Struktur und chemische Zusammensetzung von inneren

Werbung
Rühle, Manfred | Struktur und chemische Zusammensetzung von inneren ...
Tätigkeitsbericht 2004
Festkörperforschung/Materialwissenschaften
Struktur und chemische Zusammensetzung von inneren Grenzflächen
in verschiedenen Materialien
Rühle, Manfred
Max-Planck-Institut für Metallforschung, Stuttgart
Abteilung - Gefüge und Grenzflächen
Korrespondierender Autor: Rühle, Manfred
E-Mail: [email protected]
Zusammenfassung
Die meisten Materialien für technische Anwendungen sind polykristallin: Sie bestehen aus kleinen
Kristalliten oder Körnern, die entlang von Korngrenzen aneinander stoßen. Diese flächenhaften Defekte
(innere Grenzflächen) haben großen Einfluss auf viele, auch technisch relevante Materialeigenschaften.
Es ist durch vielseitige Untersuchungen bewiesen, dass die makroskopischen Eigenschaften von
Korngrenzen eindeutig mit ihrem mikroskopischen Aufbau zusammenhängen. Da für nanokristalline
Materialien der Volumenanteil an Korngrenzen oft mehrere Prozent beträgt, kommt bei diesen neuartigen
Materialien der Nanowelt den Korngrenzen ganz besonderes Gewicht zu.
Im Folgenden sollen kurz die Ergebnisse von experimentellen und theoretischen Untersuchungen an
Korngrenzen in α-Al2O3 (Korund) und an der Phasengrenze in Cu/α-Al2O3 berichtet werden. Für Korund
erfolgten Untersuchungen an künstlich hergestellten Bikristallen. Bei diesen wurde sowohl die
Grenzflächenebene als auch die Missorientierung zwischen den beiden aneinander stoßenden Kristallen
vorher festgelegt. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen können mit den Ergebnissen der theoretischen
Analysen verglichen werden. Außerdem erfolgten Untersuchungen an "realen" Sinterkörpern aus
polykristallinem α-Al2O3.
Außerdem soll kurz auf die Ergebnisse der Untersuchungen zur Grenzfläche zwischen Cu und
α-Al2O3 eingegangen werden.
Abstract
Most materials used in technical applications are polycrystalline. They consist of small crystallites
(grains) which meet at internal interfaces. These two-dimensional defects (internal interfaces) influence
strongly many, also technically relevant, properties. Investigations proved that the macroscopic
properties of grain boundaries depend strongly on their microstructure. In nanocrystalline materials the
volume fraction of atoms at grain boundaries can be up to several percent and, therefore, grain
boundaries play a major role in the nanoworld.
Subsequently, the results of experimental and theoretical investigations will be reported for α-Al2O3
(corundum). For corundum artificially processed bicrystals were investigated, where the interface plane
as well as the misorientation between the two crystals meeting at the interface were predetermined.
Results of experimental observations will be compared to results of theoretical analyses. In addition,
© 2004 Max-Planck-Gesellschaft
www.mpg.de
1
Tätigkeitsbericht 2004
Rühle, Manfred | Struktur und chemische Zusammensetzung von inneren ...
investigations of "real" sintered materials consisting of polycrystalline α-Al2O3 were performed. The
results can be used for an explanation of grain growth in α-Al2O3.
Furthermore, results from studies of the Cu/α-Al2O3 interface will be reported. This heterophase
boundary plays an important role in technical applications of electronic as well as structural materials.
Seit geraumer Zeit erfolgen am Max-Planck-Institut für Metallforschung Untersuchungen zur Struktur
und Zusammensetzung von inneren Grenzflächen. Dies beinhaltet die experimentelle und theoretische
Bestimmung der Position und Natur von Atomen (Ionen) nahe der Grenzfläche. Prinzipiell müssen zwei
verschiedene Arten von inneren Grenzflächen unterschieden werden: Homophasige Grenzflächen
(Korngrenzen, Zwillinge, Domänengrenzen, ...), das sind Grenzflächen bei denen das gleiche Material
derselben Zusammensetzung und derselben Struktur aneinander stoßen. Bei heterophasigen
Grenzflächen ist entweder die Struktur und/oder die Zusammensetzung der beiden an die Grenzfläche
anstoßenden Materialien verschieden. Als Beispiel seien hier genannt: Metall/Keramik-Grenzflächen,
Grenzflächen zwischen verschiedenen Metallen oder verschiedenen Keramiken.
Die atomistische Struktur spezifischer Grenzflächen kann mithilfe der höchstauflösenden
Transmissionselektronenmikroskopie mit höchster Präzision ermittelt werden. Informationen über die
dreidimensionale Anordnung der Atome erhält man aus einer Serie von Untersuchungen. Es müssen
dabei unter verschiedenen Einstrahlrichtungen tomographische Untersuchungen vorgenommen werden,
da mit der Transmissionselektronenmikroskopie die Projektion der Atome auf die Abbildungsebene
erfasst wird.
Mithilfe der analytischen Elektronenmikroskopie (mit höchster lateraler Auflösung) können außerdem
Informationen über Zusammensetzung und Bindungsverhältnisse an Grenzflächen gewonnen werden.
Diese Informationen resultieren aus der Analyse der aus den inelastischen Streuprozessen herrührenden
Signale. Zur Ermittlung dieser Größen findet in zunehmendem Maße die
Elektronenenergieverlustspektroskopie ihre Anwendung. Mit dieser können die Zusammensetzung und
Bindungsverhältnisse zwischen den Atomen (Ionen) der ausgewählten Probenstelle mit (nahezu)
atomarer Auflösung erfasst werden. Die Bindungsverhältnisse lassen sich aus der Feinstruktur der
Energieverlustkanten ermitteln [1].
Neben den experimentellen Untersuchungen erfolgen auch theoretische Untersuchungen zur Struktur
und zu den Bindungsverhältnissen an Grenzflächen. Hierbei wird durch einen Algorithmus die Struktur
der kleinsten Energie ermittelt. Auch Berechnungen zum Segregationsverhalten können mithilfe von
theoretischen Simulationen erfolgen. Allerdings müssen für den Fall verschiedenartiger Atome meist
Ab-initio-Rechnungen durchgeführt werden. Mit dieser Methode können nur eine begrenzte Anzahl von
Atomen erfasst werden (≤ 100) [2].
Innere Grenzflächen in Korund (Saphir)
Korund (α-Al2O3) ist eine technische Keramik, die in vielen Bereichen der Technik und Wissenschaft
zum Einsatz kommt. Diese Keramik besitzt eine hohe Festigkeit und einen hohen elektrischen
Widerstand. Einkristallines α-Al2O3 wird als Saphir bezeichnet.
2
www.mpg.de
© 2004 Max-Planck-Gesellschaft
Rühle, Manfred | Struktur und chemische Zusammensetzung von inneren ...
Tätigkeitsbericht 2004
Aufgrund der sehr dichten Kristallstruktur von Saphir (s. Abb. 1) und aufgrund der äußerst geringen
Löslichkeit der meisten Elemente in α-Al2O3 werden sehr viele Eigenschaften von polykristallinem
α-Al2O3 durch die Korngrenzen bestimmt. Ein systematischer Zugang zu den mit den
Korngrenzeneigenschaften verbundenen mikroskopischen Eigenschaften wurde am Institut über die
vergangenen Jahre hinweg unternommen. Untersuchungen erfolgten an Modellgrenzflächen, die durch
Verschweißung von einkristallinen Proben mit wohldefinierten Grenzflächenebenen und
Missorientierungen unter Ultrahochvakuumbedingungen hergestellt worden sind. Um die so
gewonnenen Ergebnisse nach Möglichkeit auf eine reale Korngrenze verallgemeinern zu können,
mussten verschiedene Grenzflächen untersucht und für dieselben Grenzflächen dann atomistische
Simulationen durchgeführt werden. Parallel dazu erfolgten Beobachtungen an dichten polykristallinen
Keramiken, die durch Sintern hergestellt worden waren. Voraussetzung waren allerdings ultrareine
Herstellungs- und Sinterbedingungen in einem speziell dafür angefertigten Sinterofen. Durch die
kontaminationsfreien Sinterprozesse konnte vermieden werden, dass sich die sonst in Keramiken
üblichen Verunreinigungen in das Material einschleichen.
Abbildung 1 zeigt beispielhaft die Struktur einer bestimmten künstlich hergestellten Korngrenze für zwei
verschiedene Einstrahlrichtungen. In Abbildung 1a sind zunächst schematisch die ausgewählten
geometrischen Parameter dargestellt. Abbildung 1b zeigt das mithilfe der hochauflösenden
Elektronenmikroskopie gewonnene Bild in der Orientierung I. Das atomistische Modell, das auch durch
Simulationen bestimmt werden konnte, ist in Abbildung 1b eingefügt. Das dargestellte Modell diente als
Grundlage für die Kontrastsimulation. Abbildung 1c zeigt dieselben Korngrenzen für die Orientierung
II. Die Auswertung der experimentell gewonnenen Ergebnisse umfasste folgende Schritte: Nachdem
zunächst eine atomare Struktur der ausgesuchten Korngrenze eingeführt wurde, erfolgt für die am
Mikroskop eingestellten Abbildungsbedingungen eine Kontrastsimulation. Das simulierte Bild wird
daraufhin mit dem experimentell gewonnenen verglichen und alle Bereiche identifiziert, bei denen keine
befriedigende Übereinstimmung zwischen den beiden Bildern vorliegt. Für diese Bereiche müssen dann
die Positionen der Säulen der Sauerstoff- und Aluminiumionen im Strukturmodell so lange variiert
werden, bis die beste Übereinstimmung zwischen simuliertem und experimentellem Bild erreicht ist. Die
so erhaltene atomare Konfiguration stimmt mit sehr guter Präzision (atomare Position von AluminiumSäulen ± 0,1 Å, von Sauerstoffsäulen ± 0,3 Å) mit den mithilfe von theoretischen Simulationen
gewonnenen Strukturen überein. In dieser Grenzfläche konnten keinerlei Verunreinigungen festgestellt
werden. (Die Nachweisgrenze liegt bei 0,1 Atome pro nm2 der Grenzfläche). Die Sauerstoff-K-Kante
der Energieverlustspektren wurde untersucht und hierbei wiederum die experimentell gewonnenen
Ergebnisse mit der theoretisch gewonnenen Feinstruktur der Kanten verglichen. Die hervorragende
Übereinstimmung zeigt [3], dass so ein konsistentes Bild der atomaren Struktur der Korngrenze mit
höchster Präzision erreichbar ist. Die experimentellen und theoretischen Untersuchungen an den
künstlich hergestellten reinen Bikristallen wurden auf Korngrenzen erweitert, auf denen kleine Mengen
von Y-Zusätzen segregiert waren. Zwar konnte mit den vorhandenen Geräten die mittlere Belegung mit
Verunreinigungen ermittelt werden, doch die genaue Position der Verunreinigungsatome noch nicht
bestimmt werden [4].
© 2004 Max-Planck-Gesellschaft
www.mpg.de
3
Tätigkeitsbericht 2004
Rühle, Manfred | Struktur und chemische Zusammensetzung von inneren ...
Abb. 1a-c : Hochauflösende transmissionselektronenmikroskopische Untersuchungen zur Struktur einer künstlich
hergestellten Grenzfläche zwischen zwei einkristallinen Saphir (α-Al2O3 )-Proben:
a) Ausgewählte Orientierungsbeziehung. Aus der kompakten 6x6x12 mm3 großen Probe werden in zwei Richtungen
die für die elektronenmikroskopischen Untersuchungen erforderlichen Proben herauspräpariert. Die Normale der
dünnen Probe liegt parallel zu den Orientierungen I und II. (Die Probendicke liegt unter 20 nm).
b) Aufnahme in Orientierung I. Das Strukturmodell der Korngrenze ist eingefügt.
c) Aufnahme in Orientierung II. Strukturmodell der Korngrenze ist eingefügt.
Aus den beiden Aufnahmen lässt sich ein Strukturmodell der Korngrenze entwickeln.
Bild : MPI für Metallforschung
Das Sintern von ultrareinen Al2O3-Pulvern wurde untersucht. Neben dem hochreinen Material wurden
Werkstoffe gesintert, bei denen bestimmte kleine Mengen von Yttriumoxid (Y2O3 = Yttria) zugefügt
wurden. Die Verdichtung und das Kornwachstum wurden in den verschiedenen reinen bzw. mit Yttrium
dotierten Materialien untersucht. Es zeigte sich, dass sich ein normales Kornwachstum ausbildet, bei dem
sich die Verteilung der Korngröße normal verbreitert, ohne dass dabei einige bestimmte Körner besonders
stark wachsen, was dem anormalen Kornwachstum entspräche [5]. An den verschiedenen Materialien
wurde die Segregation der zugefügten Verunreinigungen an den Korngrenzen ermittelt. Die Segregation
4
www.mpg.de
© 2004 Max-Planck-Gesellschaft
Rühle, Manfred | Struktur und chemische Zusammensetzung von inneren ...
Tätigkeitsbericht 2004
von Yttrium ist - für ein bestimmtes Material - an allen Korngrenzen ungefähr gleich groß [5]. Mit
zunehmendem Dotierungsgehalt nimmt die Segregation von Yttrium an den Korngrenzen zu. Dies gilt
bis zu einer Yttriumsegregation von 8 Y-Ionen/nm2 Grenzfläche. Bei zunehmender Dotierung von
Y2O3 bilden sich an den Korngrenzen (meistens Trippelpunkte) neue Kristalle, die aus Yttriumgarnet
(YAG) bestehen. Diese Y-haltigen Ausscheidungen sind mit der segregierten Korngrenze im
thermodynamischen Gleichgewicht.
Diffundieren zusätzlich kleinste Mengen von SiO2 in das Material ein, was durch Glühen in einer
SiO2-haltigen Atmosphäre erfolgt, so beginnt ein neuer, äußerst interessanter Prozess. Das in der
Atmosphäre vorhandene SiO2 diffundiert entlang den Korngrenzen ein und beeinflusst zunächst das
Kornwachstum nicht. Allerdings tritt, wie aus Abbildung 2 leicht zu entnehmen ist, in diesen Materialien
anormales starkes Kornwachstum auf: Einzelne Körner wachsen ganz stark auf Kosten der anderen. In
diesen Materialien wurden an der die großen Körner begrenzenden Korngrenze die Natur und Menge an
segregierten Verunreinigungen bestimmt. Die bisherigen Untersuchungen ergaben, dass das anormale
Wachstum dann auftritt, wenn die Belegung mit Yttrium und Silizium folgende Bedingung erfüllt: 6
ΓY + ΓSi ≥ 60 nm-2. (ΓY, ΓSi: Überschusskonzentration von Y bzw. Si an der Korngrenze).
Abb. 2 : Gesinterte α-Al2O3 Probe. Die Probe enthält Y2O3 und SiO2. Das anormale Kornwachstum ist leicht zu
erkennen: Das in der rechten Bildhälfte liegende große Korn besitzt einen Durchmesser, der mehr als 10-mal
größer ist als der mittlere Durchmesser des restlichen Gefüges.
Bild : MPI für Metallforschung
Die Untersuchungen legen den Schluss nahe, dass die Präsenz von Y und Si an Korngrenzen zu einer
"Transformation" der Korngrenzenstruktur führt. Beispielhaft ist in Abbildung 3 eine solche
"transformierte" Korngrenze abgebildet. Entlang der Korngrenze lässt sich eindeutig eine ungeordnete
amorphe Korngrenzenphase mit einer Dicke von ~ 0,5 bis 0,7 nm erkennen [6]. Die ungeordnete
Korngrenze enthält beide Zusatzelemente, Y und Si. Hierbei wurden dann durch die Bewegung der
© 2004 Max-Planck-Gesellschaft
www.mpg.de
5
Tätigkeitsbericht 2004
Rühle, Manfred | Struktur und chemische Zusammensetzung von inneren ...
Korngrenzen (des anormal gewachsenen Kornes) über viele Korngrenzen der kleinen Körner hinweg
alle Verunreinigungen an der verbleibenden Korngrenze aufgesammelt, was dann zu der
"Transformation" führt.
Weitere Untersuchungen zum Segregations- und Umwandlungsverhalten der Korngrenzenphasen
werden sicherlich dazu führen, ein vollständiges Verständnis des Wachstums von Korngrenzen mithilfe
von Modellrechnungen an wohldefinierten Korngrenzen zu erreichen.
Abb. 3 : Abbildung einer Y und Si enthaltenden Korngrenze. Die Korngrenze stößt an ein anormales großes Korn
an. Eine amorphe Korngrenzenphase ist klar erkennbar.
Bild : MPI für Metallforschung
Grenzflächen zwischen Metallen und Keramiken: Untersuchungen zur Grenzfläche zwischen
Kupfer und Saphir
Metall/Keramik-Grenzflächen kommen in Forschung und Industrie eine große Bedeutung zu,
insbesondere auch für die elektronische Industrie. Aus diesem Grunde erfolgen seit geraumer Zeit
Untersuchungen an diesen Grenzflächen. Die experimentellen Untersuchungen werden durch
entsprechende theoretische Simulationen flankiert. Experimentelle und theoretische Untersuchungen
ergaben, dass das Bindungsverhalten (die Festigkeit) der Grenzfläche von den atomaren Bedingungen
unmittelbar an der Grenzfläche abhängt. Theoretisch wurde vorhergesagt, dass die jeweils an die
Korngrenze anstoßende Atomart einen entscheidenden Einfluss auf die Bindungsstärke über die
Heterogrenzfläche hinweg hat. Untersuchungen wurden an der Grenzfläche zwischen der Basalebene
von α-Al2O3 und Kupfer durchgeführt. Die α-Al2O3-Grenzfläche lässt sich experimentell so präparieren,
dass sie entweder durch Sauerstoffionen - Al2O3(O) - oder durch Aluminiumionen - α-Al2O3(Al) terminiert ist. Auf die entsprechenden Oberflächen des Saphirs erfolgte eine Abscheidung von Kupfer
mithilfe der Molekularstrahlepitaxie. Die Dicke der abgeschiedenen Schichten betrug einige 100 nm. An
den Proben erfolgten wiederum Untersuchungen mithilfe der hochauflösenden und analytischen
Elektronenmikroskopie. Die Untersuchungen bestätigen, dass an der Al2O3(Al)/Cu-Grenzfläche eine
Bindung zwischen metallischem Kupfer und Aluminium vorliegt. Dagegen erfolgt die Bindung an der
Al2O3 (O)/Cu-Grenzfläche zwischen Sauerstoff und Kupfer. Die höhere Haftstärke an der Al2O3(O)/CuGrenzfläche wird durch eine Analyse der atomistischen Struktur bestätigt. Während die Al2O3(Al)/CuGrenzfläche vollständig inkohärent ist, konnten an der Al2O3(O)/Cu-Grenzfläche
Fehlpassungsversetzungen gefunden werden. Dies deutet darauf hin, dass an der letzteren Grenzfläche
die Bindungen über die Grenzfläche hinweg so stark sind, dass sich eine teilkohärente Grenzfläche
ausbildet (Abb. 4).
6
www.mpg.de
© 2004 Max-Planck-Gesellschaft
Rühle, Manfred | Struktur und chemische Zusammensetzung von inneren ...
Tätigkeitsbericht 2004
Abb. 4 : Atomare Struktur der Grenzfläche zwischen α-Al2O3 und Cu. α-Al2O3 ist durch Sauerstoffionen terminiert.
Die Lage der Fehlpassungsversetzung ist durch die eingebrachten Linien markiert.
Bild : MPI für Metallforschung
Dynamische Experimente (In-situ-Experimente) bei hohen Temperaturen im
Höchstauflösungselektronenmikroskop erlaubten außerdem bei einer Temperaturänderung der Probe die
Bildung bzw. das Ausheilen von Fehlpassungsversetzungen direkt zu beobachten. Die gefundenen
Beobachtungen sind mit den theoretischen Erwartungen im Einklang.
Die Grenzfläche zwischen den beiden Komponenten Kupfer und Al2O3 lässt sich außerdem durch andere
"chemische" Effekte manipulieren. Zum einen kann die Festigkeit der Grenzfläche durch eine an der
Grenzfläche aufgebrachte monoatomare Schicht von Titan wesentlich erhöht werden (Abb. 5). Die
entsprechende Grenzfläche wurde mithilfe der hochauflösenden und der analytischen
Elektronenmikroskopie untersucht und die Haftfähigkeit durch Eindrücke bestimmt.
Abb. 5 : Struktur der mit einer Monolage Titan dotierten Grenzfläche zwischen Cu und α-Al2O3. Auf dem
hochauflösenden Bild (linkes Bild) kann die Struktur der Grenzfläche und der grenzflächennahen Bereiche
analysiert werden, allerdings zeigen die an der Grenzfläche liegenden Titanatome keinen Kontrast.
Durch analytische Elektronenmikroskopie kann die Elementverteilung ermittelt werden. Die Titanatome sind auf
weniger als zwei Atomlagen begrenzt (mittleres und rechtes Bild).
Bild : MPI für Metallforschung
Außerdem kann die Grenzflächenadhäsion (mechanische Eigenschaften) durch Bildung einer
Oxidschicht erhöht werden: Auslagern der Grenzfläche unter einem bestimmten Sauerstoffpartialdruck
führt zur Ausbildung einer sehr dünnen CuAlO2-Schicht (Delafossitstruktur). Diese Grenzflächenschicht
führt wiederum zu einer Erhöhung der Adhäsion [6].
© 2004 Max-Planck-Gesellschaft
www.mpg.de
7
Tätigkeitsbericht 2004
Rühle, Manfred | Struktur und chemische Zusammensetzung von inneren ...
Abb. 6 : Grenzfläche zwischen Cu und α-Al2O3. Konventionelle transmissionselektronenmikroskopische Aufnahme.
Die Probe wurde für 96 h bei 950 °C in einem Sauerstoffpartialdruck von p = 0,02 Pa geglüht. Eine dünne, ca. 20
nm dicke Schicht aus CuAlO2 führt zu einer starken Erhöhung der Adhäsionskraft.
Bild : MPI für Metallforschung
Durch diese grundlagenorientierten Untersuchungen an der Cu/α-Al2O3-Grenzfläche konnten
wesentliche Beiträge zur Korrelation zwischen Gefüge und mechanischen Eigenschaften von
Verbundwerkstoffen beigesteuert werden. Manipulationen auf atomarer Ebene lassen eine starke
Beeinflussung der mechanischen Eigenschaften dieser Grenzflächen zu.
Literatur
[1] K. van Benthem, S. Krämer, W. Sigle, Z. Zhang, and M. Rühle: Structural and Chemical Analysis of
Materials with High Spatial Resolution. Mikrochimica Acta 138, 181-193 (2002).
[2] S. Fabris and C. Elsässer: First Principle Analysis of Cation Segregation at Grain Boundaries in
α-Al2O3. Acta Materialia 51, 71-86 (2003).
[3] S. Nufer, A. G. Marinopoulos, T. Gemming, C. Elsässer, W. Kurtz, S. Köstlmeier, and M. Rühle:
Quantitative Atomic-Scale Analysis of Interface Structures: Transmission Electron Microscopy and
Local Density Functional Theory. Physical Review Letters 86, 5066-5069 (2001).
[4] T. Gemming, S. Nufer, W. Kurtz, and M. Rühle: Structure and Chemistry of Symmetrical Tilt Grain
Boundaries in α-Al2O3: I, Bicrystals with "Clean" Interface. Journal of the American Ceramic Society
86, 581-589 (2003). Structure and Chemistry of Symmetrical Tilt Grain Boundaries in α-Al2O3: II,
Bicrystals with Y at the Interface. Journal of the American Ceramic Society 86, 590-594 (2003).
8
www.mpg.de
© 2004 Max-Planck-Gesellschaft
Rühle, Manfred | Struktur und chemische Zusammensetzung von inneren ...
Tätigkeitsbericht 2004
[5] R. Voytovych, I. MacLaren, M. A. Gülgün, R. M. Cannon, and M. Rühle: The Effect of Yttrium on
Densification and Grain Growth in Alpha-Alumina. Acta Materialia 50, 3453-3463 (2002).
[6] I. MacLaren, R. M. Cannon, M. A. Gülgün, R. Voytovych, N. Popescu-Pogrion, C. Scheu, U. Täffner,
and M. Rühle: Abnormal Grain Growth in Alumina: Synergistic Effects of Yttria and Silica. Journal of
the American Ceramic Society 86, 650-659 (2003).
© 2004 Max-Planck-Gesellschaft
www.mpg.de
9
Herunterladen