Regenerative Medizin und Biologie Die Heilungsprozesse unseres Körpers verstehen und nutzen Impressum Bildnachweise Herausgeber Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) Referat Publikationen; Internetredaktion 11055 Berlin Autotissue GmbH, Berlin Christoph Blumrich, Blumrich Illustration, Greenlawn, New York B. Braun AG, Melsungen Bundesverband Medizintechnologie e.V., Berlin Angelo Cavalli/TIPS/Agentur Focus Co.don AG, Teltow Deutscher Bundestag, Berlin Fischer Ski Dr. Andreas Emmendörffer, euroderm GmbH, Leipzig Flad & Flad - Communication GmbH, "Flad & Flad BioGene", Heroldsberg Fresenius Medical Care AG, Bad Homburg Prof. Dr. Christoph Gleiter, Universitätsklinikum Tübingen GDE - Grafikdesign Erdmann, Bonn Dr. Andreas Haisch, Charité, Berlin Daniel Heuclin, BIOS, Paris Prof. Dr. Simon P. Hoerstrup, Universitätsspital Zürich Prof. Dr. Jeffrey Hubbell, Ecole Polytechnique Fédérale Lausanne Roman Jupitz, TU Hamburg-Harburg Prof. Dr. Veit Krenn, Charité, Berlin Deborah Maizels, Bertelsmann Lexikon Verlag GmBH, Gütersloh/München Max-Planck-Institut für molekulare Genetik, Berlin Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik, Dresden Medical Photographic Library, Wellcome Trust, London Prof. Dr. Heike Mertsching, Fraunhofer-Institut für Grenzflächen und Bioverfahrenstechnik, Stuttgart Prof. Dr. Stephen Minger, King's College, London Adriane Polak, DECHEMA e. V., Frankfurt Helmut Rohrer, MaxPlanckForschung, München Prof. Andrew Swift, Medical College of Georgia, Augusta Teraklin AG, Rostock VasoTissue Technologies GmbH, Berlin VITA 34 AG, Leipzig Dr. Dr. P. H. Warnke, Klinik für MKG-Chirurgie, Universität Kiel Bestellungen schriftlich an den Herausgeber Postfach 30 02 35 53182 Bonn oder per Tel.: 01805 - 262 302 Fax: 01805 - 262 303 (0,12 Euro/Min. aus dem deutschen Festnetz) E-Mail: [email protected] Internet: http://www.bmbf.de Redaktion Dr. Karsten Schürrle Autoren Dr. Rüdiger Marquardt, Dr. Karsten Schürrle, DECHEMA e. V., Frankfurt/M. Gestaltung Christian Beck, Frankfurt/M. Druckerei Druckhaus Münster, Kornwestheim Bonn, Berlin 2005 Gedruckt auf Recyclingpapier Seite 37 8, 9, 28 18 15, 20, 42 U1 17, 24 17, 25 32 16 15 12 29 38 23 19 40 19, 20 18 23 42 7 30 41 7, 30 27 33 31 14 10, 11 29 20 13 21, 26 Regenerative Medizin und Biologie Die Heilungsprozesse unseres Körpers verstehen und nutzen VORWORT Vorwort Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert Forschung für den Menschen. Damit ist nicht nur gemeint, dass Forschungsergebnisse zu einer verbesserten Gesundheitsversorgung beitragen können. Forschung für den Menschen bedeutet auch – und dies gilt in besonderer Weise bei den Entwicklungen der modernen Biomedizin – dass sie in einem angemessenen ethischen und rechtlichen Rahmen stattfindet. Regenerative Technologien gehören zu den innovativsten Zukunftsfeldern der modernen biomedizinischen und biologischen Forschung und Anwendung. Die Möglichkeit, die Selbstheilungskräfte des Körpers gezielt zur Behandlung von Krankheiten zu mobilisieren, ist für die Gesundheit vieler Menschen eine überaus wichtige, wirtschaftlich sehr viel versprechende und wissenschaftlich höchst faszinierende Perspektive. Konkret umfassen die Regenerativen Technologien die Erhaltung beziehungsweise Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit und damit Lebensqualität bei Patienten – auch bei bisher nicht therapierbaren Krankheitsbildern. Gleichzeitig birgt sie auf längere Sicht betrachtet ökonomische Potenziale bei der Behandlung selbst: Wo es über die Stimulierung körpereigener Mechanismen zu einer Reparatur im Sinne einer echten Regeneration kommt, kann auf Implantate aus Stoffen, die dem Organismus fremd und unverträglich sind, auf lange Sicht immer öfter verzichtet werden. Auch aufwändige Folgebehandlungen wie Dialyse oder Folgeoperationen könnten in Zukunft unterbleiben. Vorbild ist dabei die Natur selbst: Sie liefert mit Wirbeltieren, bei denen ganze Organe oder Körperteile nachgebildet werden, die beeindruckendsten Beispiele für das dahinter stehende Potenzial. Schon heute zeigen sich erstaunliche Beispiele, unter anderem die Möglichkeit, Hautverbrennungen durch aus Zellen nachgezüchtete Haut zu heilen – oder die Option, patienteneigenen Knorpel zu züchten, um ihn in verletzte Gelenke oder als Bandscheibenersatz zu transplantieren. Diese Ansätze sind bereits praxistauglich. Sie wurden von Forschergruppen in Deutschland entwickelt und werden auch von deutschen Biotechnologiefirmen vermarktet. Diese Erfolge sind nur durch gemeinsame Anstrengungen, vor allem durch die Zusammenarbeit von Grundlagenforschung, Klinik und Industrie möglich. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert gezielt die Ausschöpfung der Potenziale der Biomedizin. Mit dem im Jahr 2000 geschaffenen Förderschwerpunkt „Tissue Engineering“ unterstützte das Bundesministerium für Bildung und Forschung mit 38 Millionen Euro wichtige Akzentsetzungen insbesondere bei jungen Unternehmen. Ziel ist es, in Deutschland aus den bestehenden Strukturen heraus ein international wettbewerbsfähiges Produkt- und Dienstleistungsspektrum zu etablieren. Daher werden vor allem Kooperationen zwischen kleinen und mittleren Unternehmen und Forschungseinrichtungen aus Medizin sowie Natur- und Ingenieurwissenschaften gefördert. Zusätzlich zu den genannten öffentlichen Fördermitteln konnten nochmals etwa 26 Millionen Euro private FuE-Mittel mobilisiert werden. Darüber hinaus wird in dem BMBF-Förderschwerpunkt „Biologischer Ersatz von Organfunktionen“ das Potenzial von Stammzellen zur Therapie verschiedener volkswirtschaftlich relevanter Erkrankungen wie zum Beispiel Parkinson, Diabetes, Osteoporose und Herzinfarkt ausgelotet. Mit einem Volumen von neun Millionen Euro für drei Jahre ist der Förderschwerpunkt Mitte 2001 gestartet und umfasst derzeit 32 laufende Projekte. Zur Fortführung dieser Förderung ist im September 2004 ein neuer Förderschwerpunkt zur „Zellbasierten, regenerativen Medizin“ ausgeschrieben worden. Dabei soll das bisherige Fördervolumen mit einem Umfang von drei Millionen Euro im Jahr beibehalten werden. Die geförderten Projekte werden sich überwiegend im Vorfeld der Anwendung bewegen zur Vorbereitung einer späteren klinischen Anwendung. Diese Broschüre gibt einen Überblick über den Stand der Entwicklung, skizziert das Potenzial der Regenerativen Technologien und wagt einen Blick in die Zukunft. Die enormen Chancen, die sich dabei abzeichnen, müssen wir nutzen in unser aller Sinne: als mögliche Patienten und für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Deutschlands. Edelgard Bulmahn Bundesministerin für Bildung und Forschung 4 INHALTSVERZEICHNIS Inhaltsverzeichnis Vorwort 3 Einleitung 5 Medizinische Grundlagen 6 Zellen- und Differenzierungspotenziale Immunologie Stammzellen Reproduktives und therapeutisches Klonen Tissue Engineering in der Praxis: einige Beispiele Haut Gelenkknorpel Bandscheiben Knochenmark und Blutzellen Extrazelluläre Trägermaterialien – Grundlage des Fortschritts Ohren Herzklappen Gefäße Ansätze mit Stammzellen Knochen Entwicklung der Methoden der modernen Medizin Die Züchtung von Zellen und Geweben Herzmuskel Luftröhre Pankreas Niere Leber Nerven 7 8 11 14 15 15 16 17 17 18 19 19 20 21 21 22 24 26 27 28 28 29 30 Embryonale Stammzellen – die internationale Situation 32 Nationale und internationale Förderaktivitäten 35 Die Zulassung von Tissue-Engineering-Produkten 36 Fallbeispiel für die Zulassung eines TE-Produkts 37 Interview mit Prof. Dr. Christoph Gleiter 38 Regenerative Medizin – die Zukunft hat schon begonnen 40 Wird sich die regenerative Medizin durchsetzen? Glossar 42 43 EINLEITUNG 5 Einleitung Die Medizin steht vor großen Entwicklungen. Dank der rasant wachsenden Einblicke in zelluläre Prozesse verstehen wir die molekularbiologischen Mechanismen hinter den Selbstheilungskräften unseres Körpers zunehmend besser. Diese Selbstheilungskräfte gezielt zu nutzen, bedeutet eine wesentliche Erweiterung der Heilkunst um therapeutische Optionen, die oft unter dem Schlagwort der Regenerativen Medizin zusammengefasst werden. Einige Anwendungen wurden bereits Realität. Dazu zählen Knorpel- und Hautersatz, die durch das Tissue Engineering – das heißt die intelligente Kombination von Hightechmaterialien und Zellkulturen – verfügbar wurden. Hier haben insbesondere deutsche Forschergruppen und Biotechunternehmen viel geleistet. Trotz der Verfügbarkeit dieser Produkte sind aber manche Probleme auf dem Weg zum Markterfolg noch nicht gelöst worden. So leidet die Kommerzialisierung unter den in Europa uneinheitlichen Zulassungsregularien und der zögerlichen Erstattungspraxis der Krankenversicherungen, wodurch letztlich die Aussichten der jungen Unternehmen auf Einnahmen schwinden und sich Investoren oftmals verhalten zeigen. Dennoch hat die Regenerative Medizin ihre Zukunft noch vor sich. Die aufregenden Ergebnisse haben bereits viel versprechende Projekte etwa zur Reparatur defekter Gewebebereiche angestoßen, die langfristig zur Therapie schwerer und weit verbreiteter Krankheiten wie Herzinfarkte, Neurodegenerativer Erkrankungen und Diabetes geeignet sein dürften. Das ökonomische Potenzial derartiger Therapien wird als beachtlich eingeschätzt – nicht zuletzt in der Entlastung der Gesundheitssysteme. Gegenwärtig sind die komplexen Kausalitäten der biologischen Regenerationsmechanismen noch weitgehend unverstanden. Hier steht die biomedizinische Grundlagenforschung gerade erst am Anfang. Vieles bleibt aufzuklären, zum Beispiel wie nah adulte, embryonale oder Nabelschnurblutstammzellen an das jeweilige Therapieziel heranführen. Diese spannenden Fragen müssen ergebnisoffen, nüchtern und bei Wahrung der ethischen Grundsätze angegangen werden, die notwendigen materiellen und rechtlichen Voraussetzungen dafür sind gegeben. Der "Heilige Gral" der Regenerativen Medizin ist schließlich die Bildung bzw. Züchtung von ganzen Ersatzorganen und Gliedmaßen aus Zellen der Patienten. Auch wenn dieses Ziel noch in sehr weiter Ferne liegt, werden jetzt die ersten Schritte dahin gemacht. Denn die Natur hat uns bei Wirbeltieren wie Reptilien und Amphibien bereits vorgemacht, dass dies möglich ist. 6 MEDIZINISCHE GRUNDLAGEN Medizinische Grundlagen Bereits Hippokrates erkannte die Bedeutung der Selbstheilungskräfte des Körpers für die Therapie von Krankheiten. Dass Zellen bei Krankheits- und Heilungsprozessen im Mittelpunkt stehen, wurde im 19. Jahrhundert klar. Heute versteht man viele ihrer Mechanismen und lernt, sie gezielt für die Therapie zu aktivieren und zu nutzen. Die ersten überlieferten Ansätze einer rationalen Auseinandersetzung mit menschlichen Krankheiten, zumindest im abendländischen Raum, werden häufig Hippokrates zugeschrieben, der rund 400 Jahre vor Christus gewirkt und eine eigene Lehre begründet hat. Der Hippokratische Eid der Mediziner erinnert noch heute an ihn. Hippokrates und seinen Schülern ist es zu verdanken, dass Krankheiten nicht mehr als göttliche Strafe oder als Wirken von Dämonen Aderlass begriffen wurden, sondern als Fehlfunktionen des Körpers, die man behandeln konnte. Für Hippokrates ging es darum die Patienten genau zu beobachten und sie entsprechend zu pflegen, also die Selbstheilungskräfte des Körpers gezielt zu unterstützen – angesichts des fehlenden Verständnisses für Krankheitsursachen keine schlechte Methode. Erst um das Jahr 1840 herum setzte sich die Erkenntnis durch, dass Pflanzen, Tiere und der Mensch aus einer großen Viel- zahl einzelner Zellen aufgebaut sind. Die Zelle ist das verbindende Element aller Lebewesen, von den einzelligen Urtierchen, die schon Leuwenhook unter dem Mikroskop beobachtet hatte, bis hin zum Elefanten oder Wal. Diese Erkenntnisse und das zunehmende Verständnis der Organe und Funktionen des menschlichen Körpers ermöglichten eine neue Vorstellung von Krankheit und neue Konzepte für Therapien. So konnte Rudolf Virchow, ein Berliner Arzt und Politiker, unter anderem den zellulären Ursprung vieler Krankheiten erkennen. Virchow setzte sich auch sehr für den Aufbau eines staatlichen Gesundheitswesens ein. Das 19. Jahrhundert erwies sich insgesamt als technik- wie forschungsfreundlich und verhalf auch der Medizin zu wichtigen Fortschritten. So ist das Stethoskop, noch heute ein Standard-Utensil der Ärzte, eine Erfindung des frühen 19. Jahrhunderts. Auch fanden in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts Schmerzmittel wie Morphin als aktiver Bestandteil des Opiums identifiziert, oder Narkosemittel wie Lachgas, Äther und Chloroform erstmals breite und gezielte Anwendung. Das ermöglichte wiederum umfangreiche und schwierige chirurgische Eingriffe. Die Medizintechnik, also die Entwicklung und der Einsatz speziell entwickelter Geräte für Diagnostik und Therapie, machte seit dieser Zeit große Fortschritte. Eine moderne medizinische Versorgung greift ja wie selbstverständlich auf Katheter, künstliche Gelenke, Herzschrittmacher, Zahnimplantate und vieles mehr zurück. Auch mikrochirurgische Verfahren können nur dank der Entwicklung neuer Geräte eingesetzt werden. In der Pharmazie, bei der Entwicklung und Bereitstellung von Medikamenten, wurden gleichfalls große Fortschritte gemacht. Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte man bereits Methoden, um Organe außerhalb eines Körpers funktionstüchtig zu halten. Dazu wurden die isolierten Organe nicht mit Blut, sondern mit speziell dafür entwickelten Nährlösungen durchspült. Auch die Transplantation menschlicher und tierischer Organe versuchte man. Allerdings scheiterten diese und auch spätere Versuche an den oft heftigen und bis dahin unverstandenen Abstoßungsreaktionen der Empfänger. Erst in den 1950er Jahren gelang Ärzten in Boston eine erfolgreiche Nierentransplantation beim Menschen, wobei Spender und Empfänger eineiige Zwillinge waren und daher Abstoßungsreaktionen unterblieben. Die eigentliche Ära der Organtransplantationen begann im Jahr 1967 mit der erfolgreichen Ver- MEDIZINISCHE GRUNDLAGEN Zellen und Differenzierungspotenziale 7 sich nun auch die Möglichkeit, das hohe Leistungspotenzial menschlicher Körperzellen für therapeutische Zwecke zu nutzen. Was die Schule des Hippokrates begründet hat, nämlich die Unterstützung der Selbstheilungskräfte des Körpers, wird von der modernen Medizin in verblüffender Weise aufgenommen und weiterentwickelt. Zellen und Differenzierungspotenziale Herz-OP pflanzung eines menschlichen Herzens durch Christian Barnard. Mittlerweile hatte man gelernt, Spender und Empfänger hinsichtlich einer möglichst guten Gewebeverträglichkeit zu klassifizieren und man setzte radioaktive Bestrahlungen oder Zytostatika ein, um die Immunantwort des Empfängers zu unterdrücken. Es bedurfte allerdings noch der Entwicklung besserer Medikamente, mit denen die Immunabwehr ohne allzu gravierende Nebenwirkungen kontrolliert werden konnte, bevor die Methode der Organtransplantation ihren Siegeszug antrat. Die Medizin hat sich in den letzten 200 Jahren enorm entwickelt und es ist für uns heute selbstverständlich, dass hochmoderne Techniken und Medikamente zur Verfügung stehen, mit Mitochondrium denen Verletzungen versorgt, Krankheiten gelindert oder geheilt werden können. Viele Erkrankungen kann man allerdings nur in den Symptomen, nicht aber in den Kernhülle Ursachen bekämpfen. Bei OrganZellkern transplantationen ist die Nachfrage heute weit größer als das verGolgi-Apparat fügbare Angebot. Leiden wie Krebs, Schlaganfall und Herzinfarkt können nur unzureichend behandelt werden. Die steigende Zellmembran Lebenserwartung führt dazu, dass altersbedingte Krankheiten eine immer größere Rolle spielen, worGlattes endoaus neue Anforderungen an die plasmatisches medizinische Versorgung resultieRetikulum ren. Dank des Wissens um den Aufbau und das Funktionieren des menschlichen Körpers eröffnet Die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte nicht nur die Erkenntnis gebracht, dass Organismen aus einer Vielzahl einzelner Zellen aufgebaut sind. Man hatte auch die Eizelle entdeckt und untersucht, wie sich aus dieser einzelne Gewebeschichten und schließlich ganze Lebewesen entwickeln konnten. Trotz dieser frühen Einsicht gehört es noch heute zu den größten und spannendsten Herausforderungen in den Lebenswissenschaften zu verstehen, wie dieser Vorgang genau abläuft. Auch der menschliche Organismus entsteht in seiner komplexen Gesamtheit mit rund 60 Billionen Zellen aus nur einer einzigen Zelle, der befruchteten Eizelle. Im Menschen bilden sich über 200 Zelltypen aus, die unterschiedlich spezialisiert sind und verschiedene Aufgaben wahrnehmen. Es leuchtet sofort ein, dass eine Leberzelle anders funktionieren muss als eine Herz- oder Hautzelle und dass rote Blutkörperchen andere Funktionen haben als weiße. Wie es zu dieser Spezialisierung kommt ist noch nicht endgültig geklärt. Klar ist aber, dass alle Zellen eines Organismus grundsätzlich über die gleiche genetische Ausstattung verfügen und damit im Prinzip jede Aufgabe übernehmen könnten. Die unterschied- Raues endoplasmatisches Retikulum Ribosom Kernkörperchen Zentralkörperchen Glykogentröpfchen Freie Ribosomen Zytoplasma Mikrotubulus Zille Golgi-Veskel Zellen und Differenzierungspotenziale MEDIZINISCHE GRUNDLAGEN 8 Immunologie Mehr als ein Dutzend verschiedener Immunzellen, fünfzig Botenstoffe (Zytokine) und zahlreiche weitere Substanzen arbeiten im ebenso komplexen wie intelligenten Netzwerk des Immunsystems zusammen, um unseren Organismus gegen verschiedenste Arten von Eindringlingen und Amokläufern zu schützen. Fresszellen nehmen bakterielle Eindringlinge ins Zellinnere auf und zerstören sie dann. B-Zellen tragen auf ihrer Oberfläche gleiche, aber von Zelle zu Zelle verschiedene Antikörper. Nach der Aktivierung durch ein Antigen vermehrt sich eine B-Zelle und bildet Hunderte von so genannten Plasmazellen, von denen jede den gegen den Eindringling passenden Antikörper in großer Menge – etwa 2.000 Antikörper pro Sekunde – produziert. Antikörper heften sich an freie Antigene der Erreger und markieren diese damit zur Vernichtung durch Fresszellen. Die Markierung wird durch zusätzliche Anhaftung von Komplementfaktoren, das sind immunologische Wirksubstanzen aus der Leber, verstärkt. Die Fresszellen – Makrophagen oder Granulozyten – werden durch Botenstoffe der T-Zellen aktiviert. Folikuläre dendritische Immunzellen präsentieren den B-Lymphozyten Antigene und regen sie zur Bildung von Antikörpern an. Eosinophile Granulozyten sind vor allem an der Abwehr von Würmern beteiligt und verantwortlich für Entzündungen bei allergischem Asthma. T-Lymphozyten zerstören von Viren befallene Zellen und regulieren die Immunantworten. Noch als Student hatte der spätere Nobelpreisträger Karl Landsteiner zu Anfang des 20. Jahrhunderts das menschliche Blut in vier Hauptgruppen unterteilen können, die untereinander verträglich waren. Menschen mit der gleichen Blutgruppe können sich gegenseitig Blut spenden, ohne dass dies beim jeweiligen Empfänger zu Problemen führt. Stimmen die Blutgruppen dagegen nicht überein, dann kann es je nach Kombination zu Verklumpungen und schweren Problemen bis hin zum Tod des Empfängers kommen. Diese Tatsache hatte dazu geführt, dass die immer wieder einmal versuchten und gelegentlich sogar erfolgreichen Bluttransfusionen vor der Entdeckung Landsteiners in Europa meist verboten waren. Landsteiner beschrieb übrigens knapp 40 Jahre nach Entdeckung der vier hauptsächlichen Blutgruppen zusammen mit Alexander Wiener auch den Rhesusfaktor, ein weiteres wichtiges Blutgruppen-Merkmal. Ursache für die Unterschiedlichkeit der Blutgruppen sind Strukturen auf den Oberflächen der Blutzellen, die man als Antigene bezeichnet. Landsteiner setzte seine Forschungen Anfang des 20. Jahrhunderts fort und entwickelte gemeinsam mit anderen die Theorie, dass die Antigene von bestimmten Eiweißen im Blut, den Antikörpern, erkannt und gebunden werden. Als Antigene konnten dabei nicht nur Strukturen auf Zelloberflächen dienen, sondern ein riesiges Reservoir fast beliebiger Substanzen. Das Immunsystem des Menschen ist außerordentlich komplex. Unablässig überprüfen spezialisierte Zellen, ob fremde Stoffe in den Körper eingedrungen sind. Ist dies der Fall, dann wird eine Kaskade von Aktivitäten gestartet in deren Folge die Fremdstoffe unschädlich gemacht werden. Auch wenn es sich bei den fremden Stoffen um Viren und Bakterien handelt, die Körperzellen infizieren und sich dort quasi verstecken, werden sie von den Immunzellen aufgespürt. Dabei erkennen die Immunzellen veränderte Strukturen auf den Oberflächen der befallenen Zellen und töten diese Zellen ab. Die Vermehrung der Bakterien und Viren wird dadurch unterbunden. Unser Immunsystem kann praktisch jede beliebige molekulare Struktur erkennen und mit ihr wechselwirken. Während ein neuer Mensch heranwächst, „lernen“ die Immunzellen zunächst, die Zellen des eigenen Körpers als „nicht fremd“ zu behandeln. Tatsächlich sieht dieser „Lernprozess“ so aus, dass in einer definierten Entwicklungsphase alle Immunzellen, die mit Neutrophile Granulozyten attackieren Bakterien und setzen Entzündungsstoffe frei. Basophile Granulozyten sind für allergischen Reaktionen im Blut verantwortlich. Plasmazellen gehen aus B-Zellen hervor und produzieren wie diese Antikörper. Mastzellen sind an der Auslösung allergischer Reaktionen im Gewebe beteiligt. MEDIZINISCHE GRUNDLAGEN Zellen und Differenzierungspotenziale bestimmten Oberflächenstrukturen auf den normalen Körperzellen interagieren, absterben. Dadurch wird erreicht, dass die normalen, unveränderten Zellen des Körpers für das eigenen Immunsystem unsichtbar werden. Aus der Vielzahl an Strukturen, die unser Immunsystem dann ein Leben lang erkennt, werden zunächst einmal diejenigen gezielt entfernt, die für das jeweilige Individuum typisch sind. Diese Strukturen bezeichnet man auch als Gewebsantigene. So wie sich ein Mensch vom anderen unterscheidet, unterscheiden sich auch die Gewebsantigene voneinander. Jeder Mensch hat seine ganz eigenen, individuell geformten Gewebsantigene. Ausnahmen sind hier nur genetisch identische Individuen wie eineiige Zwillinge – bei der Diskussion um das therapeutische Klonen werden wir auf diesen Umstand zurückkommen. Die Gewebespezifität ist bei Transplantationen sehr problematisch, da das Immunsystem ja nur eigene Körperzellen toleriert, die Zellen des Spenderorgans dagegen als fremd erkennt und angreift. Als Folge davon kommt es zu Abstoßungsreaktionen. Man ist heute in der Lage, die Verträglichkeit von Geweben unterschiedlicher Individuen aufgrund einer Klassifizierung der Gewebsantigene vorherzusagen – die Heftigkeit einer Immunreaktion kann je nach Typ dieser Gewebsantigene sehr unterschiedlich sein. Der Erfolg einer Transplantation hängt deshalb von der richtigen Typisierung der Gewebe ab. Aber auch davon, dass eine immer noch vorhandene Immunreaktion durch Medikamente unterdrückt wird. Der aufmerksame Leser wird sich vielleicht fragen, warum es beim Blut dann nur so wenige Hauptgruppen gibt. Auch hier müssten sich die Blutzellen ja eigentlich von Individuum zu Individuum unterscheiden. Grund dafür ist die Tatsache, dass die roten Blutkörperchen, die Erythrozyten, als einziger Zelltyp keine Gewebsantigene mehr auf der Oberfläche tragen. Deswegen spielen hier nur zwei andere Antigene eine Rolle, die man als A und B bezeichnet. Die Erythrozyten tragen entweder nur das A-Antigen (Blutgruppe A), das B-Antigen (Blutgruppe B), beide Antigene (Blutgruppe AB) oder keines dieser Antigene (Blutgruppe 0) auf der Oberfläche. Eine andere Besonderheit stellt die Transplantation der Hornhaut des Auges dar. Die fehlende Abstoßung beruht hier darauf, dass in der klaren Hornhaut keine Blutgefäße und daher auch keine Immunzellen vorhanden sind, da die Ernährung der Hornhaut über das Tränensekret erreicht wird. Makrophagen vernichten hauptsächlich bakterielle Eindringlinge. Natürliche Killerzellen greifen entartete und viral infizierte Zellen an. Dendritische Zellen in Geweben nehmen Antigene auf, die sie T-Lymphozyten präsentieren. 9 liche Spezialisierung wird dadurch festgelegt, dass in jedem Zelltyp nur eine definierte Teilmenge der verfügbaren Gene aktiv ist. Trotz ihrer unterschiedlichen Aufgaben verfügen menschliche Zellen über gemeinsame Elemente. Dazu gehört eine Membran, die den Zellinhalt, das Zytoplasma, von der Umgebung abgrenzt und der Zelle die Form gibt. Weiterhin verfügen die Zellen über einen Zellkern, in dem die genetische Information gespeichert ist und aus dem diese Information, je nach Bedarf, abgerufen wird (die roten Blutkörperchen sind hier einzigartig, weil sie im Zuge ihrer Spezialisierung den Zellkern verlieren). Außerdem verfügen die Zellen über Ribosomen, die so genannten Proteinfabriken, an denen die genetische Information in Eiweiße, die Proteine, übersetzt wird. Und weil alle Prozesse Energie verbrauchen gibt es Mitochondrien, in denen die biochemische Energie mit Hilfe von molekularem Sauerstoff erzeugt wird. Zwei weitere wichtige Zellelemente sind das Endoplasmatische Reticulum, eine Art Transportnetz innerhalb der Zelle und der Golgi-Apparat, mit dessen Hilfe beispielsweise festgelegt wird, ob ein neu hergestelltes Eiweiß im Zellkern, in der Zellmembran oder in einem anderen Teil der Zelle landet – oder von der Zelle in die Umgebung abgegeben wird. Die einzelnen Zelltypen unterscheiden sich in Funktion und Gestalt teils ganz erheblich. Die menschliche Zelle mit dem größten Zellkörper ist die weibliche Eizelle, die mit 200 Mikrometer Durchmesser – dem Fünftel eines Millimeters – sogar mit bloßem Auge gerade noch erkannt werden kann. Nervenzellen können, mit den zur Signalleitung notwendigen langen Fortsätzen, den Axonen, sogar bis zu einem Meter lang werden. Die Beschreibung der rund 200 unterschiedlichen Zelltypen würde den Rahmen dieser Broschüre sprengen. Erwähnt seien aber noch die unterschiedlichen Zelltypen im Blut. Der wohl bekannteste Typ, das rote Blutkörperchen – wissenschaflich als Erythrozyt bezeichnet – ist für den Transport von Sauerstoff und Kohlendioxid zuständig. Das eisenhaltige Protein Hämoglobin, das dies bewerkstelligt, ist für die rote Färbung der Zellen und damit des Bluts verantwortlich. Die anderen rund zehn Typen, die summarisch als weiße Blutkörperchen bezeichnet werden, stellen das Abwehrsystem des Körpers gegen Eindringlinge wie Bakterien und Viren dar oder sind als Blutplättchen an der Blutgerinnung beteiligt. Rote Blutzellen Die roten Blutkörperchen verlieren im Zuge ihrer außerordentlich hohen Spezialisierung ihren Zellkern. Das Vorhandensein genetischer Information, die im Zellkern lokalisiert ist, stellt allerdings eine zwingende Voraussetzung für die Teilung und damit Vermehrung der Zellen dar. Die Erythro- 10 Zellen und Differenzierungspotenziale MEDIZINISCHE GRUNDLAGEN Knochenmark Zwei Arten adulter eosinophiler rote Blutbasophiler BlutstammStammzellen gibt es körperchen Granulozyt Granulozyt zelle im Knochenmark: Blutstammzellen, aus denen sich die VorläuMonozyt Megakaryozyt fer der verschiedenen Blutzellen bilden, und StromaStromazellen, aus zelle denen Fett-, Knorpelund Knochenzellen multipotente Fettzelle myeloide Stammzelle hervorgehen. StromaVorläuferzelle zellen könnten auch neutrophile die Vorläufer der lymphoide Zelle mesenchymale mesenchymalen VorläuferStammzelle zelle Osteoblast Blutplättchen Stammzellen und der multipotenten adulten Vorläuferzellen MAPC T-Lymphozyt (MAPCs) sein, sie sind dendritische Zelle vielleicht sogar mit ihnen identisch. Adulte Zellen, denen StammzelleigenschafB-Lymphozyt natürliche Killerzelle ten zugeschrieben wurden, hat man mittlerweile in vielen Geweben gefunden: Gehirn, Haut, Muskel, Leber, Zahnpulpa, Auge, Pankreas, Blutgefäße und im MagenDarm-Trakt. Noch ist unklar, ob es sich um organtypische Stammzellen oder um eingewanderte Blutstammzellen aus dem Knochenmark handelt. zyten haben zwar eine recht lange Lebenszeit, doch sterben sie nach rund 120 Tagen ab und müssen ersetzt werden. Man hat errechnet, dass pro Minute rund 350 Millionen neue rote Blutkörperchen gebildet werden. Hier zeigt sich, dass die neuen Eythrozyten aus so genannten Vorläuferzellen entstehen, die man auch als Stammzellen bezeichnet. Stammzellen sind undifferenzierte Zellen, die sich in den unterschiedlichen Geweben finden und die Fähigkeit haben, sich in alle Zelltypen des jeweiligen Gewebes entwickeln zu können. Die Blutstammzellen sind im Knochenmark lokalisiert – wir werden ihnen in dieser Broschüre noch häufiger begegnen. Neben den Blutstammzellen findet sich im Knochenmark übrigens noch ein weiterer Typ von Stammzellen, aus denen Stroma-, Fett-, Knorpel- und Knochenzellen entstehen können. Aus den Blutstammzellen des Knochenmarks gehen aber nicht nur die roten Blutkörperchen hervor, sondern auch alle anderen Zelltypen des Bluts. Das umgebende Milieu 1 der Stammzellen entscheidet darüber, in welche Richtung sie sich nach ihrer Aktivierung entwickeln. Dabei vollzieht sich diese Entwicklung in mehreren Schritten. Aus einer Blutstammzelle gehen beispielsweise lymphoide und myeloide Vorläuferzellen hervor, die nicht mehr alle, aber doch noch verschiedene Zelltypen des Bluts generieren können. Viele der Faktoren, die für eine solche Reifung wichtig sind, kennt man heute. Verwiesen sei hier nur auf das Erythropoietin, oder kurz EPO1, das für die Bildung der roten Blutkörperchen von entscheidender Bedeutung ist. Wie bei zahlreichen anderen solcher Faktoren handelt es sich bei EPO um ein Protein, das mit Rezeptoren auf der Oberfläche der Blutstammzellen interagiert und damit die Reifung der Zellen beeinflusst. Die meisten Gewebe sind in der Lage, sich zu regenerieren und verfügen über entsprechende Stammzellen. Man bezeichnet solche gewebespezifischen Stammzellen auch als adulte Stammzellen. Selbst im Gehirn, das man noch bis vor kurzem für nicht regenerationsfähig gehalten hatte, wurden Da EPO in der Niere gebildet wird leiden viele Nierenkranke an einer Anämie, also einer zu geringen Zahl von roten Blutkörperchen. Unter Einsatz molekularbiologischer und biotechnischer Methoden kann EPO seit einigen Jahren als Medikament zur Verfügung gestellt und diesen Menschen dadurch wirksam geholfen werden. EPO hat sich zu einem der umsatzstärksten Medikamente überhaupt entwickelt. Die blutbildenden Eigenschaften bergen aber auch die Gefahr von Missbrauch zum Beispiel im Leistungssport. MEDIZINISCHE GRUNDLAGEN Stammzellen 11 befruchtete Eizelle (1. Tag) sie entdeckt. Allerdings diskutieren die Fachleute noch darüber, ob die adulten Stammzellen tatsächlich in den entsprechenden Geweben bevorrated werden, oder nicht vielleicht aus dem Knochenmark stammen – also vielleicht eigentlich Blutstammzellen sind – und in die jeweiligen Gewebe einwandern. Unter dem Einfluss der dortigen Umgebung könnten sie dann umprogrammiert werden und zur Bildung der gewebespezifischen Zelltypen führen. Daneben haben manche, besonders mesenchymale, Gewebe die Fähigkeit zur Dedifferenzierung. Ausdifferenzierte Zellen können im Falle einer veränderten Mikroumgebung stillgelegte Funktionen reaktivieren und sich auch wieder teilen. Beim Menschen ist diese Fähigkeit im Fall von Läsionen oder Knochenbrüchen für die Wundheilung oder das Zusammenwachsen der Knochen von ausschlaggebender Bedeutung. Bei manchen niederen Tieren können sogar ganze Gliedmaßen nachgebildet werden. Die Diskussion darüber, welche Zellen und Zelltypen an diesen Phänomenen beteiligt sind, ist wissenschaftlich sehr interessant. Sie hat auch medizinische Konsequenzen wenn es um die Beantwortung der Frage geht, welche Verfahren zur Behandlung von Krankheiten entwickelt und eingesetzt werden sollen. Bläschenkeim (5.-6. Tag) innere Zellmasse Becherkeim (14.-16. Tag) embryonale Keimblätter und einige davon abstammende Gewebe und Organe Wandzellen wachsende Kolonien von embryonalen Stammzellen Entoderm (inneres Keimblatt) Bauchspeicheldrüse, Leber, Schilddrüse, Lunge, Blase, Harnröhre Stammzellen Zu Beginn des Wachstums von Säugetieren, wenn aus der befruchteten Eizelle durch die ersten Teilungen acht Zellen entstanden sind, hat jede dieser Zellen noch die Fähigkeit, einen vollständigen Organismus zu bilden. Diese Zellen bezeichnet man als totipotent. Wenn sich durch weitere Teilungen die Zahl der Zellen erhöht, beginnen sie sich zu spezialisieren. In der so genannten Blastozyste, einer kugelförmigen Masse von rund 150 Zellen, lassen sich bereits eine äußere und eine innere Zellmasse unterscheiden. Bei einer Schwangerschaft entwickeln sich aus der äußeren Zellgruppe nach Einnistung der Blastozyste in die Gebärmutter Plazentaanteile, aus der inneren Zellmasse entwickelt sich der eigentliche Fötus. Die Zellen der inneren Zellmasse werden als embryonale Stammzellen bezeichnet. Sie sind in den Blickpunkt des Interesses geraten, weil sie sich in Kulturschalen vermehren lassen und in praktisch alle Zelltypen eines Organismus ausdifferenzieren können. Diese Fähigkeit nennt man Pluripotenz. Die embryonalen Stammzellen können zwar noch fast alle Zelltypen bilden, aber keinen vollständigen Organismus mehr; Mesoderm (mittleres Keimblatt) Knochenmark, Skelettmuskeln, glatte Muskulatur, Herzmuskel, Blutgefäße, Nierenkanälchen Ektoderm (äußeres Keimblatt) Haut, Neuronen, Hypophyse, Augen, Ohren Etwa eine Woche nach Befruchtung der Eizelle ist der menschliche Keim zu einer Art Hohlkugel aus 100 bis 150 noch undifferenzierten Zellen, dem so genannten Bläschenkeim (Blastozyste), gewachsen. Dessen innere Zellen sind noch pluripotent, d.h. aus ihnen kann jeder Zelltyp des Körpers hervorgehen. Man kann sie als "embryonale Stammzellen" im Labor kultivieren. Aus der Schale des Bläschenkeims entwickelt sich später die Plazenta. In der dritten Woche beginnen die Zellen im Inneren des nun Becherkeim genannten Gebildes drei Zellschichten, die Keimblätter, auszubilden. Aus den drei Keimblättern gehen schließlich die verschiedenen Organe und Gewebe hervor. diese Unterscheidung zwischen Pluripotenz und Totipotenz wird bei der Diskussion der rechtlichen Rahmenbedingungen (siehe Seite 32) noch eine wichtige Rolle spielen. Auf dem Gebiet der Stammzellforschung werden laufend neue Erkenntnisse gewonnen und die bisherigen Lehrmeinungen geraten ins Wanken. Auch die Aussage, dass sich aus embryonalen Stammzellen keine Keimzellen entwickeln können, stimmt so nicht mehr. Der deutsche Forscher Hans Schöler und sein Team konnten kürzlich in den USA Kulturen von embryonalen Stammzellen der Maus zur Bildung von 12 Follikeln und von Eizellen anregen. Einer japanischen Forschergruppe gelang es kurz darauf aus embryonalen Stammzellen Spermien herzustellen. Diese Experimente bedeuten nicht nur wissenschaftlichen Erkenntniszuwachs, sondern werfen auch für Juristen und Ethiker neue Fragen auf. Denn die Grenze zwischen Pluripotenz und Totipotenz ist womöglich weniger eindeutig zu ziehen als bisher angenommen. Die meisten Erkenntnisse hinsichtlich der Bedeutung von embryonalen Stammzellen verdanken wir der Forschung an tierischen Zellen. Ihr hohes Differenzierungspotenzial macht diesen Zelltyp nun aber auch für medizinische Anwendungen sehr interessant, da man sich vorstellen kann, dass embryonale Stammzellen die Funktion geschädigter Gewebeteile übernehmen können. Für einen solchen Einsatz sind tierische Zellen wegen der bekannten Abstoßungsreaktionen ungeeignet und man muss mit menschlichen Zelllinien arbeiten. Von experimentellen Schwierigkeiten einmal ganz abgesehen, ergeben sich bei der Forschung an menschlichen Zellen nun auch eine ganze Reihe ethischer Fragen. Denn um embryonale Stammzellen zu gewinnen muss man die Blastozyste zerstören und tötet damit den Embryo ab. Die rechtlichen und ethischen Aspekten der embryonalen Stammzellforschung werden in einem der nachfolgenden Kapitel behandelt (siehe Seite 32 ). Dank der Methoden der in vitro Stammzellen MEDIZINISCHE GRUNDLAGEN Befruchtung ist man heute in der Lage, menschliche Embryonen außerhalb des Mutterleibes zu erzeugen. Doch nicht nur das. Man kann heute auch das genetische Material einer Eizelle gegen das genetische Material einer Körperzelle austauschen und diese so veränderte Eizelle zu weiteren Teilungsschritten anregen. Dass mit dieser Methode das Klonen gelingt und sich gesunde Organismen entwickeln, hatte man bis zur Geburt des Klonschafs Dolly im Juli 1996 bei Wirbeltieren für unmöglich gehalten. Auch eineiige Zwillinge sind zwar genetisch identisch, entstehen aber dadurch, dass sich eine normal befruchtete Eizelle zu teilen beginnt und in einer frühen Phase zwei getrennte Zellverbände entstehen, die sich dann zu eigenen Individuen entwickeln. Die Zwillinge sind zwar genetisch identisch, von Mutter und Vater aber sind sie genetisch so verschieden wie andere Kinder auch. Dolly dagegen war die genetische Kopie nur eines „Elternteils“. Anfang 2004 hat eine koreanische Forschergruppe gezeigt, dass die bei Dolly angewandte Methode prinzipiell auch beim Menschen zu funktionieren scheint. Mit den beschriebenen Verfahren lassen sich im Gedankenexperiment für jedes menschliche Individuum embryonale Stammzellen herstellen, die genetisch mit ihm identisch sind. Man benötigt dazu eine Eizelle, aus der der Kern entfernt wird, und führt statt dessen einen Zellkern ein, den man MEDIZINISCHE GRUNDLAGEN Stammzellen aus einer Körperzelle des jeweiligen Individuums gewonnen hat. Die Eizelle wird zur Teilung angeregt und aus der sich bildenden Blastozyste werden dann die Stammzellen gewonnen. In der therapeutischen Vision lassen sich anschließend aus den Stammzellen beliebige Zelllinien erzeugen, die zu keinerlei immunologischen Abstoßungsreaktionen mehr führen. Wenngleich bei dieser Vorgehensweise nicht daran gedacht ist, fertige Menschen zu klonen, sondern allein die Gewinnung der embryonalen Stammzellen das Ziel ist, stehen ihr doch schwer wiegende ethische Bedenken entgegen. In Deutschland ist dieses therapeutische Klonen, wie in zahlreichen anderen Ländern auch, verboten. In anderen Staaten dagegen ist es unter Auflagen erlaubt (s. Seite 32 ). Bereits seit einigen Jahren wird das Einfrieren von Stammzellen praktiziert, die im Nabelschnurblut enthalten sind. Unmittelbar nach der Geburt eines Kindes wird Nabelschnurblut gewonnen und nach entsprechender Behandlung eingefroren. Dieses Blut enthält relativ viele Stammzellen, deren Differenzierungspotenzial derzeit Thema intensiver Forschungen ist. Einleuchtend ist, dass die Stammzellen aus diesem Blut für das Individuum später von Nutzen sein können, sollte es an einer Erkrankung wie Leukämie leiden, die ja Blutzellen betrifft. Womöglich können diese Stammzellen aber auch bei anderen Erkrankungen eingesetzt werden, je nachdem, über welches Differenzierungspotenzial sie tatsächlich verfügen. Sie scheinen sich sogar für die Übertragung auf andere Individuen recht gut zu eignen, da sie – aus noch nicht gänzlich verstandenen Gründen – weniger immunogen sind als andere Zellen. Allerdings zeigt sich hier auch sehr deutlich, dass die Forschung an und mit Stammzellen, gleich welchen Ursprungs sie sind, noch ganz am Anfang steht. Eine weitere Quelle für Stammzellen können menschliche Föten sein. Insbesondere aus den sich bildenden Geschlechtsdrüsen der Föten können Stammzellen gewonnen werden, die in ihren Eigenschaften den embryonalen Stammzellen sehr ähneln. Diese fötalen Stammzellen sind in der Lage, wie embryonale Stammzellen in die Zelltypen aller drei Keimblätter zu differenzieren. Die Gewinnung und Verwendung solcher fötalen Stammzellen wird nicht nur unter wissenschaftlichen, sondern auch unter ethischen Gesichtspunkten kritisch diskutiert. Embryonale Stammzellen sind wegen ihrer Pluripotenz besonders interessant, hinsichtlich ihrer Gewinnung aber auch besonders umstritten. Nicht zuletzt deshalb sind die adulten Stammzellen, beispielsweise die Blutstammzellen, in den Fokus des Interesses gerückt. Unter ethischen Aspekten wird die Verwendung von adulten Stammzellen als unkritisch gesehen, allerdings ist unklar, ob ihre Eigenschaften für einen klinischen Einsatz ausreichend sind. Diese Frage ist 13 aber auch mit Blick auf die embryonalen Stammzellen noch nicht beantwortet. Man muss bei den Diskussionen über die Verwendung der einen oder anderen Stammzelllinie immer bedenken, dass wir uns noch in einer frühen Phase der Erforschung befinden. Bezeichnungen wie „Stammzelltherapien“, die man immer wieder hört und liest, suggerieren einen fortgeschrittenen Entwicklungsstand, den es so nicht gibt. Womöglich muss man gar keine Stammzellen isolieren, um ihre prinzipiellen Fähigkeiten dennoch zu nutzen. Alle Körperzellen (mit Ausnahme der Keimzellen) verfügen ja über die gleiche genetische Ausstattung und damit auch über das gleiche genetische Potenzial. Wie das Beispiel des Somatischen Zellkerntransfers belegt, ist der Kern einer ausdifferenzierten Zelle noch einmal zu einem völligen „Neustart“ in der Lage. Deshalb ist es theoretisch vorstellbar, dass man Zellen oder Zellverbände in einem Organismus quasi vor Ort reprogrammiert und zunächst „dedifferenziert“, um sie dann Auch Nabelschnurblut ist eine Quelle für Stammzellen durch nachfolgendes Wachstum und eine vom Umfeld neu induzierte Differenzierung eventuelle Schäden ausgleichen zu lassen. Dies würde dann unmittelbar im betroffenen Organismus geschehen. Dass der Körper über das Potenzial verfügt, kleinere Schäden selbst zu reparieren, sehen wir am Beispiel eines Muskelfaserrisses. Vielleicht lässt sich dieses Potenzial einmal auf größere verletzte Areale ausdehnen und auf Gewebetypen, die sich normalerweise nicht selbst regenerieren können. Aus heutiger Sicht sind dies rein theoretische Optionen, die aber zeigen, welch vielfältige Möglichkeiten sich aus unserer wachsenden Kenntnis zellulärer Abläufe einmal ergeben könnten. 14 Reproduktives und therapeutisches Klonen MEDIZINISCHE GRUNDLAGEN Reproduktives und therapeutisches Klonen Bei der Befruchtung dringt ein Spermium in eine Eizelle ein. Der männliche Zellkern (mit einem einfachen Chromosomensatz) verschmilzt mit dem weiblichen (ebenfalls mit einfachem Chromosomensatz) und generiert damit den Zellkern der befruchteten Eizelle, der nun über einen doppelten Chromosomensatz verfügt. Das neu entstehende Individuum erhält so eine einzigartige genetische Ausstattung, die aus einer Kombination der mütterlichen und väterlichen Erbsubstanz besteht. Der nun vorhandene doppelte Chromosomensatz wird bei allen nachfolgenden Teilungen der Eizelle gleichmäßig auf die Tochterzellen verteilt. 1 Beim Klonen wird das Spiel der Natur um neue Erbgutvarianten umgangen und eine bereits vorhandene Erbinformation gezielt eingesetzt und vervielfältigt. Dazu wird aus einer Eizelle der ursprüngliche Zellkern entfernt. In diese entkernte Eizelle setzt man anschließend den Zellkern ein, den man zuvor aus einer normalen Körperzelle desselben oder eines anderen Individuums isoliert hat. Die Erbinformation, über die eine so behandelte Eizelle verfügt, ist identisch mit der Erbinformation des Spenders. Somit wird auch das Individuum, das nach der beschriebenen Methode entsteht, mit dem Spender genetisch identisch sein. Die Methode wird als Somatischer Kerntransfer bezeichnet. Mit dieser Methode sind im Tierversuch bereits zahlreiche Klone generiert worden. Beim Menschen ist man sich weltweit einig, das reproduktive Klonen – das eine Schwangerschaft und die Geburt geklonter Menschen zum Ziel hätte – zu ächten (siehe Seite 32). Beim therapeutischen Klonen gehen die Meinungen dagegen auseinander. Das therapeutische Klonen zielt nicht auf Schwangerschaft und Geburt ab, sondern auf die technische Gewinnung embryonaler Stammzellen, die sich über die Methode des somatischen Zellkerntransfers herstellen lassen. Diese embryonalen Stammzellen wären mit den Spenderzellen genetisch identisch und bei einem medizinischen Einsatz am Spender wäre nicht mit immunologischen Abstoßungsreaktionen zu rechnen. 1 Eine Ausnahme sind nur die Keimzellen, also Samen- oder Eizellen; bei deren Bildung wird der doppelte Chromosomensatz – unter viel- fältigen Umlagerungen des Erbguts – wieder auf die Hälfte reduziert. TISSUE ENGINEERING Haut 15 Tissue Engineering in der Praxis: einige Beispiele Schon heute leben schätzungsweise 25.000 Menschen in Europa mit in vitro gezüchteten Haut-, Knorpel- oder Knochenzellen. Zudem sind viele neue Ansätze in der klinischen Forschung – darunter auch Verfahren, die das Potenzial von adulten Stammzellen nutzen. Haut Die Behandlung von großflächigen Hautverletzungen ist das bislang erfolgreichste Anwendungsgebiet für das Tissue Engineering. Jedes Jahr verlieren Tausende Menschen durch Verbrennungen oder Verätzungen große Flächen ihrer Haut. Auf noch größere Fallzahlen summieren sich die schweren Formen des Diabetes mellitus mit Entzündungen an den Extremitäten, denen viel Haut zum Opfer fällt. In diese Fällen wird die Transplantation von „Ersatzhaut" notwendig, die idealerweise vom Patienten stammt und daher nicht abgestoßen wird. Haut, histologisch Kleinere Verletzungen werden routinemäßig durch Transplantation von Hautgewebe aus intakten Körperregionen behandelt. Sind größere Flächen betroffen, muss aber Ersatzgewebe gezüchtet werden. Dabei werden Zellen aus einer briefmarkengroßen Hautbiopsie in vitro kultiviert, bis sie auf eine Fläche von etwa Spielkartengröße herangewachsen ist. EntGezüchteter Hautersatz scheidend bei diesem Vermehrungsprozess sind die Vorläuferzellen für epidermale Keratinozyten, jene Zellen aus denen die Oberfläche unserer Haut besteht. Die Vorläuferzellen beginnen sich nach wenigen Tagen zu vermehren. Unter organtypischen Kulturbedingungen differenzieren sie dann aus und bilden in einem komplexen Prozess innerhalb von zwei Wochen ein Gewebe, das in seinem dreidimensionalen Aufbau der menschlichen Epidermis weitgehend entspricht. Die Mediziner können das Ersatzgewebe dann auf die vorbehandelte Wunde aufbringen. Zur Hautregeneration bei tiefen Wunden erforscht man mit dem „semisynthetischen Hautersatz” gegenwärtig eine Methode, die die Regenerationsfähigkeit des Körpers nutzt. Hier wird eine bioabbaubare poröse Matrix verwendet, in die Makrophagen, Fibroblasten, Lymphozyten und Gefäße eindringen können. Diese Komponenten sind für die Wundheilung wichtig. Man legt eine Schicht dieses Materials auf die Wunde und schließt sie vorübergehend durch eine luft- und wasserdurchlässige Silikonfolie nach außen ab. Nachdem sich die Gewebebasis regeneriert hat, entfernt man die Silikonschicht und transplantiert darauf schließlich eine in vitro kultivierte Ersatzhaut. Erfolgreich transplantierte Ersatzhäute erfüllen zumindest ihre wichtigste Funktion, das darunter liegende Gewebe von der Umwelt Hautscheibe abzuschirmen. Allerdings ist das Erscheinungsbild anders als das der „normalen” Haut. Die neue Haut hat meistens eine andere Textur und ähnelt eher Narbengewebe. Bis jetzt muss man bei Hauttransplantationen auch das Fehlen sowohl von Haar und Schweißdrüsen als auch Pigmenten in Kauf nehmen. Vielleicht aber nicht mehr lange: In den Haarfollikeln von Mäusen fanden sich nämlich Stamm- Bioreaktor mit Endprodukt 16 zellen, aus denen sich auch Haar entwickelt. Einzelne dieser Stammzellen ließen sich zu Tausenden von identischen Tochterzellen vermehren, die nach der Transplantation in haarloses Hautgewebe ein Fell bildeten. Wie das natürliche Vorbild bestand es aus Haut, Follikeln, Haar und Fett absondernden Drüsen, was beweist, dass die Stammzellen in verschiedene Zelltypen der Haut ausdifferenzieren können. Wenn sich die Experimente beim Menschen erfolgreich wiederholen lassen, käme man der perfekten Ersatzhaut ein gutes Stück näher. Seit mehr als 20 Jahren bieten spezialisierte Unternehmen die Erzeugung von Ersatzhaut an. In Deutschland sind es kleine und mittlere Unternehmen (KMU) aus dem Biotechnologiesektor. Ihre Technologie variiert in den Herstellungsverfahren und Applikationsformen. Ein Unternehmen beispielsweise züchtet die Ersatzhaut aus Keratinozyten-Vorläuferzellen, die in den Haarwurzeln vorkommen. Eine andere Firma entwickelte „Haut aus der Tube": Die aus der Invitro-Kultur gewonnenen, noch teilungsfähigen Hautzellen werden mit einem biologischen Kleber in die verletzte Region injiziert, wo sie weiterwachsen und die Wunde verschließen. Gelenkknorpel TISSUE ENGINEERING die hartgummiartige Beschichtung der Gelenkknochen naturgemäß ausgesetzt ist, vergrößern sich die Schäden. Häufig entsteht eine schmerzhafte Arthrose und oft wird der Einbau eines künstlichen Gelenks unvermeidlich. Doch es gibt therapeutische Alternativen mit Hilfe des Tissue Engineering von Knorpelgewebe. Seit etwa zehn Jahren ist das als Autologe Chondrozyten-Transplantation (ACT) bekannte Verfahren etabliert. In der Praxis gibt es mittlerweile zahlreiche Varianten, die oftmals von Kleinen und Mittleren Unternehmen (KMU) entwickelt und auf den Markt gebracht wurden. Das Prinzip ist recht einfach: Aus einer kleinen, chirurgisch entnommenen Probe des Kniegelenk-Knorpelgewebes werden im Labor Chondrozyten (Knorpelzellen) isoliert und in eine Nährlösung gegeben. Denn im Knie selbst teilen sich Knorpelzellen sehr selten – nur alle paar Monate oder Jahre. Durch das Herauslösen aus dem Zellverband Gelenkknorpel Alter, übermäßiger Leistungssport oder Übergewicht können auf die Gelenke gehen. Abnutzung und Degeneration von Gelenkknorpelgewebe sind in den Industrieländern weit verbreitet. Allein in Deutschland sind 1,5 Millionen Menschen wegen degenerativer Gelenkerkrankungen in Behandlung und jährlich erleiden 80.000 Menschen Verletzungen des Knorpels im Kniegelenk. Durch die hohe Belastung – in Spitzenwerten bis zum Siebenfachen des Körpergewichts – der Fast ein Viertel unserer Körpereiweiße sind Kollagene – hochmolekulare Eiweiße, die dem Binde- und Stützgewebe des Körpers Stabilität geben. Auch die reißfesten Sehnen bestehen aus Kollagenfasern, deren Grundeinheit immer eine Dreifachhelix aus langen Aminosäureketten ist. Bemerkenswert an diesen Ketten ist das häufige Vorkommen der Aminosäure Hydroxylprolin, deren Struktur die Dreifachwindung ermöglicht. Man unterscheidet Typ1- und Typ2-Kollagene. Typ1-Kollagen ist der Hauptbestandteil von Haut und Sehnen. Das aus miteinander vernetzten Strängen (Fibrillen) bestehende Typ2-Kollagen bildet ein zähes dreidimensionales Netzwerk, aus dem der Knorpel aufgebaut ist. Der Gelenkknorpel besteht im Wesentlichen aus Knorpelzellen (Chondrozyten) und der extrazellulären Kollagenmatrix, die einen hohen Wasseranteil enthält. Im gesunden Zustand besitzt der Knorpel eine glatte Oberfläche – wichtig für die 'reibungslose' Funktion des Gelenks. Extremsport kann zu Gelenkschäden führen dedifferenzieren Chondrozyten zu fibroblastoiden Zellen, die in der Lage sind, sich zu teilen. Danach werden diese Zellen in den Gelenkknorpel transplantiert. In der intakten Umgebung des erhaltenen Knorpels differenzieren sie dann wieder zu Chondrozyten und produzieren Kollagen II. Die dedifferenzierten Zellen können auch zu Fettzellen oder Osteoblasten ausdifferenzieren. Damit sind die Voraussetzungen für die Reparatur des Gelenkknorpels geschaffen, für die zahlreiche Verfahrensvarianten entwickelt wurden: Die Chirurgen entfernen zunächst das schadhafte Knorpelgewebe. In manchen Ansätzen überzieht man dann die Stelle mit Knochenhaut, die an anderer Stelle entfernt wurde. In den Hohlraum injizieren sie dann eine Lösung der gezüchteten Zellen. Dort bildet sich innerhalb der folgenden Wochen wieder Knorpelgewebe – TISSUE ENGINEERING Bandscheiben 17 delt man Bandscheibenvorfälle durch Entfernen des ausgetretenen Knorpelgewebes – entweder minimal invasiv mit Hilfe des Endoskops oder durch eine Operation. In Deutschland sind es jährlich mehr als 60.000 Operationen. Sie führen meistens zum Abklingen der Beschwerden. Der Gewebeverlust kann aber von der Bandscheibe selbst nicht ersetzt werden und abgesehen davon, dass die Bandscheibe nun „dünner" geworden ist, lässt sich durch die Operation die Degeneration nicht aufhalten. Weitere Verschleißerscheinungen führen oft erneut zu Rückenschmerzen. Hier bietet das Tissue Engineering eine offensichtliche Therapiealternative. Denn was für kaputte Kniegelenke funktioniert, ist auch für die Behandlung beziehungsweise die Regeneration von beschädigten Bandscheiben interessant. Schließlich bestehen beide aus Knorpel. Im Sommer 2004 brachte ein Teltower Reinraumlabor zunächst noch weich und wenig belastbar, dann immer besser vernetzt und fester werdend. Das Verfahren, auch Peterson-Verfahren genannt, ist bereits bei einigen Tausend Patienten erfolgreich eingesetzt worden. Aber es bleibt noch viel Raum für Verbesserungen. Zum Beispiel hat der gezüchtete Knorpel nicht die Stabilität des Originals. Das liegt daran, dass die in der Petrischale kultivierte Chondrozyten mit zunehmender Teilungszahl die Fähigkeit verlieren, das Knorpelkollagen vom Typ2 zu bilden. Sie verhalten sich dann eher wie normale Bindegewebszellen. Biotechfirmen entwickelten daher Herstellungsverfahren für komplette Matrices aus KollagenTyp2, die transplantiert werden können. Diese Ansätze nutzten bereits vorgegebene Matrices aus Typ1-Kollagen, die zum Beispiel aus tierischen Sehnen präpariert wurden. Unter In-vitro-Kulturbedingungen wachsen die isolierten Chondrozyten des Patienten in das Geflecht hinein, vermehren sich und wandeln das Typ1-Kollagen in eine Typ2Kollagen-Matrix um. Die beschädigte Partie des Knorpels wird vor der Transplantation ausgestanzt und dann durch ein gleich großes Stück des Zuchtknorpels ersetzt, das in einigen Varianten noch mit Fibrinkleber fixiert wird. Die Patienten können die Gelenke bereits nach vier bis sechs Wochen wieder belasten. In Deutschland werden pro Jahr rund 600 solcher Behandlungen vorgenommen. Tissue-Engineering-Unternehmen ein Verfahren zur Autologen Bandscheibenzelltransplantation ADCT (Autologous Disc Chondrocyte Transplantation) auf den Markt. Bei dieser Therapie von Bandscheibenvorfällen werden dem Patienten zunächst kleinste Mengen Bandscheibengewebe entnommen und die Zellen in Kultur aufbereitet. Die Transplantation der körpereigenen Bandscheibenzellen erfolgt etwa drei Monate nach der Entnahme. Unter örtlicher Betäubung injiziert man die Zellen in die Bandscheibe. Dort vermehren sie sich und gleichen den Gewebeverlust aus, der durch den Bandscheibenvorfall und die Operation entstanden war. Die Degeneration der Bandscheibe wird aufgehalten. Bandscheiben Knochenmark und Blutzellen Sie sind die Stoßdämpfer unserer Wirbelsäule: Scheiben aus Knorpel mit hohem Wassergehalt, die, eingefasst von zähelastischen Dichtungsringen, zwischen den Wirbelknochen sitzen. Sie können hohen Druck aushalten und sorgen damit für die Flexibilität des Knochenkunstwerks. Wenn der äußere Faserring spröde und rissig wird, kann der innere gallertartige Kern austreten und einen Bandscheibenvorfall verursachen. Quetscht die ausgetretene Knorpelmasse Nerven ein, sind Lähmungserscheinungen die Folge. Chirurgisch behan- Die Transplantation von Knochenmark beziehungsweise Knochenmarkstammzellen ist ein wichtiger Schritt nach der Chemotherapie von Krebserkrankungen, um dabei zerstörtes Knochenmark und Blutzellen zu regenerieren. Neben den Krebszellen als eigentlichem Ziel treffen Zytostatika vor allem die teilungsaktiven Zellen des Knochenmarks. Dieser Effekt ist bei der Behandlung von Leukämien sogar beabsichtigt, um auszuschließen, dass entartete Blutzellen überleben. Da auch Blutstammzellen zerstört werden, versiegt die Quel- Knorpelgewebekonstrukt 18 Extrazelluläre Trägermaterialien TISSUE ENGINEERING le für neue Blutzellen. Immunabwehr und Sauerstoffversorgung des Körpers geraten in Gefahr. Voraussetzung für das Gelingen einer Knochenmark-Transplantation ist die Gewebeverträglichkeit zwischen Spender allogenen Transplantation Verwendung, da hier im Vergleich zur Blutstammzell-Transplantation eine niedrigere Rate an chronischen Abstoßungsreaktionen beobachtet wurde. Extrazelluläre Trägermaterialien – Grundlage des Fortschritts Die wichtigste Herausforderung beim Ersatz von Geweben und Organteilen, beispielsweise Herzklappen oder Adern, ist die Herstellung von dreidimensionalen Implantaten. Dafür benötigt man eine entsprechend geformte extrazelluläre Matrix (EZM), die die neu wachsenden Gewebezellen beherbergt. Die Trägermaterialien müssen hohen Ansprüchen genügen: Sie sollen bioverträglich, steril, je nach Anwendung entweder langzeitstabil oder bioabbaubar und unterschiedlich flexibel sein. Außerdem müssen sie manchmal auch porös sein, damit Zellen hinein wandern können und dabei noch fest genug, um nicht schon bei der ersten mechanischen Belastung zu zerreißen. Als Ausgangsmaterial kommen Kunststoffe (zum Beispiel bioabbaubare Poly-Hydroxyester), anorganische Substrate und aus biologischem Material gewonnene Gerüstsubstrate, meistens Kollagen, infrage. Die Vielfalt der möglichen Konstrukte ist beeindruckend: schwammartige Schichten, wässrige und gummiartige Gele, und Empfänger. Dafür sind Eiweißmoleküle, die so genannten HLA-Moleküle (Humane Leukozyten Antigene) auf der Oberfläche jeder Körperzelle verantwortlich. Sie sind in ihrer Komposition für ein Individuum einmalig und unverwechselbar. Die Transplantation von einem Fremdspender (allogene Knochenmark-Transplantation) ist nur möglich, wenn Spender und Empfänger in wichtigen Merkmalen des HLA-Musters übereinstimmen, was aber nur selten vorkommt. Abweichungen im HLA-Typ können zu heftigen Immunreaktionen führen. Die allogene Knochenmarktransplantationen ist bei Leukämien der Standard, da eine autologe Transplantation wegen der Gefahr der Übertragung von Leukämiezellen nicht sinnvoll ist. Zur Senkung der Sterblichkeitsraten durch Infektionen werden vom gleichen Spender auch virusspezifische T-Zellen isoliert, im Labor expandiert und dem Patienten zusammen mit den Stammzellen transplantiert. Mitte der 80er Jahre gelang es, auch Stammzellen aus dem Blut für Transplantationen zu nutzen. Dabei halfen gentechnisch hergestellte blutbildende (hämatopoetische) Wachstumsfaktoren bei der Mobilisierung und Vermehrung der Stammzellen. Vor einer Krebs-Chemotherapie stimuliert man damit die Bildung der Blutstammzellen im Körper des Patienten. Dann wird ein Teil aus dem Blut isoliert, eingelagert und ihm nach der Chemotherapie refundiert. Die rekombinanten Wachstumsfaktoren haben dieser Therapieform schnell zum Durchbruch verholfen. Im Jahr 2000 wurden in Deutschland 2.105 autologe und 1.438 allogene Stammzell-Transplantationen durchgeführt. Als Stammzellquelle hat das Knochenmark bereits an Synthetische Biomaterialien imitieren die Komplexität der natürlichen extraBedeutung verloren. Es findet fast nur noch bei der zellulären Matrices. Dargestellt sind Strategien zu ihrer Herstellung TISSUE ENGINEERING Ohren zementharte Träger und flexible, faserhaltige Röhren – der Zusammenarbeit von Materialwissenschaft und Medizin sind kaum Grenzen gesetzt. Neuartige Trägermaterialien sondern sogar Botenstoffe ab, die Vorläuferzellen anlocken oder das Wachstum der hinzugefügten Zellen anregen und beschleunigen. Mittlerweile gibt es zahlreiche Tissue-Engineering-Produkte, die auf extrazellulären Trägermaterialien basieren. Um die Probleme mit der Struktur und Durchblutung der Ersatzgewebe gleichzeitig zu lösen, nutzt man zur Erzeugung der besiedelten Matrices eine Art „dreidimensionaler Tintenstrahldrucker”: Der Druckkopf wird mit einem Gemisch aus Zellen und Füllmitteln geladen und spritzt dann Schicht für Schicht Zellen in beliebige Formen. Gegenwärtig testet man das Verfahren bei der Regeneration von fehlenden Knochen. Nach genauer Vermessung der Lücke im Tomografen wandelt ein Computerprogramm die zweidimensionalen Röntgenbilder in ein dreidimensionales Modell um. Auf Grundlage dieser Maße wird das gesuchte Implantat entworfen und hergestellt. Ohren Paradebeispiel für die Wiederherstellung eines ganzen Körperteils durch Tissue Engineering ist das Ohr. Ohren bestehen im Wesentlichen aus Knorpel. Daher liegt es nahe, eine aus geeignetem Material wie ein Ohr geformte Matrix mit patienteneigenen Chondrozyten zu besiedeln. Forscher der Berliner Charité wählen hierfür stabile biokompatible Fasermateria- Ohrrekonstruktion: Silikonform (li.), rekonstruierter Ohrlappen. lien als Träger kombiniert mit Gelmatrices aus Agarose, Alginat und Hyaluronsäure, in die zuvor kultivierte Chondrozyten gut hineinwachsen können. Außerdem umgibt aus dem Blut des Patienten gewonnenes Fibrin die Zellen als Klebstoff. Nach Transplantation unter die Haut einer Labormaus reift das Konstrukt zu einem kompletten Ohr heran, dessen Gehalt 19 an Typ2-Kollagen die gewünschte Bildung von ohrtypischem 'Glas-Knorpel' (Hyalin-Knorpel) anzeigt. Die spektakulären Bilder gingen um die Welt. Freiburger Mediziner verpflanzten einem Patienten erfolgreich einen im Labor hergestellten Ohrknorpel. Zur Rekonstruktion seines verstümmelten Ohres waren ihm zuvor Knorpelzellen aus einer Rippe entnommen worden. Die Zellen wurden über einige Wochen in Kultur vermehrt und zusammen mit Fibrin in eine Ohrform gegossen. Dabei entstand ein formstabiles Transplantat, das bei der Verpflanzung mit einem Hautlappen überzogen wurde. Herzklappen Herzklappen arbeiten als Einweg-Ventile. Sie verhindern, dass das Blut in die Herzvorhöfe oder in die Kammern zurückfließt. Etwa 2,5 Milliarden Mal öffnen und schliessen sie sich bis zum 70. Lebensjahr. Der Aufbau der drei Segel einer natürlichen Herzklappe ist entsprechend angepasst: Die Oberseite ist mit Kollagen verstärkt, die Unterseite besteht hauptsächlich aus Elastin, damit sich die Segel in Flussrichtung biegen und in die Gegenrichtung gut schließen. Von Geburt an, nach Infektionen oder aus Altersgründen können die Herzklappen Fehler aufweisen. Dann kommt es zu AblageIn vitro hergestellte dreiseglige Herzrungen von Kalk und klappe Zellmaterial und das führt schließlich zu Verwachsungen und zur Blockade der Klappe. Seit Jahren werden Herzklappenprothesen routinemäßig in die Herzen von Betroffenen eingebaut – weltweit etwa 275.000 pro Jahr. Als Ersatz dienen mechanische Kunststoff- und Metallherzklappen. Sie erleichtern und verlängern das Leben dieser Menschen, haben aber auch Nachteile: Zum Beispiel müssen die Betroffenen wegen des Risikos der Gerinnselbildung weiterhin Gerinnungshemmer einnehmen, was die Gefahr von Magen- und Hirnblutungen erhöht. Ihre Haltbarkeit ist meistens begrenzt und vor allem bei Kindern werden Mehrfachoperationen erforderlich, da die Kunstklappen nicht mitwachsen. Biologisch gewonnene Herzklappen stammen von Schweinen und Rindern. Sie machen Gerinnungshemmer überflüssig, aber es besteht immer ein Risiko, dass sich der Organismus gegen die Fremdkörper wehrt. Aus diesen Gründen suchen Tissue-Ingenieure nach Alternativen. Viele Versuche zielen darauf ab, „körpereigene” Herz- Gefäße TISSUE ENGINEERING 20 klappensegel ausgehend von autologen Zellen zu züchten. Sie sind besonders für die Behandlung von Kindern interessant, um die drei bis sieben Operationen bis zum Erwachsenenalter zu vermeiden. Ein Ansatz nutzt die Kollagenmatrix von Schweine-Aortaklappen als Gerüst für das neue Herzklappensegel. Sie sind in Geometrie und Abmessungen dem menschlichen Pendant vergleichbar bestehen ebenfalls aus einem mit Herzzellen bewachsenen Kollagen-Stützgerüst. Zur Umwandlung einer solchen Klappe in ein für den Menschen verträgliches „Ersatzteil” entfernt man mittels Chemikalien alle Zellen und -bestandteile aus dem Gewebe. Besonders wichtig ist die Zerstörung aller DNA-Moleküle, um zu verhindern, dass möglicherweise Erbgut von Viren zurückbleibt. Die nun zellfreie Matrix aus Kollagen und Elastin hat immer noch eine für die Echokardiografische Darstellung der Tissue Engineerten Herzklappen acht Wochen nach Implantation Blutdurchfluss, um den Bedingungen im lebenden Organismus nahe zu kommen. Nach zwei Wochen im Bioreaktor haben sich die Zellen der Herzklappen in Schichten organisiert und verstärkt. Werden solche Klappen jungen Schafen eingepflanzt, ähnelten sie im Verlauf von fünf Monaten immer mehr einer natürlichen Klappe: Sie werden dünner und strukturierter und unterscheiden sich makroskopisch nicht mehr von den natürlichen Herzklappen. Gefäße Nach Einbau der künstlichen Herzklappe Transplantation geeignete Konsistenz. Einige Monate nach der Transplantation ist eine solche Klappe dann in vivo mit Fibroblasten und Endothelzellen besiedelt und verfügt über die Fähigkeit zur Erneuerung. Das Konzept hat den Vorteil, dass man ein beinahe perfektes Klappendesign übernimmt und daher geeignete „hämodynamische” Bedingungen herrschen. Das Verfahren ist bereits im klinischen Einsatz. Mediziner aus Zürich und Aachen entwickelten gemeinsam vollständig autologe Herzklappen mit Hilfe von bioabbaubaren Polymeren. Das Material ist in der Hitze formbar und wird von Zellen leicht besiedelt. Es ist chemisch so konzipiert, dass es sich bis zum Zeitpunkt der Implantation komplett aufgelöst hat. Dann besteht die Herzklappe nur noch aus autologem Gewebe. Zur Besiedlung der Matrix im Bioreaktor verwenden die Forscher aus Blut- oder Nabelschnurstammzellen hervorgegangene Fibroblasten. Während des Wachstums belasten sie die entstehende Klappe mit einem künstlichen Der Bedarf an transplantierbaren Adern nach Verletzungen, Bypassoperationen und schweren Thrombosen ist groß. Nicht immer gelingt es, ihn durch körpereigene, an anderen Stellen entnommene Gefäße zu decken. Für Bypass-Operationen werden gewöhnlich Teile aus Beinvenen des Patienten, aus Arterien seines Brustkorbs oder des Unterarms verwendet. Bei etwa einem Fünftel der Patienten ist das jedoch nicht möglich, weil aufgrund von Entzündungen oder krankhafter Teflonbypass TISSUE ENGINEERING Ansät ze mit Stammzellen Erweiterungen keine geeigneten Gefäße vorhanden sind. Und die Gefäßprothesen aus Kunststoff haben ihre Tücken: 40 Prozent solcher künstlichen Bypässe sind nach einem Jahr bereits nicht mehr durchgängig, da der Kunststoff zur Gerinnselbildung führen kann. Also ein klarer Auftrag für das Tissue Engineering, autologen Ersatz zu entwickeln. Ein früher Ansatz war echte Bastelarbeit: Ein zusammenhängender in vitro kultivierter Gewebemantel aus glatten Muskelzellen wurde zu einer Röhre gerollt. Die Außenfläche der „Rolle” ließ man anschließend von Fibroblasten besiedeln, dann die Innenseite von Endothelzellen. Die dreischichtige Prothese konnte bereits Drücken von 2.000 mmHg standhalten. Mit Gefäßprothesen, die auf Polymergerüsten basieren sind wir heute bereits einen Schritt weiter. Paradebeispiel sind Kunststoffröhren aus PGA (Polyglycolsäure 92Prozent /Milchsäure 8Prozent), die mit Fibroblasten, glatten Muskelzellen und Endothelzellen besiedelt werden. Setzt man diese Konstruktionen während des Wachstums in einem Durchflussbioreaktorsystem pulsierenden Flüssen aus, erhält man konditionierte Gefäßprothesen, die histologisch natürlichem Gefäßgewebe gleichen und bessere biomechanische Eigenschaften aufweisen als nicht-konditionierte Konstrukte. Diese Gefäßprothesen, genauer autologe endothelialisierte Prothesen, sind bereits im klinischen Einsatz. Die Anforderungen an die Gerüstsubstanz der Ersatzgefäße sind sehr hoch, so dass Alternativen zu PGA gesucht wurden. Zum Beispiel Polytetrafluorethylen (PTFE), vulgo Teflon. Es ist ein interessantes Material mit Blick auf Flexibilität, Druck- und Reißfestigkeit. Zudem ist die Gefahr der Abstoßung durch Abwehrreaktionen des Immunsystems sehr gering. Leider macht die Teflonoberfläche, von der sprichwörtlich alles abfällt, Schwierigkeiten, wenn es um die Besiedelung mit Zellen zur Befestigung an die vorhandenen Gefäße geht. Mittlerweile gelingt es, Schichten von glatten Muskelzellen und Endothelzellen darauf zu züchten. Man verwendet dafür unter definierten Strömungsbedingungen kultivierte autologe mikrovaskuläre Endothelzellen (MVEC). Sie werden auf das mit Fibrinkleber präparierte Kunststoffröhrchen aufgebracht und heften sich in der künstlichen Blutströmung besonders gut an das Prothesenmaterial an. Die Eigenschaften dieser Ersatzgefäße sind viel versprechend und erste klinische Versuche wurden bereits gestartet. 21 Knochen Unfälle oder Tumoren können Knochen schädigen und zum Verlust von Knochen führen. Für den Ersatz von Knochen sind gute Voraussetzungen durch das Tissue Engineering gegeben: Das Knochengewebe wird von speziellen Zellen, den Osteoblasten, gebildet. Die Osteoblasten selbst bilden sich aus Knochenmarkstammzellen. Als Gerüstmaterial kommt die anorganische Knochensubstanz aus Calciumphosphat/Hydoxyapatit in Frage. Besonders hilfreich ist hier die Möglichkeit, in der porösen Matrix bestimmte Knochenwachstumsproteine oder -faktoren (bone morphogeneic factor, BMP) einzulagern. Sie sorgen dafür, dass die Zellen „angelockt” werden und in das Material hineinwachsen. Die USamerikanische Zulassungsbehörde Food and Drug Administration (FDA) hat rekombinantes BMP-2 bereits für orthopädischeAnwendungen zugelassen. Ein geradezu spektaku- Ansätze mit Stammzellen Über das enorme Potenzial von embryonalen und adulten Stammzellen wurde bereits an anderer Stelle berichtet (siehe Seite 11). An dieser Stelle sollen einige fortgeschrittene Forschungsprojekte vorgestellt werden, die in Pilotversuchen die klinische Phase bereits erreicht haben. Konstruktion eines Ersatzkiefers 22 Entwicklung der Methoden der modernen Medizin Grundlagenforschung Was ist eigentlich Grundlagenforschung? Definitionen gibt es viele, nicht zuletzt von der Europäischen Kommission („Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, Nr. C45/14 vom 17.02.1996“), die dazu folgendes verlautbart: „Unter Grundlagenforschung versteht die Kommission eine Erweiterung der wissenschaftlichen und technischen Kenntnisse, die nicht auf industrielle oder kommerzielle Ziele ausgerichtet sind.” Diese Abgrenzung der Grundlagenforschung von der anwendungsorientierten Forschung gibt immer wieder Anlass zu interessanten Diskussionen. Relativ unstrittig ist, dass die Grundlagenforschung in erster Linie unseren Wissensdrang befriedigt und eine schlichte Konsequenz der menschlichen Neugierde ist. Ziel der Grundlagenforschung ist der Erkenntnisgewinn an sich ohne den Wert der Erkenntnis an eine spätere Verwertbarkeit zu knüpfen oder zu fragen, ob die neuen Erkenntnisse in das herrschende Weltbild passen. Eine zwanghafte Entkoppelung von Grundlagenforschung und Verwertbarkeit ist allerdings nicht sinnvoll, ganz im Gegenteil. Die Grundlagenforschung ist für die größten Innovationsschübe verantwortlich, da sie unverhofft Türen in völliges Neuland aufstößt und damit Anwendungsgebiete eröffnet, die zuvor nicht gesehen worden sind. Das gilt für die Erfindung des Telefons ebenso wie für die Entwicklung der Biotechnologie: Wer hätte sich vor 40 Jahren träumen lassen, dass menschliche Gene in Mikroorganismen eingebaut und zur Herstellung hochwertiger Medikamente genutzt werden können? Heute arbeiten allein in der Biotechnologie-Industrie der USA, wo die neuen Möglichkeiten schnell in kommerzielle Anwendungen umgesetzt worden sind, mehr als 200.000 Menschen in meist hoch qualifizierten und gut bezahlten Jobs. Bedeutung gentechnischer Methoden Mit der Entwicklung gentechnischer Methoden um 1970 erhielt auch die Medizin wichtige Impulse. Das betrifft zum einen die Produktion von Medikamenten auf Proteinbasis, die man Biopharmazeutika nennt. Zum anderen aber auch die Entwicklung diverser Zellkulturtechniken oder völlig neuer Ansätze wie den der Gentherapie, auf den weiter unten noch kurz eingegangen wird. Überragende Bedeutung haben gentechnische Methoden auch in der Diagnostik erlangt; die Möglichkeit zur Individualisierung der Medizin, von der heute immer wieder die Rede ist, wäre ohne den Einsatz gentechnischer Methoden nicht denkbar. Auch der genetische Fingerabdruck, der beim Identifizieren von Personen heute fast schon routinemäßig eingesetzt wird, ist ein Resultat gentechnischer Arbeiten. Das erste Medikament aus gentechnischer Herstellung war das Humaninsulin, das von der Firma Genentech, dem ersten Biotechnologie-Unternehmen weltweit, entwickelt wurde. Die Pharmafirma Eli Lilly brachte es (in Zusammenarbeit mit Genentech) schon im Jahr 1982 auf den Markt. Die Gentechnik ermöglicht den Austausch von Erbinformation über die Artengrenzen hinweg; für die Produktion von Humaninsulin war das menschliche Gen für Insulin auf Bakterien übertragen worden, aus denen man nun in großen Mengen Vorläuferformen des Hormons gewinnen konnte. Das aktive Hormon konnte man dann aus diesen Vorläuferformen mittels proteinchemischer Methoden herstellen. Das skizzierte Verfahren ist das bei der Herstellung von Biopharmazeutika übliche Vorgehen. Man identifiziert die genetische Information für ein menschliches Protein, isoliert diese und überträgt sie dann auf Mikroorganismen oder Zellkulturen, von denen das entsprechende Protein in großen Mengen produziert werden kann. Natürlich muss man zunächst erst einmal wissen, welche Funktion das interessierende Protein hat und ob es sich als Biopharmazeutikum eignet. Gerade auch bei der Aufklärung dieser Sachverhalte sind gentechnische Verfahren unverzichtbar geworden. Neben der Entwicklung gentechnischer Methoden kam es um 1975 zu einer weiteren bahnbrechenden Neuerung. Den späteren Nobelpreisträgern Köhler und Milstein gelang es erstmals, Monoklonale Antikörper herzustellen. Antikörper sind Proteine, die von bestimmten Zellen des Immunsystems gebildet und ins Blut abgegeben werden. Der Körper verfügt über eine enorme Zahl Antikörper produzierender Zellen, die jeweils definierte und in der Struktur einzigartige Antikörpervarianten produzieren. Die Situation ist hier ähnlich wie bei den Gewebsantigenen (siehe Seite 8). Findet einer dieser Antikörper eine molekulare Struktur, ein Antigen, an das er binden kann, dann werden in einer Kaskade von Reaktionen die Prozesse ausgelöst, die wir als Immunantwort bezeichnen. Als Teil dieser Immunantwort beginnt auch die Zelle, die den bindenden Antikörper ursprünglich produziert hat, sich zu teilen und mit ihren Tochterzellen größere Mengen und weitere Varianten des Antikörpers zu produzieren. Diese Varianten sind wichtig, weil sie die Zielstruktur oft noch besser binden können als der ursprüngliche Antikörper und die Immunantwort dadurch noch effektiver wird. Im Blut zirkuliert zu jeder Zeit eine fast unüberschaubare Zahl von Antikörpern unterschiedlicher Struktur, um jedes eindringende Virus oder Bakterium binden und in der Folge unschädlich machen zu können. Die komplexe Mischung der verschiedenen Antikörper und bestimmte Subklassen von ihnen konnte man schon seit längerem isolieren und für medizinische oder andere Zwecke einsetzen. Die passive Impfung basiert darauf. Hier infiziert man Spender, beispielsweise Pferde, gezielt mit einem Antigen. Als Folge der Immun- 23 Grundoperation der Gentechnik: Ein Stück fremder DNA (blau), das ein ganzes Gen enthalten kann, wird mit Hilfe von “DNAScheren” und “DNA-Kleber” in einen Ring aus bakterieller DNA, ein so genanntes Plasmid, eingefügt. Das Wirtsbakterium nimmt das rekombinante Plasmid auf , vermehrt es wie sein natürliches Erbgut und produziert die darauf codierten Proteine. antwort reichern sich im Blut der Pferde verschiedene Antikörper gegen dieses Antigen an, die man dann isolieren und für eine passive Schutzimpfung verwenden kann. Köhler und Milstein gelang es, ganz gezielt nur eine einzelne Zelle aus der Vielzahl Antikörper produzierender Zellen zu isolieren und anschließend in Kultur zu vermehren. Die Nachkommen dieser einen Zelle produzieren alle die exakt gleiche Antikörpervariante, so dass von dieser nun größere Mengen hergestellt werden können. Man spricht dann von Monoklonalen Antikörpern. Wichtig ist dabei, dass man die Bindungseigenschaften dieser Monoklonalen Antikörper durch geeignete Verfahren im voraus bestimmen kann. Da es sich um nur einen genau definierten Typ von Antikörper handelt, ist die Wechselwirkung mit seiner Zielstruktur hochselektiv und gut reproduzierbar – im Gegensatz zu Ergebnissen, die man mit Mischungen unterschiedlicher Antikörpervarianten erhält. Man kann die Bindungseigenschaften zum Beispiel technisch nutzen um andere Proteine zu binden und zu reinigen. Durch den Einsatz gentechnischer Methoden wurden die Eigenschaften der Monoklonalen Antikörper immer weiter optimiert; heute sind Monoklonale Antikörper und ihre Abkömmlinge auch die Basis für äußerst wirksame Medikamente, etwa gegen Krebs. Wichtige Aufschlüsse wurden auch über den molekularen Aufbau von Genen gewonnen. Man konnte nun vergleichen, wie sich die Gene von gesunden und von kranken Menschen unterscheiden. Bei der Bluterkrankheit tritt beispielsweise eine Veränderung in dem Gen auf, das die Information zur Herstellung eines Proteins mit Namen Faktor VIII trägt. Dadurch wird das Protein fehlerhaft und kann seine wichtige Funktion in der Blutgerinnung nicht mehr ausüben. Solche Veränderungen an Genen lassen sich heute relativ leicht nachweisen und sind die Grundlage moderner diagnostischer Verfahren. Es wird aber auch daran gearbeitet, in bestimmte Zellen der Patienten fehlerfreie Gene einzuführen, die dann zur Produktion eines funktionalen Proteins führen sollten. Diese als somatische Gentherapie bezeichneten Verfahren sind interessant, weil sie eine Korrektur von Krankheitsursachen ermöglichen könnten. Allerdings ergeben sich bei klinischen Erprobungen immer wieder Probleme, die vor einem breiteren Einsatz der Methode noch gelöst werden müssen. Im Jahr 2000 wurde die Analyse der genetischen Gesamtinformation des Menschen, des menschlichen Genoms, vorläufig beendet. Eine gewaltige wissenschaftliche Leistung, die gern mit der Mondlandung verglichen wird. In den Mittelpunkt des Interesses ist nun die Frage gerückt, welche genetische Information zu welchem Zeitpunkt in einer Zelle abgerufen wird und wie die einzelnen Gene und Proteine miteinander wechselwirken. Die Methoden sind so weit verfeinert worden, dass nun versucht wird den Zustand aller Gene in einer Zelle gleichzeitig zu analysieren. Die Aktivitäten gleicher Zellen unter unterschiedlichen Bedingungen werden studiert, kranke Zellen werden mit gesunden Zellen verglichen, und die verschiedenen Stadien in der Entwicklung eines Lebewesens werden untersucht. Damit nähert man sich auch der Beantwortung der Frage, warum bei grundsätzlich gleicher genetischer Ausstattung die Zellen eines Organismus so viele unterschiedliche Funktionen übernehmen können. 24 Die Züchtung von Zellen und Geweben Die Gewebe in einem Organismus weisen hoch funktionelle Strukturen auf. In vitro kultivierte Gewebekonstrukte unterscheiden sich davon meistens sehr deutlich. Die Annäherung an das natürliche Vorbild hängt entscheidend von den Kulturbedingungen ab. Unbefangene Formulierungen wie „die Zellen wurden vermehrt/gezüchtet” mögen den Eindruck erwecken, dass es sich bei der In-vitro-Züchtung von Zellen und Geweben um etablierte, unkomplizierte Routineschritte handele. Dem ist nicht so: Die Prozessentwicklung für das Tissue Engineering ist ausgesprochen schwierig und technisch anspruchsvoll. Die Herausforderungen stellen sich auf allen Ebenen, angefangen von der Gewinnung und Vermehrung der Zellen, der Auswahl der Trägermaterialien und dem Reaktordesign bis hin zu den strengen Auflagen der Zulassungsbehörden an das Herstellungsverfahren (Good Manufacturing Practice, GMP). Unter Tissue Engineering versteht man auf Zellen basierende Therapien, die oftmals Trägermaterialien (manchmal in Kombination mit Wachstumsfaktoren) nutzen, um gewünschte, meist räumliche Gewebestrukturen zu ersetzen. Man verwendet in den meisten Fällen Zellen, die vom Patienten selbst stammen, so genannte autologe Zellen. Sie liefern dem entsprechend gut verträgliche Transplantate. Stammen die Zellen von anderen Menschen, spricht man von allogenen Zellen. Zellen tierischer Herkunft finden sich in xenogenen Transplantaten. Die Herstellung künstlicher Gewebe beim Tissue Engineering läuft grob unterteilt in drei Schritten ab: Bioreaktor zur Züchtung von Knorpelzellen 1. Zunächst werden die autologen oder allogenen Zellen in Vorkulturen angezogen, um sie in Wachstumsphasen und in ausreichender Menge auf das entsprechend der Anwendung vorgeformte Trägermaterial auftragen zu können. 2. Die ‚geimpfte’ Matrix wird dann in stationärem Milieu kultiviert bis man die Anhaftung der Zellen an das Trägermaterial feststellt. Hier kommt es darauf an, dass die Zellen optimale Wachstumsbedingungen vorfinden. Dazu gehören die wichtigen Kontakte zur Matrix und zu anderen Zellen. Jeder Zelltyp stellt ganz individuelle, oftmals zeitlich variable Ansprüche an seine Umgebung, die durch die möglichst genaue Schaffung der natürlichen „Mikroumgebung” der Zellen erfüllt sein müssen. 3. Nur wenn diese Anforderungen erfüllt sind, lässt sich das Konstrukt schließlich in Reaktoren unter kontinuierlicher Nährstoff- und Luftzufuhr zu funktionalen Geweben ausreifen, wobei möglichst physiologische Bedingungen einzuhalten sind. Ausdifferenzierte Körperzellen lassen sich meistens nicht so ohne weiteres in vitro vermehren. Das liegt unter anderem daran, dass sie sich in den Geweben auch nicht beliebig teilen dürfen. Andernfalls gäbe es keine klar begrenzten Gewebestrukturen und Organe. Die Ausnahme sind Tumorzellen, die sich bekanntermaßen ungehemmt teilen und die Organe zerstören. Diese Fähigkeit macht man sich in der Bioprozesstechnik zunutze, indem man Immunzellen eines bestimmten Typs mit speziellen Tumorzellen (Myelomzellen) fusioniert. Die daraus resultierenden Hybridomazellen weisen die Eigenschaften der Immunzellen auf, sind aber wie die Tumorzellen in der Zahl ihrer Teilungszyklen nicht begrenzt. Sie eignen sich deshalb für große Zellkulturen zur Produktion wertvoller Proteine, zum Beispiel rekombinanter Antikörper (siehe Seite 8). Für Zelltherapien sind die Zellen verständlicherweise ungeeignet. Einige somatische Zelltypen sind in vitro vermehrbar und können therapeutisch zum Ersatz ausgefallener Gewebezellen genutzt werden. Dazu gehören zum Beispiel Knorpelzellen oder die Stammzellen des Knochenmarks. Eine Invitro-Kultur frisch isolierter Zellen eines Gewebes wird als Primärkultur bezeichnet. Nachdem die Zellen sich ungestört teilen und wachsen konnten, müssen sie spätestens wenn sie den Schalenboden komplett bedecken auf neue Kulturgefäße verteilt werden (Subkultivierung). Andernfalls stellen sie das Wachstum ein und sterben ab. Sind Zellen mehr als siebzigmal nach der Primärisolation ohne Einschränkung subkultivierbar, was nicht oft der Fall ist, spricht man von kontinuierlichen Zelllinien. 25 In der Praxis steckt die Züchtung menschlicher Zellen meistens voller Tücken. Zum Beispiel bleiben die Eigenschaften der in vitro kultivierten Zellen nicht lange konstant. Sie können ihre Spezifität verlieren (Dedifferenzierung) oder im Verlauf der Teilungen andere Eigenschaften ausprägen. Zur Kultivierung von Zellen mancher Gewebetypen, die nicht in der Kulturschale wachsen, muss man den Weg über Stammbeziehungsweise Vorläuferzellen (siehe Seite 11) beschreiten. Diese werden zunächst in vitro vermehrt und differenzieren dann in vivo, induziert durch geeignete Signale, in Gewebezellen aus. Zahlreiche praktische Probleme bei der Kultivierung sind noch nicht gelöst. So weiß man noch nicht genug über die Faktoren, die die Differenzierung der Stammzellen steuern und kann deshalb nicht immer verhindern, dass sich die Zellen in der Kultur in unerwünschte Richtungen entwickeln oder entarten. Die verfahrenstechnischen Herausforderungen sind ebenfalls groß. Für die Zufuhr von Nahrung und Sauerstoff und den Abtransport von Stoffwechselabfallprodukten und Kohlendioxid musste die Bioprozesstechnik zahlreiche apparative Lösungen finden. Petrischalen, deren Kulturmedium nicht kontinuierlich ausgetauscht werden kann, eignen sich eher für Primärkulturen, wobei die rasch zunehmende Belastung des Mediums durch Stoffwechselprodukte der Zellen die Kulturdauer begrenzt. Kulturflaschen mit Rührer sind aufgrund der größeren Kulturmedienvolumina auch für die längere Phase der Matrixbesiedlung vorteilhaft. Gewebekonstrukte hängen an einem Faden in der Flüssigkeit und sind wegen des am Gefäßboden rotierenden Magnetrührers einer permanenten Strömung ausgesetzt. Sie ermöglicht den Abtransport der Abfallprodukte aus dem Inneren des Konstrukts. Derartige Kulturen können über Wochen wachsen, sofern das Eindringen von Bakterien oder Viren vermieden wird. Eine andere Lösung sind „rotierende Bioreaktoren”, bei denen die stetige Bewegung der Nährflüssigkeit durch die Drehung des trommelförmigen Kulturgefäßes erzeugt wird. Diese Reaktoren gibt es auch als nicht-geschlossene Systeme mit der Möglichkeit, das Nährmedium kontinuierlich durch frisches zu ersetzen. Die genannten Reaktortypen eignen sich für Knorpel und dünnlagige Zellschichten (Epithel), wo kein Kapillarnetz zum Transport von Nährstoffen und Sauerstoff notwendig ist. Wo es aber auf die „tief gehende” Versorgung ankommt, kann man die Zellen mittels Hohlfasern kultivieren. Die Zellen haften an den Innen- und Außenseiten der vom Nährmedium durchströmten Fasern. Es gibt unterschiedlich dimensionierte Hohlfaserreaktoren, deren Module in Größe und Zahl der Hohlfaserbündel variieren. In der Zellkulturtechnik hat sich dieser Reaktortyp bei der Herstellung von monoklonalen Antikörpern aus Säugerzellkulturen durchgesetzt. Der wichtigste Reaktortyp für die Gewebezüchtung sind Perfusionsreaktoren. In den Perfusionskulturen umspült frisches Kulturmedium die darin reifenden Gewebekonstrukte, welche über Träger mechanisch fixiert sind. Wenn man das Medium kontinuierlich durch neues ersetzt, lassen sich konstante Ernährungsbedingungen realisieren. Mit diesen Reaktortypen ist es auch möglich, Konstrukte gleichzeitig mit unterschiedlichen Medien zu versorgen, zum Beispiel Nierenzellepithelien, die wie im Körper auf der einen Seite von urinartigem und auf der anderen Seite von serumartigem Medium umspült werden. Die Bioprozessentwicklung erfordert die Zusammenarbeit von Fachleuten aus verschiedenen Disziplinen – Zellbiologen, Materialwissenschaftler, Verfahrenstechniker und Mediziner. In Deutschland ist diese Expertise an zahlreichen Universitätsstandorten vorhanden. Dort haben die Forscher auch Unter- 25 Knorpelzüchtung im Reinraumlabor nehmen gegründet, die Tissue- Engineering-Produkte entwickeln, herstellen und vermarkten. Die Errichtung und der Betrieb von Pilotanlagen und Produktionseinheiten verschlingen große finanzielle Mittel, oft zweistellige MillionenEuro-Beträge. Die hohen Ansprüche der Good Manufacturing Practice an Reinheit, Sterilität und Qualität der eingesetzten Materialien und Produkte machen unter anderem auch spezielle bauliche Voraussetzungen erforderlich: Hintereinander „geschaltete”, durch Schleusen abgetrennte Bereiche gewährleisten in den Produktionsräumen Reinraumbedingungen wie sie nur noch in der Chipindustrie erreicht werden. Die Institute und Firmen müssen in der Regel ein striktes Qualitätsmanagement nachweisen, um die Zulassung zu erhalten und zu behalten. Auch wenn nicht produziert wird, fallen weiterhin hohe Betriebskosten an, da die Anlagen und die Luft- und Wasserversorgung immer betriebsbereit und steril gehalten werden müssen. Herzmuskel TISSUE ENGINEERING 26 läres Beispiel für das „Engineering” von Knochen lieferten im Sommer 2004 Mediziner der Universität Kiel. Ihnen gelang es, den durch einen Tumor zerstörten Unterkiefer eines 56 Jahre alten Patienten funktional zu rekonstruieren. Zunächst entwarf man am Computer die Form des fehlenden Unterkieferstücks. Nach dieser Vorlage entstand ein Das Kieferknochenkonstrukt wächst im Geflecht aus Rückenmuskelgewebe des Patienten Titandraht, in das heran die Knochenmineralien, durchmischt mit Knochenmarkzellen des Patienten, modelliert wurden. Zur Stimulierung des Zellwachstums hatte man auch BMP hinzugefügt. Die gesamte Konstruktion wurde dann in den rechten Rückenmuskel unterhalb des Schulterblatts eingepflanzt, damit unter den körpereigenen Wachstumsbedingungen Knochenzellen heranreifen konnten und ein zunehmend festgefügteres Knochengewebe bildeten. Nach sieben Wochen operierten die Ärzte den Unterkieferteil mitsamt Blutgefäßen und einigen Muskelsträngen aus dem Rückenmuskel heraus. Sie setzten es in den Mund des Patienten ein, um dort mit dem vorhandenen Rest des Kiefers zusammenzuwachsen. Noch (Stand Winter 2004) hält das Titandrahtgerüst die Neukonstruktion zusammen. Es soll später entfernt werden, wenn der zusammengewachsene Unterkiefer stabil genug geworden ist. Heute ist das Verfahren längst kein Einzelbeispiel mehr: Ein finnisches Team konnte auf diese Weise sogar die komplette Vorderstirnplatte einer Patientin ersetzen. ration von Herzmuskelgewebe mit Hilfe von Zellen. Man verwendet sowohl ausdifferenzierte Herzmuskelzellen und Skelettmuskelzellen als auch adulte, embryonale und fötale Stammzellen. Ansätze, Herzmuskelzellen (Myokardzellen) in vitro im Bioreaktor zu züchten und dann als „Ersatzmuskel” zu transplantieren, verfolgt man seit Anfang der 1990er Jahre. Die körper- Mit dem Katheter können Stammzellsuspensionen in das Infarktgewebe injiziert werden eigenen Zellen werden etwa drei Wochen vor der Herzoperation entnommen, dann speziell aufbereitet und für die Injektion in den geschädigten Herzmuskel kultiviert. Die Herausforderungen an die Konstrukte und ihre Herstellung sind aber sehr hoch, so dass sie die klinische Praxis noch nicht erreicht haben. In den letzten Jahren hat die Stammzellforschung der Regenerativen Medizin neue Impulse zur Behandlung von kardiovaskulären Krankheiten gegeben. Zwar findet man im Her- Herzmuskel Jährlich erleiden 300.000 Menschen in Deutschland einen Herzinfarkt. Wird ein Herzinfarkt bemerkt ist es meistens schon zu spät. Die Öffnung der Arterien durch Gerinnungshemmer und Operationen kann nicht mehr verhindern, dass von der Blutzufuhr abgeschnittene Bereiche des Herzmuskels absterben. Dabei fallen unterschiedlich große Partien des Muskels aus, es bilden sich Narben aus Bindegewebe und häufig bleiben Funktionsstörungen unterschiedlichen Ausmaßes zurück. Die Patienten bleiben in ihrer Leistungsfähigkeit eingeschränkt – vom Risiko erneuter Vorfälle einmal abgesehen. Langfristige therapeutische Optionen sind rar, denn Muskelgewebe ist nicht sehr regenerationsfähig. Weltweit laufen gegenwärtig zahlreiche Studien zur Regene- Herzmuskelgewebe TISSUE ENGINEERING Luf tröhre zen nur sehr selten undifferenzierte Zellen und ihre Fähigkeit zur Neubildung von Muskelzellen ist wenig ausgeprägt. In vitro konnte man sie immerhin in mindestens drei Gewebearten – Herzmuskel, Blutgefäßmuskel und Innenhaut von Blutgefäßen – verwandeln. Ob und in welchem Ausmaß sie die Umwandlung auch in vivo vollziehen, ist aber bislang noch unbeantwortet. Natürlicherweise sind sie vermutlich nur für kleinere Reparaturarbeiten vorgesehen. Ihnen auf die Sprünge zu helfen, ist auf unterschiedlichen Wegen versucht worden. Bislang ergeben die verschiedenen Ansätze aber noch kein einheitliches Bild. Auch adulte Stammzellen aus dem Knochenmark sind in der Lage, Herzmuskelgewebe zu bilden. In Mäuseexperimenten wurden die isolierten, mit so genannten Markergenen gekennzeichneten Zellen in das abgestorbene Gewebe injiziert. Nach einigen Wochen fand man dort neu gebildete Zellen, die Charakteristika von Herzmuskelzellen aufwiesen und mitunter synchron mit den vorhandenen Herzmuskelzellen kontrahierten. Da sie auch die Markergene der Stammzellen trugen, gab es keinen Zweifel über ihre Herkunft. Es stellte sich bald heraus, dass die Qualität der Knochenmarkzellen entscheidend ist und sich besonders daraus hervorgegangene so genannte endotheliale Vorläuferzellen eignen, die bereits eine bestimmte Entwicklungsrichtung eingeschlagen haben. Dieser Therapieansatz wird nun auch in klinischen Versuchen beim Menschen getestet. Noch gibt es viele offene Fragen. Man weiß nur wenig über das Schicksal der in den Herzmuskel injizierten Stammzellen. So ist immer noch umstritten, inwieweit es sich bei den neu gebildeten Zellen tatsächlich um echte Herzmuskelzellen handelt. Manche Experimente deuten darauf hin, dass die Vorläuferzellen mit vorhandenen Muskelzellen fusionieren. Nach anderen Untersuchungen bilden die Stammund Vorläuferzellen gar nicht in dem erwarteten Ausmaß Herzmuskelzellen, sondern tragen unter anderem durch die Ausschüttung von Boteneiweißen zur Erholung des geschädigten Herzgewebes bei. Das legen In-vivo-Experimente mit stammzelltypischen Botenstoffen nahe, die zur Ausdifferenzierung von embryonalen Stammzellen in funktionstüchtige Muskelzellen notwendig sind. In diesen Experimenten zeigte sich, dass Stammzelltherapien bei der großen Mehrheit der behandelten Patienten zu einer signifikanten Kräftigung des Herzens führten. Dieser interessante Befund soll nun in einer europaweiten Studie genauer überprüft werden. Luftröhre Patienten mit Atemwegstumoren sind postoperativ oft auf einen Tubus im Hals angewiesen um atmen zu können. Der Beatmungsschlauch verursacht dabei eine chronische Verletzung der Luftröhre, die häufige 27 Krankenhausaufenthalte erfordert, denn bakterielle Infektionen sind fast zwangsläufig. Dann müssen diese Patienten „gefenstert” werden. Sie liegen auf der Intensivstation und haben große Öffnungen im Brustkorb, um Eiter und Bakterien abfließen zu lassen. Forscher des Fraunhofer-Instituts für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik in Stuttgart fanden eine Methode, um die Luftröhre nach erfolgreicher Behandlung der Infektionen wieder schließen zu können. Wichtig ist die Herstellung der hauchzarten Blutgefäße, die die Luftröhre umgeben. Die Forscher isolieren die entsprechenden Blutgefäße aus Schweinedarm. Die Zellen werden chemischenzymatisch entfernt, sodass die feinen Wandstrukturen als zellfreie Kollagen-Röhren übrig blieben. Was so einfach klingt, bedeutet viel Arbeit und ist ein schwieriges Verfahren. Die Kollagenwand der feinen Kapillaren müssen anschließend mit menschlichen Endothelzellen ausgekleidet werden. Dazu dient die In-vitro-Besiedlung mit Knochenmarkstammzellen des Patienten, die sich auf der Kollagenmatrix in Endothelzellen ausdifferenzieren. Unter idealen Kulturbedingungen beginnen die Zellen, die Schweinematrix, das heißt die Wand, abzubauen und ihre eigene Wand aus menschlichen Kollagenen zu synthetisieren. Dieser Umbau wird als Remodelling bezeichnet. Im Ergebnis erhält man menschliche Blutgefäße, die genau zu dem Patienten passen, von dem die Stammzellen aus dem Knochenmark stammten. Die gezüchtete Gefäßwand wird schließlich in das „Fenster” transplantiert, wo sie anwächst und die Luftröhre wieder verschließt. Insgesamt vier Patienten tragen inzwischen solche biologischen Hautpflaster auf ihrer Luftröhre. Der erste Patient konnte bereits 14 Tage nach der Operation das Krankenhaus verlassen. Pankreas TISSUE ENGINEERING 28 Weiter von der klinischen Erprobung entfernt sind Stammzelltherapien zur Regeneration anderer lebenswichtiger Organe, Pankreas, Leber oder Nervenzelle. Im Tierversuch sind diese Konzepte zum Teil bereits erfolgreich umgesetzt worden; manche Ergebnisse sind aber noch widersprüchlich. Das zeigt einmal mehr, wie schwierig und langwierig der Transfer von ‚reiner’ Wissenschaft in die Anwendung ist. Pankreas Diabetes mellitus ist in Industrieländern zu einer Volkskrankheit geworden. In den USA leiden 16 Millionen und in Deutschland vier Millionen Menschen daran. Die mit 95 Prozent Anteil häufigste Form ist Diabetes Typ II, der so genannte Altersdiabetes. Die Körperzellen reagieren nur schwach auf den Botenstoff, der ihnen bei der Zuckeraufnahme hilft. Bei Diabetes vom Typ I ist der zerstörerische Angriff des Immunsystems auf die Insulin produzierenden ß-Zellen des Pankreas Langerhans‘sche Insel beta-Zelle delta-Zelle alpha-Zelle Kapillare Drüsenbläschen Grund der Krankheit. Diabetes kann dank gentechnisch hergestellten Insulins behandelt, aber nicht kuriert werden. Das individuelle Ausmaß der Krankheit und die Beeinträchtigungen können gravierend sein. Was liegt näher, als zerstörte Pankreaszellen zu regenerieren, um Diabetes langfristig zu heilen? Die Insulin produzierenden ß-Zellen kommen in kugelförmigen Kolonien auf der Bauchspeicheldrüse, den so genannten Langerhans'schen Inseln, vor. Ständig sterben ß-Zellen ab und werden in einem noch unverstandenen Prozess durch neue ersetzt. Kann der Körper die Inselzellen nicht mehr regenerieren, fällt auch die Insulinproduktion ab. Leider ist die Kultivierung von funktionalen ß-Zellen nicht möglich. Aber vielleicht mit Stammzel- len? Adulte Pankreas-Stammzellen und Vorläuferzellen hat man noch nicht zweifelsfrei identifizieren können. Man vermutet sie im Gewebe der Drüsengänge. Nach neuesten Berichten hätten die sehr seltenen Zellen sogar die Charakteristika von pluripotenten Stammzellen. Damit wären sie für die Regenerative Medizin als Alternative zu embryonalen Stammzellen von großem Interesse. Eine Züchtung von „ßZellen” aus Nicht-Pankreaszellen gelang im Tierversuch mit Stammzellen des Knochenmarks (MSCs), die nach Transplantation in das Inselgewebe des Pankreas umdifferenzierten. Ihre Kapazität zur Insulinproduktion war aber sehr gering. Nicht nur deshalb sind Zweifel an der Natur dieser „ß-Zellen” angebracht. Ähnliche Ergebnisse erzielte man durch die invitro-Umwandlung von humanen Inselzellen in Vorläuferzellen unter bestimmten Kulturbedingungen. Diese Vorläuferzellen konnten gut vermehrt werden und bildeten nach Transfer in Pankreasgewebe Inselkolonien. Ihre Insulinproduktion war ebenfalls sehr gering. Niere In Deutschland werden jährlich etwa 2.200 Nieren transplantiert, das entspricht nur einem geringen Teil des Bedarfs. Die vielen Patienten auf der Warteliste sind bis dahin mitunter über Jahre auf die Dialyse angewiesen. Bei 53.000 gemeldeten Dialysepatienten (im Jahr 2000) und durchschnittlich drei Dialysen pro Woche sind das etwa 8,3 Millionen Behandlungen pro Jahr. Den Patienten geht es chronisch schlecht. Diese bedrückende Situation ist Motivation genug, nach langfristig erfolgreichen Therapien zu suchen. Die Transplantation von Schweinenieren wäre möglich, ist unter anderem aber wegen der gravierenden Immunreaktionen der Empfänger sehr problematisch. Bessere Aussichten hat die Transplantation von Nieren aus Schweineembryonen, die zur Zeit im Tierversuch erprobt wird. Nicht älter als 28 Tage sind diese Organe nur einen Millimeter groß und noch ohne Blutgefäße. Aufgrund der fehlenden Gefäße sind sie kaum immunogen. Nach der Transplantation wachsen sie im Empfängerorganismus zu funktionsfähigen, korrekt vaskularisierten Nieren heran, deren Gefäße und Blutzellen dann natürlich vom Empfänger stammen. Zudem gibt es Ansätze, durch gentechnische Veränderungen von Schweinezellen die immunologische Fremdartigkeit der Xenotransplantate zu reduzieren. Die geschilderten Verfahren haben aber immer noch gravierende Nachteile, insbesondere die möglichen Infektionsrisiken durch Schweineviren. Dies ist wieder eine Herausforderung für das Tissue Engineering. Ideal wäre zweifellos die Regeneration beziehungsweise Reparatur des ausgefallenen Organs durch humane, am besten autologe Zellen. Noch versteht man nicht viel von den Vorgängen bei der Bildung von Nierengewebe, aber einige Optionen sind absehbar. So fand man bereits Vorläuferzellen verschiedener Nierengewebetypen, zum Beispiel En- TISSUE ENGINEERING Leber dothelvorläuferzellen (EPCs), intraglomuläre Mesangialvorläuferzellen und Tubulivorläuferzellen (hervorgegangen aus Knochenmarkstammzellen), die wahrscheinlich zur Regeneration der Gewebe dienen. Noch lassen sich diese seltenen Zellen in vitro nicht gezielt zur Bildung von Nierengeweben Dialyse anregen. In vivo wurde aber bereits beobachtet, dass die Vorläuferzellen in der richtigen Gewebeumgebung zu funktionalen Nierenzellen ausdifferenzieren. Leber Die gesunde Leber ist in großem Umfang zur Selbstregeneration fähig. Bei starker Schädigung durch Fibrosen und Zirrhosen – meistens als Folge von Infektionen mit Hepatitis B und C oder von Akoholmissbrauch – wird diese Fähigkeit stark eingeschränkt. In seltenen Fällen regeneriert das Organ nach einer Therapie wieder – aber sehr langsam. Oft ist eine Transplantation erforderlich, aber Spenderorgane sind rar. Um diese kritischen, oftmals langen Phasen zu überbrücken, haben Ingenieure „Ersatzlebern” entwickelt, die – der künstlichen Niere oder der Herz-Lungen-Maschine vergleichbar – außerhalb des Körpers (extracorporal) arbeiten und hindurchgepumptes Blut beziehungsweise Blutplasma von Abbauprodukten und Giftstoffen befreien. Ein System beruht auf der Reinigungsleistung von Albumin. Das Protein transportiert die „Lebertoxine” ab, die durch eine Membran aus dem Blut in eine Kammer mit der Albuminlösung diffundiert sind. Die Lösung durchläuft ein Recycling durch ein Kolonnensystem, in dem die Gifte vom Albumin getrennt werden, welches dann erneut Toxine aus dem Blut aufnehmen kann. Das Kreislaufsystem ist bereits auf dem Markt und wird von einem deutschen Unternehmen weltweit angeboten. Die Blutreinigung ist aber nur eine der Leistungen der Leber. Das Organ hat noch viele andere Aufgaben, zum Beispiel den Abbau von Biomolekülen. Wer könnte diese Aufgaben besser 29 übernehmen als Leberzellen (Hepatozyten), die darauf spezialisiert sind? Neue Konzepte der „Künstlichen Leber” basieren deshalb auf der Züchtung von Hepatozyten, die in geeigneten Bioreaktoren heranwachsen, wo sie mit dem Blutplasma in Kontakt kommen. Zwei Probleme sind dabei zu lösen: Wie züchtet man die Hepatozyten? Und welches Design muss der Bioreaktor haben? Für das Design der „Künstlichen Leber” als Bioreaktor scheinen sich Hohlfaserkonstruktionen zu eignen, an denen Zellen gut wachsen können und gleichzeitig großflächig von Flüssigkeiten umströmt werden. Erste Erfolge hatten amerikanische Mediziner mit immobilisierten Leberzellen von Schweinen. Allerdings sind Schweinezellen problematisch: Sie können das Immunsystem des Patienten provozieren und heftige Abwehrreaktionen hervorrufen. Zudem besteht das Risiko, dass sie möglicherweise schweinetypische Viren übertragen. Da sich humane Hepatozyten, von Tumorzellen abgesehen, schlecht vermehren lassen, kommen aus praktischen Gründen nur aus Stammzellen gezüchtete Leberzellen in Frage. Die Forschung mit adulten Leberstammzellen arbeitet auf Hochtouren, um die idealen Wachstumsbedingungen und molekularen Signale zu finden, die diese Stammzellen zur Differenzierung in Hepatozyten veranlassen. Mit Knochenmarkstammzellen gelang bereits die Züchtung von Hepatozyten, leider aber nur in vivo. Stammzellen dürften auch der Schlüssel zur Ideallösung sein, der in-vivo-Regeneration der Leber, und die Patienten von der Abhängigkeit von extracorporalen Ersatzleben befreien. System zur Blutreinigung, künstliche Leber 30 Nerven Ner ven TISSUE ENGINEERING spiegel der Patienten erhöht und einige Symptome waren verschwunden. Die Erkrankten waren aber nur scheinbar genesen, denn die Degeneration des Hirngewebes hatte sich nicht aufhalten lassen. Die Gesamtzahl der auf diese Weise behandelten Patienten kam daher über 18 nicht hinaus. Mit steigender Lebenserwartung in den Industrieländern bedrohen neurodegenerative Erkrankungen die Gesundheit der Bevölkerung. Altersdemenz (Morbus Alzheimer) und Morbus Parkinson stehen hier an erster Stelle. Allein in Deutschland sind rund 250.000 Menschen von Morbus Parkinson betroffen. Hinzu kommen Suchtfolgeerscheinungen, Krebs, Multiple Sklerose und Verletzungen. Sehr selten treten auch Fälle der Creutzfeldt-Jacob-Krankheit auf. Wegen fehlender therapeutischer Optionen ist die Wiederherstellung neuronaler Gewebe mittels Stammzellen eine verlockende Perspektive. Das therapeutische Potenzial dieser Ansätze ist schwer einzuschätzen. Noch sehr widersprüchlich sind die bisherigen Forschungsergebnisse. Häufig folgen auf Erfolgsmeldungen unmittelbar widersprechende Veröffentlichungen – was einmal mehr zeigt, wie mühselig und zugleich spannend die biomedizinische Forschung ist. Bereits 1989 hatte man in Pionierversuchen in den USA Parkinsonpatienten mittels fötaler Stammzellen behandelt. Bei der Krankheit sterben Gehirnzellen ab, die den Botenstoff Dopamin produzieren, der für die Kommunikation zwischen den Nervenzellen wichtig ist. Die Folgen der Zerstörung sind unkontrolliertes Zittern und Lähmungserscheinungen. Vier Jahre nach der Zelltransplantation hatten sich die Dopamin- Neurale Vorläuferzellen, die sich in vitro zu Gliazellen (grün) und Nervenzellen (rot) differenzieren. Blau: Zellkerne Nervengewebe Bis vor wenigen Jahren galt das Dogma, dass sich neuronale Gewebe nach ihrer Bildung im Säuglingsalter nicht mehr regenerieren können. Dann entdeckte man bei Mäusen und Ratten, später auch bei Affen, dass sie durchaus in der Lage sind, abgestorbene oder entfernte Partien des Hirn-Nervengewebes zu ersetzen. In bestimmten Regionen des Mittelhirns fand man schließlich neuronale Vorläuferzellen – auch beim Menschen. Die multipotenten Zellen bilden verschiedene Typen von Nervenzellen: Astrozyten, Neuronen und Oligodendrozyten (Glossar). Leider bereiten Kultivierung und gezielte Differenzierung dieser Zellen große Probleme, die vor einem therapeutischen Einsatz gelöst sein müssen. Zum Beispiel sind Blutgefäßzellen, genauer deren Endothelzellen, für die gewünschte Ausdifferenzierung in Neuronen notwendig. Wie man die kultivierten Vorläuferzellen gezielt in bestimmte Regionen des Zentralen Nervensystems (ZNS) lockt, um dort die „richtig” ausdifferenzierten Zelltypen in der „richtigen” Zahl und nur die „richtigen” Verknüpfungen mit den „richtigen” Partnerzellen zu erhalten, sind noch ungelöste Fragen. Vermutlich müssen auch je nach Krankheit Kombinationen von Zellen aus unterschiedlichen Stadien verwendet werden. Die Regeneration von Nervengewebe durch embryonale Stammzellen wird ebenfalls intensiv untersucht. Neben den ethischen Aspekten sind auch bei embryonalen Stammzellen viele der bereits angesprochenen Fragen noch offen. Unter anderem bereitete die Neigung der Zellen Probleme, in Kul- TISSUE ENGINEERING Ner ven 31 tur bevorzugt Oligodendrozyten zu bilden. Die Kultivierung mit Wachstumsfaktoren auf einem Rasen von Nährzellen (feeder cells) hat diese Verhältnisse verbessert. Dabei reicht es, einzelne embryonale Stammzellen in der Kulturschale zu vermehren und dann auf eine Grundlage aus bestimmten Bindegewebezellen (Stromazellen) zu schichten. Innerhalb weniger Tage entwickeln sich Dopamin-produzierende Zellen mit Neuronen-Morphologie. Viele Unklarheiten zum Beispiel über die Stabilität der erzeugten ‚Nervenzellen', ihre man auch bei adulten hämatopoetischen Stammzellen (siehe Seite 10), die nach gegenwärtigem Forschungsstand in viele Gewebe transdifferenzieren können. Sie sind gut kultivierbar, was wichtig ist, um die für therapeutische Zwecke meistens notwendigen Zellzahlen von mehr als fünf Milliarden zu erreichen. Manche Wissenschaftler vermuten, dass Blutstammzellen natürlicherweise zur Reparatur aller Gewebe geeignet sind, Nervengewebe eingeschlossen. Dafür gibt es deutliche Hinweise: Amerikanische Forscher fanden bei drei Frauen Funktionstüchtigkeit und das Risiko der Entartung sind aber noch nicht ausgeräumt. Von großem Interesse sind daher Versuche, in denen zunächst aus den embryonalen Stammzellen neuronale Stamm- und Vorläuferzellen erzeugt werden. In Zellkulturen und in Tiermodellen zeigte sich bereits das Potenzial der so gezüchteten Nervenvorläuferzellen: Nach der Transplantation in das Empfängergewebe integrierten sich die Vorläuferzellen morphologisch und funktionell. Sie wanderten in verschiedene Hirnregionen ein, wo sie dann nicht nur selbst elektrisch aktiv wurden und Aktionspotenziale feuerten, sondern auch Signale aus dem Empfängergehirn erhielten und verarbeiteten. Ein Ziel der auf Vorläuferzellen basierenden Konzepte ist es, Epilepsie-Patienten zu therapieren. Regenerationspotenzial für neuronale Gewebe vermutet sechs Jahre nach einer Knochenmarktransplantation Stammzellen im Gehirn, die Y-Chromosomen enthielten. Alle drei Patientinnen waren gegen Leukämie behandelt worden und hatten hämatopoetische Stammzellen aus dem peripheren Blut männlicher Spender erhalten. Da die Frauen keine Söhne hatten, konnten diese als Quelle für die Y-Chromosom-positiven Zellen ausgeschlossen werden. Menschliche mesenchymale Stammzellen aus dem Knochenmark ließen sich auch in vitro in Nervenzellen verwandeln, die im Parkinson-Tiermodell nach der Transplantation ins Gehirn Krankheitssymptome linderten. Japanische Forscher hatten dazu die Zellen mit einem Gen ausgestattet, das im Zusammenspiel mit einem Wachstumsfaktor die Entwicklung der Stammzellen zu Neuronen dirigierte. 32 Internationale Situation EMBRYONALE STAMMZELLEN Embryonale Stammzellen – die internationale Situation Gewinnung, Einfuhr und Forschung an embryonalen Stammzellen werden rechtlich weltweit sehr unterschiedlich bewertet. Schon innerhalb der Europäischen Union decken die gesetzlichen Bestimmungen ein breites Spektrum ab, eine endgültige Verständigung über die Forschung an embryonalen Stammzellen fehlt noch. Der Einsatz von menschlichen embryonalen Stammzellen in Forschung und Therapie wird weltweit diskutiert und unterschiedlich bewertet. Bereits die gesetzlichen Regulierungen der Stammzellforschung in den Ländern Europas decken ein breites Spektrum ab. In Deutschland ist die Gewinnung (Entnahme) von menschlichen embryonalen Stammzellen aus Embryonen verboten. Auch die Einfuhr und Verwendung von menschlichen embryonalen Stammzellen ist laut dem „Gesetz zur Sicherstellung des Embryonenschutzes im Zusammenhang mit der Einfuhr und Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen" vom 1. Juli 2002 (Stammzellengesetz) grundsätzlich verboten und kann nur ausnahmsweise durch eine staatliche Kontrollbehörde, das dem Gesundheitsministerium unterstellte RobertKoch-Institut in Berlin, genehmigt werden. Eine der Voraussetzungen für eine solche Genehmigung ist, dass die embryonalen Stammzellen bereits vor Deutscher Bundestag dem Stichtag 1. Januar 2002 vorhanden waren. Weiterhin muss es sich bei den verwendeten Embryonen um überzählige Embryonen handeln, und es durfte kein Entgelt für die Überlassung derselben gezahlt worden sein. Außerdem dürfen die Forschungsarbeiten an diesen Zellen nur dann durchgeführt werden, wenn sie hochrangigen Forschungszielen dienen und sich der angestrebte Erkenntnisgewinn mit dem konkreten Forschungsprojekt voraussichtlich nur durch die Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen erreichen lässt. Bis zum Dezember 2004 wurden sieben solcher Genehmigungen erteilt. Mit dem Stammzellgesetz wurde ein Kompromiss gefunden, der die gegenläufigen moralischen Bewertungen und die unterschiedlichen Interessen respektiert und somit sicherstellt, dass dieses wichtige Forschungsgebiet unter Beachtung hoher ethischer Anforderungen auch in Deutschland weiterverfolgt werden kann. Einige Forscher beklagen allerdings, dass die Qualität der vor dem 1. Januar 2002 gewonnenen Stammzelllinien für manche Fragestellungen nicht ausreiche und deshalb neue Linien gewonnen werden müssten. Weitere Einwände richten sich in die Zukunft. Es sei fragwür- Internationale Situation 33 dig, die vielleicht einmal verfügbaren auf embryonalen Stammzellen basierenden Therapieverfahren anzuwenden ohne auch die dazugehörenden problematischen ethischen Aspekte mitgetragen zu haben. Auch befürchtet man, dass diese Therapien mit hohen Lizenzgebühren verbunden sein werden, die dann aus dem deutschen Versicherungssystem ins Ausland abfließen werden. In ihrem am 28.07.2004 vorgelegten ersten Erfahrungsbericht über die Durchführung des Stammzellgesetzes hat die Bundesregierung festgestellt, dass sich die Regelungen des Gesetzes bisher bewährt haben. Die aufgrund des Stammzell- In der Schweiz regelt seit kurzem ein Bundesgesetz die Forschung an embryonalen Stammzellen (Stammzellenforschungsgesetz). Es erlaubt unter strengen Voraussetzungen, Stammzellen aus überzähligen Embryonen zu gewinnen und an diesen Zellen zu forschen. Es darf aber kein Embryo zu Forschungszwecken hergestellt werden. Die überzähligen Embryonen müssen aus der künstlichen Befruchtung stammen. Die Ein- und Ausfuhr überzähliger Embryonen über die Landesgrenze und der Handel mit überzähligen Embryonen oder embryonalen Stammzellen sind untersagt. EMBRYONALE STAMMZELLEN Griechenland, Spanien, Finnland, die Niederlande und Schweden gestatten ebenfalls die Gewinnung von Stammzellen aus überzähligen Embryonen. Belgien und Großbritannien haben die freizügigsten Regelungen bezüglich der Stammzellforschung. In beiden Ländern ist es nicht nur erlaubt im Land selbst Stammzellen aus überzähligen Embryonen zu gewinnen. Es dürfen auch menschliche Embryonen zur Erforschung von Therapien für sehr schwere Krankheiten genutzt werden, die durch Zellkerntransfer hergestellt wurden (therapeutisches Klonen). Allerdings muss in Großbritannien dafür eine Lizenz bei der British Human Fertilisation and Embryology Authority eingeholt werden. Bis zum Dezember 2004 wurde nur eine solche Lizenz, auf ein Jahr befristet, einem Forscherteam in Newcastle erteilt. Stammzelllabor in Korea gesetzes verfügbaren humanen embryonalen Stammzellen sind für die derzeitige Grundlagenforschung ausreichend geeignet. Wie bei allen Regelungen wissenschaftlicher Sachverhalte muss aber die weitere wissenschaftliche Entwicklung aufmerksam verfolgt und sorgfältig geprüft werden, ob und inwieweit neue wissenschaftliche Ergebnisse, insbesondere neue Perspektiven für die medizinische Therapie, in der Zukunft zu neuen Abwägungen führen. Im internationalen Vergleich ist hinsichtlich Existenz und materiellem Gehalt vorhandener Regelungen beziehungsweise etablierter Standards eine große Heterogenität festzustellen. Dennoch ist in den letzten Jahren eine zunehmende Tendenz zur Etablierung spezialgesetzlicher Normen für diese Bereiche zu erkennen, die überwiegend unter bestimmten Voraussetzungen auch eine fremdnützige Forschung an menschlichen Embryonen zulassen. So ist zum Beispiel in Frankreich nach der im August 2004 in Kraft getretenen Novelle der Bioethik-Gesetze die Forschung an überzähligen Embryonen – also auch die Gewinnung von Stammzellen – und an embryonalen Zellen ausnahmsweise und für einen Zeitraum von fünf Jahren unter bestimmten Voraussetzungen nach Genehmigung durch eine zentrale staatliche Behörde zulässig. Die Einfuhr embryonaler Zellen und Gewebe zu Forschungszwecken ist nach Genehmigung durch die Behörde ebenfalls zulässig. Bei der EU-Förderung durch das 6. Forschungsrahmenprogramm sind zentrale bioethische Leitlinien für die Finanzierung biowissenschaftlicher Forschungsarbeiten festgeschrieben. So werden Forschungsarbeiten zum reproduktiven Klonen, zur Keimbahnintervention und zur Züchtung menschlicher Embryonen zu Forschungszwecken einschließlich des therapeutischen Klonens nicht aus EU-Mitteln finanziert. Allerdings konnte auf EU-Ebene keine endgültige Verständigung darüber erzielt werden, wie man mit der Stammzell-Unternehmen in Korea 34 embryonalen Stammzellforschung umgeht. Denn nach den geltenden Regelungen können mit EU-Mitteln alle aktuell verfügbaren embryonalen Stammzelllinien in Forschungsprojekten verwandt werden – ohne dabei einen bestimmten Stichtag berücksichtigen zu müssen, bis zu dem die Stammzellen erzeugt wurde, wie von Deutschland mit anderen Mitgliedstaaten in den Verhandlungen gefordert. Doch hat das Kabinett der alten EU-Kommission im Februar 2004 in Ergänzung zu den rechtlich bindenden Vorgaben intern beschlossen, die Gewinnung von Stammzellen aus überzähligen Embryonen ebenfalls nicht mit EU-Mitteln zu fördern. Ein Antrag auf Forschungsförderung durch die EU muss zunächst einer wissenschaftlichen Gutachterkommission vorgelegt werden. Daraufhin wird er von einer Ethik-Kommission bewertet, bevor er dem Programmausschuss der EU zur Förderung vorgeschlagen wird. Ob ein solcher Antrag angenommen wird oder nicht, darauf können die Mitgliedsstaaten Einfluss nehmen, die gegebenenfalls mit einer qualifizierten Mehrheit die Förderung eines Projektes letztlich unterbinden können. Die Antragsteller müssen sich bei der Durchführung der Projekte an die in ihrem Land jeweils geltenden Gesetze halten. Bis Dezember 2004 sind von der EU zwei Projekte mit menschlichen embryonalen Stammzellen zur Förderung bewilligt worden. In beiden Projekten wird mit Stammzellen gearbeitet, die vor dem deutschen Stichtag gewonnen wurden. Auch mit Blick auf das therapeutische Klonen, also die Herstellung eines geklonten menschlichen Embryos zum Zweck der Stammzellgewinnung, hat sich Deutschland mit den meisten anderen europäischen Ländern wie zum Beispiel Frankreich, Italien, Schweiz und Norwegen, für ein generelles Verbot entschieden. In Großbritannien und Belgien ist hingegen das therapeutische Klonen unter Auflagen erlaubt; damit vergleichbare Regelungen gelten auch in Israel, China und Singapur. In den USA gibt es keine einheitliche bundesstaatliche gesetzliche Regelung. Das therapeutische Klonen ist in einigen Bundesstaaten erlaubt, in anderen verboten. Aus Bundesmitteln ist eine Förderung der Embryonenforschung nicht zulässig; bezüglich der embryonalen Stammzellforschung hat Präsident Bush am 09.08.2001 entschieden, dass aus Bundesmitteln nur solche Stammzellforschung gefördert werden darf, bei der mit embryonalen Stammzellen gearbeitet wird, die aus überzähligen Embryonen vor dem 09.08.2001 gewonnen wurden. Die förderfähigen Stammzelllinien sind in einem Register der NIH aufgelistet. Der US-Bundesstaat Kalifornien beschloss im November 2004 eine Initiative zur Förderung der Stammzellforschung, für die in den kommenden zehn Jahren drei Mrd. US$ zur Verfügung stehen werden, ähnliche Initiativen gibt es auch in anderen Bundesstaaten. Internationale Situation EMBRYONALE STAMMZELLEN Gesetz zur Sicherstellung des Embryonenschutzes im Zusammenhang mit Einfuhr und Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen (Stammzellgesetz) StZG vom 28. Juni 2002 § 4 Einfuhr und Verwendung embryonaler Stammzellen (1) Die Einfuhr und die Verwendung embryonaler Stammzellen ist verboten. (2) Abweichend von Absatz 1 sind die Einfuhr und die Verwendung embryonaler Stammzellen zu Forschungszwecken unter den in § 6 genannten Voraussetzungen zulässig, wenn 1. zur Überzeugung der Genehmigungsbehörde feststeht, dass a) die embryonalen Stammzellen in Übereinstimmung mit der Rechtslage im Herkunftsland dort vor dem 1. Januar 2002 gewonnen wurden und in Kultur gehalten werden oder im Anschluss daran kryokonserviert gelagert werden (embryonale Stammzell-Linie), b) die Embryonen, aus denen sie gewonnen wurden, im Wege der medizinisch unterstützten extrakorporalen Befruchtung zum Zwecke der Herbeiführung einer Schwangerschaft erzeugt worden sind, sie endgültig nicht mehr für diesen Zweck verwendet wurden und keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass dies aus Gründen erfolgte, die an den Embryonen selbst liegen, c) für die Überlassung der Embryonen zur Stammzellgewinnung kein Entgelt oder sonstiger geldwerter Vorteil gewährt oder versprochen wurde und 2. der Einfuhr oder Verwendung der embryonalen Stammzellen sonstige gesetzliche Vorschriften, insbesondere solche des Embryonenschutzgesetzes, nicht entgegenstehen. (3) Die Genehmigung ist zu versagen, wenn die Gewinnung der embryonalen Stammzellen offensichtlich im Widerspruch zu tragenden Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung erfolgt ist. Die Versagung kann nicht damit begründet werden, dass die Stammzellen aus menschlichen Embryonen gewonnen wurden. FÖRDERAKTIVITÄTEN Förderung des For t schrit t s 35 Nationale und internationale Förderaktivitäten Einige Industrieländer investieren bereits große Summen in die Entwicklung der Regenerativen Medizin. In Asien setzt man besonders auf die Stammzellforschung. Die Bundesregierung und einige Bundesländer fördern die Grundlagenforschung und die Umsetzung ihrer Ergebnisse in medizinische Produkte und Verfahren. Die Regenerative Medizin befindet sich überwiegend im Stadium der Grundlagenforschung. Erst wenige Entwicklungen aus dem Tissue Engineering sind bis zur kommerziellen Anwendung gereift. Der Weg zum Markt ist lang, riskant und kostspielig. In dieser typischen Frühphase einer Hochtechnologie kommt es entscheidend auf die Unterstützung auch aus öffentlichen Quellen an. Forschung ist eine gesamtgesellschaftliche Investition. Eine positive Bilanz kann man oft erst nach Jahrzehnten ziehen, wenn neue Technologien und engagiertes Unternehmertum prosperierende Industrien hervorgebracht haben, die meistens auch eine gesunde Peripherie von Zulieferern und Dienstleistern umgibt. Computerindustrie, Maschinen- und Flugzeugbau, die der Halbleitertechnik und der Materialforschung wesentliche Impulse verdanken, sind hier Paradebeispiele. Ähnlich verhält es sich mit der Pharmaindustrie, wo die Gentechnik für Nachschub an Innovationen sorgt – Stichwort Insulin. Abgesehen von den positiven Wirkungen auf Produktivität, Arbeitsmarkt und damit für den Wohlstand einer Gesellschaft, fällt beim medizinischen Fortschritt auch ein hoher Gewinn an Lebensqualität und -jahren ins Gewicht. Hier kann die Regenerative Medizin entscheidende Beiträge leisten. In vielen Industrieländern gibt es deshalb Programme zur Förderung der Forschung auf diesem Gebiet. Die Vereinigten Staaten, Großbritannien, Frankreich, Schweden aber auch China und Südkorea investieren große Summen. China und Südkorea setzten dabei besonders auf die Stammzellforschung, die dort an einzelnen Zentren konzentriert ist. Der internationale Wettbewerb zwingt auch die Mitgliedstaaten der EU zu größeren gemeinsamen Anstrengungen. Deutschland und andere Mitgliedstaaten haben deshalb die stärkere Berücksichtigung des Themas Regenerative Medizin im kommenden 7. EU-Forschungsrahmenprogramm (2006-2010) vorgeschlagen. In Deutschland unterstützten die Bundesregierung und einige Länder Forschungsprojekte und Initiativen im Bereich der Regenerativen Medizin. Der Beitrag aus der molekularbiologischen Grundlagenforschung wird hauptsächlich über die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und die MaxPlanck-Gesellschaft (MPG) aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) finanziert. Anwendungsnähere Fragestellungen der Regenerativen Medizin bearbeiten auch Institute der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren (HGF) und der Fraunhofer-Gesellschaft (FhG). Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert die Umsetzung innovativer Forschungsergebnisse in medizinische Produkte oder Verfahren. Die Förderung soll dazu beitragen, den Weg von der Grundlagenforschung in die medizinische Anwendung zu beschleunigen. Die dafür notwendige enge Kooperation zwischen akademischen, industriellen und klinischen Partnern wird durch maßgeschneiderte Programme unterstützt: Verbundprojekte im Schwerpunkt „Tissue Engineering” des BMBF-Förderprogramms Biotechnologie ebenso wie die Vorhaben in den Schwerpunkten „Biologischer Organfunktionsersatz” und „Zellbasierte regenerative Medizin” des Gesundheitsforschungsprogramms. Über das BMBF-Gesundheitsforschungsprogramm werden auch „Kompetenzzentren für Medizintechnik” finanziert, die interdisziplinär Projekte aus der Regenerativen Medizin bearbeiten. Das Thema findet sich außerdem in zueinander komplementären Programmen zur Zusammenarbeit in der klinischen Forschung, zur Unterstützung von jungen Unternehmen (BioChancePLUS und in der Profilbildung der Bioregionen) und zur Förderung von wissenschaftlichem Nachwuchs. Nicht zuletzt dank dieser Maßnahmen sind rund 40 kleine und mittlere Unternehmen (KMU) entstanden, die im Tissue-Engineering-Sektor aktiv sind und Arbeitsplätze für hochqualifizierte Mitarbeiter bieten. 36 ZULASSUNG VON TE-PRODUKTEN Die Zulassung von Tissue-EngineeringProdukten Die Zulassung von Tissue-Engineering-Produkten ist weltweit sehr uneinheitlich geregelt. Dabei ergeben sich aus ihrem Hybridcharakter – einerseits medizintechnisches Gerät wegen der Trägermaterialien, andererseits Medikament auf Grund der therapeutisch aktiven Zellen und Wachstumsfaktoren – oft Klassifizierungsprobleme. Ein großes Hindernis für die erfolgreiche Vermarktung von Tissue-Engineering-Produkten bleibt die unübersichtliche Regulierung der Zulassung sowohl in den USA als auch in der EU. Sie ist auch auf die schwierige Eingruppierung in bereits regulierte Produktklassen zurückzuführen, da Tissue-Engineering-Produkte gleichzeitig Charakteristika von Transplantaten, Biopharmazeutika (biologics) und Medizinprodukten (medical devices) aufweisen können. Bei der amerikanischen FDA sind zur Zeit sowohl das Center for Biologics Evaluation and Research (CBER) als auch das Center for Devices and Radiological Health (CDRH) zustänFDA-Website dig. In die CBER-Zuständigkeit fallen Gewebetransplantate und Xenotransplantate aber keine humanen Organe. Auch Tissue-Engineering-Produkte der „dritten Generation", die zum Beispiel Zytokine aus bioaktiven Matrices sekretieren, werden vom CBER geprüft. Unter CDRH-Zuständigkeit fallen zum Beispiel Herzschrittmacher, Kontaktlinsen und Medikamentenpumpen. Die zwei FDA-Einheiten haben eine tissue reference group eingerichtet. In der gegenwärtigen Umstrukturierung der FDA zeichnet sich folgende Produktklassifizierung ab: Gewebe für Transplantationen einerseits und Zell- und Gewebebasierte Produkte (C&TPs) andererseits. Letztere bereiten aber immer noch Probleme bei der Zuordnung. Nach der 'FDA Modernisation Act 2002' wird es ein Office of Combination Products geben, das in Kooperation mit den Antragstellern für eine Einteilung mit interagency consistency sorgen soll. Richtlinien für good tissue practice sind in Vorbereitung. In Europa sind Tissue-Engineering-Produkte bislang in den EU-Mitgliedstaaten nach jeweils unterschiedlichen Verfahren zugelassen worden. Ein „consultation paper“ der EUKommission für einen harmonisierten Rechtsrahmen für Tissue-Engineering-Produkte vom 6. April 2004 schlägt die künftig zentralisierte Zulassung von allogenen Tissue-Engineering-Produkten durch die europäische Zulassungsbehörde EMEA vor, wobei autologe Gewebeprodukte weiterhin unter nationale Zulassung fallen würden. Produkte tierischen Ursprungs und Produkte für die somatische Zelltherapie sind in die Regelungen nicht eingeschlossen. Die EU ließe nach dem genannten Vorschlagspapier Tissue-EngineeringProdukte, die rekombinante Proteine enthielten, als Medizinprodukte zu, sofern das Protein nur Hilfsfunktion hat. In Deutschland bedürfen autologe Produkte nur einer Herstellungserlaubnis nach dem Arzneimittelgesetz (AMG). Darüber hinaus verlangen Krankenkassen klinische Studien als Wirksamkeits- und Kosteneffizienznachweis, bevor möglicherweise eine Kostenerstattung in Frage kommt (siehe Seite 42). In den USA waren Ende 2004 fünf Tissue-Engineering-Produkte zugelassen, eines davon als medical device und vier als biologics. In der EU waren zum gleichen Zeitpunkt 20 Hautersatz- (davon 15 autologe), 15 Knorpelersatz- (alle autolog), und zwei autologe Knochenersatzprodukte auf dem Markt. In Japan gab es 18 Tissue-Engineering-Unternehmen, aber noch kein Tissue-Engineering-Produkt auf dem Markt. In Korea waren zwei Produkte auf dem Markt. ZULASSUNG VON TE-PRODUKTEN Fallbeispiel Fallbeispiel für die Zulassung eines TE-Produkts Das Produkt: Matrix-P-xenogene Pulmonalklappe vom Schwein. Es handelt sich um Schweinepulmonalklappen, die in einem patentierten Verfahren vollständig von lebenden Zellen und Erbmaterial befreit wurden, um bei operativen Eingriffen entnommene oder angeboren missgebildete Pulmonalklappen physiologisch zu ersetzen. Das Verfahren Zertifizierung: Das Produkt ist in der EU als Medizinprodukt zugelassen. Zuständig als übergeordnete Behörde ist das deutsche Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Bonn. Die Zertifizierung selbst erfolgte über eine benannte Stelle; in diesem Fall durch den TÜV Rheinland. Voraussetzung der Zulassung war ein validiertes Sterilisationsverfahren bei der Herstellung des Produktes. Validierung: Ein Labor für „Funktions- und Sicherheitsprüfungen für Medizinprodukte", welches von der Zentralstelle der Länder für Gesundheitsschutz bei Arzneimitteln und Medizinprodukten (ZLG) akkreditiert ist, übernahm die Validierung. Die umfangreiche technische Dokumentation des Produktes sowie seiner Herstellung wurde schließlich abgenommen. Die anmeldende Firma musste unter anderem das Vorhandensein eines Qualitätsmanagements gemäß DIN EN ISO 9001:2000 sowie den besonderen Anforderungen für Medizinprodukte nach DIN EN ISO 13485:2000(2003) nachweisen, um die gesetzlichen Voraussetzungen des Medizinproduktegesetzes (MPG) zu erfüllen. Zulassung: CE-Zertifikate sind EU-weit gültig, müssen aber vom Vertreiber im jeweiligen Mitgliedstaat angemeldet werden. Die Zulassungsprozess dauerte nur zwei Jahre und erforderte externe Dienstleistungen durch Beratungsgesellschaften. Allein die Validierung des Sterilisationsverfahrens kostete einen fünfstelligen Betrag. Für die Einrichtung des Qualitätsmanagements wurde eine ganze Personalstelle für etwa eineinhalb Jahre benötigt. Gegenwärtig laufen Marketing-Aktivitäten des Unternehmens, das Produkt ist in einer Großklinik bereits im Einsatz. 37 38 Interview mit Prof. Gleiter INTERVIEW unbedingt beachtet und so weit als möglich ausgeschlossen werden müssen. Zum anderen wird aber auch die Erfüllung von Erwartungen eingefordert, wenn Patienten mit TE-Produkten behandelt werden. Dazu zählen die Therapiemöglichkeit von bisher nicht oder nur unbefriedigend behandelbaren Erkrankungen (zum Beispiel Ersatz von Herzmuskelgewebe nach einem Infarkt), die – im Gegensatz zu Organen für eine Transplantation – zeitgerechte und nicht eingeschränkte Verfügbarkeit von solchen Produkten oder auch die Verbesserung der Verträglichkeit einer Behandlung, zum Beispiel die Vermeidung einer lebenslangen Therapie gegen eine mögliche Abstoßung. WORIN UNTERSCHEIDEN SICH MIT BLICK AUF DIE ZULASSUNG IN DEUTSCHLAND TISSUE-ENGINEERINGPRODUKTE VON MEDIKAMENTEN? Prof. Dr. Christoph Gleiter, Geschäftsführer des Koordinierungszentrums Klinische Studien am Universitätsklinikum Tübingen Das Koordinierungszentrum Klinische Studien am Universitätsklinikum Tübingen (KKS-UKT gGmbH) wurde im Jahr 2000 als Tochtergesellschaft des Universitätsklinikums Tübingen gegründet. Das Unternehmen wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und dem Land Baden-Württemberg unterstützt. Die Förderer haben das Ziel, durch strukturelle Maßnahmen an den Hochschulen die Qualität klinischer Forschung zu verbessern. Die KKS-UKT gGmbH schafft bei Planung, Vorbereitung, Durchführung und Auswertung von multizentrischen klinischen Studien die Voraussetzungen für die Einhaltung internationaler Standards wie etwa den „Good Clinical Practice"-Leitlinien (GCP-ICH). WELCHE ANFORDERUNGEN STELLEN MEDIZINER AN TISSUE-ENGINEERINGPRODUKTE? Zum einen handelt es sich um grundlegende Forderungen in Bezug auf Qualität und Sicherheit der verwendeten TE-Produkte. Produktversagen, produktbedingte Infektionen oder auch Entartung der im Produkt verwendeten Zellen sind mögliche Risiken bei einer Therapie mit TE-Produkten, die Entsprechend den Definitionen des Arzneimittelgesetzes zählen TE-Produkte in Deutschland derzeit zu den Arzneimitteln. Mit Blick auf die Zulassung gelten für diese Produkte somit dieselben Regeln wie für Medikamente. Je nachdem welcher Zelltyp bei der Herstellung von TE-Produkten verwendet wird handelt es sich um ein Individualarzneimittel oder um ein Fertigarzneimittel. So gibt es TE-Produkte, deren Grundlage Zellen sind, die entweder vom Empfänger eines TE-Produkts selbst stammen (autologe Zellen) oder in Kenntnis des zukünftigen Empfängers einem geeigneten Spender entnommen wurden (gerichtete allogene Zellen). Die mit solchen Zellen produzierten TEProdukte werden individuell für einen Patienten hergestellt, sind also Individualarzneimittel und brauchen nach dem Arzneimittelgesetz keine Zulassung für den therapeutischen Einsatz. Außerdem gibt es TE-Produkte, die mit humanen (allogenen) oder nicht humanen (xenogenen) Zellen sozusagen auf Vorrat (ohne Kenntnis von Empfängermerkmalen) hergestellt werden. Diese Produkte entsprechen der Definition eines Fertigarzneimittels nach dem Arzneimittelgesetz. In diesem Fall müssen die Produkte vor ihrem therapeutischen Einsatz zugelassen werden und dabei sämtliche zulassungsrelevanten Anforderungen erfüllen wie andere Arzneimittel auch. Unabhängig davon, ob ein TE-Produkt für den therapeutischen Einsatz eine Zulassung benötigt oder nicht, muss der Hersteller eine Herstellungserlaubnis von Seiten der Überwachungsbehörden einholen. Damit ist sichergestellt, dass das TE- Produkt nach den Regeln der Guten Herstellungspraxis (good manufacturing practice, GMP) produziert wird und ein größtmögliches Maß an Qualität und Sicherheit für den Patienten gewährleistet ist. Der gesetzliche Status von TE-Produkten wird sich voraussichtlich noch im Jahr 2005 ändern. Derzeit wird von der INTERVIEW Europäischen Kommission eine Verordnung vorbereitet, mit der TE-Produkte als Produktgruppe sui generis (Lex specialis) direkt der europäischen Gesetzgebung unterstellt werden. Damit wird der spezifischen Wirkungsweise von TE-Produkten entsprochen, die mit einer im wesentlichen struktur- und funktionsorientierten Wirkung sich von Arzneimitteln mit pharmakologischer, immunologischer oder metabolischer Hauptwirkung abgrenzen lassen 39 WO SEHEN SIE DIE GRÖßTEN HINDERNISSE FÜR DEN ERFOLG DER REGENERATIVEN MEDIZIN? Die Herstellung und der Einsatz von innovativen, regenerativen Produkten verursachen hohe Kosten. Einsparungen gegenüber den etablierten Therapien durch Langzeiteffekte sind bisher nicht nachgewiesen worden. Aussagekräftige kliWELCHE ANTWORTEN SOLLEN DIE KLInische Daten, die die Wirksamkeit und Sicherheit/Verträglichkeit der Produkte belegen, stehen oftmals noch nicht in NISCHEN STUDIEN VON TE-PRODUKTEN ausreichendem Umfang zur Verfügung. In der Folge werden LIEFERN? die Kosten einer solchen Behandlung durch Selbstzahler und Klinische Studien zum Ersteinsatz von TE-Produkten am Menin Ausnahmefällen durch private Krankenversicherungen schen liefern Erkenntnisse zur Durchführbarkeit der Behanderstattet, nicht jedoch durch die gesetzlichen Krankenversilung mit dem Produkt beziehungsweise zur Sicherheit und cherungen. Die Kostenerstattung für die Entwicklung und Verträglichkeit der Behandlung und entHerstellung ist somit unzureichend. sprechen damit den Phase-I-Studien der Zweitens besteht auf Seiten der Patienten „Langzeitergebnisse in Arzneimittelentwicklung. Im Hinblick auf und zum Teil auch der Ärzte ein Informaden regenerativen Charakter von TE-Protionsdefizit über die Möglichkeiten der Bewesentlichem Umfang dukten sind die Studienteilnehmer allerhandlung mit innovativen regenerativen können erst in einigen dings ausschließlich Patienten. Produkten, weshalb auch keine ausreichenJahren erwartet Grundlegende Aussagen zur Wirkung und de Nachfrage nach solchen Behandlungen wiederum zur Sicherheit/Verträglichkeit entsteht. werden.” werden in klinischen Studien gewonnen, in Hinzu kommt, dass diese Produkte, weil sie denen die Therapie mit einem TE-Produkt momentan durch die nationale Gesetzgemit einer etablierten Kontrolltherapie verglichen wird. In der bung geregelt sind, nicht unmittelbar auch europaweit Arzneimittelentwicklung sind dies Studien der Phase II. angeboten werden können. Der Kreis potenzieller Patienten Den statistischen Beweis der Wirksamkeit und der Sicherheit ist dadurch recht klein, für eine internationale Vermarktung beziehungsweise Verträglichkeit der Behandlung mit einem entstehen hohe Zusatzkosten durch Zulassung in jedem TE-Produkt liefern prospektive, kontrollierte klinische StuLand. dien mit zufälliger (randomisierter) Zuteilung der Patienten in zwei Behandlungsgruppen sowie einer statistischen WAS KÖNNTE MAN VERBESSERN? Abschätzung der Anzahl notwendiger Studienteilnehmer. Die Behandlungsgruppen sind einmal Patienten, die mit Ein wichtige Maßnahme zur Überwindung dieser Hindereinem TE-Produkt behandelt werden, und Patienten, die eine nisse wären mehr valide klinische Studien mit aussagekräftietablierte Kontrolltherapie erhalten. Diese Studien entspregen und überprüfbaren Ergebnissen zur Wirksamkeit einer chen den Phase-III-Studien bei der Prüfung von ArzneimitBehandlung und zu ihrem Kosten-/Nutzenverhältnis. Dies teln. Klinische Studien mit TE-Produkten liefern somit im ist primär die Aufgabe der Hersteller der Produkte, die aber wesentlichen dieselben Ergebnisse wie Studien mit etablierhäufig auf Unterstützung angewiesen sind, da es sich um ten Therapien, zum Beispiel Arzneimittelstudien. kleinere Firmen handelt. Daneben sind auch Studien, durchTE-Produkte werden erst seit wenigen Jahren in der Therapie geführt von unabhängigen Dritten, sehr wünschenswert, klinisch eingesetzt. Aus diesem Grund können Langzeiterum aus einer neutralen Position zu untersuchen, ob der Eingebnisse in wesentlichem Umfang erst in einigen Jahren satz von innovativen regenerativen Produkten eine langfriserwartet werden. tige Verbesserung der Patientenversorgung bringt. WAS BRINGEN SOLCHE LANGZEITSTUDIEN, SOWOHL BEI ARZNEIMITTELN ALS AUCH BEI TE-PRODUKTEN? Solche Studien können über den dauerhaften Erfolg einer Behandlung wichtige Aussagen machen, damit auch über die Kosten-Nutzen-Relation eines solchen Therapieprinzips. Auch die anstehende, europaweit einheitliche rechtliche Behandlung von innovativen, regenerativen Produkten kann den Erfolg der Regenerativen Medizin unterstützen. Dann könnten solche Produkte in ganz Europa angeboten werden. 40 Die Zukunf t hat schon begonnen REGENERATIVE MEDIZIN Regenerative Medizin – die Zukunft hat schon begonnen Gegenwärtig steht die Erforschung der erstaunlichen Fähigkeiten von (Stamm-)zellen bei Reparatur- und Hei- renzierung von Stammzellen im Knochenmark Verfahren zur Züchtung empfängerkompatibler mesenchymaler (Glossar) Stammzellen möglich werden, die dann in Zellbanken vorgehalten werden können. lungsprozessen im Vordergrund, aber auch noch ganz am Anfang. Die Vision, einmal ganze Organe regenerieren zu können, gehört in die sehr ferne Zukunft. Dass sie im Tierreich längst Realität ist, motiviert die Forscher jedoch. In unmittelbarer Zukunft erwarten Wissenschaftler Fortschritte bei bereits etablierten Therapien. Zum Beispiel beim Hautersatz. Bislang erfüllte die gezüchtete Haut im Wesentlichen ihre Aufgabe als Barriere zur Abschirmung des Gewebes von der Umgebung. Weiteren Anforderungen, unter anderem an Elastizität, Narbenfreiheit, Haarwuchs und Fettung genügte sie nicht. Nun sind Hautersatzprodukte in der Entwicklung, die das Potenzial von Vorläuferzellen nutzen, um funktionstüchtige Ersatzhaut zu bilden. In geeigneter Abfolge und Schichtung aufgebracht, lassen sich die Zellen durch Wachstumsfaktoren zur Bildung von verschiedenen Zelltypen, zum Beispiel von Haar- und Fettzellen, anregen und ergeben schließlich einen Aufbau, der dem der natürlichen Haut nahe kommt. Ein anderes Beispiel ist die Knochenmarktransplantation. Hier erwartet man, dass durch das Verständnis der Ausdiffe- Ausgangspunkt von Regenerations- und Reparaturprozessen sind oftmals Stammzellen. Auf sie richten sich viele Hoffnungen der Regenerativen Medizin. Die Erforschung ihrer Fähigkeiten steht, wie in den vorangehenden Kapiteln ausführlich dargestellt, noch ganz am Anfang. Hier sind aber die Zukunftsperspektiven klar: Viel Forschung! Unzählige Fragen sind noch zu klären, denn die Experimente liefern oft noch widersprüchliche Resultate. Häufig ist die Herkunft der beteiligten Zellen umstritten. Sind es seltene gewebetypische Stammzellen, sind sie sogar pluripotent? Sind Vorläuferzellen beteiligt? Entstanden sie durch Rückdifferenzierung aus den Gewebezellen? Oder waren eingewanderte Blutstammzellen verantwortlich? Manche Gewebetypen kann man offensichtlich in vivo nur durch den Kontakt mit anderen Zellen aus Stammzellen züchten. Bei anderen Geweben, zum Beispiel Nerven, ist man für die Regenerierung möglicherweise auf die pluripotenten embryonalen Stammzellen angewiesen. Über diese weiß man ebenfalls noch wenig, sie sind erst seit 1998 in vitro kultivierbar. In vivo lassen sie sich oft durch den Transfer in das Zielgewebe zur Differenzierung stimulieren. Oftmals erinnern die Verfahren, mit denen undifferenzierte Stammzellen in vitro zur Ausdifferenzierung in Gewebezellen veranlasst werden, an schlichtes Ausprobieren. Zu wenig versteht man derzeit das Zusammenspiel der an der Kommunikation beteiligten Partner. Hier kommt es auf Wachstumsfaktoren an, die in exakten Konzentrationen einzeln oder als Cocktails in präzise „getimten” Schritten zu den Kulturen gegeben werden müssen, auf Teppiche von „Fütterzellen” (feeder cells), die als Grundlage vorhanden sein müssen und auf die üblichen Randbedingungen von Nährstoffkonzentrationen, Belüftung und Temperaturprofilen und so weiter. Besondere Beachtung, in erster Linie bei embryonalen Stammzellen, verdient angesichts des Potenzials zur unbegrenzten Teilung das Risiko der Entartung in Tumor- Ultimatives Ziel der Regenerativen Medizin ist es, ausgefallene Gewebe und Organe, ja ganze Körperteile komplett zu ersetzen REGENERATIVE MEDIZIN Die Zukunf t hat schon begonnen 41 zellen. Stammzellforschung und Entwicklungsbiologie liefern kontinuierlich neue Einsichten in diese überaus komplexen Prozesse. Stück für Stück fügt sich das immense Puzzle zu einem immer deutlicheren Bild zusammen und die modernen Methoden der Genom- und Proteomforschung sorgen hier für großen Schub. Die bereits skizzierte intensive biomedizinische Forschung zur Regeneration von Geweben und Organen profitiert unmittelbar von dieser Grundlagenforschung. Ultimatives Ziel der Regenerativen Medizin ist es, ausgefallene Gewebe und Organe, ja ganze Körperteile komplett zu ersetzen. Von diesem Ziel ist die Medizin heute noch weit entfernt. Unerreichbar ist es jedoch keineswegs. Die bereits erwähnte Regerationsfähigkeit unserer Leber und die stetige Neubildung von Blutzellen unterstützen diese Annahme und die Natur liefert zahlreiche beeindruckende Beispiele. Wer hat nicht selbst schon in kleinkindlichem Forscherdrang Regenwürmer zerteilt? Meistens ohne zu ahnen, dass einige der Teile wieder zu kompletten Tieren regenerieren können. Auch weiter aufwärts im Stammbaum der Evolution, bei Schneckenarten und Weichtieren, findet man Arten, die große Körperteile ersetzen können. Noch eindrucksvoller Axolotl sind die Beispiele unter den Wirbeltieren: Haifische, denen ausgefallene Zähne während des gesamten Lebens nachwachsen oder Eidechsen, die ihren Verfolgern den windenden Schwanz als Beute überlassen und „heil” davonkommen. Besonderer Aufmerksamkeit der Forscher erfreut sich zur Zeit ein urtümlich aussehendes Amphibium, der Axolotl aus dem Xochimilco-See in Mexiko. Der Lurch verblüfft mit der Fähigkeit, abgetrennte Gliedmaßen, Augen, sogar Teile des Herzens komplett regenerieren zu können. Am Max-PlanckInstitut für molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden versucht man intensiv, dieses Geheimnis zu lüften, um sie dereinst für die Medizin zu nutzen. Die Aufgabe ist sehr Durchsichtig wie Glas erscheint der Schwanz eines jungen Axolotl beim Blick durch ein Mikroskop. Gut ist sichtbar ist die Segmentierung des knorpelartigen Rückgrats schwierig und viel ist noch über die komplizierte Kommunikation zwischen den Zellen zu lernen, mit der die dafür notwendigen Signale zur Teilung, Zellwanderung, Ausdifferenzierung, Apoptose und so weiter ausgetauscht werden. Wenn die molekulare Identität der Botenstoffe bekannt ist, kann man untersuchen, ob menschliche Zellen die gleichen Signale erkennen. Unwahrscheinlich ist es nicht, dass die Reparaturmechanismen alte Erfindungen der Natur sind, so dass sie auch bei Menschen und Säugetieren ablaufen könnten, die sie im Laufe der 350 Millionen Jahren seit der Trennung der gemeinsamen Vorfahren aufgegeben haben. Die Dresdner Forscher fanden bereits heraus, dass die Blutgerinnung den Startschuss für die Regeneration des verletzten Gewebes gibt, wobei ein Hormon freigesetzt wird, dass Reparaturzellen zum Ort der Verletzung lockt. Die wichtigste Quelle für neue Einblicke in die Reparaturmechanismen ist die Entwicklungsbiologie. Sowohl bei der Entwicklung von Organismen als auch aus Entartungsprozessen kann man viel über die Bildung von Geweben und ihre Heilung lernen. Experimente der Entwicklungsbiologen deuten zum Beispiel darauf hin, dass embryonale Zellen bereits sehr früh, das heißt schon ab dem 10.000-Zellstadium „wissen” zu welchem Organ sie später gehören werden – ihre Rolle ist bereits festgelegt. Die frühe Programmierung könnte auch erklären, warum die Regenerationsfähigkeit von vielen Gewebetypen höherer Tierarten begrenzt ist und warum man bei ausgewachsenen Säugern sogar Signalstoffe findet, die die Neubildung von Nervengewebe unterdrücken. Viel versprechend ist die Forschung an Entwicklungsprozessen, die in späten Phasen stattfinden. Zum Beispiel die Zahnbildung. Sie ist im Organismus genetisch angelegt, wird aber erst in späteren Stadien der Entwicklung gestartet. Das exakte Zusammenspiel vieler Faktoren in der Mikroumgebung des Kieferknochens, von Zellpopulationen und Zell-Zell-Kon- 42 Die Zukunf t hat schon begonnen REGENERATIVE MEDIZIN reine Zukunftsmusik. Die bereits auf dem Markt befindlichen Produkte zum Haut- und Knorpelersatz haben es schwer. Hier gibt es geringere Fallzahlen und Marktvolumina und zudem starke Konkurrenz durch etablierte Verfahren. Das Potenzial zur Bildung von Zähnen ist bei Stammzellen, aber auch bei den Zellen des abgebildeten Tumors vorhanden Es muss noch Überzeugungsarbeit geleistet werden. Warum sollte ein orthopädischer Chirurg über gezüchteten Knorpelersatz nachdenken, wenn er künstliche Gelenke einbauen kann? Warum autologe Herzklappen einbauen, wenn es doch mechanische gibt? Weshalb sollten Herzchirurgen Stammzelltherapien zur Behandlung von Arhythmien erwägen, wenn doch Herzschrittmacher zur Verfügung stehen? Die offensichtlichen Vorteile dieser Innovationen liegen nicht immer in der unmittelbaren Anwendung. Erst ihr langfristiger Effekt macht oft den großen Unterschied: Prothesen wie künstliche Gelenke und Herzschrittmacher müssen in regelmäßigen Intervallen gewartet und ausgetauscht werden. Das bedeutet Folgekosten und Beeinträchtigung der takten, von Signalstoffen und ihren Konzentrationsveränderungen bestimmt dabei, ob sich Zähne bilden. Die Tatsache, dass bei manchen ausgewachsenen Säugetieren – sehr selten auch beim Menschen – mehr als zweimal Zähne gebildet werden, ermutigt die Forscher, diese Vorgänge genau aufzuklären, um den Prozess später gezielt auszulösen. Britische Forscher konnten im Tierversuch zeigen, dass miteinander in Kontakt stehende embryonale Mundepithelzellen und Mesenchymzellen sowohl adulte als auch embryonale Stammzellen zur Aktivierung von Genen stimulieren, die für die Zahnbildung charakteristisch sind. Nach Transplantation in Nierengewebe bildeten sie Zahnstrukturen und Knochengewebe. Wurden embryonale Zahnanlagen in die Kieferknochen ausgewachsener Tiere transplantiert, wuchsen sie dort zu Zähnen heran. Für Euphorie ist es aber viel zu früh. Nur zu oft haben sich Resultate aus MäuseexIn vielen Fällen muss das Tissue Engineering mit etablierten Verfahren konkurrieren, perimenten beim Menschen nur auf Umwegen wie zum Beispiel hier mit künstlichen Kniegelenken oder gar nicht wiederholen lassen. Lebensqualität der Patienten. Transplantierte Ersatzgewebe Wird sich die Regenerative Medizin sind hier deutlich vorteilhafter. Es entfielen die Folgeoperadurchsetzen? tionen und die Kostenbelastung über den gesamten Zeitraum wäre geringer. Die Kostenträger im Gesundheitswesen Unbestritten hat die Regenerative Medizin ein großes Potenorientieren sich natürlich an den Belastungen der aktuellen zial, nicht nur therapeutisch, sondern auch wirtschaftlich. Budgets. Daher ist die Bereitschaft nicht hoch innovative Das gilt besonders für Therapien, zu denen es keine AlternatiTherapien zu unterstützen, die zunächst recht teuer sind. ve gibt. Die Aussicht, zum Beispiel einmal Diabetespatienten Die ausbleibende Erstattung wird so zu einem Problem für kurieren zu können, bedeutet neben dem unschätzbaren die Entwicklung neuer Produkte. Solange keine Einnahmen Gewinn an Lebensqualität für die Betroffenen eine immense in Sicht sind, zögern die Investoren, weiterhin Geld in die Entlastung des Gesundheitssystems und der Volkswirtschaft. meist kleinen Unternehmen zu stecken. Allein in DeutschFür die USA allein summieren sich die direkten (92 Mrd. US$) land betrifft das rund 40 Unternehmen. Am langfristigen und indirekten Kosten (132 Md. US$) durch die chronische Erfolg der Regenerativen Medizin zweifelt niemand. Doch Krankheit auf stolze 224 Milliarden US$ pro Jahr. In ähnliche darauf zu warten, dass dereinst ein spektakulärer Erfolg bei Dimensionen der Kostensenkung stieße man bei gezüchteder Therapie einer der großen Volkskrankheiten der Regeneratem Nierenersatz oder mit der Heilung von neurodegeneratitiven Medizin insgesamt zum Durchbruch verhelfen wird, ist ven Erkrankungen. Aber noch sind diese Therapieansätze sicher keine Strategie für das Überleben der jungen Branche. GLOSSAR 43 Glossar a l l o g e n e Z e l l e n / G e w e b e von Fremden stammende Zellen/ Gewebe A r t h r o s e degenerative Gelenkerkrankung verschiedenster Ursache A s t r o z y t e n Zellen des Nervengewebes mit sternförmigen Fortsätzen, gehören wie Oligoendrozyten zu den Gliazellen a u t o l o g e Z e l l e n / G e w e b e vom Patienten selbst stammende Zellen/ Gewebe C h o n d r o z y t e n Knorpelzellen D i f f e r e n z i e r u n g Ausbildung von gewebetypischen Zellmerkmalen im Verlauf der Reifung unspezifischer Stamm- und Vorläuferzellen E l a s t i n Hauptbestandteil des elastischen Bindegewebes E n d o t h e l einlagige Zellschicht der Gefäßwände E p i t h e l , e p i t h e l i a l Gewebe, das aus einer oder mehreren Schichten von fast lückenlos zusammengefügten Epithelzellen besteht und keine Gefäße enthält e x v i v o außerhalb des Körpers E x p r e s s i o n hier: Produktion von Proteinen entsprechend der zugehörigen Gensequenzen e x t r a c o r p o r a l außerhalb des Körpers F DA Food and Drug Administration, US-amerikanische Zulasungsbehörde für Arzneimittel, Medizinprodukte und transgene Nahrungsmittel F i b r i n "Blutfaserstoff", der bei der Blutgerinnung entsteht F i b r o b l a s t e n dem Mesenchym entstammende Zellen, an der Bildung von Interzellularsubstanz des Bindegewebes (Grund-, Kittsubstanz, Bindegewebsfasern) beteiligt, werden danach zu Fibrozyten F i b r o s e krankhafte Bindegewebsvermehrung in Organen G l i a z e l l e n Zellen des Nervengewebes. Sie bilden das Zellgewebe, das die Räume zwischen Nervenzellen und Blutgefäßen ausfüllt. Sie bilden die Markscheiden und üben Stütz-, Nähr- und Phagozytosefunktionen aus h ä m a t o p o e t i s c h blutbildend i n v i t r o im Glas i n v i v o im lebenden Organismus K e r a t i n o z y t e n Keratin-bildende Zellen der Haut. Keratin ist Hauptbestandteil der Hornsubstanzen von Haut, Haaren und Nägeln M a k r o p h a g e n Zelltyp des Immunsystems, M. haben eine Schlüsselfunktion bei der Immunantwort, wo sie u.a. Killerzellen aktivieren M a t r i x , p l . m a t r i c e s Trägermaterial mit vorgegebener räumlicher Struktur M e s a n g i u m , m e s a n g i a l stützendes Bindegewebe der Kapillarschleifen der Niere 44 GLOSSAR Mesenchym, mesenchymal Muttergewebe des Bindegewebes. Gewebe aus sternförmig verzweigten, locker zu einem dreidimensionalen Gitter angeordneten Zellen M u l t i p o t e n z , m u l t i p o t e n t Eigenschaft von organ-assoziierten Stammzellen, sich in unterschiedliche Zelltypen des Organs entwickeln zu können. Siehe dazu Seite 11 N e u r o n e n Für die Signalleitung im Nervensystem verantwortliche Nervenzellen. Sie verfügen überlange Fortsätze (Axons) und sind nicht mehr vermehrungsfähig N I H National Institutes of Health (USA) O l i g o d e n d r o z y t e n Kleine und wenig verzweigte Gliazellen. Sie bilden als „Satellitenzellen“ der Nervenzellen die Markscheiden. s.a. Astrozyten O s t e o b l a s t e n „Knochenmutterzelle” mesenchymalen Ursprungs; werden nach Abschluss des Knochenaufbaus zu Osteozyten. P l u r i p o t e n z , p l u r i p o t e n t Potenzial von embryonalen Stammzellen, sich unter verschiedenen Bedingungen in Zelltypen verschiedener Organe zu differenzieren. Siehe dazu Seite 11 P r o l i f e r a t i o n Zellteilung und -vermehrung S t r o m a z e l l e n Stromazellen des Knochenmarks sind wichtig für Proliferation und Differenzierung hämatopoetischer Stammund Vorläuferzellen (s. Abb. auf Seite 10). Sie unterstützen über die Ausbildung einer Matrix, die Expression von Adhäsionsmolekülen und die Herstellung von Zytokinen den ordnungsgemäßen Ablauf der Blutbildung. Sie produzieren den so sogenannten Stammzellfaktor (stem cell factor) To t i p o t e n z , t o t i p o t e n t Eigenschaft früher Embryonalzellen (meistens bis zum 8-Zellstadium) sich auch nach Abtrennung vom Embryo zu einem kompletten Organismus entwickeln zu können. Siehe dazu Seite 11 X e n o t r a n s p l a n t a t Transplantat aus tierischen Zellen Z i r r h o s e Sammelbegriff für Lebererkrankungen, verbunden mit Veränderung der Läppchenstruktur und Knotenbildung Z y t o k i n e Signalstoffe der Zell-Zell-Kommunikation, die während der Immunantwort freigesetzt werden, z.B. Interleukine und Interferone Z y t o s t a t i k u m Wirkstoff, der die Zellteilungsaktivität stoppt Diese Druckschrift wird im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit vom Bundesministerium für Bildung und Forschung unentgeltlich abgegeben. Sie ist nicht zum gewerblichen Vertrieb bestimmt. Sie darf weder von Parteien noch von Wahlwerberinnen/Wahlwerbern oder Wahlhelferinnen/Wahlhelfern während eines Wahlkampfes zum Zweck der Wahlwerbung verwendet werden. Dies gilt für Bundestags-, Landtags- und Kommunalwahlen sowie für Wahlen zum Europäischen Parlament. Missbräuchlich ist insbesondere die Verteilung auf Wahlveranstaltungen und an Informationsständen der Parteien sowie das Einlegen, Aufdrucken oder Aufkleben parteipolitischer Informationen oder Werbemittel. Untersagt ist gleichfalls die Weitergabe an Dritte zum Zwecke der Wahlwerbung. 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