Elementare Grundlagen

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Sven O. Krumke
Grundlagen der Mathematik
Entwurf: 9. Mai 2017
ii
Dies ist das Skript zur Vorlesung „Grundlagen der Mathematik I“ vom
Sommersemester 2017 an der Technischen Universität Kaiserslautern.
Sven O. Krumke
[email protected]
1
Einleitung
Nicht-Mathematiker fragen sich oft, warum die Mathematik Formalismus aufbaut
(der durchaus auf den ersten Blick abschrecken mag). Als Motivation daher ein
kurzes Zitat aus [Kli64] (siehe auch [Heu88]):
When a twelfth century youth fell in love he did not take three paces
backward, gaze into her eyes, and tell her she was too beautiful to live.
He said he would step outside and see about it. And if, when he got
out, he met a man and broke his head – the other man’s head, I mean
– then that proved that his – the first fellow’s – girl was a pretty girl.
But if the other fellow broke his head – not his own, you know, but the
other fellow’s – the other fellow to the second fellow, that is because of
course the other fellow would only be the other fellow to him, not the
first fellow who – well, if he broke his head, then his girl – not the other
fellow’s, but the fellow who was the – Look here, if A broke B’s head,
then A’s girl was a pretty girl; but if B broke A’s head, then A’s girl
wasn’t a pretty girl, but B’s girl was.
2
Elementare Grundlagen
2.1
Ein Ausflug in die Logik
Bei der Beschreibung mathematischer Sachverhalte ist es wichtig, eine unmissverständliche Sprache zur Verfügung zu haben, in der die Ergebnisse formuliert werden
können. Grundbaustein ist hier die mathematische Logik und es stellt sich als hilfreich heraus, vor dem eigentlichen Stoff einen kurzen Blick auf die Logik zu werfen.
Wir kommen zunächst zum Begriff der Aussage. Eine Aussage ist ein sprachliches
Gebilde, von dem es sinnvoll ist zu fragen, ob es wahr oder falsch ist (so genanntes
Aristotelisches Zweiwertigkeitsprinzip). Es ist nicht erforderlich, sagen zu können,
ob das Gebilde wahr oder falsch ist; es genügt, dass die Frage nach Wahrheit („Zutreffen“) oder Falschheit („Nicht-Zutreffen“) sinnvoll gestellt werden kann. Aussagen
sind somit Sätze, die Sachverhalte beschreiben und denen man einen Wahrheitswert
zuordnen kann.
Beispiel 2.1
(i) Der Rasen ist grün. (Dies ist eine wahre Aussage)
(ii) 1 · 3 = 3 ist eine wahre, 1 + 1 = 1 eine falsche und 5
Aussage.
2 überhaupt keine
C
Es sind sind auch solche sprachlichen Gebilde wichtig, in denen freie Variablen,
also Platzhalter, vorkommen, und die erst beim Einsetzen von Werten für diese
Variablen Aussagen liefern. Man bezeichnet sie als Aussageformen.
Beispiel 2.2
4x 2 = 2 ist eine Aussageform, die beim Einsetzen von x = 1 in eine wahre und
beim Einsetzen von x = 4 in eine falsche Aussage übergeht.
C
Definition 2.3 (Negation) Ist A eine Aussage, so können wir ihr eine negierte
Aussage ¬A zuweisen, deren Wahrheitswert dem umgedrehten Wert von A entspricht:
A
w
f
¬A
f
w
Vorlesung vom:
18.04.2017
Video zur
Vorlesung:
4
Elementare Grundlagen
Aus Aussagen lassen sich auch neue Aussagen durch Verknüpfungen konstruieren:
Definition 2.4 (Verknüpfungen) Seien A und B Aussagen, so definieren wir
folgende neue Aussagen und ihre Wahrheitswerte:
A
B
A^B
A und B
A_B
A oder B
A)B
aus A folgt B
A,B
A und B sind äquivalent
w
w
f
f
w
f
w
f
w
f
f
f
w
w
w
f
w
f
w
w
w
f
f
w
Wir nennen „^“ auch Konjunktion, „_“ Disjunktion, „)“ Implikation und „,“
Äquivalenz.
Ähnlich wie die aus der Schule bekannten Zeichen +, und · haben die Verknüpfungen unterschiedliche Prioritäten, um unnötiges Setzen von Klammern zu vermeiden.
Die höchste Priorität hat ¬, danach folgt ^, dann _, dann ) und ganz zum Schluss
,. Daher lässt sich (¬A) ^ (¬B) auch ohne Klammern als ¬A ^ ¬B schreiben, aber
natürlich ist dies im Allgemeinen nicht das Gleiche wie ¬(A ^ ¬B).
Für die Negation von Aussagen gibt es folgende wichtige Rechenregeln:
(i) ¬(¬A) = A
(ii) ¬(A ^ B) = ¬A _ ¬B
(iii) ¬(A _ B) = ¬A ^ ¬B
Die Korrektheit rechnet man mit Hilfe einer Wahrheitstafel nach. Wir führen dies
für (i) und (ii) durch, die anderen Rechnungen verlaufen analog. Zunächst betrachten wir die doppelte Negation (i):
A
w
f
¬A
f
w
¬(¬A)
w
f
Für (ii) müssen wir etwas mehr arbeiten:
A
B
w
w
f
f
w
f
w
f
A^B
w
f
f
f
¬(A ^ B)
f
w
w
w
¬A
f
f
w
w
¬B
f
w
f
w
¬A _ ¬B
f
w
w
w
Besondere Aufmerksamkeit in der obigen Definition erfordert die Implikation A )
B. Hierbei wird keine Aussage über die Richtigkeit von A oder B separat gemacht.
Die Implikation A ) B besagt nur, dass B richtig ist, wenn A richtig ist. Ist A
hingegen falsch, so ist die Implikation A ) B stets richtig („Aus einer falschen
Voraussetzung kann man alles folgern“). Die Aussage A ) B ist äquivalent zu
¬A _ B, wie man mit Hilfe der Wahrheitstabelle schnell nachprüft (in der Tat wird
die Implikation in der Logik meist so überhaupt definiert):
2.1 Ein Ausflug in die Logik
5
A
B
w
w
f
f
w
f
w
f
A)B
w
f
w
w
¬A _ B
w
f
w
w
Ist die Aussage A ) B wahr, so nennen wir die Aussage A hinreichend für B und
B notwendig für A.
Beispiel 2.5
• „Wenn es regnet, ist die (unüberdachte) Straße nass.“
Die Aussage „es regnet“ ist hinreichend für die Aussage „die Straße ist nass“,
aber sie ist nicht notwendig (die Straße könnte auch durch die Straßenreinigung etc. nass geworden sein).
„Die (unüberdachte) Straße ist nass“ ist notwendig für „es regnet“: nur wenn
die Straße nass ist, kann es auch (gerade) regnen.
• „Nur wenn ich volljährig bin, darf ich wählen.“
Volljährigkeit ist eine notwendige Bedingung fürs Wahlrecht, ist aber nicht
hinreichend: man muss in der Regel zusätzliche notwendige Bedingungen erfüllen, z.B. die Staatsbürgerschaft des Landes haben.
• „Wenn für die natürlichen Zahlen 1 und 2 gilt 1 = 2 ist, dann sind
alle Schafe grün.“
Dies ist ein gutes Beispiel dafür, dass man aus einer falschen Aussage „1 = 2“
jede andere (nicht notwendigerweise kausal damit zusammenhängende) Aussage folgern kann. Die Aussage „1 = 2“ ist hinreichend dafür, dass alle Schafe
grün sind.
C
Es gibt noch weitere Rechenregeln für Aussagen, die wir für spätere Referenz in
einem Satz notieren. Der Beweis ergibt sich wieder direkt durch die Wahrheitstafeln:
Satz 2.6 (Rechenregeln für logische Operationen) Seien A, B und C Aussagen. Dann gilt:
(i) ¬(¬A) = A
(ii) A _ B = B _ A und A ^ B = B ^ A (Kommutativgesetze)
(iii) (A _ B) _ C = A _ (B _ C) und (A ^ B) ^ C = A ^ (B ^ C) (Assoziativgesetze)
(iv) A ^ (B _ C) = (A ^ B) _ (A ^ C) und A _ (B ^ C) = (A _ B) ^ (A _ B)
(Distributivgesetze)
Bemerkung 2.7 (Widerspruchsbeweis) Wir werden in diesem Skript oft die
Äquivalenz von A ) B und ¬A _ B in folgendem Zusammenhang verwenden:
Nehmen wir an, wir wollen eine Aussage der Form A ) B beweisen, dann können
wir genauso gut ¬B ) ¬A zeigen (dies ist nämlich wiederum äquivalent zu ¬(¬B)_
¬A = B _ ¬A = ¬A _ B). Das bedeutet Folgendes: Wir können annehmen, dass
die zu folgernde Aussage B falsch ist, und führen dies dann zu einem Widerspruch,
bzw. zeigen, dass dann auch die Voraussetzung A falsch sein muss.
6
Elementare Grundlagen
Beispiel 2.8
Wir wollen folgende Implikation beweisen:
Wenn für eine natürliche Zahl n 2 N ihre dritte Potenz n3 durch 2 teilbar ist,
dann ist auch n durch 2 teilbar.1
Unsere Aussagen sind damit:
A: Für die natürliche Zahl n ist n3 ist durch 2 teilbar.
B: Die natürliche Zahl n ist durch 2 teilbar.
Wir nehmen an, dass B falsch ist. Dann ist n nicht durch 2 teilbar, also ungerade.
Somit können wir n schreiben als n = 2k + 1 für ein k 2 N. Folglich ist
n3 = (2k + 1)3 = 8k 3 + 12k 2 + 6k + 1 = 2 (4k 3 + 6k 2 + 3k) +1 = 2k 0 + 1
|
{z
}
=:k0 2N
ungerade, und somit ist auch A falsch.
Alternativ formuliert man die obigen Beweiskette auch als Widerspruchsbeweis, indem man wie oben annimmt, dass B falsch ist und gleichzeitig A richtig ist. Mit
anderen Worten: Man nimmt an, dass A richtig ist, aber dann nicht B richtig, sondern falsch ist. Mit der obigen Argumentation gelangt man dann zum Ergebnis,
dass n3 ungerade ist, was der Voraussetzung widerspricht, dass wir A als richtig
angenommen hatten.
C
2.2
Mengen
Definition 2.9 (Intuitiver Mengenbegriff, Cantor (1845–1918)) Eine Menge ist eine Zusammenfassung von bestimmten, wohlunterschiedenen Objekten unserer Anschauung oder unseres Denkens zu einem Ganzen. Die in einer Menge zusammengefassten Objekte nennt man Elemente der Menge.
Wir schreiben x 2 M , wenn x ein Element der Menge M ist, und x 2
/ M , wenn
x kein Element der Menge M ist. Mengen kann man beschreiben, indem man ihre
Elemente angibt, z.B.:
N := {0, 1, 2, 3 . . . }
G := {0, 2, 4, 6 . . . }
ist die Menge der natürlichen Zahlen
ist die Menge der geraden natürlichen Zahlen
Das Symbol „:=“ bedeutet hierbei, dass der Ausdruck auf der linken Seite durch die
rechte Seite definiert wird. Alternativ kann man Mengen auch über die Eigenschaften ihrer Elemente definieren:
G := { n 2 N : n ist gerade }.
Notation 2.10 Die Menge {} ohne Elemente („leere Menge“) bezeichnen wir mit
?.
Mengen können in Relationen zueinander stehen.
1 Wir
haben zu diesem Zeitpunkt die Menge der natürlichen Zahlen N noch nicht formal eingeführt. Dies holen wir in Abschnitt 2.3 nach. Bis dahin genügt eine „intuitive“ Vorstellung der
natürlichen Zahlen.
2.2 Mengen
7
A
A
A
B
B
B
(a) A \ B
(b) A [ B
(c) A \ B
Abbildung 2.1: Veranschaulichung der Mengenoperationen
Definition 2.11 (Teilmenge, Obermenge) Wir schreiben A ✓ B und sagen,
dass A eine Teilmenge von B ist, wenn gilt: x 2 A ) x 2 B, d.h. wenn jedes
Element aus A auch in B liegt. Die Menge B heißt dann auch eine Obermenge
von A.
In der obigen Definition ist übrigens der Fall A = B erlaubt, insbesondere gilt also
A ✓ A. Außerdem gilt A = B genau dann, wenn A ✓ B und B ✓ A gilt. Wenn wir
ausdrücken wollen, dass A eine Teilmenge von B und nicht gleich B ist, so schreiben
wir
A(B
und sagen, dass A eine echte Teilmenge von B ist.
Definition 2.12 (Potenzmenge) Ist A eine Menge, so ist
2A := {B : B ✓ A} = {B : B ist Teilmenge von A}
die Potenzmenge von A, d.h. die Menge aller Teilmengen von A.
Beispiel 2.13
Sei A := {1, 2, 4}. Dann ist 2A = {?, {1} , {2} , {4} , {1, 2} , {1, 4} , {2, 4} , {1, 2, 4}}.
C
Aus Mengen kann man neue Mengen mit Hilfe von Mengenoperationen bilden.
Definition 2.14 (Mengenoperationen) Seien A und B Mengen. Wir bezeichnen
dann mit
(i) A \ B := {x : x 2 A und x 2 B} die Schnittmenge von A und B; falls A \ B =
?, so heißen A und B disjunkt;
(ii) A [ B := {x : x 2 A oder x 2 B} die Vereinigungsmenge von A und B;
(iii) A \ B := {x : x 2 A und x 2
/ B} die Differenzmenge von A und B.
Satz 2.15 (Rechenregeln für Mengenoperationen) Sind A, B und C Mengen. Dann gilt:
(i) A [ B = B [ A und A \ B = B \ A (Kommutativgesetze)
(ii) (A [ B) [ C = A [ (B [ C) und (A \ B) \ C = A \ (B \ C) (Assoziativgesetze)
(iii) A \ (B [ C) = (A \ B) [ (A \ C) und A [ (B \ C) = (A [ B) \ (A [ C)
(Distributivgesetze)
8
Elementare Grundlagen
Beweis: Wir beweisen das erste Distributivgesetz, indem wir die entsprechenden
Rechenregeln aus der Logik (Satz 2.6) benutzen. Die anderen Beweise verlaufen
ähnlich:
x 2 A \ (B [ C) , x 2 A ^ x 2 (B [ C)
, x 2 A ^ (x 2 B _ x 2 C)
, (x 2 A ^ x 2 B) _ (x 2 A ^ x 2 C)
, x 2 (A \ B) [ (A \ C)
(nach Satz 2.6 (iv))
2
Achtung! Im letzten Beweis haben wir die Gleichheit zweier Mengen über Äquivalenzumformungen gezeigt. Bei so einer Beweisführung muss man pingeligst
darauf achten, dass jede (aber auch wirklich jede) Umformung eine äquivalente
ist. Üblicherweise zeigt man die Gleichzeit zweier Mengen über zwei Inklusionen, die dann über zwei Implikationen erfolgen. Dies sieht man im nächsten
Beweis. Die Variante über äquivalente Umformungen ist eher unüblich, da sie
selten so einfach funktioniert wie oben.
Vorlesung vom:
20.04.2017
Satz 2.16 (Regeln von de Morgan) Seien A, B und S Mengen mit A ✓ S und
B ✓ S. Wir definieren für M ✓ S:
M̄ := S \ M
(Komplement von M bezüglich S).
Dann gilt:
(i) S \ (A [ B) = (S \ A) \ (S \ B) bzw. A [ B = Ā \ B̄
(ii) S \ (A \ B) = (S \ A) [ (S \ B) bzw. A \ B = Ā [ B̄
Beweis: Wir beweisen die Behauptung S \ (A [ B) = (S \ A) \ (S \ B) (wenn A ✓ S
und B ✓ S), indem wir die beiden Inklusionen S \ (A [ B) ✓ (S \ A) \ (S \ B) und
S \ (A [ B) ◆ (S \ A) \ (S \ B) nachweisen:
„S \ (A [ B) ✓ (S \ A) \ (S \ B)“:
Ist S \ (A [ B), so ist nichts zu zeigen. Sei daher x 2 S \ (A [ B), dann gilt
x 2 S und x 2
/ (A [ B). Daraus folgt x 2 S und x 2
/ A und x 2
/ B, also x 2 S
und x 2
/ A sowie x 2 S und x 2
/ B. Dies bedeutet x 2 S \ A und x 2 S \ B,
also insgesamt x 2 (S \ A) \ (S \ B).
„S \ (A [ B) ◆ (S \ A) \ (S \ B)“:
Falls (S \ A) \ (S \ B) leer ist, so ist die Aussage wieder offensichtlich richtig.
Für x 2 (S \ A) \ (S \ B) gilt x 2 S und x 2
/ A sowie x 2 S und x 2
/ B. Damit
haben wir x 2 S und x 2
/ A und x 2
/ B, also x 2 S und x 2
/ (A [ B) und
insgesamt x 2 S \ (A [ B).
2
2.2 Mengen
9
Durchschnitte und Vereinigungen können wir nicht nur für zwei, sondern für beliebige viele Mengen definieren. Ist S eine (nicht notwendigerweise endliche) nichtleere
Menge von Mengen, so setzen wir
\
A := {x : es gilt x 2 A für alle A 2 S}
A2S
[
A2S
A := {x : es gilt x 2 A für mindestens ein A 2 S}
Definition 2.17 (Produktmenge, kartesisches Produkt) Seien A und B Mengen. Wir definieren die Produktmenge von A und B (alternativ: das kartesische
Produkt aus A und B) durch:
A ⇥ B := {(a, b) : a 2 A und b 2 B} .
Hierbei bezeichnet (a, b) das geordnete Paar aus a und b, wobei a und b einfach
hintereinandergeschrieben werden. Es gilt (a, b) = (a0 , b0 ) genau dann, wenn a = a0
und b = b0 .
B
b
(a, b)
a
A
Abbildung 2.2: Veranschaulichung des kartesischen Produkts A ⇥ B
Wir kommen jetzt noch einmal kurz zur elementaren Logik zurück. Oftmals wollen
wir Aussagen der Form: „Für alle x 2 A gilt, . . . “ oder „Es gibt ein x 2 A mit der
Eigenschaft, . . . “ schreiben.
Notation 2.18 (Quantoren) Ist A eine Aussageform, in der eine freie Variable x
vorkommt (wir schreiben dann auch zur Verdeutlichung A(x) anstelle von A) und
ist M eine Menge, so setzen wir:
(i) 8x 2 M : A(x) („Für alle x 2 M gilt A(x).“).
(ii) 9x 2 M : A(x) („Es gibt ein x 2 M , so dass A(x) gilt.“).
Die beiden Symbole 8 und 9 bezeichnet man als Quantoren. Die Aussage 8x 2 M :
A(x) ist genau dann wahr, wenn für alle x 2 M die Aussage A(x) wahr ist. Analog
gilt 9x 2 M : A(x) genau dann, wenn es (mindestens) ein x 2 M gibt, so dass A(x)
eine wahre Aussage ist.
Beispiel 2.19
(i) 8x 2 N : x + 1 > x und 8x 2 N : x2 6= 2 sind wahre Aussagen.
(ii) 8x 2 N : x2 6= 4 ist eine falsche Aussage, da für x = 2 gilt: x2 = 4.
(iii) 9x 2 {1, 2, 3} : x+3 = 4 ist eine wahre Aussage, da für x := 1 gilt: x 2 {1, 2, 3}
und x + 3 = 1 + 3 = 4.
C
10
Elementare Grundlagen
Wichtig ist die Tatsache, dass man die beiden Quantoren im Allgemeinen nicht
miteinander vertauschen darf: So besagt die Aussage
8x 2 N 9y 2 N :
y>x
„Zu jeder natürlichen Zahl x gibt es eine natürliche Zahl y, die größer als x ist“. Dies
ist eine offensichtlich wahre Aussage. Andererseits liefert Vertauschen der beiden
Quantoren die Aussage:
9y 2 N 8x 2 N :
y>x
„Es gibt eine natürliche Zahl y, die größer ist als jede natürliche Zahl x“. Dies ist
offensichtlich falsch. Der Unterschied zwischen den beiden Aussagen besteht darin,
dass im ersten Fall zuerst das x gewählt werden muss und dann ein passendes y
dazu existieren muss (das von x abhängen darf). Im zweiten Fall müsste ein (und
dasselbe) y existieren, das y > x für alle x erfüllt.
Für die Negation von Aussagen (mit Quantoren) gibt es weitere wichtige Rechenregeln:
(i) ¬(8x : A(x)) = 9x : ¬A(x)
(ii) ¬(9x : A(x)) = 8x : ¬A(x)
Die Korrektheit der Regeln lässt sich wiederum leicht verifizieren, etwa durch eine
Wahrheitstafel.
Im Verlauf dieses Skripts wird vor allem die Menge der reellen Zahlen R von besonderem Interesse sein, die wir formal in Kapitel 3 einführen. Daneben spielen noch
folgende Teilmengen von R eine wichtige Rolle:
(i) die Menge N = {0, 1, 2, 3, . . . } der natürlichen Zahlen;
(ii) die Menge Z = {. . . , 2, 1, 0, 1, 2, . . . } der ganzen Zahlen;
n
o
(iii) die Menge Q = pq : p 2 Z, q 2 N \ {0} der rationalen Zahlen.
Die Menge N führen wir im folgenden Abschnitt 2.3 ein, die anderen drei Mengen
lernen wir in Kapitel 3 kennen.
2.3
Die Menge der natürlichen Zahlen, vollständige
Induktion
Die Menge N der natürlichen Zahlen ist über die sogenannten Peano Axiome definiert:
(i) 0 ist eine natürliche Zahl.
(ii) Zu jeder natürlichen Zahl n gibt es genau einen Nachfolger n + 1; dieser ist
ebenfalls eine natürliche Zahl.
(iii) Jede natürliche Zahl ist Nachfolger höchstens einer natürlichen Zahl.
(iv) Von allen Mengen, welche
• die Zahl 0 und
2.3 Die Menge der natürlichen Zahlen, vollständige Induktion
11
• mit jeder natürlichen Zahl n auch stets ihren Nachfolger n + 1
enthalten, ist N die kleinste solche Menge, d.h. jede Menge mit diesen Eigenschaften ist Obermenge von N bzw. N ist Teilmenge jeder solchen Menge.
Das letzte Axiom (iv) nennt man auch das Induktionsaxiom, es bildet die Grundlage
für die Beweismethode der vollständigen Induktion. Vereinfacht gesprochen geht es
um folgende Argumentation: Lässt sich eine bestimmte Behauptung über natürliche Zahlen für eine gewisse Anfangszahl begründen (Induktionsanfang oder seltener
auch Induktionsverankerung), und lässt sich außerdem zeigen, dass aus ihrer Gültigkeit für eine beliebige Zahl n (Induktionsannahme oder Induktionsvoraussetzung)
ihre Gültigkeit für die nächste Zahl n + 1 folgt (Induktionsschluss oder Induktionsschritt), so gilt diese Behauptung für alle auf die Anfangszahl folgenden natürlichen
Zahlen.
Grundlage der vollständigen Induktion ist eine Aussage A(n), die für jede natürliche
Zahl n 2 N definiert ist. Das Verfahren der vollständigen Induktion läuft dann in
zwei Schritten ab:
(i) Induktionsanfang (IA): Wir zeigen, dass A(0) wahr ist.
(ii) Induktionsschritt (IS): Wir zeigen, dass für alle n 2 N gilt: A(n) )
A(n + 1); mit anderen Worten, wir folgern aus der Gültigkeit der Aussage
A(n) für ein gegebenes n 2 N die Gültigkeit von A(n + 1). Man nennt dann
A(n) in diesem Zusammenhang auch die Induktionsannahme oder Induktionsvoraussetzung.
Mit diesen beiden Schritten haben wir tatsächlich gezeigt, dass A(n) für alle n 2 N
gültig ist. Die Menge M derjenigen n 2 N, für die A(n) gültig ist, enthält nach (i)
die Zahl 0 und nach (ii) mit jeder Zahl n 2 N auch ihren Nachfolger n + 1. Nach
dem Induktionsaxiom (iv) umfasst M somit die Menge N.
Beispiel 2.20
Die Summe der dritten Potenzen von drei aufeinanderfolgenden natürlichen Zahlen
ist stets ganzzahlig durch 9 teilbar.
(Induktionsanfang) 03 + 13 + 23 = 0 + 1 + 8 = 9 ist ganzzahlig durch 9 teilbar.
(Induktionsschritt) Sei für ein n 2 N die Zahl n3 + (n + 1)3 + (n + 2)3 ganzzahlig
durch 9 teilbar, also etwa n3 + (n + 1)3 + (n + 2)3 = 9k für ein k 2 N (dies ist
unsere Induktionsvoraussetzung). Wir haben
(n + 1)3 + (n + 2)3 + (n + 3)3 = (n + 1)3 + (n + 2)3 + n3 + 3 · 3n2 + 3 · 32 n + 33
= n3 + (n + 1)3 + (n + 2)3 + 9n2 + 27 · n + 27
(Induktionsvoraussetzung)
=
9k + 9(n2 + 3n + 3)
= 9(k + n2 + 3n + 3).
C
Beispiel 2.21 (Falsche Anwendung der Induktion)
Auf der Erde gibt es endlich viele Schafe. Wir behaupten, dass alle die gleiche Farbe
haben. Unsere Aussage ist also:
A(n): n Schafe haben alle die gleiche Farbe.
12
Elementare Grundlagen
(IA) Für n = 0 ist die Aussage trivialerweise richtig.
(IS) Wir nehmen an, dass für ein n 2 N jeweils gilt: n (beliebige) Schafe haben die
gleiche Farbe.
Seien n+1 Schafe s1 , . . . , sn+1 auf der Erde. Wir betrachten die ersten n Schafe
s1 , . . . , sn . Diese haben nach (IV) die gleiche Farbe. Sei dies die Farbe f1 . Wir
betrachten die letzten n Schafe s2 , . . . , sn+1 . Diese haben ebenfalls nach (IV)
die gleiche Farbe, etwa f2 . Da die „mittleren Schafe“ s2 , . . . , sn 1 sowohl die
Farbe f1 als auch f2 haben, gilt f1 = f2 und somit haben alle n + 1 Schafe
die gleiche Farbe.
Wo liegt hier der Fehler? Der Fehler liegt in der Tatsache begründet, dass der Schluss
über die „mittleren Schafe“ s2 , . . . , sn 1 nur dann zulässig ist, wenn es sie überhaupt
gibt! Dafür muss aber n
3 gelten. Für n = 2 haben wir hier ein Problem. Und
in der Tat: es fällt ziemlich schwer zu zeigen, dass zwei beliebige Schafe die gleiche
Farbe haben.
C
Bemerkung 2.22 Offensichtlich erlaubt das Induktionsverfahren auch folgende
Varianten:
(i) Im Induktionsschritt kann man auch beim Beweis der Aussage A(n + 1) die
Gültigkeit von A(0), A(1), . . . , A(n) voraussetzen, anstelle nur von A(n).
(ii) Soll die Aussage A(n) nicht für alle n 2 N, sondern nur für alle n n0 (also
alle n ab einem bestimmten Startwert n0 ) bewiesen werden, so zeigt man
im Induktionsanfang die Gültigkeit der Aussage A(n0 ) und führt dann den
Induktionsschritt so aus, dass man aus der Gültigkeit von A(n) für ein n n0
die Gültigkeit von A(n + 1) folgert.
2.4
Relationen und Abbildungen
Definition 2.23 (Relation) Seien X und Y Mengen. Wir nennen eine Teilmenge
⇠✓ X ⇥ Y des kartesischen Produkts von X und Y eine Relation. Ist (x, y) 2⇠, so
schreiben wir auch x ⇠ y.
Y
y
(x, y) 2⇠
(x, y 0 ) 2⇠
y0
x
X
Abbildung 2.3: Veranschaulichung einer Relation ⇠✓ X ⇥ Y
Eine Funktion definiert man gerne intuitiv wie folgt: Sie ordnet gemäß einer eindeutigen Vorschrift jedem Element x einer Definitionsmenge D genau ein Element y
einer Zielmenge Y zu. Dieses y bezeichnet man dann als Funktionswert y = f (x).
Was aber genau ist eine „eindeutige Vorschrift“? Was bedeutet „zuordnen“?
2.4 Relationen und Abbildungen
13
Definition 2.24 (Abbildung, Funktion) Eine Relation f ✓ X ⇥ Y mit der Eigenschaft, dass für jedes x 2 X genau ein y 2 Y mit (x, y) 2 f existiert, nennen
wir eine Abbildung oder Funktion f : X ! Y von X nach Y .
Wir schreiben dann auch für (x, y) 2 f besser lesbar y = f (x) oder x 7! y und
sagen, dass y = f (x) dem Element x zugeordnet wird. Das Element y 2 Y heißt
Bild von x unter f und x nennen wir ein Urbild von y unter f .
Die Menge X bezeichnen wir als Definitionsmenge, Startmenge oder Startraum der
Abbildung f . Die Menge Y heißt Wertemenge, Zielmenge oder Zielraum von f .
Beispiel 2.25
(i) Sei f1 : Z ! N die Abbildung, die durch f1 (x) := x2 definiert wird.
(ii) Sei f2 : {1, 2, 3} ! {1, 2} definiert durch
1 7! 1, 2 7! 1, 3 7! 2.
(iii) Sei f3 : {1, 2} ! {1, 2, 3} definiert durch
1 7! 2, 2 7! 1.
(iv) Die Addition zweier natürlicher Zahlen ist eine Abbildung + : N ⇥ N ! N.
C
Notation 2.26 Ist X eine Menge, so nennen wir die Abbildung idX von X in sich
selbst, die durch
idX (x) := x für alle x 2 X
definiert ist, die Identität (oder identische Abbildung) auf X. Ist die Menge X aus
dem Kontext klar, so schreiben wir auch kürzer id anstelle von idX .
Definition 2.27 (Einschränkung einer Abbildung) Ist f : X ! Y eine Abbildung und A ✓ X eine Teilmenge des Urbildraums, so erhalten wir durch Einschränkung von f auf A eine neue Funktion f |A : A ! Y , die in offensichtlicher
Weise durch
f |A (x) := f (x)
definiert ist.
Notation 2.28 Sei f : X ! Y eine Abbildung. Für eine Menge A ✓ X bezeichnen
wir mit
f (A) := {f (a) : a 2 A} ✓ Y
das Bild von A unter f . Analog bezeichnen wir für B ✓ Y mit
f
1
(B) := {a 2 X : f (a) 2 B} ✓ X
(2.1)
das Urbild von B unter f .
Bei der Notation f 1 in (2.1) heißt es aufpassen: Oft denken die Studierenden,
dass hier irgendwie die Umkehrabbildung oder „inverse Funktion“ bezeichnet wird.
Dies ist aber zunächst nicht der Fall! Die Abbildung f2 aus Beispiel 2.25 erfüllt
beispielsweise:
f2 1 ({1}) = {1, 2}
und es lässt sich keine Umkehrabbildung wirklich sinnvoll definieren.
Vorlesung vom:
21.04.2017
14
Elementare Grundlagen
Definition 2.29 (Injektiv, surjektiv, bijektiv) Sei f : X ! Y eine Abbildung.
Wir nennen f
(i) injektiv, wenn für alle x, y 2 X gilt: f (x) = f (y) ) x = y („Jedes b 2 Y hat
höchstens ein Urbild“);
(ii) surjektiv, wenn gilt: f (X) = Y („Jedes b 2 Y hat mindestens ein Urbild“);
(iii) bijektiv, wenn f injektiv und surjektiv ist („Jedes b 2 Y hat genau ein Urbild“).
Beispiel 2.30
(i) Die Abbildung f1 aus Beispiel 2.25 ist weder injektiv (denn f1 ( 1) = f1 (1) =
1) noch surjektiv (denn z.B. hat 2 kein Urbild).
(ii) Die Abbildung f2 ist surjektiv, aber nicht injektiv (da f2 (1) = f2 (2) = 1).
(iii) Die Abbildung f3 ist injektiv, aber nicht surjektiv (da f3 1 ({3}) = ?).
(iv) Die Addition zweier natürlicher Zahlen + : N ⇥ N ! N ist surjektiv (0 + n = n
für alle n 2 N, also kommt jedes n 2 N als Bild vor), aber nicht injektiv (da
z.B. 1 + 3 = 2 + 2 = 4).
C
Ist f : X ! Y bijektiv, so kommt jetzt tatsächlich die oben bereits erwähnte Umkehrabbildung ins Spiel. Für ein bijektives f : X ! Y hat jedes y 2 Y genau ein
Urbild, so dass wir hier jetzt eine Abbildung f 1 : Y ! X wie folgt definieren
können:
f 1 (y) := x falls f (x) = y.
Aufgrund der Bijektivität wird f
dann für alle y 2 Y :
f
1
1
für alle y 2 Y eindeutig definiert. Außerdem ist
(y) = f
1
({y})
(2.2)
bzw. mit f (x) = y
{x} = f
1
({y}),
(2.3)
wobei auf der rechten Seite von (2.2) und (2.3) das Urbild der einelementigen Menge {y} steht, wie wir es in (2.1) definiert haben.
Wir fassen zusammen: Falls f bijektiv ist, so hat f 1 aus (2.1) tatsächlich etwas
mit der Umkehrabbildung zu tun und die Notation aus (2.1) ist wirklich sinnvoll.
Umgekehrt ist f 1 (B) für jede Funktion f : X ! Y und B ✓ Y definiert (nicht nur
für bijektive Funktionen) und sagt nichts, aber auch gar nichts, über die Bijektivität
von f aus.
Mit Hilfe von bijektiven Abbildungen können wir auch definieren, wann zwei (nicht
notwendigerweise endliche) Mengen gleichmächtig sind:
Definition 2.31 (Mächtigkeit von Mengen) Eine Menge Y heißt höchstens so
mächtig wie eine Menge X, wenn es eine surjektive Abbildung von X nach Y gibt.
Falls es eine injektive Abbildung von X nach Y gibt, so nennen wir Y mindestens
so mächtig wie X. Zwei Mengen X und Y heißen gleichmächtig, wenn es eine bijektive Abbildung von X nach Y gibt. Eine Menge X hat eine größere Mächtigkeit
als Y , falls X mindestens so mächtig wie Y ist und zudem beide Mengen nicht
gleichmächtig sind.
Darüberhinaus sagen wir, die Menge X ist
2.4 Relationen und Abbildungen
(i) endlich, wenn es eine bijektive Abbildung von X nach {1, . . . , n} für ein n 2 N
gibt;
(ii) unendlich, wenn sie nicht endlich ist;
(iii) abzählbar, wenn es eine bijektive Abbildung von X nach N gibt;
(iv) überabzählbar, falls X weder endlich noch abzählbar ist;
(v) höchstens abzählbar, falls X endlich oder abzählbar ist.
Beispiel 2.32
Die Menge N = {0, 1, 2, . . . } der natürlichen Zahlen und die Menge G = {0, 2, 4, 6, . . . }
der geraden Zahlen sind gleichmächtig, da f : N ! G mit f (n) = 2n eine Bijektion
ist. Also ist die Menge G abzählbar.
C
Im Fall von Mengen endlicher Größe fällt Definition 2.31 auf unsere intuitive Vorstellung zurück, wie folgender Satz zeigt:
Satz 2.33 Seien X und Y endliche Mengen. Dann sind X und Y genau dann
gleichmächtig, wenn sie gleich viele Elemente enthalten.
Beweis: Seien X und Y gleichmächtig und f : X ! Y eine Bijektion. Da X endlich
ist, können wir X schreiben als X = {x1 , . . . , xn } für eine natürliche Zahl n. Wir
betrachten die Bilder yi = f (xi ) 2 Y , i = 1, . . . , n der Elemente von X unter f . Da
f surjektiv ist, kommt jedes Element aus Y unter diesen Bildern vor, d.h. es gibt
zu jedem y 2 Y ein i mit f (xi ) = yi = y. Da f injektiv ist, gibt es nur ein solches i.
Also sind die Elemente von Y genau die Elemente y1 , . . . , yn , mit anderen Worten:
Y hat n Elemente.
Haben X und Y umgekehrt die gleiche Anzahl n von Elementen, so nummerieren
wir diese durch:
X = {x1 , . . . , xn } und Y = {y1 , . . . , yn } .
Eine Bijektion von X nach Y ist dann durch f (xi ) := yi für i = 1, . . . , n definiert.
2
Notation 2.34 (Kardinalität einer Menge) Ist A eine endliche Menge, so bezeichen wir mit |A| die Anzahl der Elemente in A. Falls A unendlich ist, so schreiben
wir |A| := 1.
Beispiel 2.35
Sei A eine endliche Menge mit n Elementen. Dann hat die Potenzmenge 2A genau
2n Elemente.
(Induktionsanfang) Jede Menge mit n = 0 Elementen ist die leere Menge. Die
Potenzmenge von ? ist {?} mit einem Element.
(Induktionsschritt) Angenommen, die Aussage sei richtig für alle Mengen mit
n Elementen und A habe n+1 Elemente. Wir wählen ein (beliebiges) Element
a 2 A aus. Zum Zählen der Teilmengen von A konstruieren wir uns zwei
Bijektionen auf die Teilmengen von A \ {a}.
Die Teilmengen von A zerfallen in zwei Klassen: diejenigen, die a enthalten,
und diejenigen, die a nicht enthalten. Wir müssen jetzt ausrechnen, wie viele
Teilmengen in jeder Klasse liegen.
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16
Elementare Grundlagen
Die zweite Klasse C2 ist am einfachsten: Jede Teilmenge von A, die a nicht
enthält, ist eine Teilmenge der n elementigen Menge A \ {a}. Somit ergibt
sich in natürlicher Weise eine Bijektion zwischen den Mengen aus C2 und den
Teilmengen von A \ {a}. Nach Induktionsvoraussetzung hat A \ {a} genau 2n
Teilmengen, also enthält die Klasse C2 auch genau 2n Mengen.
Für die erste Klasse C1 müssen wir etwas trickreicher argumentieren, um
eine Bijektion zu erhalten. Jede Teilmenge B von A, die a enthält, entspricht
eindeutig der Teilmenge B 0 := B \ {a} von A \ {a}. Dies ergibt wieder eine
Bijektion diesmal zwischen C1 und den Teilmengen von A \ {a}. Also gibt es
auch genau 2n Teilmengen in der ersten Klasse C1 .
Insgesamt haben wir demnach 2n + 2n = 2 · 2n = 2n+1 Teilmengen von A.
C
Für jede nichtleere Menge A enthält die Potenzmenge immer eine zu A gleichmächtige Teilmenge, nämlich die Menge { {a} : a 2 A }, d.h. die Menge aller einelementigen
Teilmengen von A.
Satz 2.36 (Satz von der Potenzmenge) Für jede Menge A ist die Potenmenge 2A nicht gleichmächtig zu A sondern besitzt eine größere Mächtigkeit.
Beweis: Offensichtlich gilt die Aussage für den Fall, dass A = ?. Dann ist nämlich
2A = {?} und |2A | = 1, während |A| = 0. Sei daher im Folgenden A 6= ?.
Wir haben bereits gesehen, dass 2A mindestens so mächtig wie A ist. Wir müssen
daher nur noch zeigen, dass A und 2A nicht gleichmächtig sind. Dazu nehmen wir
an, dass es eine Bijektion f : A ! 2A gibt und führen dies zum Widerspruch.
Für alle a 2 A ist f (a) 2 2A , also f (a) ✓ A eine Teilmenge von A. Es gilt dann
entweder a 2 f (a) oder a 2
/ f (a). Wir definieren jetzt die Teilmenge
U := { u 2 A : u 2
/ f (u) }
(2.4)
von A. Nach Annahme gibt es ein a 2 A mit f (a) = U . Es gilt dann entweder
a 2 f (a) = U oder a 2
/ f (a) = U . Wir führen beide Fälle jetzt zum Widerspruch.
Falls a 2 f (a) = U , dann muss nach der Definition von U in (2.4) aber a 2
/ f (a)
gelten. Somit ist dieser Fall unmöglich. Falls a 2
/ f (a) = U , dann folgt wieder aus
der Definition von U , dass a 2 f (a) gelten muss. Damit ist auch dieser Fall nicht
möglich und es kann insgesamt keine entsprechende Bijektion geben.
2
Dass abzählbare Mengen mitunter überraschende Eigenschaften haben, zeigt die
klassische Geschichte des Hilbertschen Hotels. In einem Hotel mit endlich vielen
Zimmern können keine Gäste mehr aufgenommen werden, sobald alle Zimmer belegt sind. Stellen wir uns nun ein Hotel mit abzählbar vielen Zimmern vor, die mit
den natürlichen Zahlen nummeriert sind. Man könnte annehmen, dass dasselbe Problem auch hier auftreten würde. Eine naive Vermutung hierzu könnte sein: Wenn
unendlich viele Gäste im Hotel sind, kann kein weiterer Gast aufgenommen werden.
Dass dem nicht so ist, zeigt folgende Argumentation.
Der Gast von Zimmer 0 wird in Zimmer 1 geschickt, der Gast von Zimmer 1 geht in
Zimmer 2, der von Zimmer 2 nach Zimmer 3, und so weiter. Damit wird Zimmer 0
frei für den neuen Gast. Da die Anzahl der Zimmer (abzählbar) unendlich ist, gibt
es keinen „letzten“ Gast, der nicht in ein weiteres Zimmer umziehen könnte. Ist ⇤
der neue Gast, so haben wir formal die Bijektion f : N [ {⇤} ! N mit
(
x + 1, falls x 2 N
f (x) :=
konstruiert.
0,
falls x = ⇤
2.4 Relationen und Abbildungen
17
Es ist sogar möglich, Platz für (abzählbar) unendlich viele neue Gäste zu machen.
Der Gast von Zimmer n 2 N geht in das Zimmer 2n + 1. Damit sind dann nur
ungerade Zimmer belegt und alle geraden Zimmer frei für die abzählbar vielen
Neuankömmlinge. Doch es geht noch weiter!
Satz
2.37 Sei für n 2 N die Menge En abzählbar. Dann ist die Menge M =
S
n2N En ebenfalls abzählbar.
Beweis: Da jede Menge En abzählbar ist, gibt es für jedes n 2 N eine Bijektion
fn : N ! En . Wir setzen xnk := fn (k). Damit können wir jede der Mengen En als
eine Sequenz xnk , k = 0, 1, 2, . . . anordnen2 und erhalten wir das folgende Schema
x00
< x01
< x02
< x03
.< . .
< x11
< x12
< x13
...
< x21
< x22
x23
...
⇥
x30
x31
x32
x33
...
..
.
..
.
..
.
..
.
..
✏
x10
⇧
x20
.
in dem die n-te Zeile aus den Elementen der Menge En besteht. Alle Elemente
von M sind im Schema enthalten (möglicherweise mehrfach). In der durch die Pfeile
angedeuteten Weise können diese Elemente in einer Sequenz
x00 ; x10 , x01 ; x20 , x11 , x02 ; x30 , x21 , x12 , x03 ; . . .
angeordnet werden. Da einige Elemente mehrfach vorkommen, sehen wir, dass eine
Teilmenge der natürlichen Zahlen gleichmächtig zu M ist. Also ist M höchstens
abzählbar. Da M aber nicht endlich ist (jede Menge En ist bereits abzählbar),
folgt, dass M abzählbar ist.
2
Als Folge von Satz 2.37 können wir im Hilbertschen Hotel auch noch abzählbar viele
Busse mit jeweils abzählbar vielen Neugästen unterbringen. Außerdem erhalten wir
das folgende Korollar:
Korollar 2.38 Sei A eine höchstens abzählbare Menge, und sei S
zu ↵ 2 A eine höchstens abzählbare Menge B↵ gegeben. Dann ist die Menge T = ↵2A B↵ höchstens
abzählbar.
2
Wir führen jetzt noch die Verkettung von Abbildungen ein:
Definition 2.39 Seien f : X ! Y und g : Y ! Z zwei Abbildungen. Dann heißt
die Abbildung
g f : X ! Z, x !
7 g(f (x))
die Verkettung oder Hintereinanderausführung von f und g.
2 Es
fehlt hier genaugenommen eine ganz formale Defintion des Begriffes einer Sequenz, aber
der Sachverhalt sollte so klar sein. Man kann das Ganze leicht weiter formalisieren, dies führt aber
zu größerem Notationsaufwand.
Vorlesung vom:
25.04.2017
Video zur
Vorlesung:
18
Elementare Grundlagen
f
X
/Y
g
g f
✏
Z
Definition 2.40 (Äquivalenzrelation) Eine Relation ⇠ auf X ⇥ X heißt Äquivalenzrelation auf X, wenn sie folgende Eigenschaften besitzt:
Reflexivität Für alle x 2 X gilt: x ⇠ x.
Symmetrie Für alle x, y 2 X gilt: x ⇠ y ) y ⇠ x.
Transitivität Für alle x, y, z 2 X gilt: x ⇠ y ^ y ⇠ z ) x ⇠ z.
Beispiel 2.41
(i) Sei X die Menge aller Studierenden der Vorlesung „Grundlagen der Mathematik I“. Die Relation ⇠ auf X, definiert durch
x ⇠ y := x und y haben den gleichen Tag im Jahr als Geburtstag
ist offenbar eine Äquivalenzrelation.
(ii) Auch die Gleichheitsrelation „=“ auf einer Menge ist eine Äquivalenzrelation.
C
Definition 2.42 Sei ⇠ eine Äquivalenzrelation auf X. Die Äquivalenzklasse [x]⇠
von x bezüglich ⇠ ist dann definiert als:
[x]⇠ := {y 2 X : x ⇠ y} .
Satz 2.43 Sei ⇠ eine Äquivalenzrelation auf X.
(i) Gilt x ⇠ y, so folgt [x]⇠ = [y]⇠ . Umgekehrt folgt aus [x]⇠ = [y]⇠ auch x ⇠ y.
(ii) Zwei Äquivalenzklassen [x]⇠ und [y]⇠ sind entweder disjunkt oder identisch.
(iii) Die Äquivalenzklassen bezüglich ⇠ bilden eine disjunkte Zerlegung (Partition)
von X.
Beweis:
(i) Wir zeigen zunächst [x]⇠ ✓ [y]⇠ . Dazu müssen wir zeigen, dass z 2 [x]⇠ )
z 2 [y]⇠ gilt.
Sei z 2 [x]⇠ . Dann gilt x ⇠ z und nach Voraussetzung x ⇠ y. Wegen der
Symmetrie haben wir dann auch y ⇠ x. Daher gilt y ⇠ x und x ⇠ z und aus
der Transitivität folgt y ⇠ z, also z 2 [y]⇠ .
Wegen der Symmetrie folgt aus x ⇠ y auch y ⇠ x. Also folgt aus unserer
obigen Argumentation durch Vertauschen von x und y analog [y]⇠ ✓ [x]⇠ ,
also insgesamt [x]⇠ = [y]⇠ .
Jetzt zeigen wir, dass aus [x]⇠ = [y]⇠ auch x ⇠ y folgt. Gilt [x]⇠ = [y]⇠ , so
ist wegen y ⇠ y (aufgrund der Reflexivität) und daher y 2 [y]⇠ auch y 2 [x]⇠ .
Nach Definition von [x]⇠ gilt dann x ⇠ y.
2.4 Relationen und Abbildungen
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(ii) Es genügt zu zeigen, dass aus [x]⇠ \ [y]⇠ 6= ? folgt, dass [x]⇠ = [y]⇠ . Sei dazu
z 2 [x]⇠ \ [y]⇠ . Dann gilt x ⇠ z und y ⇠ z. Nach (i) gilt daher [x]⇠ = [z]⇠
und [y]⇠ = [z]⇠ , also [x]⇠ = [z]⇠ = [y]⇠ .
(iii) Jedes x 2 X kommt in mindestens einer Äquivalenzklasse vor, nämlich in
[x]⇠ wegen x ⇠ x (Reflexivität). Da nach (ii) zwei Äquvialenzklassen entweder
disjunkt oder identisch sind, kommt x auch genau in der Äquivalenzklasse [x]⇠
vor und die Äquivalenzklassen bilden eine Partition von X.
2
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