Zusammenfassung 200 9. Zusammenfassung In der vorliegenden Arbeit wurden komplexe Proteingemische mittels kombinierter flüssigchromatographischer und ESI-MS/MS Methoden auf mögliche Bindungsstellen von Übergangsmetallkomplexen untersucht. Für die Bestimmung von Proteintargets in lebenden Escherichia coli-Zellen und in humanen Blutserumproben wurde die MudPIT-Technologie (Multidimensional Protein Identification Technology) eingesetzt. Dabei wurden folgende Verbindungen untersucht: [(η6-p-Cymol)RuCl2(DMSO)], [Pt(dien)(H2O)](NO3)2 und Cisplatin (cis-[(NH3)2PtCl2]). Aus den durchgeführten Voruntersuchungen mit Modellpeptiden und dem jeweiligen Metallkomplex konnten sowohl an die chromatographisch als auch massenspektrometrisch zu untersuchenden Systeme eine Reihe von Anforderungen gestellt werden, damit eine MudPITAnalyse des Gemisches erfolgreich verlaufen kann. Die gebildeten Protein- und Peptidaddukte müssen eine hohe kinetische Stabilität über einen weiten pH-Bereich aufweisen. Dabei liegt während des enzymatischen Verdaus ein leicht alkalisches Milieu bei pH ≈ 7,8 vor, während der SCX-/RP-Trennung, welche bei pH ≈ 2,3 durchgeführt wird, ein relativ niedriger pH-Wert vorkommt. Die Peptid-Metall-Bindung muss während des Fragmentierungsvorgangs soweit intakt bleiben, dass eine zufrieden stellende Anzahl an Fragmentionen (z. B. b+- und y+-Ionen) entstehen kann, die eine Identifizierung der Peptidsequenz durch den Vergleich mit theoretischen MS/MS-Spektren ermöglicht. Dies sollten im Allgemeinen mindestens 30% Ionenzuordung sein, auch im Beisein von neutral loss Fragmentierungen der weiteren Liganden, z. B. Amminliganden bei cis-[(NH3)2PtCl2]. Ein charakteristisches Pattern des eingesetzten Metallzentrums kann bei der Zuordnung der Ionen eine Hilfestellung bieten, was bei Ruthenium und Platin mit deren Isotopenverteilungen gewährleistet ist. Vergleichsuntersuchungen an den vorhandenen Finnigan LCQ und LTQ Massenspektrometern belegten, dass die höhere Scanzahl (ein MS/MS-Spektrum in zwei Sekunden vs. drei MS/MS-Spektren pro Sekunde) des LTQs für eine effiziente Adduktcharakterisierung essentiell ist. Die Analyse der Produkte nach 3h Inkubation des Komplexes [(η6-p-Cymol)RuCl2(DMSO)] mit dem Bakterium Escherichia coli (E. coli) bei 37°C ergab eine Liste von acht Proteinen, welche rutheniert identifiziert werden konnten. Dabei handelt es sich um vier stressregulierende Proteine ppiD, osmY, cspC und sucC, eine damage inducible Helikase dinG und weitere drei Helikasen traI1, dbpA und hrpA. Die bevorzugten Bindungspositionen Zusammenfassung 201 stellen dabei die Carboxylatgruppen der Aspartate, die Hydroxygruppen der Serin- und Threoninreste sowie Aminostickstoffe aus Lysinseitenketten. Abb.9.1: Proteinstruktur des cold shock Proteins cspA Die beobachtete K26/D27-Koordination des cspC-Proteins ist besonders interessant, da durch dieses cold shock Protein das gesamte SOS-System der Zelle beeinflusst wird. Zusätzlich könnte die beobachtete Koordination der DNA-damage-inducible Helikase dinG einen Eingriff in das Replikations- und Reparatursystem der Zelle bedeuten. Die Koordination weiterer drei Helikasen traI1, dbpA und hrpA lässt die Vermutung zu, dass die Interaktion von (η6-p-Cymol)Ru(II)-Komplexen mit den Helikasen für die antiproliferative Aktivität der Verbindungen von Bedeutung ist. Aus der Umsetzung der Modellverbindung [Pt(dien)(H2O)](NO3)2 mit dem Darmbakterium E. coli nach 30 min Inkubation bei 37°C konnten sieben platinierte Peptidsequenzen mittels MudPIT identifiziert werden. Es wurden die Proteine rl7, eftU, aldB, dnaK, ssb, rbsA und yicC mit jeweils einer koordinierten Peptidsequenz gefunden. Die Bevorzugung der Koordination von kinetisch begünstigten Seitenketten konnte auch hier beobachtet werden. Die Carboxylatseitenketten der Glutamin- und Asparaginsäure stellen den Hauptteil der koordinierten Aminosäuren dar. Es konnten allerdings auch zwei Koordinationen an das weichere Schwefelatom in Methionin beobachtet werden. Zusammenfassung 202 In einer weiteren Untersuchung wurde E. coli mit Cisplatin für 3h bei 37°C inkubiert und durch eine MudPIT-Analyse auf koordinierte Peptidsequenzen geprüft. Es konnten insgesamt 31 Proteintargets ermittelt werden. Auch in dieser Analyse überwiegen die Koordinationen der kinetisch attraktiven Carboxylatsauerstoffatome oder Hydroxygruppen. Außerdem konnten neun Proteintargets mit Methionin-Bindungsstellen sowie drei thermodynamisch bevorzugte Koordinationen an C- und H- Reste beobachtet werden. Die aus dieser Analyse hervorgehende Identifizierung der DNA-bindenden Proteine mutS (mismatch repair protein), uvrD (DNA-Helikase II) und top1 (Topoisomerase 1) weist auf eine mögliche Beeinträchtigung des DNA-Reparatur-Systems unter Einfluss von Pt(II)Koordinationen hin. Die Ermittlung einer Vielzahl an diesen und anderen, wenig abundanten Proteine in den Zellen (~ 102-103 Kopien pro Zelle) als spezifische Proteintargets für Cisplatin in E. coli bedeutet bei einer Nachweisgrenze von etwa 10 fmol, dass etwa 10% oder mehr der Kopien dieser Proteine von Cisplatin koordiniert vorliegen müssen. Im abundanten Redoxprotein Thioredoxin (103-104 Kopien pro Zelle), einem in vielen Krebszellen überexprimierten Protein, konnte die Koordinationsstelle H7 aus der Analyse des Bakteriums sowie in Einzeluntersuchungen des Proteins mit Cisplatin als spezifische Bindungsstelle eindeutig bestätigt werden. Im Gegensatz zum humanen Thioredoxin wird auch der Methioninrest M38 in E. coli Thioredoxin, jedoch nicht wie bei der humanen Version eine der benachbarten Cysteinstellen (C33/C36) des aktiven Zentrums als Koordinationsstelle identifiziert. C33 C32 M38 H7 M38 E13 Abb.9.2: Proteinstrukturen des humanen (links) und des E. coli (rechts) Thioredoxins mit bevorzugten Cisplatinbindungsstellen Zusammenfassung 203 Auch aus den Analysen der Blutserumproben und der Untersuchungen mit einzelnen Serumproteinen und Cisplatin wird die Bevorzugung der Koordination der häufiger vorkommenden Sauerstoff-Donoratome bei dem verwendeten pH ≈ 7 bekräftigt. Diese Befunde decken sich mit aus den E. coli-Analysen erhaltenen Ergebnissen. Aus früheren Studien waren für Serumalbumin C34, sowie 2-4 Methioninreste als Cisplatinbindungsstellen ermittelt worden. C34 sowie M329 und M548 konnten in den hier beschriebenen Analysen der Blutserumproben und des Serumalbumins neben Y148/Y150 und D375/E376 ermittelt werden. Die kinetisch bevorzugte Koordination durch O-Donorseitenketten könnte wegen ihrer hohen Bildungsgeschwindigkeit für die Transportfunktion von pharmakologisch relevanten Metallkomplexen des Proteins zu Tumorzellen eine bedeutende Rolle spielen. κOkoordinierte Cisplatinfragmente können anschließend wegen der schwächeren Pt-OBindungen zu thermodynamisch bevorzugten weicheren Bindungsstellen, wie den Nukleobasen der DNA, wandern. Im Gegenteil dazu verhindert die langsame Bildung von κ2S,N-Chelaten (wie bei der C34 bzw. M329 oder M548 Koordination) die Migration der Metallkomplexe. Abb.9.3: Proteinstruktur des Serumalbumins und die ermittelten Cisplatinbindungsstellen Zusammenfassung 204 Auch die charakteristischen κO-Bindungsstellen des Cisplatins im Serotransferrin (Y314, E385 und T457) können neben M256 beim Transport des Antitumormittels direkt nach der Verabreichung eine wichtige Rolle spielen. Zur Veranschaulichung ist untenstehend die Proteinstruktur des abundanten Serumproteins Serotransferrin mit den Cisplatinbindungsstellen gezeigt. E385 M256 T457 Y314 E265 Abb.9.4: Struktur des Serotransferrins mit den ermittelten Cisplatinbindungsstellen Der Befund, dass nur wenige Histidinreste von Cisplatin sowohl im E. coli-Bakterium als auch im Blutserum koordiniert wurden, bestätigt einerseits die von SADLER durchgeführten NMR-Studien [15, 17], in denen Histidin-Addukte als Bindungsstelle nicht bei Serumproteinen Albumin und Serotransferrin nachgewiesen werden konnte. Andererseits ist es jedoch auch möglich, dass Histidin keine adäquate Anzahl an b+- und y+-Fragmentionen liefern und die koordinierten Peptidsequenzen entsprechend nur niedrige SEQUESTParameter zugeteilt bekommen. Wie jedoch die Identifizierung der H7-Koordinationsstelle im Thioredoxin des E. coli Baktriums zeigt, ist im Allgemeinen eine Histidinzuordnung auch aus einer MudPIT-Analyse möglich. Anhand der vorliegenden Untersuchungen lässt sich feststellen, dass die in dieser Arbeit entwickelte LC2/ESI-MS2-Methode erstmals die Möglichkeit eröffnet, sowohl Proteintargets Zusammenfassung 205 als auch die Bindungsstellen in diesen Targets komplexer Proteingemische zu bestimmen. Hierbei muss allerdings immer der Anteil der durch ESI-MS/MS zu detektierenden Sequenzen (coverage) berücksichtigt werden. Typische Werte liegen bei etwa 30-55%. In Einzelfällen sind wesentlich höhere Werte möglich (z. B. bei humanem Thioredoxin 93%). Die Identifizierung der gleichen Bindungsstellen aus unabhängigen Blutserumproben bzw. bei Messwiederholungen für Protein:Cisplatin-Reaktionsgemische belegt die Reproduzierbarkeit und somit die Zuverlässigkeit dieser Technik.