Biopsychologie SoSe – Gehör und Gleichgewicht Gehör und Gleichgewicht 1. Einleitung 2. Physik & Psychophysik des Hörens: Schall, Schalldruck und Lautstärke 3. Aufbau und Funktion des Ohres 4. Hörbahn, Hörnerv und Hörzentrum 5. Gleichgewichtssinn Quelle: Birbaumer & Schmidt Kap. 18 1. Einleitung Thema: Zwei eng verwandte Sinne Hör- und Gleichgewichtssinn • Zitat: „Blindheit depriviert Dich vom Kontakt mit Dingen; Taubheit depriviert Dich vom Kontakt mit Menschen“. • Verschiedene Störungen dieser Systeme (z.B. Tinnitus und Drehschwindel) sind durch psychosoziale Faktoren mitbedingt und können durch psychologisch fundierte Maßnahmen z.T. behandelt werden 2. Schall Schallfrequenz und Schalldruck • Schall entsteht durch rhythmische Luftschwingungen, d.h. Verdichtung und Verdünnung von Luftmolekülen • diese Luftschwingungen = Schalldruckwellen • Ausbreitung einer Schallwelle mit 340 m/sec oder 1224 km/h Abb. RLB Box 9.1, Abb. 8.2 • Beschreibung der Schallwelle durch zwei Merkmale: 1. Frequenz: - Anzahl der Schwingungen innerhalb einer Zeiteinheit - Einheit: Hertz (Hz) = Schwingungen pro Sekunde - Hohe Frequenz = hoher Ton, niedrige Frequenz = tiefer Ton < 20 Hz: Infraschall, > 16.000 Hz: Ultraschall 1/7 Biopsychologie SoSe – Gehör und Gleichgewicht 2. Amplitude: - Höhe/Intensität der Schwingungen; die durch die Luftmoleküle zurückgelegte Distanz = Schalldruck 2 - Einheit: Pascal (Pa) = Newton/m - schwankt zwischen ca. 1/100.000 - 100 Pa (wahrnehmbar); zum Vergleich: umgebender Luftdruck beträgt ca. 10.000 Pa - "handlicheres" Maß für Schalldruck: Schalldruckpegel (Log-Skala) Einheit: Dezibel (dB SPL, sound pressure level) Definition: Schalldruck von 2 Mikro-Pa = 0 dB SPL jeweils bei Verzehnfachung des Schalldrucks Anstieg des Schalldruckpegels um 20 dB Abb. B&S 18.2 • Beim Menschen Schallempfindung bei Schallwellen mit Mindestdruck im Frequenzbereich 20-16.000 Herz (Hz), bei anderen Spezies anderer Frequenzbereich Schallereignisse: Abb. B&S 18.1 1. Ton: Schallereignis mit nur einer Schwingungsfrequenz (Sinuskurve) 2. Klang: Schallereignis mit Grundton und harmonischen Obertönen 3. Geräusch: Schallereignis mit praktisch allen hörbaren Frequenzen Lautstärke Abb. B&S 18.2 • Subjektive Lautstärke hängt ab von Frequenz und Schalldruck des Tones. • Maß für Lautstärke: Phon • Übereinkunft: Bei 1000 Hz stimmen Phon und dB-Werte überein • Ein Ton wird als doppelt so laut empfunden, wenn bei gleicher Frequenz die Lautstärke um 10 Phon erhöht wird (gilt nur oberhalb von 40 Phon) 2/7 Biopsychologie SoSe – Gehör und Gleichgewicht Arbeitsbereich menschlichen Hörens und Schwellen • mittlere Hörschwelle: 4 Phon, abhängig von Frequenz und Schalldruck • Hauptsprachbereich: 60 Phon, 2000-5000 Hz • (Hör-) Schmerzschwelle: 130 Phon • Intensitätsunterschiedsschwelle: 1 dB SPL • Frequenzunterschiedsschwelle: 3 Hz 3. Aufbau und Funktion des Ohrs Abb. RLB 9.1-9.3 Außenohr Ohrmuschel und Gehörgang leiten Schall bis zum Trommelfell (tympanische Membran), welches das Außen- vom Mittelohr abgrenzt. Mittelohr • Paukenhöhle (luftgefüllt), Eustachische Röhre (Tube eustachii; luftgefüllt), Gehörknöchel (Hammer Malleus, Amboss Incus, Steigbügel Stapes), ovales Fenster und rundes Fenster • Gehörknöchel verbessern Hörvermögen, indem sie verhindern, dass Luftdruck durch Auftreffen auf Flüssigkeit (Innenohr) reflektiert wird Förderlich ist dabei, dass (a) das Trommelfell größer ist als das ovale Fenster, so dass eine Konzentration der Schallwelle erreicht wird (35:1). (b) die Gehörknöchel anatomisch so angeordnet sind, dass Hebelarme den Druck auf das ovale Fenster erhöhen. • Gehörknöchel sind an Muskeln aufgehängt, die durch Kontraktion besonders laute und potentiell schädigende Schallwellen abdämpfen können (Musculus tensor tympani, Musculus stapedius) • Die Paukenhöhle ist mit der Mundhöhle durch die Eustachische Röhre verbunden; diese öffnet sich beim Schlucken kurz zur Belüftung der Paukenhöhle und ermöglicht Druckausgleich bei raschen Druckschwankungen 3/7 Biopsychologie SoSe – Gehör und Gleichgewicht Innenohr Abb. B&S 18.4, Geo • enthält Hörorgan ('Schnecke' oder Cochlea) und Gleichgewichtsorgan mit Sinneszellen, eingebettet in das knöcherne Labyrinth des Felsenbeins • Schnecke besteht aus drei flüssigkeitsgefüllten Hohlräumen oder Kanälen, genannt Scalen („Etagen“): Scala vestibuli, Scala media, Scala tympani • Corti-Organ: sitzt auf der Basilarmembran der Scala media, enthält die Hörsensorzellen oder Haarzellen, welche über haarfeine Fortsätze (Stereozilien) verfügen. • Über den Stereozilien liegt eine gallertartige Masse (Tektorialmembran) • Es gibt äußere und innere Haarzellen (innere Haarzellen = primär für das Hören verantwortlich, zahlreiche Afferenzen (16-20); äußere Haarzellen = Modulation des Hörens, viele Efferenzen) Mechanik der Schallwellenübertragung Abb. B&S 18.4-18.6 • Schallwelle bringt Trommelfell zum Schwingen. • Schwingung setzt sich über Gehörknöchel fort und erreicht das ovale Fenster. • Die Druckwelle wird auf die Flüssigkeit in Scale vestibuli übertragen; pflanzt sich über Helicotrema (Spitze der Schnecke) fort in die Scala tympani, Druckausgleich am runden Fenster. • Durch Bewegung der Scala vestibuli und der Scala tympani wird die Scala media passiv mitbewegt. Dadurch bilden sich Wanderwellen aus, welche die Basilarmembran mitbewegen (Auslenkung). • Die Basilarmembran bewegt sich dadurch gegen die Tektorialmembran. Es kommt zu einem Abscheren der Stereozilien der Haarzellen, welches der Reiz für die Erregung der Haarzellen ist. (Tip links: Aktionspotentiale Abb. RLB 9.5). Die Haarzelle wird depolarisiert (= Sensorpotential), wobei das Signal an afferente Nervenfasern weitergeleitet wird (Neurotransmitter: Glutamat) 4/7 Biopsychologie SoSe – Gehör und Gleichgewicht Wanderwellen: Ortsprinzip (Tonotopie) • entstehen in der Scala media durch passives Mitschwingen • In Abhängigkeit der Frequenz entsteht das Maximum der Wellenamplitude an einem bestimmten Ort der Basilarmembran. • Ist das Maximum erreicht werden an dieser Stelle die Haarzellen aktiviert und ein Sinnesreiz ausgelöst (tonotope Organisation). • Hohe Töne kurz hinter dem ovalen Fenster, tiefe Töne haben ihr Maximum am Helicotrema. Abb. RLB 9.4 • Lautstärke und Dauer sind durch Intensität und Dauer der neuronalen Aktivität verschlüsselt. • Kontraktiles Protein in äußeren Haarzellen = Prestin führt zu chochlearer Verstärkung der Wanderwellen und Stimulation der inneren Haarzellen. • 4. Otoakustische Emission Hörbahnen, Hörnerv & Hörzentrum Abb. B&S 18.9 (RLB 9.7) • Jeder Ort des Corti-Organs hat eine eigene Faserverbindung im Hörnerv für die jeweils charakteristische Frequenz. • Spiralförmig angeordnete Nervenzellen im Ganglion spirale empfangen die sensorische Stimulation und leiten diese über ca. 30.000 Nervenfasern zum Gehirn; das Gehirn sendet aber auch 1800 efferente Fasern zum Corti-Organ, welche die Erregbarkeit der Haarzellen modulieren können. • Die primären Hörfasern vereinigen sich im Innenohr mit den primären Gleichgewichtsfasern zum VIII. Hirnnerven (N. statoacusticus). • Sie enden im Nucleus cochlearis im Hirnstamm. • Hier werden sie umgeschaltet auf Neurone, die über den Olivenkomplex, den lateralen Schleifenkern und den medialen Kniehöcker zur primären Hörrinde im Temporallappen des Großhirns ziehen. 5/7 Biopsychologie SoSe – Gehör und Gleichgewicht • Die sensorischen Afferenzen ziehen sowohl ipsi- als auch kontralateral in die primäre Hörrinde. D.h., dass Informationen aus einem Ohr in beiden Hirnhälften verarbeitet werden. • Die primäre Hörrinde und tiefere Verschaltungsebenen sind tonotopisch organisiert, so dass die Frequenz des Tons durch den Ort der stimulierten Afferenzen kodiert ist. • Sekundärer Kortex: wichtig für kommunikative auditorische Signale • Richtungshören gelingt durch den Vergleich der Zeitdauer und Intensität eines Schallereignisses zwischen beiden Ohren. Abb. RLB 9.11 • Neurone der Hörrinde reagieren in der Regel nicht auf reine Töne, sondern auf komplexe Reizmuster. Frequenz und Intensität eines Tons werden auf tieferen Ebenen analysiert (hierarchische Organisation). 5. Gleichgewichtssinn Abb. B&S 18.10-18.13 • Fähigkeit, Einfluss der Schwerkraft, lineare Beschleunigungen und Rotationsbeschleunigungen wahrzunehmen • Aufbau des Gleichgewichtsorgans: sitzt eingebettet im Felsenbein und bildet zusammen mit der Cochlea das Innenohr; setzt sich aus drei Bogengängen (horizontaler, vorderer vertikaler und hinterer) und zwei Maculaorganen (utriculi und sacculi) zusammen; flüssigkeitsgefüllte Räume • Maculaorgane: befinden sich in zwei Ausbuchtungen des Labyrinths; liegen unter gallertartiger Masse, welche Calcit-Kristalle (Otolithen) enthält • Gallerte mit Otolithen wird als Otolithenmembran bezeichnet; reagieren auf Schwerkraft und lineare Beschleunigungen. • wichtigste Aufgabe: Information über Stellung des Kopfes im Raum • Cupula: in Verdickungen (Ampullen) am Ende jedes Bogengangs; Gallerte ohne Otolithen; reagieren auf Rotationsbeschleunigungen 6/7 Biopsychologie SoSe – Gehör und Gleichgewicht Aufbau und Innervation der Haarzellen • Vergleichbar zu den Haarzellen in der Basilarmembran der Schnecke enthalten die Haarzellen des Gleichgewichtsorgans Stereozilien, die unter einer Gallerte liegen. • Neben Stereozilien auch ein langes Kinozilium • Durch Abscheren der Zilien (bei Kopf- oder Körperbewegungen) wird die Sinneszelle aktiviert oder gehemmt, je nach Richtung der Abscherung • Ruheaktivität: Stichwort Hemmung Bewegungs-Wahnehmung • Macula utriculi: Kippbewegung des Kopfes und Beschleunigung nach seitwärts • Macula sacculi: Beschleunigung nach aufwärts und abwärts • Bogengänge: Rotationsbeschleunigungen Informationsverarbeitung • Haarzellen liefern Informationen über Nucleus vestibularis im Hirnstamm an das ZNS und erhalten selbst Efferenzen von dort. Über diese Kommunikationswege erfolgt eine enge Kooperation mit dem motorischem System (Stützmotorik, Blickmotorik) Klinische Aspekte • Kinetosen 7/7