die Kraft letztlich nichts anderes als die Einbildungskraft
und die Materie die Modifikation des subjektiven Seins, bedeutet 1799 ‚Kraft‘ nunmehr die
schöpferische Kraft der Natur selbst. Dieser entscheidende Unterschied bestimmt wesentlich, so
wurde
weiter
nachgewiesen,
auch
Schellings
Zeittheorie.
Im
Vergleich
mit
der
mathematisch-epistemologischen Darstellung der Einheit von Kraft, Materie, Raum und Bewegung
bei Kant betont Schelling in erster Linie den organisch-ontologischen Sinn derselben, wobei die Zeit
232
eine fundmentale Rolle spielt. 1797 unterscheidet Schelling die positive von der negativen Kraft, die
beide räumlich sind. Ihre reale Synthesis repräsentiert die Zeit. Den durch diese dynamische
Synthesis erfüllten Raum nennt Schelling ‚Materie‘ und stellt diese in den Zusammenhang der
Einheit von Raum, Zeit, Bewegung und Materie. Die Naturphilosophie von 1799 modifiziert dieses
Konzept indes wesentlich: Schelling unterscheidet nunmehr zwischen natura naturans und natura
naturata: jene manifestiert sich in der ewigen Zeit selbst; diese kehrt in den reflexiven Zeiten wieder.
Die Zeit repräsentiert m.a.W. die Doppelheit der als vom Bewusstsein unabhängig verstandenen
Natur selbst. Schellings neue naturphilosophische Konzeption führt jedoch, so zeigte sich, in eine
Aporie. Denn unter Voraussetzung der ewigen Zeit der natura naturans ist kein Ansichsein des
Zeitlich-Endlichen möglich. Wäre das Zeitlich-Endliche nämlich schlechthin die Modifikation des an
sich Ewigen, so wäre zu fragen, was für eine Zeit, die nicht ewig ist, tatsächlich existieren kann bzw.
ob alles par excellence wesentlich und ewig besteht. Diese Aporie besteht auch dann weiter, wenn
Schelling ab 1801 Naturphilosophie und Transzendentalphilosophie identitätsphilosophisch zu
vereinen und zu begründen sucht. Weil das Ansichsein des Endlichen in der Luft schwebt und das
wirkliche Dasein ontologisch bedeutungslos ist, stößt die Identitätsphilosophie auf die Schwierigkeit,
die Realität des Absoluten zu beweisen.
Unter dem Einfluss Schellings, so zeigte sich, konzentriert sich auch Hegel ab 1800 auf die neue
Ontologie, d.h. die Naturphilosophie, um den von Jacobi aufgewiesenen ontologischen Mangel bei
Kant und Fichte zu beseitigen. Dabei ist Hegel bereits Schellings Idee einer Grundlegung der
Naturphilosophie bekannt – ein Projekt, dem Hegel in seinen früher Jenaer Jahren folgt und
prinzipiell treu bleibt. Allerdings befriedigt Hegel Schellings Identitätsphilosophie in dem Maße
nicht, wie sich eine grundlegende Differenz ihrer Zeitbegriffe zeigte: In der Identitätsphilosophie
Schellings ist die Zeit nur reflexiv gesetzt. Das reflektierte Zeitlich-Einzelne hat kein Ansichsein; es
ist nur eine Modifikation der Ewigkeit, aus der es abgeleitet wird. Hegel begreift hingegen nunmehr
das Zeitlich-Endliche nicht als bloßes Derivat des Ewig-Unendlichen, sondern betont dessen
spezifische ontologische Dignität. D.h., das Zeitliche muss sein eigenes Ansichsein haben, das
zugleich als das Für-das-Unendliche-Sein begriffen werden soll. Oder anders formuliert, die
Problematik in Schellings Identitätsphilosophie, d.i. die Unmöglichkeit der Wiederherstellung der
Wirklichkeit des Absoluten durch das Anderssein desselben, drängt Hegel dazu, die Natur für das
233
Anderssein des Geistes zu halten und seine Überlegungen daher verstärkt auf das Zeitlich-Endliche
zu konzentrieren. Diese von Jacobi inspirierte Konzeption des Zeitlich-Endlichen inszeniert Hegel in
der Naturphilosophie aber im Zusammenhang mit der Philosophie des Geistes. Er stellt also die
naturphilosophische Einheit von Kraft, Materie, Raum, Zeit und Bewegung dadurch dar, dass das
Zeitlich-Endliche hier auf eine spekulative und systemlogische Weise strukturiert wird.
Dementsprechend lehnt er die Idee einer vom Bewusstsein emanzipierten Natur ab, die Schelling in
seiner Naturphilosophie von 1799 präsentiert. In diesem Sinne steht Hegel Schellings
Naturphilosophie von 1797 sachlich näher, insofern dort die Natur noch als der verborgene Geist gilt.
Die vorliegende Untersuchung zeichnete dabei für die Jenaer Manuskripte die Entwicklung von
Hegels Thematisierung des Zeitlich-Endlichen und die Herausbildung seiner systematisch
zunehmend zentralen Stellung nach: 1801 gilt die zeitlich-dynamische, reale Materie noch als die
Äußerung des unendlichen Geistes. Während Hegel 1804/05 die zeitlich-endliche Natur als das
Anderssein des Geistes betrachtet, ist es im Zusammenhang der Philosophie von 1801 unklar,
inwiefern
das
Zeitlich-Endliche
als
selbständig
existierend,
d.h.
als
nicht
aus
dem
unendlich-zeitlichen Geist abgeleitet, begriffen werden muss. In seiner Darstellung des
Planetensystems begreift Hegel 1801 zunächst den Unterschied zwischen den verschiedenen Kräften
als einen qualitativen Unterschied, insofern Hegels Krafttheorie – nicht wie die bloß quantitative
Krafttheorie Newtons – einen ontologischen Anspruch erhebt. D.h., der von den Kräften erfüllte
Raum ist ontologisch real. Diese Realität ist aber starr, weil noch keine Bewegung im Raum
geschieht. Erst durch die geistige Zeit tritt die Bewegung der Materie ein. Das bedeutet bei Hegel
zugleich, dass diese Zeit mittels der Macht des ‚nous‘ den Rahmen des räumlich-materiellen
Universums sprengt und zum vernünftigen Archetypus desselben kommt, wo das Endliche noch kein
Thema ist.
Das Endliche als solches wird erst thematisch, wenn Hegel ab 1804/05 die Zeit nicht mehr für das
geistige Prinzip hält, sondern vielmehr für die natürliche Erscheinung. Durch vier Schritte
demonstriert er, so sahen wir, das Verhältnis zwischen Zeit und Endlich-Einzelnem: a) 1804/05
begreift Hegel in seiner Äthertheorie die Natur als das Anderssein des Geistes selbst. Raum und Zeit
sind dort die Äußerung des geistigen Äthers. In dieser Äußerung entsteht zuerst die allgemeine Zeit
und sie äußert sich dann weiter im allgemeinen Raum. Schließlich muss der Raum wiederum
234
verzeitlicht werden, um zu seinem einfachen Wesen (dem einfachen Punkt) zu gelangen. Innerhalb
dieser Verräumlichung und Verzeitlichung gibt es noch kein Endlich-Einzelnes, insofern von Raum
und Zeit hier nur im idealen und allgemeinen Sinn die Rede ist. b) In der erscheinenden und
realisierten Bewegung werden Raum und Zeit quantitativ unterschieden. Durch die Konstruktion des
Planentensystems werden die räumlichen Erscheinungen zur natürlichen Zeit selbst zurückgebracht.
Infolgedessen entsteht das erste realisierte Einzelne: die Erde. c) Die Einheit von Raum, Zeit,
Bewegung und Materie kommt im Abschnitt „Mechanik“ durch Hegels Darstellung des
Endlich-Einzelnen zustande, das nicht mehr eine erscheinende Größe der idealen Kraft repräsentiert,
sondern vielmehr die reale Kraft der Natur. Dadurch kann die Trennung von Raum und Zeit
äußerlich synthetisiert werden. d) Die innerliche Synthesis von Raum und Zeit wird bei Hegel durch
die physische Schwerkraft und den Chemismus ermöglicht. Dort besteht das irdische Einzelne in sich
selbst in seiner eigenen Zeitdauer.
1805/06 bleibt einerseits die Argumentation bzgl. des Zeitlich-Endlichen in Hegels neuer
Naturphilosophie unverändert: Während in der „Mechanik“ die Entwicklung in Raum, Zeit,
Bewegung und Masse nur äußerlich konstruiert wird, wird das innerliche Werden des irdischen
Zeitlich-Einzelnen in den Abschnitten „Gestaltung“ und „Chemismus“ dargestellt. Anderseits
modifiziert Hegel seine Darstellung der Natur aber in zwei wesentlichen Punkten. a) Zunächst ist für
das System der geistige Äther nicht mehr relevant. Anstatt der Zeit taucht der Raum nun am Anfang
der Naturphilosophie auf. Diese Veränderung schreibt sich ein in eine grundsätzliche Tendenz, die
sich in der Entwicklung der Hegelschen Naturphilosophien beobachten lässt und die darin besteht,
dass das Ansichsein des Endlichen immer mehr an den Anfang der Realisierung der Natur rückt. b)
Die zweite große Veränderung von Hegels Naturphilosophie besteht darin, dass das organische
Leben stärker ins Gewicht fällt. Die durch den Chemismus verinnerlichte Zeit des Einzelnen führt
nun direkt zur organischen Zeit, die das Selbstwerden des Einzelnen bedeutet und im Weiteren zum
Geist übergeht. Diese organische Zeit soll durch das Werden der Erde, das Wachsen der Pflanze und
die Bewegung des Tiers verstanden werden. Jedes einzelne Tier hat sein Zeitgefühl und kann sich
räumlich-zeitlich bewegen, um seinem psychophysischem Zweck zu erreichen. Auf diese Weise
manifestiert sich im organischen Einzelnen die lebendige Einheit von Raum, Zeit, Bewegungskraft
und Materie auf eine höchste und komplexeste Weise.
235
Im Übergang von der Natur zum Geist zeigte sich m. E. schließlich eine versteckte Aporie in
Hegels Naturphilosophie, die in der Frage zusammenläuft, ob Hegel das Zeitlich-Endliche
tatsächlich so hochschätzt, wie die Naturphilosophie suggeriert, oder ob es sich bei seiner Betonung
letztlich nur um eine trügerische, der Nihilismusfrage geschuldete Strategie handelt und das
Zeitlich-Endliche im Geist aufgrund der logischen Struktur schließlich wiederum vollständig getilgt
wird. Zur Beantwortung dieser Frage wurde die Tilgung der Zeit am Anfang der Philosophie des
Geistes durch die folgenden drei Schritte sorgfältig untersucht: a) Am Anfang der Philosophie des
Geistes von 1805/06 folgt Hegel einerseits Fichtes Argumentation, insofern dieser die geistige Zeit
im Ich darstellt. Die natürliche Zeit muss in diesem Sinne getilgt werden. Anderseits taucht die
geistige Zeit – ganz anders als bei Fichte – im Zusammenhang mit der Natur auf. Erst in der
zeitlichen Erinnerung wird der wahrhafte Zweck der ganzen Natur erreicht, indem das Ich in seiner
Empfindung die äußeren Dinge verinnerlicht und sie als die Bilder seines Bewusstseins vorstellt. Das
zeitliche Bewusstsein des Menschen repräsentiert also – teleologisch gesehen – die sinnliche Einheit
des Gefühls mit dem natürlichen Gegenstand. b) Kraft der Ein-bildung erinnert der Mensch sich nur
an seine rein subjektive Ichheit. Es gibt – so argumentiert Hegel in Übereinstimmung mit Jacobi – in
dieser geistigen Zeit einen Nihilismus, da alles Zeitlich-Endliche schlechthin ein leeres Zeichen der
Ichheit ist. Den Grund des Entstehens dieses Nihilismus analysiert Hegel aber anders als Jacobi:
Nicht aus dem Defizit des wirklichen Daseins, sondern aus dem Mangel an notwendiger
Bestimmung der Inhalte des Ichs entsteht die Gefahr der Leerheit der Ichheit. c) Der o.g. Nihilismus
muss überwunden werden, indem alle Zufälligkeit aus der Zeit vernichtet wird. Dementsprechend
führt Hegel in seiner Sprachphilosophie die vollkommene Tilgung der Zeit durch. In der Sprache
werden alle Einzelnen nicht mehr nach einer Zeitfolge organisiert, sondern nach der reinen,
zeitlos-kategorialen Ordnung. Dies bedeutet die Entsinnlichung des individuell-empfindenden Ich
bzw. die Vernichtung des Zeitlich-Endlichen. Nach der Reinigung durch die Sprache bleibt nur die
Allgemeinheit und Notwendigkeit der logisch-kategorialen Ordnung der einzelnen Namen übrig.
Weil es nun in der bloß formellen und allgemeinen Sprache kein Einzelnes mehr als Einzelnes gibt,
taucht m. E. ein neuer Nihilismus im theoretischen Geist auf. Die Problematik ist hier also die
Nivellierung der endlichen Inhalte bzw. die reine Formalität des sprachlichen Selbstbewusstseins.
Unmöglich
kann
diese
Schwierigkeit
durch
eine
Wiederherstellung
des
natürlichen
236
Zeitlich-Endlichen aufgelöst werden, da die naturphilosophische Redeweise hier nicht mehr gilt,
insofern die Sprache nicht bloß den Zweck der Natur selbst epistemologisch beweist, sondern
vielmehr alles im Bewusstsein onto-logisch erschöpft. An dieser Stelle könnte in der Sache gefragt
werden, ob und wie Hegel in der Philosophie der Weltgeschichte eine Oszillation zwischen realem
Zeitlich-Endlichen und logischem Zeitlos-Allgemeinen wiederum installieren kann, um den
gegenwärtig drohenden Nihilismus zu überwinden. Dies würde aber die Grenze der vorliegenden
Arbeit überschreiten. Die Arbeit wollte eine Forschungslücke schließen bzgl. der Herausbildung des
Problems des Zeitlich-Einzelnen bei Hegel. Dieses stellt für das reife System (für die
Phänomenologie des Geistes ebenso wie für die Logik und die Geschichtsphilosophie) ein wichtiges
Problem dar und ist darum für Hegels bekannte reife Schriften schon häufiger untersucht worden.
Für die Jenaer Manuskripte war eine solche Untersuchung bisher noch ein Desiderat. Dieses Problem
herauszustellen ist wichtig für die weiterführende Frage, ob man überhaupt die Zeitproblematik der
Geistphilosophie in Hegels System unter ein „Nihilismus-Verdikt“ stellen dürfe, oder ob die in der
vorliegenden Arbeit gezeigte Notwendigkeit, das Zeitlich-Endliche im subjektiven Geist zu tilgen
und daher einen Nihilismus ins System einzuführen, durch die weitere Entwicklung von Hegels
System überwunden werden konnte.
237
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255
LEBENSLAUF
Persönliche Daten
Ausbildung
Vorname
Yue
Nachname
YU
Geburtsdatum
20.09.1980
Geburtsort
Panzhihua, China
1986-1992
Grundschule Renmingjie in Panzhihua, China
1999-1995
2. Mittelschule Panzhihua, China
1995-1999
1. Oberschule Pangang, China.
1999-2003
Fakultät für Philosophie an der Universität Sichuan
in Chengdu, China, Abschluss mit B. Phil.
2003-2006
Institut für Religionswissenschaft an der Universität
Sichuan in Chengdu, China, Abschluss mit M. Phil.
2006-2007
Dozent an der Universität Jinjiang
2007-2011
Fakultät für Philosophie an der Friedrich-SchillerUniversität Jena, Doktorand
2011-2014
Fakultät für Philosophie an der Friedrich-SchillerUniversität Jena, Doktorand, Abschluss mit Dr. phil.
2014-2015
Dozent an der Universität Sichuan in Chengdu,
China
Spracherkenntnisse
Chinesisch
Muttersprache
Deutsch
gut (DSH3)
Englisch
gut (CET-4)
Latein
ausreichend
Altgriechisch
ausreichend
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