1 Einleitung 1.1 Hodentumoren 1.1.1 Epidemiologie In der männlichen Bevölkerung sind Keimzelltumoren mit einer Inzidenz von einem Prozent seltene Tumoren, stellen aber zwischen dem 15. und 45. Lebensjahr den Hauptanteil35. Gesicherte Prädispositionsfaktoren sind testikuläre Entwicklungsstörungen (Kryptorchismus, Maldeszensus) und ein anamnestisch kontralateral sowie familiär aufgetretener Hodentumor30. Darüber hinaus werden Anomalien der Spermatozyten, rassische und geografische Besonderheiten70, pränatale Traumata und Östrogeneinwirkungen, Umwelt- und Ernährungsfaktoren sowie genetische Veränderungen als Einflussfaktoren diskutiert46,89. 1.1.2 Genese Die Tumorgenese vollzieht sich in mehreren Abschnitten über einen Zeitraum von Jahren bis Jahrzehnten, wobei aufgrund der Häufigkeitsspitze des männlichen Keimzelltumors im frühen Lebensabschnitt die initialen Ereignisse bereits intrauterin oder in den ersten Lebensjahren vermutet werden70. Abbildung 1.1 zeigt die Entstehungshypothese der verschiedenen Tumorarten aus der gemeinsamen Vorstufe, der testikulären intraepithelialen Neoplasie (TIN)46. Primordiale Keimzelle Initiation: Genetische Faktoren, Epigenetische Phänomene, Umweltfaktoren (Karzinogene, Viren, Mutation) Promotion: Verlust der genomischen Prägung Primordiale Keimzelle* Primordiale Keimzelle** Progression: Aneuploidisierung; Verluste in Chromosomen 11, 13, 18; Amplifikationen in Chromosomen 7, 8, 12, X Seminom TIN (3-4 N) ChorionCa Extraembryonales Gewebe YolksacTumor Embryonales Karzinom Reifes Teratom Embryonales Gewebe Spermatozytisches Seminom Unreifes Teratom Abbildung 1.1: Pathogenese der Keimzelltumoren (*/**: zunehmende maligne Veränderung) Bekannte, möglicherweise pathogenetisch relevante Faktoren sind42,46,70,89,109: - Überexpression von Abschnitten auf den Chromosomen 12p und 17q mit Überexpression dort lokalisierter Onkogene und Senkung der Apoptosefähigkeit 1 - Tumorsuppressorinaktivierung durch Allelveränderung nach „Loss of Heterozygoty“ (LOH; Nachweis für Suppressoren auf p18 und p19) - Polyploidisierung des Genoms - Inaktivierung des Tumorsuppressors Rb, nicht durch Mutation, sondern wahrscheinlich durch o Inhibition von Transkription und/oder Translation o Überexpression von Cyclin D, möglicherweise durch benachbarte Lokalisation zu aktivierten Abschnitten im Chromosom 12 Folgen: Mangelhafter Zellzykluscheck in G1-Phase Die in der Mehrzahl (ca. 60%) aller humanen Tumoren vorliegende Mutation des zentralen Tumorsuppressors p53 liegt im männlichen Keimzelltumor nicht vor, jedoch scheint der Gehalt an wt-p53 keinen Einfluss auf das Outcome zu haben78. Vielmehr wird vermutet, dass sich das p53-Molekül während der Tumorgenese inaktiv verhält, durch zugegebene Chemotherapeutika aktiviert und damit die Apoptose eingeleitet wird71. Eine schematische Zusammenhangsdarstellung der genannten pathogenetischen Faktoren sowie weiterer, später erwähnten Faktoren zeigt Abbildung 1.25,38,62,69. Abbildung 1.2: Einflussfaktoren in der Pathogenese der Keimzelltumoren 1.1.3 Therapie Mit Heilungsraten von über 80% gilt der männliche Keimzelltumor als eines der am besten behandelbaren Malignome. Dies ist der Entdeckung der zytotoxischen Wirkung von Cisplatin 2 zuzuschreiben, welches seit 1974 in der Tumortherapie eingesetzt wird. Davor galten Remissionsraten von 50% und Komplettheilungsraten von 10% als realistisch35. Die derzeitige Therapiestrategie richtet sich nach der Histologie und dem Stadium des Tumors sowie individuellen Risikofaktoren und unterscheidet generell die Behandlung von Seminom und Nichtseminom. Dabei werden Chemotherapie, Radiotherapie und Chirurgie eingesetzt108. Klinische Studien untersuchen darüber hinaus die Effizienz neuer Platinderivate sowie primärer Hochdosischemotherapien bei cisplatinrefraktären Tumoren56,114. 1.2 Zytotoxische Therapie mit Platinderivaten Der klassische Endpunkt der Therapie mit zytotoxischen Stoffen ist die Induktion der Apoptose, die histologisch durch Chromatin-Aggregation, Zytoplasma- und nukleäre Kondensation und Bildung phagozytierbarer apoptotischer Körperchen (apoptotic bodies) charakterisiert wird101. Intrazellulär finden sich pro- und antiapoptotische Faktoren, deren Verhältnis das Zellschicksal in Abhängigkeit von Art und Schwere der Zellschädigung bestimmt. Die Apoptose ist ein physiologischer, ATP-abhängiger Vorgang zur Aufrechterhaltung der Gewebshomöostase, sowohl während der Embryonalentwicklung als auch nach irreversiblem Zellschaden im adulten Körper. Die fehlende Beeinflussung des umgebenden Gewebsmilieus unterscheidet sie von der Nekrose und macht sie interessant für die Tumortherapie128. Voraussetzung ist die Intaktheit zellulärer Systeme zur Erkennung und Reparatur von Schädigungen sowie die Effektorsignale der Apoptosekaskade. Die exakten Abläufe der Apoptose bei Chemotherapie sind Gegenstand der wissenschaftlichen Forschung. 1.2.1 Cisplatin 1.2.1.1 Pharmakokinetik, Pharmakodynamik, Einsatzgebiete Abbildung 1.3: Cisplatin (links) und Oxaliplatin (rechts) Cisplatin (Abbildung 1.3) als das klassische Platinderivat ist eines der am häufigsten eingesetzten Chemotherapeutika, welches v.a. in Kombinationen für verschiedene Tumoren gute bis exzellente Ansprechraten erzielt40. Die erstmalige Synthese gelang 1844, die 3 sterische Analyse 1892, die Entdeckung seiner antiproliferativen Eigenschaften 1965 durch Rosenberg. Seit Beginn der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts ist Cisplatin in die Chemotherapie verschiedener Tumoren integriert64. Besonders wirksam und prognosebestimmend ist Cisplatin in der Therapie von Keimzelltumoren. Die zelluläre Aufnahme erfolgt überwiegend durch passive Diffusion sowie zusätzlich mittels energieabhängigen erleichterten Transportes54. Intrazellulär reagiert es nach Dissoziation der Chlorid-Ionen elektrophil mit protein- und DNA-assoziierten Gruppen. Durch kovalente Bindung an Cystein-Reste in Glutathion (GSH) und Metallothioneinen (MT) wird Cisplatin inaktiviert und energieabhängig der Exozytose zugeführt52,90. Das für den zytotoxischen Effekt wahrscheinlich wirkentscheidende DNA-Addukt bildet nur 1% der zellulär aufgenommenen Stoffmenge42,78,90. Weitere intrazelluläre Bindungsstellen sind RNA, Proteine, Phospholipide, Zytoskelett und schwefelhaltige Moleküle128. Durch Bindung an Position N7 des Imidazolrings der Purinbasen kommt es zur Ausbildung verschiedener Inter- und Intrastrang-DNA-Addukte. Entscheidend sind die Intrastrang-1,2GG-Läsionen, die weniger toxische Platinderivate nicht zu bilden vermögen52,54,90,99. Diese Schädigung wird durch verschiedene Proteinsysteme erkannt: Nukleotidexzisionsreparatur (NER), Mismatchreparatur (MMR), DNA-abhängige Proteinkinasen (DNA-PK) und „High mobility group“-Proteine (HMG)42. Nur die NER entfernt die gebildeten Addukte effektiv18,100. Hauptwirkungen von Cisplatin sind Apoptoseauslösung und Beeinflussung der Transkription. Die zur Apoptose führenden Mechanismen sind noch weitgehend ungeklärt. Eine DNA-Distorsion wird durch ein HMG-Molekül erkannt90, was die NER-Bindung und damit die Reparatur der entstandenen Läsion beeinträchtigt9,93,96. Die persistierenden Komplexe bedingen eine Aktivierung der MMR mit Einleitung des Zellzyklusstopps19,35,83,86,123. Haupteffektor ist dabei das Tumorsuppressorprotein p53, das nach DNA-Schädigung durch posttranslationale Phosphorylierung durch Kinasen aktiviert wird41. Ein Zellzyklusstopp kann am G1/S- und am G2/M-Checkpunkt erfolgen52,54,90. Effektoren der finalen Apoptosestrecke sind Kaspasen, spezielle Proteasen, die durch Substratspaltungen das Zellklima zu Gunsten einer Autodestruktion verändern17. Die Inhibition von Transkriptionsfaktoren durch DNA-schädigende Agenzien wird schon länger diskutiert. Das TATA-Box-bindende Protein (TBP), ein Transkriptionsfaktor für 4 Polymerasen, und auch HMG-gekoppelte Transkriptionsfaktoren sind mit Intrastrangläsionen assoziiert und werden inaktiviert. Insgesamt scheint die Hemmung der Bildung ribosomaler RNA durch RNA-Polymerase I effizienter zu sein als die mit der DNA-Polymerase II gekoppelten Gene, was eine präferentielle Wirkung des Cisplatin in schnell proliferierenden Geweben erklären könnte52. Aktueller Gegenstand der Grundlagenforschung ist die Bedeutung der intrazellulären Bindungen, die Cisplatin als elektrophiles Molekül eingeht, für seine zytotoxische Wirkung. 1.2.1.2 Behandlungsprobleme, Entwicklung neuer Produkte Die Hauptprobleme in der klinischen Anwendung von Cisplatin ergeben sich durch vielfältige unerwünschte Wirkungen sowie Resistenzentwicklungen. Limitierende Nebenwirkungen treten bereits bei Einzeldosen auf und erklären sich u.a. durch Plasmaproteinbindung des Moleküls sowie intrazelluläre Speicherung in renalen Tubuluszellen und Erythrozyten. Wesentliche Nebenwirkungen und mögliche Gegenmaßnahmen sind in Tabelle 1.1 aufgeführt54,55,90,92. Tabelle 1.1: Nebenwirkungen der Cisplatintherapie Häufigkeit Gegenmaßnahmen Nausea, Erbrechen +++ Glukokortikoid + 5-HT3-Antagonist Nephrotoxizität +++ Aggressive Hydratation, Mannitol-Infusion Ototoxizität ++ Medikamentenwechsel auf Carboplatin Neurotoxizität + Myelodepression + Arrhythmien (+) Pankreatitis (+) Glukose-Intoleranz (+) 1.2.2 Oxaliplatin 1.2.2.1 Pharmakokinetik, Pharmakodynamik Durch Entwicklung neuer Platinderivate entstanden die DACH-Moleküle, in denen ein 1,2Diaminocyclohexanring substituiert ist. Als klinisch attraktiv aus dieser Gruppe gilt Oxaliplatin (Abbildung 1.3)64,88,99. Der Einsatz ist momentan beim kolorektalen Karzinom, beim metastasierten Ovarialkarzinom sowie innerhalb von Studien bei verschiedenen anderen Tumoren indiziert 22,56,107. 5 Der Mechanismus der intrazellulären Aktivierung ist noch unklar, Voraussetzung scheint die extrazelluläre Dissoziation der Cl--Ionen zu sein. Hinsichtlich Zellaufnahme, Aktivierung, Kontrolle durch GSH und MT sowie DNA-Bindung und Reparatur durch die NER ähnelt es Cisplatin. Die Sperrigkeit und Hydrophobie des Substituenten bedingen jedoch drei wesentliche Unterschiede: Bei Verwendung äquimolarer Mengen finden sich geringere intrazelluläre Stoffkonzentrationen, intrazelluläre Reaktionen erfolgen langsamer, und die Proteininteraktionen sind mit ca. 80% der intrazellulären Stoffmenge höher als bei Cisplatin29,99,104,128. Weitere Unterscheidungsmerkmale sind: - Höhere Einzelstrangbruch-Frequenz und gesteigerte Toxizität129, möglicherweise durch vermehrte Proteininteraktionen - Keine Aktivierung des MMR-Systems83,99,106 - Fehlende Kreuzresistenz in cisplatinresistenten Zellen des kolorektalen Karzinoms und des Ovarialkarzinoms22,97 Die Apoptoseinduktion durch Oxaliplatin ist aktueller Forschungsgegenstand, sie scheint nach momentanem Wissensstand hauptsächlich über den intrinsischen Apoptoseweg zu erfolgen3. 1.2.2.2 Behandlungsprobleme Im Vergleich zu Cisplatin ist die Verträglichkeit von Oxaliplatin insgesamt besser. Therapeutisch relevant sind eine reversible sensorische Neuropathie in akuter Früh- und kumulativer Spätform, gastrointestinale Störungen sowie Neutro- und Thrombozytopenien16. 1.3 Zytostatikaresistenzmodelle in vitro 1.3.1 Generelles Während einer chemotherapeutischen Behandlung treten oftmals mit zunehmender Behandlungsdauer partielle bis komplette Resistenzen auf, welche die Hauptgründe für ein sind14. Behandlungsversagen Unterschieden Resistenzmechanismen. Zu Zugänglichkeit mangelhafter wegen den werden nichtzellulären nichtzelluläre zählen Durchblutung und vor die allem und zelluläre eine schlechte Stoffinaktivierung im extrazellulären Milieu60. Die zellulär bedingten Mechanismen, die durch veränderte oder verändert regulierte Merkmalsselektion Zellproteine während der bedingt Therapie sind, und entstehen durch durch erhaltene Mutation Merkmale sowie des Ursprungsgewebes. Zytostatikaresistenzen sind vielschichtige Vorgänge. Jeder Tumor entwickelt ein individuelles Resistenzprofil aus internen und externen Faktoren87. Die multifaktoriellen Mechanismen der Entwicklung resistenter Phänotypen sind bisher unklar. 6 Tabelle 1.2: Mechanismen der Zytostatikaresistenz und ausgewählte Beispiele1,6,25,27,31,54,67,75,87,88,90,117,119 Transport Mechanismus Erläuterungen, Beispiele Membrangebundene Transporter; Physiologische Funktionen in Energieabhängiger Stoff-Efflux; sezernierenden und Grenzgeweben, (ABC-Transporter) Vermittlung pleiotroper Resistenz in Tumoren durch erhöhten Efflux; z.B.: MDR, MRP, LRP, Pgp 170 Veränderung der Verschiebung des Gleichgewichtes Inhibition der proapoptotischen Apoptosefähigkeit zwischen pro- und Funktion von p53; Upregulation antiapoptotischen Einflüssen zu proapoptotischer Bcl-2-Proteine; Gunsten der Apoptose-Inhibition Expression funktionsloser Apoptose- durch Mutation oder Inhibtion Rezeptoren in Membran, CeramidInhibition Verschiebung des Vermehrung von Redoxsystemen, Redoxstatus durch Verhinderung der Apoptose durch Überexpression von ROS; bessere Inaktivierung Enzymen zytotoxischer Substanzen Enzymdownregulation Inhibition von DNA- und MT, GSH, GST, DHFR, PKA, PKC Topoisomerasen, Kaspasen, PARP Zellschädigung bei Apoptose Erhöhte DNA- Entfernung von Schädigungen aus Reparatur DNA zur Verhinderung des NER, HMG, DRP Replikationsstopps Erhöhte Toleranz replikationsinhibierender Verminderte Expression der MMR, Schadenstoleranz Dann Addukte, kein Zyklusstopp erhöhter Replikationsbypass Bevorzugte Reparatur Vorrang der Reparatur in auf Mechanismus und Wertigkeit unklar; von Genloci für Zellproliferation und widersprüchliche Berichte über Zellentwicklung Zyklusdurchlauf bestimmenden Toxizitätssteigerungen bei Hemmung Genabschnitten von Polymerasen Erhöhte Verschiebung des zellulären Jun, Fos, Myc, Ras, IGF, IGFR, Onkogenexpression Gleichgewichts in Richtung EGFR, HSP, c-erB-2 Proliferation; Aktivierung nachfolgender Proteine und Gene 7 Tabelle 1.2 fasst derzeit bekannte, allgemeine Resistenzmechanismen zusammen. Dabei bilden mehrere Mechanismen die Resistenz gegen einen Stoff bzw. als pleiotrope Resistenz (Multi drug resistance, MDR) gegen verschiedene Stoffe1,6,25,27,31,35,54,67,75,88,90,117,119. Als für Hodentumoren wichtigste Resistenzmechanismen werden derzeit diskutiert51: - Verminderung der Stoffakkumulation durch Inaktivierung und Exozytose - Erhöhte DNA-Reparatur (NER) und erhöhte Schadenstoleranz (MMR-Defekt, p53-Defekt) - Reduzierte Apoptosesuszeptibilität durch Mutation der Effektorkaskaden und Transformation von Wachstumsfaktoren zu Onkogenen (EGFR). 1.3.2 Platinresistenzen Die Mechanismen der Cisplatinresistenz werden eingeteilt in eine reduzierte DNA-Bindung und eine inhibierte Wirkung nach DNA-Bindung54. Sie wurden durch in vitro Untersuchungen beschrieben. Spezifische Mechanismen der Oxaliplatinresistenz sind bisher noch nicht eindeutig identifiziert. Es sind vereinzelt Zelllinien mit spezifischen, in vitro erzeugten Oxaliplatinresistenzen beschrieben worden45,109,117. 1.3.2.1 Platinresistenz: Reduktion der DNA-Bindung 1.3.2.1.1 Influx, Efflux Der zelluläre Influx wird durch Inhibition der membranständigen Na+/K+-ATPase gesenkt, so dass die Beteiligung energieabhängiger Prozesse anzunehmen ist54. Gleichzeitig wird eine Reduktion des Platineffluxes durch Ca2+-Kanalblocker beschrieben26. Transmembranöse ATP-abhängige Transporter können auf diese Weise in ihrer Funktion beeinträchtigt werden. Mehrfach wurde in platinresistenten Zellen die Expression von den ABC-Transportern LRP, MRP, PgP und cMOAT beschrieben, deren Stellenwert jedoch unklar ist54,57,124. Erst kürzlich konnten Verbindungen zwischen der vermehrter Aktivität von Kupferinflux- (CTR1) sowie Kupfereffluxproteinen (ATP7A/B) und einer erhöhten Cisplatin- und Oxaliplatinresistenz gezeigt werden104. Man findet bei den meisten in vitro als platinresistent beschriebenen Kulturen eine Abnahme des intrazellulären Stoffgehaltes um bis zu 75%54. 1.3.2.1.2 Stoffinaktivierung Die hemmende Wirkung von GSH und MT bei der Platinaktivierung wurde bereits beschrieben. Deren Überexpressionen und ihrer angeschlossenen Enzyme wie der GlutathionS-Transferase (GST) können mit Resistenzen assoziiert sein. Aufgrund teilweise widersprüchlicher Publikationen ist die Wertigkeit dieses Vorgangs jedoch unklar23,24,27,34,54,90,98,110. 8 In diesem Punkt scheint es zwischen Oxaliplatin und Cisplatin keine Unterschiede zu geben, werden doch beide auf diese Weise erkannt und gebunden79,98,117. 1.3.2.2 Platinresistenz: Inadäquate Wirkung 1.3.2.2.1 Gesteigerte DNA-Reparatur Cisplatin und Oxaliplatin werden durch die NER mit gleicher Effektivität100 und unabhängig von der Zellzyklusphase aus der DNA entfernt9. Erhöhte Aktivitäten verschiedener NERBestandteile (XPA, ERCC) bewirken Cisplatinresistenzen45,90, die außerordentliche Sensibilität von Hodentumoren scheint u.a. durch einen geringen NER-Gehalt erklärbar36,45,90. Diskutiert wird dabei eine präferentielle Entfernung der Interstrangbrüche aus Genabschnitten mit hoher Transkriptionsrate, wodurch vermutlich vorrangig für das Zellüberleben wichtige Genabschnitte saniert werden19,26,54. Verminderte Expressionen von HMG-Proteinen wurden in Hefezellen mit erhöhter Resistenz in Verbindung gebracht. Dadurch wäre der Zugriff der NER auf die Addukte und damit deren Entfernung erleichtert54. Umgekehrt wird ein Zusammenhang zwischen erhöhten Sensitivitäten gegenüber Cisplatin und verminderter Aktivität der NER58 sowie erhöhter Aktivität der HMG-Proteine gesehen44. 1.3.2.2.2 Erhöhte Schadenstoleranz Ein anderer Weg zur Erkennung, nicht jedoch Beseitigung von DNA-Schäden, führt über die MMR durch die Kontrolle bereits synthetisierter DNA-Abschnitte10. Mutationen und Inaktivierungen der MMR-Proteine hMSH1, hMSH2 und hMLH1 führen zur Mikrosatelliteninstabilität (MSI), einer Veränderung kurzer repetitiver DNA-Abschnitte nach Spontanmutationen, die mit erhöhtem p53-Verlust assoziiert ist29,37,37,61,73,77,83,117. Es kommt zum Fortgang der DNA-Replikation trotz eingebauter Platinmoleküle, einem erhöhten replikativen Bypass2. Dies beinhaltet folgende Konsequenzen: Erhalt der DNA-Integrität; Behinderung der Aktivierung von Schädigungssensoren und der konsekutiven Einleitung des Zyklusstopps19,52; Erhöhung der NER-Aktivität im Läsionsbereich (siehe 1.3.2.2.1). Langfristig wird die Initiation mutagener Prozesse erleichtert. Die Überexpression der genannten Proteine dagegen erhöht die Apoptosefrequenzen132. Aufgrund der fehlenden Erkennung von Oxaliplatinaddukten durch die MMR ist die Aktivität von Oxaliplatin unabhängig von einer MMR-Mutation 37,98,106,131 . Erhöhte Bypassfrequenzen an sowohl durch Cisplatin als auch durch Oxaliplatin gebildeten Addukten können ebenfalls 9 durch erhöhte Aktivitäten der DNA-Polymerasen β, γ und ε beobachtet werden und zur Resistenz gegen beide Stoffe führen116. 1.3.2.2.3 Veränderungen der Apoptosekaskade Die Rolle veränderter Apoptoseinduktion als Resistenzfaktor nach DNA-Schädigung durch Cisplatin ist derzeit noch nicht abschließend geklärt. Einen vereinfachten Überblick über bekannte Zusammenhänge liefert Abbildung 1.48,94,103,118,130. Zellstress Strahlung/Platintherapie DNA-Schäden Membraneffekte Intrinsischer Weg via Mitochondrium DRP Extrinsischer Weg via membranöse DR Signalintegration p53* Effektorkaspasen Zyklusarrest Reparatur Apoptose Abbildung 1.4: Zellreaktionen auf Stresseinwirkung (* aktiviertes Molekül) Das intrazelluläre Gleichgewicht von pro- und antiapoptotischen Faktoren kann beidseitig verschoben sein. Eine Stressreaktion leitet die Apoptose ein. Mutationen und Selektionsdruck durch Radio- und Chemotherapie können zur Ausbildung antiapoptotischer Phänotypen und Resistenzbildung führen. Verminderte Expressionen oder Mutationen der proapoptotischen p53-Kaskade und Überexpression von antiapoptotischem Bcl-2 in cisplatinresistenten Zellen wurden durch mehrere Arbeitsgruppen beschrieben24,72,77,88. Es gibt jedoch ebenfalls Berichte über Toxizitätssteigerungen nach p53-Verlust, die durch schnelleren Zelldurchlauf, fehlende Reparation, kumulativ angehäufte Schäden und damit unabwendbaren Zelltod nach weiteren Zyklen erklärt werden91. Auch durch Inhibition20 oder Expressionsminderung33 der als Apoptoseeffektoren wirkenden Kaspasen zeigten sich Resistenzsteigerungen33,82. 10 1.3.2.2.4 Veränderungen der Onkogenexpression Neben bereits beschriebenen Resistenzfaktoren beeinflussen veränderte Onkogenexpressionen die Wirksamkeit der Platinbehandlung. Dabei kann die Formierung von DNA-Addukten gehemmt, die Toleranz der induzierten DNA-Schäden erhöht und die zelluläre Bereitschaft zur Apoptose vermindert werden27. Für die Vielzahl hierbei beschriebener Moleküle existieren aber heute Veröffentlichungen mit unterschiedlichen Ergebnissen42. Dies erschwert den Überblick und die Bildung grundsätzlicher Aussagen. Hauptaugenmerk gilt den frühzeitig nach DNA-Schädigung aktivierten Genen c-myc, c-jun und c-fos. Das Heterodimer aus fos und jun, AP-1, fungiert als Promotor verschiedener Gene, deren Überexpression mit Resistenzen in Verbindung gebracht wurden: MDR-1, PKC, c-myc, Topoisomerase u.a. Die Bildung von AP-1 wird mittels posttranslationaler Phosphorylierung durch verschiedene MAP-Kinasen gesteuert, die durch intranukleäre Signale (DNASchädigung) und extranukleäre Signale (Membranschäden, Transmitter, Wachstumsfaktoren, Chemotherapeutika) aktiviert werden können. Im Zusammenhang mit der Platinresistenz werden Membranrezeptoren wie EGFR81, IGFR sowie RAS und die Tyrosinkinase c-kit als Aktivatoren der MAP-Kinasen diskutiert. Im Zuge der veränderten Onkogenexpression kann es zur Beeinflussung der p53-Kaskaden sowie der intrinsischen und extrinsischen Apoptosewege kommen. 1.3.2.3 Selektion von platinresistenten Zelllinien Zur Resistenzerzeugung wird die zytotoxische Tumorbehandlung experimentell rekonstruiert und das Antwortmuster sowie die molekularen Veränderungen der Zellkulturen beobachtet. Durch diesen Selektionsdruck konnten für Cisplatin und Oxaliplatin in eine Vielzahl von Resistenzerzeugungen, aber auch Sensibilisierungen beschrieben werden32,45,63,109,110. Andere Möglichkeiten bieten Untersuchungen intrinsisch resistenter Zelllinien, wie solche des hereditären nichtpolypösen kolorektalen Karzinoms2, von Ovarialtumoren92 oder der Keimzelltumorlinie 1411 HP82. Eine weitere Möglichkeit ist die Zellbestrahlung. Ionisierende Strahlung und Platintherapie führen zu ähnlich schweren DNA-Läsionen und rufen vergleichbare molekulare Stressreaktionen hervor (siehe Abbildung 1.5). In vitro durch Bestrahlung erzeugte Resistenzen gegen Cisplatin wurden in verschiedenen 33 Zellkulturen beschrieben26,33,49,50. Durch Bestrahlung generierte Oxaliplatinresistenzen sind bisher nicht gezeigt worden. Auch zeigen die meisten Experimente eine fehlende Kreuzresistenz gegenüber Oxaliplatin in 11 cisplatinresistenten Linien, nur in einigen Fällen wurde eine höhere Oxaliplatinresistenz beschrieben97. 1.3.2.4 Probleme in vivo Laborexperimente dienen zum besseren Grundlagenverständnis, können jedoch nicht mit den Verhältnissen im Patienten gleichgesetzt werden. Insgesamt ist der prädiktive Wert von in vitro-Untersuchungen in Abhängigkeit vom verwendeten Modell unterschiedlich statistisch eingeschränkt. In vitro-Untersuchungen eignen sich dagegen gut zur Beschreibung molekularer Mechanismen. Momentan werden als relevante Faktoren für Cisplatinresistenz das GSH, die Reparaturerhöhung durch die NER, die Schädigungstoleranz durch Minderexpression der MMR sowie Veränderungen der Apoptoseinduktion diskutiert, Untersuchungen anderer Faktoren ergaben widersprüchliche Ergebnisse34,40,102. Klinische Ansätze zur Verminderung von Therapieresistenzen sind27,98: - Dosiserhöhung unter Einsatz autologer Stammzelltransfers - Alternative Applikationsformen - Therapiekombinationen - Nebenwirkungsbehandlung - Inhibierung bekannter Resistenzmechanismen 1.4 o Effluxverminderung o Glutathiondepletion o Aktivitätsminderung der Polymerasen Entwicklung potenterer und verträglicherer Derivate Möglichkeiten der Radiochemotherapie und der fraktionierten Radiotherapie Die Radiotherapie ist eine weitere Alternative der multimodalen Tumortherapie. Eine hohe Sensibilität auf Bestrahlung zeigen schnellproliferierende Gewebe wie das hämatopoietische System, testikuläres und renales Gewebe, das Intestinum sowie die Epidermis. Ein geringeres Ansprechen findet sich in langsam wachsenden, soliden Tumoren122. Problematisch ist die fehlende Selektivität zwischen normalem und malignem Gewebe. Zur Erhöhung der therapeutischen Anwendungsbreite gibt es mehrere Möglichkeiten, wobei physikalische und biologische Faktoren unterschieden werden (Tabelle 1.3)125. 12 Tabelle 1.3: Strategien zur Erhöhung der Therapeutischen Effizienz der Strahlentherapie Physikalische Möglichkeiten Biologische Möglichkeiten Lagerung/Immobilisierung des Patienten Fraktionierung Verbesserte Bildgebung Oxygenierung Effektivere Bestrahlungsplanung Response-Modifier Tumor/Normalgewebe Bessere Bestrahlungstechnik Radiochemotherapie Strahlenqualitäten Radiogentherapie 1.4.1 Radiochemotherapie mit Cisplatin/Oxaliplatin Die Rationale dieser Therapieoption ist die Ergänzung zytotoxischer bzw. zytostatischer Effekte bei unterschiedlichen Nebenwirkungsspektren. Dadurch wird zwar nicht die Toleranz im Vergleich zur jeweiligen Monotherapie gesenkt, allerdings verstärken Platinaddukte als Radiosensitizer die Strahlenwirkung so, dass Radioresistenzen überwunden werden können. Als Mechanismen werden diskutiert125: - Erhöhung der intrinsischen Radiosensibilität - Reparaturhemmung bestrahlungsinduzierter DNA-Schäden - Zellzyklussynchronisation - Reoxygenierung der Tumorzellpopulation Als Mechanismus der Sensibilitätssteigerung durch Platinaddukte wird u.a. eine Reparaturbehinderung angenommen. Ionisierende Bestrahlung provoziert eine Vielzahl an Veränderungen in der DNA der Zielzellen, die häufigsten sind Basenaustausch, Einzelstrangbruch (SSB) und Doppelstrangbruch (DSB)65. Diese werden durch Kinasen wie ATM-Kinasen und die Poly(ADPribosyl)-polymerase (PARP) erkannt, was zur p53Aktivierung und zum Zellzyklusstopp führen kann36. Mit Ausnahme des DSB erfolgt eine schnelle Reparatur dieser Schädigungen. Durch multiple SSBs, die normalerweise sowohl nach Cisplatingabe als auch nach alleiniger Bestrahlung effektiv und schnell beseitigt werden, wird die Reparaturfähigkeit der Zelle behindert und überlastet. Diese irreparablen Schäden bedingen den erleichterten Zelltod (Abbildung 1.5)47. Klinisch macht man sich diesen Effekt durch eine kombinierte Radiochemotherapie zu Nutze. Aufgrund der relativ hohen Toxizität einer Cisplatintherapie werden zunehmend andere Platinderivate wie Oxaliplatin als Radiosensitizer eingesetzt21. 13 CDDP-Addukt SSB nach Bestrahlung Reparatur Reparatur Irreparable Schädigung Zelltod Abbildung 1.5: Interaktionsmodell Cisplatin/Bestrahlung, Einzelschädigung mit jeweils hoher Reparaturwahrscheinlichkeit, Kombination mit Einschränkung der Reparatur und Zelltod 1.4.2 Fraktionierung der Bestrahlung Die Fraktionierung nutzt Unterschiede in der Erholungsdauer zwischen Geweben mit unterschiedlicher Wachstumsgeschwindigkeit aus. Die Gesamtstrahlendosis wird aufgeteilt und täglich oder als Hyperfraktionierung (Reduzierung der Einzeldosis mit Erhöhung der Gesamtdosis oder Verlängerung der Behandlungszeit) mehrfach täglich appliziert. Dabei werden Gewebeschäden durch die Erniedrigung der Einzeldosen verringert. Gewebe mit langsamer Wachstumsgeschwindigkeit (Normalgewebe) erhalten so die Möglichkeit, anfallende Schädigungen adäquat zu beheben. Schnell wachsende Gewebe wie Tumoren oder Stammzellen profitieren wegen des schnelleren Zellzyklusdurchlaufes und der dadurch bedingten Verkürzung der Reparaturzeit nicht von diesem Erholungseffekt. Die Folge ist eine Akkumulation von Zellschäden, die den Zelltod hervorrufen. Die genauen Ursachen dieses Phänomens sind allerdings noch nicht hinreichend geklärt125. 14