Vortrag im Seminar Hydrodynamik des Blutes Aktionspotentiale im Herzgewebe Justin Grewe∗ 6. Juli 2014 ∗ [email protected] 1 Einführung Das Gewebe im Herzen kombiniert die Eigenschaften von Nerven mit denen von Skelettmuskeln. Einerseits ist es kontraktil andererseits aber auch erregbar. Im Herzen gibt es verschiedene Arten von Zellen. Die einen sind spezialisiert auf die Erregungserzeugung und schnelle -weiterleitung, die anderen sind auf starke Kontraktilität bei eher langsamer Weiterleitung spezialisiert. Erregungen, die den Herzschlag auslösen, werden beim gesunden Menschen periodisch in einem spezialisierten Zellbündel, dem Sinusknoten generiert von dort aus über die Vorhöfe zum AV-Knoten und weiter zu den Purkinje Fasern geleitet. Wenngleich beim gesunden Menschen Erregungen nur im Sinusknoten primär ausgelöst werden, kann, wenn z.B. die Weiterleitung über die Vorhöfe gestört ist o.Ä., das hierunterliegende Nervengewebe die periodische Erregung erzeugen. Hierbei ist anzumerken, dass die Frequenz (die sog. Schrittmacherfrequenz) der periodischen Erregung mit größer werdenendem Abstand zum Sinusknoten abnimmt. Dies ist in Abbildung 1 zusammen mit einem Bild des Herzens gezeigt. Abbildung 1: Das Herz mit seinem spezialisierten Nervengewebe (in dunkelrot)(aus [3]). Es sind für jeden Teil des Nervengewebes typische Schrittmacherfrequenzen angegeben, die mit größerem Abstand zum Sinusknoten kleiner werden. Erregbare Zellen verhalten sich bei anlegen eines Reizstromes im Allgemeinen wie in Abbildung 2 dargestellt. Hierbei wird in der Regel ein externer Reizstrom benötigt, der die Zelle erregt, wobei das Transmembranpotential positiv wird; die Zelle depolarisiert. Die Nervenzellen des Herzens depolarisieren jedoch selbstständig mithilfe durch einen von Konzentrationsgradienten getriebenen Strom. 2 Abbildung 2: Schematische Darstellung des Verhaltens einer erregbaren Zelle, die sich nicht selbst erregt bei Anlegen von Reizstrom (aus [4]). Bei einem Reiz der zu kleinerem Potential führt relaxiert die Zelle wieder auf ihr Ruhemembranpotential unabhängig davon, wie stark der Reiz war. Wenn der Reiz jedoch zu einem höheren Potential führt, wird, falls der Reiz eine bestimmte Schwelle übersteigt, ein Aktionspotential erzeugt. Hierbei steigt das Membranpotential - normalerweise negativ - sogar auf positive Werte. 2 Zustandekommen des Ruhemembranpotentials [1] Die Zellmembran trennt, wie in Abbildung 3 zu sehen, zwei Bereiche unterschiedlicher #» Konzentrationen und unterschiedlicher elektrischer Potentiale. Der Fluss J durch die Zellmembran wird deshalb durch zF #» #» #» J = −D ∇c + ∇Φ (1) RT beschrieben. Hierbei ist D der Diffusionskoeffizient, c die Konzentration des betrachteten Ions, z die Ladungszahl des Ions, R die universelle Gaskonstante, T die Temperatur und Φ das Potential. In der Literatur wird dies reduziert auf eine Dimension. Weiterhin wird Abbildung 3: Schematische Darstellung einer Membran, die zwei Kompartments unterschiedlicher Konzentrationen und elektrischer Potentialen trennt (aus [4]) U angenommen, dass ∂Φ ∂x = − L , wobei U das Transmembranpotential ist und L die Dicke der Membran. Dies ergibt eine Differentialgleichung für die Konzentration, deren Lösung 3 sich nach J aufgelöst zu F D zF U ci − ce exp −zU RT J= F L RT 1 − exp −zU RT (2) ergibt. Hierbei ist ci die Konzentration im Intrazellulärraum (IZR) und ce die Konzentration im Extrazellulärraum (EZR). Der Strom Ij der Ionensorte j ist damit gegeben durch Ij = Jj · zF . Das Nernst-Potential Uj ist das, bei dem der Strom von einer Ionensorte durch die Membran verschwindet. Hiermit folgt: RT ce (3) Uj = ln zj F ci Im IZR und EZR befinden sich jedoch verschiedene Arten Ionen. Die wichtigsten sind Na+ , K+ und Cl− . Wenn der Gesamtstrom dieser verschwinden soll, ergibt sich das Goldmann-Hodgkin-Katz Potential [1] RT PNa [Na+ ]i + PK [K+ ]i + PCl [Cl− ]e URMP = − ln . (4) F PNa [Na+ ]e + PK [K+ ]e + PCl [Cl− ]i Hierbei ist [·] die Konzentration des Ions im IZR beziehungsweise im EZR und Pj = Das Goldmann-Hodgkin-Katz Potential ist das Ruhemembranpotential der Zelle. Dj L . 3 Das Hodgkin-Huxley Modell [2] 3.1 Das Modell Das Hodgkin-Huxley Modell beschreibt Nervenzellen eines Tintenfisches. Es wird hier beschrieben, da die Ideen, die diesem Modell zugrunde liegen, prinzipiell auch für Modelle von Herzzellen genutzt werden können. Das hier betrachtete Modell geht davon aus, dass die Zellmembran IZR und EZR wie ein Kondensator trennt und gleichzeitig, parallel dazu, für einzelne Ionen spezifische Kanäle existieren. Der Strom durch die Ionenkanäle steigt aufgrund eines experimentellen Befundes linear mit der Transmembranspannung. Hierzu lässt sich ein elektrisches Ersatzschaltbild zeichnen, dass in Abbildung 4 abgebildet ist. Hierzu lässt sich eine Gleichung für den Strom aufstellen. Es gilt: Abbildung 4: Das Ersatzschaltbilltend einer Zelle im Hodgkin-Huxley Modell. C dU = − {gNa (U − UNa ) + gK (U − UK ) + gCl (U − UCl )} + Iapp dt 4 (5) (b) Na+ -Leitfähigkeit (a) K+ -Leitfähigkeit Abbildung 5: Hier sind die zeitlichen Entwicklungen der K+ - und der Na+ -Leitfähigkeit dargestellt (aus [2]). Hierbei ist Iapp der an die Zelle angelegte Reizstrom. Hierbei sind gj die Leitfähigkeiten der einzelnen Ionen und C ist die Kapazität der Zellmembran. Blieben alle Leitfähigkeiten konstant würde dieses System schnell in sein Gleichgewichtszustand relaxieren. Deswegen werden zeitlich veränderliche Leitfähigkeiten für Na+ und K+ -Ionen verwendet. Durch Messung wurde das Verhalten der Leitfähigkeiten nach einem rechteckigem Reizstrompuls bestimmt. Dieses ist in Abbildung 5 für Na+ und K+ dargestellt. Der sigmoidale Anstieg der Leitfähigkeit und der exponentielle Abfall lässt sich praktischerweise mit einer Gatingvariablen n die der Gleichung τn (U ) dn = n − n∞ (U ) dt (6) genügt und die mit einem Potenzgesetz in die Leitfähigkeit umgerechnet wird. Hierbei sind n∞ und τn experimentell bestimmte Funktionen. Es ergibt sich, dass die Leitfähigkeit aus dem Modell am besten mit dem Experiment übereinstimmt, wenn gK = ḡK · n4 (7) angenommen wird. Die vierte Potenz in n generiert so den sigmoidalen Anstieg. Für den Na+ -Kanal zeigt sich, dass dieser am besten durch zwei Gatingvariablen beschrieben wird, eine für den Anstieg der Leitfähigkeit, die andere für den Abfall. Wieder gibt es pro Gatingvariable zwei experimentell bestimmte Funktionen τw und w∞ mit w = m, h, für die eine zu Gleichung (7) analoge Zeitentwicklung gilt. Das Potenzgesetz lautet: gNa = ḡNa · m3 h Die experimentell bestimmten Funktionen sind in Abbildung 6 dargestellt. 5 (8) Abbildung 6: Hier sind die experimentell bestimmten Funktionen dargestellt (korrigiert aus [2]). 3.2 Eigenschaften des Modells [2] Das Modell generiert wie gewünscht mit realistischen Werten nach einem überschwelligen Rechteckimpuls im Reizstrom ein einzelnes Aktionspotential. Dies ist in Abbildung 7 dargestellt. Der Na+ -Kanal öffnet sich wesentlich schneller als der K+ -Kanal, dadurch, dass τm sehr klein ist. Über die Gatingvariable h wird der Na+ -Kanal inaktiviert, jedoch auf einer langsameren Zeitskala. Dies führt dazu, dass zu Beginn des Aktionspotentials ein Na+ Einstrom in die Zelle diese depolarisiert und ein verzögerter K+ Ausstrom diese repolarisiert. Abbildung 7: A: Hier ist der Ablauf des eigentlichen Aktionspotentials abgebildet. B: Zeitliche Änderung der Gatingvariablen. Die Variable m reagiert wie erwartet sehr schnell. C: Zeitliche Änderung der Leitfähigkeiten für Na+ und K+ . 6 (a) Die durchgezogenen Linien sind Trajektorien des Systems, die gestrichelte ist die Nulllinie der Spannung, die gepunktete die Nulllinie (b) der Gatingvariablen m. Zwischen den Nulllinien gibt es 3 Schnittpunkte. Hiervon sind der bei der kleinsten (vr ) und größten (ve ) Spannung stabil. Um den mittleren, instabilen Fixpunkt (vs ) trennt eine Seperatrix die Phasenebene in 2 Teile (gestrichpunktete Linie) ((aus [2]). Die langsame Reaktion der Gatingvariablen h und n führt zu einer langsamen Veränderung der Nulllinie der Spannung (1-4) (aus [2]). Dies führt letztendlich zur Rückkehr des Systems in den Ruhezustand. Abbildung 8: Die schnelle Phasenebene Legt man einen konstanten Strom an, geschieht ab einer bestimmten Schwelle etwas anderes. Die Transmembranspannung oszilliert regelmäßig. Erhöht man den Reizstrom weiter verschwindet die Oszillation wieder. Grund hierfür sind zwei Hopf-Bifurkationen des Modells. Um diesen Sachverhalt besser zu untersuchen werden jeweils nur Ebenen des Phasenraums betrachtet. Als erstes bietet sich die sogenannte schnelle Phasenebene an. In dieser variieren Spannung U und die schnelle Gatingvariable m und die Gatingvariablen h und n werden konstant gehalten. Die Nulllinien der beiden Variablen sind in Abbildung 8a für den Strom Iapp = 0 dargestellt, wobei die Gatingvariablen n und h die Werte bei Ruhe haben. Wegen der 3 Schnittpunkte gibt es auch 3 Fixpunkte in der schnellen Phasenebene. Hier kann gezeigt werden, dass der, der in der Mitte liegt instabil ist. Diese Tatsache führt dazu, dass eine Seperatrix existiert, die die Phasenebene in zwei Teile teilt. Die Seperatrix kann vom System nicht überschritten werden. Deshalb relaxiert das System innerhalb eines jeden Teils der Phasenebene nur in den entsprechenden Fixpunkt. Da jedoch in Wirklichkeit die Gatingvariablen h und n sich zeitlich ändern wenn auch langsam - ändert sich die Nulllinie der Spannung, sodass, wenn das System zu Beginn im erregten Zustand ist, zu einem bestimmten Zeitpunkt der Fixpunkt im erregten Zustand und der instabile verschwinden. Deswegen relaxiert das System in den Fixpunkt der für den Ruhezustand steht. Die Zeitentwicklung der Nulllinie der Spannung ist in Abbildung 8b gezeigt. In der gemischten Phasenebene werden die beiden Variablen n und U betrachtet. Hierbei wird h aufgrund des empirischen Befundes, dass es eine Konstante k = n + h für alle Zeiten gibt durch h = k − n ersetzt. Gleichzeitig wird die Gatingvariable m als instantan angesehen und somit durch m∞ ersetzt. Ein Phasendiagramm ist in Abbildung 9 gegeben. Hierbei sind die Nulllinien erneut aufgetragen. Hierbei wird deutlich, dass die Nulllinie der Spannung hier die Spannungswerte der Fixpunkte der schnellen Phasenebene angibt. Hiermit ist klar, dass, falls der einzige Fixpunkt der gemischten Phasenebene 7 im monoton steigenden Abschnitt der Phasenebene liegt, das System instabil ist und damit Oszillationen zeigen wird. Dieses Verhalten tritt in einem bestimmten Intervall von Iapp auf und ist in Abbildung 9 gezeigt. Abbildung 9: Darstellung der gemischten Phasenebene mit Oszillation aufgrund eines instabilen Fixpunktes (aus [2]). 4 Ausblick Es wurde klar, dass ein applizierter Strom die Transmembranspannung im HodgkinHuxley Modell dazu bringt zu oszillieren. Diese Erkenntnis lässt sich nutzen um auf andere Zellen spezialisierte Modelle zu erstellen. Dies ist zum Beispiel für Zellen der Purkinje-Fäden oder des Sinusknotens geschehen [2]. Die generelle Vorgehensweise ist hier, dass ein weiterer Ionenkanal postuliert (oder experimentell gefunden) wird, der eine langsame Depolarisation der Zelle durch Einstrom positiver Ionen bewirkt. Dies führt dann dazu, dass die erregbare Zelle ihre Schwellwertspannung beziehungsweise in der schnellen Phasenebene die Seperatrix überschreitet und die Generation eines Aktionspotentials unausweichlich ist. Im weiteren können noch Feinheiten des Modells betrachtet werden, die die Form der Aktionspotentiale betrifft. Dies kann am besten durch Messung am echten System geschehen. Literatur [1] J. Keener und J. Sneyd Mathematical Physiology I. Springer, New York, second edition, 2009; S. 83-87 und S. 196-216 [2] J. Keener und J. Sneyd Mathematical Physiology II. Springer, New York, second edition, 2009; S. 536-543 [3] R. Klinke, H. Pape, A. Kurtz und S. Silbernagl Physiologie. Georg Thieme Verlag KV, 6. Auflage, 2010. [4] M. Hexamer Biomedizinische Funktionssysteme I. Vorlesungsskript Kapitel 2 & 7, Stand 01. Juni 2014, https://www.ei.rub.de/studium/lehrveranstaltungen/353/ 8