Bachelorarbeit

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Bachelorarbeit
Zur staatlichen Verschuldung von Deutschland und Japan
1990-2012
Erstbetreuer:
Herr Dr. Dirk Ehnts
Zweitbetreuer:
Herr Prof. Dr. Michael Tolksdorf
Verfasser:
Simon Eichentopf
Matrikelnummer:
291424
Email-Adresse:
[email protected]
Datum:
10.03.2014
Zur staatlichen Verschuldung von Deutschland und Japan 1990 - 2012
Simon Eichentopf
10.03.2014
Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin
Abstract: Deutschland und Japan, zwei grundsätzlich ähnliche Volkswirtschaften mit markanten, institutionellen Unterschieden, stellen
sich im Folgenden dem analysierenden Vergleich ihres Umgangs der
eigenen staatlichen Verschuldung, wirtschaftspolitischer Strategie
und einem verfolgten wirtschaftstheoretischem Ansatz. Dabei wird
gezeigt, dass mit Blick auf die Verschuldung des öffentlichen Sektors
der postkeynesianische Ansatz eher Bestätigung findet als der der
neoklassischen Lehre.
Keywords: Staatsschulden, Deutschland, Japan, Finanzpolitik, Geldpolitik, Fiskalpolitik, Postkeynesianismus, Neoklassik
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
iv
Abbildungsverzeichnis
v
1. Einleitung
1
2. Definition
3
2.1. Staatliche Verschuldung
4
2.2. Postkeynesianismus und postkeynesianische Ansätze
7
2.3. Neoklassik und neoklassische Ansätze
12
2.4. Sonstige Ansätze
15
3. Entwicklung der Staatsschulden und ihrer Struktur
18
3.1. Staatliche Schuldenquote und staatlicher Haushaltssaldo
20
3.2. Öffentliche Verschuldung pro Kopf
20
3.3. Staatliche Wertpapiere und Zinsen
22
3.4. Wer sind die Gläubiger des Staates?
22
4. Identifikation der wirtschaftspolitischen Strategie
4.1. Deutschland
24
25
4.1.1. Wiedervereinigung und Maastricht-Kriterien
25
4.1.2. Einführung des Euro - von der Bundesbank zur EZB
28
4.1.3. Der Neue Markt
32
4.1.4. Schuldenkrise in der EWU
33
4.2. Japan
39
4.2.1. Bubble Economy und Große Stagnation
39
4.2.2. Finanzkrise und Dreifachkatastrophe
46
4.3. Zusammenfassung
50
5. Ergebnis
51
6. Literaturverzeichnis
63
Abkürzungsverzeichnis
BB
Bundesbank
BOJ
Bank of Japan
BPA
Bundespresseamt
EFSF
Europäische Finanzstabilitätsfazilität
EFSM
Europäischer Finanzstabilisierungsmechanismus
ESM
Europäischer Stabilitätsmechanismus
ESZB
Europäisches System der Zentralbanken
EU
Europäische Union
EWU
Europäische Währungsunion
EZB
Europäische Zentralbank
FIH
Financial Instability Hypothesis
GG
Grundgesetz
JGB
Japanese Government Bond
LDP
Liberaldemokratische Partei (in Japan)
MMT
Modern Money Theory
ZIRP
Zero Interest Rate Policy
iv
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1
Schuldenquote Deutschlands und Japans, 1990-2012
55
Abbildung 2
Jährlicher Haushaltssaldo Deutschlands und Japans, 1990-2012
56
Abbildung 3.1
Öffentliche Bruttoverschuldung Deutschlands pro Kopf, 1990-2012
56
Abbildung 3.2
Öffentliche Bruttoverschuldung Japans pro Kopf, 1990-2012
57
Abbildung 3.3
Indexierte Bruttoverschuldung Deutschlands und Japans pro Kopf,
57
1991-2012
Abbildung 4
Jährliche Inflationsrate Deutschlands und Japans, 1990-2012
58
Abbildung 5
Zinsen 10-jähriger Staatsanleihen von Deutschland, 1990-2012
58
Abbildung 6
Zinsen 10-jähriger Staatsanleihen von Japan, 1990-2012
59
Abbildung 7
Entwicklung des Hauptrefinanzierungszinses der EZB, 1998-2012
59
Abbildung 8
Entwicklung des Tagesgeldsatzes der BOJ, 1990-2012
60
Abbildung 9
Struktur der Gesamtverschuldung des Bundes einschließlich
60
Sondervermögen, am Jahresende 2012
Abbildung 10
Zinsentwicklung 10-jähriger Staatsanleihen ausgewählter EWU
61
Mitglieder und Großbritannien
Abbildung 11
Entwicklung des japanischen Leitindex Nikkei 225, 1984-2012
61
Abbildung 12
Struktur der öffentlichen Verschuldung Deutschlands, 2001-2012
62
v
1. Einleitung
Als ein Aspekt der jüngsten globalen Finanz- und Wirtschaftskrise im Speziellen sowie
aus der allgemeinen Diskussion in der Volkswirtschaftslehre stammend, nimmt die
Problematik um die Staatsschulden eine zentrale Rolle ein. Dabei können die Funktionsweise und die Daseinsberechtigung von Staatsschulden aus Sicht verschiedener
Wirtschaftstheorien differieren.
Diese Arbeit widmet sich dem analysierenden Vergleich der Staatsschulden der Volkswirtschaften Deutschlands und Japans 1990-2012. Es wurde dieser Zeitraum gewählt,
weil einerseits das Jahr 1990 für beide Volkswirtschaften eine wirtschaftshistorische
Schnittstelle bedeutete, im Falle Deutschlands war es die Wiedervereinigung, für Japan
das Platzen der Immobilienblase und der Beginn eines Jahrzehnts geringen Wachstums, und weil andererseits das Jahr 2012 aktuell ist und der Beobachtungszeitraum
die Finanzkrise beinhält. Der Vergleich mündet in der Frage, ob die wirtschaftspolitischen Theorien des Postkeynesianismus und der Neoklassik mit dem hiesigen Vergleich
bestätigt werden können oder nicht. Dazu werden die von den beiden Nationen eingeschlagenen wirtschaftspolitischen Richtungen untersucht, insbesondere während gravierender Ereignisse wie dem Platzen der Immobilienblase Japans im Jahre 1990, weil
an solchen Zeitpunkten beobachtet werden kann, ob sich der Staat in der Verantwortung zu Markteingriffen sieht oder nicht und bereit ist, Schulden aufzunehmen. Je
nachdem wie reagiert wurde, soll ein verfolgter wirtschaftstheoretischer Ansatz identifiziert werden. Dabei wird vor allem auf expansive und fiskalpolitische Maßnahmen
geachtet, da diese den öffentlichen Schuldenstand direkt beeinflussen. Geldpolitische
Reaktionen sind ebenso zu berücksichtigen, weil beispielsweise auch eine Niedrigzinspolitik und das Quantitative Easing, das ist der von der Notenbank direkte Aufkauf von
staatlichen Wertpapieren, die Staatsverschuldung beeinflussen.
1
Die staatlichen Verschuldungen von Deutschland und Japan eignen sich für einen Vergleich, weil sich beide Volkswirtschaften ökonomisch und demografisch ähnlich sind.
Vor allem der Aspekt der Demografie ist in Hinblick auf die staatliche Verschuldung
und dessen Wirkung auf folgende Generationen von besonderer Bedeutung. Deutschland und Japan weisen eine alternde Bevölkerungsstruktur und quantitativ eine, im internationalen Maßstab, ähnlich große Bevölkerung auf. Zudem sind beide Volkswirtschaften traditionell exportorientiert und stellen hochtechnisierte Industrieländer dar.
Der Vergleich der Entwicklungen der Staatsverschuldung beider Volkswirtschaften in
dem gewählten Zeitraum ist auch deshalb interessant, weil in Japan die japanische
Zentralbank (BOJ) zu jedem Zeitpunkt über die Geldpolitik Japans bestimmte, jedoch in
Deutschland die deutsche Zentralbank, die Bundesbank (BB), ihre geldpolitische Souveränität mit der Einführung des Euro ab Anfang 1999 an die Europäische Zentralbank
(EZB) abgab (Bundesbank 2013). Dies geschah zu einem für den gewählten Beobachtungszeitraum günstigen Zeitpunkt, da circa je die Hälfte des Zeitraums einerseits autonome, geldpolitische Autorität Deutschlands und andererseits eine von der EZB vorgegebene geldpolitische Richtung beinhält, weshalb gezeigt wird, inwiefern sich die Euro-Einführung auf die Geldpolitik und damit möglicherweise auch auf die Staatsschulden ausgewirkt hat. Außerdem gibt es eine direkte Verbindung zwischen der staatlichen Verschuldung in der Europäischen Währungsunion (EWU), also der EWUMitgliedsstaaten, und der Japans, weil dessen Staatsanleihen von internationalen Investoren zuletzt als sogenannter „sicherer Hafen“ während der Schuldenkrise in der
EWU nachgefragt wurden.
Der Vergleich der Staatsschulden soll vor dem Hintergrund der postkeynesianischen
und der neoklassischen Wirtschaftstheorien sowie deren Weiterentwicklungen stattfinden, weshalb diese, zusammen mit sonstigen, demografischen Ansätzen, zu Beginn
der Arbeit in Punkt 2 vorgestellt werden. Anschließend werden in Punkt 3 die konkreten Werte der Staatsschulden und deren Struktur über dem Beobachtungszeitraum für
beide Volkswirtschaften gezeigt. Mit Hilfe der nachfolgenden Analyse der Geld- und
Fiskalpolitik Deutschlands und Japans mit Fokus auf wirtschaftlich relevante Ereignisse
sollen in Punkt 4 die jeweils verfolgte wirtschaftspolitische Strategie und die während
2
des Zeitraums identifizierte Wirtschaftstheorie ermittelt werden. Das Ergebnis in Punkt
5 fasst zunächst die Erkenntnis zusammen, welche Volkswirtschaft welchen wirtschaftstheoretischen Ansatz verfolgt hat. Für den Fall, dass von beiden Staaten beide
Ansätze verfolgt wurden, soll sich über makroökonomische Indikatoren herausstellen,
welches Land sich in einer makroökonomisch günstigeren Lage befindet, also welche
Wirtschaftstheorie letztlich erfolgreicher ist. Weiterhin kommt zur Beantwortung der
Frage nach der Gültigkeit der Wirtschaftstheorien in Hinblick auf die deutsche und japanische Staatsverschuldung. Es wird also die Frage beantwortet, ob ein wirtschaftstheoretischer Ansatz mit Blick auf die Aufnahme staatlicher Schulden eher bestätigt
werden kann als ein anderer.
2. Definition
Zunächst wird der Begriff der staatlichen Verschuldung eingegrenzt und definiert. Dies
ist notwendig, da je nachdem wie umfassend „Staatsschulden“ definiert werden, sich
die Quantität und die Qualität von Staatsschulden verändern können, da diese von diversen Kriterien abhängig sind, beispielsweise tritt in Deutschland die Unterscheidung
der von den verschiedenen Gebietskörperschaften des Staates (Bund, Länder und Gemeinden) aufgenommenen Verschuldung auf. Anschließend werden die wirtschaftspolitischen Theorien des Postkeynesianismus und der Neoklassik, sowie deren verschiedenen Varianten, vorgestellt und deren Anschauung und Annahmen gegenüber staatlichen Defiziten voneinander abgegrenzt und definiert. Dies wird die Basis, auf welcher
im Anschluss die Analyse der Wirtschaftspolitiken Deutschlands und Japans beruht,
darstellen.
3
2.1.
Staatliche Verschuldung
Der Staat ist der wichtigste wirtschaftliche Akteur in einer Volkswirtschaft und übernimmt Aufgaben, die vom Markt nicht erfüllt werden können. Er ist in Verwaltungseinheiten unterteilt. Das sind in Deutschland die Gebietskörperschaften Bund, Länder und
Gemeinden, in Japan die zentrale Verwaltung in Tokio, Präfekturen und ebenfalls Gemeinden (BPA 2009). Nach Wigger (2004: 5-6) müssen auch supranationale Gebietskörperschaften beachtet werden. Für Deutschland stellt die Europäische Union (EU)
eine solche übergeordnete Instanz dar und ist relevant, da die Europäische Schuldenkrise in den gewählten Beobachtungszeitraum fällt und wirtschaftlich starke Mitgliedsstaaten wie Deutschland durch die Schaffung von Rettungswerkzeugen wie dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) zusätzlichen öffentlichen Ausgaben gegenüberstanden.
Der Staat als Institution, die mit hoheitlicher Gewalt öffentlich-rechtliche Abgaben
(Steuern, Gebühren, Beiträge) erhebt, wird als Fiskus bezeichnet und stellt die Haupteinnahmequelle des Staates dar. Daneben gibt es den nebenstaatlichen Parafiskus, der
unter anderem Träger der Sozialversicherungen beinhaltet, welche auch Sozialfiski genannt werden (Dickertmann 2013). Sowohl alle Gebietskörperschaften, der Fiskus als
auch die Parafiski werden im Folgenden für Deutschland und Japan beachtet, weil eine
Änderung des Haushaltssaldos möglicherweise durch eine Änderung der Steuereinnahmen oder Sozialabgaben verursacht wurde und dies Konsequenzen für eine Neuaufnahme von Staatsschulden bedeutet. Die Kreditaufnahme des Staates stellt nach
den Steuereinnahmen die zweitwichtigste Einnahmequelle des Staates dar. Auf der öffentlichen Ausgabenseite stehen den staatlichen Einnahmen Kosten für, beispielsweise
die Verwaltung des Staates, Zinsen für bereits getätigte Staatsschulden und sämtliche,
die soziale Absicherung betreffenden Ausgaben gegenüber. Außerdem werden die
Kosten staatlicher Dienstleistungen in verschiedensten Bereichen, wie der Bildung, der
Verteidigung des Landes, dem Rechtswesen und der Infrastruktur der Ausgabenseite
hinzugefügt (Stutely 2010: 77). Zusätzliche öffentliche Ausgaben können durch eine
4
expansive Fiskalpolitik entstehen, um der Volkswirtschaft beispielsweise in Zeiten der
Rezession zu zusätzlichem Wirtschaftswachstum und höherer Beschäftigung zu verhelfen. Die Frage, inwiefern der Staat aktiv in den Markt eingreifen soll oder nicht, wird in
dieser Arbeit eine wesentliche Rolle spielen, da genau an dieser Schnittstelle staatliche
Ausgaben entstehen und maßgeblich zu staatlicher Verschuldung beitragen können.
Der Haushaltssaldo ergibt sich aus der innerhalb eines Haushaltsjahres zustande kommenden Differenz zwischen den öffentlichen Einnahmen und öffentlichen Ausgaben.
Ist dieser positiv, wird von einem Haushaltsüberschuss gesprochen. Bei einem negativen Haushaltssaldo handelt es sich um ein Haushaltsdefizit, bei dem die überstehenden Ausgaben durch Kredite finanziert werden. Eine solche Finanzierung geschieht in
der Regel über die Herausgabe von staatlichen Schuldverschreibungen, bei denen der
Staat verzinsliche Wertpapiere an Investoren verkauft. Der Zinssatz spiegelt das Ausfallrisiko des Wertpapieres wider. Investoren können in Form von inländischen Banken,
privaten Personen oder der eigenen Zentralbank (ZB) auftreten. Auch ausländische Investoren kaufen landeseigene Staatsanleihen. Die in einem Haushaltsjahr zusätzlich
aufgenommenen Schulden werden als Neuverschuldung oder Nettokreditaufnahme
bezeichnet. Von einer Bruttokreditaufnahme wird gesprochen, wenn zusätzlich die Refinanzierung betrachtet wird. Der Staat refinanziert sich, wenn alte Schuldtitel auslaufen und durch neue ersetzt werden müssen. Weiterhin wird der Haushaltssaldo als
Primärsaldo bezeichnet, wenn der Saldo zwischen den staatlichen Einnahmen und den
staatlichen Ausgaben ohne Zinszahlungen für zuvor aufgenommene Schulden betrachtet wird.
Es lassen sich nur bedingt Schlussfolgerungen aus der absoluten Kennziffer des öffentlichen Schuldenstands ziehen. Steht die Volkswirtschaft unter dem Einfluss von Inflation i > 0 ceteris paribus, also der positiven Änderungsrate des aggregierten Preisniveaus, dann werden die heute aufgenommenen Schulden in Zukunft leichter zurückgezahlt werden können, da der Preis eines standardisierten Warenkorbs an Gütern steigen wird, also die Kaufkraft der zuvor aufgenommenen Schulden automatisch sinkt.
5
Eine bessere Vorstellung des Schuldenstands liefert die Schuldenquote. Sie gibt die relative Verschuldung in Abhängigkeit des wirtschaftlichen aggregierten Outputs an
(Wigger 2004: 153-154).
Um einen Haushaltsdefizite generierenden Staatshaushalt zu konsolidieren, gibt es die
Möglichkeiten, die öffentlichen Einnahmen zu erhöhen, die öffentlichen Ausgaben zu
senken oder beides zeitgleich zu realisieren. Man spricht von restriktiver Fiskalpolitik.
Als Nebeneffekt dieser Verfahren kann das Wirtschaftswachstum abgeschwächt werden. Kommt es zur Steuererhöhung, um die Einnahmen des Staates zu erhöhen, hat
dies besonders negative Effekte, wie beispielsweise das vermehrte Aufkommen von
Schwarzarbeit oder Abflüsse von Kapital- und Produktionsmitteln ins Ausland (Bajohr
2007: 43). Daher wird, um den Staatshaushalt zu konsolidieren, die Alternative der
Ausgabenreduzierung bevorzugt. Sieht eine Regierung keinerlei Möglichkeiten, solche
fiskalischen Maßnahmen durchzusetzen, kann die Kaufkraft der Staatsverschuldung
auch durch erhöhte Inflation verringert werden. Dann lassen sich Staatsschulden mit
Steuereinnahmen, die numerisch zunehmen, relativ leicht tilgen. Jedoch ist diese
Maßnahme nur schwer der Bevölkerung, die reale Einkommens- und Vermögensverluste erleiden würde, zu erklären.
Die Frage nach der Reaktion des Staates auf konjunkturelle Schwankungen der Volkswirtschaft ist von elementarer Bedeutung, wenn es um die Aufnahme von Staatsschulden geht. Von nahezu gleicher Bedeutung ist die Frage nach der Tilgung der öffentlichen Schulden, woran sich die Ansichten wirtschaftstheoretischer Ansätze scheiden.
Der Verlauf der Staatsschuldenkrise in Europa hat gezeigt, dass großes Interesse besteht, die realisierte öffentliche Verschuldung einzudämmen. Im Anschluss wird geklärt, welche Wirtschaftstheorie hinter welcher Wirtschaftspolitik steht. Der Postkeynesianismus und die Neoklassik liefern für Staatsschulden verschiedene Ansätze.
6
2.2.
Postkeynesianismus und postkeynesianische Ansätze
Der nach John Maynard Keynes (1883-1946) benannte Keynesianismus beinhaltete ursprünglich die Theorie der aggregierten Nachfrage, nach welcher eben diese aggregierte Nachfrage den Grad der Produktion und der Beschäftigung bestimmt. Zudem existieren, durch einen Konjunkturzyklus bedingt, Phasen schwacher aggregierter Nachfrage, welche durch fiskalpolitische Eingriffe in den Markt gedämpft werden sollten, was
zu stabilerem Wirtschaftswachstum verhilft. Die, durch expansive Fiskalpolitik, entstehenden Ausgaben werden durch Kredite finanziert. Die neu entstandenen Schulden
werden in darauf folgenden Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs durch erhöhte
Steuereinnahmen zurückgezahlt (Springer Gabler Verlag 2014). Es kommt durch die
fiskalpolitischen Eingriffe über eine erhöhte Beschäftigtenquote und aggregierter
Nachfrage zu höherem Wirtschaftswachstum, weshalb die Schuldenquote, trotz erhöhter absoluter Schulden, kaum weiter ansteigt oder sogar verringert werden kann. Zudem haben Haushalte die Wahl, ihr Einkommen nach Abzug des Konsums entweder in
liquider Form zu halten oder in illiquiden aber verzinsten Wertpapieren anzulegen. Dabei wird die Option, Liquidität zu halten, durch das Transaktions-, Vorsichts- und Spekulationsmotiv begründet und präferiert (Keynes 1942: 170-194). Der Zins der Wertpapiere stellt den Preis, der für den Verzicht der präferierten Liquidität von den Individuen eingefordert wird, dar (Hein 1994: 3-4). Die ursprünglichen Ideen des Keynesianismus wurden seit der „General Theory“ teilweise aufgegriffen und verändert, weshalb es heute diverse postkeynesianische Ansätze gibt.
Einer der bekanntesten Vertreter des Postkeynesianismus war Hyman Philip Minsky
(1919-1996). Als Kritiker der sogenannten „Mainstream“-Ökonomie merkte Minsky an,
dass der Marktmechanismus zwischen Angebot und Nachfrage zwar gut genug wäre,
um unwichtige Güter auf dem Markt zu verteilen, er aber keineswegs für relevante
ökonomische Themengebiete, beispielsweise der Einkommensverteilung, ausreichend
ist und es an solchen Stellen zu staatlichen Markteingriffen kommen sollte. Minsky
rückt gegenwärtig verstärkt in den Vordergrund der wirtschaftlichen Diskussion, da im
7
Verständnis der Öffentlichkeit der Keynesianismus mit der Intervention der Regierung
in Marktprozesse und der Stimulierung der volkswirtschaftlichen Nachfrage einhergeht. In seiner Financial Instability Hypothesis (FIH) erklärt Minsky, warum eine kapitalistische Volkswirtschaft mit einem ausgeprägten Finanzmarkt instabil ist. Der Finanzmarkt ist nach der FIH von Natur aus krisenanfällig, weil es in kapitalistischen Volkswirtschaften verstärkt zur Finanzierung von Kapitalanlagen und zu Investitionen im Finanzsektor kommt und diese äußerst risikobehaftet sein können (Tavasci; Toporowski
2010: 2-4). Weiterhin hatte Minsky, wegen der stetig steigenden systemischen Relevanz des Bankensektors und des „Too big to fail“-Problems, vor der Deregulierung der
Finanzmärkte während der 1970er Jahre gewarnt (Nersisyan; Wray 2010: 32-33). Insbesondere der Finanzmarkt in einem kapitalistischen Wirtschaftssystem ist in der Lage,
von innen heraus zu instabilen Situationen zu führen. Dies, so Minsky, steht im Gegensatz zur Neoklassik, welche das Wirtschaftssystem als stabil betrachtet und Störungen
nur von außen auf das Wirtschaftssystem einwirken. Dabei betont die Neoklassische
Synthese das wirtschaftliche Gleichgewicht, auf welches tendenziell hingearbeitet wird
und vernachlässigt das Störpotenzial der Finanzmärkte, welche jedoch vom Keynesianismus berücksichtigt werden (Minsky 2008: 114). Dies ist relevant, da der Staat benötigte Kredite in einem immer komplexeren und schneller reagierendem Umfeld aufnimmt: dem Finanzmarkt. Hier werden die Zinsen bestimmt, die der Staat für neue
Schulden zahlen muss. Während der Staatsschuldenkrise 2009-10 in der EWU kam
deutlich zum Vorschein, dass zwar Angebot und Nachfrage nach den Schuldtiteln der
Krisenstaaten wichtig waren, aber auch die von den entsprechenden Agenturen gegebenen Einschätzungen der Zahlungsfähigkeit von Staaten und das Vertrauen der Investoren, das von Medien stark beeinflusst werden kann, von Bedeutung waren. Der vom
Staat zu zahlende Zinssatz wird unter anderem von diesen Faktoren beeinflusst und ist
daher schwer kalkulierbar.
Minsky kritisiert, dass eine kapitalistische Volkswirtschaft samt Finanzmarkt möglicherweise noch nicht vollständig von Wirtschaftstheorien bedacht wurde. Ob liberal
oder konservativ, die Fiskal- und Geldpolitik zielen nur auf die Feinjustierung der
Volkswirtschaft ab, beachten jedoch nicht, dass das Wirtschaftssystem an sich, durch
8
den Finanzmarkt verursacht, zu instabilen Situationen führt (Minsky 2008: 320).
Minsky beschreibt die Staatsschulden als eine Verbindlichkeit, die keinen Zweifel an
der Zahlungsfähigkeit zulässt (Minsky 2008: 39). Die Aussage muss kritisch betrachtet
werden, da es international bereits einige Male zum Staatsbankrott gekommen ist.
Ein weiterer Vertreter des Postkeynesianismus ist Richard Koo (geboren 1954). Er gilt
als von Minsky beeinflusst und hat sich bei seiner Analyse von Rezessionen auf die Bilanzen von Unternehmungen konzentriert. Koo hat die These der „Balance-SheetRecession“ formuliert. Eine solche Rezession unterscheidet sich von gewöhnlichen Rezessionen, die vom volkswirtschaftlichen Konjunkturzyklus ausgelöst wurden. Unternehmen agieren nach dem Platzen einer Immobilien- oder Aktienblase nicht mehr
profitmaximierend. In Zeiten der Bilanzrezession ist es Firmen wichtiger, bestehende
Kredite zurückzuzahlen, um die eigene Zahlungsfähigkeit, sowie das Image der Solvenz
nach außen aufrechtzuerhalten. Ist dies der Fall, so würde selbst expansives monetäres
Eingreifen in Form einer Niedrigzinspolitik die Rezession nicht beenden (Koo 2009: 2829). Es ist den Unternehmen gleich, welchen noch so niedrigen Preis sie für neue Kredite zahlen könnten, das primäre Ziel besteht im Tilgen der alten Schuldlasten. Da die
Geldpolitik in diesem Fall versagt und sich die Volkswirtshaft in einer Liquiditätsfalle
wiederfindet, kann nur die Fiskalpolitik die aggregierte Nachfrage stimulieren und zu
Wirtschaftswachstum verhelfen. Koo erklärt, dass die während der langen Rezession in
Japan implementierten Konjunkturprogramme sinnvoll waren und es nur so gelang,
den wirtschaftlichen Output über dem Vorkrisenniveau zu halten (Koo 2009: 144). Dabei ist die Akkumulation von öffentlichen Verbindlichkeiten ein Nebeneffekt, der nicht
als Problem auftritt und akzeptiert wird.
An eine solche Fiskalpolitik, die es sich zum primären Ziel gesetzt hat, Schwankungen
im Konjunkturzyklus auszugleichen, setzt die Idee des „Functional Finance“ an. Diese
von Abba Ptachya Lerner (1903-1982) kreierte Wirtschaftstheorie ist an den Keynesianismus angelehnt und beinhaltet die Ansicht, dass der Staat fiskalpolitisch so viel wie
nötig in den Markt eingreifen und zu steigender Güternachfrage verhelfen soll, um in
9
einer Phase der Rezession makroökonomische Ziele, zum Beispiel Vollbeschäftigung
oder Preisstabilität, zu erreichen. Entsteht dabei eine relativ hohe Schuldenquote, weil
der Staat seine Ausgaben erhöht oder die Einnahmen senkt, dann kann dies nicht negativ gewertet werden. Ein solcher Nebeneffekt spiegelt lediglich die Bemühung der
Regierung wider, die gesetzten makroökonomischen Ziele zu erreichen, und wird somit
akzeptiert (Forstater 1999: 3).
Die moderne Geldtheorie oder Modern Money Theory (MMT) besagt, dass ein Staat
nicht zahlungsunfähig werden kann, sofern er in der eigenen Währung verschuldet ist
und die Geldpolitik souverän von der nationalen ZB ausgeführt wird. So ist gewährleistet, dass die ZB jederzeit Staatsanleihen kaufen kann, um Finanzierungslücken des
Staates zu schließen. Die ZB kann Geld schöpfen, um Verbindlichkeiten eines geldpolitisch souveränen Staats nachzukommen. Die MMT erklärt detailliert, was in den Bilanzen der ZB und des Finanzministeriums geschieht, wenn geldpolitisch gehandelt wird.
Unter Miteinbeziehung der Rolle von Steuern und Staatsanleihen gibt die Theorie an,
ein geldpolitisch souveräner Staat ist immer zahlungsfähig, sofern in der eigenen Währung gezahlt wird. Weiterhin werden die makroökonomischen Ziele der Preis- und Finanzstabilität sowie der Vollbeschäftigung verfolgt. Gibt der Staat die Souveränität seiner Währung ab, wie es in der EWU der Fall ist oder kommt es zur Verschuldung in ausländischer Währung, dann ist der Staat in seiner Handlungsfreiheit, sich zu finanzieren,
eingeschränkt (Wray; Tymoigne 2013: 2). Weiterhin gibt die MMT einen grundlegenden Zusammenhang des Zusammenspiels der Bilanzen des inländischen privaten Sektors (Haushalte und Unternehmen), des inländischen öffentlichen Sektors (Staat) und
des ausländischen Sektors (privat und öffentlich) an: inländischer privater Sektor + inländischer öffentlicher Sektor + ausländischer Sektor = 0. Das heißt, die drei Sektoren
ergänzen sich und beeinflussen einander direkt. Erzielt die Bilanz eines Sektors einen
Überschuss, dann muss die Bilanz mindestens einer der beiden verbleibenden Sektoren ein Defizit aufweisen (Wray 2012: 5).
10
Der Postkeynesianer L. Randall Wray (geboren 1953) hat sich eingehend mit der MMT
auseinandergesetzt. Zudem war er es, der C. Reinhart und K. Rogoff widersprach. Diese
hatten in einer Analyse die Korrelation zwischen hoher Verschuldung und niedrigem
Wirtschaftswachstum nachgewiesen und geschlussfolgert, dass sich eine staatliche
Verschuldung ab 90 % des BIP negativ auf das aggregierte Wirtschaftswachstum auswirken würde. Wray argumentiert, dass die öffentliche Zahlungsfähigkeit auf die Souveränität der Währung und die Schuldenstruktur ankommt. So würde die entdeckte
Korrelation nicht für Staaten mit souveräner Geldpolitik sowie einer Verschuldung in
inländischer Währung gelten, weil sich der Staat mit Hilfe der Zentralbank, die jeder
Zeit die inländische Währung akzeptiert, refinanzieren kann. Daher gibt es kein solches
Verhältnis, das im Anschluss noch eine wesentliche Rolle im Zusammenhang mit den
Maastricht-Kriterien spielen wird (Wray; Nersisyan 2010: 3-20). Dass es nach der MMT
praktisch kein Verschuldungslimit des Staates gibt, hat die bereits angesprochene Architektur der Bilanzen der Wirtschaftsakteure zum Hintergrund. Wenn der Staat ein
Haushaltsdefizit aufweist, emittiert er Staatsanleihen, um die Finanzierungslücke zu
schließen. Die Emission an die nationale Zentralbank ist von großer Bedeutung, da dies
zuletzt exzessiv in Japan praktiziert wurde.
Dies geschieht wie folgt: Der Staat, in Form des Finanzministeriums, gibt Staatsanleihen an die ZB, welche im Gegenzug „Reserven“ schöpft. Diese Reserven werden an
den Staat gezahlt. Auf der Bilanz des Finanzministeriums erscheinen die Staatsanleihen
als Verbindlichkeiten, die Reserven als Forderungen gegenüber der ZB. In der Bilanz
der ZB werden die Staatsanleihen und die Reserven umgekehrt gebucht. Nun ist die Finanzierungslücke des Staates gefüllt. Durch Staatsausgaben gelangt das Geld als Einkommen an die Haushalte, welche es als Ersparnis in Geschäftsbanken verzinst deponieren. Auf der Bilanz der Geschäftsbanken erscheinen die Ersparnisse als Verbindlichkeiten gegenüber den Haushalten. Der gleiche Betrag wird als Reserven auf die Seite
der Forderungen gebucht. Geschäftsbanken unterhalten ein Konto bei der ZB, in welches sie das von den Haushalten erhaltene Geld (, welches durch den Leverage-Effekt
leicht vervielfältigt wird), bei dem Kauf von Staatsanleihen, die von der ZB gehalten
werden, verzinslich einzahlen (Wray 2012: 116). So werden auf Seiten der ZB und den
11
Geschäftsbanken die Forderungen praktisch getauscht. Das Konto einer Geschäftsbank
bei der ZB hat auch den wichtigen Hintergrund der Refinanzierung. Da Geschäftsbanken Kredite über ein Vielfaches der eigentlichen Einlagen vergeben, kann es bei Ausfällen der ausgegebenen Kredite zu Zahlungsengpässen kommen, weshalb sich Geschäftsbanken immer mit neuem Kapital bei der ZB eindecken können. Der An- und
Verkauf von Wertpapieren der Zentralbank wird Offenmarktgeschäft genannt. Um der
Zahlungsunfähigkeit der Geschäftsbanken vorzubeugen, gibt es eines der wichtigsten
geldpolitischen Instrumente, die Mindestreserve (Mankiw 2004: 690-692). Sie ist dafür
verantwortlich, dass die Geschäftsbank immer einen bestimmten Prozentsatz der eingezahlten Geldmenge einbehält und nicht weiter investiert.
Es ist erkennbar, dass im Postkeynesianismus und in an ihn gelehnte Ansätze eine erhöhte Ausgabenseite des Staates durch eine antizyklische Fiskalpolitik für eine Steigerung der aggregierten Nachfrage sorgt und somit vor allem in Phasen des Wirtschaftsabschwungs zu Haushaltsdefiziten des Staates führt. Diese werden allgemein akzeptiert, weil wirtschaftspolitisch übergeordnete Ziele wie zum Beispiel Vollbeschäftigung
verfolgt werden.
2.3.
Neoklassik und neoklassische Ansätze
Im Gegensatz zum Postkeynesianismus genügt der Neoklassik die natürlichen Mechanismen des Marktes, um zu Gleichgewichten auf dem Kapital-, Güter- und Arbeitsmarkt zu gelangen. Diese Gleichgewichte verhelfen der Volkswirtschaft, welche kaum
konjunkturellen Schwankungen ausgesetzt ist, zu stabilem Wachstum. Es braucht
selbst bei kleineren Schwankungen keine antizyklische Fiskalpolitik, da sich immer wieder ein neues Gleichgewicht in den Märkten durch Angebot und Nachfrage ergibt. Das
ideale Wirtschaftssubjekt, der homo oeconomicus, verhält sich immer rational und
nutzenmaximierend. Beispielsweise steigt mit der Erwartung anhaltender Inflation die
12
aggregierte Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen. Es wird mehr konsumiert,
weil zu einem späteren Zeitpunkt weniger Konsum mit derselben Menge an Kapital finanziert werden kann.
Im Vordergrund des an die Neoklassik angelehnten Monetarismus steht die Geldpolitik. Über die Änderung der, sich im Umlauf befindlichen, Geldmenge lassen sich viele
Faktoren beeinflussen. Befindet sich beispielsweise eine Volkswirtschaft in einer Phase, in der kaum investiert wird und die Kreditnachfrage gering ist, so muss der Leitzins
gesenkt werden, um die Angebotsseite auszuweiten. Denn in dieser, sowie in der allgemeinen neoklassischen, Theorie schafft sich das Angebot seine Nachfrage. Man
spricht auch vom Sayschen Theorem. Um also die aggregierte Nachfrage zu stimulieren, wird nicht, wie im Postkeynesianismus, auf fiskalpolitische Maßnahmen zurückgegriffen, stattdessen aber der Leitzins gesenkt, was zu vermehrten Investitionen und im
Anschluss zu steigender Produktion führt, was durch das Saysche Theorem in erhöhtem Konsum mündet. Über die Änderung der sich im Umlauf befindlichen Geldmenge
lassen sich die Preise von Vermögenswerten und somit Investitions- und Konsumentscheidungen beeinflussen1. Weiterhin gibt es finanzielle Restriktionen für den öffentlichen Sektor. Aufgenommene Staatsschulden werden - im Gegensatz zum Ansatz des
Postkeynesianismus - als Störfaktor für Wirtschaftswachstum angesehen (Vesper 2013:
13).
Thomas John Sargent (geboren 1943) hat sich mit der Verknüpfung von Geld- und Fiskalpolitik auseinandergesetzt. Dabei wurde die Behauptung des Ökonomen Milton
Friedman (1912-2006), Inflation sei ausschließlich das Resultat von Geldpolitik, auf die
Probe gestellt. Sargent zeigt, dass Geldpolitik für die Erzeugung von Seigniorage, dem
Gewinn einer Notenbank, verantwortlich ist. Dieser Gewinn wird der Einnahmeseite
1
Es ist die, von David Hume (1711-1776) stammende, Quantitätstheorie, die aussagt, dass das Preisniveau aller
Güter und Dienstleistungen direkt von der Geldmenge abhängt (Mankiw 2004: 701). Steigt die Geldmenge,
beispielsweise durch einen gesenkten Leitzins oder durch geringere Mindestreserven von Banken, dann steigen
die Preise von Gütern und Dienstleistungen. Es herrscht Inflation. Bei einer geringeren Geldmenge kommt es
zur Deflation, bei der die gesamtwirtschaftlichen Preise fallen. Sowohl Inflation als auch Deflation können den
Wirtschaftsprozess stören.
13
des Staatshaushalts zugeführt und kann Haushaltsdefizite abschwächen oder ausgleichen. Entstehen in der Gegenwart Haushaltsdefizite, kann eine künftige positive Inflationsrate dazu beitragen, akkumulierte Staatsschulden niedrig zu halten (Sargent; Sims
2011: 8). Die Inflation spielt eine wesentliche Rolle wenn es um die staatliche Verschuldung geht. Es ist relativ bequem, die Kaufkraft der Staatsschulden bei positiver Inflation abzubauen. So entsprechen die heute aufgenommenen Staatsschulden bei Inflation zu einem späteren Zeitpunkt einem geringeren tatsächlichen Wert mit geringerer Kaufkraft. Inflation entsteht durch eine Erhöhung der, in der Volkswirtschaft zirkulierenden, Geldmenge. Bei Inflation wird nominal, unter der Voraussetzung gleichbleibender Steuersätze und Steuerbasis, ein höheres Steueraufkommen generiert, mit
dessen Hilfe die vorhandene Schuldenlast leichter getilgt werden kann. Gegenteilig
verhält es sich während einer Deflation. An dieser Stelle knüpfen die Ideen Irving Fishers an.
Die von Irving Fisher (1867-1947) stammende Debt-Deflation-Theory umfasst die Problematik einer Abwärtsspirale, bestehend aus gesamtwirtschaftlich sinkenden Preisen
und der reagierenden aggregierten Nachfrage und dessen Bedeutung für verschuldete
Wirtschaftssubjekte. Es ist gleich, ob Staatsschulden oder private Schulden, der Effekt
der Deflation auf Schulden ist der selbe. Herrscht Deflation, also sinken die gesamtwirtschaftlichen Preise aufgrund einer geringeren, sich im Umlauf befindlichen, Geldmenge, nimmt der Wert der zuvor aufgenommenen Schulden zu. Weil Wirtschaftssubjekte wissen, dass sie in Zukunft höher verschuldet sein werden als momentan, werden
sie versuchen, Wertgegenstände zu verkaufen und die Schulden, solange sie noch nicht
an Wert zugenommen haben, zu tilgen. Dies verstärkt nur die Deflation, da Preise von
Anlagen, wie beispielsweise Aktien oder Immobilien, sinken. Ausgangspunkt einer solchen Deflationsspirale sind neue Möglichkeiten innerhalb der Gesellschaft, zu investieren. Wirtschaftssubjekte verschulden sich aufgrund zu großem Optimismus und es bildet sich eine Spekulationsblase. Weitere Effekte der Deflation betreffen Erwartungshaltungen bezüglich des Konsums und Investitionen. Sinken die Preise von Wertanlagen, dann warten private und institutionelle Investoren auf künftig noch niedrigere
Preise, um die Rendite zu steigern. Also sinken zunächst die Investitionen. Konsumen14
ten verhalten sich ebenso. Sie warten darauf, dass sich Güter günstiger werden. Vor allem relativ teure Güter, beispielsweise Automobile, können Objekte solcher Spekulationen sein (Voss 2008).
Obwohl Fisher als Neoklassiker und Koo als Postkeynesianer gilt, argumentieren beide
ähnlich. So findet man in den Aussagen beider Ökonomen, dass in Zeiten von Deflation
Wirtschaftssubjekte versuchen Schulden zu tilgen. Selbst Unternehmen, die sonst immer profitmaximierend handeln, werden während einer Deflation versuchen, so viel
Schulden wie möglich abzubauen. Ansonsten können die Ansichten der Theorien gegenüber der Geld- und Fiskalpolitik sowie den Schulden des öffentlichen Sektors
grundsätzlich verschieden betrachtet werden. Über die Geldmenge und letztlich die
Geldpolitik wird in der Neoklassik makroökonomisch gehandelt und auf Phasen schwachen Wachstums reagiert, zudem wird die Fiskalpolitik als wenig effektiv betrachtet.
Im Postkeynesianismus ist es eher die Fiskalpolitik, die über die aggregierte Nachfrage
die Volkswirtschaft, in Phasen des wirtschaftlichen Abschwungs, stimuliert. Zudem sollte nach den neoklassischen Ansätzen, aufgrund der zusätzlichen Kosten in Form von
Zinsen, auf Staatsschulden verzichtet werden, während nach postkeynesianischer Auffassung die Verschuldung und Zinsen einen geringen Preis für die Überwindung von
Phasen schwachen Wirtschaftswachstums darstellen.
2.4.
Sonstige Ansätze
Die weit verbreitete Ansicht der fiskalischen Nachhaltigkeit betrifft speziell den Finanzsektor. Im Zuge der letzten Finanzkrise kam es seit der Insolvenz des Finanzinstituts
Lehman-Brothers im September 2008 weltweit zu Verstaatlichungen von sogenannten
„systemischen Banken“ oder Institutionen innerhalb des Finanzsektors. Die Frage, ob
es gerechtfertigt ist, Finanzinstitute vor der Insolvenz zu bewahren oder nicht, wird an
dieser Stelle nicht von einer ethischen Perspektive betrachtet, dennoch lässt sie sich
15
nicht gänzlich ausklammern, weil sie direkt mit der Entwicklung der staatlichen Verschuldung in Verbindung steht. Relevant ist, dass die Staatsschulden vieler Staaten in
der EWU aufgrund der Rettungen innerhalb des Finanzsektors anstiegen. Als Ausnahmebeispiel wies der irische Staatshaushalt 2009, aufgrund der Rettung systemrelevanter Banken, ein Haushaltsdefizit von über 30 % des BIP auf (Statista 2014a). Es wird in
der Neoklassik argumentiert, dass dies fiskalisch nicht nachhaltig ist. Es werden außerdem die automatischen Stabilisatoren, wie erhöhte Staatsausgaben in sozialen Bereichen sowie verminderte staatliche Einnahmen, für die drastische Erhöhung der öffentlichen Haushaltsdefizite während und nach der Finanzkrise in industrialisierten Staaten
für die ansteigenden öffentlichen Defizite verantwortlich gemacht. Bleiben eine antizyklische Geld- und Fiskalpolitik als Optionen aus, weil sie den Staatshaushalt zu sehr
belasten, dann gibt es nur wenige Alternativen, um einer Phase schwachen Wirtschaftswachstums zu entkommen. Weiterhin wird im Falle Japans, obwohl das Land
mittlerweile die bei weitem höchste Schuldenquote unter den Industrieländern aufweist, sogar von Austeritätspolitik abgesehen, da sie negative Effekte für die Realwirtschaft in sich birgt. Stattdessen sollen Strukturreformen auf dem Arbeitsmarkt durchgeführt werden. Diese sind nötig, um der demographischen Entwicklung entgegenzuwirken. Diese wird nämlich auch erheblichen Einfluss auf die staatliche Verschuldung
nehmen. Europa hingegen wird für seine Austeritätspolitik gelobt, sie müsste aber
konsequent umgesetzt werden, damit die öffentlichen Haushalte der EMUMitgliedsländer auf einen nachhaltigen Entwicklungspfad gelangen. Es wird jedoch
nicht erwähnt, dass die bisherige Austeritätspolitik in den peripheren EMUMitgliedsländern bereits negative realwirtschaftliche Effekte generiert haben, beispielsweise hohe Arbeitslosigkeit und negatives Wirtschaftswachstum (Buiter 2014).
Neben diesen, jeweils einer bestimmten wirtschaftstheoretischen Ideologie zugehörigen, Ansichten auf Staatsschulden, muss der Aspekt der Demographie berücksichtigt
werden, weil sowohl Japan als auch Deutschland einen ähnlichen demographischen
Wandel durchlaufen. Es steht zur Diskussion, ob eine alternde Gesellschaft einerseits
wegen künftig geringerer Steuereinnahmen großen Einfluss auf Haushaltssalden und
andererseits die Staatsschulden Einfluss auf künftige Generationen haben könnten. Es
16
geht darum, das wenn die heutige Generation Schulden aufnimmt, sie der kommenden
Generation aufgebürdet wird. Ein Gegenargument lautet, dass expansive Fiskalpolitik
zu erhöhtem Wirtschaftswachstum führt. Im Anschluss kommt es zu höheren Einkommen der Haushalte und zu erhöhten Steuereinnahmen. Künftige Generationen profitieren also ebenso durch deren erhöhte Einkommen. Durch erhöhte Ausgaben in Infrastrukturprojekte, wie beispielsweise Schulen, Krankenhäusern und kulturellen Einrichtungen kann die künftige Generation sogar unter Berücksichtigung, dass sie die zuvor
aufgenommenen Schulden zurückzahlen, profitieren.
Deutschland und Japan sind sich aus demographischer Perspektive sehr ähnlich. Es ist
damit zu rechnen, dass das Durchschnittsalter in Japan während der nächsten Jahre
weiter steigen wird. Es wird im Anschluss genauer auf die Schuldenstruktur eingegangen. An dieser Stelle soll dennoch darauf hingewiesen werden, dass die Gläubiger des
japanischen Staats vor allem inländische Investoren sind, darunter private Anleger, inländische Banken und Pensionsfonds. Ein eventuelles Problem der Finanzierung des japanischen Staatshaushalts werden daher geringere Sparraten der japanischen Bevölkerung darstellen. Aus dem Arbeitsleben ausgeschiedene Japaner werden dann die akkumulierten Ersparnisse verkonsumieren, weshalb die Nachfrage nach japanischen
Staatsanleihen (Japanese Government Bonds JGBs) sinken und zu einem Refinanzierungsproblem des Staates werden könnte (Pym 2010). Umgekehrt liefert die „Säkulare
Stagnation“ Paul Krugmans und Larry Summers an der Idee steigender Sparquoten an.
Diese kommen durch relativ hohe Pro-Kopf-Einkommen, welche in industrialisierten
Staaten wie Deutschland und Japan zu finden sind, zustande. Durch eine hohe Sparquote wird strukturell wenig investiert, die Volkswirtschaft stagniert (Wohltmann
2013). Die Idee entstand, da seit Ausbruch der globalen Finanzkrise vor circa fünf Jahren die Leitzinsen weltweit auf sehr niedrigem Niveau gehalten werden und es allgemein auf internationaler Ebene noch keine Erholung des Wirtschaftswachstums einsetzte. Nach dieser Theorie hätten Haushalte und Unternehmen das in Umlauf gebrachte Geld gespart, weshalb es auf den entsprechenden Bankkonten geparkt wurde.
Die entsprechenden Banken hätten das Kapital in Staatsanleihen investiert. Das würde
auch die seit der Finanzkrise immer größer werdenden Bilanzen der Zentralbanken er17
klären. Es kam kaum zu Wirtschaftswachstum, da Investitionen zunächst verschoben
und durch Sparoptionen substituiert wurden. Weiterhin könne es nach Krugman und
Summers möglich sein, dass Volkswirtschaften, die von einer Finanzkrise betroffen waren, immer wieder dazu neigen, in eine Rezession oder sogar Depression zu fallen. Dabei zeichnet sich eine Rezession durch mindestens zwei aufeinanderfolgende, von negativem Wirtschaftswachstum ausgezeichneten, Quartalen aus, bei einer Depression
sind es mindestens vier Quartale. Daher solle man auch wirtschaftspolitisch weiterhin
so vorgehen, als ob sich die Wirtschaft in einer konjunkturzyklisch bedingten Phase des
Abschwungs befindet. Danach sollte keinesfalls die Geldpolitik gedrosselt oder der
Staatshaushalt ausgeglichen werden (Macrobusiness 2013).
Es wurden nun verschiedene Theorien betrachtet und mit Blick auf die Verschuldung
des öffentlichen Sektors erläutert. Im Anschluss werden die Entwicklungen der Staatsschulden Deutschlands und Japans während des Beobachtungszeitraums aufgezeigt,
um danach durch makroökonomisch relevante Ereignisse und die entsprechenden Reaktionen beider Länder erklärt zu werden. Dadurch soll geklärt werden, welcher theoretische Ansatz von welchem Land verfolgt wurde und ob die Theorie bestätigt werden
kann oder nicht.
3. Entwicklung der Staatsschulden und ihrer Struktur
Die Volkswirtschaften Deutschlands und Japans weisen zwischen 1990-2012, individuelle Charakteristika auf. Solche Charakteristika, in Form einer Periode anhaltender Deflation oder dem Beitritt in eine Währungsunion, können die Entwicklung der Schuldenquote prägen. Inwiefern solche Ereignisse und auch die entsprechenden Reaktionen der jeweiligen Regierungen, beispielsweise durch Konjunkturprogramme, den
Schuldenstand tatsächlich beeinflusst haben und welche Wirtschaftstheorie dabei ver-
18
folgt wurde, soll in dieser Arbeit geprüft werden. Dazu wird in diesem Punkt erst einmal die Entwicklung der jeweiligen Schuldenquoten und Haushaltssalden aufgezeigt.
Es sind jedoch nicht nur solche Ereignisse, die zu Unterschieden in der Verschuldung
zwischen Deutschland und Japan führen. Die Struktur, also die Qualität, der Verschuldung ist ebenso von Bedeutung wie deren Quantität. Der Staat kann bei verschiedenen
Wirtschaftssubjekten verschuldet sein, beispielsweise bei Kreditinstituten, Versicherungen, privaten Personen und Unternehmen. Dabei ist es wichtig zu unterscheiden,
ob die Gläubiger in- oder ausländisch sind. Sind sie ausländisch, muss der entsprechende Wechselkurs mit einbezogen werden. Gewinnt die eigene Währung während
der Laufzeit der, an ausländische Investoren, ausgegebenen staatlichen Schuldtitel an
Wert, dann werden die Schulden zugunsten des inländischen Staats zu, im inländischen
Maßstab, geringerer Kaufkraft zurückgezahlt. Die ausländischen Investoren werden eine Änderung des Wechselkurses nicht bemerken, da sie genau den vereinbarten verzinsten Betrag am Ende der Laufzeit der Schuldtitel ausgezahlt bekommen. Natürlich
kann sich jedoch das Preisniveau während der Laufzeit verändert haben, aber dieses
Risiko trägt der Investor mit jeder getätigten Investition.
Ein Beispiel, bei dem Deutschland als das Inland, Japan als das Ausland gilt: Eine japanische Bank kauft für ¥ 100 Millionen deutsche Staatsanleihen. Bei einem Wechselkurs
von € 1 = ¥ 100 entspricht dies € 1 Million. Bei Ablauf der Laufzeit besteht ein Wechselkurs von € 1 = ¥ 200, der Wert der inländischen Währung ist also gestiegen, der Euro hat an Wert gewonnen. Nun zahlt der deutsche Staat nicht € 1 Million zurück, da
dies ¥ 200 Millionen bedeuten würden, sondern nur € 0,5 Millionen. Hinzu kommt natürlich der Zinsbetrag, der dem Wechselkurs ebenso unterliegt.
19
3.1.
Staatliche Schuldenquote und staatlicher Haushaltssaldo
Aus Abbildung 1 lässt sich ablesen, dass während des zu betrachtenden Zeitraums die
Schuldenquoten beider Länder angestiegen sind, wobei sich die Schuldenquote Japans
mehr als verdreifacht, die Deutschlands sich knapp verdoppelt hat. Dabei erhöht sich
die Schuldenquote Japans stetig bis auf eine kurze Periode zwischen 2005-07. Die Entwicklung der deutschen Schuldenquote differiert, weil sie vergleichsweise konstant
verläuft. Die beiden Ausnahmeperioden 1999-2001 und 2005-07 sind von einer sinkenden Schuldenquote geprägt und dämpfen dadurch den allgemeinen Anstieg. Abbildung 2 zeigt die Entwicklung des jährlichen Haushaltssaldos beider Länder. Es zeigt
sich, dass es innerhalb des Beobachtungszeitraums sowohl Zeiten gleichförmiger, als
auch entgegengesetzter Entwicklungen gab. Zwischen 1991-95 und 2005-09 entwickelten sich die Haushaltssalden beider Länder relativ gleichförmig, in den übrigen Zeiträumen entgegengesetzt. Da sich die Schuldenquote und der Haushaltssaldo auf das
BIP eines Landes beziehen, kann das Wirtschaftswachstum maßgeblich zu den Entwicklungen beigetragen haben.
3.2.
Öffentliche Verschuldung pro Kopf
Die öffentliche Verschuldung pro Kopf gibt einen Einblick in den demographischen Hintergrund Japans und Deutschlands. Wie in den Abbildungen 3.1 und 3.2 erkannt werden kann, war die japanische pro Kopf Verschuldung 2012 in etwa drei Mal so hoch
wie die Deutschlands. In beiden Ländern hat sich die pro Kopf Verschuldung während
des Beobachtungszeitraums beinahe konstant erhöht. Dies kann auf eine nahezu konstante Entwicklung der Bevölkerungszahlen im Zusammenhang mit einer teilweise
überproportionalen Erhöhung der öffentlichen Verschuldung zurückgeführt werden.
2003 erreichte Deutschland sein Bevölkerungshöchststand. In Deutschland gab es zwei
Perioden einer nahezu konstanten pro-Kopf-Verschuldung: 1999-2001 und 2006-07. Es
20
fällt auf, dass im Gegensatz zur pro-Kopf-Verschuldung Japans, keine rückläufigen Entwicklungen auftreten. Japan erreichte sein Bevölkerungsmaximum 2008. Zudem weist
Japan nur eine Periode abnehmender pro Kopf Verschuldung auf: 2005-2007. Die Entwicklung der japanischen pro Kopf Verschuldung ist nahezu identisch mit der der japanischen Schuldenquote. Dass die Entwicklung der deutschen Schuldenquote von der
Entwicklung der deutschen pro-Kopf-Verschuldung differiert, jedoch die Entwicklung
der japanischen Schuldenquote mit der der japanischen pro-Kopf-Verschuldung nahezu identisch ist, kann mit der recht starren Entwicklung der japanischen Bevölkerungszahlen erklärt werden. Diese war in Deutschland volatiler. Da beide Länder von der
globalen Finanzkrise erfasst wurden, kann die zunehmende pro-Kopf-Verschuldung ab
2008 erklärt werden. Es geht hierbei um das Problem der Belastung künftiger Generationen. Anscheinend waren die Generationen beider Nationen zu Beginn der '90er weniger belastet als heutzutage. Abbildung 3.3 zeigt die Entwicklung der, auf 1991 indexierten, pro-Kopf-Verschuldung Deutschlands und Japans. Anscheinend hat sich die
pro-Kopf-Verschuldung der Bevölkerung Japans zwischen 1998-2009 ungünstiger entwickelt als die Deutschlands. Während dieser Periode war die Differenz zwischen beiden Ländern mit circa 35 Prozentpunkten relativ groß. Außerhalb dieser Periode hat
sich die indexierte pro-Kopf-Verschuldung beider Länder sehr ähnlich entwickelt, so
dass 2012 beide Länder den circa 3,5-fachen Wert erreichten. Bei einem Beobachtungszeitraum von nur 22 Jahren ist dies eine bemerkenswerte Entwicklung. Es ist
überraschend, dass der Index Deutschlands gegen Ende des Beobachtungszeitraums
noch über dem Japans liegt, weil Japan immerhin die mit Abstand höchste Schuldenquote unter den Industrieländern aufweist. Da zuletzt die Bevölkerungszahl Deutschlands wieder leicht zunahm, die Japans nach dem Höchstwert von 2008 stetig sank,
kann dies zu einem Auseinanderdriften des indexierten Wertes beider Länder führen.
Die Belastung künftiger Generationen wird wahrscheinlich in beiden Ländern weiterhin
steigen.
21
3.3.
Staatliche Wertpapiere und Zinsen
Der Staat kann diverse Wertpapiere emittieren. Ein bekanntes und zugleich wichtiges
Finanzierungsmittel des Staates ist die staatliche Anleihe. Abbildung 9 zeigt, dass die
Bundesanleihe 2012 das mit Abstand wichtigste Finanzierungsmittel für den Bund darstellte. Dem japanischen Pendant, dem JGB, kommt eine gleichbedeutende Rolle für
die Finanzierung des öffentlichen Haushalts zu. Wird für eine Reduktion der Staatsschulden argumentiert, tritt häufig die Zahlung von Zinsen in den Vordergrund. So
könne sich die Schuldenquote, in Verbindung mit dem Aufkommen von Zinsen, ab einer bestimmten Höhe zu einem sich selbst verstärkenden System entwickeln. Zinsausgaben sollten gering gehalten werden, da diese Ausgaben anderweitig verwendet werden könnten, beispielsweise für Ausgaben im Bereich des Gesundheits- oder Bildungssektors (Wigger 2004: 154). Das ist der Grund für das von Investoren ununterbrochene
Beobachten der Zinsen von Staatsanleihen. Verändern sich diese um nur wenige Prozentpunkte, kann dies schon gravierende Auswirkungen auf die Refinanzierungskosten
des Staates haben.
Bietergruppen für Staatsanleihen sind Wertpapierhandelsunternehmen, Wertpapierhandelsbanken und Kreditinstitute. Diese können inländisch oder ausländisch sein. Unter den wichtigsten Bietern für Bundesanleihen fanden sich 2012 #1 Morgan Stanley &
Co. International PLC, #2 Deutsche Bank AG, und #3 Goldman Sachs International Bank
(BMF 2012: 25-26).
3.4.
Wer sind die Gläubiger des Staates?
Die Schuldenstruktur Deutschlands und Japans unterscheidet sich vor allem im Anteil
ausländischer Gläubiger. Der japanische Staat ist zu circa 95 % im Inland verschuldet.
22
Mit diesem Heimvorteil ist die relativ große Verschuldung des japanischen Staats kaum
Wechselkursen und anderen nur wenig zu beeinflussenden, wirtschaftlichen und politischen Faktoren ausgesetzt und somit vorsehbar. Der gegenwärtig größte Gläubiger ist
das staatliche Unternehmen „Japan Post“, das JGBs im Wert von circa US-$ 2 Bln. hält.
Es folgen die BOJ mit circa US-$ 1,6 Bln. und der nationale Pensionsfond (Hodo; Emoto
2013). Nach Sektoren unterteilt, halten japanische Kreditinstitute die meisten Anleihen, gefolgt von Versicherungen und Pensionsfonds. Durch diese Struktur ist die Refinanzierung des japanischen Staats durch die Rücklagen, in Form von bei Banken eingezahlter Ersparnisse oder bei Rentenfonds eingezahlter Rentenbeiträge, gewährleistet.
Jedoch kann künftig die Umschuldung des öffentlichen Sektors durch zwei Faktoren gefährdet sein: Die große Abhängigkeit des japanischen Staats von inländischen Ersparnissen wird mittelfristig auf Japans demographisches Problem treffen. Durch eine alternde Bevölkerung kommt es zum Konsum der bereits akkumulierten Ersparnisse,
weshalb Kreditinstitute, Pensionsfonds und Versicherungen weniger in Staatsanleihen
investieren werden. Weil die arbeitsfähige Bevölkerung quantitativ abnehmen wird,
kommt es auch zu einer geringeren Steuerbasis, weshalb die staatlichen Einnahmen direkt betroffen ein werden. Durch strukturelle Arbeitsmarktreformen kann man diesem
Trend entgegenwirken. Für Reformen gibt es Potenzial, beispielsweise könnte der Arbeitsmarkt für ausländische Fachkräfte weiter geöffnet werden und Frauen, die hauptsächlich als Hausfrauen oder im Niedriglohnsektor tätig sind, dem Arbeitsmarkt zugänglich gemacht werden. Das zweite Problem besteht in möglichen Abflüssen von Kapital internationaler aber auch inländischer Investoren, die während der Finanzkrise
nach sicheren Anlagemöglichkeiten suchten, nun aber wieder verstärkt ertragsreichere
Anlagen nachfragen (Lam; Tokuoka 2011: 3). Ob die Argumente für einen konsolidierten Staatshaushalt tragbar sind, ist fraglich, weil der Anteil der BOJ an den Käufen langfristiger Staatsanleihen zwischen 2010-12 von 7 % auf circa 11 % gestiegen ist und es
technisch kein Problem gibt, wenn die BOJ die durch die beiden genannten Faktoren
ausfallende Nachfrage nach JGBs substituiert (OECD 2013: 111).
Abbildung 12 zeigt, dass nach der Gründung der EWU ausländische Investoren für die
Refinanzierung des deutschen öffentlichen Haushalts zunehmend an Bedeutung ge23
wannen. 2012 schuldete der öffentliche Sektor seinen Gläubigern im Ausland über die
Hälfte der Gesamtschulden. Nach Abbildung 10 hat sich das Zinsniveau der staatlichen
Wertpapiere unter den EWU-Staaten seit der Euro-Einführung angeglichen. Allerdings
war der Realzins in Deutschland, durch die niedrige Inflationsrate, höher als in den übrigen, vor allem peripheren, EWU-Ländern. Das erklärt die Zunahme ausländischer Investitionen im deutschen Anleihemarkt. Der Effekt wurde verstärkt als nach Ausbruch
der Finanzkrise internationale Investoren, auf der Suche nach sicheren Anlagemöglichkeiten, deutsche Wertpapiere für sich entdeckten.
Die Schuldenstruktur unterschied sich grundsätzlich zwischen beiden zu beobachtenden Staaten. Waren es in Japan primär die Ersparnisse und Altersvorsorgen über die
entsprechenden Institutionen Pensionfonds, Versicherungen und Banken, waren es im
Zuge der Euro-Einführung für Deutschland eher ausländische Investoren, die auf der
Suche nach höheren Renditen im heimischen Anleihemarkt investierten. Gemein ist
beiden Ländern, dass von ausländischen Investoren japanische und deutsche Wertpapiere nachgefragt wurden, als während der globalen Finanzkrise bei vielen Finanzprodukten nicht klar war, welches tatsächliche Ausfallrisiko diese beinhalteten und sichere
Investitionen wichtig wurden.
4. Identifikation der wirtschaftspolitischen Strategie
Es ist geklärt, wie sich die öffentliche Verschuldung in Deutschland und Japan entwickelt haben. Nun geht es um die Hintergründe und die Frage, ob wirtschaftspolitisches
Eingreifen in die Märkte zu den aufgezeigten Entwicklungen geführt haben und ob ein
bestimmter wirtschaftstheoretischer Ansatz dahingehend verfolgt wurde, dass mit Hilfe der Aufnahme von Staatsschulden versucht wurde, makroökonomische Probleme zu
lösen oder nicht. In diesem Abschnitt wird für je Deutschland und Japan die Reaktion
auf außerordentliche wirtschaftliche Ereignisse analysiert. Im Anschluss werden in dem
24
Beobachtungszeitraum relevante Ereignisse gemäß dem Muster: Ereignis, Wirtschaftspolitische Reaktion und Wirtschaftstheoretischer Ansatz analysiert. Dabei beschreibt
der erste Punkt die jeweiligen Vorkommnisse. Als nächstes werden die realisierten
wirtschaftspolitischen Maßnahmen mit Blick auf die Wirkung der Staatsschulden betrachtet und im letzten Punkt die sich daraus ergebende Wirtschaftstheorie abgeleitet.
4.1.
Deutschland
Während des gewählten Beobachtungszeitraums kam es in Deutschland zu zwei Währungsreformen und partizipiert nun mit mehreren Staaten an der EWU. Das macht die
Situation Deutschlands speziell, weil ein Land normalerweise seine eigene Währung
verwendet, wie es beispielsweise in Japan der Fall war. Inwiefern dies und weitere Faktoren zur Wirtschafts- und Finanzpolitik Deutschlands beitrugen wird im Folgenden
analysiert.
4.1.1.
Wiedervereinigung und Maastricht-Kriterien
In diesem Kapitel wird, Staatsschulden fokussierend, die Wiedervereinigung analysiert,
sowie aus Gründen der Chronologie über die Konvergenzkriterien des Vertrags von
Maastricht eine Einleitung hin zur späteren Währungsunion auf EU-Ebene gegeben.
Ereignis: Der Anpassungsprozess der früheren, wirtschaftlich stärkeren Bundesrepublik
Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik durch die Wiedervereinigung im Juni 1990 wirkte sich auf die Bilanz des öffentlichen Sektors des vereinigten
Deutschlands aus. Nach Wigger (2004: 154) wurde die Vereinigung mit öffentlichen
25
Krediten finanziert. Dies hatte vor allem die Zusammenlegung der Verwaltung und den
Ausgleich des West-Ost-Gefälles der Wirtschaftskraft durch Zahlungen des Westens
zum Hintergrund. Dass die vereinigungsbedingte jährliche Kreditaufnahme ihren
höchsten Wert 1995 erreichte, lässt sich auch mit Abbildung 2 vereinbaren, weil im
Jahr 1995 ein relativ großer Haushaltssaldo zustande kam (Mai 2002: 8).
Innerhalb Westeuropas kam es während der 1980er zu erhöhten öffentlichen Schuldenquoten, was auf EU-Ebene als Bedrohung für einen stabilen europäischen Wirtschafts- sowie potentiellen Währungsraum empfunden wurde. Diese Entwicklung sollte durch den Vertrag von Maastricht kontrolliert werden.
Wirtschaftspolitische Reaktion: Gemessen an den solidarischen Mitteln des Westens
an den Osten, sollen sich die Kosten auf DM 615 Mrd. für die ersten Jahre der Vereinigung zwischen 1991-1995 belaufen haben. Während der ersten 20 Jahre der Wiedervereinigung soll ein Nettotransfer von ungefähr € 1.600 Mrd. stattgefunden haben
(Lessenich 2010). Die Länder und Gemeinden des Westens wurden absolut zwar stärker belastet als die des Ostens, prozentual glichen sich die nahezu unverschuldeten
Gebietskörperschaften des Ostens aber schnell an. So kam es zwischen Ende 1990 und
2000 in den westlichen Ländern und Gemeinden zu einem Zuwachs um circa 56,6 %
auf DM 711,6 Mrd., in den östlichen Ländern und Gemeinden zwischen 1991 und 2000
zu einem Anstieg um 953,3 % auf DM 142,2 Mrd. Dabei können geschätzte DM 80
Mrd. des Schuldenzuwachses der westlichen Länder und Gemeinden der Wiedervereinigung zugeschrieben werden. Auf Bundesebene wurden zu diesem Zweck zusätzliche
DM 695,5 Mrd. Schulden aufgenommen (Mai 2002: 4-9). Auf Abbildung 2 lassen sich
die Auswirkungen als Haushaltsdefizite ab 1992 identifizieren. Als Teil der sozialpolitischen Solidarität kam es zu den genannten Transferzahlungen, um einen einheitlichen
Lebensstandard innerhalb des neuen Bundesstaates zu gewährleisten2. Es wurden zunächst jedoch durch die genannten fiskalpolitischen Zahlungen die sich akkumulierenden Schulden in Kauf genommen, anstatt einen langwierigen Angleichungsprozess
2
Dieser Kerngedanke wurde im Grundgesetz (GG) Art. 72 Abs. 2 verankert.
26
durch Marktkräfte, welcher möglicherweise auch nur begrenzt stattgefunden hätte,
vollziehen zu lassen. Dieser Eingriff ließ ostdeutsche Mitbürger im Durchschnitt profitieren, was eine Annäherung an den westlichen Lebensstandard bedeutete. Während
zu Beginn der Wiedervereinigung noch Verständnis von Seiten der Geberländer aufgebracht wurde, erklären sich immer weniger westliche Mitbürger bereit, weitere Ausgleichzahlungen vorzunehmen (Lessenich 2010). Der Blick auf das Anschwellen der öffentlichen Verschuldung sowie ein, durch Abzug des Solidaritätszuschlags, geringeres
Einkommen überwiegen somit immer mehr die Bereitschaft weiterer Zahlungen der
westlichen aber auch der besser verdienenden östlichen Mitbürger.
Das Aufnehmen der öffentlichen Schulden zwecks Herstellung gleicher Lebensstandards zweier Landesteile stellen eine Ausnahme dar und kamen bisher nur selten in
der Wirtschaftsgeschichte vor. Dennoch weisen die aufgenommenen Schulden, durch
das Ziel höheren Wirtschaftswachstums, auch wenn es nicht um das Ausgleichen von
Wirtschaftsschwankungen geht, Charakter expansiver Fiskalpolitik auf. Die durch die
Wiedervereinigung bedingte Schuldenaufnahme geriet durch neue EU-Vorschriften
zunehmend unter Druck. Nach Artikel 105 (1) des Vertrags von Maastricht, der 1993 in
Kraft trat, besteht das primäre Ziel des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB)
in der Sicherung der Preisstabilität (Hayo 1998: 21). Diese soll durch das Einhalten der
Kriterien einer stabilen Inflationsrate, stabilen langfristigen Zinsen für Staatsanleihen,
stabilen öffentlichen Finanzen sowie der erfolgreichen Teilnahme am EuroWechselkursmechanismus erreicht werden (Görgens u.a. 2001: 39). Im Oktober 1991
gab das monetäre Komitee der europäischen Gemeinschaft eine Höchstgrenze von
drei Prozent für ein jährliches Haushaltsdefizit sowie eine Obergrenze der Schuldenquote von 60 % des BIPs für Kandidaten und Mitglieder der EWU bekannt (Cosetti;
Roubini 1993: 47). Die Kriterien wurden vom Maastrichter Vertrag übernommen. Damit wurde die öffentlichen Verschuldung weiter eingeschränkt, denn schon 1989 legte
das Bundesverfassungsgericht in Art. 115 GG einen Höchstwert der Neuverschuldung
in Höhe der Investitionsausgaben des Bundes fest (Konrad 2008: 77).
27
Wirtschaftstheoretischer Ansatz: Es gibt keine Wirtschaftstheorie, die in Hinblick auf
die Wiedervereinigung zuvor gespaltener Landesteile ein bestimmtes finanzpolitisches
Verhalten des Staates begründet. Allerdings wurde das durch die Transfers verfolgte
Ziel durch die Annäherung des Lebensstandards innerhalb des Bundesgebiets definiert.
Danach sind die für diesen Zweck aufgenommenen Schulden akzeptiert worden, um
den realwirtschaftlichen, und in diesem Falle sicher auch politischen, Nutzen zu erzielen. Daher verhielt sich die Regierung nach dem Prinzip des Functional Finance, das die
Akkumulation von öffentlichen Schulden lediglich als Werkzeug betrachtet, um makroökonomische Ziele zu erreichen. Nur drei Jahre nach der Wiedervereinigung wurden
die Schuldenaufnahmen der öffentlichen Haushalte in der EU und somit auch die in
Deutschland durch Vorgaben des Vertrags von Maastricht eingeschränkt. Leider wird
für die Höhe der Verschuldungsgrenzen keine nachvollziehbare Begründung geliefert.
Der Vertrag von Maastricht kann dem Monetarismus zugeordnet werden, weil danach
Staatsschulden als Störfaktor betrachtet und wenn möglich gemieden werden sollen.
4.1.2.
Einführung des Euro - von der Bundesbank zur EZB
Ereignis: Mit der Einführung des Euro vollzog Deutschland die zweite Währungsreform
innerhalb des Beobachtungszeitraums. Die dritte Phase der Gemeinschaftswährung in
Europa begann 1999. Sie wurde zur offiziellen Währung in der EWU und ersetzte im
Falle Deutschlands die Deutsche Mark. Als Hintergrund wird der wirtschaftliche Profit
in Form von gesteigerten Handelsbeziehungen zu anderen EWU-Mitgliedern durch
Wegfall der Wechselkurse und Zöllen sowie einem maßgeblichen politischen Schritt
hin zu einem vereinigten Europa genannt. Die Euro-Einführung brachte einige Änderungen mit sich: Wie alle anderen Mitgliedsstaaten, gab auch Deutschland seine geldpolitische Souveränität auf und verzichtete auf einen Wechselkurs zu anderen EWUMitgliedern.
28
Wirtschaftspolitische Reaktion: Um auf EU-Ebene geldpolitisch handeln zu können,
wurde die EZB schon 1998 nach dem Vorbild der BB geschaffen, das heißt, dass sie unabhängig handelt, was insbesondere als geldpolitische Institution mehrerer Volkswirtschaften wichtig ist (Quaglia 2008: 3-47). Eine Gewährleistung kann jedoch schwierig
sein, da der EZB-Rat die geldpoltischen Entscheidungen trifft und dieser aus sechs Mitgliedern des EZB-Direktoriums sowie den Präsidenten der nationalen Zentralbanken
besteht. Damit besteht das Risiko, dass Mitglieder dieses Rates Entscheidungen zugunsten des eigenen Landes treffen. Als primäres Ziel verfolgt die EZB im Eurosystem
die Preisstabilität in Form eines Anstiegs des Harmonisierten Verbraucherpreisindex
(HVPI) von knapp zwei Prozent pro Jahr (Camba-Mendez 2003: 32). Eine Schlüsselrolle
zur Erreichung dieses Endziels nimmt das Zwischenziel der Geldmenge ein. Zu diesem
gelangt das Eurosystem über das Erreichen operativer Ziele, wie dem Tagesgeldzins.
Solche operativen Ziele lassen sich von geldpolitischen Instrumenten beeinflussen
(Görgens u.a. 2001: 90). Diese Instrumente umfassen: Offenmarktgeschäfte, ständige
Fazilitäten, Mindestreserven, wobei die Hauptrefinanzierungsgeschäfte die wichtigsten
Offenmarktgeschäfte darstellen, weil sie dem Bankensystem den Großteil der Liquidität bereitstellen (EZB 2011: 104-113).
Das Zusammenführen der geldpolitischen Strategien und Angleichen der Instrumente
auf eine europäische Ebene beeinflussten die Schuldenquote Deutschlands zunächst
nicht. Dennoch taten sich strukturelle Probleme auf, die den Schuldenstand indirekt
betrafen. Beispielsweise ist es ausgeschlossen, mit nur einem Inflationsziel und einem
Leitzins alle 18 Mitglieder der EWU zufriedenzustellen, weil sich in verschiedenen
Volkswirtschaften Einkommen unterschiedlich entwickeln und sich höchstwahrscheinlich in verschiedenen Phasen des Konjunkturzyklus befinden. Deutschland befand sich
Anfang bis Mitte der 2000er in einer Phase geringen Wachstums, kombiniert mit relativ hoher Arbeitslosigkeit. Mit Hilfe eines geringeren Zinssatzes hätte es zu einer Stimulierung der Investitionstätigkeit und einer steigenden, aggregierten Nachfrage kommen
können. Selbst wenn der Effekt wahrscheinlich nur gering gewesen wäre, durch geringere Ausgaben der Sozialversicherungen, hätte der Haushaltssaldo entlastet werden
können. Weiterhin konnten Preise im Euro-Raum direkt verglichen werden. Die Ent29
wicklung der Lohnstückkosten sollten ausschlaggebend sein für die kommende Schuldenkrise. Länder wie Deutschland wurden durch Arbeitsmarktreformen immer wettbewerbsfähiger und erzielten immer höhere Leistungsbilanzüberschüsse, während in
peripheren EWU-Mitgliedsstaaten die Einkommen und Lohnstückkosten stärker stiegen, dementsprechend weniger Güter und Leistungen im Ausland absetzten und Defizite im Außenhandel erwirtschafteten. Die entstandenen Außenhandelsungleichgewichte wirkten sich, wie es Wray in der MMT erklärt, auch auf die Bilanz des öffentlichen Sektors, weil: inländischer privater Sektor + inländischer öffentlicher Sektor + ausländischer Sektor = 0.
Um Mitglied der EWU werden zu können, mussten im Vorfeld bestimmte Konvergenzkriterien erfüllt werden. Dazu gehörten damals wie heute unter anderem die Maastricht-Bestimmungen eines maximalen Haushaltdefizits von drei Prozent, sowie eine
maximale Schuldenquote von 60 % des BIP. Späteres Nichteinhalten sollte sanktioniert
werden. Als Deutschland 1999 den Euro annahm, wies es eine Schuldenquote von 61,3
% des BIPs auf, bis 2012 stieg sie sanktionslos auf 82,0 % an (Abbildung 1). Der Grund
für den, im weltweiten Maßstab, strengen Umgang mit der Schuldenquote des öffentlichen Sektors in der EWU liegt wahrscheinlich in der Struktur des Euro selbst. Normalerweise kann eine Zentralbank, bei zu hohen Haushaltsdefiziten die Geldmenge erhöhen, womit die eigene Währung abgewertet wird. Durch steigende Exporte und steigenden öffentlichen Einnahmen durch Steuern, könnte ein Defizit konsolidiert werden.
Andererseits würde eine Refinanzierung auch kein Problem darstellen, weil die Zentralbank jederzeit staatliche Wertpapiere kaufen kann. Diese Optionen fielen allerdings
zu Lasten der EWU-Mitglieder weg.
Gravierenden Einfluss nahm und nimmt die EWU auf den Markt staatlicher Wertpapiere. Abbildung 10 zeigt die Annäherung der Zinsen der Wertpapiere verschiedener Mitglieder der EWU ab 1990. Dies hatte einerseits das kommende Wegfallen der Wechselkurse, andererseits die Erwartung einer gemeinsamen Geldpolitik im Währungsraum zum Hintergrund (Kilponen u.a. 2012: 1). Diese Annäherung hin zu einem sehr
niedrigen Zinsniveau verdeutlicht das geringe Ausfallrisiko der Wertpapiere einzelner
30
EWU-Länder und somit Stabilität für den gesamten Euro-Raum. Auch ist gut ablesbar,
dass während des Verlaufs der Schuldenkrise in Europa sich die Zinsen wieder voneinander abkoppelten. Die Zinsen von Wertpapieren peripherer Länder wie Italien stiegen im Gegensatz zu stabilen und zahlungsfähigen Ländern wie Deutschland. Jedenfalls
profitierte Deutschland, weil mit dem Euro die Refinanzierungskosten für staatliche
Wertpapiere sanken: beliefen sie sich 1991 noch auf über acht Prozent, sanken sie zur
Einführung des Euro 1999 auf ungefähr vier Prozent. Aus der Angleichung der Verzinsung und der unterschiedlichen Teuerungsraten der einzelnen EWU-Länder ergab sich
in den folgenden Jahren das Problem unterschiedlicher Realzinsen. Diese waren in
Ländern wie Deutschland, durch eine geringe Inflationsrate (siehe Abbildung 4) bedingt, höher als in peripheren EWU-Ländern mit relativ hohen Inflationsraten, welche
durch steigende Löhne bedingt waren (Bundesbank 2010a: 24).
Wirtschaftstheoretischer Ansatz: Die Einführung des Euro war für Deutschland ein gravierendes Ereignis, welches die Auflage der Rückführung staatlicher Schulden nach sich
zog, um mit den Maastrichter Kriterien im Einklang zu stehen. Theoretisch hätte
Deutschland 1999 dem Euro nicht beitreten dürfen, weil es 1998/99 eine BruttoSchuldenquote von über 60 % aufwies. Deshalb war es auch eine absolute Priorität der
neu gewählten Regierung im September 1998, die Schuldenquote zu verringern, beispielsweise mit Hilfe von Privatisierungen (Bureau of Economic and Business Affairs
2002: 2-3). Abbildungen 1 und 2 zeigen das Resultat, der unternommenen Bemühungen, in Form von Haushaltsüberschüssen und der Reduzierung der Schuldenquote.
Trotzdem konnte Deutschland seit der Einführung des Euro bis heute keine Schuldenquote von 60 % oder weniger vorweisen. Diesem Kapitel lässt sich ein neoklassischer
Ansatz zuordnen, weil die Finanzpolitik in dieser Zeit von den haushaltskonsolidierenden EU-Vorschriften dominiert wurde.
31
4.1.3.
Der Neue Markt
Ereignis: Nur ein Jahr nach der Gründung der EWU kam es in Deutschland zum Platzen
einer Blase im IT- und Telekommunikationssektor. Im März 1997 wurde der Aktienindex „Neuer Markt“, mit dem Ziel Investoren und Unternehmen der Wachstumsbranchen im High-Tech-Sektor zusammenzubringen, an der Frankfurter Börse eröffnet. Solche Unternehmen waren meist jung, innovativ und somit auch spekulativ, was sich in
hohen Renditen sowie Totalausfällen der Aktien ausdrückte. Nach nur sechs Jahren
wurde der Neue Markt wieder geschlossen. Während dieser Zeit erlebte der Index einen Anstieg von über 1.600 % seit Eröffnung, welcher vom Crash und der Insolvenz vieler der über 300 gelisteten Unternehmen im Jahr 2000 beendet wurde (von
Kalckreuth; Silbermann 2010: 1-47). Zwischen 2000-02 verloren Anleger über € 200
Mrd. oder 9,4 % des BIPs des Jahres 2002. Als direkte Folge verloren private Haushalte
Geldvermögen, das zuvor in Unternehmen des Index investiert wurde. Seit 1991 stieg
das akkumulierte Geldvermögen der Haushalte kontinuierlich an, jedoch sank es im
Jahr 2002 um circa € 33 Mrd. gegenüber dem Vorjahr auf € 3.576 Mrd. (Statista
2014b).
Wirtschaftspolitische Reaktion: Es gab weder eine fiskal-, noch eine geldpolitische Reaktion auf den gescheiterten Neuen Markt. Dass knapp 10 % des BIPs verloren gegangen waren, reichte anscheinend nicht aus, um wirtschaftspolitische Maßnahmen einzuleiten. Das kann aus den zuvor genannten Bemühungen, den öffentlichen Haushalt zu
konsolidieren, resultieren. Im Zusammenhang mit den Maastricht-Kriterien hat die Regierung im Jahr 2003 für das Folgejahr ein Konsolidierungspaket vorgelegt. Es sah vor,
die Einnahmen zu erhöhen und die Ausgaben zu reduzieren (OECD 2003: 60). Seit der
Euro-Einführung hatte die Schuldenquote kontinuierlich zugenommen und betrug im
Jahr 2003 64,4 %, knapp 5 % über dem vorgesehenen Kriterium.
Wirtschaftstheoretischer Ansatz: Die Neoklassik geht von umfassend informierten
Wirtschaftssubjekten aus. Der Neue Markt selbst hat deutlich gezeigt, dass es Asym32
metrien unter den Wirtschaftsakteuren geben kann und muss, weil es einerseits Informationen des Marktes gibt, die aufgrund ihrer Menge nicht von den Subjekten verarbeitet werden können und andererseits bewusst nicht weitergegeben werden, um
einen eigenen Vorteil zu erhalten. Es gab im Neuen Markt einige Fälle von geschönten
Unternehmensabschlüssen und Scheinunternehmen, in die investiert wurde, ohne
dass Investoren von der asymmetrischen Verteilung der Informationen wussten. Der
Neue Markt ist ein Beispiel, das der neoklassischen Wirtschaftstheorie entgegen argumentiert und ihre Prämissen der vollständigen Information in Frage stellt.
Es macht Sinn, dass es zu keinerlei wirtschaftspolitischer Reaktion kam, weil sie entgegen dem damaligen, konsolidierenden, finanzpolitischen Kurs verlaufen wäre. Daher ist
diesem Kapitel ein grundsätzlich neoklassischer Ansatz zuzuordnen.
4.1.4.
Schuldenkrise in der EWU
Ereignis: Es können grundsätzlich zwei Ursachen für die seit 2007 herrschende Schuldenkrise in der Euro-Zone gefunden werden. Die öffentlichen Haushaltsdefizite der
EWU-Mitglieder sind einerseits wegen der engen Verknüpfung international agierender Finanzinstitute und der dadurch aus den USA „importierten“ Immobilienmarktkrise
und andererseits wegen der Architektur des Euro angestiegen. Für Deutschland dürfte
insbesondere letzteres von Bedeutung sein. Nachdem damit begonnen wurde, Finanzinstitute vor dem Zahlungsausfall zu bewahren, waren vor allem in der Peripherie der
Euro-Zone die Staatsschulden angestiegen und es kam zum Bruch der sogenannten
„No-Bail-Out“-Klausel, sowie dem Verbot der EZB, Staatsanleihen direkt von Mitgliedsstaaten zu kaufen3, zwei von Deutschland an das europäische Währungssystem gefor-
3
Unter EZB-Präsident Mario Draghi wurde entschieden, dass die EZB Staatsanleihen direkt von EWUMitgliedern, die finanzpolitische Probleme aufwiesen, kaufen durfte, was einer direkten Staatsfinanzierung
gleicht. Jedoch wurden Staaten nur unterstützt, wenn sie Bedingungen des ESM in Form von Reformen akzeptierten, um die eigenen Staatsfinanzen auf einen ausgeglichenen Kurs zu lenken (EZB 2014).
33
derte Regeln. Der Grund lag in den immer weiter ansteigenden Refinanzierungskosten
der peripheren EWU-Mitgliedsstaaten. Die erhöhten Zinssätze wurden als nicht mehr
tragbar angesehen. So kam es, dass durch die Schaffung von Hilfsinstitutionen, wie der
temporären Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) und dem permanenten
ESM wirtschaftlich stärkere Volkswirtschaften wie Deutschland, um die weitere Existenz des Euro zu gewährleisten, stark verschuldete Volkswirtschaften unterstützten.
Nach Abbildung 1 hat zwischen 2007 und 2010 die Schuldenquote Deutschlands um
17,0 % des BIPs zugenommen.
Es wird argumentiert, dass das System des Euro schon deshalb nur schwer funktionieren konnte, weil zu Beginn die benötigte Konvergenz kaum vorhanden war. Aus wirtschaftstheoretischer Perspektive setzt eine gemeinsame Währungsunion die gleiche
Geldpolitik und einen gleichen Basiszinssatz voraus. Weiterhin ist es für die über alle
Mitgliedsstaaten bestimmende Zentralbank schwierig, einen Leitzins zu finden, mit
dem alle Mitgliedsstaaten einverstanden sind. Es benötigen beispielsweise Staaten mit
höherer Arbeitslosigkeit einen geringeren, Staaten mit niedrigerer Arbeitslosigkeit und
wachsenden Einkommen einen höheren Zinssatz (Feldstein 2012: 2). Es kommt hinzu,
dass Haushaltsdefizite nicht mittels Geldschöpfung der Zentralbank finanziert werden
können und eine Nation seine Währung nicht abwerten kann, um etwaige wirtschaftliche Wachstumsschwächen durch höhere Exporte auszugleichen. Der für die EWU gewählte Level der politischen und ökonomischen Integration war zum Zeitpunkt der Euro-Einführung ungünstig. Mit der Einführung des Euro war ein Level erreicht worden,
der zu groß war, um eine souveräne Geldpolitik auf nationaler Ebene auszuführen, allerdings war er auch zu gering, um der EZB, beispielsweise von einer europäischen Regierung, die Befugnisse einer regulären Zentralbank einzuräumen (Godley 1992). Dann
wäre die EZB in der Lage gewesen, reguläre Offenmarktgeschäfte am Finanzmarkt aufzunehmen, um einzelne Mitgliedsstaaten zu finanzieren.
Aus einem Interview mit einem Angestellten des DIW ging hervor, dass mit diesem Schritt Draghis das Insolvenzrisiko für den öffentlichen Sektor der betreffenden Volkswirtschaft auf nahe null gesunken ist. Jedoch
müsse dabei die Wirkung auf das Inflationsniveau beachtet werden (Gornig 2014).
34
Die drastischen, weltweiten Rückgänge des Wirtschaftswachstums, doch insbesondere
in der Euro-Zone, zogen aufgrund geringerer Güternachfrage für exportorientierte
Volkswirtschaften wie Deutschland Einbußen in der Leistungsbilanz nach sich. So sanken die Ausfuhren Deutschlands von circa € 984 Mrd. im Jahr 2008 auf circa € 803 Mrd.
im Jahr 2009. Der Posten der laufenden Übertragungen ist neben dem Import und dem
Export ein Teil der Leistungsbilanz (Krugman; Obstfeld 2006: 385). Der Saldo der laufenden Übertragungen gibt an, ob die aus Gewinnen stammenden Kapitalrückflüsse im
Inland produzierender ausländischer Unternehmen zurück ins Ausland größer oder geringer ausgefallen sind als die von im Ausland produzierenden inländischen Unternehmen. Allgemein ist der Saldo der laufenden Übertragungen Deutschlands vernachlässigbar, jedoch ist bemerkenswert, dass nachdem er zwischen 2008 und 2009 leicht anstieg, zwischen 2009 und 2010 um 16,2 % fiel. So waren es 2010 gut € 38 Mrd., die
durch Rückflüsse ausländischer Unternehmen aus Deutschland ins Ausland überwiesen
wurden (BB 2014).
Wirtschaftspolitische Reaktion: Als größte Volkswirtschaft des Euro-Raums kam
Deutschland eine besondere Rolle und viel Verantwortung während der Schuldenkrise
zu, was auch ein Grund für die Veränderung der Schuldenquote war. Zunächst wurden
auf EWU- und EU-Ebene der EFSF und der Europäische Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM) geschaffen. Beide Einheiten zusammengenommen ergaben den sogenannten Euro-Rettungsschirm, wobei der EFSM mit € 60 Mrd., der EFSF mit € 440 Mrd.
Ausleihvolumen versehen wurde. Auf Deutschland kam je ein Beteiligungsschlüssel von
20 % (EFSM) und 27,06 % (EFSF) zu (BMF 2014).
Der schon angesprochene ESM beinhält von den EWU-Mitgliedern eingezahlte € 80
Mrd. und dadurch weitere zur Verfügung stehende € 620 Mrd., die von EWUMitgliedern mit Refinanzierungsproblemen in Anspruch genommen werden können,
um Haushaltsdefizite zu günstigen Konditionen zu finanzieren. Auf Deutschland kam
durch einen Beteiligungsschlüssel von 27,06 % ein Beitrag von € 21,72 Mrd. zu plus
weiteren € 190,02 Mrd. abrufbarem Kapital (ESM Factsheet 2014).
35
Bis dato wurden aus dem EFSF € 203,3 Mrd., aus dem EFSM € 48,5 Mrd. verwendet.
Bei einem Beteiligungsschlüssel von 27,06 %, beziehungsweise 20 % betrug der deutsche Aufwand circa € 55,0 Mrd. (EFSF) und € 9,7 Mrd. (EFSM). Beim ESM betrug die
Inanspruchnahme € 188,3 Mrd., was für Deutschland eine Beteiligung von € 50,8 Mrd.
bedeutete (BMF 2013). Summiert beteiligte sich Deutschland mit € 115,5 Mrd.
Die deutsche Regierung hat aber auch auf nationaler Ebene reagiert. Für 2009 und
2010 wurden zwei Konjunkturprogramme von geschätzten je € 31 Mrd. (2009) und €
47 Mrd. (2010) verabschiedet, was 1,3 % und 2,0 % des jeweiligen BIP ausmachten. Sie
beinhalteten unter anderem steuerliche Entlastungen sowie eigene Investitionen oder
Anreize zu neuen Investitionen des privaten Sektors, wie der Abwrackprämie (Vesper
2009: 647-648).
Daneben wurden auch in Deutschland in Notlage geratene Finanzinstitute unterstützt.
Es kam 2009 zur Verstaatlichung der Hypo Real Estate (HRE), dessen risikoreichen Positionen stetig abgebaut werden sollten. 2010 verschuldete sich dadurch der Bund um
weitere € 192 Mrd. (Vesper 2013: 28). Man kann mittlerweile erkennen, dass der Fokus der wirtschaftspolitischen Reaktionen während der Europäischen Schuldenkrise
auf die Rettung von Finanzinstituten gelegt wurde und nicht auf die klassische Stimulierung durch expansive Fiskalpolitik.
Entgegen den aufgebrachten Ausgaben, die die staatliche Verschuldung merklich erhöht hatten, wurde in Deutschland die Schuldenbremse eingeführt, um den deutschen
Staatshaushalt zu konsolidieren. Es wird diskutiert, ob der Zeitpunkt zu früh gewählt
wurde, da die Erholung nach der kritischen Phase der Krise gefährdet wird (Vesper
2013: 29). Der Einwand ist berechtigt. Vergleicht man die USA und den Euro-Raum,
kann festgestellt werden, dass die USA die Finanzkrise schon recht gut überwunden
haben und die Wirtschaft wächst, wobei die Austeritätspolitik innerhalb der EWU das
Wachstum eher hemmt und die Arbeitslosigkeit in Ländern wie Spanien und Griechenland stark gestiegen sind. Außerdem mildert das Wirtschaftswachstum der USA eine
36
Erhöhung der Schuldenquote. Auf EWU-Ebene wurde zudem der inhaltlich ähnliche
Europäische Fiskalpakt eingeführt, welcher teilweise an den Maastricht-Kriterien anknüpft, das heißt, dass die maximale Schuldenquote noch immer bei 60 % liegt, ein
Haushaltsdefizit jedoch in strukturell- und konjunkturell bedingt unterteilt wird. So
darf künftig das konjunkturell bereinigte Haushaltsdefizit nicht mehr als 0,5 % des BIP
betragen. Der in der deutschen Schuldenbremse veranschlagte Referenzwert liegt bei
0,35 % des BIP und soll ab 2016 auf Länderebene, ab 2020 auf Bundesebene gelten.
Hält Deutschland die eigenen strengeren Kriterien ein, wird es nicht gegen die Vorschriften auf Euro-Ebene verstoßen (Schrooten 2012: 2-3).
Da die Geldpolitik in Händen der supranationalen EZB lag, hatte Deutschland nur wenig
Einfluss auf Zinsänderungen oder sonstige Entscheidungen. Beispielsweise wurde entgegen des BB-Präsidenten Weidmann entschieden, dass die EZB direkt Staatsanleihen
von EWU-Mitgliedern kauft (Blackstone und Walker 2012). Zudem wurde, nach Abbildung 7, der Leitzins um das Jahr 2009 auf neue Tiefststände gesenkt, was zwar im Interesse der peripheren EWU-Mitgliedstaaten, jedoch von weniger Nutzen für die deutsche Wirtschaft war. Durch die Leitzinssenkung sollte die Geldmenge im Euro-Raum
erhöht werden, um zu Wirtschaftswachstum zu gelangen. Finanzpolitisch kam
Deutschland die Struktur des Euro während der Krise gelegen, denn Investoren wollten
vor allem in sichere Anlagen investieren, was die Nachfrage nach deutschen Staatsanleihen erhöhte und die Zinsen senkte. So konnte sich Deutschland sehr günstig refinanzieren. Abbildung 5 zeigt, dass der deutsche Staat Anfang 2008 noch vier Prozent auf
10-jährige Staatsanleihen zahlen musste, 2012 waren es lediglich noch zwei Prozent.
Wirtschaftstheoretischer Ansatz: Von deutscher Seite, ebenso wie von Seiten weiterer
EWU-Mitgliedsstaaten, wurde aktiv in den Markt eingegriffen. Dabei kommt Minskys
FIH eine wichtige Rolle zu, weil eine Ursache der Schuldenkrise in der Deregulierung
des Finanzmarkts lag. Zwar hat Deutschland fiskalpolitisch expansiv reagiert, jedoch
nur in relativ geringem Maß. Weil sich die deutsche Leistungsbilanz zunächst negativ
entwickelte, hätte ein Abfedern durch konsequente fiskalpolitische Maßnahmen erwartet werden können. Die Staatsschulden Deutschlands sind vor allem durch das
37
Stützen von Finanzinstituten und EWU-Mitgliedsstaaten angestiegen und nicht durch
verabschiedete Konjunkturpakete. Ist die Neigung zur Schuldenaufnahme des öffentlichen Sektors von vornherein, weil ein neoklassischer Ansatz verfolgt wird, eingeschränkt, kann es zum Konflikt kommen: Soll der Staat die sich selbst eingegrenzten
Schulden aufnehmen, um die Wirtschaft zu stützen und einen Ausfall aggregierter
Nachfrage kompensieren oder systemische Banken verstaatlichen, was keinen aktiven
Beitrag zu Wirtschaftswachstum und keine Schaffung von neuen Arbeitsplätzen bedeutet? Möglicherweise wären die Konjunkturprogramme Deutschlands quantitativ großzügiger ausgefallen, wenn sich die Rettung von Finanzinstituten nicht derart negativ
auf die Bilanz ausgewirkt hätte. Die BB macht deutlich, dass es Ziel ist, die Vorgabe der
Maastricht-Kriterien einzuhalten, weil es gesetzlich festgelegt ist (Bundesbank 2010a:
30). Jedoch wird dabei außen vor gelassen, dass staatliche Wertpapiere eine sichere
Anlagemöglichkeit für den inländischen privaten, sowie für den ausländischen Sektor
bieten. Wird dem privaten Sektor diese Investitionsmöglichkeit genommen, um die
Maastricht-Kriterien einzuhalten, dann wird er wahrscheinlich, weil riskante Investitionen gemieden werden, vorerst seine Einkommen in Banken deponieren oder in ausländische Wertpapiere investieren. Jedenfalls ist dem inländischen Staat damit die
Möglichkeit genommen, die Ersparnisse des privaten Sektors durch die Ausgabe von
Wertpapieren durch Investitionen in den Umlauf zu bringen und zu Wirtschaftswachstum beizutragen. Der Zusammenhang zwischen den Bilanzen des öffentlichen-, privaten- und ausländischen Sektors, wie in Wrays MMT beschrieben, wurde von deutscher
Seite anscheinend nicht erkannt. Wird die Möglichkeit der Wertanlage in Wertpapiere
gedrosselt, kann das Sparverhalten der Haushalte auch dahingehend beeinflusst werden, dass weniger Rücklagen für das Alter geschaffen werden. Nach der Liquiditätstheorie von Keynes wird momentan in Deutschland auf festverzinsliche Wertpapiere als
Anlagemöglichkeit verzichtet, weil der Zins zu niedrig ist, um den Verzicht auf die Liquiditätspräferenz zu bezahlen. In der Schaffung der Schuldenbremse und der damit
verbundene Versuch der Rückführung der Schulden sowie der drastischen Leitzinssenkung und der Ausweitung der Geldmenge kann ein neoklassisch-monetaristischer Ansatz gesehen werden.
38
4.2.
Japan
Nachdem die Analyse des wirtschaftstheoretischen Ansatzes für Deutschland beendet
ist, wird sie nun, auf Japan bezogen, fortgeführt. Japan wurde zum Vergleich gewählt,
weil es einen, im internationalen Maßstab, ähnlich großen Output erzeugt, eine ähnliche demographische Entwicklung aufweist und ebenso exportorientiert ist wie
Deutschland. Dennoch gibt es grundlegende Unterschiede. Beispielsweise hielt Japan
während des gesamten Beobachtungszeitraums seine eigene Währung, war in Besitz
der souveränen Geldpolitik. Zudem wiesen die Schulden des öffentlichen Sektors eine
andere Struktur auf als die des deutschen öffentlichen Sektors. Da die Wirtschaftspolitik maßgeblich von der Regierung bestimmt wird, ist es relevant, dass in Japan während des Beobachtungszeitraum, mit Ausnahme von 2009, ausschließlich die Liberaldemokratische Partei (LDP) regierte, während in Deutschland konservative und sozialdemokratische Parteien, wenn auch über mehrere Legislaturperioden, abwechselnd
die Regierungsgewalt ausübten. Die daraus resultierende Möglichkeit, das in Japan
konsequenter ein wirtschaftstheoretischer Ansatz verfolgt wurde, bietet Raum für weitere Nachforschungen. Nur selten bestand in Japan ein Kabinett länger als ein Jahr.
4.2.1.
Bubble Economy und Große Stagnation
Bevor direkt auf die Bubble Economy in Japan eingegangen wird, soll ein Rückblick erfolgen, der zur Entstehung der Spekulationsblase in Japan beitrug. Es ist notwendig,
den Hintergrund der Bubble Economy zu beachten, um die fiskal- und geldpolitischen
Reaktionen der japanischen Regierung und der Zentralbank besser zu verstehen.
39
Im September 1985 wurde aufgrund des zu starken US-Dollars und des Leistungsbilanzdefizits der USA das Plaza-Abkommen unter den G5-Staaten4 beschlossen. Ziel war
eine US-Dollar-Abwertung, wodurch die USA wettbewerbsfähiger im Ausland werden
sollten, um über höhere Exporte das eigene Leistungsbilanzdefizit zu verringern. Dies
sollte einerseits durch die Stimulierung inländischer Nachfrage von Staaten mit Leistungsbilanzüberschüssen5, andererseits durch das Eingreifen der Zentralbanken durch
den Kauf von Yen und Deutschen Mark sowie dem Verkauf von US-Dollar geschehen.
Um die inländische Nachfrage zu stimulieren, wurden zwischen September 1986 bis
Mai 1987 Steuern gesenkt, geplante Steuererhöhungen widerrufen und die öffentlichen Ausgaben erhöht, was den öffentlichen Haushalt zusammen mit circa ¥ 9,0 Bln.
belastete und ein Jahrzehnt fiskalischer Konsolidierung beendete (Wright 2002: 250).
Als Nebeneffekt des Abkommens verzeichnete Japan 1986 einen um 46 % aufgewerteten Yen sowie zunehmende Defizite im Außenhandel (IMF 2011: 53). Es folgte das
Louvre-Abkommen der G6-Staaten (G5-Staaten + Kanada) im Februar 1987, um die
durch das Plaza-Abkommen ausgelöste Abwertung des US-Dollars zu stoppen (Dorn
2006). Unabhängig von der Erreichung des Ziels konnte die Aufwertung des Yen nicht
aufgehalten werden, was in einem Rückgang der Exporte und stagnierendem Wirtschaftswachstum gipfelte. Darauf reagierte die BOJ mit Zinssenkungen, was über die
Kreditvergabe an den privaten Sektor zu einer erhöhten Geldmenge im inländischen
Wirtschaftskreislauf führte. Vor allem Haushalte nahmen Kredite auf, um Immobilien
zu kaufen. Diese wurden bei Banken teilweise als Sicherheit hinterlegt, um weitere
Kredite zu erhalten, welche zu Investitionen in Aktien genutzt wurden. Vermögenswerte in Form von Aktien- und Landpreisen stiegen vor allem zwischen 1985 und 1989
stark an, was zunächst zu erhöhten öffentlichen Einnahmen führte (IMF 2011: 53;
Wright 2002: 251).
Ereignis: Das Plaza-Abkommen, welches für Japan sinkende Exporte und geringes Wirtschaftswachstum bedeutete und zu einer erhöhten Geldmenge führte, kann als eine
Ursache der Bubble Economy gesehen werden. Neben dem Plaza-Abkommen wird die
Deregulierung des japanischen Finanzmarkts während der 1970er Jahre, die großen
4
5
Die G5-Staaten bestehen aus Großbritannien, Japan, den USA, Deutschland und Frankreich.
Zu diesen Ländern zählten hauptsächlich Deutschland und Japan.
40
Unternehmen Zugang zum Kapitalmarkt gewährte, zur Begründung der Blase herangezogen (IMF 2011: 54). Infolgedessen stiegen die Preise auf Japans Aktien- und Immobilienmarkt6 überdurchschnittlich stark. Nach Abbildung 11 mehr als verdreifachte sich
der Wert des Leitindex Nikkei 225 in nur fünf Jahren bis die Spekulationsblase im Januar 1990 platzte. Preise von Aktien und Landflächen in Großstädten waren besonders
betroffen. Das Platzen der Blase wird als Ursache für die folgende Phase schwachen
Wirtschaftswachstums, der Großen Stagnation, betrachtet. Das sogenannte „verlorene
Jahrzehnt“, welches auf das Wirtschaftswachstum bezogen circa 15 Jahre anhielt, begann für japanische Unternehmen, Haushalte und Banken mit massiven Vermögensverlusten auf dem Aktien- und Immobilienmarkt.
Durch das Platzen der Blase verloren der private Sektor und der Finanzsektor massiv
Vermögen. Haushalte und Unternehmen, die zuvor Kredite aufgenommen hatten und
in Immobilien oder Aktien investierten, sahen sich sinkenden Preisen ihres Vermögens
konfrontiert. Durch die stark entwerteten Immobilien, die zur Sicherheit hinterlegt
wurden, waren auch Banken betroffen. Japanische Unternehmen fragten über 20 %
weniger Kredite nach und senkten die Investitionen (Koo 2009: 19). Dieser Nachfrageeinbruch wurde Stück für Stück über Jahre durch öffentliche Intervention kompensiert.
Der Staat reagierte fiskal- und geldpolitisch. Vor allem durch den Einsatz langjähriger
expansiver Fiskalpolitik wurde der Staatshaushalt belastet.
Wirtschaftspolitische Reaktion: Die Einnahmeseite wurde durch sinkenden Konsum direkt gemindert. Hinzu kamen Forderungen nach Steuererleichterungen, um die Volkswirtschaft über die aggregierte Nachfrage zu stimulieren. So verzeichnete der öffentliche Haushalt während der ersten zehn Jahre nach dem Platzen der Blase geringere
Steuereinnahmen von jährlich circa ¥ 5-8 Bln. verglichen mit 1990 (Wright 2002: 252).
Die Steuerbasis verringerte sich zusehends während der 1990er Jahre. Auf lokaler
Verwaltungsebene kam der Refinanzierung über Staatsanleihen deshalb eine zunehmend wichtige Bedeutung zu. Zwischen 1990 und 2000 erhöhte sich die Anzahl ausstehender Wertpapiere um den Faktor 2,5 auf ¥ 180 Bln. In Japan sind die Präfekturen
6
Es sind vor allem die Preise von Grundstücken und weniger die von Häusern betroffen gewesen.
41
und Kommunen jedoch auf die Genehmigung, Wertpapiere ausgegeben zu dürfen, der
zentralen Verwaltung in Tokyo angewiesen (Ihori und Sato 2010: 123).
Die Ausgabenseite wurde durch antizyklische Fiskalpolitik erhöht. Dabei wurden die
Ausgabenprogramme zu 96 % über drei Ministerien realisiert: Ministry of Construction
(MOC), Ministry of Agriculture, Food and Fisheries (MAFF) und Ministry of Transport
(MOT). Zwischen 1992-95 wurden ¥ 64,2 Bln. für antizyklische Maßnahmen ausgegeben, sodass das japanische Finanzministerium (MOF) allein 1995 ¥ 22,0 Bln. zusätzliche
Staatsanleihen ausgeben musste. Zwischen 1996-2006 beliefen sich die Ausgaben auf
über ¥ 200 Bln. Diese Ausgaben wurden sowohl vom MOF als auch von der regierenden LDP als notwendig deklariert, um die Phase schwachen Wirtschaftswachstums zu
überwinden (Wright 2002: 254-422).
Unter dem 2. Kabinett des Premierministers Hashimoto wurde jedoch 1997 mit dem
Fiscal Structural Reform Act die Konsolidierung des Staatshaushalts angestrebt. An die
Kriterien des Maastrichter Vertrags angelehnt, sollte das Haushaltsdefizit bis 2003 auf
der Ebene des Zentralstaats und der Kommunen drei Prozent des BIPs oder weniger
betragen (Wright 2002: 255).
Das Vertrauen der Banken untereinander war beschädigt, da hinterlegte Sicherheiten
an Wert verloren hatten und Kredite mit hohem Ausfallrisiko im Umlauf waren. Dadurch liehen sich Banken untereinander weniger Geld, was letztlich der gesamten
Wirtschaft schadete, weil angebotsseitig weniger Kredite vergeben wurden. Auf die
Nachfrageseite wird noch eingegangen. Abbildung 8 zeigt, dass die BOJ reagierte und
den Leitzins ab 1990-95 von anfänglich sechs Prozent auf unter ein Prozent senkte. Auf
diesem niedrigen Niveau verharrte der Zinssatz bis gegen Ende des Beobachtungszeitraums. 1999 erreichte der Interbankenzinssatz, über die Zero Interest Rate Policy
(ZIRP), effektive null Prozent, weil gegen dem Misstrauen am Finanzmarkt entgegengewirkt wurde. Mit Hilfe niedriger Zinssätze und Quantitative Easing, weil die Zinssenkung kaum einen Effekt erzielte, sollte von der Angebotsseite genügend Liquidität be42
reitgestellt werden, um die Ausfälle der aggregierten Nachfrage aufzufangen und über
Preissteigerungen zu Wirtschaftswachstum zu gelangen (Hutchison u.a. 2005: 17).
Doch die Kreditnachfrage konnte nicht stimuliert werden, weil sich Japan in einer Liquiditätsfalle befand, in der Unternehmen und Individuen keine weiteren Kredite
nachfragten. Ihre Präferenz lag im Zurückzahlen der bereits getätigten Schulden und
folgte nicht mehr der üblichen Annahme der Profitmaximierung, eine Prämisse, die
nach der Neoklassik immer von Wirtschaftssubjekten verfolgt wird.
Banken waren ebenso wie Unternehmen betroffen, weil Einlagen von Unternehmen
oft in Form von Aktien realisiert und Sicherheiten in Form von Immobilien hinterlegt
wurden. Dadurch schrieben Banken Verluste und hielten Vermögenswerte, die immer
mehr an Wert verloren, was teilweise zu Zahlungsausfällen führte. Auf dieses Problem
reagierte der Staat mit dem sogenannten convoy system, dem Zusammenlegen von insolventen und zahlungsfähigen Banken. Dafür wurden allein im Jahre 1995 ¥ 685 Mrd.
aus öffentlichen Mitteln verwendet. Insgesamt wurden 21 Finanzinstitutionen ¥ 1,8
Bln. zur Verfügung gestellt, um das gesamte Finanzsystem vor größeren Schäden zu
bewahren. Dies beinhaltete auch Verstaatlichungen (Hutchison u.a. 2005: 12).
Abbildungen 1,2 und 3.2 spiegeln den Anstieg der Staatsschulden Japans ab 1990 wider und können durchaus mit der expansiven Fiskalpolitik der folgenden Jahre erklärt
werden. Die zusätzlichen öffentlichen Ausgaben für das Stützen des Bankensektors
können allerdings nur einen kleinen Teil dieses Anstiegs erklären. Um der Phase
schwachen Wirtschaftswachstums zu entkommen, wurden die öffentlichen Ausgaben
ausgeweitet.
Wirtschaftstheoretischer Ansatz: Nachdem die bubble economy scheiterte, wurde
über viele Jahre expansive Fiskalpolitik betrieben, weshalb die Schuldenquote stetig
anstieg. Nach der MMT kann ein Staat nicht zahlungsunfähig werden, sofern bestimmte Kriterien erfüllt sind. Da der japanische öffentliche Sektor zu 95 % in seiner eigenen
Währung verschuldet ist, eine souveräne Geldpolitik betreibt und seine Währung auf
43
dem internationalen Markt handelbar ist, kann der öffentliche Sektor nicht insolvent
werden. Die MMT wurde berücksichtigt, ansonsten hätte es in Japan kaum eine Schuldenquote von 200 % des BIP gegeben und es wären schon frühzeitig Konsolidierungsmaßnahmen eingeleitet worden.
Die expansiv-fiskalische Reaktion auf das Platzen der Blase wird in der Literatur verschieden, sogar entgegengesetzt, aufgefasst: Aus dem neoklassischen Lager wird die
große Stagnation Japans als Beleg für das Versagen antizyklischer Fiskalpolitik gesehen.
Es wird argumentiert, dass obwohl große Summen fiskalischer Stimuli realisiert worden sind, Japan über viele Jahre in einer Phase sehr schwachen oder gleichbleibenden
Wirtschaftswachstums verharrte (Kuttner und Posen 2002: 537).
Der Postkeynesianer Koo hingegen sieht in den konsequenten fiskalischen Eingriffen
der Regierung die Rettung des japanischen Wirtschaftssystems, weil diese den Rückgang der Kreditnachfrage der Unternehmen ausglichen. Zudem wurde somit Zeit gekauft, sodass sich die überschuldeten Firmen über ihren Kapitalfluss langsam entschulden konnten. Alleine 2002-03 zahlten japanische Unternehmen Schulden in Höhe von
¥ 30 Bln. zurück. Das ist das Kernelement der Balance-Sheet-Recession. Nach Koo ist
der nahezu gleichbleibende Level wirtschaftlichen Outputs nach dem Platzen der
bubbly economy hauptsächlich den jährlichen Ausgaben des öffentlichen Sektors zu
verdanken. Ohne diese Ausgaben wäre der Lebensstandard in Japan höchstwahrscheinlich stark gesunken, wie es in den USA während der großen Depression der Fall
gewesen war. Während der Großen Stagnation ist es nach Koo eher die Geldpolitik
gewesen, die wegen ausbleibender Nachfrage keinen Effekt erzielen würde. Japan befand sich in einer nachfrageseitigen Liquiditätsfalle (Koo 2009: 12-29).
Die Debt-Deflation-Theory kann zwar das Verhalten der Unternehmen, jedoch nicht
das des öffentlichen Sektors erklären. Japan befand sich über Jahre in einer deflationären Phase, was nach Fisher und seinem neoklassischen Ansatz einen Anreiz darstellt,
Schulden abzubauen. Jedoch nahm der öffentliche Sektor immer mehr Schulden auf,
44
um die verabschiedeten, fiskalischen Maßnahmen zu finanzieren und der Deflationsspirale zu entkommen. Unternehmen nutzten im Gegensatz ihren Kapitalfluss, um
Schulden abzubauen.
Nach dem Monetarismus schafft sich das Angebot seine Nachfrage, Staatsschulden
stören das Wirtschaftswachstum und der Zinssatz der Zentralbank regelt die im Umlauf
befindliche Geldmenge. Während der Stagnation traf wahrscheinlich keiner dieser
Punkte zu, weil obwohl die BOJ historisch niedrige Zinssätze setzte, kaum Geld nachgefragt wurde und sich, entgegen dem Sayschen Theorem, das (Geld-) Angebot nicht seine Nachfrage geschaffen hat. Zudem hat das regelmäßige Aufnehmen von Staatsschulden wahrscheinlich dafür gesorgt, dass es nicht zu negativem Wirtschaftswachstum kam, es kurzfristig und sogar langfristig über 15 Jahre stabilisiert wurde. Der Monetarismus setzt Wirtschaftssubjekte voraus, die jederzeit profitmaximierend agieren.
Jedoch haben Wirtschaftssubjekte des privaten Sektors wegen massiver Verluste nur
das Ziel verfolgt, Schulden abzubauen und keine weiteren aufzunehmen, gleich wie
günstig diese auch gemacht wurden. Daher wurde der monetaristische Ansatz nicht
verfolgt.
Da der immense Vermögensverlust des privaten Sektors in Japan vergleichbar war mit
dem während der großen Depression der USA, sollte eine entsprechende Schmälerung
des BIP erwartet werden. Diese setzte aber trotz eines privaten Nachfragerückgangs
nicht ein. An dieser Stelle scheint es plausibel, dass die zusätzlichen öffentlichen Ausgaben zu diesem Ergebnis beitrugen. Demnach finanzierten die akkumulierten Staatsschulden die zusätzlichen Ausgaben, weil die Steuerbasis ebenfalls durch die Folgen
der bubble economy verkleinert wurde.
Der 1997 angelaufene Fiscal Structural Reform Act zielte zwar inhaltlich auf die Konsolidierung des öffentlichen Haushalts ab, doch wurde beispielsweise das Ziel eines
Haushaltsdefizits von drei Prozent des BIPs oder weniger bis zum Jahr 2003 nicht an-
45
nähernd erreicht, wie auf Abbildung 2 abgebildet und kann daher vernachlässigt werden.
4.2.2.
Finanzkrise und Dreifachkatastrophe
In jüngster Zeit haben vor allem zwei Ereignisse auf die japanische Wirtschaftspolitik
eingewirkt: 2007-09 war es die globale Finanzkrise und 2011 die Dreifachkatastrophe,
bestehend aus Erdbeben, Tsunami und einem nuklearen Unfall an der nordöstlichen
Küste Japans.
Ereignis: 2006 konnte sich Japan beinahe von der großen Stagnation lösen, als es 2007
von der internationalen Finanzkrise erfasst wurde. Der Finanzsektor Japans war kaum
von den ausfallgefährdeten Hypotheken aus den USA betroffen gewesen, weil japanische Finanzinstitute diese nur geringfügig handelten. Die Bilanzen japanischer Banken
verzeichneten 2008 dennoch Verluste: circa ¥ 0,92 Bln. durch Subprime-Produkte und
¥ 9,64 Bln. durch Aktien verschuldet (Fujii; Kawai 2010: 16). Abbildung 11 zeigt, dass
der Leitindex Nikkei 225 2008/09 circa 50 % seines Wertes verlor. Zudem wirkte sich
die internationale Finanzkrise durch einen anderen Mechanismus auf Japan aus. Weil
in Zeiten zunehmender Unsicherheit die japanische Währung als stabil galt, kam es zu
vermehrten Kapitalflüssen in das Land, was über die direkte Aufwertung des Yen sinkende Exporte verursachte. Zwischen Juli 2007 bis Dezember 2008 hat der Yen gegenüber dem US-Dollar nominal um 26,2 % aufgewertet (Obstfeld 2009: 14-20). Zudem
sank die internationale Nachfrage nach japanischen Exporten, weil sich die Weltwirtschaft in einer Abschwungphase befand. Exporte nach Asien, Europa und die USA verringerten sich 2009, gegenüber dem Vorjahr, um mehr als 30 % (OECD 2013: 15). Dass
Japans Schuldenquote während der Finanzkrise weiterhin anstieg, hat nicht nur mit
den in dieser Zeit anfallenden Haushaltssalden zu tun, sondern auch mit der Bezugsgröße, dem BIP, welches stark sank.
46
Abbildung 2 zeigt, dass Japan 2009 zwar ein hohes Haushaltsdefizit von circa 18 % verzeichnete, es anschließend jedoch die Tendenz zu einem ausgeglichenen Haushalt gab,
welche 2011, dem Jahr der Dreifachkatastrophe, unterbrochen wurde. Durch die allmähliche Abschaltung sämtlicher Atomkraftwerke mussten verstärkt fossile Energieträger in das Inland importiert werden, weshalb Japan zuletzt Leistungsbilanzdefizite
verzeichnete. Das Defizit wird durch das Ziel steigender Exporte durch einen schwachen Yen unterstützt.
Wirtschaftspolitische Reaktion: Abbildung 8 zeigt deutlich, dass die BOJ die ZIRP wieder
aufnahm, nachdem sie den Leitzins zuletzt angehoben hatte. Dies hatte vor allem die
Abwertung des Yen zum Ziel, um die erlittenen Defizite der Leistungsbilanz auszugleichen. Zudem hob die BOJ erstmals das Inflationsziel auf zwei Prozent an. Um das Ziel
zu erreichen, kaufte die BOJ JGBs und erhöhte somit die monetäre Basis der Volkswirtschaft. Die Geldpolitik sieht sich damit zwei Zielen konfrontiert, einem außenwirtschaftlichen, einem exportbegünstigenden Wechselkurs und einem inländischen, der
Inflationsrate. Problematisch an dem Inflationsziel ist die Tatsache, dass japanische
Haushalte einen großen Teil ihrer Ersparnisse in JGBs investiert hatten und durch das
Inflationsziel praktisch keine Erträge mehr realisiert werden konnten. Zudem waren die
nominalen Löhne seit circa 15 Jahren gefallen. Es brauchte also Lohnerhöhungen, damit Haushalte und ihre Kaufkraft nicht durch das neue Inflationsziel beeinträchtigt
wurden. Daher wurde zuletzt ein unkonventioneller Ansatz verfolgt, um die Löhne zu
erhöhen. Dieser soll aus aktuellem Anlass und wohlwissend, dass der Beobachtungszeitraum verlassen wird, vorgestellt werden.
Der nach Premierminister Shinzo Abe benannte „Abenomics“ besteht aus sogenannten
drei Pfeilen: expansive Geldpolitik, fiskalische Stimuli von ¥ 5 Bln. und Strukturreformen. Ein großes Problem, das dabei überwunden werden muss, ist das Bestreben japanischer Unternehmen, ihre Kapitalflüsse weiterhin zum Schuldenabbau zu verwenden. Dieses Verhalten stammt noch immer vom Trauma des Platzens der Bubble Economy. Stattdessen sollten diese Kapitalflüsse für Lohnerhöhungen verwendet werden.
Die nominalen Löhne in Japan sind zwischen 1997 bis 2012 von ¥ 279 Bln. auf ¥ 244,7
47
Bln. gefallen. Nun versuchen, Vertreter der Regierung, der Unternehmen und Betriebsräte sich auf dieses Problem zu verständigen und deutlich höhere Löhne durchzusetzen. Damit wäre die Verbindung der Unternehmensgewinne und der Löhne wiederhergestellt und würde den inländischen Konsum stärken, was sich direkt auf das Wirtschaftswachstum und die Teuerungsrate auswirken soll (Abe 2014). Es darf jedoch
nicht außer Acht gelassen werden, dass der japanische private Sektor große Menge
seiner Ersparnisse in Form japanischer Staatsanleihen bindet. Eine Erhöhung der Inflationsrate würde den Realzins der ohnehin niedrig verzinsten Wertpapiere schmälern
und eine solche Anlage unattraktiv gestalten, was wiederum Konsequenzen für die Refinanzierung des öffentlichen Sektors in sich birgt. Andererseits würden die Steuereinnahmen wegen des erhöhten Konsums ansteigen und dieses Problem neutralisieren.
Fiskalpolitisch wurde zunächst weniger interveniert als während der letzten großen
Krise des Finanzsektors. Erst unter Premierminister Abe wurde fiskalpolitisch expansiv
reagiert. Der Grund lag in den akkumulierten Schulden des öffentlichen Sektors. Man
wollte einen „nachhaltigen“ öffentlichen Haushalt bewahren doch die Schuldenquote
wuchs von 2007-09 von 183 % auf 210,3 % des BIPs an. Auch wegen einer alternden
Gesellschaft und den damit verbundenen Ausgaben für eine robuste soziale Sicherung,
wurden die fiskalpolitischen Maßnahmen gering gehalten.
Die Regierung leitete Maßnahmen zur Verringerung der Staatsschulden ein, beispielsweise durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer von fünf auf zehn Prozent bis 2015.
Obwohl Japans Wirtschaft exportorientiert ist, ergibt sich sein BIP doch aus 60 % des
inländischen Konsums, was als Gegenargument einer Mehrwertsteuererhöhung herangezogen werden kann, weil das Wirtschaftswachstum durch geringeren Konsum negativ beeinflusst wird.
Durch die Dreifachkatastrophe wurden zusätzliche Ausgaben unternommen, um beispielsweise die direkt betroffenen Menschen zu unterstützen oder Kompensationen
des erfolgten Schadens zu finanzieren. Zusammen ergaben sich für das Fiskaljahr 2011
48
¥ 652,8 Mrd., die für diese Ziele aufgewendet wurden. Dies entspricht circa 13,9 % des
BIP von 20117. Zusätzliche ¥ 800 Mrd. wurden als Notfallreserven bereitgestellt (Noda
2011).
Wirtschaftstheoretischer Ansatz: Je höher die Schuldenquote Japans ansteigt, umso
brisanter wird die Frage nach dessen Zahlungsfähigkeit. Es gibt grundsätzlich verschiedene Ansichten, wie mit der hohen öffentlichen Verschuldung Japans umgegangen
werden soll. Genau hierin lassen sich auch die unterschiedlichen wirtschaftstheoretischen Grundlagen erkennen. So raten beispielsweise die OECD und der IWF Japan zur
Konsolidierung, einen neoklassischen Ansatz verfolgend, um die fiskalische Nachhaltigkeit zu gewährleisten. Vor allem die alternde Bevölkerung Japans spielt hier eine
Schlüsselrolle (OECD 2013: 10). Außerdem könnte, nachdem sich die Weltwirtschaft
gänzlich von der Finanzkrise erholt hat, wieder vermehrt Kapital in risikoreiche Anlagen
fließen, was die Nachfrage nach japanischen Staatsanleihen senken und die Refinanzierungskosten erhöhen würde (Lam; Tokuoka 2011: 3). An anderer Stelle wird über die
MMT argumentiert, dass der japanische öffentliche Sektor ein Risiko, zahlungsunfähig
zu werden, praktisch nicht vorhanden ist, weil bestimmte Kriterien erfüllt sind, wie
beispielsweise das Vorhandensein einer souveränen Geldpolitik und der Verschuldung
in eigener Währung (Mitchell 2013). In der Tat verhielten sich die Zinsen der JGBs mit
10-jähriger Laufzeit nicht, wie es von europäischen Staaten gezeigt wurde, nämlich einem zunehmenden Zinssatz, der das Ausfallrisiko wiederspiegelt, wenn die Schuldenquote steigt. Stattdessen fiel nach Abbildung 6 der Zinssatz nahezu kontinuierlich während des zu beobachtenden Zeitraums obwohl die Schuldenquote anstieg.
Während des letzten Zeitabschnitts verschuldete sich der Staat weiterhin nach einer
kurzen Phase der Konsolidierung 2006/07 durch Reaktionen auf die Finanzkrise und die
Dreifachkatastrophe. Allerdings wird vermehrt nach fiskalischer Konsolidierung gefordert, nicht zuletzt wegen der alternden Gesellschaft und damit verbundenen geringeren Steuereinnahmen, Wirtschaftswachstum, höheren Ausgaben der sozialen Sicherung und geringerer, inländischer Nachfrage nach JGBs. Dies ist relevant weil circa 95 %
7
Mit dem BIP aus der Datenbank Eurostat der Europäischen Kommission (Eurostat 2014).
49
der JGBs von inländischen Gläubigern gehalten wurden. Dabei wird das von der MMT
beschriebene Nullsummenspiel der Bilanzen des öffentlichen, privaten und ausländischen Sektors nicht berücksichtigt. Danach würde, bei gleichbleibender Bilanz des ausländischen Sektors, eine Rückführung der Schulden des öffentlichen Sektors eine
Schmälerung des Vermögens des privaten Sektors erfolgen. Nach der MMT würde bei
gleichbleibender Bilanz des ausländischen Sektors eine Konsolidierung der Bilanz des
öffentlichen Sektors automatisch eine Verringerung des Vermögens des privaten Sektors nach sich ziehen und die Nachfrage nach JGBs senken.
4.3.
Zusammenfassung
Die jeweils von Deutschland und Japan verfolgten wirtschaftstheoretischen Ansätze
wurden nun identifiziert und in Tabelle 1 kondensiert dargestellt. Zusammengefasst
verfolgen beide Länder im Allgemeinen unterschiedliche Ansätze: Deutschland tendiert
zur Neoklassik, Japan zum Postkeynesianismus. Natürlich gibt es Abweichungen, beispielsweise wies Deutschland seit Euro-Einführung stets eine überhöhte Schuldenquote auf und verletzte ein Maastrichter Kriterium. Trotzdem sollen in Deutschland die
Maastricht-Kriterien und die selbst eingeführte Schuldenbremse für einen konsolidierten Haushalt sorgen. Es wird oft argumentiert, dass Staatsschulden ein Störfaktor sind
und Steuereinnahmen für andere Zwecke ausgegeben werden sollten als für die Rückzahlung von Schulden und deren Zinsen. In Japan dagegen, stieg die Schuldenquote
während des Beobachtungszeitraum stark an. Doch wurden nach dem Platzen der Blase im Aktien- und Immobilienmarkt mit expansiven fiskalpolitischen Maßnahmen
höchstwahrscheinlich größere Schäden der Volkswirtschaft vermieden. Ist es wirklich
erstaunlich, dass die Zinsen für 10-jährige Staatsanleihen, während die Schuldenquote
immer mehr anstieg, sanken? Nach der MMT kann der japanische Staat nicht zahlungsunfähig werden, weil bestimmte Kriterien erfüllt sind. Auslaufende JGBs können
und müssen immer wieder von der BOJ aufgekauft werden. Deutschland hat diese Op-
50
tion nicht (mehr) und sieht sich gezwungen, die Staatsfinanzen mit Hilfe der Schuldenbremse zu reduzieren.
Tabelle 1 - Übersicht der verfolgten wirtschaftstheoretischen Ansätze
Ereignis
Wiedervereinigung
und MaastrichtKriterien
Deutschland
Wiedervereinigungsbedingte Ausgaben/
Functional Finance
Maastricht-Kriterien/
Monetarismus
Ereignis
Bubble Economy und
Große Stagnation
Einführung des
Euro - von der
Bundesbank zur
EZB
Maastricht-Kriterien/
Monetarismus
Finanzkrise
und Dreifachkatastrophe
Der Neue Markt
Keine Reaktion, jedoch
Haushaltskonsolidierung
angestrebt/ Neoklassik
Deregulierung des Finanzmarkts/ Minsky (FIH)
Konjunkturprogramme
(schwach ausgeprägt)/
Functional Finance
Schuldenbremse/ Monetarismus
Schuldenkrise in
der EWU
Japan
Fiskalpolitische Ausgaben und Leitzinssenkung/ Balance
Sheet Recession,
MMT, Keynesianismus, Functional
Finance
Nicht: Debt Deflation
Theory
Abenomics/ MMT,
Functional Finance
Konsolidierung gefordert, Demographie/
Neoklassik
5. Ergebnis
Es soll festgehalten werden, dass je nachdem, wie Staatsschulden aufgefasst werden,
entsprechend gehandelt wird. Nach neoklassischen Ansätzen sollten Staatsschulden
gemieden werden, weil sie den Wirtschaftsprozess stören. Nach dem Postkeynesianismus ist es nicht Ziel, die Schulden des öffentlichen Sektors jemals zurückzuführen.
Sie sind vielmehr ein Werkzeug, um Wirtschaftszyklen auszugleichen und in Phasen
schwachen Wachstums die Volkswirtschaft zu stimulieren. Durch die Medienwelt ver51
breitet, haftet Staatsschulden insbesondere seit der Schuldenkrise in der EWU ein negatives Image an. Das macht es für Politiker schwierig, einen postkeynesianischen Kurs
zu verfolgen und gegenüber der Bevölkerung zu rechtfertigen.
Japan, vor allem postkeynesianische Ansätze verfolgend, begegnete erfolgreich den
während des Beobachtungszeitraums aufgetretenen Herausforderungen. Trotz einer
Schuldenquote von 200 % des BIPs und mehr ist der japanische Staat nicht zahlungsunfähig geworden. Stattdessen hat die durch expansive Fiskalpolitik und Quantitative
Easing stattgefundene Schuldenaufnahme des öffentlichen Sektors höchstwahrscheinlich die realwirtschaftlichen, negativen Folgen seit Beginn der 1990er Jahre stark gemindert. In Deutschland wurde im Gegensatz überwiegend ein neoklassischer Ansatz
verfolgt. Auch der Beitritt in die EWU änderte daran nichts, weil schon vor der EuroEinführung die Kriterien von Maastricht berücksichtigt wurden, wenn auch vergebens.
Daher wies Deutschland zwischen 1990-2012 eine geringere Schuldenquote als Japan
auf. Dabei spielten sowohl die Kriterien der EU aber auch die eigene Haushaltsdisziplin
durch die Schuldenbremse eine Rolle. Es müssen zwei Punkte kritisch angemerkt werden: Von Deutschland wurde das Einhalten der Maastricht-Kriterien nicht so strikt abverlangt, wie es von peripheren EWU-Mitgliedern erwartet wurde und wird. Deutschland müsste nach den Kriterien seine Schuldenquote mittlerweile um circa 20 % senken. Eine durch Austeritätspolitik betriebene Schuldenminderung hätte wahrscheinlich
ähnliche Auswirkungen, wie sie bereits in den peripheren EWU-Staaten beobachtet
werden können: hohe Arbeitslosigkeit und negatives Wirtschaftswachstum. Als zweiten Kritikpunkt soll auf das makroökonomische Umfeld aufmerksam gemacht werden.
Gegen Ende des Beobachtungszeitraums befand sich Deutschland wahrscheinlich in
einer ähnlichen Situation wie Japan während der 1990er Jahre. Die EZB fuhr seit Jahren
einen expansiven geldpolitischen Kurs und verfolgte erfolglos eine ZIRP. Auf das Wirtschaftswachstum Deutschlands hatte dies keinen Effekt. Deutschland, sowie die übrigen EWU-Mitgliedsstaaten befanden und befinden sich wahrscheinlich in einer nachfrageorientierten Liquiditätsfalle und dennoch wird eine Austeritätspolitik betrieben,
die letzten Endes nicht nur negative realwirtschaftliche Effekte erzeugt, sondern auch
zu einer noch höheren Schuldenquote beitragen kann.
52
Der Generationenkonflikt ist zentral, sobald Staatsschulden thematisiert werden. Dabei stehen sich zwei Ansichten gegenüber. Einerseits sollten Staatsschulden möglichst
nicht aufgenommen werden, um künftige Generationen nicht zu belasten, andererseits
würden künftige Generationen von heute getätigten Investitionen profitieren, was ihnen das Zurückzahlen der künftigen Schuldenlast erleichtert. Die Gesellschaften in Japan und Deutschland werden tendenziell älter und die arbeitsfähige Bevölkerung
nimmt quantitativ ab. Für Japan kann der ehemalige Heimvorteil der Staatsschuldenstruktur zu einem Nachteil werden, weil mit sinkenden Ersparnissen der Bevölkerung
und der damit einhergehenden, geringeren Nachfrage nach JGBs zu rechnen ist. Hinzu
kommt, dass die wichtigen Gläubiger der JGBs, wie Banken, Rentenfonds und Versicherungen auf dem internationalen Finanzmarkt in Anlagen mit attraktiveren Renditen investieren könnten, nachdem sich die Turbulenzen der internationalen Finanzkrise
überstanden sind. Nichtsdestotrotz kann die BOJ den daraus resultierenden Nachfragerückgang durch eigene Anleihekäufe kompensieren. Für Deutschland gilt diese Option nicht, weil es einer Gemeinschaftswährung mit einer für alle Mitgliedsstaaten handelnden Zentralbank beigetreten ist. Nur wenn Deutschland in eine fragile finanzpolitische Situation gerät, womit derzeit nicht zu rechnen ist, kann der deutsche Staat unter
Auflagen des ESM unbegrenzt Wertpapiere an die EZB verkaufen. Im Gegensatz zu Japan, erfüllt Deutschland also zwei wichtige von der MMT geforderte Faktoren nicht,
die es erlauben, dass ein Staat nicht zahlungsunfähig werden kann: eine Verschuldung
in einheimischer Währung und eine souveräne Geldpolitik.
Weiterhin wurde, mit Blick auf die Verschuldung des öffentlichen Sektors, die Theorie
des Postkeynesianismus im Allgemeinen und die MMT im Speziellen bestätigt, weil sich
der große Schuldenstand Japans nicht negativ auf die Wirtschaft ausgewirkt hat und
der öffentliche Sektor, trotz relativ hoher Schuldenquote, keine Insolvenz fürchten
musste. Selbiges gilt für die Balance-Sheet-Recession, weil Unternehmen nach dem
Platzen der bubbly economy tatsächlich weniger Kredite nachgefragten und Japan in
einer nachfrageorientierter Liquiditätsfalle gefangen war. Nur durch fiskalpolitische
Maßnahmen wurden Kredite nachgefragt, weshalb die aggregierte Nachfrage stimuliert und das Niveau des Outputs gehalten werden konnte. Es wäre mit Sicherheit stark
53
gesunken, nachdem der private Sektor durch das Platzen der Aktien- und Immobilienblase ¥ 1.500 Bln. verloren hatte. Der neoklassische Ansatz sieht sich in dieser Arbeit
als weniger begründet dargestellt. Deutschland konnte keine nennenswerten Erfolge in
der Schuldenrückführung des öffentlichen Sektors vorweisen, obwohl dies durch die
Schuldenbremse und die Maastrichter Kriterien verlangt war. Allein die unbegründete
Festlegung der EU-Richtlinie, die Schuldenakkumulation auf maximal 60 % des BIP einzuschränken, erscheint wissenschaftlich fragwürdig. Jedoch verfügen EWU-Mitglieder
nicht die geldpolitischen Freiheiten, wie sie beispielsweise Japan besitzt, was einen
Kurs der Schuldenkonsolidierung eher rechtfertigen würde als es die Kriterien des
Maastrichter Vertrags tun. Die Debt-Deflation-Theory Fishers konnte in Japan während
der Großen Stagnation nicht bestätigt werden, weil der öffentliche Sektor weitere
Schulden aufnahm, anstatt welche abzubauen.
Letzten Endes sollten Staatsschulden als das gesehen werden, was sie sind: ein Versprechen des öffentlichen Sektors an den entsprechenden Gläubiger des privaten oder
ausländischen Sektors, zu einem künftigen Datum den geliehenen Geldbetrag, normalerweise verzinst, zurückzuzahlen. Ohne sie gäbe es für den privaten Sektor praktisch
kein Vermögen.
54
Abbildungen
Abbildung 1 - Schuldenquote Deutschlands und Japans, 1990-2012 (% des BIP)
250
200
150
Deutschland
100
Japan
50
*1990
1991
1992
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
2009
2010
2011
**2012
0
Quelle: Eigene Grafik mit Daten aus: IMF (2012)
* Wert für Deutschland gilt für Westdeutschland vor der Wiedervereinigung (Bundesbank 2010b: 22);
Ostdeutschland wies im Jahr 1990 eine öffentliche Verschuldung von 92,4 % des BIP auf (Mai 2002: 2)
** Daten für das Jahr 2012 aus: IMF (2013a), S. 5
55
Abbildung 2 - Jährlicher Haushaltssaldo Deutschlands und Japans, 1990-2012 (% des BIP)
5
1990
1991
1992
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
2009
2010
2011
*2012
0
-5
Deutschland
Japan
-10
-15
-20
Quelle: Daten aus: IMF (2012)
*Daten für 2012 aus: IMF (2013a), S. 5
Abbildung 3.1 - Öffentliche Bruttoverschuldung Deutschlands pro Kopf, 1990-2012 (in
Euro)
30000
25000
20000
15000
10000
5000
2012
2011
2010
2009
2008
2007
2006
2005
2004
2003
2002
2001
2000
1999
1998
1997
1996
1995
1994
1993
1992
1991
*1990
0
Quelle: Daten aus: IMF (2013b)
* Da die Währungsunion nach der Wiedervereinigung erst im Juni 1990 stattfand, gibt es keine öffentliche Verschuldung der Bundesrepublik Deutschland 1990 (Mai 2002: 2)
56
Abbildung 3.2 - Öffentliche Bruttoverschuldung
Brutt
Japans pro Kopf, 1990-2012
2012 (in
(
Yen)
10000000
9000000
8000000
7000000
6000000
5000000
4000000
3000000
2000000
1000000
2012
2011
2010
2009
2008
2007
2006
2005
2004
2003
2002
2001
2000
1999
1998
1997
1996
1995
1994
1993
1992
1991
1990
0
Quelle: Daten aus: IMF (2013b)
te Brutto
Bruttoverschuldung Deutschlands und Japans pro Kopf, 1991Abbildung 3.3 - Indexierte
2012 (in landeseigener
igener W
Währung; 1991 = 100)
400
350
300
250
Deutschl
Deutschland
(in Euro)
200
Japan (in Yen)
150
100
50
0
1991 1993 1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007 2009 2011
Quelle: Eigene Berechnung mit Daten
Dat aus: IMF (2013b)
57
Abbildung 4 - Jährliche Inflation
Inflationsrate Deutschlands und Japans, 1990-2012
2012
Quelle: IMF (2013c)
jähriger Staatsanleihen von Deutschland, 1990-2012
2012 (in %)
Abbildung 5 - Zinsen 10-jähriger
Quelle: Tradingeconomics (2013a)
58
Abbildung 6 - Zinsen 10-jähriger
jähriger Staatsanleihen von Japan, 1990-2012
Quelle: Tradingeconomics (2013b)
ng des Ha
Hauptrefinanzierungszinses der EZB, 1998-201
2012
Abbildung 7 - Entwicklung
Quelle: Tradingeconomics (2013c)
59
Abbildung 8 - Entwicklung
ng des Tagesgeldsatzes der BOJ, 1990-2012
Quelle: Tradingeconomics (2013d)
er Gesam
Gesamtverschuldung des Bundes einschließlich
eßlich So
Sondervermögen,
Abbildung 9 - Struktur der
am Jahresende 2012 (in
( Mio. Euro und Anteile in %)
Bundesanleihen
en 631.4
631.425 (57,6 %)
Bundesobligationen
tionen 21
217.586 (19,9 %)
Bundesschatzanweisun
anweisungen 117.719
(10,7 %)
Unverzinslichee Schatza
Schatzanweisungen
49.103 (4,5 %)
Bundesschatzbriefe
briefe 6.8
6.818 (0,6 %)
Finanzierungsschätze
schätze 2
229 (0,0 %)
Tagesanleihe 1.725 (0,
(0,2 %)
chuldscheindarlehen
rlehen 1
12.022 (1,1 %)
sonstige Schulden
lden 6.78
6.786 (0,6 %)
Inflationsindexierte
xierte
Bundeswertpapiere
apiere 52
52.119 (4,8 %)
Quelle: Daten aus: BMF (2012): 17
60
Abbildung 10 - Zinsentwicklung 10-jähriger Staatsanleihen ausgewählter EWU Mitglieder und
Großbritannien, 1991-2011
Quelle: Missio (2012): 2
Abbildung 11 - Entwicklung des japanischen Leitindex Nikkei 225, 1984-2012
Quelle: Yahoo (2014)
61
Abbildung 12 - Struktur der öffentlichen Verschuldung Deutschlands, 2001-2012 (in Mio. €)
2.000.000,00
1.800.000,00
Gesamt
1.600.000,00
Bundesbank
1.400.000,00
1.200.000,00
Kreditinstitute
1.000.000,00
Sozialversicherungen
800.000,00
600.000,00
Sonstige inländische
Nichtbanken
400.000,00
Ausland
200.000,00
0,00
2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Quelle: Daten aus: Bundesbank (2014)
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Eidesstattliche Erklärung
Hiermit erkläre ich an Eides Statt, dass ich die vorliegende Abschlussarbeit selbständig und
ohne fremde Hilfe verfasst und andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht
benutzt habe. Die den benutzten Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen
(direkte oder indirekte Zitate) habe ich unter Benennung des Autors/der Autorin und der
Fundstelle als solche kenntlich gemacht. Sollte ich die Arbeit anderweitig zu Prüfungszwecken eingereicht haben, sei es vollständig oder in Teilen, habe ich die Prüfer/innen und
den Prüfungsausschuss hierüber informiert.
Ort, Datum
Unterschrift
72
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