Subkulturen im Fokus – unter besonderer Berücksichtigung der Psychobillies Bachelor Arbeit im Fachbereich Angewandte Sozialwissenschaften Studiengang Soziale Arbeit der Fachhochschule Dortmund – University of Applied Science and Arts Christian Talarek, 7072193 Erstprüfer: Prof. Dr. Harald Rüssler Zweitprüfer: Dr. Manfred Heßler Bearbeitungszeitraum: 1. April 2010 bis 1. September 2010 Hagen, September 2010 Inhaltsverzeichnis Abstract S. 4 Vorwort S. 5 1. Einleitung S. 7 2. Subkultur und Szene – begriffliche Sondierungen S. 9 3. Subkulturelle Vorläufer/Verwandtschaften von Psychobilly S. 32 3.1. Skinheads S. 32 3.2. Punk S. 45 3.3. Rockabillies, Teddyboys und Halbstarke S. 57 3.3.1. Rockabillies S. 57 3.3.2. Teddyboys S. 63 3.3.3. Halbstarke S. 65 4. Die Subkultur der Psychobillies: Exemplarische Einsichten – Qualitative Interviews mit Subkulturangehörigen S. 68 4.1. Die Geschichte von Psychobilly S.68 4.2. Methodisches Setting S. 75 4.3. Ergebnisdarstellung S. 78 4.3.1. Ist die Psychobillysubkultur politisch? S. 79 4.3.2. Ist die Psychobillysubkultur friedlicher geworden? S. 85 4.3.3. Wie verhält es sich mit dem Geschlechterverhältnis in der Psychobillysubkultur? S. 95 4.3.4. Gehört die Psychobillysubkultur zu den Rockabillies oder handelt es sich um eine autonome Szene? S. 100 4.3.5. Wie ist das Verhältnis zu anderen Subkulturen? S. 106 4.3.6. Was bedeutet Spaß in der Psychobillysubkultur? S. 112 4.4. Zusammenfassende Betrachtung S. 123 2 5. Literaturverzeichnis S. 131 Anhang S. 134 Eidesstattliche Erklärung S. 138 Erklärung nach § 25(1) BPO S. 139 3 5. Literaturverzeichnis Brackenridge, Craig (2003): Let’s Wreck. Psychobilly Flashbacks from the eighties & beyond. Retford, Stormscreen Productions Brake, Mike (1981): Soziologie der jugendlichen Subkulturen. Eine Einführung. Frankfurt/New York, Campus Colegrave, Steve/Sullivan, Chris (2005): Punk. München, Rolf Heyne GmbH & Co. KG Dudenredaktion, Die (1991): Der kleine Duden. Fremdwörterbuch. 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August 2010 133 Abstract Subkulturen im Fokus – unter besonderer Berücksichtigung der Psychobillies Von Christian Talarek Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit Subkulturen. Es wird auf die Geschichte der Punk- und der Skinheadsubkultur eingegangen, sowie auch auf die Teddyboys, die Halbstarken und die Rockabillies. Der Schwerpunkt dieser Arbeit behandelt die Psychobillysubkultur. Es gibt viele Figurationen und Gemeinsamkeiten zu den vorher erwähnten Subkulturen. Diese Arbeit beschreibt zunächst die Geschichte der verwandten Szenen, damit der Leser Psychobilly besser versteht. Auch die Begriffe Subkultur und Szene werden näher erläutert. Psychobilly ist eine Musikrichtiung, welche die Melodie und den Ryhtmus von Rockabilly, mit der Aggressivität und Geschwindigkeit von Punkrock vereint. Die Psychobillysubkultur war in den 80er Jahren auf ihrem Höhepunkt, ist in den 90er Jahren deutlich geschrumpft und hat in den letzten Jahren immer mehr Anhänger gefunden. Berühmte Psychobillybands wie „the Meteors“, „Mad Sin“ und „Tiger Army“ sind weit über die Psychobillyssubkultur bekannt. Aufgrund der kaum vorhandenen Literatur über diese Subkultur habe ich mich ins Feld begeben, um 5 Psychobillies zu interviewen und so Informationen über Psychobilly zu gewinnen. Die Auswertung der 5 Interviews macht einen Hauptteil dieser Arbeit aus und gibt Anworten auf die Fragen: 1. Ist die Psychobillysubkultur politisch? 2. Ist die Psychobillysubkultur friedlicher geworden? 3. Wie verhält es sich mit dem Geschlechterverhältnis in der Psychobillysubkultur? 4. Gehört die Psychobillysubkultur zu den Rockabillies oder handelt es sich um eine autonome Szene? 5. Wie ist das Verhältnis zu anderen Subkulturen? 6. Was bedeutet Spaß in der Psychobillysubkultur? 4 Vorwort Ursprünglich wollte ich mich mit einer anderen Thematik in meiner Bachelor Arbeit befassen. Ich hatte mir eigentlich vorgenommen, die politischen Werte und Normen der Subkulturen der Punks, Skinheads und Psychobillies gegenüberzustellen. Diese drei Subkulturen ähneln sich in vielerlei Hinsichten und der Betrachter von Außen wird bis auf die Äußerlichkeiten nur wenige Unterschiede finden. Allerdings hat Politik in diesen drei Subkulturen einen völlig anderen Stellenwert und diesen wollte ich anhand von Interviews mit Anhängern der unterschiedlichen Szenen herausstellen. Doch schon bei meiner Recherche nach geeigneter Literatur musste ich feststellen, dass es genug Material über Skinheads und Punks gab, aber nahezu keine Literatur über Psychobilly. In der Bibliothek der TU Dortmund konnte ich kein einziges Buch über diese Thematik finden. In der Bibliothek der FH Dormund fand ich ein Buch, in der die Psychobillyszene lediglich als Begleiterscheinung der Rockabillyszene behandelt wird. (El-Nawab 2007) Zusätzlich zu diesem Problem hätte eine Arbeit über drei Subkulturen und ihre Unterschiede den zeitlichen, sowie den inhaltlichen Rahmen einer Bachelor Arbeit gesprengt. Daher einigte ich mich mit Herrn Prof. Dr. Rüssler darüber, dass ich den Hauptfokus meiner Arbeit auf die relativ unbekannte Subkultur Psychobilly richten sollte. Ich werde in meiner Arbeit auf die Geschichte sowie die Hintergründe der Punk- und Skinheadkultur eingehen, da es große Parallelen zu diesen Subkulturen und der Psychobillyszene gibt. Ohne die Punkszene würde es Psychobilly sicherlich nicht in dieser Form geben. Da es kaum Literatur zu dieser Thematik gibt, habe ich mich ins Feld begeben, um mit Psychobillies zu sprechen. Ich wollte mehr erfahren über die Subkultur, die es zwar seit 30 Jahren gibt, aber weder von der Öffentlichkeit noch von der Wissenschaft Beachtung gefunden hat. Zu diesem Zwecke interviewte ich 5 Psychobillies. Ich finde es sehr motivierend über etwas zu schreiben, worüber es noch keine 300 Diplom-Arbeiten oder Dissertationen gibt. Zudem freue ich mich darüber, Außenstehenden eine Subkultur näher zu bringen, die genau so viel Beachtung verdient hat, wie andere Subkulturen auch. Es gibt Psychobillybands, die von ihrer Musik leben können und Psychobillyfans reisen teilweise durch ganz Deutschland, um ihre Lieblingsbands zu sehen. Manche Anhänger dieser Subkultur reisen sogar durch halb 5 Europa um an bestimmten Szeneevents wie dem Satanic Stomp in Speyer, dem Psychobilly Meeting in Pinada in Spanien und an Psychomania in Potsdam teilzuhaben. Ich habe es auch schon selber erlebt, dass Psychobillies aus England extra für ein Meteorskonzert nach Bochum gereist sind. Ich möchte ergründen, woher diese Begeisterung und Aufopferung für eine Musikszene kommt, die im Gegensatz zu Punk, im Untergrund stattfindet. Psychobilly findet keine Beachtung in den Medien. Auf Viva und MTV sind keine Psychobillyvideos zu sehen und es laufen auch keine Radiosendungen, die Musik von Bands wie Mad Sin, Tiger Army oder den „Nekromantix“ spielen. Trotzdem existiert die Szene seit über 30 Jahren. Zudem finde ich es interessant, Mitglieder der Psychobillyszene zu interviewen und so neue Eindrücke zu sammeln. Die Arbeit im Feld ist mir völlig neu und ich sehe es als Herausforderung für mich an. Durch meine jahrelange Erfahrung im Subkulturmilieu konnte ich sehr schnell Interviewpartner gewinnen und registrierte eine große Begeisterung bei den Menschen, über ihre größte Leidenschaft zu sprechen. In den letzten Jahren hat es sich immer mehr etabliert, dass meist berühmte Psychobillybands wie the Meteors, „Demented Are Go“ und Mad Sin auf großen Punkfestivals wie dem Force Attack, dem Back to Future Festival und dem Endless Summer Festival spielen. Dementsprechend vermischt sich auch das Publikum eines solchen Festivals und es zelten unpolitische Psychobillies neben linksgerichteten Punkrockern und Sharpskinheads. Es kommt also zu einer „Figuration“ (Norbert Elias) zwischen den Subkulturen. Daher ist das Thema sehr aktuell, da hier viele Jugendkulturen aufeinander treffen. Diese Kulturen haben aber alle eine unterschiedliche Geschichte und gerade die Skinheadszene hat seit der Unterwanderung von Rechts starke Imageprobleme in der Öffentlichkeit. Es ist von daher sehr interessant, diese Phänomene zu beobachten und ob es zu weiteren Annäherungen der Szenen untereinander kommt oder ob es zu Brüchen aufgrund von differenzierten politischen Ansichten kommt. Daher befrage ich die Psychobillies zu deren Einstellungen gegenüber anderen Subkulturen. 6 1. Einleitung Zielsetzung ist in erster Linie das Gewinnen von Informationen über Psychobilly. Aufgrund der kaum vorhandenen Literatur können sich Außenstehende kaum ein Bild von Psychobilly machen. Psychobilly ist eine Musikrichtung, die Rockabilly mit Punk vereint. Psychobilly ist eine Subkultur, die starke Verflechtungen mit der Rockabilly-, Punk- und Skinheadszene aufweist. Psycho steht für das Wort Psychopath bzw. Psychopathie. Billy ist ein Slangausdruck aus dem Amerikanischen und steht für einen dort typischen Namen. Darauf geh ich später ein. „Psychopath der; -en, -en: Mensch mit abnormen Erscheinungen des Gefühls- u. Gemütslebens.“ (Der kleine Duden 1991: 343) „Psychopathie die; -: Abartigkeit des geistig-seelischen Verhaltens (Med.; Psychol.).“ (Der kleine Duden 1991: e.b.d.) Das wichtigste Symbol der Psychobillyszene ist die Frisur. Psychos (die Kurzform für Psychobilllies) tragen entweder eine Tolle, wie sie Elvis Presley damals getragen hat, oder einen so genannten Flat. Bei dem Flat handelt es sich um eine Frisur, bei der die Seiten und der Hinterkopf kahl geschoren sind. Das Haupthaar wird von hinten nach vorne immer länger. Der Flat wird entweder als ein Riesenhörnchen bzw. Spike nach vorne gestylt oder wie eine gigantische Tolle nach oben. Der Flat wird dabei bevorzugt in blond oder schwarz gefärbt. Einige Psychos bevorzugen auch buntere Farben, wie blau, rot und grün. Daher kann es auch leicht zu Verwechslungen kommen, da die Kleidung der Psychobillyszene starke Parallelen zur Punk und Skinbewegung hat. So können Psychobillies schnell Opfer von stereotypen Ansichten der Gesellschaft werden, die sie mit Punks und Skinheads oder gar Nazis verwechseln. Gerade ältere Psychobillies, die aufgrund von Haarausfall keinen Flat und keine Tolle mehr tragen können, werden leicht mit Skinheads verwechselt, was negative Folgen haben kann. Kaum eine Subkultur muss mit so vielen Vorurteilen wie die Skinheads kämpfen. Skinheads sind durch die Anschläge auf Asylantenheime in den 90er Jahren in Deutschland zum Synonym für Fremdenhass, Intoleranz und Gewalt geworden. Sobald im Osten eine Gruppe Ausländer von Rechten zusammengeschlagen wird, beherrschen Bilder von Springerstiefeln, mit weißen Schnürsenkeln, die Medien. Völlig 7 undifferenziert wird jeder rechte Schläger als Skinhead tituliert. Die wenigsten Menschen kennen die Geschichte der Skinheads, in der jamaikanische und englische Jugendliche zusammen Ska Konzerte besucht haben. Die Medien berichten zwar gerne über rechtsradikale Skinheads, doch genau so gerne wird ausgeblendet, dass es sich bei den Skinheads um eine höchst heterogene Szene handelt, in der es von ganz links bis ganz rechts die unterschiedlichsten politischen Ansichten gibt. Da dem Großteil der Bevölkerung Psychobilly völlig fremd ist, werden Psychobillies oft stigmatisiert und stereotypen Ansichten über andere Subkulturen untergeordnet. In den Büchern von Susanne El-Nawab wird recht kurz auf die Psychobillyszene eingegangen. Der Großteil ihrer Bücher handelt von Rockabillies, die sicherlich eine entscheidende Rolle in der Geschichte von Psychobilly spielen. In meinen Interviews habe ich ergründet, wie wichtig diese Wurzeln für die Psychobillyszene sind und ob sie Psychobilly nicht als etwas völlig eigenes betrachten, dass autonom von der Rockabillyszene existiert. Durch meine Interviews möchte ich dem Leser die Psychobillyszene allgemein näher bringen. Aus welchem Milieu stammen Psychobillies? Sind Psychobillies berufstätig? Sind die Berufsfelder eher heterogen oder kann gesagt werden, dass ein Großteil dieser Szene eher handwerklichen und Arbeiterberufen nachgeht? Wie sind die Menschen zu dieser Subkultur gekommen? Wie sieht der Lebensstil aus? Welche Einstellungen herrschen in der Szene? Woran erkennt man einen Psychobilly? Worum geht in den Texten von Psychobillybands? In meiner Arbeit werde ich zunächst auf die Begriffe Subkultur und Szene eingehen. Anschließend beschreibe ich auf die Geschichte von Musiksubkulturen. Ich werde vom Beginn des Rock`n`Roll in den 50er Jahren über die Teddy Boys, die Mods in den 60er Jahren, die Skinheads gegen Ende der 60er, die Punks in den 70er Jahren und die Anfänge des Psychobilly in den 80er Jahren berichten. Ich möchte so die diversen Figurationen zwischen den unterschiedlichen Subkulturen beleuchten und auf die Wurzeln der Psychobillyszene eingehen. Danach werde ich auf die Ergebnisse meiner Interviews eingehen und diese analysieren. 6 Hauptfragen stehen dabei im Fokus der Interviews. Bei der ersten Hauptfrage wollte ich erfahren, ob es sich bei der Psychobillysubkultur um eine politische Szene handelt. Während der Interviews mit 2 älteren Angehörigen der Psychobillysubkultur, die die diversen Transformationsprozesse der Szene über Jahrzehnte beobachtet haben, hat sich der zweite Fragepunkt ergeben: Ist die Psychobillysubkultur friedlicher geworden? Das Geschlechterverhältnis bei den Psychobillies bestimmte die dritte Hauptfrage. Bei der vierten 8 Hauptfrage wollte ich Erkenntnisse gewinnen, ob die Psychobillies sich als Teil der Rockabillysubkultur sehen oder sich als autonome Szene verstehen. Die fünfte Hauptfrage sollte dem Leser das Verhältnis der Psychos zu anderen Subkulturen vermitteln. Den letzten Fragepunkt bildetete: Was bedeutet Spaß in der Psychobillysubkultur? 2. Subkultur und Szene – begriffliche Sondierungen Auf den folgenden Seiten werde ich auf die Begriffe „Subkultur“ und „Szene“ eingehen. Zunächst beschreibe ich, wann der Begriff Subkultur zum ersten Mal von Soziologen verwendet wurde und was subkulturelle Stile beinhalten. Das Verhältnis von der Subkultur zur Identität wird genau so Thema sein, wie die Entwicklung eines theoretischen Bezugsrahmens für die Untersuchung von Subkulturen. Danach erkläre ich die Eigenschaften von Szenen und wie diese aufgebaut sind. Szenetreffpunkte gehören genau so zum Inhalt, wie die Dynamik in Szenen, die Organisation, die Kultur und die Bedeutung von Szenen im gesellschaftlichen Kontext zu großen Institutionen wie Recht, Politik und Wirtschaft. Zum Begriff Subkultur Laut Mike Brake wurde der Begriff Subkultur das erste Mal von den Soziologen McLung Lee (1945) und M. Gordon (1947) verwendet. Sie sahen die Subkultur als ein Subsystem der nationalen Kultur an. Der Schwerpunkt ihrer Forschungen lag in den Sozialisationsformen von sektorisierten Kulturen in einer Gesellschaft, die als vielfältig angesehen wurde. (Vgl. Brake 1981: 15) „Kultur wurde als „erlerntes Verhalten“ verstanden.“ (Brake 1981: e.b.d.) Der Kulturbegriff ist laut Taylor (1871) aber noch viel umfassender: „Kultur oder Zivilisation, im weiteren ethnographischen Sinn verstanden, ist jenes komplexe Ganze, das das Wissen, den Glauben, die Kunst, die Moralauffassung, die Gesetze, die Sitten und alle anderen Fähigkeiten und Gewohnheiten umfasst, die sich der Mensch als Mitglied der Gesellschaft aneignet.“ (Brake 1981: 15, zit. nach Taylor 1871: 10) Kroeber und Kluckhohn (1952) greifen bei ihrer Definition von Kultur auf 160 Merkmale aus der Sozialwissenschaft zurück: 9 Kultur beinhaltet eine deutliche und einbeziehende Symbolik, die menschliche Leistung bestimmt, einschließlich ihrer Darstellung in der Kunst. Kultur besteht auch aus Verhaltensmustern. Hauptsächlich besteht Kultur aus überlieferten Ansichten und den damit verbundenen Wertmaßstäben, welche geschichtlich gereift sind. (Vgl. Brake 1981: e.b.d.) „Kulturelle Wertsysteme sind einerseits das Produkt menschlicher Handlungsweisen und andererseits die Voraussetzung für späteres Verhalten.“ (Brake 1981: e.b.d., zit. nach Kroeber/Kluckhohn 1952: 2) Ford (1942) sah Kultur als Lösungsmuster für Probleme, die aufgrund von überlieferten Verhalten, bewältigt werden (vgl. Brake 1981: e.b.d.). „Menschliche Handlungsweisen hängen von der Art der Probleme ab, die jeder bewältigen muß. (Brake 1981: e.b.d., zit. nach Cohen 1955: 51) Kultur ist äußerst heterogen. Es gibt diverse Bereiche, die ineinander überfließen und ebenso gibt es Sphären, die voneinander getrennt sind. Jede komplexe Gesellschaft besteht aus diversen, unterschiedlichen Kulturen, die auseinander gehen und es existiert eine Reihe von Untergruppen und Subkulturen. Die Subkulturen und Untergruppen müssen sich mit ihren Werten und Normen, sowie ihrem Lebensstil gegen die dominante Kultur, der herrschenden Klasse behaupten. Die herrschende Schicht rechtfertigt ihre Kontrolle über die unteren Schichten, durch ihr Konzept der ganzheitlichen Kultur. Menschen werden in differenzierte, äußerst heterogene soziale Schichten geboren. In den diversen Regionen entwickeln sich die unterschiedlichsten Werte und Normen, die über soziale Kontakte nach außen vermittelt werden. Das Individuum kann nur überleben, indem es kollektiv oder individuell Sozialkontakte aufbaut. Zwischen dem Individuum und den sozialen Kontakten findet eine wechselseitige Beeinflussung statt. Die Kultur einer Gruppe besteht aus den Werten, die sie verkörpert und ihren Ansichten. Die Figuration der Beziehungen und der Ausdrucksmittel formt unsere Identität. (Vgl. Brake 1981: 15-16) „Die Kultur als vermittelnde Instanz formt so unser Weltbild und bestimmt unsere Entwicklung mit“ (Brake 1981: 16). Wir orientieren uns an den Werten, die die herrschende Kultur uns vorgibt. Wenn die Orientierungsmöglichkeiten auch begrenzt sind, so bieten die sozialen Rahmenbe- 10 dingungen doch Platz für individuelle Vorlieben. Die Rahmenbedingungen wiederum sind von der Wirtschaft abhängig. (Vgl. Brake 1981: e.b.d.). „Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen.“ (Brake 1981: e.b.d., zit. nach Marx 1852: 115) Während herrschende Klassen durchaus existieren, ist die Vorherrschaft einer Kultur jedoch anzuzweifeln. Jede bestehende soziale Gruppe hat Werte. Die Wertesysteme sind allerdings heterogen und unterliegen Veränderungen und Umwertungen. Bei Verschiebungen des Klassengefüges sind in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, auch die bürgerlichen Werte auf die Werte der Aristokraten geprallt. (Vgl. Brake 1981: 16). „In Gesellschaften, die auf komplexe Weise verästelt sind, gibt es immer mehrere Kulturen. Die Mehrzahl dieser Kulturen sind Klassenkulturen, wobei die Subkulturen als Subsysteme dieser großen kulturellen Konfigurationen begriffen werden müssen. Subkulturen beinhalten Elemente der umfassenden Klassenkultur (auch Stammkultur, parent culture, genannt), heben sich jedoch zugleich von ihr ab.“ (Brake 1981: 16-17). Die herrschende Kultur übt Einfluss auf die Subkulturen aus, da sie schwer ausgeblendet werden kann, da sie auch die Massenmedien beherrscht. Downes (1966) ist der Meinung, dass Subkulturen, die gesellschaftlich akzeptiert werden, differenziert betrachtet werden müssen, von delinquenten Subkulturen. In manchen Berufsgruppen, können sich Subkulturen bilden und diese werden von der Gesellschaft anders wahrgenommen, als Gruppen, die sich aufgrund von soziokulturellen Begebenheiten straffällig verhalten und somit mit den gesellschaftlichen Normen brechen. Jede Subkultur hängt an einer Klassenkultur. Dabei kann sich die Subkultur eng an der Klassenkultur orientieren, oder gar oppositionell zu dieser sein und etwas Gegensätzliches bilden. (Vgl. Brake 1981: 17) Es gibt allerdings auch klar definierte Subkulturen mit eklatanten Merkmalen, die laut Miller (1968) „…ein Spektrum verschiedener Orientierungspunkte, die ungeteilte Aufmerksamkeit und ein Höchstmaß an emotionaler Zuwendung erfordern.“ (Brake 1981: e.b.d., zit. nach Miller 1968: 6) Die oben genannten Kriterien helfen dabei, Subkulturen nach Alter, Schichtzugehörigkeit und speziellen Merkmalen zu ordnen. Beim Begriff der jugendlichen Subkul11 tur muss man beachten, dass es eklatante Unterschiede zwischen den Jugendlichen diverser Schichten und Alterszugehörigkeiten gibt. Jugendliche und Heranwachsende bewegen sich in äußerst heterogenen Subkulturen, mit ganz eigenen Werten und Normen. Sie führen einen ganz speziellen Lebensstil. Man kann nicht von einer einzigen Jugendkultur ausgehen, in der alle jungen Leute unter Dreißig vereint sind. Allein schon die Existenz von Subkulturen zeigt, wie viele und differenzierte Alternativen zur vermeintlich dominierenden Kultur bestehen. Wenn Menschen eigene Wert- und Normvorstellungen haben, eigene Formen des Handelns entwickeln und diese Handlungsweisen auch organisieren, dann können Subkulturen entstehen. Menschen finden in Subkulturen zueinander, um Problemlösungen zu finden, für kollektive erlebte Anpassungsprobleme, für die es noch keine Lösung gibt. Downes (1966) gibt zu beachten, dass Subkulturen nicht nur innerhalb der Gesellschaft entstehen können, sondern auch ‚importiert` werden können, wie z.B. die Kultur von Immigranten. Eine Subkultur kann jedoch nur bestehen, wenn die Werte und Normen für ihre Mitglieder ihre Bedeutung behalten. Die Subkultur übt Einfluss auf die Identität und die Vorstellungen der Mitglieder aus. Zudem wird ein Rollenverhalten eingeübt und es findet eine Befassung mit der sozialen Wirklichkeit statt. Der Begriff Subkultur ist nicht sehr genau. Die verschiedenen kulturellen und strukturellen Elemente werden nur ungefähr beschrieben und über die Entstehung der Subkulturen, ihre Grenzen, und über ihre Transformationsprozesse ist zu wenig bekannt. (Vgl. Brake 1981: 17-19) Subkulturelle Stile Strukturelle Bedingungen sind die Grundlage für die Entstehung von Subkulturen. Je nach sozialer Lage erleben bestimmte Gruppen von Personen starke Widersprüche in den herrschenden Bedingungen. Für diese Widersprüche scheint es auch keine Lösung zu geben und so prallt der kulturelle Hintergrund Einzelner auf die herrschende, bürgerliche Kultur und bildet einen Gegensatz zu dieser. Die Bildung einer Subkultur hängt dabei auch immer von den geschichtlichen Umständen ab. Was Subkulturen ausmacht, ist ihr Stil. (Vgl. Brake 1981: e.b.d.) So schreibt A.K. Cohen (1965): „Über ein bestimmtes Verhalten vermittelt sich das Gefühl der Zugehörigkeit zur Subkultur bzw. wird eine neue Rolle eingenommen. Dies umfasst die Art der getra12 genen Kleidung, die Körpersprache, die Art und Weise, wie man sich bewegt, die Vorlieben und Abneigungen, die Themen, über die man spricht, und die Meinungen, die man vertritt.“ (Brake 1981: e.b.d., zit. nach Cohen 1965: 1). Der Stil lässt Rückschlüsse auf die Zugehörigkeit einer bestimmten Subkultur zu und das Erscheinungsbild allein kann schon als Provokation und Missbilligung der herrschenden Werte und Normen interpretiert werden. Der Stil umfasst drei Bestandteile: a) Image. Das Äußere prägt das Image. Das Anderssein wird z.B. in der Frisur, der Kleidung, Schmuck und ähnlichem ausgedrückt. b) Haltung. Zur Haltung zählen die Körpersprache, die Art der Bewegungen und der körperliche Ausdruck im Allgemeinen. c) Jargon. Hier handelt es sich um spezielle Wörter, Slangs und deren Geschichte. In jeder Konsumgesellschaft werden mit Hilfe der Massenmedien Idole und Stars kreiert. Das hat zur Folge, dass sich viele normale Bürger, genau wie ihr Star, kleiden, die Sprechweise imitieren oder ihre Lieder nachspielen. Sie transformieren so ihre eigene Identität. So nimmt sich ein Mädchen aus der Arbeiterklasse, als klassenloses Mädchen wahr, dass sich genau, wie viele andere auch, so stylt, wie Marilyn Monroe. Bei Subkulturen kann man ähnliche Phänomene beobachten. So grenzen sich Subkulturen bewusst durch ihr Image und ihren Stil von dem Durchschnittsbürger ab. Man flüchtet vor der Realität und baut sich eine neue Identität auf, jenseits von Klassen, Bildung und Berufen. Besonders wenn man sich in der Hierarchie der normalen Gesellschaft unten befindet. Ricoeur (1972) erkennt, dass Subkulturen sich von herrschenden Trends abgrenzen. Über die Interaktion mit anderen Mitgliedern der Subkultur bildet sich eine Identität. Beim Auftreten innerhalb der Subkultur muss der Stil der Person authentisch sein. Dabei wird viel Wert auf das Image und das Auftreten gelegt. Das richtige Auftreten wird beim Umgang mit wichtigen Mitgliedern der Subkultur erlernt. (Vgl. Brake 1981: 19-21) „Durch unser Äußeres wird eine Vielzahl von Bedeutungen transportiert. Speziell die Kleidung drückt eine Menge gleichzeitig aus. Sie verweist auf unseren sozialen Background und unser individuelles Zeichensystem, mittels dessen wir kommunizieren und unsere Absichten darlegen.“ (Brake 1981: 21, zit. nach Carter 1967) 13 Schon in der Art, wie wir uns kleiden, verraten wir, ob wir mit gängigen Normen übereinstimmen oder nicht. Auch wenn wir die Kleidung, die wir tragen, für unseren persönlichen Stil halten, so fließt auch immer, wenn auch in verfremdeter Form, unsere Umwelt mit ein. Der Verstand spielt dabei kaum eine Rolle, da gewisse Dinge emotionalisiert werden. Nach einem ähnlichen Prinzip lässt sich auch der Erfolg von Filmen, von Werbung, und von Musik erklären. Es wird nicht unbedingt drüber nachgedacht, sondern es wird sich instinktiv für etwas entschieden. (Vgl. Brake 1981: 21-22) „Die Ausdrucksmittel weisen auch auf einen bestimmten Lebensstil hin.“ (Brake 1981: 22) Symbole und Mode können zu Ausdrucksmitteln von Subkulturen umfunktioniert werden. Dadurch werden der Zusammenhang und die Bedeutung der Symbolik verändert. Ein Beispiel dafür wäre der Kleidungsstil der Teddy Boys, welcher, die ursprüngliche Symbolik der Kleidung, völlig verfremdet hat. So entsteht ein neuer Stil, der für die Identität der Subkultur sehr wichtig ist und dabei die modischen Attribute von ihrer ursprünglichen Bedeutung befreit. Die Mitglieder eine Subkultur erkennen andere Mitglieder daran, dass diese, die modischen Attribute öffentlich verwenden. (Vgl. Brake 1981: 22-23) „Willis (1972) weist darauf hin, dass zwischen Objekten, ihrer neuen Bedeutung und den Verhaltensformen ein innerer Zusammenhang, eine „Homologie“ (im Sinne von Levis-Strauss), besteht.“ (Brake 1981: 23) Subkulturen, soziale Wirklichkeit und Identität Die Stile von Subkulturen sind auf der einen Seite eine Scheinlösung, für die im System enthaltenen Widersprüche und auf der anderen Seite bieten sie dem Individuum die Möglichkeit, eine unabhängige Identität zu bilden und ein besseres Selbstwertgefühl aufzubauen. Welcher Subkultur das Individuum beitritt, hängt stark vom Zufall ab. (Vgl. Brake 1981: 23) „Empirisch lässt sich jedoch der Eintritt in eine bestimmte Subkultur auf Schichtenzugehörigkeit, soziales Umfeld (community), Ausbildung und die damit verbundenen Chancen zurückführen.“ (Brake 1981: e.b.d.) Wie intensiv die Bindung an die Subkultur ist und wie stark der subkulturelle Lebensstil ausgelebt wird, ist allerdings höchstverschieden und variiert unter den diversen Mitgliedern. Eine ganz entscheidende Rolle spielt das Alter, da es oft junge Leu14 te sind, die einer Subkultur beitreten. In dieser Zeit herrscht viel Bewegung im Leben der jungen Leute und sie befinden sich of im Entwicklungsstadium zwischen dem Beenden der Schule, den Beginn einer Ausbildung bzw. das Eintreten in das Berufsleben und der Heirat. In dieser Entwicklungsphase findet in der Subkultur eine Nachsozialisation statt. (Vgl. Brake 1981: 24) „Berger/Luckman (1969) weisen darauf hin, dass sich Verhaltensmuster in der Primärsozialisation quasi über eine Manipulation herausbilden, d.h. unter Ausnutzung der kulturellen Abhängigkeit….“ (Brake 1981: e.b.d.) Über die Primärsozialisation wachen begrenzte Bezugspersonen. Diese Bezugspersonen müssen vom Kind akzeptiert werden. Da die Auswahl der Erwachsenen äußerst begrenzt ist, hat das Individuum keine Probleme, sich mit deren Weltanschauung zu identifizieren. Das Kind kennt schlicht keine andere Welt, es kennt die Vielfalt der Welt nicht, sondern nur die Welt der Bezugspersonen. So wird diese Welt, die von den Erwachsenen vermittelt wird, als die einzige Welt die existiert: Die Welt „tout court“ (Vgl. Brake 1981: e.b.d.). „Kinder nehmen die Welt somit wahr, ohne einen Begriff von der Vielfalt der sozialen Wirklichkeit zu haben.“ (Brake 1981: e.b.d.) Im Umgang mit den Eltern oder anderen wichtigen Bezugspersonen entsteht eine wechselseitige Beziehung. In dieser verinnerlichen die Kinder die Verhaltensweisen der Eltern. Soziale Institutionen werden laut Berger und Luckmann Teil der Symbolwelt. In dieser Symbolwelt scheint alles einen Sinn zu haben und sie wird als die einzige Welt akzeptiert, die es gibt. Das Kind empfindet die Merkmale dieser Symbolwelt als ‚objektive’ Wahrheit. So entwickelt das Kind ein Ordnungssystem und vermeidet so eine chaotische Wahrnehmung der Außenwelt. Das Kind beginnt eine Vorstellung zu entwickeln, wie die Welt funktioniert und wie sie sein sollte. Doch da auch die Symbolwelt nicht perfekt ist, müssen Fehler und Abweichungen von der Idealvorstellung geleugnet werden. (Vgl. Brake 1981: e.b.d.) Mary Douglas (1970) ist der Meinung, dass es eine der Aufgaben von Kultur ist, die Symbolwelt in öffentlich akzeptierte Verhaltensweisen zu zerkleinern: „Kultur stellt ein Bindeglied zwischen den in einer Gemeinschaft existierenden Wertmaßstäben und dem Individuum dar. Man wird in dieses fundamentale Kategoriensystem, in einen positiven Bezugsrahmen, hineingeboren. Ansichten und Wertmaßstäbe sind darin fein säuberlich geordnet. Die herrschende Kultur verfügt über 15 ausreichend Autorität, um über ihre Werte individuelle Anpassung zu produzieren. Das geht jedoch noch weiter, denn konformes Verhalten einzelner findet schließlich immer Nachahmer. Der öffentliche Charakter der Kultur macht sie so zum repressiven Instrument.“ (Brake 1981: 24, zit. nach Douglas 1970: 102) Sie ist auch der Meinung, dass Verhalten, welches von der Stammkultur abweicht, entweder positive oder negative Resonanzen zur Folge hat. Moral spielt in der westlichen Welt eine große Rolle und beinhaltet grundlegende Werte. Diese Werte sind für bestimmte Personen essentiell und nicht zu hinterfragen. Diese Menschen lassen es nicht zu, dass bestimmte Werte in Frage gestellt werden und nutzen den Moralbegriff für ihre Sicht der Dinge aus. (Vgl. Brake 1981: 25) „Für diese Personen sind sie unumstrittener und absoluter Teil der sozialen Wirklichkeit.“ (Brake 1981: e.b.d.) Eine Abweichung von Werten, die von großen Teilen der Gesellschaft, vom Moralbegriff gestützt werden, bedeutet nichts anderes, als das die Richtigkeit der Symbolwelt angezweifelt wird. Soziale Außenseiter werden als Ausgestoßene gesehen, da sie die Symbolwelt der Mehrheit nicht akzeptieren. Immigranten werden zu Außenseitern, da sich ihre Kultur teilweise eklatant von der Stammkultur unterscheidet. Durch das Leugnen der Symbolwelt, bzw. durch die differenzierte Auslebung von Kultur, wird die Definition der Wirklichkeit, der Befürworter, der Stammkultur in Frage gestellt. Diese Meinung vertreten Berger und Luckman (1969). Subkulturen verleihen der Abweichung eine Begründung, eine Struktur und eine Ideologie. Subkulturen stellen die Gültigkeit der Symbolwelt in Frage und wirken sich durch ihre offene Herausforderung an die Gesellschaft, attraktiv auf neue Möchtegernmitglieder aus. Der Neuling verändert durch die Werte und Normen der Subkultur sein Selbstbild. Glaser (1966) spricht in diesem Fall von der ‚differentiellen Identifikation’. Wenn jemand versucht, die strukturellen Probleme seiner Schicht hinter sich zu lassen, indem er, über den Einstieg in eine Subkultur, sein Selbstwertgefühl verbessert, dann kann man von einer positiven Orientierung an eine subkulturelle Bezugsgruppe sprechen. Die Gesellschaft wird nun aus der Sicht der Subkultur betrachtet. Das Weltbild verändert sich und die soziale Wirklichkeit wird anders ausgelegt. (Vgl. Brake 1981: 24-26) „So gesehen sind die Subkulturen wichtige außerfamiliäre Sozialisationsinstanzen. Sie zeigen an, daß das Leben nicht in Arbeit und Schule aufgeht.“ (Brake 1981: 26) 16 Die Symbolwelt lässt nicht nur Raum, für die Interpretation der sozialen Wirklichkeit, sondern sie bietet auch moralische Orientierungspunkte. Diese können sich allerdings verändern, da sie nicht statisch sind. Der Orientierungsrahmen der Symbolwelt, wird durch die alternativen Handlungs- und Lebensweisen der Subkultur, immer weiter. Deviantes Verhalten wird weitgehend integriert und es werden zwangsläufig neue Ideen und Vorstellungen aufgenommen. Allerdings bleibt die Subkultur ein Fremdkörper, den man nicht einschätzen kann. Die vorherrschende Sicht der Realität wird von der Subkultur akzeptiert, und trotzdem verkörpert sie die Devianz und das Anderssein. (Vgl. Brake 1981: e.b.d.) „Dem Konzept der Subkultur liegen demnach bestimmte intragesellschaftlich vermittelte und erfahrene Ängste und Unsicherheiten gegenüber dem „Fremden“ zugrunde; Subkulturforschung ist immer auch Ethnologie im eigenen Land, Erforschung des Unberechenbaren und oft Unverständlichen; Reaktion auf bisher unbekannte Phänomene und Provokationen – mit dem Ziel: Nachvollziehen, Verstehen, Beeinflussen, Kontrollieren, Integrieren, Kolonialisieren.“ (Griese 2000: 28) Die Entwicklung eines theoretischen Bezugsrahmens zur Untersuchung von Subkulturen Becker (1963) ist der Meinung, dass es bei Forschungen zu Abweichungen nötig ist, die Veränderung von Moralbegriffen zu beachten, und eine Analyse eines solchen Prozesses durchzuführen. Lemert (1951) gibt noch andere Punkte an, die man bei einem Bezugsrahmen für Subkulturen beachten sollte: 1. Der Charakter des abweichenden sozialen Verhaltens. Hierbei wird differenziert zwischen „normalen“ und abweichendem Verhalten. Zudem wird das Verhältnis der Subkultur zur Gesellschaft beleuchtet und wie die Interaktionen innerhalb der Subkultur ablaufen. 2. Die Reaktion der Öffentlichkeit auf den Außenseiter. Hier wird speziell darauf geachtet, wie die Massenmedien die öffentliche Meinung zu dem Phänomen Subkultur prägen? Wird die Subkultur stigmatisiert, toleriert oder abgelehnt? 3. Die Geschichte der Außenseiter. Hier wird auf die Sozialisationsbedingungen eingegangen. Zudem wird hinterfragt, wie sich die Identität bzw. die gewisse Auffassungen verändert haben. 17 4. Die soziale Stellung des Außenseiters. Welcher Beruf wird ausgeübt und welches Einkommen wird erzielt? Liegt hier ein Grund für abweichendes Verhalten vor? (Vgl. Brake 1981: 26-27) „Jeder theoretische Bezugsrahmen beinhaltet naturgemäß die Art des Einstiegs in die Subkultur und das Verhältnis der Subkultur zu Gesellschaft, d.h. die vielfältigen sozio-kulturellen Abhängigkeiten.“ (Brake 1981: 27) Individuelles abweichendes Verhalten muss bei solchen Untersuchungen ebenfalls berücksichtigt werden. Die öffentliche Reaktion auf die Devianz muss genau so betrachtet werden, wie strukturelle und sozialpsychologische Faktoren. Soziale Konfliktfelder und andere Ursachen für abweichendes Verhalten, müssen ebenso erforscht werden. Forschungen über Subkulturen sollten sich an einen Bezugsrahmen halten, der folgendermaßen aufgebaut ist: 1. Der Charakter der Subkultur a) Hier muss analysiert werden, wie sich die Subkultur unter Berücksichtigung des sozio-ökonomischen Umfeldes entwickelt hat. b) Das Image und der Stil der Subkultur muss analysiert werden und zudem wird die Attraktivität auf potentielle Neueinsteiger beleuchtet und welche Lösungen für Probleme angeboten werden. 2. Die öffentliche Reaktion auf die Subkultur Hier muss geprüft werden, wie die Massenmedien auf die Subkultur reagieren. Zudem muss beachtet werden, ob die Medien das Verhalten der Mitglieder genau sowie wichtige Bezugspersonen beeinflussen können. Außerdem spielt auch die moralische Instanz, die in Form der Medien vertreten wird, eine große Rolle. 3. Das Sozialgefüge der Subkultur Hier geht es um die Normen, Werte, Metaphern und Verhaltensweisen der Subkultur und ihr Verhältnis zur sozialen Wirklichkeit. 4. Kontinuität und Diskontinuität der Subkultur. Hier werden Veränderungsprozesse einer Subkultur näher beleuchtet, da die wenigsten Subkulturen über Jahre unverändert bestehen. Es wird analysiert, wieso sich die Außendarstellung einer Subkultur verändert hat und wie mit generationsspezifischen Veränderungen umgegangen wird. (Vgl. Brake 1981: 27-29) 18 Die Jugend wird zum sozialen Problem – die Entwicklung des SubkulturKonzepts in der Deliquenzforschung und der Aufstieg der Jugendkultur Jugendliche sind von wirtschaftlichen Krisen, Veränderungen der Berufsstruktur und des Ausbildungssektors besonders betroffen. Die Zugehörigkeit zu bestimmten Schichten und die Generationszugehörigkeit spielen auch eine Rolle. Jugendliche Subkulturen, die zu devianten Verhalten neigen, kommen meistens aus der Unterschicht, da gerade die Kinder von Arbeitern stark von ökonomischen Krisen betroffen sind. Bei der Analyse von Subkulturen müssen drei Faktoren ausdifferenziert werden. (Vgl. Brake 1981: 30-31) „Erstens, historisch gesehen, spezifische Probleme innerhalb einer Klassenfraktion; zweitens die Subsysteme, also Subkulturen, und die aktuellen Transformationsprozesse, die sie durchlaufen; und drittens die Art und Weise, wie die Subkultur von innen heraus gestaltet und gelebt wird.“ (Brake 1981: 31) Jugendliche finden meistens gegen Ende der Schulzeit zu Subkulturen, da sie einen emotionalen Rückhalt darstellen, der aufgrund der schlechten Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt dringend benötigt wird. Die Subkultur stellt hierbei nur eine Scheinlösung für real existierende Probleme dar. Matza (1962) sieht die Zeit der Jugend als eine Zeit an, in der jeder rebelliert. Dabei differenziert er in drei kulturellen Ausdrucksformen: Radikalismus, Delinquenz und Bohéme. Brake hingegen beobachtete vier Hauptgruppen: 1. Angepasste Jugendliche Hierbei handelt es sich um konforme Jugendliche, die sich zwar nach der neuesten Mode kleiden, aber damit nichts zum Ausdruck bringen wollen und nie Kontakt zu einer Jugendkultur hatten. 2. Delinquente Jugendliche Delinquente Jugendliche kommen meistens aus der Unterschicht und sind männlich. Bei ihren Vergehen geht es meistens um Körperverletzung, Diebstahl und Sachbeschädigung. Bei diesen Jugendlichen spiegelt sich meistens die soziale Lage der Eltern und deren kultureller Horizont. 3. Kulturrebellen Diese Jugendlichen stammen meistens aus der Mittelschicht und sie haben ein Interesse am Lebensstil der Bohème. Sie bewundern Literatur und Künstler, doch sind meistens Außenstehende, da sie selber nie künstlerisch tätig werden. 4. Politisch militante Jugendliche 19 Bei dieser Gruppe handelt es sich um Jugendliche, die in Organisationen, Bürgerinitiativen und Ähnlichem politisch engagiert sind und ihre Ziele teils auch durch militante Aktionen erreichen wollen. Bei den Gruppen kann es sich um Massenbewegungen handeln oder um spezifische, politische Fraktionen. Bei den Gruppen kann es sich auch um ethnische Minderheiten handeln, wie z.B. bei den Black Panthern oder den Young Lords (radikale Puertoricaner) in den USA. (Vgl. Brake 1981: 31-32) Subkulturen werden für Jugendliche interessant, wenn folgende Ausgangspunkte vorliegen: 1. Subkulturen bieten eine Scheinlösung für Widersprüche im Wirtschaftssystem und strukturelle Probleme. Ökonomische Probleme wirken sich oft schichtspezifisch aus, werden aber als Generationskonflikt wahrgenommen. 2. Die Jugendlichen erlangen über die Subkultur eine neue Identität, da die klassischen Orientierungspunkte wie Schule, Beruf und Familie nicht mehr genügend Sinn stiften. Die Jugendlichen können sich eher mit den Symbolen, Ideologien und Lebensstilen der Subkulturen identifizieren. 3. In Subkulturen werden alternative Lebensweisen, im Vergleich zur sonstigen sozialen Wirklichkeit, gelebt. Die Kultur kann sowohl vom sozialen Umfeld bestimmt werden, als auch von den Massenmedien. 4. Der subkulturelle Lebensstil wird als sinnvoll empfunden und bietet einen Kontrast zur stumpfen, monotonen Arbeitswelt. 5. Subkulturen bedeuten besonders für männliche Jugendliche einen individuellen Ausweg aus schwerwiegenden Problemen. Gerade junge Männer aus der Arbeiterklasse finden über Subkulturen zu einer neuen Identität. Das frühe Erwachsenenalter und in der Adoleszenz können als sekundäre Sozialisationsphase angesehen werden, da junge Menschen ihre Umwelt erkunden, neue Ideen entwickeln und neue Werte bilden. (Vgl. Brake 1981: 32-33) Gesellschaftskritik von Heranwachsenden wird meist nicht ernst genommen und so schreibt Berger (1963) dazu: „Durch die Annahme einer „Übergangsphase bei Heranwachsenden“ beschönigt man funktionale Probleme einer Gesellschaft, deren Integrationsfähigkeit vielmehr einer Kritik unterzogen werden sollte. Befinden sich die Jugendlichen lediglich in einem „Durchgangsstadium“, dann müssen Erwachsene ihr Verhalten ihnen gegenüber 20 nicht selbstkritisch reflektieren, denn früher oder später werden „die ja schon vernünftig werden.““ (Brake 1981: 35, zit. nach Berger 1963a: 407) Wenn die mittlerweile erwachsen gewordenen Heranwachsenden immer noch nicht „vernünftig“ sind und mit Selbstvertrauen die gesellschaftlichen Normen missachten, dann kann für die Gesellschaft ein ernstes Problem entstehen. Subkulturen bedeuten für Jugendliche aus den unteren Schichten, dass sie sich einen Freiraum erschaffen haben, den Jugendliche aus der Mittelschicht, in der Universität finden. In den Subkulturen wird der erkämpfte Freiraum genossen und man ist offen für neue Ideen. Der Kampf für gesellschaftliche Veränderungen wird als sinnvoll erachtet, denn Subkulturen haben einen rebellischen Charakter. Meistens bleibt es bei der rebellischen Haltung und es folgen darauf keine entsprechenden Taten. (Vgl. Brake 1981: 35-36) „Dennoch enthalten sie den Keim eines radikalen Dissenz mit der Gesellschaft.“ (Brake 1981: 36) Die Ordnungshüter sind sich dessen durchaus bewusst und empfinden gewisse Handlungsweisen von Subkulturen als bedrohlich, was auch nicht unbegründet ist, da diese Gruppen politisch extrem nach links oder rechts tendieren können. Solange rebellisches Verhalten von Jugendlichen den Stempel „Übergangsphase“ aufgedrückt bekommt, kann man die wahren Ursachen weiterhin bequem ignorieren. (Vgl. Brake 1981: e.b.d.) Zwischenresümee Brake sagt, dass jede komplexe Gesellschaft aus diversen Kulturen besteht und es immer Subkulturen bzw. Untergruppen gibt. Diese müssen gegen die dominante Kultur bestehen und sich und ihren Lebensstil behaupten. Kein Individuum kann ohne andere soziale Kontakte überleben, da sich durch die wechselseitige Beziehung zu anderen Menschen die eigene Identität herausbildet. Die Werte der herrschenden Kultur dienen als Leitfaden. Die sozialen Rahmenbedingungen werden von der wirtschaftlichen Lage bestimmt. Laut Brake hängen Subkulturen immer an Klassenkulturen. Dabei kann die Subkultur sich an der Klassenkultur orientieren, von dieser abweichen, oder eine Opposition zu dieser darstellen. Jugendliche wachsen unter den heterogensten Lebensumständen auf und so können sich die differenzierten Lebensstile mit ihren Werten und Normen eklatant voneinander unterscheiden. Es gibt keine einheitliche Jugendkultur. Brake schreibt, dass die strukturellen Bedingungen einer 21 Gesellschaft verantwortlich sind für die Bildung von Subkulturen. Jugendliche erleben Widersprüche und Ungerechtigkeiten, für die es keine Lösung gibt. Durch einen bestimmten Stil drücken die Jugendlichen die Zugehörigkeit zu einer Subkultur aus und allein schon das Aussehen, kann als Ablehnung der herrschenden Kultur angesehen werden. Brake nennt drei Bestandteile des Stils: Das Image, die Haltung und den Jargon. Beim Image handelt es sich um die Frisur, die Kleidung und allgemein das Äußere. Zu der Haltung zählt Brake die Körpersprache, die Art der Bewegungen und den körperlichen Ausdruck im Allgemeinen. Das lässt durchaus Raum für Kritik, da Brake bei der Haltung überhaupt nicht auf die Weltanschauung eingeht. Mit dem Jargon sind spezielle Wörter, Slangs und deren Geschichte gemeint. Die Ausdrucksmittel verkörpern einen bestimmten Lebensstil. An den modischen Attributen erkennen Mitglieder einer Subkultur Gleichgesinnte. Wie intensiv die Mitglieder den Lebensstil der Sukultur ausleben, ist höchst individuell. Meist treten junge Leute einer Subkultur bei, die sich in einer Entwicklungsphase befinden, wie z.B. vor der Beendigung der Schule, dem Beginn einer Ausbildung oder kurz vor dem Eintritt in das Berufsleben. In der Subkultur findet eine Nachsozialisaton statt. Subkulturen bieten eine Ideologie, eine Begründung und eine Struktur zur Abweichung von der herrschenden Kultur. Das macht den Reiz für potentielle Mitglieder aus. Durch den Eintritt in eine Subkultur versucht das Indidviduum, eine neue Identität aufzubauen, und die stukturellen Probleme seiner Schicht hinter sich zu lassen. So sind Subkulturen wichtige Sozialisationsinstanzen, da hier Werte und Normen jenseits von Schule und Beruf aufgebaut werden. Die Subkultur stellt eine Scheinlösung dar für die realen, strukturellen Probleme des Individuums. Subkulturen sind besonders interessant für Jungendliche, die aus Familie, Beruf und Schule keinen Sinn für sich ziehen können. Subkulturen sind interessant für Jugendliche, die auf der Suche nach alternativen Lebensweisen sind. Subkulturen ziehen auch Jugendliche an, die einen starken Kontrast zum monotonen, langweiligen Arbeitsalltag suchen. Zudem bedeuten Subkulturen Freiheit für Jugendliche aus den unteren Schichten, die Jugendliche der oberen Schichten auf der Universität finden. 22 Zum Begriff Szene „Szenen, auf der Basis jugendlichen Sprachgebrauchs und unter Berücksichtigung einschlägiger theoretischer Literatur (v.a. Irwin 1977 und Schulze 1992) – vorläufig – idealtypisierend definiert, sollen heißen: Thematisch fokussierte kulturelle Netzwerke von Personen, die bestimmte materiale und/oder mentale Formen der kollektiven Selbststilisierung teilen und Gemeinsamkeiten an typischen Orten und zu typischen Zeiten interaktiv stabilisieren und weiterentwickeln.“ (Hitzler, Bucher, Niederbacher 2001: 20) Szenen sind Gesinnungsgemeinschaften, thematisch fokussierte Netzwerke, sowie kommunikative und interaktive Teilzeit-Gestaltungsformen Jugendliche suchen andere Jugendliche, die ihre Gesinnungen, Leidenschaften und Interessen teilen. Solche Gesinnungsfreunde werden immer öfter in Szenen (z.B. die Gothic Szene, die Skater Szene etc.) gefunden, und nicht mehr in der Schulklasse, dem Sportverein oder der Nachbarschaft. (Vgl. Hitzler, Bucher, Niederbacher 2001: e.b.d.) Szenen haben immer ein zentrales Thema. Dabei können sich die Themen über Musik, politischen Einstellungen, Konsumartikel, Sport bis zu bestimmten Weltanschauungen drehen. Die Szenegänger verbindet das gemeinsame Interesse am Szenethema und sie sind vertraut mit den typischen Einstellungen und Handlungsweisen der Szene. Das Szenethema bildet einen Rahmen für Gemeinsamkeiten, Einstellungen und Handlungsweisen, dominiert allerdings nicht zwangsläufig den Alltag einer Szene. Um diesen Rahmen (z.B. die Politik in der Antifaszene) finden diverse Interaktionen und Kommunikation statt. In der Szene, um die Szene herum und darüber hinaus. (Vgl. Hitzler, Bucher, Niederbacher 2001: 20-21) Kommunikation und Interaktion prägen durch ihre zentrale Bedeutung den Begriff der Szene. Die Lebensumstände der Szenemitglieder sind oft heterogen und keineswegs kollektiv. Daher ist die Existenz der Szene gebunden an die ständige Kommunikation und die Erzeugung gemeinsamer Interessen. Die Zugehörigkeit zur Szene wird dabei durch bestimmte Rituale, Zeichen und Symbole inszeniert. (Vgl. Hitzler, Bucher, Niederbacher 2001: 21) „Vor allem in diesem Sinne läßt sich eine Szene mithin als Netzwerk von Personen verstehen, die bestimmte materiale und/oder mentale Formen der kollektiven (Selbst) 23 Stilisierung teilen und diese Gemeinsamkeiten kommunikativ stabilisieren, modifizieren oder transformieren.“ (Hitzler, Bucher, Niederbacher 2001: e.b.d.) In den diversen Szenen gibt es allerdings deutliche Unterschiede zur Reichweite der Szenenzugehörigkeit. Während Punks sich meistens in sehr vielen Lebensbereichen wie Punks benehmen, gibt die Technoszene zum Vergleich keine Verhaltensmuster außerhalb der Szene vor. Die Gemeinsamkeit aller Szenen beruht im Gegensatz zu religiösen Gemeinschaften darauf, dass sie nie in allen Lebensbereichen Normen oder Werte vorgeben. (Vgl. Hitzler, Bucher, Niederbacher 2001: e.b.d.) Szenen dienen der sozialen Verortung, haben ihre eigene Kultur und sind labile Gebilde „Szenen sind im schlichten Wortsinn ‚Inszenierungsphänomene’, denn sie manifestieren sich für ‚Mitglieder’ und für Außenstehende nur insofern, als sie ‚sichtbar’ sind, d.h. an Orten, an denen Kommunikation und Interaktion stattfinden.“ (Hitzler, Bucher, Niederbacher 2001: 22) Die Beteiligung an einer Szene erfordert die Präsenz der Akteure, die kommunikativ oder auch interaktiv sein kann. So wird die Abgrenzung zu einem Publikum erreicht, welches lediglich ein bestimmtes Erlebnisangebot konsumiert. Für eine Szene ist ein Publikum immer sehr wichtig, da die Szenegänger sich vor der Allgemeinheit immer wieder neu inszenieren und „auftreten“ können. Szenen leben von der Wahrnehmung der Außenstehenden, die die Szenegänger aufgrund der von ihnen erwählten Symbole, Rituale und Verhaltensweisen erkennen können. (Vgl. Hitzler, Bucher, Niederbacher 2001: e.b.d.) Um Zugang zu bestimmten Szenen zu erlangen, reicht meistens Interesse an der entsprechenden Thematik aus. Um als vollwertiges Mitglied einer Szene akzeptiert zu werden, muss sich ein Individuum das szenetypischen Know How aneignen. Das Aneignen von Kompetenzen, die für die jeweilige Szene von Bedeutung sind, wird durchaus alleine erworben. So klettern Sportkletterer auch alleine oder Anhänger der Hardcoreszene hören sich alleine Hardcoremusik an und erlangen so Wissen bzw. die Fertigkeiten, die von anderen Szenemitgliedern geschätzt werden. (Vgl. Hitzler, Bucher, Niederbacher 2001: 22-23) Szenen haben kaum Sanktionsinstanzen, die Ein- und Austritte verhindern. Die Verbundenheit zu einer Szene ist normalerweise freiwillig und es bestehen höchstens 24 teilzeitliche und themenspezifische Normierungsmöglichkeiten. Dies führt zu einem labilen Wir-Bewußtsein aus zwei Gründen: 1. Wir-Gefühle entstehen durch die wechselseitige, freiwillige Inszenierung der Szenemitglieder (durch Verwendung von Zeichen, Ritualen, Verhaltensweisen etc.) und nicht durch Gemeinsamkeiten bei der Bildung, der Berufe und der Herkunft. (Vgl. Hitzler, Bucher, Niederbacher 2001: 23). „Das heißt, das ‚Wir’ (-Bewußtsein) konstituiert sich eben nicht aufgrund vorgängiger gemeinsamer Standes- und Lebenslagen-Interessen, sondern aufgrund des Glaubens an eine gemeinsame Idee(…).“ (Hitzler, Bucher, Niederbacher 2001: 23) 2. Das Wir-Gefühl wird nur im Rahmen der Szene produziert und Aktivitäten in der selbigen sind nur ein Teilzeitengagement. Das Bewusstsein für die Zugehörigkeit zu einer Szene ist zwar latent vorhanden, doch bestimmen Beruf, Ausbildung und Familie den Alltag. Das Szenebewusstsein bekommt also nur in Sequenzen Priorität. (Vgl. Hitzler, Bucher, Niederbacher 2001: 24) Szenen haben typische Treffpunkte, sind Netzwerke von Gruppen, sowie vororganisierte Erfahrungsräume Szenetreffpunkte sind von besonderer Bedeutung, da sich hier die Szene offenbart und nachbildet. Die Orte, an denen man anderen Szenemitgliedern begegnen kann, sind bekannt. Die örtlichen Szenetreffpunkte sind dem Szenegänger sehr vertraut und er weiß auch, welche Personen er dort höchstwahrscheinlich antreffen wird. Die Szenetreffpunkte (z.B. Kulturzentren) in anderen Städten hingegen sind dem Szenegänger nicht so vertraut, und er kennt nur typisches, weil er dort zu Besuch war oder über andere Szenekontakte über den Treffpunkt gesprochen hat. Von wiederum anderen Städten weiß er nur, dass es dort auch szenetypische Treffpunkte gibt und an welchen Stellen er sich über die Lokalität informieren könnte. (Vgl. Hitzler, Bucher, Niederbacher 2001: 24) „Gruppierungen werden offensichtlich vor allem dadurch zu einem Teil von Szenen, dass sie sich auf der Basis gemeinsamer Interessenlagen zu anderen Gruppierungen hin öffnen und sich selber eben nicht nur als Gruppe, sondern (auch) als Teil einer Szene begreifen.“ (Hitzler, Bucher, Niederbacher 2001: 25) Szenen erscheinen im Gegensatz zu Institutionen und Organisationen unstrukturiert. Szenemitglieder sind Mitglieder einer oder mehrer Gruppen, die alle ein Teil der Szene sind. Die Kommunikation ist in der Gruppe sehr dicht und unter den Gruppen 25 selber eher spärlich. Doch die Kommunikation zwischen den Gruppen macht die Szene aus, da sich die Szenemitglieder nicht mehr persönlich kennen, sondern sich an Äußerlichkeiten, Symbolen, Ritualen und an anderen szenespezifischen Merkmalen erkennen. Die Szene besteht im Gegensatz zu Peer-Groups nicht aus altershomogenen Gruppen, sondern auch aus älteren Leuten, die ein jugendliches Selbstverständnis haben. (Vgl. Hitzler, Bucher, Niederbacher 2001: 25-26) Ein unverzichtbares wichtiges Element der Szene besteht aus einem Event, der den Szenemitgliedern ein Erlebnis bieten soll, welches alle szenetypischen Bedürfnisse befriedigt. Bei dem Event handelt es sich um eine vororganisierte Veranstaltung, die das Wir-Gefühl der Szene intensivieren soll. So ein Event erfordert Organisation und Leistung, und in den meisten Szenen wird so eine Veranstaltung kommerzialisiert. Ein positiver Effekt besteht darin, dass Szenemitglieder, die einen Event organisieren, davon leben können, bzw. sogar Arbeitsplätze schaffen können. (Vgl. Hitzler, Bucher, Niederbacher 2001: 26) Szenen strukturieren sich um Organisationseliten, sind dynamisch und liegen quer zu bisherigen Gesellungsformen und großen gesellschaftlichen Institutionen In Szenen entstehen Organisationseliten, die meist aus langjährigen Szenemitgliedern bestehen, die die Stärken einer Szene erkennen und diese kommerziell nutzen. Sie organisieren Szeneevents, strukturieren Szenetreffpunkte und produzieren Veranstaltungen. Während dieser Organisationsarbeit ergeben sich Kontakte zu anderen Organisationseliten und es entsteht ein Netz aus überregionalen Kontakten. Mitglieder dieses Szenenetzwerkes sind im Gegensatz zu den normalen Szenegängern privilegiert und nutzen diese Vorteile gezielt aus, so gibt es z.B. kaum eine Technoparty ohne V.I.P. Bereich. (Vgl. Hitzler, Bucher, Niederbacher 2001: 27) „Organisationseliten bilden eine Art ‚Szenemotor` insofern, als die Rahmenbedingungen szenetypischer Erlebnisangebote in erster Linie dort produziert werden und auch Innovationen sehr oft ihren Ursprung dort haben.“ (Hitzler, Bucher, Niederbacher 2001: e.b.d.) Die Eliten nehmen eine zentrale Stellung in der Szene ein, um die sich die Freunde der Elite bzw. sehr präsente Szenegänger formieren und um diese beiden Gruppen bewegen sich die normalen Szenemitglieder. Allerdings besteht eine Szene nicht nur aus einem Netzwerk der Elite, sondern sie setzt sich aus mehreren Netzwerken (die 26 ebenfalls Kontakt miteinander haben) zusammen. Dabei gibt es zentrale Figuren, Leute, die eher am Rande stehen und Menschen, die kaum noch organisatorisch tätig sind, allerdings durch ihre Freundschaft zur Elite Privilegien genießen. Manche Leute nehmen auch kaum noch an Szeneevents teil und sind kaum noch zu unterscheiden von den normalen Szenegängern. Wiederum andere Leute kennen die Elite, verbringen ihre Zeit aber eher mit normalen Szenegängern. (Vgl. Hitzler, Bucher, Niederbacher 2001: 28) „Gerade eine solche Unschärfe bzw. eine solche Offenheit und Durchlässigkeit macht Szenen aus.“ (Hitzler, Bucher, Niederbacher 2001: e.b.d.) Es herrscht grundsätzlich viel Bewegung in Szenen. In der Erlebnisgesellschaft muss sich eine Szene auf einem Markt voller Angebote und Optionen im freizeitkulturellen Bereich beweisen, indem sie erlebniswerte Ereignisse bieten kann. Wenn ein besonders erlebniswertes Ereignis angeboten wird, dann wird der Besucher eine starke Bindung mit dem Event eingehen, was zur Folge hat, dass der quantitative Zugang begrenzt werden muss, da sonst jeder in der Szene ist. Wenn ein eher extensiviertes Ereignis am Wochenende stattfindet, dann werden deutlich weniger Leute kommen und dem Event wird weniger Aufmerksamkeit entgegengebracht, was den Event natürlich weniger attraktiv macht. (Vgl. Hitzler, Bucher, Niederbacher 2001: 29) „In diesem Zusammenhang erweist sich jedes Szenegeschehen als ausgesprochen dynamisch, weil es der Organisationselite gelingen muß, solche erlebniswerten Ereignisse anzubieten, welche sowohl die Außeralltäglichkeit der Teilnahme – und damit die relevante Besonderheit des Teilnehmers – als auch die mentale und emotionale Zugänglichkeit des jeweiligen Events auch für Gelegenheits-Szenegänger hinlänglich zu gewährleisten.“ (Hitzler, Bucher, Niederbacher 2001: e.b.d.) Hierbei handelt es sich allerdings um eine äußerst schwierige Aufgabe, die kaum einem Organisator auf Dauer gelingen kann. Wenn es aber kein Organisator schafft, Leute dauerhaft und massenhaft an seine Events zu binden, dann wird die Szene nicht dauerhaft bestehen und abgelöst werden durch instabilen Trends und Moden. (Vgl. Hitzler, Bucher, Niederbacher 2001: e.b.d.) Szenen könnten den Umbruch in eine ‚andere’ Moderne bedeuten. Szenen liegen quer zu institutionell gestützten Gesellschaftsbereichen wie Recht, Wirtschaft und Politik. Die Mitglieder verbindet die Faszination an einem Thema und die darauf aufbauenden Einstellungen, Ausdrucksmittel und Motive. In einer pluralisierten, ausdifferenzierten Gesellschaft beruht die Gemeinsamkeit der Szenegänger nicht auf 27 den gleichen Lebenslagen. Die unterschiedlichsten Organisationsfigurationen und Regelungen der Gesellschaft bedeuten für das Individuum, die differenziertesten Kombinationen von Verpflichtungen, Notwendigkeiten und Neigungen. So können sich kaum noch gemeinsame Interessen entwickeln. Die Mitglieder einer Szene haben äußerst heterogene Lebenslagen und das macht die Attraktivität für Szenegänger aus und das nicht nur für Jugendliche. (Vgl. Hitzler, Bucher, Niederbacher 2001: 30) „Sinnschemata, Orientierungsmuster und Wertekataloge, auf die die Individuen dann wiederum innerhalb organisierter Netzwerke – etwa im Arbeitsmarkt – rekurrieren können, müssen sich mithin zwangsläufig zunehmend unabhängig von Lebenslagen ausbilden. Dementsprechend zeichnen sich Szenen mehr und mehr als jene „Orte“ im sozialen Raum ab, an denen Identitäten, Kompetenzen und Relevanzhierarchien aufgebaut und interaktiv stabilisiert werden, welche die Chancen zur zu gelingenden Bewältigung des je eigenen Lebens über die Dauer der Szene-Vergemeinschaftung hinaus (also relativ dauerhaft) erhöhen können“ (Hitzler, Bucher, Niederbacher 2001: 30). Zwischenresümee: Jugendliche finden immer seltener Gleichgesinnte, die ihre Hobbys und Interessen teilen, in der Schule, der Nachbarschaft oder dem Sportverein. Stattdessen werden die Jugendlichen in Szenen fündig. Eine Szene hat immer ein zentrales Thema, wie z.B. das Skaten. Durch das Szenethema ergeben sich Gemeinsamkeiten, Einstellungen und Handlungsweisen, allerdings muss die Szene nicht zwangsläufig ein Thema im Alltag sein. Die Mitglieder einer Szene haben einen äußerst heterogenen sozialen Hintergrund. Oft haben Szenen gemeinsame Symbole und Rituale. Eine Szene entwickelt keine Handlungsnormen für alle Bereiche des Lebens, ganz im Gegensatz zu religiösen Gemeinschaften. Um zu einer Szene dazuzugehören, reicht meistens Interesse an der Thematik aus und es muss ein bestimmtes Know How erworben werden, um von anderen Mitgliedern anerkannt zu werden. In Szenen kann man jederzeit einund austreten, da es sich um labile Gebilde handelt. Das Wir-Gefühl einer Szene beruht nicht auf denselben Lebenslagen, sondern am gemeinsamen Interesse an einem Thema oder einer Idee. Familie und Beruf bestimmen den Alltag. Das Engagement in einer Szene erfolgt meistens in Teilzeit. Szenen bestehen aus mehreren Gruppen und sind im Vergleich zu Institutionen und Organisationen unstrukturiert. Die Altersstruktur der Szenemitlieder ist nicht homogen. Szenen bauen sich um Organisations28 eliten aus, die die Stärken der Szene kommerziell nutzen und auch überregionale Kontakte knüpfen. Sie organisieren auch Szeneevents, die versuchen, alle Bedürfnisse der Szene zu befriedigen (z.B. große Musikfestivals oder Riesen Netzwerkpartys). Durch die Organisation von solchen Szeneevents können manche Organisatoren von ihrer Arbeit für die Szene leben. Szenen verbinden Menschen mit denselben Interessen, die allerdings völlig heterogene Lebenslagen haben. Das macht für Viele den Reiz einer Szene aus. Szenen haben mit institutionell gestützten Gesellschaftsbereichen wie Wirtschaft, Recht und Politik, nichts zu tun. Hitzler, Bucher und Niederbacher vertreten die Meinung, dass es in unserer modernen, ausdifferenzierten und individualisierten Gesellschaft immer schwieriger wird, Menschen mit denselben Interessen in der Nachbarschaft oder im Beruf zu finden. Sie glauben, dass Szenen in der heutigen Gesellschaft die „Orte“ sind, wo die eigene Identität aufgebaut wird, neue Kompetenzen erworben werden und wo völlig neue Relevanzhierarchien entstehen. Sie vertreten auch die Meinung, dass man als Mitglied einer Szene die Chancen erhöht, das eigene Leben zu bewältigen. Begründung für die Auswahl des Begriffes Subkultur In der Jugendforschung gibt es Befürworter und Gegner des Subkulturbegriffes. Während Brake (1981) und Farin (1995) weiterhin diesen Begriff verwenden, ist Baacke der Meinung, dass dieser Begriff nicht mehr aktuell ist und dazu negativ besetzt. (Vgl. El-Nawab 2007: 19) „Während Baacke 1972 noch von Subkulturen sprach, wendet er sich 1987 vom Subkulturbegriff ab, weil „Subkulturen keine Sub-Aggregate einzelner Gesellschaften sind“, sondern „kulturelle Gruppierungen, die sich international ausbreiten und unter dem gleichen Erscheinungsbild ganz unterschiedliche Formen von Selbstständigkeit und Abhängigkeit ausagieren.““ (El-Nawab 2007: 19, zit. nach Baacke 1987: 95) Auch Christian Menhorn (2001) benutzt den Begriff Subkultur in seinem Buch über Skinheads. Hitzler, Bucher und Niederbacher (2001) bevorzugen, wie bereits dargelegt, den Begriff „Szene“. Jugendliche, die subkulturellen Szenen angehören, bevorzugen den Begriff „Subkultur“. Sie grenzen sich bewusst von der Gesellschaft ab und genießen die negative Konnotation dieses Begriffes. El-Nawab (2007) verwendet den Begriff „jugendliche 29 Subkultur“ als Gegensatz zur „Jugendkultur“, da bei letzterem Begriff nur ausgesagt wird, dass es sich um eine jugendliche Kultur handelt. (Vgl. El-Nawab 2007: 20) „Dabei wird jedoch das subversive, kritische, rebellische (und manchmal eben auch bedrohliche) Element von Gegenwelten bzw. Gegenkulturen verwischt, die man in der Tradition von Clarke u.a. (1979a) als symbolische Widerstandsformen interpretieren und deren Stil als verschlüsselte Antwort auf gesamtgesellschaftliche Entwicklungen sehen kann.“ (El-Nawab 2007: e.b.d.) El-Nawab benutzt den Begriff „jugendliche Subkultur“, da sie der Auffassung ist, dass dieser am besten die Abweichung der Protagonisten aus der Skinhead-, Gothicund Rockabillieszene beschreibt. Sie verwendet zwar auch den Begriff „Szene“, doch liegt der Hauptgrund in der besseren Lesbarkeit. (Vgl. El-Nawab 2007: e.b.d.) Ansonsten äußert sie sich zu dem Begriff „Szene“ wie folgt: „Szene“ ist ähnlich allgemein gehalten wie Jugendkultur und auf verschiedenste „normale“ modische Gruppierungen anwendbar, d.h. z.B. auch auf die Schickimicki-Szene, viele Trendsportarten etc., also auf Bereiche, denen zumeist jeder gesellschaftskritische Moment fehlt und die sich von ihrem Selbstverständnis auch gar nicht als Gegenwelten oder alternative Lebensformen begreifen.“ (El-Nawab 2007: e.b.d.) Hitzler/Bucher/Niederbacher (2001) erkennen keine Protesthaltung in Szenen, sondern eine: „Entpflichtung gegenüber zivilisatorischen Wichtigkeiten und Richtigkeiten.“ (Hitzler, Bucher, Niederbacher 2001: 234) El-Nawab hingegen erkennt, dass Subkulturen die Trends und die Angepasstheit der Gesellschaft ablehnen. Zudem entwickeln Subkulturen eigene Werte, Normen und Verhaltensmuster, die sich an den zivilen Normen und der zivilen Moralvorstellung orientieren, aber dabei äußerst differenzierte Eigenheiten entwickeln können. Der Protest drückt sich in erster Linie durch das Image aus, und nicht durch politische Handlungen. So wirkt diese Protesthaltung zwar eher symbolisch, doch das ändert nichts daran, dass diese Einstellung existiert. (Vgl. El-Nawab 2007: 20) Ich persönlich schließe mich der Meinung von Susanne El-Nawab an. Die oben aufgeführten Argumente sind meiner Meinung nach absolut zutreffend. Hitzler, Bucher, und Niederbacher (2001) haben in ihrem Buch völlig heterogene „Szenen“ näher betrachtet. Dabei reichte die Palette von Daily Soap Guckern, über die Antifa bis hin zu Trendsportlern und sogar zu Jugendlichen in der Deutschen Lebens-RettungsGesellschaft. Wenn man Daily Soaps guckt (wie Millionen Menschen in Deutsch30 land) rebelliert man nicht und man wird normalerweise auch nicht von seiner Umwelt als sonderbar oder gar gefährlich eingeschätzt. Wenn auch manche Trendsportarten durchaus ungewöhnlich sind, so fühlen sich die Mitmenschen weder provoziert durch die Sportart, noch bilden sie vorschnell Vorurteile über die Sportler. Bei einem völlig zutätowierten Psychobilly mit grünem Flat (die Frisur der Psychobillyszene, eine Mischung aus Tolle und Irokesenschnitt), der vom Kleidungsstil, durchaus Parallelen zur Skinheadszene aufweist, wird dies völlig anders bewertet. Von der Frisur und dem Kleidungsstil werden beim Normalbürger Assoziationen zu Skinheads und Punks geweckt. Und gerade Skinheads genießen in der Öffentlichkeit einen völlig fatalen Ruf, als Schläger und Neonazis. Punks hingegen gelten als arbeitsscheu und ungewaschen. Mit solchen Vorurteilen müssen Jugendliche bei der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft eher selten rechnen. Psychobillies grenzen sich aber bewusst von der „normalen“ Gesellschaft ab und stehen zu ihrem Lebensstil und ihrer Musik. So haben Psychobillies auch ganz eigene Verhaltensweisen. Der Tanzstil der Psychobillies unterscheidet sich auch massiv von konventionellen, gesellschaftlichen Tänzen. Beim so genannten Wrecking (engl. für zertrümmern, vernichten, zugrunde richten) kann es schnell zu blauen Augen, Prellungen oder Platzwunden kommen und darüber sind sich alle Beteiligten klar und gehen dennoch dieses Risiko ein. Bei gewissen Konzerten sollte genau überlegt werden, welches Bandshirt getragen wird, da es bei der falschen Wahl durchaus zu Konflikten kommen kann. Während in der „normalen“ Gesellschaft zum Vollrausch Anlässe wie Weihnachtsfeiern, Fasching und Fußballweltmeisterschaften gewählt werden, verzichten Psychobillies gänzlich auf solche Rahmenbedingungen und so wird an den meisten Wochenenden ein exzessiver Lebensstil gepflegt. Auch die Einstellung zur illegalen Drogen unterscheidet sich teilweise stark von der gängigen Ablehnung. Psychobillies pflegen also einen eigenen Lebensstil, teilweise mit eigenen Werten und Normen, und grenzen sich durch Aussehen und Verhalten, absolut bewusst von der Mehrheit ab. Daher bin ich der Meinung, dass hier von einer Subkultur gesprechen werden sollte, da die Attitüde von Psychobilly durchaus rebellisch ist, auch wenn sie nicht politisch bestimmt wird. Der Begriff „Szene“ wird auch oft von meinen Interviewpartnern benutzt und ich bin der Meinung, dass er sich aus rein sprachlichen Gründen sehr gut verwenden lässt. Der Begriff „Subkultur“, ist aber meiner Meinung nach der Ausdruck, der am zutreffensten ist. Im Folgenden werde ich auf die Subkulturen der Skinheads und Punks eingehen. Anschließend gehe ich noch auf die Geschichte von 31 Rock’n’Roll ein. Die Skinheadsubkultur ist äußerst heterogen, kompliziert und von unglaublich vielen Vorurteilen überschattet. Daher befasse ich mich intensiver mit dieser Subkultur, da es mir wichtig ist, zu zeigen, dass Skinheads nicht nur Rassisten, Faschisten und Nazis sind. Ich werde auch auf den von dem Großteil der Medien verschwiegenen, schwarzen Einfluss auf die Skinheadbewegung eingehen. Ebenso wie auf die S.H.A.R.P. (Skinheads Against Racial Prejudice) Bewegung, innerhalb der Skinszene. Punk ist um einiges bekannter und größer als die Skinheadbewegung und daher beschreibe ich nur die Anfänge des Punk in London und New York. Bei Punk handelt es sich auch um eine äußerst heterogene Szene, in der die diversesten Meinungen zu Themen, wie z.B. Politik, Essen, Musik, Konsum und Lebensstilen herrschen. Auf alle Eigenheiten und Spezialisierungen der Punkszene einzugehen, würde definitiv über den Rahmen dieser Arbeit hinausgehen. Meiner Meinung nach ist es unerlässlich, etwas über diese beiden Subkulturen zu schreiben, da die meisten Leute aus der Psychobillyszene früher Punks, Skins oder Rockabillies waren. Keiner meiner Interviewpartner war direkt in der Psychobillyszene, sondern alle waren vorher in einer anderen Subkultur. Zudem gibt es auch sonst viele Figurationen zwischen diesen unterschiedlichen Subkulturen. 3. Subkulturelle Vorläufer/Verwandtschaften von Psychobilly 3.1. Skinheads Seit 1969 gibt es die Skinheadsubkultur. Skinheads verstehen sich als Mitglieder der „working class“. Die meisten Skins sind sich ihrer proletarischen Wurzeln sehr bewusst und stolz darauf. Der Skinheadkult stammt aus England und wurde maßgeblich von den „Rude Boys“ (Jugendliche mit jamaikanischem Migrationshintergrund) beeinflusst. Durch eine Unterwanderung von Rechts hat sich in den Medien und der Gesellschaft das Bild verfestigt, dass alle Skinheads Nazis und Rassisten sind, was schlichtweg falsch ist. Die Skinheadsubkultur ist eine äußerst heterogene Szene. Auch in den politischen Ansichten. Die Pschobillysubkultur wies besonders in ihrer Anfangszeit, in den 80er Jahren, starke Parallen in der Kleidung (Bomberjacken, Domestosjeans und Springerstiefel) zur Skinheadszene auf. Zudem gab es noch einige andere Figurationen zwischen diesen beiden Subkulturen, was zu Verwechslun32 gen und Übertragungen bei der „normalen“ Gesellschaft führte. Ich werde im Folgenden näher auf diese Subkultur eingehen, damit der Leser besser verstehen kann, dass nicht alle Skinheads Nazis sind und was es bedeuten kann, wenn man mit einem Skinhead verwechselt wird und welche Vorurteile über Skins herrschen. Geschichte der Skinheads Im Folgenden beschreibe ich die Geschichte der Skinheads. Zunächst werde ich auf die Entstehung des Skinheadkultes eingehen. Anschließend gehe auf eins der größten Probleme der Skinheadsubkultur ein: Rassismus. Danach werde ich mich mit Punkrock, 2 Tone, der National Front, Margret Thatcher und ihrer Bedeutung für die Skinheadsubkultur befassen. Southall, Skinheads in Deutschland, Rechtsrock, Blood & Honour und S.H.A.R.P. (SkinHeads Against Racial Prejudice) bilden andere wichtige Säulen in der Geschichte der Skinheads. Daher werde ich auch diese Thematiken näher erläutern. England erlebte in den 50er und 60er Jahren einen wirtschaftlichen Wandel, von dem auch die Arbeiterklasse in England profitierte. Einige schafften den Aufstieg und die alten Arbeiterviertel wurden saniert. Während einige Arbeiter in Neubausiedlungen umzogen, fühlten sich die verbliebenen Anwohner als Bürger zweiter Klasse. Immobilienhändler ließen Viertel, in Erwartung auf eine künftige Sanierung und den damit verbundenen Gewinnen, verfallen. Der Kampf um diese restlichen billigen Wohnungen wurde härter. So lebten in Städten wie Brixton, Birmingham, Bradfort und dem Londoner East End die weiße Unterschicht zusammen mit Einwanderern aus der Karibik, Pakistan, Indien und Westafrika. (Vgl. Farin und Seidel 2002: 25) „Die alte (weiße) Homogenität der Viertel löste sich auf. Die Einwanderung und die tägliche Konfrontation mit den Aufsteigern hinterließ bei den eingesessenen Familien, dem Kern der traditionellen britischen Arbeiterklasse, das Gefühl, fremd im eigenen Land zu sein, zu einem aussterbenden Stamm zu gehören. Die Antwort der Skinheads auf den gesellschaftlichen Wandel und die Veränderung der unmittelbaren Nachbarschaft war „die magische Rückgewinnung der Gemeinschaft“, wie es der Soziologe John Clarke bezeichnet. Das Gefühl, im Zentrum dieser Vielzahl unterdrückender und ausbeuterischer Kräfte zu stehen, bringt ein Bedürfnis nach Gruppensolidarität hervor, das, obwohl es grundsätzlich defensiv ist, bei den Skinheads mit einem aggressiven Inhalt gekoppelt war.“ (Farin u. Seidel 2002: 26) 33 In den frühen 50er Jahren rebellierten die Arbeiterjugendlichen gegen die Monotonie des Alltags und wollten Spaß in ihr Leben bringen, und dafür war der Rock’n’Roll der richtige Soundtrack. In den 50er und 60er Jahren verkörperte eine Jugendszene eine Haltung. Am Anfang der 50er Jahre waren es die Teddyboys, die gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse rebellierten und gegen Ende der 50er Jahre wurden sie von den Mods abgelöst. Als Mod hörte man Ska und Northern Soul, fuhr Vespas, hatte teure Klamotten und gab sich der Prahlerei und dem Schein des Seins hin. Als Mod war man Laufbursche in einer Bank oder Ähnliches und man versuchte, die kleinbürgerlichen Wurzeln durch einen extravaganten Lebensstil zu verbergen und sich als etwas Höheres darzustellen. Aber es gab auch die Hard-Mods. Diese zogen Bier teuren Cocktails vor und legten keinen Wert auf den dandyhaften Kleidungsstil. Die Hard Mods trugen auch am Wochenende Shirts, Jeans und Stiefel, die um einiges praktischer bei den vielen Schlägereien am Wochenende waren. In den meisten Industriestädten gab es Hard-Mod Gangs. Musik spielte zwischen 1966 und 1969 nicht die große Rolle im Leben der Mod Gangs. Es gab einfach nichts Neues. Die schwarzen Jugendlichen aus der Nachbarschaft ignorierten die angesagte Musik aus dem Radio und hörten die Rhythmen aus den Slums von Kingston: Reggae und Ska. Die Mods entdeckten die Liebe zu dieser Musik, da sie außer von den schwarzen Rude Boys nicht gehört wurde und somit konnte man sich mit dieser Musik wunderbar von der restlichen Gesellschaft abgrenzen. Ska ist um 1960 entstanden. Ska ist ein Sammelbegriff für Blue Beat, Rocksteady und die frühen Formen des Reggae. Ska ist eine sehr fröhliche, tanzbare Musik, die sich sehr gut zum feiern eignet. Es gab sehr erfolgreiche Ska Nummern wie z.B. „My Boy Lollipop“ von Millie Small und „Miss Jamaica“ von Jimmy Cliff, doch allgemein kam Ska Musik bei der breiten Masse nicht an. Der Sound galt als primitiv, dreckig und unprofessionell. Ska wurde zur Musik der Underdogs, der schwarzen Rude Boy Gangs. Die weißen Hard-Mods orientierten sich an den Rude Boys und wurden später zu Skinheads, die diese Musik geliebt haben. Den schwarzen Musikern blieb das nicht verborgen und so sangen viele Künstler über den Skinhead Kult, z. B. Laurel Aitken (der Text ist ins Deutsche übersetzt): Meine Schwester sagt, sie will keinen Mann, sie will keinen Mann, wenn es kein Skinhead ist. Skinhead! Ich gehe zurück in die Slums, wenn die Bewegung zusammenbricht. Hip to the Hop! 34 Andere schwarze Musiker huldigten ihren kurzhaarigen Fans ebenfalls mit Liedern über die Subkultur, wie z.B. Desmond Riley mit „A message to you“, „Skinhead Moondust“ und „Skinhead’s don’t fear“ von den Hot Rod Allstars und „Skinhead Shuffle“ von the Mohawks. (Vgl. Farin u. Seidel 2002: 26-32) 1969 gilt als das Jahr in England, wo der Skinhead Kult seinen Anfang nahm. Inspiriert von den jamaikanischen Rude Boy Gangs, die als besonders cool und hart galten, schnitten sich die weißen Jugendlichen die Haare ab, krempelten ihre Jeans hoch und trugen dazu schwere Arbeiterstiefel. Fertig war der Skinhead Look. Die meisten Skinheads kamen aus der Fußball Hooligan Szene. Die großen Vereine hatten damals tausende Skinhead Anhänger. Die Skinhead Krawalle bei den Fußballspielen zogen bald die Aufmerksam der Medien auf sich und es wurde nach Ursachen für die Gewalt gesucht. Soziale Ungleichheiten hatten bestimmt auch ihren Anteil, aber für die meisten Skins war der Spaßfaktor entscheidend, bei den Fußballschlachten. Es gab damals einige britisch-jamaikanische Skinheadgangs. (Vgl. Farin u. Seidel 2002: 3233). „Skinhead-Sein, das war in diesen Tagen eine Frage des Klassenstandpunktes und nicht der Hautfarbe.“ (Farin u. Seidel 2002: 34) Rassismus Die Skinheads hörten Ska und akzeptierten die afro-karibischen Jugendlichen. Die schwarzen Rude Boys waren genau so gewaltbereit wie die Skinheads und so zogen damals Rude Boys und Skinheads durch die Straßen und jagten Hippies, Schwule oder Pakistani. Den eigenen Stadtteil zu verteidigen gehörte, für viele Skins genau so zur Parole Spaß, wie der Fight bei Fußballspielen. Die Skinheads, die es mittlerweile im ganzen Land gab, legten ein Gewaltverhalten an den Tag, wie es von anderen Gangs auch bekannt war. Bevorzugte Opfer waren Repräsentanten der Erwachsenengeneration, Vertreter des Bürgertums oder des Establishments, gegnerische Fußballfans, sexuelle Minderheiten, andere Jugendkulturen und soziale Minderheiten. Skinheads suchten immer Ärger und dabei war es ihnen egal, ob sie sich mit Rekruten der Armee prügelten oder mit Studenten. Allerdings gab es schon damals Probleme mit Rassismus, da Pakistani bevorzugte Opfer von vielen Skinheadbanden waren. Das so genannte „Paki-Bashing“ führte sogar dazu, dass sich die pakistanische Regierung darüber beschwerte, da 25 % der pakistanischen Studenten Opfer von 35 Gewalt wurden. Allerdings war Rassismus ein Problem von ganz England und nicht nur der Skinheadsubkultur. In Birmingham gewann 1964 der Tory Kandidat Peter Griffith seinen Wahlkampf mit dem Slogan: „Wenn sie einen Nigger zum Nachbarn haben wollen, müssen sie Labour wählen“. Da England genau wie Deutschland, auf Arbeitskräfte aus dem Ausland angewiesen war, da es mehr Arbeitsplätze als Arbeitnehmer gab, wurden Gastarbeiter angeworben. 1961 zogen 140 000 nicht-weiße Einwanderer nach England. Viele „Kolonialherren“ konnten es nicht fassen, dass auf einmal nach Jahrhunderten des Plünderns fremder Länder, Menschen aus anderen Kulturen in ihre Nachbarschaft zogen. Die politischen Eliten des Landes versuchten den Rassismus zu nutzen, um ihre Macht zu erhalten und nicht von einer erstarkten Arbeiterklasse unter Druck zu geraten. Durch die Betonung ethnischer Unterschiede wollten sie jegliche Solidarität zwischen der Arbeiterklasse und den Einwanderern unterbinden. 1962 wurde ein Einwanderungsgesetz erlassen (Commonwealth Immigrants Act), dass es nicht-weißen Einwanderern erschweren sollte, nach England zu kommen. Das „Paki-Bashing“ war mit einer besonderen kulturellen Problematik überlagert. Es gab Unterschiede zwischen den asiatischen Einwanderern und der westindischen Einwanderern. Die westindischen Einwanderer waren von ihren kulturellen Verhaltensweisen der Arbeiterklasse viel näher, als die asiatischen Einwanderer, die eher familien- und erfolgsorientiert waren und mehr in die Richtung der verhassten Mittelklasse tendierten. Zudem waren die Skinheads mit den afro-karibischen Jugendlichen durch die Ska und Reggae Musik verbunden. Zudem waren die Rude Boys und andere schwarze Gangs gut organisiert und zeigten rassistischen Skinheads ganz schnell ihre Grenzen auf. (Vgl. Farin u. Seidel 2002: 38-43) Punkrock Anfang der 70er Jahre flaute die erste Skinhead Welle ab. Viele zogen sich aufgrund der vielen Schlägereien zurück und es fehlte auch an musikalischen Impulsen. Das änderte sich 1976/77 als der Punk kam. Die „Sex Pistols“ waren zwar eine Mogelpackung, die von Geschäftsleuten wie eine Boy Band zusammengecastet wurden, aber die Musik und die rebellischen Texte erreichten viele Jugendliche, die Punk als Lebenseinstellung ernst nahmen. Als das „Vortex“ in London eingeweiht wurde, spielte die Kultgruppe „Sham 69“ vom Dach des Nachbarhauses, was die Einwohner aufgrund der Lautstärke nur wenig begeisterte. Die Polizei drehte den Strom ab und 36 nahm den Sänger Jimmy Pursey fest. Dieser wurde auf Kaution frei gelassen und das Konzert wurde im Keller weitergeführt. Sham 69 ist für viele Punks und Skins eine absolute Kultkapelle, was zweifellos an ihrem Hit „If the kids are united liegt“. Bands wie „Cock Sparrer“, „Cockney Rejects“ und Sham 69 gaben dem Punk einen noch rauheren und härteren Touch und nannten es Streetpunk, Real Punk oder Working Class Punk. Viele Punks wollten sich von den Mittelklassepunks abgrenzen und wurden zu Skinheads und auch die alte Garde der Skinheads begann sich für Punkrock zu begeistern. Bands wie die „Angelic Upstarts“ erreichten schnell ein gemischtes Publikum, welches aus Punks und Skins bestand. Bei Bands wie „Blitz“ oder „Infa-Riot“ bestanden die Bandmitglieder aus Punks und Skins. „Cockney Rejects“ verpasste der neuen Punkmusik ihren neuen Namen: Oi-Musik. Statt hey hey brüllten die Rejects Oi! Oi! Oi! und so entstand der Begriff Oi-Musik. (Vgl. Farin und Seidel 2002: 43-47). 2 Tone Der alte Skinhead Reggae gewann in diesen Tagen auch wieder mehr an Bedeutung. Bands wie die Specials, die aus schwarzen und weißen Musikern bestanden, hatten viel Erfolg im Jahre 77 und ein Jahr später waren heutige Skinhead Kultbands wie „Bad Manners“ und „Madness“ in den britischen Charts. Die Texte über Arbeitslosigkeit, Sexismus, Staatsgewalt und Sex kamen auch in der Punkszene sehr gut an. Steel Pulse waren die erste Band, die keinen Punk spielte und im Vortex auftreten durfte. Punks und Skins feierten zu dieser Zeit zusammen. Schwarze und Weiße. Das multikulturelle Feiern und Zusammenstehen war den Rechten ein Dorn im Auge und so wurden 2 Tone Konzerte bald Angriffsziele der rechten Szene. Die Presse konzentrierte ihre Aufmerksamkeit mehr auf die Krawalle, die es durch Rechte auf den Konzerten gab, als auf das friedliche Zusammenleben von Menschen mit anderer Hautfarbe und anderer Herkunft. In der Londoner Evening News wurde ein Foto von der Band „Selecter“ veröffentlicht, die eine schwarze Sängerin haben, mit der Unterzeile: „Don’t rock with the Sieg Heiles.“ (Vgl. Farin u. Seidel 2002: 47-50) National Front und Margret Thatcher 1967 gründete sich die National Front. Bis 1976 nahm dies kaum jemand zur Kenntnis. Als asiatische Flüchtlinge aufgenommen wurden, begannen die Boulevardblätter mit einer Hetzkampagne über eine nie da gewesene Asylantenflut und den Miss37 brauch von Sozialhilfe. Die National Front gewann 1977 mit ihrem Wahlslogan „If they are black, send them back“ über 200.000 Wählerstimmen. Die National Front veranstaltete regelmäßig Aufmärsche in schwarze Wohnviertel, die meistens in wüsten Straßenschlachten endeten. Margret Thatcher bediente sich selber einer rassistischen Wahlkampfpropaganda, die sie 1977/ 78 zur Premierministerin machte. Mit Versprechungen, wie der Beendigung der Immigration, konnte sie punkten. Grade die Jugend des Landes wurde magisch von der National Front angezogen, darunter auch viele Punks, Teds, Mods und natürlich Skinheads. Viele wollten die liberale Mittelschicht provozieren, die sich immer stark von Rassismus abgegrenzt hat. Aber die Provokation hat sich bei vielen zu einer persönlichen Einstellung gewandelt. Die Jugendorganisation der National Front, die Young National Front, setzte ihren Fokus auf die Fußballfans und Skinheads, während Margret Thatcher mit ihrer Politik den kleinen Mann kampfunfähig machte. Das Ausbildungs- und Bildungsbudget wurde gekürzt, staatliche Betriebe privatisiert und überall gab es Betriebsschließungen. Zudem wurden Organisationen wie Gewerkschaftsräte, Beratungsinstitutionen und Einrichtungen der Erwachsenenbildung, Stück für Stück durch Thatchers Politik zerstört. Bald war die Skinheadbewegung der liebste Ansprechpartner der National Front, aber es gab auch viele Skins, die sich nicht in den faschistischen Strudel haben reißen lassen. Bands wie Angelic Upstarts, Blitz und Infa-Riot engagierten sich in anti-rassistischen Initiativen. (Vgl. Farin u. Seidel 2002: 50-52) Krieg in den Konzerthallen Sham 69 waren absolut keine Anhänger der National Front, aber viele Fans der Kultband. Der Sänger Jimmy Pursey versuchte den Dialog zu seinen rechten Fans zu suchen, um sie zu überzeugen, dass Faschismus immer der falsche Weg ist. Nachdem Sham 69 zusammen mit the Clash, auf einem Konzert der Anti-Nazi-Liga, aufgetreten sind und auch bei Rock against Racism spielten, kam es zu immer mehr Attacken von Rechts auf den Konzerten von Sham 69. Die Band bekam keine Auftrittsmöglichkeiten mehr, da alle Veranstalter Angst vor der Randale der rechten Skins hatten. Ähnliche Probleme hatten die Angelic Upstarts, die sich auch immer klar gegen Faschismus ausgesprochen haben. 1979 wurde die Band von 50 National Front Anhängern in Wolverhampton angegriffen. Das war der Anfang einer Hetzkampagne der Rechten, um die vermeintlichen Kommunisten nicht mehr auftreten zu lassen. Der Druck auf die Oi-Szene wuchs, als die National Front als Antwort auf die 38 Rock against Racism Kampagne, versuchte Bands für das Label Rock against Communism, zu vereinnahmen. Bei Cockney Rejects Konzerten kam es auch des Öfteren zu Masschenschlägereien, da die Bandmitglieder zu den Hooligans der Inter City Firm von West Ham United gehörten und das auch offen nach außen vertraten. Oi-Musik war nun überall bekannt für eskalierende Gewalt und dies hatte zur Folge, dass immer mehr Bands sich auflösten und sich immer mehr Leute von der Oi-Szene abwandten. Um vom Gewalttäterimage los zu kommen, starteten im Juli 1981 diverse Bands eine Oi-Festivaltournee, um den schlechten Ruf wieder los zu werden. (Vgl. Farin u. Seidel 2002: 52-55) Southall Die Oi-Festivaltournee machte am 3. Juli 1981 in Southall Station. Dieser Vorort von Westlondon war ein gefährliches Pflaster für weiße Rassisten, da sich die Asiaten dort zu großen Banden zusammengetan hatten, nachdem 1976 der Inder, Gurdip Sing Chahher, von weißen Jugendlichen erstochen worden war, und die Polizei die Tat verharmloste und erklärte, dass es sich um keine rassistische Gewalttat handelte.1977 kam es zu einer Riesenstraßenschlacht in dem Viertel, nachdem die National Front im Rathaus eine Versammlung abhalten wollte. Das ganze Viertel wollte dies verhindern und wurde von der Polizei aufs brutalste daran gehindert und es gab hunderte Verletzte und einen Toten. Nach diesen Ereignissen war es für Faschisten brandgefährlich, sich in diesem Stadtteil sehen zu lassen, da die Einwohner genug von rechter Gewalt hatten. Einige Wochen vor dem Konzert kam die zweite Oi-CD von Gary Bushell raus, auf dessen Cover der berühmte Naziskin Nicky Crane zu sehen war. Der Oi-Sampler trug auch noch den unglücklichen Namen „Strenght thru Oi!“ (als provozierende Anspielung auf das Nazimotto Kraft durch Freude). Bushell entschuldigte sich und meinte, es wäre ein dummer Zufall gewesen, dass Nicky Crane auf dem Cover zu sehen war. Das war allerdings nach dem Konzert. Es gab also einige Gründe, weshalb sich die asiatische Bevölkerung durch dieses Skinheadkonzert provoziert fühlte, obwohl alle Bands die dort aufgetreten sind („the Last Resort“, „the Business“ und „the 4 Skins“) nichts mit Faschismus und Rassismus zu tun hatten. Auch die National Front machte ihre Anhänger für dieses Konzert mobil und so kam es schon im Vorfeld des Konzertes zur den ersten Schlägereien. Man muss auch dazu sagen, dass es nicht so wie heute war, dass die Skinheads sich aufgrund von politi- 39 schen Überzeugungen voneinander abgrenzen. Für viele Skins waren damals der Lebensstil, die Vorliebe für Bier und Musik wichtiger, als die politische Einstellung. Zum Beginn des Konzerts, um halb neun, waren im Hambrough Tavern Club 500 Gäste im Saal. Davon waren etwa die Hälfte Skinheads und nur ein kleiner Teil davon Rechts. Draußen sammelten sich schon die provozierten asiatischen Jugendlichen und die Polizei. Gegen halb Zehn brach dann das Chaos aus. Die Asiaten drangen mit Stuhlbeinen und anderen Waffen in den Saal ein und verprügelten alles was in ihren Weg kam. Der Pub wurde komplett zerstört und mit Molotowcocktails in Brand gesetzt. Der Pub brannte langsam ab, während sich die Konzertbesucher, die Einheimischen und die Polizei eine stundenlange Straßenschlacht lieferten. Es gab 110 Schwerverletzte. Das war der Todesstoß für die damalige Oi-Szene. Die Presse schlachtete die Ereignisse als „Rassenkrieg von Southall“ aus und alles stürzte sich auf die Skinheadszene. Von nun an waren Skinheads der Inbegriff von rechtsradikalen Schlägern in der Öffentlichkeit. Die Englandtournee, die kurz nach dem Ereignis von Southall stattfand und kurzfristig von „the Business“, Blitz und Infa- Riot, unter dem Motto Oi! against Racism veranstaltet wurde, fand in den Medien keine Beachtung. Das rechtsradikale Image blieb an der Oi-Szene haften. Die 4 Skins und the Business verloren ihre Plattenverträge. Viele Skins verließen die Szene, weil sie nicht von aller Welt als Nazi angesehen werden wollten. Der Oi-Sampler Strenght thru Oi! wurde vom Markt genommen, als er grade in den Top 50 der Charts gelangt war, obwohl die CD keine rassistischen oder faschistischen Songs enthielt. (Vgl. Farin u. Seidel 2002: 55-58). Skinheads in Deutschland, Rechtsrock Die ersten Skinheadcliquen bildeten sich 1977/78 in Deutschland. Zu einer größeren Skinheadszene kam es gegen 1980/81. Wie auch in England waren die Fußballstadien beliebte Treffpunkte der Skinheads. Ein Großteil der Skins ist über Fußball zum Skinhead geworden. Die Neonazi-Szene bemühte sich schon früh um die Skinheads in den Stadien, da sie dem Vorbild der National Front in England nacheiferten, die 1982 über zweitausend Skinheads in ihren Reihen hatten. Michael Kühnen brachte 1983 32 Kameradschaften mit 270 Aktivisten seiner Aktionsfront Nationaler Sozialisten zusammen. Kühnen wollte die Skinheads für seine rechte Ideologie gewinnen. In Hooligangruppen, wie der Borussenfront aus Dortmund, oder beim „Kampf gegen 40 die Kanacken“ beim Länderspiel Deutschland gegen die Türkei im Oktober 1983 kämpften Neonazis mit rechten Skinheads zusammen. 1985 starben zwei Ausländer durch Skinheadangriffe. Die Gewalt von Skinheads gegen Linke, Ausländer und Andersdenkende nahm in diesen Tagen zu, doch die Politiker ignorierten den Rechtsradikalismus hinter diesen Taten und bagatellisieren die Vorfälle als Kämpfe zwischen rivalisierenden Jugendbanden. Den Soundtrack für solche Gewalttaten lieferten Rechtsrockbands wie „Skrewdriver“ (dessen Sänger Ian Stuart das Faschistennetzwerk Blood & Honour gründete, welche mittlerweile als Terrororganisation verboten ist) mit Songs wie „Nigger’s out“ oder der Band „Kraft durch Froide“, die in einem Song singen: Skinhead heißt der Weg, den du erwählst, es gibt dir die Kraft zu überstehen Du wirst kämpfen und du wirst siegen, du wirst diese Schweine killen, killen, killen. (Vgl. Farin und Seidel 2002: 99-105) Eine sehr populäre Rechtsrock Band, die sich selber als unpolitische Oi-Band sieht, ist „Endstufe“ aus Bremen. Die Texte lassen allerdings eine politische Richtung erahnen: „Dr. Martens, kurze Haare, das ist arisch, keine Frage! Nieder mit dem MischMasch-Blut, denn das tut dem Vaterland nicht gut! Haltet rein die deutsche Rasse, denn wir sind die Arierklasse! Steh euren Mann, wir sind die Macht, Deutschland wird siegen in jeder Schlacht!“ (Farin und Seidel 2002: 66) Als Ordnungshüter für das deutsche Vaterland versteht sich ebenfalls „Störkraft“, die ebenfalls zu den Rechtsrock Szenegrößen zählen: „Die Aufgabe des ganzen Volkes lässt man auf unseren Schultern ruh’n, und werden wir mal eingesperrt, hat kein Arsch was mit uns zu tun. Orden bekommen wir nicht angesteckt für unsere Heldentaten, obwohl ein jeder weiß, dass die große Wende naht. Marschieren Stiefel durch die Nacht, sind wir nicht allein. Es gibt keine Kraft, die uns abhält, wir Skinheads sind zu allem bereit. Wir sind Deutschlands rechte Polizei, wir machen die Straßen wirklich frei, es wird schon noch hart, wir bleiben dabei.“ (Vgl. Farin u. Seidel 2002: 74-75) Die in Deutschland sehr populäre Rechtsrockband „Landser“ (von denen alle CD’s verboten sind und der Sänger wegen Volksverhetzung im Gefängnis saß) setzt auf stimmungsvolle Rassistenlieder. Bei dem Song „Polackentango“ heißt es: „Wenn bei 41 Danzig die Polenflotte im Meer versinkt, und das Deutschlandlied auf der Marienburg erklingt, dann zieht die Wehrmacht mir ihren Panzern in Breslau ein und ich weiß Deutschlands Osten kehrt endlich wieder heim“. „Kraftschlag“ wünschen sich in ihren Texten wieder ein großdeutsches Reich. Im Song „Ich liebe die Heimat“ heißt es: Ich denke auch an Ostpreussen, an Pommern und Schlesien, auch Bozen, Wien und Südtirol gehen mir nicht mehr aus dem Sinn. (http://pages.unibas.ch/deja-vu/archiv/aktuellarchiv/nazimusik.html) In Deutschland gab es kaum noch Skinheads, die etwas mit dem Geist von 1969 zu tun hatten. Nicht Skinheads wurden Nazis, sondern Nazis wurden Skinheads. Naziskins bestimmten bald die Szene in Deutschland. Skinheads gingen in die rechten Parteien. Sogar die Spießbürgerpartei die Republikaner konnten Skinheads in ihren Reihen zählen. Die politische Ideologie wurde wichtiger als die Parole Spaß. Es kam zu Schlägereien zwischen Skinheads untereinander aufgrund von anderen politischen Einstellungen. Sogar die Fußballspiele nutzten die jungen, rechten Skins um Wahlpropaganda unter das Volk zu bringen. Das brachte die Altskinheads und Hooligans gegen die neuen Rechten auf. Als am 20. April 1989 150 Naziskins den Geburtstag von Adolf Hitler im Volksparkstadion feiern wollten, wurde diese von Hamburger Altskins und Hooligans aus dem Stadion geprügelt und mussten unter Polizeischutz das Stadion verlassen. (Vgl. Farin u. Seidel 2002: 106-109 ) Blood & Honour Blood and Honour (Blut und Ehre) ist ein Netzwerk von faschistischen Skinheads, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, nationalsozialistisches Gedankengut in die Skinheadszene einzubringen und Rechtsrockbands zu koordinieren. Blut und Ehre hat einen Bezug zum dritten Reich und stand auf den Fahrtenmesser der Hitlerjugend. Die Rassengesetze von Nürnberg hießen offiziell auch „Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“. Blood & Honour wurde in den 80er Jahren in Großbritannien gegründet. Ian Stuart war maßgeblich an der Gründung beteiligt. Das Symbol des Netzwerkes ist eine Triskele, eine Art dreiarmiges Hakenkreuz. Blood and Honour hat mit Combat 18 einen bewaffneten, sehr gefährlichen Arm in seinen Reihen. 1994 gründete sich der erste Blood & Honour Ableger in Deutschland. Weitere folgten. Ein Großteil der rechten Skinheads war bei Blood & Honour bzw. bei der Hammerskinsektion organisiert. Auch nationalsozialistisch eingestellte Kameradschaften wie Neuteutonia Neustrelitz arbeiteten eng mit B & H zusammen. 42 Ebenfalls gab es gute Kontakte zur NPD. Nachdem es zu Ermittlungen gegen die Rechtsrockband Landser gekommen ist, wurde auch die Blood & Honour Szene durchleuchtet. Szeneaktive Mitglieder wurden verhaftet und machten belastende Aussagen. Am 12. September 2000 wurde die Deutsche Division verboten. Allerdings sind die Leute unter anderen Namen weiterhin aktiv. http://nipberlin.de/daten/index.php?option=com_content&task=view&id=119&Itemid=64 SkinHeads Against Racial Prejudice (S.H.A.R.P) Durch die Unterwanderung der Skinhead Szene durch militant rassistische Organisationen, wie der National Front und Blood & Honour in Großbritannien, dem KuKlux-Klan in den USA und der FAP und NF in Deutschland, wurde das Bild vom rassistischen, faschistischen und gewaltbereiten Skinheads in den Medien geprägt. Viele antifaschistische Skinheads wollten sich von diesem Image lösen. Die Chance, von einem größeren Publikum erhört zu werden, nutzte 1988 ein Skinhead aus den USA, der in einer der größten Talkshows des Landes verkündete, dass es durchaus Skinheads gibt, die sich ihrer Wurzeln bewusst sind und mit Rassismus nichts zu tun haben wollen: S.H.A.R.P. (Skinheads against Racial Prejudice). Roddy Moreno, der Sänger von „the Oppressed“, wurde in einem Urlaub in New York auf S.H.A.R.P. aufmerksam und trug diese Idee begeistert ins Ursprungsland der Skinheads zurück. The Oppressed gab es schon seit den frühen 80er Jahren, aber aufgrund der um sich greifenden Gewalt in der Oi-Szene lösten sie sich 1984 auf. Moreno blieb der Szene aber treu und gründete sein anti-rassistisches Label Oi! Records. Er wollte sich deutlich von den Boneheads (Schmähwort der antifaschistischen Skinheads für Faschoskins) distanzieren, die ihre Wurzel ganz offensichtlich vergessen haben. (Vgl. Farin u. Seidel 2002: 118.119) 1994 fanden sich the Oppressed wieder zusammen und brachten 1994 die „Anti Fascists Oi! EP raus und 1995 die „Fuck Fascism“ EP. Auf den Alben wurden berühmte Streetpunkhymnen wie „Flares’n’Slippers“ von Cockney Rejects und „Borstal Breakout“ von Sham 69 mit antifaschistischen Texten gecovert. (Vgl. Mader 1996: 114) Die Sharp Bewegung fand auch großes Interesse in der deutschen Skin Szene. Das Berliner Fanzine (eine Zeitschrift aus der Szene für die Szene) „Skintonic“ wurde 1989 zum Sprachrohr der Sharp Bewegung. In den Berichten wurde sich stark von 43 den Ausländer verprügelnden Naziskinheads distanziert und besonders über die antifaschistischen Skinheadbands berichtet. Sharpskinheads sind nicht unbedingt links, es gibt viele, die sich selber als unpolitisch betrachten, aber ihre Verachtung für Nazis und rechte Gewalt zum Ausdruck bringen wollen. Es gibt natürlich auch Sharp Skinheads, die in der autonomen Antifa organisiert sind, aber das ist eher die Ausnahme. Die meisten Sharp Skinheads bekennen sich zu ihren schwarzen Wurzeln, sind aber äußerst selten politisch aktiv. (Vgl. Farin u. Seidel 2002: 121-130) Fazit Die Skinheadsubkultur ist sehr heterogen. Politisch reicht sie von ganz links bis ganz rechts. Eine allgemeine Stigmatisierung, wie sie gern in den Medien benutzt wird, ist also sehr unpassend. Auf alle Randgruppen (Gayskins, Redskins) der Skinheadkultur einzugehen, würde den Rahmen sprengen. Die Skinheadsubkultur hatte schon in den Anfängen mit Rassismus zu kämpfen, was allerdings an der rassistischen Grundhaltung vieler Engländer allgemein lag. Die Skinheads waren genau so rassistisch wie der Rest der Arbeiterklasse, aber nicht mehr und nicht weniger. Aufgrund der Unzufriedenheit und der recht hohen Gewaltbereitschaft der Skinheads waren sie natürlich beliebte Ziele von rechten Parteien, die die Skinheadszene unterwanderten. Das hatte zur Folge, dass sich die Skinheadszene aufgrund von politischen Einstellungen spaltete. Deshalb halten sich auch heute viele Oi-Skins geradezu verkrampft an ihrer unpolitischen Einstellung fest, da viele der Meinung sind, dass die Politik dem Skinheadkult sehr geschadet hat. Die meisten Menschen, und auch viele Faschoskins, wissen nichts von den schwarzen Wurzeln der Bewegung oder ignorieren diese. Die Medien berichten auch nur äußerst selten darüber, genau so wenig wie über Sharp Skinheads oder über Konzerte wo Punks und Skins friedlich feiern bzw. von Skaund Reggae Konzerten, bei denen Skinheads mit Schwarzen tanzen. Eine rassistische Schlägerbande von Faschoskins ist einfach viel medienwirksamer und erzielt höhere Auflagen, als Skinheads, die sich gegen Nazis engagieren. Der Skinheadkult ist in Deutschland weiterhin sehr populär. Das liegt vor allem an Bands wie den „Broilers“, „Loikaemie“, „Smegma“ und „Volxsturm“, die sich offensiv gegen Faschismus oder politischen Extremismus gestellt haben. Oder Bands wie Los Fastidos aus Italien, die sich als Skins für Tierrechte und eine vegane Lebensweise einsetzen und in ihren Songs gegen Faschisten, Rassismus und Krieg singen. Die Skinheadszene ist sehr gut mit der Punkszene verdrahtet. Es spielen meistens mehrere Oi! Bands auf 44 großen Punkfestivals wie dem Force Attack. Die Skinheadszene wird aber nie mehr oder weniger akzeptiert werden wie die Punkszene, weil es einfach zu viele Vorurteile gibt. Die Gewaltbereitschaft der Skinheads wirkt auch auf viele Leute abschreckend. Die Skinheadszene will allerdings auch nicht wirklich in der Gesellschaft ankommen. „Dabei bitte ich, Aufklärung nicht mit Sympathiewerbung zu verwechseln. Das wäre auch das letzte, was sich Skinheads selbst wünschten. Freundliches Schulterklopfen von Lehrern und Vorgesetzten, Oi! Fanclubs an Gymnasien und universitäre Erstsemesterpartys mit Skinhead Bands, Skingirl Schminktipps in der Bravo und die samstägliche Skinhead Show auf Viva – ein Horrorszenario für jeden aufrechten Kurzhaarigen.“ (Farin 1999: 6) Viele Leute wollen Skinheads auch als Nazis sehen, weil die Wahrheit um einiges komplizierter ist und in ein schwarz weiß Denken nicht hinein passt. 3.2. Punk „Punk, engl. 1. Jugendbewegung der späten 1970er Jahre, gekennzeichnet durch antibürgerliche Sprüche, abscheuliche Kleidung (wie aus der Mülltonne) und grässliches Frisuren. 2. Lusche, Niete, Pfeife, Abschaum. 3. Kurzform von Punkrock. 4. Wertloses Zeug. 5. Hure, Prostituierte. 6. Junger Homosexueller, Pupe, Pullertrude, Sackweib. 7. Lausig, nichts-nutzig, beschissen, hirnrissig.“ (Colegrave und Sullivan 2005: 11) Bei Punk handelt es sich um eine Subkultur die meist sehr destruktiv, subversiv und nihilistisch ist. Viele gängige Werte und Normen der Gesellschaft werden abgelehnt. Punks provozieren gerne durch ein äußerst exzentrisches Image. Die Zwänge der Leistungsgesellschaft werden ausgeblendet, umgangen und abgelehnt. Punks pflegen oft einen exzessiven, selbstzerstörischen und hedonistischen Lebensstil. Punkrock liefert den Soundtrack für den selbsterwählten Lebensweg, der teilweise am Rande der Gesellschaft stattfindet. Punkrock ist meist sehr schlichte, schnelle und aggressive Musik und besteht oft nur aus drei Akkorden. In den Texten geht es z.B. um Gesellschaftskritik, Individualität, Misanthropie und die Verherrlichung von Alkohol und Drogen. Die Punksubkultur ist so facettenreich und widersprüchlich, dass sie sich kaum verallgemeinern lässt. Es gibt auch sehr viele differenzierte Meinungen zu den Themen Essen (Fleischkonsum, Vegetarismus, Veganismus), Politik (anarchis- 45 tisch, linksradikal, links, unpolitisch, rechts), Arbeit (gar nicht arbeiten, schwarzarbeiten, als Künstler arbeiten, „normal arbeiten“…) und zum Alkohol- und Drogenkonsum (es gibt z.B. die „Straight Edge“ Bewegung, die jede Form von Alkohol und Drogen und sogar Tabak strikt ablehnt). Punk ist also sehr individuell und lässt sich schlecht einkategorisieren. Die Aggressivität, die Geschwindigkeit und die rebellische Attitüde von Punkrock, hat Psychobilly maßgeblich beeinflusst und daher gehe ich auf die Enstehung der Punksubkultur ein. Die Geschichte von Punk Auf den folgenden Seiten beschreibe ich wie Punk in den beiden Metropolen London und New York entstanden ist. Ich gehe dabei auf die wirtschaftliche Lage, sowie die Wohn- und Lebenssituation in den beiden Großstädte Ende der 70er Jahre ein, damit der Leser besser nachvollziehen kann, warum Punk gerade in London und New York begann. Zudem schreibe ich auch über die Figurationen zwischen der Künstler- und der Punkszene. Gegen Ende der 70er Jahre prägte eine Vielzahl von Problemen die Industrieländer. Großbritannien litt unter einer hohen Arbeitslosenquote, während die USA noch unter dem Schock vom Watergateskandal und des Vietnamkrieges stand. Deutschland war das Ziel der RAF und die Massenmedien berichteten über Mogadischu, Schleyer und Stammheim. Der ‚Sommer of Love’ war vorbei und die 68er Generation, die für einen Aufbruch zur Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse standen, waren mittlerweile fest im Establishment verankert. (Vgl. Matt 2008: 6) „Und die Welt befand sich in einem Zustand des Schocks, der Verdrängung und des Traumas. Die waren die gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen, unter denen eine neue Subkultur sich anschickte, zuerst die Schlagzeilen der Presse und dann die Gemüter einer Armee von desorientierten Jugendlichen zu erobern.“ (Matt 2008: e.b.d.) 1975 begann Punk Gestalt anzunehmen. Punk war in erster Linie eine Attitüde, die stark von Nihilismus und Anarchismus geprägt war. Punk war auf Konfrontation mit dem Establishment ausgelegt. Der Status quo wurde hinterfragt. Die Attitüde von Punk gab es natürlich schon viel früher. Im 19 Jahrhundert gab es den Maler Gustave Courbet, der zur Avantgarde des Realismus gehörte. Diese Kunstszene verherrlichte den einfachen Mann und seinen Kampf. Courbet wurde, 46 genau wie Punk, vorgeworfen, politische Zerstörung zu provozieren. Zudem hatten Courbet und die Punks noch andere Gemeinsamkeiten. Courbet glaubte genau wie die Punkrocker, dass jeder Kultur schaffen kann. Während die Punks durch Gummiund Bondagekleidung provozierten, malte Courbet Bilder von lesbischen Frauen, die sich liebten. Courbet hat zwar nie Punkrock kennengelernt, doch hat er dieselbe Einstellung verkörpert und gelebt. Die Kunstbewegung „Dada“ könnte ebenfalls als einer der Wurzeln von Punk angesehen werden. Hierbei handelte es sich um eine französische Künstlerbewegung, welche sich aus radikalen Dichtern und Malern zusammensetzte, in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts. Dada nutzte Skandale zur Eigenwerbung und feierte Subversion, Anarchie und Provokation. Es war auch ein Dada Künstler, der einer der Ersten war, der Collagen anfertigte: John Heartfield. Aus diversen Fotostücken ein völlig neues Bild zu schaffen, wurde ein Markenzeichen der Punkszene. Die BeatBewegung der 50er Jahre beeinflusste ebenfalls Punk. Autoren wie Bukowski, Kerouac, Ginsberg und Burroughs schrieben verherrlichend über Drogen, die Straßen und den Untergrund. (Vgl. Collegrave und Sullivan 2005: 18) „Sie erhoben Erniedrigung und den Alltag mit seinen Schattierungen zu hoher Literatur und verschreckten damit viele Leute.“ (Collegrave und Sullivan 2005: e.b.d.) Radikale Künstler, wie Andy Warhol, schufen mit ihrer Kunst ebenfalls sehr wichtige Grundlagen für Punk. Warhol gehörte zu einer neuen Generation Künstler, die in den 60er Jahren begann, Kunst zu gestalten. Die Factory von Warhol war eine äußerst heterogene Künstlervereinigung, die aus heterosexuellen, transsexuellen, lesbischen und schwulen Künstlern bestand, was ja allein schon ein krasser Gegensatz zur allgemeinen Sexualvorstellung war. Die Factory hat auch maßgeblich Malcom McLaren beeinflusst, der der Manager der legendären Sex Pistols wurde. Warhol managte auch die Band „Velvet Underground“, welche vom Verhalten auch als Vorreiter des Punkrocks gesehen werden können. Sie traten mit Tänzern auf, die eine Peitsche trugen und sangen über Sadomaso, über Heroin und Drogenmissbrauch. Und das auf dem Höhepunkt der Hippieära. (Vgl. Collegrave und Sullivan 2005: 1819) „Warhol hatte die Methoden der Kunst auf den Rock’n’Roll angewandt und Velvet Underground war eine künstlerische Installation: Sie waren die Ersten, die das Publikum dazu brachten, die konventionelle Unterhaltung in Frage zu stellen – dadurch 47 schufen sie die Ethik, die zum Herz des Punkrocks wurde.“ (Collegrave und Sullivan 2005: 19) Velvet Underground beeinflussten auch Bands wie die „Stooges“ und „MC5“, die selber zu Schwergewichten der Punkrockszene wurden. Eine Band, die ebenfalls von großer Bedeutung war, nannte sich die „New York Dolls“. Sie waren bekannt für Drogen- und Alkoholexzesse, sahen aus wie Transvestiten und inspirierten Bands wie die legendären „Ramones“ und „the Clash“. Die New York Dolls dienten Malcolm McLaren auch als Vorlage für die Sex Pistols, abgesehen von ihrem Outfit. Die Dolls lösten sich 1975 auf und so versuchten unzählige andere Bands, in deren Fußstapfen zu treten. Das „CBGB’s“ wurde dabei zum Herz der New Yorker Punkrockszene und bot Bands wie den Ramones, den „Dead Boys“ und „Patti Smith“ Auftrittsmöglichkeiten. Die Bewegung war also schon längst aktiv, doch immer noch namenlos. Dies sollte sich allerdings ändern, als sich der Autor Legs McNeil und der Illustrator John Holmstrom zusammentaten und das Fanzine Punk gründeten und so der Bewegung ihren gleich lautenden Namen verpassten. In England benannten 1975 Vivienne Westwood und Malcom McLaren ihren Kleidungsladen in ‚Sex’ um. Sie verkauften dort Bondagekleidung und andere Fetischmode und der Laden wurde bald zum beliebten Szenetreff der Londoner Punkszene. McLaren baute von dort auch die Sex Pistols auf, die am Anfang ihrer Karriere Songs von den Faces und Monkees coverten. Gegen Ende des Jahres 1975 wurden die Massenmedien auf das Phänomen Punk aufmerksam und von diesem Zeitpunkt an, verbreitete sich ein neuer Musik- und Lebensstil. (Vgl. Collegrave und Sullivan 2005: 19) London god save the queen the fashist regime they made you a moron potential h-bomb god save the queen she ain’t no human being there is no future 48 in england’s dreaming Don't be told what you want Don't be told what you need There's no future, no future, No future for you God save the queen We mean it man We love our queen God saves God save the queen 'Cause tourists are money And our figurehead Is not what she seems Oh God save history God save your mad parade Oh Lord God have mercy All crimes are paid When there's no future How can there be sin We're the flowers in the dustbin We're the poison in your human machine We're the future, your future No future, no future, No future for you No future, no future, No future for me “Sex Pistols”, “God save the Queen” 49 London spielte in den Anfangsjahren 1976 und 1977 eine große Rolle in der Geschichte des Punk. London hatte wie viele andere große europäischen Städte mit der Rezession zu kämpfen. Der städtischen Struktur von London konnte man den wirtschaftlichen Niedergang deutlich ansehen. Überall standen Trümmerlandschaften, halb abgerissene Gebäude und Wellblechkorridore, während im Hintergrund riesige Hochhäuser türmten. London hatte in den 60er und 70er Jahren teilweise ganze Stadtviertel räumen lassen, um diese abzureißen und neu zu bauen. Durch die wirtschaftliche Krise konnte der Neubau allerdings nicht verwirklicht werden und so bestimmten Ruinen und leer stehende Häuser die Landschaft von London. Die Punkszene liebte den apokalyptischen Baustil der Stadt und nutze die Möglichkeit, billig in der Nähe vom Zentrum zu wohnen. (Vgl. Savage 2008: 41) Ein Text, der das Lebensgefühl der Punks von damals sehr gut wieder spiegelt heißt „Dead Cities“ von “the Exploited”: Im getting wasted in this city Those council houses are getting me down Go up town see who’s there There’s nothing to do its getting me down Dead cities dead cities Dead cities dead cities Snarling and gobbing and falling around I really enjoy the freedom I’ve found My mates besides me lying on the ground His ears are bursting with the volume of sound London hatte mit the Clash und den Sex Pistols zwei sehr große Punkbands in der Stadt und die Szene verteilte sich auf die Stadtteile, in denen die Bands wohnten. Die Sex Pistols kamen aus Chelsea und World’s End/Soho und the Clash kamen aus North Kesington/Ladbroke Grove. Die Sex Pistols wurden in der King’s Road 430 im Laden von Vivienne Westwood und Malcom McLaren gegründet. Die Sex Pistols spielten ihre ersten Auftritte in abgelegenen Stadtteilen, in Stripclubs und Kunstschulen. Auftritte in Pubs waren eher die Ausnahme als die Regel. 1976 entwickelte sich 50 der Lesbenclub „Louise’s“ zu einem Szenetreffpunkt der Punkszene. Hier spielten z.B. the Clash und the Sex Pistols. Homosexuelle und Punks wurden von der Gesellschaft als empörend wahrgenommen und so spielten Punkbands oft in Schwulenclubs und Ähnlichem, da diese in den Randbezirken der Stadt lagen und so eine gewisse Freiheit erlaubten, was das Verhalten und das Aussehen betraf. Auch das „Chaguaramas“ entwickelte sich zu einem Knotenpunkt der Punkszene. Während dem Laden vorher ein äußerst mieser Ruf anhaftete, ergab sich durch einen Skandal der Sex Pistols im Fernsehen (sie hatten einen Moderator beleidigt, was im äußerst konservativen England für einen Eklat sorgte), die Möglichkeit, der Punkszene eine Plattform für ihre Musik zu bieten. Vielen Punks wurde, aufgrund des Auftrittes der Sex Pistols im Fernsehen, der Eintritt in viele andere Lokalitäten untersagt. Aufgrund des Verfalls und der dubiosen Auftrittsmöglichkeiten der Sex Pistols wurde London im Jahre 1976 zum Ziel vieler Jugendlicher. Ein anderer Teil von London, der sehr wichtig für die damalige Punkszene war, hieß North Kensington. Hier gehörte der Clash Sänger Joe Strummer zur Hausbesetzerszene, wie viele andere Punks auch. Die Bandmitglieder von the Clash wohnten in Ladbroke Grove, Notting Dale und der Harrow Road. Die Atmosphäre der verlassenen Viertel, die von der einzigen Autobahn, welche in die Innenstadt führte, durschnitten wurde, beeinflusste nachhaltig die Musik von the Clash. 1976 kam es beim Notting Hill Carnival zu Ausschreitungen zwischen den Einwohnern (die meistens einen westindischen Hintergrund hatten) und der Polizei. Durch diese Ereignisse wurden the Clash zu ihrer ersten Single „White Riot“ inspiriert und auch das Cover ihrer ersten Platte zierte Polizisten mit Schlagstöcken, die durch Ladbroke Grove marschierten, während im Hintergrund die mächtige Autobahn Westway in den Himmel thronte. 1977 kam es zum Höhepunkt der Punkära in London. Ausgerechnet zum Regierungsjubiläum der Queen spielten die Sex Pistols auf einem Schiff auf der Themse, ihren umstrittenen Song „Anarchy in the UK“. Die Plattenfirma der Sex Pistols (Virgin) mietete ein Vergnügungsschiff mit dem Namen Queen Elizabeth, unter dem Vorwand, dass man eine deutsche Synthesizerband promoten wollte. Diese Synthesizerband waren natürlich die Sex Pistols und diese wollten ihre Single „God save the Queen“ bewerben. Die Aktion war ein voller Erfolg und die Single kam in die Charts, obwohl das Lied nicht im 51 Radio gespielt wurde und auch andere Medien den Song ablehnten. (Vgl. Savage 2008: 41-46) „Als die Queen Elizabeth Richtung Parlament die Themse hinauffuhr, begannen die Sex Pistols Anarchy in The U.K. zu spielen: ein außerordentlich symbolischer Augenblick, in dem die Band den Anspruch erhob, dass sie das wahre Gesicht Englands sei und nicht die widerliche Nostalgie des Silberjubiläums der Queen.“ (Savage 2008: 46-47) Die Presse berichtete damals über die Feierlichkeiten der Queen und der Königsfamilie einerseits und andererseits auch über die Provokation der Sex Pistols. Viele junge Briten kamen sich damals vor, wie in den 50er Jahren, als in England noch die traditionellen Klassenverhältnisse herrschten. Das Jubiläum der Queen bedeutete ihnen nichts und sie kamen sich belogen vor, da die Lebensverhältnisse in den heruntergekommenen Vierteln davon zeugten, dass sich nichts verändert hatte. Punkrock war zwar primitiv, aber es ging in den Texten um die Wahrheit und um die ungeschönte Realität. Die Schlüsselformationen in London um the Clash und den Sex Pistols waren davon überzeugt, dass sich die Wahrheit in den armen Vierteln abspielt, in den vergessenen Außenbezirken und nicht in den Vierteln der reichen Leute. Während die Punks das London der späten siebziger Jahre prägten und den Freiraum nutzen, die die verlassenen Häuser boten, fand in den frühen 80er Jahren eine radikale Erneuerung von London statt. Es gibt kaum mehr ein leer stehendes Haus und London ist zu einer Stadt geworden, in der nur die Reichen es sich leisten können, in der Nähe der Innenstadt zu leben. Die einstigen Wahrzeichen des Punk sind verschwunden, oder so entfremdet, dass sich heute keiner mehr vorstellen kann, welche Wirkung gewisse Stadtteile auf die Punks ausübten. Die Wohnverhältnisse haben sich stark verbessert, aber auf der anderen Seite können sich heute kaum noch junge Leute, Künstler und Arme eine Wohnung in Nähe des Zentrums leisten. Daher ist es sehr unwahrscheinlich, dass sich so etwas wie Punk wiederholt. (Vgl. Savage 2008: 4647) New York Punkrock entwickelte sich in den 70er Jahren in der New Yorker Innenstadt, in der es eine große Kunstszene gab, weil die Mieten zu dieser Zeit sehr billig waren. Da New York finanziell sehr angeschlagen war, waren die Mieten so spottbillig, dass viele 52 Künstler nur in Nebenjobs arbeiteten. Die Kunstszene und die Punkszene wiesen damals starke Figurationen auf. Die Künstler gingen abends in Bars, wo ihre Nachbarn mit ihrer Rock- bzw. Punkband spielten. Künstler wählten damals nicht ihren Beruf, um reich zu werden und die Kunstszene war auch um einiges kleiner als das heute der Fall ist. 1975 bat New York den damaligen Präsidenten Gerald Ford um finanzielle Unterstützung und dieser lehnte die Bitte ab. Am nächsten Tag stand in der New York Daily News die Schlagzeile: ‚Ford to City: Drop Dead’. Viele Industriegebiete waren von den Firmen verlassen worden und so erinnerte die East Village von New York an das zerbombte Berlin im zweiten Weltkrieg. Die Stadt war gefährlich und der Heroinhandel blühte. Der Haupttreffpunkt für Künstler und Punks war damals das „Max’s“. Der Besitzer des Max’s tauschte damals Kunst gegen Getränke. Andy Warhol und die Band Velvet Underground zogen 1970 über das Max’s. Viele Musiker waren Stammkunden (z.B. „Alice Cooper“ und die New York Dolls) und auch bekannte Rockmusiker der „Rolling Stones“ und von „Jefferson Airplane“ verkehrten im Max’s, wenn sie in New York waren. (Vgl. O’Brien 2008: 94) „New York war damals eine kleine Szene, doch sicherlich groß genug, dass Musiker und Künstler sich an verschiedenen Orten hätten treffen können, was sie aber nicht taten. Es gefiel ihnen so wie es war. Künstler und Musiker mischten sich gern. Eine Verschmelzung zeichnete sich ab.“ (O’Brien 2008: 95) Die Künstler und die Bands aus New York verbanden, im Gegensatz zu anderen Kunstschaffenden in England und an der Küste, Realismus in ihren Werken. So war z.B. der Sound der „Stooges“ hart und schnell. Den New York Dolls haftete gar der Ruf an, dass sie überhaupt nicht fähig wären, Musik zu machen. Das Outfit der Dolls war Trash pur. Die Musiker waren stark geschminkt, trugen High Heels und Pfadfinderuniformen und gingen völlig berauscht auf die Bühne. Die Message der Band war unglaublich verschroben und die Dolls wurden in den USA ignoriert. Malcom McLaren führte die Dolls zwar unter seiner Führung als Manager zu großen Erfolgen in der Londoner Szene, doch konnte auch er nicht verhindern, dass sich die New York Dolls gegen Mitte der 70er Jahre auflösten. Doch schon kurz darauf sorgten Patti Smith und die Ramones für erneuten Wirbel im Max’s. Die Ramones spielten Songs selten länger als zwei Minuten und verwendeten keine Gitarrensolos. (Vgl. O’Brien 2008: 95-96) 53 „Die Ramones waren das andere entscheidende Element, das die Punk-MusikÄsthetik maßgeblich beeinflusste. Gekleidet wie männliche Strichjungen aus einem Warhol-Film (und die Charaktere aus ihrem Song 53rd &3rd) schufen sie etwas Neues.“ (O’Brien 2008: 96) Die Kunst- und die Punkszene bestand aus Kunststudenten, sexuellen Minderheiten, Leuten, die sich aus dem mittleren Westen in das Exil von New York geflüchtet haben und Flüchtlingen. Es wurden immer mehr Bands zu dieser Zeit gegründet und es entstanden immer neue Clubs, wie das „Mudd“, das „Danceteria“, „Tier 3“, „The Pyramid“ und natürlich das „CBGB’s“. Diese neuen Läden waren oft ausverkauft, obwohl das Publikum zum größten Teil nur aus anderen Bands, Künstlern und deren Umfeld stammte. Der Punk aus der Arbeiterklasse wusste meistens nicht von den kulturellen Vorgängern und Vorbildern der Punkszene wie Andy Warhol oder Amos Poe. (Vgl. O’Brien 2008: e.b.d.) „Der Punk gab sich nonkonformistisch. Motivation und Einflüsse waren seine Sache, die anderen mussten sie erraten. Die Intelligenz der Punkszene war ein harter Kern von Künstlern.“ (O’Brien 2008: e.b.d.) Chris Burden war ein Künstler, der durch seine radikalen Performances tiefen Eindruck in der Punkszene hinterließ. Es gab viele Schlüsselfiguren der Punk- und New Waveszene, die zugleich Künstler waren, aber gleichzeitig auch als Musiker in Bands aktiv waren. Die Musiker und Künstler hatten in den späten 70er und den frühen 80er Jahren dieselben Probleme. Plattenfirmen sowie Kunstgalerien bevorzugten Künstler mit großem Namen, selbst wenn sich kleinere Künstler bzw. Bands genau so gut verkaufen lassen würden. Aus diesem Grund begannen die Künstler bzw. die Bands damals, ihre eigenen Labels und Galerien zu gründen. So entstanden autonome Musiklabel, die zeigten, dass es sich lohnte, unbekannte Künstler zu fördern und überall entstanden neue Galerien, in denen innovative Kunst präsentiert wurden, die als Gegenkultur zum Mainstream angesehen wurde. Der Begriff Punk war damals noch nicht geläufig, für die Gegenkultur in Kunst und Musik. Erst als der Cartoonist John Holmstrom zusammen mit dem Schriftsteller Legs McNeill und der Fotografin Roberta Bayley, die gleichzeitig als Türsteherin im CBGB’s arbeitete, das Fanzine Punk herausbrachte, etablierte sich der gleichnamige Begriff. Die Zeitschrift entstand im Umfeld der Ramones, von „Blondie“ und den „Dictators“. (Vgl. O’Brien 2008: e.b.d.). 54 „Die Musik war klar vom Stil der New York Dolls und der Ramones beeinflusst, aber die Mode war ganz und gar von London geprägt.“ (O’Brien 2008: e.b.d.) Die Ramones beeinflussten mit ihrer Musik auch viele Psychobillybands. Das verwundert kaum, da die Ramones in einigen Songs über Ufos, B-Movies und Horrorthemen sangen. Diese Thematik ist in der Psychobillyszene sehr populär und so überrascht es nicht, dass berühmte Psychobands wie „the Meteors“ („Somebody put something in my drink“ auf der CD „Only the Meteors are pure Psychobilly“ und „Mad Sin“ („She is the one“ auf der CD „Young Dumb and Snotty“) Songs von den Ramones covern. Einer der berühmtesten Songs der Ramones heißt „Pet Cemetery“ (im gleichnamigen Musikvideo gibt sich auch der Horrorautor Stephen King die Ehre, der bekennender Ramones Fan ist): "Pet Sematary" Under the arc of a weather stain boards, Ancient goblins, and warlords, Come out of the ground, not making a sound, The smell of death is all around, And the night when the cold wind blows, No one cares, nobody knows. [CHORUS] I don't want to be buried in a Pet Sematary, I don't want to live my life again, I don't want to be buried in a Pet Sematary, I don't want to live my life again. Follow Victor to the sacred place, This ain't a dream, I can't escape, Molars and fangs, the clicking of bones, Spirits moaning among the tombstones, And the night, when the moon is bright, Someone cries, something ain't right. 55 The moon is full, the air is still, All of a sudden I feel a chill, Victor is grinning, flesh rotting away, Skeletons dance, I curse this day, And the night when the wolves cry out, Listen close and you can hear me shout. So schreibt “Koefte”, der Sänger von Mad Sin, im Booklet von der CD “young dumb and snotty” (2005): “With 10 years of age I was already into music. My favourite bands where Kiss, The Ramones and all kind of early punk stuff.” Auch im Interview mit dem Psychobillyfanzine “Psychomania”, in dem Koefte über die Inspiration zum neuen Mad Sin Album „Burn and Rise“ (2010) interviewt wird, gibt er wieder die Ramones als eine Inspirationsquelle an: „Naja ansonsten natürlich die Musik von the Meteors, „Motörhead“, Ramones, Eddie Cochran, Gene Vincent, „Torment“, Demented Are Go…“ (Psychomania Fanzine, No. 7, Winter/Spring 2010: 11). Im selben Fanzine äußert auch der „Quakes“ (the Quakes waren die erste Psychobillyband in den USA) Frontmann Paul Roman seine Ansichten über die Ramones: „Es ist schwierig, immer wieder mit etwas Neuem und Frischem zu kommen- und so einfach immer wieder über die Jahre die selbe Sache zu machen, wie die Ramones (übrigens kein Angriff auf die Ramones- die waren ein grosser Einfluss 12-3-4!)“ (Psychomania Fanzine, No. 7, Winter/Spring 2010: 149). Auch Peter Paul Fenech, der selbsternannte „King of Psychobilly“ und Sänger von den Meteors, antwortete auf die Frage, was er privat für Musik hört: „Ansonsten höre ich viel von Gene Vincent, Eddie Cochran, Johnny Cash, Motörhead und Ramones“ (Psychomania Fanzine, No. 2, Frühjahr 2006: 13). 56 3.3. Rockabillies, Teddyboys und Halbstarke 3.3.1. Rockabillies Zur Geschichte der Rockabillies Elvis Presley goss mit den Musikern Scotty Moore und Bill Black das Fundament für Rock`n`Roll. Durch ihre erste Platte “That’s all right (mama)” / “Blue Moon of Kentucky“ weckten sie in den 50er Jahren die Begeisterung für den neuen Musikstil. Dabei muss man den geschichtlichen Kontext beachten, der diese Entwicklung begünstigte. Ende der 40er und Anfang der 50er Jahre herrschte in den USA immer noch eine strenge Rassentrennung, die sich auch auf den Musikbereich auswirkte. So hörten die Weißen, weiße Musik wie Country und die Schwarzen, schwarze Musik wie Rhythm& Blues. Durch Elvis Presley begeisterte sich auch die weiße Jugend für den lebenslustigen Rhythm & Blues. Durch seinen ersten Auftritt im Fernsehen, im Januar 1956, beeinflusste und begeisterte Elvis Presley mit seiner Show voller Sexappeal ein Millionenpublikum und prägte so den Rockabilly, obwohl auch andere Musiker (z.B. Carl Perkins und das Rock’n`Roll Trio) zu dieser Zeit ähnliche Musik spielten. (Vgl. El-Nawab 2007: 235) Elvis Presley erreichte viel mehr Ruhm und Aufmerksamkeit als seine damaligen Musikkollegen Bill Haley („Rock around the clock“), Buddy Holly und Carl Perkins, weil er den Sex auf die Bühne gebracht hat und um einiges rebellischer wirkte. Die Konkurrenz von Elvis wirkte einfach zu bieder und nicht wild genug. (Vgl. ElNawab 2005: 18) „Und Elvis ist ein Verführer, der nicht nur Sex, sondern auch Romantik verspricht. Er brachte im zeithistorischen Zusammenhang mit Filmen wie „Rebel without a cause“ und „the wild one“ eine rebellische Haltung in die Musik, die ein neues Lebensgefühl der Jugendlichen aufweckte.“ (El-Nawab 2005: e.b.d.) Elvis Presleys Tanzeinlagen wurden mit der Zeit immer ausgelassener und nach einer besonders wilden Performance von „Hound Dog“ wurde er von der Öffentlichkeit als obszön und jugendgefährdend wahrgenommen. Elvis bemühte sich daraufhin um ein 57 braveres Image und konnte die Öffentlichkeit 1957 mit seiner Ballade „Love me tender“ wieder besänftigen. Elvis wurde im gleichnamigen Kinofilm zum Filmstar und seine Band löste sich auf. Neben den berühmten Namen des Rock’n’Roll wie Elvis Presley, Buddy Holly, Jerry Lee Lewis, Gene Vincent, Eddie Cochran und Carl Perkins, prägten weitaus erfolglosere Künstler wie das „Johnny Burnette Trio“ Rockabilly nachhaltig. Die Lieder dieser Band, die 1956 kreiert wurden, wie z.B. „Tear it up“, „Train kept a-rollin“ und „Lonesome Train“ erreichten erst viele Jahre später eine große Bedeutung für die Rockabillyszene. Jerry Lee Lewis war genau wie Elvis ein Künstler, der mit seiner leidenschaftlichen Performance und seinem Sex-Appeal die Jugend euphorisierte. Sein Titel „Great Balls of Fire“ verhalf ihm zum Erfolg, der aber ein abruptes Ende nahm, als Lewis ein 13-jähriges Mädchen heiratete. Andere Rock’n’Roller starben bei Flugzeugabstürzen (Buddy Holly, Big Bopper, Ritchie Valens) oder Autounfällen (Eddie Cochran). Little Richard hingegen zog sich aus der Öffentlichkeit zurück. Der populäre Radio DJ Alan Freed musste seine Karriere beenden, nachdem es bei einigen von ihm organisierten Konzerten zu Ausschreitungen kam und Bestechungsvorwürfe laut wurden. Der Gesellschaft war Freed ein Dorn im Auge, da er sehr viel für die Popularisierung von schwarzer Musik bei Weißen geleistet hat. Freed wurde auch nachgesagt, dass er den Begriff Rock’n`Roll berühmt gemacht hat. Er organisierte viele Auftrittsmöglichkeiten für schwarze Musiker, was ihn bei den Rassisten sehr unbeliebt gemacht hat. Daher stand Freed allgemein im Fokus der Kritik, da die Öffentlichkeit ihm vorwarf, mit seiner Sendung die weiße Jugend zu verderben. (Vgl. ElNawab 2005: 21- 22) „Die erwachsene Öffentlichkeit entledigte sich eines Provokateurs, denn man betrachtete Rock’n’Roll nicht nur als Gefährdung von Anstand und Sittlichkeit, sondern auch als vulgäre, obszöne ‚Affenmusik’. Als ‚Niggermusik`, die die Jugend verderbe.“ (El-Nawab 2005: 22) Die Entstehung des Begriffes „Rockabilly“ ist nicht klar. 1956 wurde z.B. der Begriff Rockabilly im Song „Rock Billy Boogie“ vom Rock’n’Roll Trio verwendet, aber es nicht geklärt, wer den Begriff zuerst verwendet bzw. erfunden hat. In den 50er und 60er Jahren waren die Begriffe „Rock’n’Roll“ und „Hillbilly Bop“ populärer. Der Begriff „Rockabilly“ besteht aus den Wörtern „Rock’n`Roll“ und „Hillbilly“. Das Wort „Hillbilly“ setzt sich aus den Wörtern „hill“ (Hügel auf Englisch) und 58 „billy“ zusammen (Billy steht für die Kurzform von William und ist vergleichbar mit deutschen Namen wie Michael oder ähnliches). Hillbilly ist auch eine Beleidigung für Leute aus den Südstaaten der USA mit ihrer Cowboy Musik und steht für nicht sehr schmeichelhafte Begriffe wie „Landeier“ und „Hinterwäldler“. Die musikalischen Bestandteile vom Rockabilly reichen über Western Swing, Bluegrass, Country Boogie, Honky Tonk und Hillbilly. (Vgl. El-Nawab 2007: 235-236) „Das entscheidende Merkmal von Rockabilly aber war der Schuss Rebellion und die schwarzen Rhythm-&-Blues-Einflüsse, die er in sich trägt:(…).“ (El-Nawab 2007: 236) Die typischen Instrumente von Rockabilly waren Gitarre, Kontrabass und Schlagzeug, die gelegentlich durch Saxophon, Country- und Percussion-Instrumente und Klavier unterstützt wurden. Die Thematik der Songs drehte sich um Liebe, Tanzen, Sex, Party, Dates und Kleidung. (Vgl. El-Nawab 2007: 237) „Kennzeichnend für Rockabilly ist der hart und rhythmisch geschlagene Kontrabass, der ein Schlagzeug oft überflüssig macht und mit Gitarre und Gesang den typischen Kern der Musik bildet.“ (El-Nawab 2007: e.b.d.) Rock’n’Roll verkörperte für die damalige Jugend Freiheit und einen Ausweg zum spießigen und beschränkten Leben der Eltern. Eine Möglichkeit zum Ausbrechen. Für die Eltern hingegen war Rock’n’Roll Teufelszeug, und er beunruhigte sie. Eine große Rolle für den Erfolg von Rock’n’Roll hat die geschickte Vermarktung gespielt, da kluge Geschäftsleute schnell merkten, dass die Kaufkraft von Jugendlichen gut genutzt werden kann. Obwohl es beliebte Musikerinnen wie Brenda Lee, Janis Martin, Rose Maddox, Lorrie Collins und Wanda Jackson gab, erschien Rockabilly eher als Männerdomäne. Das lag daran, dass die weiblichen Musikerinnen, trotz wilder Bühnenshow, von der Öffentlichkeit nicht als Gefahr gesehen wurden, da ihr ruhiges Privatleben im Kontrast zu ihrer Bühnenperformance stand. Ganz anders war die Wahrnehmung der Öffentlichkeit bei Gene Vincent. Er hatte den Ruf, ein besonders wilder Rebell zu sein und durch sein gefährliches, gewalttätiges Image gilt er als der erste Punk. Rockabilly wird von Morrison als Punkrock der 50er Jahre gesehen, da die Musik wild und energiegeladen war, und die Künstler einfache Instrumente benutzen und nur begrenzte musikalische Fähigkeiten hatten. (Vgl. El-Nawab 2007: e.b.d.) 59 Morrison schrieb folgendes über Gene Vincent: „His image is of a wild, tough, hedonistic working-class man with a greasy hairdo an a mean streak who is dangerous with women and cars, a man who runs alone or with a gang (the band) and insists on doing exactly what he wants- dancing, cruising, and racing in cars – regardless of girlfriends’ wishes or society’s standards, while consuming and enjoying society’s material comforts and toys. This appealed to certain fans, mostly male, the same ones taken by Marlon Brandon in The Wild One. In real life, bad publicity about his drinking, tax evasion, money problems, and wild life scared promoters.” (El-Nawab 2007: 238, zit. nach Morrison 1998: 125) Gene Vincent brachte das Rebellenimage in die Musik, welches Marlon Brando im Film `The Wild One’ verkörperte. Das Rebellenimage wird auch heute noch gepflegt von Neo-Rockabillybands wie the Stray Cats und dem Rockabilly Jungen von Nebenan in der Kneipe. Bei den Rock’n’Roll Stars war zu dieser Zeit das Macho-Image sehr verbreitet. Während Elvis Presley in seinem Song „I got a women“ davon sang, dass der Platz einer Frau zu Hause ist, behauptete Jerry Reed in „I have had enough“ sogar, dass die Frau sein privates Eigentum ist. (Vgl. El-Nawab 2007: e.b.d.) Eddie Cochran hatte über Frauen auch seine sehr eigene Betrachtungsweise, welche er in seinem Song „My Way“ präsentierte: “Well listen pretty baby Let’s go out tonight Tell your mama not to worry Everything’s gonna be allright Don’t let me hear you talkin’ Just be there when I call Cause what I do I do my way Or it won’t be done at all Oh little girl Better hear what I say I’m an easy going guy But I always gotta have my way I was born a tiger I always had my way Nobody’s gonna change me 60 This or any other day Don’t let me hear you argue When I say frog you jump ‘Cause a women ain’t been born yet That can play me for a chump O little girl(…) Well don’t ask me for reasons Don’t ever wonder why When I walk away and leave you I don’t wanna see you cry I’ve done a lot of planning Got a lot of things to do So don’t give me no trouble Or you and I are through Oh little girl(…)” (El-Nawab 2005: S.24-25) Gegen Ende der 50er Jahre hatte der Rock’n’Roll durch die Kommerzialisierung seine Ecken und Kanten verloren und verlor massiv an Bedeutung. Doch im Laufe der Jahrzehnte gab es immer wieder Revivals, wie z.B. in den 90er Jahren in den USA, welches durch Swing Musik ausgelöst wurde. In Europa und ganz besonders in Großbritannien hingegen, wurde Rockabilly nie ganz vergessen. (Vgl. El-Nawab 2007: 238-239) Rockabilly-Revivals In den 70er Jahren erlebte Rockabilly ein Revival, welches in England startete, sich dann in den USA ausbreitete und Ende der 70er/Anfang der 80er Jahre schließlich Deutschland erreichte. Auch die Massenmedien (in Deutschland z.B. die Bravo) berichteten über Rockabilly und so wurde Rock’n’Roll wieder populärer. Eine der wichtigsten und einflussreichsten Bands dieser Zeit waren die Stray Cats, die mit ihrem Neo-Rockabilly für Aufsehen sorgten. (Vgl. El-Nawab 2005: 31) “Stray Cats”, „Stray Cat Strut“ (1981) “Black and organge stray cat sittin’ on a fence Ain’t got enough dough to pay the rent 61 I’m flat broke but I don’t care I strut right by with my tail in the air Stray cat strut I’m a ladies cat I’m a feline casanova, hey man that’s that Get a shoe thrown at me from a mean old man Get my dinner from a garbage can (…) I don’t bother chasing mice around I sink down the alley lookin’ for a fight Howlin’ to the moon on a hot summer night Singing the blues while the ladys cats cry: “Wild stray cat you’re a real gone guy!” I wish I could be as carefree and wild But I got cat class and I got cat style” (El-Nawab 2005: e.b.d.) Der Anfang der 80er Jahre war eine Zeit, in der sehr viel Bewegung und Veränderung in Jugendsubkulturen in Deutschland herrschte. Die äußerst heterogenen Subkulturen wie Gothics, Rockabillys, Skinheads und Punks vertrugen sich nur kurze Zeit untereinander und es entwickelten sich teilweise tiefe Gräben zwischen den einzelnen Szenen. Es gab viel Gewalt und diese trieb viele Leute aus den diversen Szenen heraus. Anfang /Mitte der 90er Jahre kam erneut Bewegung in die Rockabillyszene und es kam zu stilistischen Veränderungen. Bewährte Kleidungsstücke, wie Holzfällerhemden, Lederjacken und Petticoats wurden nicht mehr von allen getragen, und es kam zu modischen Splits innerhalb der Szene. So gab es nach wie vor eine harte Lederjacken- und Teds-Fraktion, doch legte sich ein Teil der Rockabillys authentische, schicke Kleidung aus den 30er, 40er und 50er Jahren zu. Diese Rockabillys werden Hepcats und Jiver genannt. Jiver tragen bevorzugt Kleidung aus den 30er und 40er Jahren. Der Begriff bezieht sich auf Jazzmusik und den dazugehörigen Tanz Jive. Hepcat ist ein amerikanischer Slangausdruck, der soviel bedeutet wie ‚eingeweiht` und ‚auf dem laufenden’ zu sein. Auf der anderen Seite steht der Begriff auch für Jazzfans. Der Kleidungsstil (elegante, weite Hosen, lange Jackets und Hüte) von schwarzen Jugendlichen aus der Swing, Rhythm-&-Blues Szene der 30er und 40er Jahre, dient einem großen Teil der Rockabillyszene heute als Vorbild. 62 In der Rockabillyszene wandten sich einige Leute von Neo-Rockabilly der 80er Jahre ab und entdeckten ihre Vorliebe für die die 40er und 50er Jahre. Dieser Hang zum ‚authentischen Stil’ bezieht sich sowohl auf die Musik als auch auf Autos, Kleidungsstücke, Einrichtungsgegenstände und Möbel. (Vgl. El-Nawab 2005: 31-32) „Mit diesen stilistischen Wandel bzw. dieser „Rückbesinnung“ geht häufig auch ein Wandel im Selbstverständnis einher, das viele Ex-Teds und Rockabillies dazu veranlasst, sich nun als „Hepcats“ zu verstehen. Andere versuchen den stilistischen Haarspaltereien zu entgehen, indem sie sich einfach als Rock’n’Roller bezeichnen, weil es die allgemeinste Bezeichnung bleibt.“ (El-Nawab 2005: 32) Swing erlebte in den 90er Jahren in den USA ein großes Revival und so entdeckten viele Punks, aber auch ‚normale“ Leute ihre Vorliebe für diese Musikrichtung. Dadurch bekam auch die Rockabillyszene mehr Beachtung und während die SwingWelle wieder abebbte, hat sich die Rock’n’Roll Szene vergrößert. Diese Szene ist auch sehr heterogen und besteht aus Greasern, Rockabillies, Hepcats, Punk’n’Rollern und Psychobillies. Die Rockabillieszene in Deutschland hingegen ist an einem Tiefpunkt angekommen und wird immer älter. Eine interessante Entwicklung in dieser Szene ist das Abnehmen von Gewalt bei gleichzeitiger Zunahme von schicken, ‚authentischen’ Kleidungsstücken. (Vgl. El-Nawab 2005, e.b.d.) 3.3.2. Teddyboys Die Teddyboys in Großbritannien 1952/1953 sorgten die Teds das erste Mal für Aufsehen in London. Teds waren Jugendliche aus der Arbeiterklasse, die sich bewusst im Kontrast zu ihrer Herkunft gekleidet haben. Damals war der ‚Edwardian Style’ (benannt nach Prinz Edward) sehr beliebt bei den Snobs und Dandies. Die Teds entdeckten diese Mode für sich und kleideten sich in Jackets in Bonbonfarben mit Samtkragen, Röhrenhosen und Creepers (Wildlederschuhe mit dicken Sohlen). Die Haare wurden nach hinten gekämmt und der lange Pony zur Tolle frisiert. Dazu trugen sie Kotletten. Während die Teds anfangs für ihr extravagantes Outfit belächelt wurden, änderte sich der Ruf der Teds recht schnell, da sie keiner Schlägerei aus dem Weg gegangen sind. Bald eilte ihnen der Ruf voraus, dass sie kriminell und aggressiv wären. Kein Snob wollte mehr aussehen wie ein Ted. Die Teds entdeckten den Rock’n`Roll für sich als Musik und 63 durch Randale bei Konzerten zementierten sie ihren schlechten Ruf in der Öffentlichkeit. Gegen Ende der 50er Jahre war die Zeit der Teds vorbei und es bildeten sich Nachkommenschaften: Die Mods und die Rocker. Bei den Rockern handelte es sich um Jugendliche, die vom Kleidungsstil her Marlon Brando in „the wild one“ nacheiferten, Mottorad fuhren, in kleinen Clubs organisiert waren und Rock’n’Roll hörten. Mit der heutigen Vorstellung von Rockern, wie den Hells Angels, hatten sie nicht viel gemeinsam. Die Rocker bildeten den eher konservativeren Gegenpol zu den Mods. Diese beiden Gruppen entwickelten schnell Differenzen untereinander und der Streit, der sich in erster Linie um stilistische Elemente drehte, eskalierte Anfang der 60er Jahre, in Unruhen an englischen Küstenorten. (Vgl. El-Nawab 2007: 239-241) „Die Rocker konnten die androgyne Attitüde und das schnieke, gelackte Aussehen der Mods nicht ertragen, das erschien ihnen als unmännlich, und damit waren die Mods in ihren Augen schwul. Umgekehrt verachteten die Mods die Schmuddeligkeit und Grobheit der konservativen Rocker.“(El-Nawab 2007: 241) Da die Medien die Kämpfe am englischen Strand zwischen den rivalisierenden Tednachfolgern hochpuschte, blieben die Teds bis zu den 70er Jahren das Synonym für Rowdy’s in der Öffentlichkeit. Erst als die Skinheads und Punks die Bürger in Aufruhr versetzten, veränderte sich die öffentliche Meinung zu den Teds. Während die erste Ted Generation als Untergang von Großbritannien gehandelt wurde, betrachtete die Öffentlichkeit die nachfolgende Ted Generation mit viel mehr Toleranz. Die alten Teddyboys und die Arbeiter deklarierten die 50er Jahre als gute alte Zeit, und so wurde eine Subkultur, die einmal für Bedrohung und Veränderung gestanden hat, zu einem Stück geschichtlicher Kontinuität. In den 70er Jahren kriselte die Wirtschaft in Großbritannien und die Angst in der Bevölkerung vor schwarzen Einwanderern, die als Bedrohung für Arbeit und Wohnungen gesehen wurden, nahm zu. Hebdige ist der Meinung, dass die zweite Generation der Teds ihre Wurzeln vergessen hatten und ihre Aggressionen und ihr MachoGehabe nur aufgesetzt hatten, da sie konservativ waren und keine Rebellen, wie die erste Generation. Ebenfalls ist Hebdige (1983) der Meinung, dass man die zweite Generation separat betrachten müsse, da es sich um einen ganz anderen geschichtlichen Kontext handelte. Fyvel (1969) sah die Teddyboys als Arbeiterjugend an, die gegen die Gesellschaft rebellierte, weil diese ihnen etwas vorenthielt. Das Kopieren des Dandystiles von der armen Proletariatsjugend sieht er als Symbol des sozialen 64 Aufstandes. Zudem meint Fyvel, dass die Arbeiterjungs durch den Teddyboystyle zu Kriminellen stigmatisiert wurden. Beide Tedgenerationen waren in Großbritannien an Angriffen auf schwarze Ausländer beteiligt. Das war in den USA nicht der Fall, allerdings herrschte dort allgemein ein rassistisches Klima, welches den Alltag bestimmte. Einer der Gründe warum Rock’n’Roll so viel Beachtung fand (positiv wie negativ), war, dass dieser neue Musikstil die schwarze und die weiße Kultur vereinte. Die modifizierten Nachfolger der Teds wurden die Rockabillies. (Vgl. El-Nawab 2007: 241-242) 3.3.3. Halbstarke Die „Halbstarken“ in Deutschland Die ‚Halbstarken’ sorgten in den 50er Jahren für Wirbel in der Bundesrepublik. (Vgl. El-Nawab 2005: 29) „Der Begriff „Halbstarke“ wurde bereits im 19 Jahrhundert für herumlungernde, mitunter als „kriminell“ betrachtete Jugendliche aus sozialen Randschichten verwendet.“ (El-Nawab 2005: e.b.d.) Rock’n’Roll wurde im Osten Deutschlands als kapitalistische Musik angesehen, die dem Volk nicht zugänglich gemacht werden durfte, da sie Amerika verherrlichte. Erst in den 70er Jahren wurde in der DDR staatlich kontrollierte Rockmusik erlaubt. Aber auch im Westen von Deutschland war Rock’n’Roll schlecht angesehen. Dazu muss man sagen, dass im Nachkriegsdeutschland sehr repressive Erziehungsmethoden angewendet wurden und sehr auf Anstand und Normen geachtet wurde. Die Auflehnung der Halbstarken fand im Wesentlichen in der Freizeit statt und wurde durch Filme von James Dean und Marlon Brando beeinflusst. Die Medien berichteten zwar mit großem Interesse über Krawalle, doch waren sie eher eine Randerscheinung, an der ein kleiner Teil der männlichen Arbeiterjugend beteiligt war. Krüger (1986) ist der Meinung, dass das Verhalten der Halbstarken unpolitisch war, obwohl sie nach mehr Freiheit und anderen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen strebten. Allerdings äußerten sie nie irgendwelche Forderungen oder Kritik an das herrschende System. (Vgl. El-Nawab 2005: e.b.d.) „Besonders wichtig ist, dass die „Halbstarken“ in Deutschland die erste jugendliche Subkultur von überregionalem und milieuübergreifendem Einfluss war. Im Gegensatz zu den lokal sehr begrenzten vorhergegangenen Jugendbewegungen lag hier eine 65 stilistische Orientierung an einer neu entstandenen jugendbezogenen Industrie von Musik, Film, und Mode vor, die via moderne Massenkommunikationsmittel eine weite Verbreitung fand.“ (El-Nawab 2005: e.b.d) Das Halbstarkenphänomen entstand in der Arbeiterklasse und weitete sich auch auf andere Schichten aus, welches bald zu dem Ende dieser Subkultur führen sollte, da sie kommerziell ausgeschlachtet wurde. Rock’n’Roll beunruhigte die Erwachsenenwelt in Deutschland, da dieser Musikstil Erotik und Körperlichkeit in der Musik und im Tanz betonte. Allerdings waren nicht alle Jugendlichen, die Rock’n’Roll gehört haben, Halbstarke. Ab 1958 ermöglichte die beliebte Jugendkultur mehr Freiheit für Frauen. Es wurde ihnen erlaubt, gemäßigten Rock’n’Roll zu tanzen, eigene Mode zu tragen und ihren Jugendkult auch an öffentlichen Plätzen zur Schau zu stellen. Auch wenn der Rock’n’Roll Stil durch die Medien inszeniert wurde, ergaben sich für junge Frauen die Möglichkeiten, sich über den Stil und die Anstandserwartungen ihrer Eltern hinwegzusetzen und etwas autonomer zu leben. Weibliche Rock’n’Rollerinnen wurden als besonders bedrohlich von der Gesellschaft gesehen, da sie mit den strengen Konventionen der CDU Regierung brachen, der eine repressive Sexualpolitik pflegte. Durch James Dean bröckelte auch langsam das Ideal vom harten Mann, da er in Filmen wie „rebel without a cause“ Gefühle und eine weiche Seite zeigte, aber gleichzeitig ein Rebell und ein Held war. (Vgl. El-Nawab 2005: 29-30) „Mit ihrer Kritik an der steifen bürgerlichen Spießigkeit blieben die „Halbstarken“ allerdings auf einer symbolischen Ebene,…“ (El-Nawab 2005: 30) Fazit: Gegen Ende der 70er Jahre war die große Zeit der Hippies definitiv vorbei und der Sommer der Liebe hatte sich als große Enttäuschung dargestellt. Vietnam, die Ölkrise und hohe Arbeitslosenzahlen desillusionierten viele Jugendliche. London und New York waren die Wirtschaftskrisen deutlich anzumerken und so zeichnete sich die Destruktivität dieser Zeit, auch im Stadtbild ab. In den verlassenen Stadtteilen, Runinen und Trümmerlandschaften spiegelte sich der Gemütszustand von vielen frustrierten jungen Leuten und bot so den idealen Nährboden für eine neue, destruktive Subkultur: Punk. Während die Sex Pistols in London durch die Hilfe von professionellem Management und Plattenfirmen populär wurden und Punk zu einem enormen Aufschub verhalfen, bildeten sich in London enge Figurationen zwischen 66 Punkmusikern und Künstlern. Diese gründeten ihre eigenen Labels und Galerien und etablierten Punk autonom von der Musikindustrie. Rock’n’Roll begeisterte in den 50er Jahren eine ganze Generation. Der Rock’n’ Roll brachte Lebensfreude und Sex auf die Bühnen. Musiker wie Elvis Presley, Buddy Holly, Jerry Lee Lewis, Gene Vincent, Eddie Cochran und Carl Perkins verkauften Millionen von Tonträgern, obwohl sie sich erst mals des Rhythm & Blues bedienten, der vorher als schwarze Musik galt. Im rassistischen Amerika wurde dies natürlich äußerst kritisch gesehen. Um 1956 endstand der Begriff Rockabilly. Rockabilly bedeute für die Jugendlichen Freiheit und einen Weg, um aus dem spießigen Leben der Eltern auszubrechen. Doch zu den Hauptgründen für die Popularität von Rock’n’Roll zählte eindeutig die Vereinigung von schwarzer und weißer Musik. Rockabilly wurde in den 70er Jahren wieder populärer in England und anschließend auch in den USA. Gegen Ende der 70er wurden auch die Massenmedien in Deutschland auf Rockabilly aufmerksam und so wurde Rock’n’Roll wieder populärer. Anfang/Mitte der 90er Jahre transformierte sich die Rockabillyszene und so wendeten sich viele Rockabillies, vom Neo-Rockabilly der 80er Jahre ab und entdeckten ihre Liebe für die 40er und 50er Jahre. Das galt für die Musik, die Autos, die Kleidung und die Möbel. Die Teddyboys waren Jugendliche aus der Arbeiterklasse Englands, die rebellierten, in dem sie den Kleidungsstil der höheren Schichten für sich beanspruchten. Da sie sich auch im feinsten Zwirn deftig prügelten, wollte kein Snob aus der Oberschicht mehr aussehen wie ein Ted. So erhielt die Kleidung der Teds eine völlig neue Bedeutung. Die Mods und die Rocker wurden gegen Ende der 50er Jahre die Nachfolger der Teds. Diese bekämpften sich gegenseitig aufgrund von stilistischen Differenzen. Die „Halbstarken“ waren die erste Subkultur in Deutschland, welche überregional existierte. Die Halbstarken wurden von Filmen mit Marlon Brando und James Dean beeinflusst. Die Halbstarken waren nicht politisch und so blieb ihr Protest in erster Line symbolisch. Rock’n’Roll bot den Frauen im sehr konservativen Nachkriegsdeutschland etwas mehr Freiheit, da die Mädchen ihre eigene Mode tragen und ab 1958 öffentlich Rock’n’Roll tanzen durften. 67 4. Die Subkultur der Psychobillies: Exemplarische Einsichten – qualitative Interviews mit Subkulturangehörigen 4.1. Die Geschichte von Psychobilly Psychobilly entstand Anfang der 80er Jahre und ist eine Mischung aus Rockabilly, Punk und Sixties-Trash. Die Thematik der Songs umfasst den Tod, sexuelle Perversionen (Nekrophilie, Sado-Masochismus), Wahnsinn und vor allem Horror. Viele Songs handeln von Zombies, Monstern und übersinnlichen Dingen. Der Kleidungsstil der Psychobillies (Abkürzung: Psychos) setzt sich aus Stilelementen der Skinhead-, Punk-, und Rockabillyszene zusammen. Das Markenzeichen der Psychobillieszene ist allerdings der Flat. Hierbei handelt es sich um eine Riesentolle auf einem rasierten Kopf. Der Flat ist oft gefärbt und wird als ein Horn oder Spike mit Haarspray gestylt. Kotletten sind bei Männern beliebt, während Frauen zwei zusätzliche Haarsträhnen an den Seiten und einen Pferdeschwanz tragen. Die Figuration zwischen diversen Subkulturen ist teilweise sehr groß, was man besonders gut an der Psychobillieszene merkt. So kommen viele Psychos aus der Skinheadszene und ältere Psychos werden zu Rockabillies. Die Psychobillieszene präsentiert sich beim Tanzen hart und ‚wahnsinnig’. Psychobillies stehen oft oberkörperfrei vor der Bühne und stellen ihre oft sehr stark tätowierten Körper zu Schau. Dabei werden die Augen verdreht, Grimmassen geschnitten und sich mit Bier bespritzt. Vor der Bühne herrscht oft eine wüste, aggressive und wilde Schubserei, die von einigen Bands noch angeheizt wird, indem z.B. Hühnerblut (selten) und Bier auf die Menge ergossen wird. Eine Band, die großen Einfluss auf die Psychobillyszene hat und hatte, sind „the Cramps“ aus den USA. Lux Interior und seine Freundin Poison Ivy gründeten die Band 1976 und sorgten für viel Wirbel im berühmten Punkladen CBGB. The Cramps kombinierten schon damals Rockabilly mit Punk. Ihre Musik ist ein wilder Mix aus Surfmusik, Sixties-Trash und Garagenpunk. Dennoch sind the Cramps keine 68 Psychobillyband, da ihr Sound einfach zu speziell und einzigartig ist. Das Cramps Universum dreht sich um Horror, Okkultismus und Sex. (Vgl. El-Nawab 2005: 3334) You better ask my momma how to make a monster… I’m the creature from the black leather lagoon I’m a beautiful monster from outer space too Learned how to shake my hips in the inner sanctum Satan gave me tips and then I thanked him I’m the creature from the black leather lagoon Black, black, black, black leather, smash smash, black, black leather, kill, kill, black, black leather, crash, crash, black, black leather, i’m the creature from the black leather lagoon I’m the creature from the black leather lagoon I’m a chicken-fried fire-eatin’ son of a gun Conceived by my devil daddy on a chicken run Like a fireball flyin’ down thunder road Daddy made mama but she shoulda said no I’m the raw hyde monster they named number 1 I’m the creature from the black leather lagoon I’m a genuine juvenille delinquent from the moon I’m like a hundred billion hydrogen bombs Mama wanted a goat, but I got mom’s I’m the creature from the black leather lagoon “The Cramps”, “the creature from the black leather lagoon”, vom Album “Stay sick!” (1989) Als Erfinder von Psychobilly gelten „the Meteors“. Um 1979/1980 gründeten die Rockabillies, P.Paul Fenech und Nigel Lewis, mit dem Punk Mark Robertson the Meteors. Zunächst wurden sie von der Rockabillyszene kritisch beäugt, da sie einen Punk in der Band aufgenommen hatten, doch schon bald erspielten sie sich eine große Fangemeinschaft, die vom alten Rockabillysound gelangweilt war. Aus dieser 69 Gemeinschaft gingen die Psychobillies hervor. Neben den Meteors gab es noch eine Reihe von Psychobillybands, die einen großen Einfluss auf die Szene hatten, wie z.B.: „Mad Sin“, „Nekromantix“, „Batmobile“, „Guana Batz“, „Demented Are Go“, „King Kurt“, „Frenzy“, „the Krewmen“, „Klingonz“, „the Quakes“, „Frantic Flintstones“, „Skitzo“ und die „Phantom Rockers“. Einige dieser Bands spielten so genannten ‚old school Psychobilly’, den man mit harten und schnellem Rockabilly vergleichen kann. Andere Bands betonten mehr die Punkanteile, bzw. brachten auch Metal-Elemente in die Musik ein. Eine entstand eine neue Generation mit Flats, ausgefallenen Kleidungsstücken und Punkattitüde. Der Klub Foot im Westen von London wurde zum Szenetreffpunkt für Psychobillies. Die Meteors wurden immer populärer und ihre Fans erfanden das „Wrecking“. Beim Wrecking handelt es sich um eine raue, harte Version von Pogo. Meistens wird ohne T-shirt gewreckt und von außen sieht der Tanz wie eine wüste Massenschlägerei aus. Doch nicht nur die Art des Tanzes brachte der Psychobillyszene schnell den Ruf ein gefährlich und gewalttätig zu sein. Psychobillies waren auch in anderen Subkulturen extrem unbeliebt. Punks sahen sie als ‚rechte Skins’, die Rockabillies brandmarkten sie als der Zerstörer von Rockabilly und die rechten Skins titulierten sie als ‚linke Punks’. Die Öffentlichkeit nahm sie als gewalttätige Rechte wahr. Dabei ist Psychobilly unpolitisch. Die größte Zeit der Psychobillies war in den 80er Jahren und auf dem Festland leicht verzögert bis in die frühen 90er Jahre. Die Niederlande und Deutschland wurden zu Hochburgen von Psychobilly. In den 90er Jahren eskalierte immer wieder die Gewalt auf Konzerten, und so fanden immer weniger Szene-Events statt. Die Gewalt trieb auch immer mehr Anhänger aus der Szene hinaus. Der Sänger der Meteors, P. Paul Fenech goss zusätzlich Öl ins Feuer mit der Aussage, dass nur die Meteors ‚pure Psychobilly’ wären und so kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Fans der Meteors (Wrecking Crew) und von Demented Are Go. (Vgl. El-Nawab 2005: 37-38) „Mittlerweile haben sich die Wogen wieder geglättet. Die Szene scheint erkannt zu haben, dass sie zu klein ist, um sich in alberne Feindschaften zu zerklüften.“ (ElNawab 2005: 38) Während der Umgang der Psychobillies untereinander friedlicher geworden ist, beharrt P. Paul Fenech in Interviews immer noch darauf, dass nur die Meteors echten 70 Psychobilly spielen würden. Die Gründe dafür sind allerdings unklar, da niemand in der Szene an der Schlüsselrolle der Meteors zweifelt. Psychobilly war besonders beliebt in Japan und Europa und findet seit den 90er Jahren immer mehr Fans in den USA. Bands wie „Tiger Army“ trugen maßgeblich zur steigenden Popularität von Psychobilly bei. Vorher war diese Art von Musik in den USA so gut wie unbekannt. (Vgl. El-Nawab 2005: e.b.d.) Psychobilly ist nicht nur friedlicher geworden, sondern es haben sich auch viel mehr Figurationen mit anderen Subkulturen und Musikstilen ergeben. So vermischt sich Psychobilly immer mehr mit Rockabilly, Punkabilly und Punk’n’Roll. Es spielen Bands aus diesen Musikrichtungen gemeinsam auf Konzerten und auch der Kleidungsstil, der unterschiedlichen Subkulturen, wird mehr und mehr vermischt. Psychobillies tragen immer seltener große Flats und Domestosjeans. Die Flats sind kürzer geworden und es wird ein dezenterer Rockabillystil mit Punkelementen bevorzugt. Viele ältere Psychos tragen aufgrund von Haarausfall eine Glatze. Die Frauen tragen kam noch Flats. Sie bevorzugen lange Haare mit einem kurzen Betty-PagePony. Piercings und Tätowierungen sind sehr verbreitet. Beliebte Themen der Psychobillyszene sind nach wie vor: Friedhöfe, Zombies, Monster, Außerirdische und Mutanten. Die Themenpalette der Musiksongs dreht sich um den Tod, Wahnsinn und die Hölle. Weitere Inspirationen der Psychoszene sind z.B. Trash, B-Movies, Horror- und Splattergeschichten. (Vgl. El-Nawab 2005: 150) THE WHOLE WORLD IS DEAD NOW AFTER THE NEUTRON BOMB WE ALL STARED UP AND LOOKED AT IT AND WE WONDERED WHERE IT CAME FROM BUT THAT WAS MANY YEARS AGO WHATS LEFT IS CHANGED BY SHOCK WE ALL LIVE IN THE RUINS AND WE DO THE MUTANT ROCK CMON LETS ROCK CMON LETS ROCK CMON LETS DO THE MUTANT ROCK 71 WE DONT LOOK LIKE WE USED TO OUR SKINS ALL SCALED AND BLACK WE FIGHT EACH OTHER IN THE STREETS EVOLUTION HAS TURNED BACK WE GOT NO TELEVISION, WE CANT TELL TIME, NO CLOCK BUT AS THE SUN GOES DOWN AT NIGHT WE DO THE MUTANT ROCK CHORUS THE BOMB IT COULDNT KILL US NO MATTER HOW IT TRIED THOUGH THE WEAKS ONES ARE ALL DEAD THE STRONG OF US SURVIVED OUTSIDERS WHO HAVE FOUND US THEY ALL GET A SHOCK AS WE SLITHER THROUGH THE RUINS AND WE DO THE MUTANT ROCK “The Meteors”, “Mutant Rock”, von der CD “Only the Meteors are pure Psychobilly” (1988). Hier handelt es sich um einen typischen Psychobillytext. Mutant Rock wird auch heute noch von den Meteors auf ihren Konzerten gespielt und erfreut sich nach wie vor einer großen Beliebtheit. Hier wird ein apokalyptisches Szenario entworfen, in dem die meisten Menschen gestorben sind, nachdem eine Atombombe abgeworfen wurde und die Überlebenden zu Mutanten mutieren. In diesem Horrorszenario leben die Mutanten in den Ruinen, der zerbombten Stadt und bekämpfen sich gegenseitig. Die Zeit und die Technik spielen keine Rolle mehr. Die Evolution hat sich zurückgedreht. Doch die Mutanten wurden weder von der Bombe noch von etwas anderem zerstört. Ich denke, dass die Meteors mit ihrer Textzeile „the strong of us survived“ darauf anspielen, dass Psychobillies zu den Starken der Gesellschaft gehören und sich nicht zerstören lassen, egal wie sehr es von außen versucht wird. Die Psychobillyszene hatte ja in den 80er Jahren mit massiven Anfeindungen von anderen Subkulturen zu kämpfen. Auch die „normalen“ Bürger hatten viele Vorurteile 72 und sahen Psychobillies teilweise als Faschisten an. Die „Outsiders“ stehen wohl für den Normalbürger, der ebenfalls einen Schock erleidet, wenn er beobachtet, wie junge Männer mit wilden Frisuren, vielen Tätowierungen, exzessiv Alkohol trinken und einen Tanz zelebrieren, der wie eine wüste Massenschlägerei aussieht (Wrecking). Zudem könnte man den Eindruck gewinnen, dass sich die Psychobillies in der „normalen“ Gesellschaft wie Mutanten vorkommen und deshalb ihre Andersartigkeit bewusst betonen, weil sie nicht leben wollen, wie die breite Mehrheit und sich daher bewusst abgrenzen. Während junge Psychobillies heute in eine relativ friedliche und gemischte Szene hereinkommen, haben Psychos in den 80er und 90er Jahren Probleme mit der Rockabilly- und der Punkszene erlebt. Viele Psychobillies waren vorher in der Punkoder in der Skinheadszene. Ältere Psychobillies wenden sich oft dem Rockabilly zu. Psychobillymusik ist schnell, hart und verrückt. (Vgl. El-Nawab 2005: 154) „Auf symbolischem Wege wird eine Gewaltbereitschaft in der Kleidung, im Habitus, in der Musik und Sprache mit einem inszenierten Hang zum bizarren Wahnsinn und der Hölle verbunden.“ (El-Nawab 2005: e.b.d.) Gewaltfaszination und Gewaltbereitschaft werden expressiv-ästhetisch am eigenen Körper nach Außen transportiert. Durch diese Selbstinszenierung erreichen sie ein Gefühl von Stärke und Härte. Gerade bei männlichen Jugendlichen ist das sehr verbreitet und verschafft ihnen „Respekt“ bei anderen Jugendlichen. Hier gibt es große Parallelen zu Skinheads, die es ebenfalls genießen, durch ihr martialisches Äußeres, Reaktionen der Umwelt provozieren und dadurch ein Gefühl der Macht zu erleben. (Vgl. El-Nawab 2005: e.b.d.) „Die Lust daran, Aggressionen körperlich auszuleben, eigene Ohnmachtsgefühle durch Machtgefühle in der Gruppe, z.B. durch Einschüchterung von anderen auszugleichen, paart sich mit dem Einsatz von Kleidung als Panzer, als aufgeplustertes Federkleid.“ (El-Nawab 2005: e.b.d.) Das Wir-Gefühl wird durch die Musik und den Stil verstärkt. Aggressionen können beim Wrecken spielerisch und in einem szeneeigenen Ritual ausgelebt werden. Das Wrecken kann man mit dem Pogo in der Punk-, Skinhead- und auch Hardcoreszene vergleichen. (Vgl. El-Nawab 2005: e.b.d.) Was an der Psychobillysubkultur besonders heraussticht, ist ihr Faible für Horrorszenarien, in denen die Welt untergeht. Psychobilly dreht sich um Zombies, Suizide, 73 Wahnsinn, die Hölle, den Teufel, den Tod, Mutanten und Nekrophilie. Psychobillies sind fasziniert von ‚Perversen’, ‚Kranken’ und ‚Krassen’. In der Musik und in den Texten wird diese Thematik oberflächlich und humorvoll behandelt. Die Tabubrüche und der Horror werden kaum reflektiert. Ganz im Gegenteil zur Gothicsubkultur wird beim Psychobilly spielend mit dem Tod umgegangen. Es wird schon fast kindlich banal mit alptraumartigen Themen in den Texten umgegangen. Eine tiefere Befassung mit der Thematik wird meist vermieden. Wahrscheinlich werden durch die finsteren Texte Ängste und Gewaltfaszinationen verarbeitet. (Vgl. El-Nawab 2005: 174) „Die Selbstinszenierung als Mutanten, die die Apokalypse oder die Atombombe überlebt haben, als Zombies, Außerirdische oder Psychotiker, dürfte ebenso als Ausdruck eines sich außerirdisch-Fühlens zu verstehen sein. Und als indirekt artikulierte Form sich zu weigern, „normal“ zu sein.“ (El-Nawab 2005: e.b.d.) Einen guten Eindruck von der Konzertatmosphäre der 80er Jahre liefert Craig Brackenridge. Er beschreibt in seinem Buch „Let’s Wreck“ (2003) eindrucksvoll, wie sich die Psychobillyszene in Schottland und England in den 80er Jahren verbreitete, was alles bei einem Meteorskonzert passieren konnte und wie sehr sich ein Psychobillykonzert, von einem „normalen“ Konzert unterschied: „ It was a sweaty Glasgow night in the late 1980’s and The Meteors were in town. Hundret of psychobillies were battling it out on the dancefloor. Ex-punks, teds, skins, rockabillies and some desperate fad chasing poseurs were now quiffed up, dressed down and soaking up the glorious noise of the Godfathers of Psychobilly. The scene was at its peak, the gig was long sold out and even Goths and rugby-playing lunkheads were getting into it. In the centre, at the front, was a mass of writhing bodies. Stomping. Wrecking. Gleefully punching fuck out of each other and loving every moment. … My head was cold and wet, ‘Some dirty bastard has thrown beer on me’. But it was not beer and as I wiped my head I noticed the blood. It was soaking me. … An ambulance took me to hospital, ‘He’s been drinking – probably fighting’. No anaesthetic. Thirteen stitches. BAM! Welcome to the wrecking crew!” (Brackenridge 2003: 5) 74 4.2. Methodisches Setting Zugang zum Feld Den ersten Kontakt mit Psychobilly hatte ich 2003 auf dem Force Attack Festival bei Rostock. Das Force Attack ist eines der größten Punkfestivals in Europa und damals spielten auch Mad Sin. Die Band hat mir sehr gut gefallen und so kaufte ich mir bald meine ersten Psychobilly CD’s. Ich hörte mir auch einige andere Psychobillybands wie die Meteors an, die mir damals allerdings nicht gefallen haben. So besuchte ich sporadisch einige Psychobillykonzerte und hörte einige Bands aus diesem Bereich (wie z.B. Tiger Army, Mad Sin und Demented Are Go). Ende 2006 gründete ein Freund von mir, mit einigen anderen Psychobillies eine Psychobillyband: „The Tschernobillys“. Ich unterstützte die Band und besuchte die Bandproben und Konzerte. So lernte ich viele Psychobillies kennen und erweiterte meinen musikalischen Horizont. 2007 fuhr ich zusammen mit der Band aus Neugierde zum Psychomania Rumble in Potsdam. Es war das erste große Psychobillyfestival in Deutschland außerhalb vom Satanic Stomp seit längerer Zeit. Da die Leute sehr offen und freundlich waren und mir auch viele Bands gut gefallen haben, beschäftigte ich mich immer mehr mit dieser Subkultur und ihrer Musik. 2008 besuchte ich auch das Satanic Stomp in Lichtenfels und so lernte ich auch immer mehr Leute aus dieser Subkultur kennen. Durch meine Besuche von diversen Konzerten und Festivals konnte ich meine Kontakte erweitern und so fiel es mir nicht schwer, 5 Interviewpartner für meine Bachelor Arbeit zu gewinnen, da die Menschen mich kannten. Einige Leute haben mir allerdings auch abgesagt, weil sie kein Interview geben wollten. Ich habe vier Männer und eine Frau interviewt. Alle 5 Personen sind berufstätig und so gestaltete sich die Terminabsprache teilweise recht schwierig. Einigen Leuten musste ich regelrecht hinterher telefonieren und durch persönliche Gründe verschob sich ein Interview um mehrere Wochen. Ich musste bei der Auswahl meiner Interviewpartner auch umdisponieren, da ich einige Wunschinterviewpartner nicht mehr erreichte und mir andere wiederum absagten. Die Altersstruktur und die Berufsfelder meiner Interviewpartner sind heterogen und geben einen guten Einblick über die Psychobillysubkultur. Zwei meiner Interviewpartner waren schon in den 80er Jahren Psychobillies und so konnte ich auch Infor- 75 mationen über die Veränderung in dieser Subkultur gewinnen. Ich habe auch einen Szeneneuling interviewt, sowie zwei Leute, die seit ca. 4-7 Jahren Psychobillies sind. Die Szenezugehörigkeit meiner Interviewpartner ist also auch sehr heterogen. Vier meiner Interviewpartner besuchte ich in ihren Wohnungen, und das Interview mit dem Szeneneuling D. führte ich in einem Proberaum durch. Alle Gespräche habe ich auf einem Diktiergerät festgehalten. Die Interviewlänge schwankte von 25 Minuten bis zu 49 Minuten. Ich verwendete einen Interviewleitfaden und habe die Leute auch einfach reden lassen und bin dann spontan auf ihre Erzählungen eingegangen. Während D. sich sehr an meinen Fragen orientierte und wenig frei erzählt hat, hat K. sehr viel frei erzählt und ich musste kaum nachfragen, da er viele Informationen zu diversen Themen gegeben hat. L., T. und J. haben sich an den Fragen orientiert, aber auch viel frei geredet, wenn sie etwas zu einer bestimmten Thematik zu sagen hatten. Die Namen der Interviewten habe ich anonymisiert. Auswertungsmethode – qualitative Inhaltsanalyse Nach der vollständigen Transkription der Interviews (auf der beiliegenden CD), durchsuchte ich die Texte, nach meinen Hauptfragen. Einige Hauptfragen hatte ich schon im Kopf, wie z.B.: Ob es sich bei der Psychobillysubkultur um eine autonome Subkultur handelt und wie das Geschlechterverhältnis verteilt ist. Dementsprechend hatte ich diese Fragen auch bei meinem Leitfaden verwendet. Andere Fragestellungen haben sich aus den Informationen meiner Interviewpartner ergeben, wie z.B. die Fragestellung, ob die Psychobillysubkultur friedlicher geworden ist, da mir vor den Interviews nicht bewusst war, wieviel Gewalt früher in der Subkultur geherrscht hat. Nach der Benennung meiner Hauptfragen, begann ich den Text nach den entsprechenden Themen zu Codieren. Hierbei orientierte ich mich an den Methoden von Erika Steinert und Gisela Thiele (Einführung in die qualitativen und quantitativen Methoden). Mit Hilfe dieses Codeplanes (s. Anhang) wertete ich dann die entsprechenden Interviewtextstellen aus. Ich hatte am Anfang auch einen kompletten Codeplan zu allen Themen, die in den ganzen Interviews besprochen wurden, doch habe ich schnell von Diesem abgesehen, da ich nicht alle Informationen, die die Interviews hergeben, verwertet habe, weil sie einfach den Rahmen dieser ohnehin sehr voluminösen Arbeit gesprengt hätten. So bin ich z.B. nicht speziell auf die Szeneevents und Konzertmöglichkeiten eingegangen. Ich Rahmen meiner Hauptfragen, kommen Informationen zu diesen Bereichen nur am Rande vor. Die Themen des 76 Leidfadens waren sehr wichtig für die Erstellung des Codeplanes. Alle sechs Hauptfragen enthalten Subkategorien, die ich teilweise unter mehreren Themen nebeneinander aufgeführt habe, wie z.B. Tolerantere Gesellschaft, Zusammenhalt, Verwechslungen und reaktive Gewalt, da diese Themen für mich zusammengehören oder einfach in den Interviewpassagen im selben Zusammenhang erwähnt werden, so dass es für mich persönlich keinen Sinn machen würde, diese noch einmal extra zu erwähnen. Folgende Textpassage habe ich z.B. der Subkategorie Punkabilly vs. Psychobilly zugeordnet bei der Hauptfrage, ob die Psychobillysubkultur friedlicher geworden ist: „Man hat dann immer wenn man schon, wenn man n falsches T-shirt oder n falschen Aufnäher von der falschen Band hatte, ist man schon blöd angemacht worden. Oder irgendwann mal auf nem Festival, da haben wir dann Demented Are Go im Radio gehört, da kamen diese Jungs von der Wrecking Crew und haben die Luft aus den Reifen gelassen oder einen mit Bier bekippt oder so.“ (L.) Bei einigen Fragen haben sich bei den Interviewten verschiedene Gruppen gebildet. Darauf bin ich dann in der Analyse auch spezifisch eingegangen. So bleibt zusammenfassend festzustellen, dass nach der vollständigen Transkription die Haupfragen festgelegt wurden. Danach wurden die Interviews nach relevanten Themen (Kategorien) durchgesehen. Anschließend wurde der recht lockere Codeplan ermittelt und den einzelnen Kategorien zugeordnet. Danach begann die formale Analyse „line by line“ und nicht relevante Textstellen wurden ausgeschlossen. Die Interviewpartner K. : Kommt aus Dortmund. Ist 40 Jahre alt. Vom Beruf LKW Fahrer. Hat auf der Hauptschule die Mittlere Reife gemacht. Der Vater von K. war Arbeiter und die Mutter hat nebenbei geputzt. K. ist seit 1987 Psychobilly. T. : Kommt aus Iserlohn. Ist 25 Jahre alt. Vom Beruf Speditionskaufmann. Hat das Fachabitur erlangt. Der Vater von T. arbeitet als Akquisiteur bei einem Papiergroßhandel. Die Mutter arbeitet als 400 Eurokraft in einer Druckerei. T. ist seit 7 Jahren Psychobilly. D. : Kommt aus Gevelsberg. Ist 18 Jahre alt. Macht eine Lehre als Konditor. Hat die Mittlere Reife erlangt. Der Vater arbeitet als Elektriker und die Mutter arbeitet im Einzelhandel. D. ist seit zwei Jahren Psychobilly. 77 J. : Kommt aus Darmstadt. Ist 21 Jahre alt. Macht eine Ausbildung als Frisösin. Hat Abitur. Die Mutter ist Musikerin. J. ist seit 4 Jahren Psychobilly. L. : Kommt aus Dortmund. Ist 41 Jahre alt. Ist stellvertretender Filialleiter in einem Einzelhandelgeschäft. L. hat das Gymnasium nach der elften Klasse verlassen. Der Vater hat bei einer Zulieferfirma für Stahl gearbeitet. Die Mutter war Hausfrau. L. ist seit Ende der 80er Jahre Psychobilly. L. war bis Mitte der 90er Jahre Psychobilly, hat die Szene für einige Jahre verlassen und ist seit dem Ende der 90er Jahre wieder in der Subkultur aktiv. 4.3. Ergebnisdarstellung Im Folgenden werde ich auf die wichtigsten Ergebnisse der 5 Interviews eingehen. Nach der Durchsicht der Interviews haben sich sechs Hauptfragen herauskristallisiert. Ich werde nicht auf alle Informationen eingehen, die mir die Interviewpartner gegeben haben, da dies die Kapazitäten einer Bachelor Arbeit übersteigen würde. Themen, wie die Bedeutung des Internets für die Psychobillysubkultur, die aktuelle Konzertsituation und veränderte Organisationsstrukturen werden nicht behandelt, obwohl hierzu Informationen vorliegen. Die sechs Hauptfragen beschäftigen sich mit den Thematiken: Politik, Aggressionspotential, Geschlechterverhältnis, Autonomie von der Rockabillysubkultur, das Verhältnis zu anderen Subkulturen und die Bedeutung von Spaß in der Psychobillysubkultur. Der im zweiten Hauptpunkt meiner Arbeit erwähnte theoretische Bezugsrahmen, zur Untersuchung von Subkulturen (der im Buch von Mike Brake thematisiert wird) wurde ebenfalls von mir beachtet. So finden sich in den Ergebnissen Informationen zu dem sozio-ökonomischen Umfeld (siehe Berufe der Interviewten), sowie zu dem Stil und Image der Psychobillysubkultur. Die öffentlichen Reaktionen auf die Psychobillies werden ebenso thematisiert, wie das Sozialgefüge der Subkultur. Zudem gehe ich auch auf die Kontinuität und Diskontinuität der Psychobillysubkultur ein. Die Veränderungen und Transformationsprozesse werden ausführlich beschrieben. 78 4.3.1. Ist die Psychobillysubkultur politisch? „Also Psychobilly ist unpolitisch.“ (T.) Grundsätzlich kann man sagen, dass die Psychobillysubkultur eine unpolitische Subkultur ist. Politik ist in den Texten von Psychobillybands nicht relevant. Die Szene distanziert sich ganz klar von Politik und Religion. „Peter Paul Fenech, der Begründer des Psychobilly, sagt ja auch: Fuck politics! Fuck religion! Just pure Psychobilly!“ (L.) „Also im Reinen ist Psychobilly gesehen unpolitisch. Man sagt Psychobilly: No politics! No religion! Just music oder wie der Spruch jetzt auch immer heißen mag. Keine Ahnung. Jedenfalls ist Psychobilly im Reinen gesehen unpolitisch.“ (T.) Alle 5 Interviewpartner sind sich in dieser Hinsicht absolut einig. So antwortet auch D. auf die Frage, ob Politik bei Psychobilly eine Rolle spielt: „Also meines Empfindens gar keine Rolle. Mit Politik nichts am Hut find ich.“ (D.) Bei Psychobilly geht es in erster Linie um Musik und um zusammen feiern. Politik wird komplett aus der Szene herausgehalten. Während bei Punk- und Oi-Konzerten schon auf den Fleyern Stellung gegen Rechts bezogen wird, und Politik ein Dauerthema ist, distanziert sich die Psychobillysubkultur völlig von Politik. „[…] weil Psychobilly mit Politik rein eigentlich rein gar die Szene selber rein gar nix zu tun hat. Du wirst auch nie irgendwo n Fleyer irgendwo finden, wo draufsteht: Sieg Heil! Oder Antifa oder irgend so was. Du wirst immer nur was von Musik lesen.“ (K.) Der Spaß steht bei den Psychobillies im Vordergrund und es wird die Meinung vertreten, dass politische Aussagen und Einstellungen nicht unbedingt durch Musik vermittelt werden müssen. „Ja doch. Ich glaube, wie ich schon zum Anfang gesagt habe, einfach, dass ich in der Musik nicht unbedingt oder gerade in der Psychobillyszene, Musik wie auch immer, nicht unbedingt den politischen Hintergrund sehen muss. Und ich finde nicht, das man immer die Politik durch Musik ausdrücken mus, und deswegen finde ich, das einfach ne witzige Art von Musik, auf die man gut feiern kann, mit der man viel Spaß haben kann […].“ (J.) 79 Individuelle politische Haltung „Welche politische Einstellung n Psychobilly hat, das ist eigentlich jedem selber überlassen.“ (K.) Während die Psychobillysubkultur an sich völlig unpolitisch ist, sind die einzelnen Mitglieder durchaus politisch. Jeder hat seine individuelle Meinung zu Politik. „Es gibt mit Sicherheit auch rechte und auch linke Psychobillies. Aber das ist halt die persönliche Einstellung.“ (K.) „Ich glaube, dass ist sehr individuell. Ich hoffe natürlich immer inständig, dass es nicht so viele rechte Einflüsse gibt. Beobachte das leider aber immer wieder. Vor allem auf Festivals, wo man natürlich auch Leute von weiter weg trifft, dass es da viele rechte Einflüsse sind. Aber genau so auch linke Einflüsse. Also ich glaube, es ist sehr gemischt. Es ist halt offen gehalten. Das kann jeder für sich persönlich entscheiden.“ (J.) „Jeder kann natürlich seine politische Richtung haben, wie er will, aber so der Psychobilly hat gar keine politische Richtung.“ (D.) Die Szene ist von daher sehr ambivalent, da rechte und linke Psychobillies durchaus zusammen auf Konzerte gehen und zusammen feiern. Das wäre in anderen Subkulturen undenkbar, bzw. ist es immer wieder ein Grund für Diskussionen und Streitigkeiten. Allerdings handelt es sich um politische Haltungen, die durchaus in unterschiedlichste Richtungen tendieren können. Politische Aktivisten sind in der Psychobillyszene eher die Ausnahme. Die politische Einstellung bleibt auf jeden Fall im Hintergrund und wird bewusst aus der Szene rausgehalten. „Ich persönlich kann z.B. nicht unpolitisch sein. Aber ich würde jetzt niemals meine politische Einstellung mit meiner Subkultur vergleichen. Oder sehen. Das würd ich niemals machen.“(T.) 80 Verwechslungen, Missverständnisse und Vorurteile „Die Gesellschaft ist heute viel offener und zugänglicher auch und gesprächsbereiter als früher. Früher biste abgestempelt worden als Skinhead. Konnten wir ja nicht sein, aber oder als Punk. So, was anderes kannten die Leute gar nicht.“ (K.) Psychobillies wurden in den 80er Jahren oft mit Skinheads oder Punks verwechselt, da ihr Outfit aus diesen beiden Subkulturen und der Rockabillyszene stammte. Da Psychobillies die Seiten und den Hinterkopf kahlrasiert haben und auch Skinheads zu Psychobillykonzerten gekommen sind, haben die Leute ihre stereotypen Ansichten über die Skinheadszene auf die Psychobillyszene übertragen. Psychobillies wurden für Rechte und Faschisten gehalten. Die Menschen wussten weder von der Heterogenität der Skinheadsubkultur, noch von der eigenständigen Psychobillysubkultur. „Es waren einfach Skinheads. Rude Boys. Skinheads, ne? Und da die Leute das nicht unterscheiden konnten. Die wussten einfach Skinhead. Skinhead ist rechtsradikal.“ (K.) Auch L. hat in den 80er Jahren Erfahrungen mit Vorurteilen gegenüber Psychobillies gemacht. „Ja, die hab ich damals auf jeden Fall gemacht, weil die Leute konnten das damals halt nicht so einordnen. Man hat halt damals kurze Haare gehabt und dann hat man ja von den Klamotten, die man trug, hat ja die Sachen teilweise von den Rockabillies, aber teilweise auch von Punks und Skins übernommen. Hat dann, was weiß ich, Doc Martens oder so angehabt und wurde dann schon öfter mal in so ne Faschoecke gestellt ne? Was aber absolut nicht der Fall ist, weil ist ja ne absolut unpolitische Szene.“ (L.) Die Verwechslung mit der Skinheadsubkultur hatte viel mit der Mode zu tun, da es damals nicht so viel Auswahl an Kleidung und Merchandiseprodukten wie heute gab. Die Psychobillysubkultur hat sich also auch von der Mode her verändert, da sich das Merchandiseangebot deutlich erhöht hat. „Der einfache Psychobilly hatte halt n Flat, n Baumfällerhemd an, meistens, ne verwaschene Jeans oder Domestoshose und Boots. Und n Skinhead sah auch von der Kleidung gar nicht anders aus, ne? Es war halt einfach so, es hat halt nicht die Klamotten gegeben. […] Wenn du heute mal in n Konzerthalle mal gehst, auf nen 81 Psychobillykonzert, was du da an Klamotten siehst. Was du selbst so auf dem Konzert kaufen kannst, an Klamotten, das gab’s gar nicht so in dem Sinne.“ (K.) Auch den Medien war Psychobilly kein Begriff. Als gegen Ende der 80er Jahre ein Psychobillyfestival in Delmenhorst veranstaltet wurde, wurde in den Medien verbreitet, dass Horden von Skinheads und Punks in die Innenstadt kommen würden, um diese zu verwüsten. Psychobillies wurden in die rechte Ecke gestellt und es wurde unterstellt, dass es zu fürchterlichen Ausschreitungen kommen würde. Hier wird deutlich, dass die Medien ein völlig falsches Bild von Psychobillies hatten. Ohne nähere Recherche wurden Psychos mit Punks und Skinheads in einen Topf geworfen. Obwohl die Medien keine Informationen über die Psychobillysubkultur hatten, wurden gleich Vorurteile über politische Haltungen geschürt, ebenso wie Ängste vor Randale und Gewalt. „Ja, es gab da mal so n Bericht im Nord Drei Fernsehen. Da gab’s so n Festival in Delmenhorst. […] Das wurde so ziemlich aufgebauscht und ja, da wurde das ganze auch irgendwie so in die rechte Ecke gestellt, ne? Warum auch immer. Da hieß dann, Skins würden kommen und aber auch Punks. Und da würde es Auseinandersetzungen geben, auch untereinander. Und was weiß ich, die Innenstadt würde demoliert und was weiß ich. Hat sich dann aber im Nachhinein herausgestellt, dass dann alles nicht war. Das wird dann auch so in dem Fernsehbericht so dargelegt.“ (L.) Es gab allerdings auch Berichte in den Medien, die der Wahrheit entsprachen. „Ja und wo ich mich noch dran erinnern kann. Es gab dann mal in der Bildzeitung n Artikel. Da wurde das Ganze aber nicht in die rechte Ecke gestellt. […] Es wurde relativ wahrheitsgemäß berichtet. Das das alles unpolitisch ist.“ (L.) K. hatte auch oft Ärger mit Migranten, da sie ihn für einen Faschisten gehalten haben. „Dann hast du natürlich auch immer Probleme gehabt mit Ausländern. Eher ungewollt, weil die dich halt für’n Nazi gehalten haben. Hab ich halt auch einige Schlägereien gehabt, weil ich einfach für n Fascho gehalten wurde, ne?“ (K.) Unterwanderungsversuche von Rechts Die rechte Szene wurde in den 80er Jahren auf die Psychobillysubkultur aufmerksam. Die Faschisten versuchten, ebenso wie bei den Skinheads, die Szene zu unterwandern und für ihre Ideologie zu gewinnen. Durch Einladungen zu Kamerad82 schaftsabenden bei der FAP oder durch Musikprojekte von Skrewdrivermitgliedern sollten die Psychobillies geködert werden. „Es gab wohl mal ein Projekt von einem gewissen Herrn Ian Stuart, der ist ja bekannt in England, National Front. Dann gab’s da noch so ne rechtsradikale Band: Skrewdriver genannt. Ja und der hat wohl auch so n Projekt gemacht. The Klansmen nannte sich das. Das war dann halt auch so Rockabilly, mit etwas faschistoiden Texten. Und da wurde wohl auch versucht, die Szene so n bisschen zu unterwandern, aber das ist wohl eigentlich relativ, was heißt nicht relativ, das ist wohl auch erfolglos geblieben. Nichts in der Richtung getan. Ist immer noch unpolitisch.“ (L.) „Gerade hier im Ruhrgebiet hat die rechte Szene versucht, uns, ich habe selber erfahren, am eigenen Leib, auf deren Seite zu ziehen. Wir sind eingeladen worden, zum Kameradschaftsabend von der FAP damals hier. Unter anderem angeführt, damals von „SS Siggi“, Siggi Borchert. Es ging aber hinterher soweit, dass wir da hinterher abhaun mussten, weil wir wollten einfach nur saufen und Spaß haben und die Rechten wollten einfach ihre Parolen da grölen und wir haben einfach gar nicht da mitgemacht. Z. B. wenn wir eingeladen waren, auf dem Kameradschaftsabend, dann sind die alle aufgestanden, haben das Deutschlandlied gesungen, mit der ersten Strophe. Hat uns gar nicht interessiert. Wir haben nicht mitgesungen. Da sind wir dann angemacht worden, wir müssen doch mitsingen und so ne Scheiße und Arm heben. Und das wollten wir gar nicht. Also ich war auch nie dafür, für die rechte Szene eigentlich so, ne?“ (K.) Politische Positionierung gegenüber Rechts Hier bilden sich 3 Gruppen bei meinen Interviewpartnern. Die eine Gruppe bilden L. und D. , die beide sagen, dass Psychobilly unpolitisch ist und nichts über ihre Position gegenüber Rechts erwähnen. Die zweite Gruppe bilden T. und J. . Beide grenzen sich ganz bewusst von Rechten ab. „Ich hoffe natürlich immer inständig, dass es nicht so viele rechte Einflüsse gibt“. (J.) T. hält überhaupt nichts von Faschisten. „Also du hast zwar immer irgendwelche Bekloppten dabei, irgendwelche Faschos. Also im Reinen ist Psychobilly gesehen unpolitisch“. (T.) Auf die Frage, ob Faschisten denn auf Konzerten geduldet würden, antwortete T. : „Ja, was heißt geduldet? Von mir werden diese Leute nicht geduldet. Definitiv nicht. Und von meinen Freunden und meinen Bekannten werden diese Menschen auf jeden 83 Fall auch nicht geduldet. Weil so was gehört da meiner Meinung nach nicht rein“. (T.) Hier wird sich klar von Faschisten und rechten Einflüssen distanziert und diese Leute werden auf den Konzerten auch nicht toleriert. K. bildet die dritte Gruppe. In K.’s Umfeld hatte die FAP keinen geringen Einfluss und er kannte einige Mitglieder über die Schule bzw. Berufsschule. „Aber du bist halt hier so im Ruhrgebiet, damals zu dem Zeitpunkt war der Kontakt zu denen sehr groß. Du hast halt in der Schule, in der Berufsschule oder in damals, in der Schule, halt immer welche gehabt, die auch, weil die FAP hier im Ruhrgebiet sehr groß vertreten war, bist du halt immer in Kontakt gekommen.“ (K.) K. wurde durch diese Kontakte auch zum Kameradschaftsabend zusammen mit anderen Psychobillies, eingeladen. Entweder weil sie zu naiv waren oder einfach nur mit den Kontakten von der Berufsschule feiern wollten, ganz egal, welchen politischen Hintergrund diese hatten, wurde diese Einladung auch angenommen. Allerdings war klar, das man zum Trinken und Spaß haben dahin gekommen ist und nicht um faschistische Politik zu feiern. Rechte Rituale wurden nicht mitzelebriert. „[,,,] wir wollten einfach nur saufen und Spaß haben, und die Rechten wollten einfach ihre Parolen da grölen und wir haben einfach gar nicht da mitgemacht.“ (K.) Es wurde auch nicht dem Druck der rechten Kameraden nachgegeben, bei strafbaren rechten Prozeduren mitzumachen. „[…] dann sind die alle aufgestanden, haben das Deutschlandlied gesungen, mit der ersten Strophe. Hat uns gar nicht interessiert. Wir haben nicht mitgesungen. Da sind wir dann angemacht worden, wir müssen doch mitsingen und so ne Scheiße. Und Arm heben. Und das wollten wir gar nicht.“ (K.) K. und die anderen Psychos waren zwar bereit, mit der FAP einen Trinken zu gehen, aber sie haben sich nicht von den Faschisten und ihrer rechten Politik instrumentalisieren lassen. K. bezieht zwar nicht so klar Stellung wie T. und J. , doch grenzt er sich ebenfalls von den Rechten ab. „Also, ich war auch nie dafür, für die rechte Szene eigentlich so, ne?“ (K.) 84 4.3.2. Ist die Psychobillysubkultur friedlicher geworden? „Also es ging schon richtig zur Sache damals.“ (K.) Psychobillies sind früher, wie bereits oben erwähnt, des öfteren mit Skinheads, Faschisten und Punks verwechselt worden. Diese Verwechslungen haben oft zu Streitigkeiten und Schlägereien geführt. Psychobillies waren unbeliebt bei den Rockabillies, weil viele Leute sich von der Rockabillyszene der Psychobillyszene zugewendet haben. Für Migranten und Punks waren Psychobillies Faschisten, und der Normalbürger war in den 80er Jahren bei weitem nicht so tolerant, wie es heute teilweise der Fall ist. Die Psychobillysubkultur hat auch immer mehr Punkeinflüsse in die Szene gelassen, was zu einer Spaltung derselbigen geführt hat, da die Wrecking Crew (die Fans der Meteors), sehr militant auf die neuen Einflüsse reagierten. Es gab also viele Gründe, warum Psychobillies in diverse Konflikte verwickelt waren. Tolerantere Gesellschaft, Zusammenhalt, Verwechslungen und reaktive Gewalt Psychobillies sind früher wesentlich häufiger von Passanten beleidigt und bepöbelt worden, als heutzutage. Die Psychobillies waren vielen Normalbürgern ein Dorn im Auge und sie konnten nicht verstehen, wie man sich so in der Öffentlichkeit präsentieren konnte. Diese abwertenden Verhaltensweisen der Gesellschaft ernteten nicht selten reaktive Gewalt der Psychobillies. „Sind auch gleich am ersten Tag sofort verhaftet worde ne? Haben sofort uns einen gesoffen. Waren sofort Krawalle. Aber nicht von uns ausgegangen. Weil halt, früher, die Leute, das nicht verstehen konnten, dass man so rumläuft und immer pöbeln mussten, was heute nicht mehr so ist, weil es mittlerweile normal geworden ist, dass die Leute irgendwie anders rumlaufen.“ (K.) K. empfindet die Gesellschaft heute als viel toleranter und er hat auch keinen Ärger mehr wie früher. „Also ich kann gut sagen, dass ich, hab jetzt bestimmt seit 15 Jahren ja, keine Schlägerei mehr oder so gehabt. Aber früher da war es, kann ich jetzt nicht sagen, aber es war häufiger, dass ich im Konflikt mit normalen Leuten gekommen bin. Weil in den 80er halt alles noch nicht so offen war wie heute so. Die Gesell- 85 schaft ist heute viel offener und zugänglicher auch und gesprächsbereiter als früher.“ (K.) Aber auch mit anderen Subkulturen gab es früher Konflikte. „Wir hatten sehr viele Probleme halt mit Punks. Weil früher, im Gegensatz zu heute, gab es gar nicht, dass, hast du kaum oder wenn überhaupt, ich kann mich gar nicht dran erinnern, in der damaligen Zeit, dass du Punks auf Psychobillykonzerten gesehen hast. Das war wahrscheinlich auch das Problem.“ (K.) Aber auch mit der Rockabillyszene kam es zu Konflikten, die in Straßenschlachten eskaliert sind, genau wie mit der Punksubkultur. „Und ja, damals war man aber dann halt bei den damals älteren Rockabillies natürlich nicht so gern gern gesehen, irgendwie. Da gab es auch damals früher n bisschen Stunk.“ (L.) „[…] auch die Rockabillyszene und die Psychoszene haben sich auch nicht gut miteinander verstanden. Da hab ich auch richtig erlebt, richtige Straßenschlachten. Also es ging schon richtig zur Sache damals. Wir haben Riesenkrawall einmal gehabt hier, mit den Punks. Das wir richtig auf Punks getroffen, richtig mit gegenseitig inne Fresse mit Zaunlatten, also. Und also früher war das viel aggressiver. Ich denke auch, das Potential von den Psychobillies war aggressiver, war n bisschen aggressiver früher als heute.“ (K.) Mit Migranten gab es ebenfalls gewalttätige Auseinandersetzungen, weil diese, die Psychobillies, für Nazis hielten. „Dann hast du natürlich auch immer Probleme gehabt mit Ausländern. Eher ungewollt, weil die dich halt für n Nazi gehalten haben. Hab ich halt auch einige Schlägereien gehabt, weil ich einfach für n Fascho gehalten wurde, ne?“ (K.) Auch mit der Skinheadsubkultur kam es zu Konfrontationen. „Ich kann mich an so nen Festival, ich glaub in Belgien oder Niederlanden erinnern. Da gab’s dann richtig Stress mit Skins, ne? Ich weiß jetzt nicht, ob das Rechtsradikale waren oder so. Das kann man jetzt nicht so genau sagen. Aber ja die haben dann halt das Theater gemacht und dann ging’s auch richtig zur Sache, ne? Da haben die richtig Dresche bezogen und sind aus der Halle geschreitet worden. Das gab’s wohl auch, ne?“ (L.) Die „normalen“ Bürger hingegen hielten die Psychobillies für Punks. Da die Psychobillies als Asoziale und Punks tituliert wurden, mit denen sie wiederum heftige Differenzen hatten, kam es immer wieder zu reaktiver Gewalt von Seiten der Psychos, die im Prinzip nur ihre Ruhe wollten. „Ich habe viele Situationen erlebt, wo 86 halt Schlägereien entstanden sind, wo eigentlich hätten, keine Schlägereien hätten entstehen brauchen, wenn die Leute uns einfach in Ruhe gelassen hätten. Ein Beispiel. Ich sitze im Bus. Ich komm da so rein und auf einmal brüllt da ein: Eh, scheiß Punk! Mault der mich voll an und so.“ (K.) Psychobillies sind allerdings nicht zu vergleichen mit der Hippiekultur und das Anderssein, wird auch gegen äußere Einflüsse verteidigt. Auch mit Gewalt. „Ich bin der Meinung, dass wenn man anders rumläuft, muss man dazu stehen und auch dagegen halten.“ (K.) Auf die Frage, mit welchen unterschiedlichen Teilen der Gesellschaft es früher Konflikte gab, antwortet K. : „Mit jedem!“ (K.) Die Psychobillyszene hatte also aufgrund von Verwechslungen, Konflikten mit anderen Subkulturen und einer Gesellschaft, die die Psychobillyszene nicht toleriert hat, mit viel Gegenwind zu kämpfen. Die vielen Konflikte haben in den 80er Jahren zu einem starken Zusammenhalt der Psychos untereinander geführt. Auf Psychobillykonzerte haben sich kaum noch andere Leute, außer Psychobillies, getraut. Daher blieb die Psychobillyszene unter sich. „Aber ich mein schon, früher war n bisschen kleiner die Szene, aber viel verschworener. Viel eingefleischter. Weil wie gesagt, es gab auf Konzerten. Hast du eigentlich so von anderen Szenen hast du von nicht viel gesehen, so wie heute. […] Auch früher eigentlich, wenn da n Konzert war, waren hauptsächlich nur Psychobillies da. Es war n bisschen kleiner und die Leute waren auch vorsichtiger früher. Die gingen dann nicht einfach auf n Psychobillykonzert. […] Wenn da irgendwer, einer von uns angemacht wurde, hatte er gleich n Problem mit allen gehabt. Deswegen sind die Leute, auch gar nicht so, auch keine Punks oder so da aufgetaucht.“ (K.) Psychobilly war für Außenstehende eher verschlossen und die Leute, die trotzdem auf ein Psychobillykonzert gingen, mussten mit einer kritischen Betrachtungsweise oder gar Ärger rechnen. „Also früher wurde man dann also, wenn man schon ne andere Frisur hatte oder so langhaarig oder was weiß ich Punk oder Skin oder Normalo war, dann wurd man schon zumindest schief angeguckt, wenn nicht noch mehr. Also das waren früher reine Psychobillykonzerte. Da liefen auch keine anderen Leute rum.“ (L.) Da die Psychobillies aggressiv und mit Gewalt auf die Provokationen der Gesellschaft geantwortet haben, ging ihnen der Ruf voraus, dass sie Schläger wären. Die Gewaltbereitschaft war definitiv vorhanden und die Psychobillies sind auch keinem 87 Ärger aus dem Weg gegangen. „Und dann Theater gab, haben wir auch immer gut zusammen gehalten. Und dann wurd auch schon mal was platt gemacht, ne?“ (K.) Trotz der hohen Gewaltbereitschaft der Psychobillies waren die vielen Schlägereien nicht beabsichtigt, sondern reaktiv. Die Psychobillies wollen sich zwar bewusst von der Gesellschaft abgrenzen und auch provozieren, aber Schlägereien werden nicht bewusst gesucht. Schlägereien werden allerdings auch nicht unbedingt vermieden. „[…] sag ich mal, zu 90% kam das eigentlich gar nicht von uns. Es fing eigentlich damit an, dass die Leute uns angepöbelt haben. Wir wollten eigentlich nicht. Wir sind nicht auf die Straße gegangen um Leute anzupöbeln. Wir wollten nur n bisschen die Leute durch unser Äußeres provozieren und halt das die Leute uns anglotzen und durch unser Äußeres auch uns abgrenzen, von den Normalen. Aber wir wollten damit nicht erreichen, dass wir uns jeden Tag prügeln oder. Wir wollten einfach unsere Musik hören, unseren Spaß haben, auf unsere Art und Weise und wollten einfach so aussehen, wie wir aussehen wollten.“ (K.) Dass die Psychobillies vorher provoziert wurden, hat die Gesellschaft nicht interessiert und so hatten die Psychobillies ihren gewalttätigen Ruf weg, da die Schlägereien den Bürgern nicht entgangen waren. „Das haben natürlich dann die Leute gesehen und haben gesagt, Schlägertypen und so, ne? Die haben aber nicht davon geredet, dass du provoziert wurdest oder so. Wurd immer nur gesehen: Oh, das sind die! Schlägerei!“ (K.) Punkabilly vs. Psychobilly „Du musstest aufpassen, dass du da echt nicht zusammengeschlagen worden bist, von den Meteorsfans[…].“ (K.) Neben den vielen Problemen, den die Psychobillies mit dem Rest der Gesellschaft hatten, kamen gegen Ende der 80er Jahre bzw. Anfang der 90er Jahre noch szeneinterne Probleme hinzu. Die Psychobillysubkultur begann sich zu diesem Zeitpunkt zu transformieren und es kamen mehr Punkeinflüsse in die Szene. Das machte sich an der Musik, wie auch an den Frisuren, bemerkbar. „Dann so Anfang der 90er Mitte der 90er begann die Psychobillyszene sich zu wandeln und es kam mehr der Punkeinfluss rein. […] mittlerweile gibt’s n paar Bands, die sagen, sie machen 88 Punkabilly. Ist halt noch n bisschen härter und schneller gespielt als Psychobilly. Und dadurch halt auch bunter halt und dadurch die Frisuren extremer wurden.“ (K.) Eine der wichtigsten Bands, die Punkabilly machen, sind „Demented Are Go“. Der Sänger Mark „Sparky“ Phillips ist für seinen bunten Riesenflat, seine extravagante Bühnenkleidung und für seinen exzessiven Lebensstil bekannt. Demented Are Go gehören mit ihren ausgeflippten Texten, ihrem Bühnenauftritten mit Kunstblut, Gummimasken und Gummipuppen, und ihren Skandalen, zu den größten Bands der Psychobillysubkultur. Es ist auch allgemein bekannt, dass sich Mark Phillips und der Sänger der Meteors, Peter Paul Fenech, nicht leiden können. Ende der 80er bzw. Anfang der 90er Jahre, verhärteten sich die Fronten zwischen den Fans der Meteors, der so genannten Wrecking Crew und den Fans von Demented Are Go. Es kam zur Gewalt untereinander und fast zu einer Spaltung der Subkultur. „Auch wenn es dann innerhalb der Szene gab es ja die so genannte German Wrecking Crew, welche halt Fans der Begründer der Psychobillies, der Meteors sind. Und ja, sind so n bisschen sehr puristisch eingestellt. Und es gab dann halt auch Bands wie Demented Are Go, die ein bisschen mehr Punkrock in die Szene gebracht haben und da gab’s dann immer halt so n bisschen Stress. Was dann eigentlich Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre, fast auf ne Spaltung der Szene hinaus lief. Es gab öfter mal Schlägereien. Ich hab auch das eine oder das andere blaue Auge davon getragen. Bin aber der Szene treu geblieben.“ (L.) Was L. hier mit ein bisschen Stress verharmlost, eskaliert immer mehr und die Wrecking Crew (in Deutschland bekannt unter dem Namen German Wrecking Crew, die Wrecking Crew gibt es allerdings weltweit) beharrt darauf, dass nur die Meteors echten Psychobilly machen und alle anderen Punks sind. Auf Festivals und Konzerten kam es immer mehr zu Gewalt von der Wrecking Crew, gegen vermeintliche Gegner. Ganz besonders beliebt waren bekennende Demented Are Go Fans. „Man hat dann immer wenn man schon, wenn man n falsches T-shirt oder n falschen Aufnäher von der falschen Band hatte, ist man schon blöd angemacht worden. Oder irgendwann mal auf nem Festival, da haben wir dann Demented Are Go im Radio gehört, da kamen diese Jungs von der Wrecking Crew und haben die Luft aus den Reifen gelassen oder einen mit Bier bekippt oder so.“ (L.) Während L. blaue Augen, Bierduschen und platte Reifen hinnehmen musste, eskalierte die Gewalt immer mehr von Seiten der Wrecking Crew. Auch K. berichtet von Gewalt in der Szene untereinander. 89 „Also, ich hab erlebt auch Konzerte, wo Gewalt entstanden ist. Leider auch unter Psychobillies. Ich hab das auch schon erlebt, dass ein Konzert beinahe abgebrochen worden ist, wegen Messerstecherei. Dann hab ich gehört, von Anderen, war ich selber nicht dabei. Das in Berlin sogar einer abgestochen wurde. Das kam aber damals leider durch diese ganze Meteors Geschichte.“ (K.) Die Mitglieder der Wrecking Crew zählten sich zu den einzig wahren Psychobillies und scheuten auch nicht davor zurück, Leute aus dem Pit (der Tanzkreis der Psychobillies vor der Bühne) zu ziehen und diese zusammenzuschlagen. Sie wollten ganz klar demonstrieren, dass nur „echte“ Psychobillies auf die Konzerte durften. „Weil die Meteorsleute haben halt gesagt, dass die Meteors die einzige Band die Psychobilly macht, die anderen sind alles Punks. […] Die haben für Krawalle gesorgt halt. Die sind dann in den Pit rein und haben echt Leute mal rausgezogen und weggepölt. […] Du musstest aufpassen, dass du da echt nicht zusammengeschlagen worden bist, von den Meteorsleuten, weil die einfach gesagt haben, ihr seid keine Psychobillies. Wir sind Psychobillies. Wir sind die richtigen Psychobillies.“ (K.) Die selbsternannte militante Szenepolizei, führte schließlich dazu, dass die Psychobillyszene immer kleiner wurde und sich viele Leute aufgrund der Gewaltsituation zurückzogen. Auch Leute, die sich durchaus wehren konnten, wie K. , wurde die Gewalt in der Szene zuviel. Durch die ständige Bedrohung von Gewalt auf Konzerten und der versuchten Spaltung durch die militante Wrecking Crew verloren viele Leute den Spaß daran, Psychobilly zu sein. Dies führte dazu, dass immer weniger Leute Psychobillykonzerte besuchten und so hatte sich die Szene gegen Ende der 90er Jahre im Ruhrgebiet fast selber zerstört. „So dass die Leute irgendwann keinen Bock mehr hatten. Das war dann auch irgendwie gekommen, dass das echt Überhand genommen hat. Aus meiner Sicht war Ende der 90er Jahre die Psychobillyszene auch tot. Weil keiner mehr Bock hatte. […] Aber damals war das schon, dass ich dann auch ne Zeit lang, ja zwei, zweieinhalb Jahre, auf gar keinem Konzert mehr war, weil die Szene auch tot war und auch keinen Spaß mehr machte, aufs Konzert zu gehen, ne?“ (K.) Auch L. zog sich Mitte der 90er Jahre aus der Psychoszene zurück. „Bis irgendwann, ja ich weiß es nicht mehr genau, irgendwann so in den 90ern, Mitte der 90er. Hatte ich dann auch n bisschen gar nicht mehr die große Lust und hab auch n bisschen andere Musik gehört.“ (L.) 90 Auf die Frage, ob sein Rückzug auch mit der Gewalt zu tun hatte, die in der Szene herrschte antwortete er: „Ja, das hatte auch damit zu tun.“ (L.) Die älteren Psychobillies haben den Konflikt zwischen Psychobilly und Punkabilly am eigenen Leib erfahren, bzw. die Gewalt und die Konfliktsituationen miterlebt. Diese Konflikte sind auch den jüngeren Psychobillies bekannt, allerdings schätzen sie die Situation heute als deutlich friedlicher ein. Dennoch gibt es immer noch Spannungen und die Fans der Meteors werden als aggressiv wahrgenommen. D. hat selber noch keine Konfliktsituationen erlebt, aber er weiß, dass es auch heute noch durchaus Spannungen gibt. „Es gibt auch Konfliktsituationen. So, wie ich mitbekommen habe, gibt es so richtig Oldschoolpsychobillies, die nur n paar Bands als wirklichen Psychobilly sehen. Und dann gibt’s einfach Stress mit denen. Aber sonst eigentlich total harmonisch.“ (D.) T. sind die Konflikte auch durchaus bekannt, allerdings vertritt er die Meinung, dass sich die Situation deutlich entschärft hat, und er persönlich noch keine Probleme in dieser Hinsicht hatte. Allerdings ist auch er der Meinung, dass auf einem Meteorskonzert durchaus Wachsamkeit gefragt ist, wenn man ein Demented Are Goshirt anhat. „Also mich betrifft das gar nicht. Ich kenn das auch aus Erzählungen von älteren Menschen, von älteren Psychos, dass es, war früher, in den 80ern, wohl ziemlich krass. […] ihre Wrecking Crew, das ist sozusagen der große Fankreis oder Fankreis der Meteors, dann wurden halt andere Bands so gut wie also an und für sich in den 80ern gar nicht akzeptiert. Das heißt, wenn man im Demented Are Go T-shirt auf n Meteorskonzert gegangen ist, dann halt man halt dick auf die Fresse bekommen. Heutzutage gut, also ich sag mal so heutzutage ist es ja alles viel lockerer. […] Aber heutzutage ist es meiner Meinung nach kein Problem mehr, wenn ne mit nem Dementedshirt auf n Meteorskonzert gehst. […] von den alteingesessenen Wreckingcrewmenschen wirste zwar dämlich angeguckt. Sollte man auch nicht unbedingt ins Wrecking Pit gehen. Also in den Pogo rein. […] Muss vielleicht n bisschen aufpassen. Aber ich glaub nicht, dass es noch so krass ist, wie früher. Definitiv nicht. Kann ich mir nicht vorstellen.“ (T.) D. antwortet auf die Frage, ob er denn Probleme mit anderen Psychobillies hat, wenn die andere Bands hören als er: „Nö, da hab ich gar keine Probleme mit.“ (D.) 91 Auch J. schätzt die Konfliktsituation als deutlich entspannter ein. Sie hört zwar selber gerne Meteors, doch kann sie mit der Wrecking Crew nichts anfangen. „Natürlich gibt’s immer noch diese militanten Meteorsanhänger, mit denen ich aber nicht viel anfangen kann. Die sind mir auch zu uniformiert. Die sehen für mich alle gleich aus. Und ich höre Meteors super gerne.“ (J.) In einem Psychobillyforum im Internet hat J. erlebt, dass es auch immer noch Meteorsanhänger gibt, die der Meinung sind, dass nur sie die echten Psychobillies sind. J. beeindruckt das allerdings nicht und sie hält diese Meinung für eine überholte. „Ich wurde schon öfters mal im Internet in diversen Foren natürlich angepöbelt, auf unterstem Niveau. Aber das find ich ist eher Kindergarten und das ist auch nicht mehr zeitgemäß.“ (J.) Der Grund für die Pöbeleien war J.’s Affinität zu Demented Are Go. „Weil ich, glaub ich, im Internet auf meinen Foren oder auf meinen Profilen, glaub ich eher so n bisschen zu Demented Are Go Stellung beziehe.“ (J.) J. ist auch der Meinung, dass eine Szene nicht nur aus einer Band bestehen kann. Sie findet diese Haltung lächerlich und auch von der Abkürzung o.t.m.a.p.p. (only the meteors are pure psychobilly) hält sie nicht viel. Sie schreibt den Meteorsfans auch heute noch eine hohe Aggressivität zu. „Ich find das auch albern, wie die heutzutage noch mit ihrem o.t.m.a.p.p. und dann in ihrem kleinen eingeschworenen Kreis und die sind ja auch ziemlich aggressiv auf Konzerten. […] Kann ich nur drüber lachen. Wenn eine Szene nur aus einer Band bestehen würde, dann wäre es glaub ich keine richtige Szene. Ne.“ (J.) Auch K. vertritt die Meinung, dass die Meteorsanhänger es übertrieben haben und es langweilig ist, wenn man nur eine Band hört. „Ich denke mal einfach, die haben das einfach n bisschen übertrieben, mit deren Meteorskult. Obwohl Meteors natürlich ne wichtige Band in der Psychobillyszene sind. Der Grundstein eigentlich auch. […] Gibt natürlich auch extrem Meteorsleute, die gehen wirklich nur zu Meteors oder so, ne? Was ich n bisschen nicht so toll finde, weil ist ja langweilig wird auf Dauer, ne?“ (K.) Auch hier bilden sich zwei Gruppen bei meinen Interviewpartnern. Die älteren Psychobillies L. und K. stellen die eine Gruppe, während die jüngeren Psychobillies T. , J. und D. , die zweite Gruppe darstellen. Während L. und K. wegen des eskalierenden Konflikts zwischen der Wrecking Crew und Punkabillyfans (Demented Are Go Fans im Speziellen), sogar die Szene für einige Jahre verlassen haben, bzw. gar 92 keine Szene mehr vorhanden war, erleben die Jüngeren eine friedlichere Subkultur. Bei einem Meteorskonzert geht es zwar immer noch wild und aggressiv zu: „Obwohl es teilweise auch heute, auch ab und zu mal, auf Meteors Konzerten mal schon mal so n bisschen herbe wird.“ (K.) Doch sind die Zeiten der eskalierenden Gewalt vorbei. Die jüngeren Psychos kennen alle die alten Konflikte, und hin und wieder tauchen auch Relikte dieser Fehde auf, wie z. B. bei der Bepöbelung von J. im Internet. Dennoch lässt sich festhalten, dass die Psychobillysubukultur friedlicher geworden ist und auf die Gründe dafür gehe ich im nächsten Unterpunkt ein. Die Psychobillysubkultur ist älter und ruhiger geworden „Früher haste nicht so direkt nachgefragt. Man hat einfach mal draufgehaun, ne?“ (K.) L. sieht die wilde Vergangenheit der Psychobillyszene mit Humor und vertritt die Meinung, dass es damals so viel Gewalt gab, weil es sich um eine Jugendsubkultur gehandelt hat. „[…] weiß nicht, heutzutage kann man mehr oder weniger darüber lachen. Heutzutage gibt’s das alles nicht mehr. Heute ist mehr Spaß in der Szene. Und ja, diese Gewalttätigkeiten. Ich mein, damals war das auch mehr ne Jugendsubkultur. Waren ja alles auch jüngere Leute. Und vielleicht lag das auch so n bisschen daran, dass das halt heutzutage zurückgegangen ist. Heutzutage sind ja auch viele Leute dabei, die n bisschen älter, n bisschen ruhiger sind. Und ja diese Gewalttätigkeiten gibt’s jetzt mittlerweile eigentlich gar nicht mehr.“ (L.) Auch K. sagt, dass er mit einem gewissen Alter ruhiger und friedlicher geworden ist, genau wie die Wrecking Crew. „Na gut, die Wrecking Crew sind auch älter geworden. Ruhiger geworden. Ich bin ja auch ruhiger geworden, ne? Wie gesagt. Was weiß ich? Gott sei Dank. Bin ich heute froh. Keine Schlägereien mehr gehabt und so. Man wird halt ruhiger.“ (K.) Der Spaß steht heute ganz klar im Vordergrund und K. vermutet, dass die Wrecking Crew lieber in Ruhe die alten Bands sehen will, die heute nach langer Pause wieder auftreten. „Und vielleicht haben die Leute auch einfach gemerkt, dass es einfach mehr Spaß macht, einfach nur aufs Konzert zu gehen und einfach Spaß zu haben. […] Viele Leute kommen dahin, weil da auf einmal wieder alte Bands spielen. Viel93 leicht sagen sich die Wrecking Crew Leute, sagen, man wir haben jetzt noch die Chance, die alten Bands noch mal zu sehen und gehen einfach mal wieder hin.“ (K.) Neben den alten Bands, könnten auch veränderte Familienverhältnisse eine Rolle spielen. „Ich denke, auch halt älter geworden sind. Reifer. Viele sind auch Familienväter mittlerweile. Ich kenn auch einige.“ (K.) Während die Wrecking Crew Germany früher in größeren Gruppen mit entsprechenden T-shirts aufgelaufen sind, trifft man die Mitglieder dieser Fraktion heute eher vereinzelnd und ohne Wrecking Crew Shirt auf Konzerten an. „Die treten halt nicht mehr in so großen Gruppen auf, auch wie früher. Und ihre TShirts haben sie wahrscheinlich auch irgendwo an den Nagel gehängt, woran man sie früher erkannte hatte. Und die sind auf jeden Fall alle älter und ruhiger geworden. Da ist gar kein Stress mehr mit denen. Ne. Ne.“ (L.) K. räumt auch ein, dass die Psychobillyszene ein hohes Aggressionspotential hatte und die Hemmschwelle für Gewalt nicht so hoch war. „Natürlich, da war dann, früher warste jung und frisch und frei und fröhlich und hast auch mal was kommen lassen, wenn er unbedingt brauchte, ne? Früher haste nicht so direkt nachgefragt. Man hat einfach draufgehaun, ne? […] Dann wurd halt auch mal, wenn dir einer blöd kam, wurde der halt weggekickt und so, ne? Und man war, ich sag mal ganz ehrlich, da schon schneller bei als heute. Also ich finde die Psychobillyszene ist ruhiger. […] Ich denke auch das Potential von den Psychobillies war aggressiver war n bisschen aggressiver, früher als heute.“ (K.) Auch L. sieht es so, dass der Spaßfaktor im Vordergrund steht und die Psychobillysubkultur friedlicher geworden ist. „Ja, die Szene heute ist auf jeden Fall deutlich friedlicher. […] Damals ging es schon nicht, das was weiß ich, z.B. Meteors und Demented auf einem Konzert gespielt hätten oder so. Da wäre schon übel gewesen. Heutzutage ist das alles total locker und ja, es ist heute einfach nur Spaß, ne?“ (L.) Auch J. gefällt die Atmosphäre der heutigen Psychobillyszene. „Aber sonst empfinde ich es immer als ganz lässig, locker, nett.“ (J.) T. hält Psychobilly auch für eine friedliche Subkultur. „Meiner Meinung nach spielt da die Gewaltrolle ne recht kleine, aus meinen persönlichen Erfahrungen.“ (T.) D. antwortet auf die Frage, ob er die Psychobillyszene für aggressiver hält als andere Subkulturen: „Ne, würd ich nicht.“ (D.) 94 Auch für Außenstehende ist es heute kein Problem mehr auf einem Psychobillykonzert zu erscheinen. Szeneneuling D. antwortet auf die Frage, ob Außenstehende Gefahr laufen, Opfer von Gewalt auf Konzerten zu werden: „Also eigentlich nicht. Ne. Sieht wahrscheinlich für n Außenstehenden schon n bisschen komisch aus, so wenn er da reinkommt, die ganzen Leute im Wrecking Pit. Natürlich, da denkt er auch schon. Aber eigentlich wird ihm niemand was tun, weil die Leute super nett sind.“ (D.) Auch K. erlebt die heutige Szene als angenehmer und entspannter. „Und wie gesagt, auch dadurch, das sich das jetzt n bisschen, das im Laufe der Jahre verändert hat. Das auch andere Leute dahingehen mittlerweile und einfach der Spaß nur noch im Vordergrund steht, find ich das heute n bisschen so angenehmer.“ (K.) Allerdings vermisst K. den Respekt, den die Leute früher vor Psychobillies hatten und die Verschworenheit der kleinen, aber schlagkräftigen Subkultur. „Aber früher war es auch nicht schlecht, muss ich sagen. Weil du so n bisschen verschworener warst. Früher hatten die Leute schon Respekt vor Psychobilly. Find ich heute nicht mehr ganz so.“(K.) L. empfand seine Zeit als junger Psychobilly spannender als heute. „Ja, spannender war natürlich früher, weil man ja nie wusste, ob man nicht von der Wrecking Crew mal eben n blaues Auge gezogen kriegte oder so. […] Ja und man war jünger. Man hatte kein Auto. Man ist dann auf gut Glück einfach mal auf irgendwelche Festivals nach Belgien gefahren. Das war natürlich schon ne abenteuerlichere Zeit als heutzutage.“ (L.) 4.3.3. Wie verhält es sich mit dem Geschlechterverhältnis in der Psychobillysubkultur? „Die Frauen heutzutage, so find ich so, haben ganz schön aufgeholt.“ (K.) Frauen in der Psychobillyszene haben sich im Gegensatz zu früher auch verändert. Frauen trugen in den 80er Jahren, genau wie die Männer Flats, Bomberjacken und Stiefel. Die weiblichen Psychobillies treten heute viel femininer auf und haben sich modisch an der Rockabillyszene orientiert. Doch nicht nur das Outfit hat sich verän- 95 dert, sondern auch Auftreten der Frauen in der Szene. Sie agieren viel selbstbewusster. Veränderung des Outfits In den 80er Jahren gab es noch nicht so viele Merchandiseartikel und szenetypische Kleidung in der Psychobillyszene und so sahen die Frauen fast so aus wie die Männer. „Die haben mächtig aufgeholt, was so Sachen Outfit angeht. Ich kann mich erinnern, an ne Zeit, wo es bei mir los ging, da sah ne Frau eigentlich aus wie der Kerl. Von den Klamotten und meistens auch von der Frisur. Also ich hatte ja auch ne Freundin, die hatte auch n Flat, die hatte auch ne Bomberjacke und ne Domestoshose. Von hinten sahen wir aus wie zwei Männer und die haben uns alle für schwul gehalten.“ (K.) Das Outfit ist heute wesentlich femininer, extravaganter und körperbetonter. „Wie gesagt, früher Frau, hatte meine Freundin, z.B. hat früher auch n Flat getragen. Und wenn man so mal von hinten oder von der Seite, dachte man das wäre n Mann vom Outfit einfach. Heute kann man auf jeden Fall n Unterschied sehen. Und heute viel gewagter, das Outfit der Frauen.“ (K.) „Was ich noch sagen muss, noch dazu, dass sich das Outfit der Frauen verändert hat. Früher in den 80ern, da liefen da halt mehr so rum, wie die Kerle halt auch, mit Flat und Domestosjeans. Und jetzt ist halt n bisschen mehr schwarz angesagt. So n bisschen Lack und Leder teilweise auch.“ (L.) Auch J. weiß aufgrund von Fotos, wie die Frauen in den 80er Jahren, in der Psychobillysubkultur aussahen. Auch sie kann eine deutliche Veränderung erkennen. „Die Leute sahen bisschen uniformierter aus, mit ihren Domestosjeans und Boots und keine Ahnung, Shirts oder Hemden, Bandshirts, Flats und auch die Frauen sahen n bisschen mehr unisex aus. Ich hab das Gefühl, dass die Frauen, mittlerweile n bisschen bunter, n bisschen femininer aussehen. Sich auch n bisschen mehr an die Rockabillyszene orientiert haben, mit den Frisuren und den Kleidchen.“ (J.) Allerdings betont J. , dass die Psychobillyfrauen sich dennoch von den Rockabillyfrauen vom Outfit und dem Auftreten unterscheiden. Auf die Frage, ob beim Style die Grenzen zwischen Psychobilly und Rockabilly verschwinden, antwortet sie: „Es verschwimmt ein bisschen ineinander. Wenn’s jetzt unsichtbar wäre. 96 Wenn ich sagen würde, es würde unsichtbar werden, könnte ich mich selbst nicht mehr ernst nehmen.“ (J.) Zudem betont J. auch den Punkeinfluss im Outfit der Psychobillies. „Ne, wir, ich denke schon, dass wir noch herausstechen. Vor allem wir als Frauen. Weil einfach bunter, wir sind wohl auch gepiercter, tätowierter und irgendwo auch punkiger. Natürlich ja.“ (J.) Auch K. ist der Meinung, dass Tätowierungen in der Psychobillyszene deutlich zugenommen haben. „Was auch aufgefallen ist, wenn man das mal beobachtet, im Gegensatz zu früher. Früher siehste mal da, hat der ein mal ein oder zwei Tattoos. Ne Frau hatte vielleicht mal eins. Und heute sind selbst die Frauen, haben selbst da die Männer da teilweise überholt, wenn man sich das mal anguckt.“ (K.) Selbstbewusstsein von Frauen in der Psychobillyszene Auch das Selbstbewusstsein der Frauen in der Psychoszene hat sich weiterentwickelt. Während die Frauen früher mehr am Rand vom Konzert standen, mischen sie heutzutage sogar im Pit mit. „Also wenn ich heutigen Frauen sehe, die in der Szene sind, sind viel selbstbewusster schon mal. […] Früher haben die Frauen halt mehr so ringsum gestanden. […] Die Frauen heutzutage so find ich so, haben ganz schön aufgeholt. Die zeigen auch schon richtig. Die haben auch ihre eigene Entwicklung genommen, find ich in der Szene. […] Die treten auch viel selbstbewusster auf. Die stehen nicht nur in der Ecke rum. Gehen auch, ich habe auch mittlerweile auch viele gesehen, die auch ab und zu mal mit in den Pit reingehen. Doch muss ich sagen, die Frauen haben ganz schön aufgeholt.“ (K.) Auch D. erlebt die Psychobillyfrauen als sehr selbstbewusst. „Die sagen auf jeden Fall ihre Meinung und lassen sich gar nichts erzählen. Die sind knallhart. Da kannste einstecken, wenn so ne Psychobillyfrau, ja wenn sie dich auf dem Kieker hat, kannste direkt gehen.“ ( D.) Eintritt in die Psychobillyszene, Partizipation und Emanzipation Frauen kommen auf der einen Seite aus eigenem Interesse zu den Konzerten und auf der anderen Seite gibt es auch weibliche Psychobillies, die durch ihren Freund in die Szene gekommen sind. K. sieht auch hier eine Veränderung. Er ist der Meinung, dass heute mehr Frauen von sich aus die Konzerte besuchen. „Früher haste oft, denk ich mal, die Freundin mitgenommen, wenn die die Musik gut fand, ist sie dann mitge97 gangen. Und heute haste doch schon ne eigene Anzahl von Frauen, die nicht nur dahingehen, weil der Freund dahingeht, sondern einfach, weil sie selber dahin wollen. […] Es gibt viele Frauen, die auch keinen Freund haben, aber trotzdem ständig auf irgendwelchen Festivals rumgammeln. Und einfach Spaß an der Sache haben. Doch muss ich sagen.“ (K.) D. hingegen vertritt die Meinung, dass Frauen in erster Linie durch ihren Freund auf die Psychobillyszene aufmerksam werden. „Also ich denke eher, Frauen kommen in die Psychobillyszene durch ihren Freund. Wenn sie n Freund haben, der ist Psychobilly, kommen die dann so langsam in die Psychobillyszene.“ (D.) L. glaubt auch, dass es zwei Typen von Frauen in der Psychobillyszene gibt. „Ja, zu den Gründen, warum Frauen dabei sind. Es gibt mit Sicherheit viele, die Musik gerne hören. Aber es gibt auch welche, die das machen, weil der Freund dabei ist. Das gibt’s mit Sicherheit auch, ne? Ich denk mal, es gibt beides.“ (L.) J. denkt, dass es individuell von den Personen abhängt, wie man zur Psychobillysubkultur kommt. Ebenfalls vertritt sie die Meinung, dass die meisten Leute allgemein aus einer anderen Subkultur kommen, bevor sie Psychobilly werden. „Zu dem, wie man dazu kommt, das ist glaub ich, sehr abhängig von den Personen. Die Leute, die ich kenne, die Frauen, die ich kenne, haben das alles aus eigenen Stücken gemacht. Und sind durch andere Subkulturen dazu gekommen. Das ist ja meistens so. Man kommt ja nicht von Anfang an in die Psychobillyszene, weil die halt nicht so Mainstream ist. Sicher gibt’s immer Frauen, die sich irgendwie mitreißen lassen, leider, warum auch immer, und auf diesen Zug mit aufspringen, weil ihr Freund irgendwie macht.“ (J.) J. hält die Rolle der Frau im Psychobilly für emanzipiert und sieht es so, dass Frauen denselben Status haben wie Männer und keinen speziellen, wie z.B. in der Skinheadszene. „Und was wir zu sagen haben, in der Szene, ist glaub ich recht offen, also nicht so wie in der Skinheadszene. Wo die Frau eher untergeordnet ist, vielleicht n falsches Wort. Ne eigene Rolle spielt. Und wo auch dieser ganze Hype, diese Renee Skingirlszene, so ganz speziell ist. So was gibt’s bei uns nicht. Ne.“ (J.) Auch T. ist der Ansicht, dass Frauen genau so behandelt werden wie die Männer und nicht untergeordnet werden. „Aber jetzt auch zur Geschlechterrolle gesehen, also ich kenn das jetzt gar nicht so, von wegen ja, Frau halt die Klappe und keine Ahnung. Du hast nichts zu melden. Ist meiner Meinung nach definitiv gleichberechtigt. Also 98 ich kenn da jetzt irgendwie so was wie aus schlechten Filmen z.B., dass die Frauen nix zu melden haben. Das ist Blödsinn, meiner Meinung nach.“ (T.) Auch L. antwortet auf die Frage, ob die Psychobillyszene emanzipiert ist: „ Ja. Ja, würd ich sagen.“ (L.) Im Gegensatz zu früher gibt es heute auch immer mehr Psychobillybands, in denen Frauen mitspielen oder gar alle Bandmitglieder Frauen sind (z.B. bei „Brigitte Handley und the Dark Shadows“ aus Australien oder „Thee Merry Widows“). Es gibt auch sehr populäre Bands wie „the Creepshow“ und „Horrorpops“, die weltweit viel Erfolg haben und eine weibliche Sängerin haben. Bands, die ebenfalls weibliche Sängerinnen, bzw. Mitglieder haben sind z. B. „Mad Marge and the Stone Cutters“, „Rat Monkeys“, „Kitty in a Casket“ und „Nekromantix“. Frauen sind also nicht nur emanzipiert, sondern sie gestalten die Szene aktiv mit. „Ja die werden auf jeden Fall ernst genommen und sind auch aktiv. Also es gibt ja mittlerweile im Gegensatz zu früher auch Bands, wo Frauen singen oder die nur aus Frauen bestehen. Das gab’s halt auch früher nicht so in dem Maße. Und die sind auf jeden Fall aktiv und akzeptiert und mit dabei. Ja. Ja.“ (L.) Frauenanteil in der Psychobillysubkultur Trotz der Partizipation und Emanzipation, ist Psychobilly dennoch eine männerdominierte Szene, wie die meisten Subkulturen. Das genaue Verhältnis von Frauen zu Männern kann man schlecht bestimmen und so gehen auch die Aussagen meiner Interviewpartner deutlich auseinander. D. sieht Frauen ganz klar in der Minderheit. Vielleicht liegt es daran, dass er größtenteils auf die Proberaumpartys seines Bruders geht, der in einer Psychobillyband spielt. Vielleicht ist das Frauenverhältnis auf diesen Partys ziemlich klein. „Wenn man so n Verhältnis sagen müsste, dann kommt auf zehn Männer eine Frau. Und das ist wahrscheinlich schon hoch gesetzt. Also es gibt sehr wenig Frauen.“ (D.) K. macht keine Angaben zum Zahlenverhältnis, aber er glaubt, dass es heute mehr Frauen in der Szene gibt. „Frauen sind mehr geworden im Gegensatz zu früher.“ (K.) T. sieht die Männer in der Überzahl. „Es ist natürlich n bisschen männerdominiert. […] Es gibt zwar schon n bisschen weniger Frauen als Männer.“ (T.) Auch L. kann kein genaues Verhältnis benennen. „Das ist ne sehr gute Frage. Das ist ne sehr gute Frage. Das kann ich jetzt gar nicht so wirklich beantworten. […] 99 Weiß ich nicht. Vielleicht n Drittel oder was? Das ist jetzt wirklich sehr grob geschätzt jetzt, ne? Ich kann’s wirklich nicht so genau sagen.“ (L.) J. schätzt die Frauenquote am optimistischen ein, ist aber unzufrieden mit dem Frauenanteil und wünscht sich noch viel mehr Frauen in der Szene. „Klar sind die Frauen in der Unterzahl. Spricht nicht gerade für uns. Leider. Ja, 60:40 so. Also, 60 % Männer. 40% Frauen vielleicht. […] Ja also, klar mehr als in der Skinheadszene, aber es sind trotzdem noch viel zu wenig Frauen find ich.“ (J.) 4.3.4. Gehört die Psychobillysubkultur zu den Rockabillies oder handelt es sich um eine autonome Szene? Gemeinsamkeiten mit der Rockabillyszene Die Psychobillies sind sich ihrer Wurzeln, die neben Punk auch im Rockabillybereich liegen, absolut bewusst. Die älteren Psychos sind sich einig, dass es ohne Rockabilly keinen Psychobilly geben würde. „Also klar ist man irgendwo verwandt. Weil der Backround. Ohne Rockabilly würde es auch keinen Psychobilly geben, ne?“ (K.) „Na also, ich denk mal so schon ohne Rockabilly kein Psychobilly, ne? Ist schon ne Mischung aus Rockabilly und Punkrock.[…]Sicherlich ist Rockabilly n wichtiger Einfluss. Weil ohne Rockabilly würde es den Psychobilly gar nicht geben.“ (L.) Psychobillies hören auch durchaus gerne Rockabilly. „Es gibt guten Rockabilly, den ich auch total gerne höre.“ (K.) Auch die jüngeren Psychos hören gerne alten Rock’n’Roll bzw. Rockabilly. „Klar, hab ich auch ne Stray Cats Platte in meinem Plattenkoffer drinne […].“ (J.) „Ich hör zwar gerne 50ties. 50er Jahre hier, was weiß ich. Eddie Cochran, Vince Taylor und die ganzen alten Chaoten da. Das fand ich schon richtig geil. Also guter alter Rock’n’Roll. Das höre ich unheimlich gerne.“ (T.) Auch D. findet Rockabilly gut. „Ich find Rockabilly geil.“ (D.) Auch im Kleidungsbereich gibt es Überschneidungen der beiden Subkulturen. „Und wir Frauen, wie ich schon am Anfang gesagt habe, orientieren uns wohl mittlerweile an was Femininerem und auch bisschen optisch in der Rockabillyszene.“ (J.) 100 So sagt auch D. , dass viele Symbole, die Psychobillies als Aufnäher tragen, deutlich von Rockabilly beeinflusst sind. „Bands, eiserne Kreuze und alles was so Rockabillymäßig ist: Karten, Schädel...“ (D.) Das sieht J. genau so. „Oder halt so Sachen, die aus der Rockabillyszene rüberkommen: Eightballs, Kirschen und so Faxen.“ (J.) Doch trotz Überschneidungen in der Mode, den musikalischen Wurzeln und der Sympathie für gewisse Rockabillybands, grenzen sich meine Interviewpartner ganz bewusst von der Rockabillyszene ab und sehen Psychobilly als eigene Subkultur bzw. eigene Musikszene. Unterschiede zu den Rockabillies „Aber mit dem heutigen Rockabilly kann ich persönlich nicht viel mit anfangen. Das ist mir einfach zu weich, das ist mir zu lahm und zu langweilig.“ (T.) Trotz der oben aufgeführten Gemeinsamkeiten und Parallelen, sehen meine Interviewpartner deutliche Unterschiede zwischen den verwandten Subkulturen. Psychobilly wird als wildere, heterogenere, abwechslungsreichere Subkultur erlebt, die sich von den Rockabillies deutlich unterscheidet, im Style, in den Texten und auch in der Musik selber. T. empfindet Rockabilly als zu weich und zu langweilig. Zudem kann er mit den Texten von Rockabillybands nichts anfangen. „Ganz ehrlich gesagt, Rockabilly spielt für mich nicht eine besonders große Rolle. […] Aber mit dem heutigen Rockabilly kann ich persönlich nicht viel mit anfangen. Das ist mir zu weich, das ist mir zu lahm und zu langweilig. Weil ich beschäftige mich nicht damit, dass ich mein Baby von der Highschool in nem Cadillac abhole. Ich steh halt mehr halt so auf den Horrorbereich und das schon immer.“ (T.) Auch J. ist Rockabilly nicht wild genug und sie empfindet die Rockabillies als bieder. „Klar hab ich auch ne Stray Cats Platte in meinem Plattenkoffer drinne, hör das auch gelegentlich, aber an sich ist mir das zu langsam und die Szene ist mir auch zu eingeschlafen und zu brav und zu schick und. Also die Entwicklung in der Rockabillyszene momentan find ich auch ganz komisch.“ (J.) Auch K. ist Rockabilly nicht abwechslungsreich genug und er bemerkt eine gewisse Monotonie in der Musik, während er bei Psychobilly die viele Abwechslung und die unterschiedlichsten Einflüsse schätzt: „Im Unterschied, im Gegensatz zu Rockabilly, 101 kenn ich eigentlich, kann ich nicht sagen, dass sich irgendeine Band gleich anhört. Rockabilly hört sich auf eine Art und Weise immer gleich an. Das wiederholt sich irgendwie alles. Aber Psychobilly, jede Band ist anders. Jede Band spielt den Psychobilly anders. Und hat n anderen Sound und Psychobilly kannste viel mehr reinpacken. [...] Rockabilly das ist immer eine Schiene. Immer straight away –eine Schiene. […] Weil die Leute sich in der Psychobillymusik, find ich, eigentlich das wiedergeben können, richtig, ohne an irgendwelche Limits. Bei Rockabilly biste immer an irgendwas gebunden. Ja, da hast halt diesen 50ties Style, Rockabilly, ne? Und in den Texten geht’s immer um Autos, um Frauen, 50er Jahre und cool sein […].“ (K.) Wie man oben erkennt, schätzt K. es auch, dass es bei Psychobilly keine Regeln gibt, die beachtet werden müssen. Psychobilly setzt sich über Grenzen hinweg, musikalisch, als auch moralisch. T. mag die dunkle Seite von Psychobilly. Rockabilly ist ihm zu lieb. Das Böse was in Psychobillytexten verarbeitet wird, fasziniert ihn. „Aber für mich ist halt Psychobilly dieses Böse. Für mich muss es böse sein, Psychobilly und deshalb kann ich mit diesem, sag ich mal, eher schönen Rock’n’Roll oder Rockabilly nicht so viel anfangen, weil ich mehr auf diese bösen Sachen stehe. Kommt für mich halt geiler und krasser rüber und da krieg ich mehr Gänsehautgefühl dabei.“ (T.) D. sieht Psychobilly auch als selbstständige Subkultur an und antwortet auf die Frage, ob Rockabilly ihn beeinflusst hat: „Eher nicht. Ich find Rockabilly geil. Aber es war auf jeden Fall nicht der Grund, warum ich Psychobilly geworden bin.“ (D.) Er sieht auch Unterschiede in der Musik: „Ist ne ganz andere Musikrichtung. Also, was heißt ganz anders? Aber ist schon anders.“ (D.) D. hält die Psychobillyszene autonom von der Rockabillyszene und antwortet auf die Frage, ob Psychobilly definitiv selbstständig wäre: „Ja, auf jeden Fall.“ (D.) Auch J. und L. tendieren in dieselbe Richtung. Beide erwähnen auch die Figurationen, die sich zwischen Psychobilly und anderen Subkulturen gebildet haben. „Was heißt eigene Szene? Wir korrespondieren ja schon mit anderen Szenen. Aber an sich ist es schon ne eigene Musik, ne eigene Szene, eigene Leute. […] Wie wir aussehen, ist ja auch n bisschen eigen. Klar ist es n bisschen punkig mit und natürlich auch mit den Frisuren, abgewandelt von der Rockabillyszene und umgekrempelte Jeans und solche Faxen. Doch dich denk schon, dass das n eigenes Ding ist.“ (J.) 102 „Ja, ich würd auf jeden Fall sagen, dass es ne eigene Szene ist. […] Was jetzt heutzutage der Fall ist, dass es vielleicht immer mehr so n bisschen zusammenwächst, weil wie gesagt, das Bands dieser beiden Musikrichtungen zusammen auftreten, was es damals nicht gab. Aber ist schon ne eigene Szene noch. Auf jeden Fall, würd ich doch sagen. Ja.“ (L.) K. hat über die Jahre, die vielen Veränderungen in der Psychobillysubkultur gesehen und ist der Meinung, dass sich Psychobilly klar von den Rockabillies getrennt und sich im Laufe der Jahre zu einer eigenen Subkultur entwickelt hat. „Dann die Abspaltung von Rockabilly ging ja dann los, allein schon durch das Outfit. Das die Musik auch schon. Also wenn man das mal vergleicht, mal n Rockabilly anhört und n Psychobilly, schon n Unterschied erkennbar ist. Ich find im Laufe der Jahre ist das ne richtige Subkultur geworden, ne?“ (K.) Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass alle 5 Interviewpartner Psychobilly als eigenständig sehen und Rockabilly als eine andere Subkultur betrachtet wird. Ob Psychobilly ein eigener Lebensweg bzw. eine Lebenseinstellung ist oder nur eine Musikszene, darauf werd ich im nächsten Abschnitt eingehen. Psychobilly als Lebensstil bzw. Lebensweg „Ich kann mir n Leben ohne Psychobilly nicht vorstellen. Ich lebe das.“ (K.) Psychobilly ist für viele Psychos nicht nur eine Musikszene, sondern auch eine Subkultur, die den Lebensweg bestimmt. Bei meinen Interviewpartnern haben sich zu diesem Thema zwei Gruppen herauskristallisiert. D. ist noch nicht so lange Psychobilly und weiß noch nicht, ob Psychobilly in ferner Zukunft noch eine so große Rolle für ihn spielen wird, wie jetzt. „Also für mich, ich denke momentan, ich kann ja nur von momentan sprechen. Momentan bin ich Psychobilly aus Herzblut. Solange ich jetzt bin, möchte ich Psychobilly sein. Natürlich kann man in zehn Jahren denken: Ach du Scheiße! Was hast du da gemacht? Aber momentan möchte ich sehr, sehr gerne Psychobilly sein.“ (D.) J. sieht in Psychobilly eher eine Musikszene und für sie ist es keine Subkultur und auch kein Lebensstil, da die Szene viele zu klein ist und es viel zu wenig Psychobillies gibt. „Schwer zu sagen. Ich kann das nur für mich selber beurteilen. […] Ja, ne Musikszene. Und dafür ist die Szene auch gerade in Deutschland viel zu 103 klein. Grad hier in Hessen. Hier gibt es praktisch keine Szene. […] Wir sind vielleicht grad in Darmstadt so 5-10 Leute, wo ich sagen könnte, gut, die stehen da hinter dem Psychobillyding. Aber wir sind keine eigene Subkultur. Ne. Empfinde ich hier einfach nicht so.“ (J.) Ebenso weiß J. nicht, ob sie in einigen Jahren noch Psychobilly ist. Das ist ihr allerdings auch nicht so wichtig. Sie denkt aber schon, dass sie auch weiterhin Psychobilly hören wird. „Und für mich persönlich, ob ich jetzt mich immer als Psychobilly sehen würde, das weiß ich nicht. Das finde ich auch, muss man auch nicht. Ich werd es aber immer hören. Weil mich die Musik einfach immer reizt.“ (J.) T. , K. und L. bilden die zweite Gruppe. Für diese Drei hat Psychobilly eine wichtigere Bedeutung im Leben. Hier kann man teilweise von einer Ersatzreligion sprechen, da Psychobilly eine so zentrale Rolle im Leben einnimmt. Bei K. zumindest, aber auch L. und T. sehen in Psychobilly einen subkulturellen Lebensweg. „Das hat schon so subkulturellen Charakter. Es gehören auch andere Sachen außerhalb der Musik dazu. Auch die die Klamotten, die man trägt oder so. Wie gesagt, die Sache mit den Horrorfilmen. Denk ich schon, dass das ja schon ne richtige Subkultur, ne eigene ist. Das auf jeden Fall. Ja.“ (L.) T. differenziert auch zwischen Leuten, die Psychobilly als Lebensseinstellung sehen und Menschen, die einfach nur die Musik gerne hören. „Es ist auf jeden Fall n Lebenseinstellung. Definitiv! Also zumindestens für die Meisten. Gibt natürlich auch viele Leute, die halt die Musik nur toll finden. […] Also im Prinzip es ist, schon als Lebensstil anzusehen. Wenn du es so siehst. Auf jeden Fall. Definitiv!“ (T.) Für K. bedeutet Psychobilly noch mehr. Für ihn ist Psychobilly schon existenziell. „Ich kann mir n Leben ohne Psychobilly nicht vorstellen. Ich lebe das! Ich lebe danach auch. Ich möchte anders sein! Ich zeig das auch! Seitdem ich dabei bin, habe ich es immer geschafft, auch beruflich so zu sein, wie ich bin und auch immer dazu gestanden. Also ich habe das Glück, dass ich in meinem Job, meine Frisur behalten kann. Mein Äußeres behalten kann. Manche können es nicht, ne? Jobmäßig halt, ne? […] Ich brauche es einfach! Ich muss einfach aufs Konzert gehen und unter den Leuten sein! Ich muss die Musik hören! Ich muss Spaß haben! Ich muss rocken! Ich will so aussehen! Ich will so sein! Ja, ich finde schon. Und viele Leute denke auch so. […] Doch mein Leben bestimmt’s und ich kenn viele Leute, wo es auch tut.“ (K.) Für manche Leute ist Psychobilly weit mehr als nur eine Musikszene. Das ganze Leben wird nach Konzerten, Festivals und diesem Lebensstil ausgerichtet. Einige 104 Leute müssen sich aufgrund des Berufs, den sie ausüben, von einer extremen Frisur trennen, während Leute wie K. , auch in ihrem Beruf zu ihrer Subkultur stehen. Altern in der Psychobillysubkultur „Und ich denke, ich selber, persönlich, mach das solange, bis ich kaputt bin.“ (K.) L. und K. haben beide die 40 überschritten und sind immer noch Psychobillies. Was für beide als Jugensubkultur begann, ist für sie zu einem Lebensweg geworden. Psychobilly ist also keine Jugendsubkultur. Auch wenn jüngere Leute wie J. und D. dazu stoßen. Während J. und D. sich nicht sicher sind, ob sie Psychobillies bleiben, steht das für T. außer Frage, da er sich nicht vorstellen kann, sich die nächsten Jahre drastisch zu verändern. Er antwortet auf die Frage, ob er sich auch in Zukunft vorstellen kann, ein Psychobilly zu sein: „Ja, natürlich. 100%ig. Auf jeden Fall. Ich bin jetzt 25. Ich bin zwar noch ein kleines Kind, aber ich denk mal nicht, dass ich mich noch großartig in den nächsten 10, 20 Jahren ändern werde. Zumindest nicht von der Musik her. […] Aber das wird sich bei mir, so wie ich jetzt hier sitze, definitiv die nächsten Jahre nichts mehr ändern.“ (T.) Auch L. trifft immer wieder Leute auf Konzerten, die noch älter sind als er. Auch viele berühmte Mitglieder von Psychobillybands gehen auf die 50 zu, wie z.B. Peter Paul Fenech, der Sänger von den Meteors. Die Meteors veröffentlichen immer noch sehr fleißig neue CD’s. Viele Bands, die sich in den 80er Jahren gegründet haben, spielen noch immer live und nehmen neue CD’s auf, wie z.B. „the Quakes“, „Frantic Flintstones“, Demented Are Go, „Guana Batz“ etc. . Daher ist auch L. der Meinung, dass man als Psychobilly durchaus alt werden kann und er trifft auch immer wieder Leute auf Konzerten, die ebenso wie er, in den 80er Jahren schon dabei waren. „Also man trifft schon Leute, die man, was weiß ich, seit Jahren nicht gesehen hat und trifft man dann wieder. Das ist schon so. Das ist, ich denk mal, es gibt viele, die von früher noch dabei sind und auch einige Jüngere. Ja, das ist schon so. […] Man kann da auf jeden Fall alt werden. Es ist ja mittlerweile auch so, wenn du auf Festivals gehst, haste ja auch Leute da, die auf jeden Fall noch älter als ich sind, sag ich mal so. Und die sind auf jeden Fall auch noch dabei. Sind halt auch n bisschen ruhiger geworden.“ (L.) 105 Ähnliche Erfahrungen hat auch K. gesammelt. K. kennt auch viele Psychos, die nach Jahren zur Szene zurückgekommen sind, weil ihnen etwas in ihrem Leben gefehlt hat. „Ich hab jetzt also, viele Leute wieder kennen gelernt, die wieder zurückgekommen sind, weil sie irgendwo was vermisst haben in ihrem normalen Leben. Haben gemerkt, im Psychobilly ist irgendwas, was ich brauche ja? […] Ich hab jetzt viele Leute über die ganzen Jahre kennengelernt, die ich immer wieder getroffen habe. Die mittlerweile auch mein Alter sind, aber sind immer noch Psychobillies. Vielleicht nicht mehr so ganz so extrem vom Äußeren. Aber die sind immer wieder da.“ (K.) An dieser Äußerung kann man feststellen, dass es viele Leute gibt, die schon früher in der Psychobillysubkultur waren und sich wahrscheinlich wegen ihres Berufes vom Aussehen verändert haben, aber im Inneren immer noch überzeugte Psychobillies sind. Das zeugt auch von einer großen Verbundenheit zur Psychobillysubkultur. Die Frage, die sich einem stellt, wenn man von den Psychobillies liest, die nach Jahren zur Szene zurückgekehrt sind, ist, was genau das Besondere beim Psychobilly ist, was die Leute immer wieder anzieht? Bei meiner letzten Hauptfrage versuche ich verständlich zu machen, was die Leute an Psychobilly so fasziniert und was den Spaß ausmacht. K. und L. werden der Szene so lange treu bleiben, wie es ihnen die Gesundheit erlaubt. „Und ich denke, ich selber, persönlich, mach das solange, bis ich kaputt bin. Weil das ist einfach mein Ding. Das macht mir Spaß und ich steh dazu […].“ (K.) „Und ich selber, ja, solange ich kann und noch fit bin, und werd ich auch weiter an solchen Veranstaltungen teilnehmen und die Musik auch weiter hören. Ja.“ (L.) 4.3.5. Wie ist das Verhältnis zu anderen Subkulturen? Wie ich weiter oben schon geschildert habe, hatte die Psychobillysubkultur in den 80er Jahren massive Probleme mit anderen Subkulturen, wie z.B. der Punk- und Rockabillyszene. Zudem war Psychobilly sehr verschlossen. Es kamen fast nur Psychobillies zu Psychobillykonzerten, so dass eine Öffnung zu anderen Subkulturen kaum möglich war. Zudem hatten die Psychobillies einen gewalttätigen Ruf, da sie auf die Verwechslungen und Angriffe der Gesellschaft mit reaktiver Gewalt antworteten und so potentiell interessierte Menschen aus anderen Subkulturen abschreckten. Da die Gesellschaft aber toleranter geworden ist und auch die Psychobillyszene älter und friedlicher ist, kommt es zu immer mehr Figurationen mit anderen Subkulturen. 106 Heute spielen Psychobillybands zusammen mit Rockabillybands und Punkbands. Psychobillykonzerte sind auch keine reinen Psychokonzerte mehr, sondern ziehen ein gemischtes Publikum an, welches sich aus allen Spektren der Subkulturen zusammensetzt, ebenso wie aus „normalen“ Leuten. Psychobillies kommen meistens aus anderen Subkulturen „Man kommt ja nicht von Anfang an in die Psychobillyszene, weil sie halt nicht so Mainstream ist.“ (J.) Alle meine Interviewpartner waren vorher in einer anderen Subkultur oder haben sich zumindest für andere Subkulturen interessiert. K. hat sich für Rockabilly begeistert, ist allerdings nicht richtig in die Rockabillyszene hereingekommen. „Ich war vorher mehr so Rockabilly, bin aber eigentlich gar nicht so in die Szene reingekommen, weil die sehr verschlossen ist, die Rockabillyszene, finde ich jedenfalls von meiner Person her.“ (K.) J. war früher in der Punkszene, hat diese aber verlassen, weil sie Psychobilly musikalisch ansprechender findet. Zudem empfindet sie die Psychoszene als erwachsener und reifer. „Ich hab so mit 13 bin ich in die Punkszene gekommen. Und das hat sich irgendwo so weiterentwickelt, dass ich da irgendwann keinen Bock mehr drauf hatte. Das war mir zu asozial. […] Aber ich finde die Musik einfach n bisschen anspruchsvoller als Schrammelpunk. […] Auch die Szene ist einfach n bisschen erwachsener als die Punkszene, mit der ich mich in meiner Jugend so umgeben habe.“ (J.) D. war, bevor er zur Psychobillysubkultur gekommen ist, sowohl Punk als auch Skinhead, genau wie sein Bruder. „Früher waren wir halt eher so Skins/Punks. Aber auch nicht lange. Und halt eigentlich dann schon Psychobilly dann direkt.“ (D.) T. hat viel Oi-Punk gehört und ist durch die Punk’n’Roll Band „the Bones“ auf Rock’n’Roll aufmerksam geworden und hat sich dann für die Psychobands Mad Sin und Demented Are Go begeistert und ist so zur Psychoszene gekommen. „Es kam also so, wenn du es sehen willst, durch den Punkrock. So mit 16/17 halt viele Oi-Punkrock gehört. Und dann kamen halt die ersten Berührungen. […] Und an und für sich fing dieses ganze Rock’n’Roll Getue mit den Bones bei mir an. […] Hab ich diese Platte von Mad Sin gesehen: Survival of the sickest. […] Und die Platte reingemacht und war begeistert. Einfach nur begeistert. Erste Band so im Psycho107 bereich, die ich gesehen habe, war damals Demented Are Go. […] Und das war für mich der ausschlaggebende Punkt. Ich hatte vorher ne Tolle, ne kleine Möchtegerntolle und da hab ich mir n Flat schneiden lassen, weil das war für mich so was von beeindruckend damals. Das fand ich schon irgendwie astrein.“ (T.) T. hat somit eine Entwicklung genommen, die durch sehr viele unterschiedliche Subkultureinflüsse begünstigt worden ist. Über Punk und Oi zu Punk’n’Roll und schließlich zu Psychobilly. Auch Horrorpunk hat für T. eine große Rolle gespielt. Bei Horrorpunk handelt es sich um Bands, die sich als Zombies oder Monster verkleiden und ausschließlich über Horror singen, wie z.B. Vampire, Außerirdische, Mutanten usw. . Berühmte Bands aus diesem Bereich sind „the Other“ und „the Misfits“ (absolute Kultband in der Punk- als auch in der Psychoszene). Die Texte von Horrorpunkbands und Psychobillybands behandeln also teilweise dieselben Thematiken. Daher treten Horrorpunkbands auch mit Psychobillybands auf. Daher liegen die Figurationen dieser beiden Szenen auch sehr nahe beieinander und haben T. auch maßgeblich beeinflusst. „Und der Horrorpunk hat unheimlich viel zumindest textlich mit Psychobilly zu tun. Weil Psychobillytexte beschäftigen sich weitgehend mit B-Movies, mit Massenmördern, mit Zombies, mit Mutanten und den ganzen Klischee. […] Das war damals auch mit der ausschlag gebende Grund, dass ich diesen Horrorpunk da kennengelernt habe. Und wenn du mit Horrorpunk in Verbindung kommst, da kommste automatisch irgendwie heutzutage, da führt eigentlich kein Weg dran vorbei. Zumindest die jüngeren Leute, so wie wir. Da kommste an Psychobilly gar nicht vorbei.“ (T.) L. hatte Sympathien für die Skinheadsubkultur und hat auch Punk, Oi und SkaMusik gehört. In einer Gothicdisco, in der alle Subkulturen vertreten waren, hat er Kontakt zu anderen Psychobillies bekommen und ist so auf die Musik aufmerksam geworden. „Also zunächst fing das bei mir an, mit 13/14. Keine Ahnung. Das fand ich dann irgendwie Skinheads ganz toll irgendwie und die Musik auch, ne? Und so Oi und Punkmusik. Und auch Ska. […] Und in so ne gewisse Disco. Das Memphis. Das gibt’s heute nicht mehr. Also ne Gruftidisco. Da waren halt auch Skins, und Punks und Psychos halt. Da hab ich dann die ersten Psychos kennengelernt. […] Und ja und hab dann auch von denen Musik gekriegt. […] Ja, da fand ich die Musik ganz toll. Ja und irgendwann hab ich mir mein erstes Flat schneiden lassen und dann ging das los mit Konzerten, ne?“ (L.) 108 Hier wird deutlich, dass es viele Figurationen zu anderen Subkulturen gibt, da ein Großteil der Psychobillyszene aus anderen Subkulturen kommt. Auch im Freundeskreis der Interviewten finden sich diverse Mitglieder aus anderen Subkulturen zusammen. Psychobilly erreicht ein immer heterogenes Publikum Wie schon beschrieben, hat sich die Konzertsituation gewandelt. Die Leute aus anderen Subkulturen, sowie ganz normale Leute, besuchen heute Psychobillykonzerte. Diese Veränderung erfüllt K. schon fast mit Wehmut, weil er die Exklusivität eines Psychobillykonzertes für einen auserwählten Kreis durchaus geschätzt hat. „Hast du eigentlich so von anderen Szenen, hast du von nicht viel gesehen, so wie heute. Heute auf n Festival gehst, siehste halt, laufen auch n paar Punks rum, mal n paar Glatzköpfe, mal n paar Rockabillies. Auch Normale. Auch früher eigentlich, wenn da n Konzert war, waren hauptsächlich Psychobillies da. Es war n bisschen kleiner und die Leute waren auch vorsichtiger früher. Die gingen dann nicht einfach auf n Psychobillykonzert.“ (K.) Auf der anderen Seit schätzt es K. aber, dass heute alles friedlicher ist und der Spaß im Vordergrund steht. „Also ich find die Psychobillyszene ist ruhiger. Du kriegst viel besser Kontakt. Und wie gesagt, auch dadurch, dass sich das jetzt n bisschen das im Laufe der Jahre verändert hat, das auch andere Leute dahingehen mittlerweile und einfach der Spaß nur noch im Vordergrund steht, find ich das heute n bisschen angenehmer.“ (K.) So sagt auch K. , der in seiner wilden Zeit viel Ärger mit der Punkszene hatte, dass Punks und andere Leute heute toleriert werden, was früher nicht der Fall war. „Aber ansonsten halten die sich eher am Rand auf und werden toleriert. Früher war’s halt nicht so. Früher haste halt oft Probleme gehabt mit den anderen Szenen.“ (K.) L. hat auch beobachtet, dass heute der Spaß im Vordergrund steht und sich die Rockabillyszene und die Psychobillyszene angenähert haben und es keine Konflikte mehr wie früher gibt. Die Bands aus den diversen Subkulturen treten heute auch zusammen auf. „War damals noch strikt getrennt von der Rockabillyszene, was ja heute nicht mehr so der Fall ist, ne? […] Und ja aber Psychobillybands spielen jetzt auch mit Rockabillybands zusammen oder mit Punkbands oder so auf gemischten Konzer109 ten. Sowas hat’s halt damals gar nicht gegeben, ne? […] Heutzutage ist das alles total locker und ja und es ist heute einfach nur Spaß, ne?“ (L.) Zudem gibt es immer mehr Psychobillybands, die nicht nur bei den Psychos beliebt sind, sondern auch über die Szene hinaus bekannt sind, wie z.B. Tiger Army, Mad Sin und the Meteors. „Es ist ja auch so, dass Bands wie was weiß ich z.B. Mad Sin auch über die Szene hinaus auf Festivals auftreten, wo halt mehr so Metal oder schon fast Mainstreambands spielen und dadurch auch einen höheren Bekanntheitsgrad außerhalb der Szene erlangt haben. […] Wie gesagt, z.B. Tiger Army aus Kalifornien ist jetzt so n Beispiel, die sind eigentlich sehr populär und haben auch einen ziemlich großen Bekanntheitsgrad, auch über die Szene hinaus würd ich sagen.“ (L.) Toleranz Da die großen Psychobillybands, wie Tiger Army, auch immer mehr Leute außerhalb der Subkultur anlocken, wird das Publikum bei Psychobillykonzerten immer heterogener. L. glaubt, dass es an der Gewalt der Psychobillies und an der fehlenden Popularität allgemein lag, dass ein gemischtes Publikum in den 80er Jahren nicht möglich war. Er bemerkt heutzutage eine viel größere Toleranz in der Szene. „Es hatte auf jeden Fall mit der Gewalt in der Szene an sich zu tun, dass sich Leute, die halt irgendwie anders aussahen, wahrscheinlich irgendwie gar nicht hingetraut haben oder ja gut, zu der Zeit war es damals noch nicht so großflächig bekannt, dass da Leute aus anderen Szenen da allgemein überhaupt hingegangen wären. […] Ja, wie gesagt, heutzutage ist das alles wesentlich toleranter. Und dadurch, das halt Bands wie Mad Sin oder Tiger Army auch über die Szene hinaus bekannt sind, kommen halt auch Leute zu den Konzerten, die jetzt nicht unbedingt so n 100% Psychobillyhintergrund haben. Und das ist auf jeden Fall alles friedlich und tolerant. Und man kann da hinkommen, egal wie man aussieht heutzutage.“ (L.) Auch T. hat beobachtet, dass z.B. bei Mad Sin ein sehr gemischtes Publikum vertreten ist und Psychobillies auch nicht unbedingt den Großteil der Zuschauer ausmachen, da Mad Sin mittlerweile auch in den Charts angekommen sind und allgemein eine hohe Popularität genießen. „Wenn du jetzt die neue Scheibe von Mad Sin z.B. siehst, ist sogar auf Platz 98 der Charts gekommen. […] Die sprechen halt jetzt unheimlich viel Publikum an. Da haste Punks, da haste Skinheads, da haste n paar Rock’n’Roller. Da haste n paar Skaterjungs. Da haste halt alles vertreten. Wie neu- 110 lich z.B. wo wir da auf dem Konzert waren in Bochum. Was mich da gewundert hat, dass du da gar nicht mehr so viele Psychos gesehen hast.“ (T.) Gerade die jüngeren Psychobillies sind sehr tolerant und T. z. B ist sehr zufrieden mit den diversen Figurationen der unterschiedlichen Subkulturen. Auch sein Freundeskreis setzt sich aus den unterschiedlichen Subkulturen zusammen. Er findet den Zusammenhalt und die Konzerte mit den Bands aus den verschiedenen Sektoren sehr gut. „Also, ich kann persönlich nur von meinen Ansichten noch sagen, dass Verhältnis zu Punks und Skins, also von mir aus gesehen super. Weil mein kompletter Freundeskreis aus der Punk-, Skinhead- und Psychoszene kommt. Da gibt es keinerlei Berührungsängste. Du siehst es ja auch inzwischen auf den ganzen Konzerten und Festivals die stattfinden. Wenn größere Konzerte und Festivals stattfinden. Du hast alles vertreten. Du hast Punkrocker, du hast Punkbands, du hast Skinheadbands, du hast Psychobillybands, du hast Hardcorebands. Das ist alles so quasi so der ganze Underground. Der ganze Underground. Alles united. Und das find ich auch super. […] Ich kenn das gar nicht anders. Wenn man auf größere Veranstaltungen geht in unserem Bereich, ist halt alles vertreten. Punkrock, Psychobilly, Oi und Hardcore. Und ich finds halt toll.“ (T.) Während K. und L. in eine Psychobillyszene gekommen sind, die recht verschlossen und teilweise intolerant war, erleben die jüngeren Psychobillies eine tolerantere und offenere Szene, die sich mit anderen Subkulturen vereint und gemeinsam auf Konzerte und Festivals geht. Die Zeit, wo man sich gegenseitig bekämpft hat, ist definitiv vorbei. Auch J. hat einen heterogenen Freundeskreis und beschreibt sich selber als tolerant und hat auch einen sehr vielseitigen Musikgeschmack. „Also ich habe Freunde in allen Szenen. Skinheadszene, Punkszene. Auch in Szenen, die jetzt nicht, keine Ahnung, in die punkige Richtung gehen. Wie beschreibt man das? Auch Hip Hopper oder so was. Ich bin da tolerant und offen und höre auch selber ganz viel Musik. […] Und ich bin da auch wie gesagt offen und hör immer alles. Ich hör auch jetzt noch ganz viel Oi. Ganz viel Punk. Ska, Hardcore. Alles.“ (J.) D. hingegen hat auch Freunde aus diversen Subkulturen, doch kennt seine Toleranz deutliche Grenzen. So kann D. z.B. keine Hip Hopper leiden und sieht sie gar als Feinde an. „Ja, also mein bester Freund ist Oi. und sonst kenn ich auch Punks, Skins, andere Psychobillies, Gothics. Ja, die ganze Palette an Subkulturen. […] Die rotten sich alle zusammen. Weil wir andere Feinde haben.“(D.) Auf die Frage, wer denn 111 diese Feinde seien, antwortet D. : „So halt die Hip Hop Generation. Die Rapper.“ (D.) D. hat eine tiefe Abneigung gegen Hip Hopper, aus der er keinen Hehl macht. „Ja, das ist halt einfach wie die sich geben. Ich komm mit den Leuten nicht klar. Diese Hip Hopper. Ich mag die einfach nicht. Die Musik mag ich nicht. Die Leute, wie die reden. Können nicht sozial sein. Ne, kann ich einfach nicht ab die Leute.“ (D.) Diese Abneigung gegen Hip Hopper, könnte auf den schlechten Erfahrungen beruhen, die D. in der Schule gemacht hat. Hier war D. Außenseiter und wurde gemobbt. Seine Mitschüler haben sich über seinen Flat lustig gemacht und ihn verbal attackiert, da er einfach anders ist. Da D. von kräftiger Statur ist, haben seine Mitschüler, die physische Ebene der Gewalt nicht betreten. Was ein Psychobilly ist und was das für eine Art von Musik ist, hat dabei keine Rolle gespielt. „Ich bin ja jetzt seit zwei Jahren Psychobilly. Da war ich halt noch in der Schule auch. In der Schule hatte ich richtig Probleme. Ich war schon eher Außenseiter. […] War schon krass. […] Auf physischer Ebene haben sie Angst. Da haben sie sich nicht getraut, mich anzugreifen oder so. Dann war eher mobben drauf. Mit Sprüchen und so. […] Ne, die haben keine Ahnung gehabt. Hat die aber auch nicht interessiert. Das war denen halt egal. Der ist anders: Fertig machen! […] Ja, vor allem auch wegen der Frisur. Das war auch n Grund.“ (D.) T. hingegen interessiert es hingegen nicht, was die Leute für ein Aussehen haben oder aus welcher Szene sie stammen. T. räumt auch ein, dass es Leute in den Subkulturen gibt, die er nicht leiden kann. Er differenziert aber nicht nach dem Aussehen, sondern nach menschlichen Aspekten. Für ihn ist es wichtig, dass die diversen Subkulturen zusammenhalten. „Weil, ich interessiere mich sowieso nur für den Menschen. Mir ist es scheißegal. Es gibt Leute, die haben n Flat, das sind Wichser. Das sind Arschlöcher. Es gibt halt Leute mit nem Iro, das sind Arschlöcher. Und es kommt mir persönlich immer auf den Menschen an. Mich interessiert dass nicht, wie derjenige aussieht. […] Also Underground Subkultur. Und meiner Meinung nach müssen die Leute zusammen halten und das find ich auch super, wie das heutzutage ist.“ (T.) 4.3.6. Was bedeutet Spaß in der Psychobillysubkultur? 112 Die Psychobillysubkultur ist eine äußerst hedonistisch veranlagte Subkultur, und der Spaß steht ganz klar im Vordergrund. Sogar die politischen Einstellungen werden in den Hintergrund gerückt, damit der Spaßfaktor aufgrund von politischer Differenzen nicht getrübt werden kann. Doch was macht Spaß für einen Psychobilly aus? Was unterscheidet den Spaß von einem Psychobilly, von dem Spaß eines Schlagerfans? Bei meiner letzten Hauptfrage versuche ich, den Spaßfaktor näher zu ergründen. Die Psychobillysubkultur hat, genau wie andere Szenen auch, gewisse Rituale, die sich auf den Konzerten und Festivals abspielen. Psychobillies sind in der Regel äußerst trinkfreudig und es wird sich meist vor den Konzerten oder direkt vor der Konzerthalle getroffen, um vorher schon Alkohol zu konsumieren. Meistens wird dann den ganzen Abend weiter exzessiv getrunken. Vor der Bühne bildet sich der Tanzkreis und es kommt zum „Wrecking“. Hierbei handelt es sich um eine raue, harte Version vom Pogo der Punks und Skinheads (wobei es natürlich auch harten Pogo in diesen beiden Szene gibt). Die Leute schubsen sich gegenseitig und springen wild durcheinander. Sehr beliebt ist auch, einfach stehen zu bleiben und nach allen Seiten hin mit den Armen wild auszuteilen, so dass es von außen wie eine Massenschlägerei wirkt. Dabei werden die wildesten Grimassen geschnitten und verrückt gespielt. Das Wrecking wird meistens noch kurz unterbrochen, um den Refrain der Band mitzugrölen, die gerade auf der Bühne musiziert. Die Psychobillyszene hat sehr große Affinitäten zu Horror in allen Formen. Die Bands schminken sich mit Kunstblut und Knete, tragen Gummimasken und verkleiden sich gerne als Zombies. Die Texte drehen sich um Massenmörder, Psychopathen, Monster, Zombies, Horror, Vampire, Werwölfe und Mutanten. Serienmörder wie Ed Gein (der aus Menschenhaut Lampenschirme anfertigte), Jack the Ripper, Dieter Kürten (der Vampir von Düsseldorf) und andere Serienmörder werden heroisch besungen, wobei es natürlich nicht ernst zu nehmen ist, wie bei den meisten Psychobillytexten. Die Leute sind sich der Provokation und über das Hinwegsetzen über moralische Grenzen dabei absolut bewusst und genießen es. Auch Songs über Horrorfilmhelden wie Michael Myers (Halloween), Freddy Krüger (Nightmare on Elm Street) und Jason (Freitag der 13) sind sehr beliebt. Die Musik ist dabei recht anspruchsvoll und es werden die diversesten Stile miteinander wild gemischt. Psychobilly verbindet nicht nur Rockabilly mit Punk, sondern es finden sich auch Elemente aus Jazz, Blues, Country, Trash, Swing, Hardcore, Ska, Gothic und andere Stile. Diese Heterogenität in der Musik wird von den Psychobillies sehr geschätzt. 113 Heterogenität beim Psychobilly Durch die Vermischung der vielen Stile hören sich Psychobillybands oft sehr unterschiedlich an. Aber auch von den Texten und dem Auftreten gibt es große Unterschiede. Während die Meteors sehr oft über sehr düstere Themen singen und viele Songs auch eine große Aggressivität ausstrahlen, singen Tiger Army über Romantik, die über den Tod hinaus geht und haben einen sehr melancholischen Sound. T. schätzt beide Bands, obwohl sie unterschiedlicher kaum sein könnten. „Ja, Meteors natürlich. Hammerband. Hammergeil. Also das ist für mich purer Psychobilly. Es ist halt dieses Böse bei dem Fenech. Das merkste in der Stimme. Diese Böse. Diese unglaublich geile Gitarrenarbeit. Das kommt einfach nur evil rüber. […] Da mach ich mich vielleicht unbeliebt als Schwuchtel oder so. Tiger Army. Ich liebe Tiger Army. Ich weiß nicht, warum ich mir die anhöre. Die kannste dir auch gut anhören, wenn du mal traurig bist. Wenn du mal nicht so gut drauf bist. Es ist halt auch ne sehr, sehr geile Band. Als ich die das erste Mal live gesehen habe, war ich auch total begeistert.“ (T.) Für J. ist Tiger Army schon gar kein Psychobilly mehr, weil es ihr von Musik und den Texten zu weich ist. Allerdings outet sie sich auch als großer Fan der Band. „Da ist ja z.B. Tiger Army, die ich persönlich wirklich toll finde, gar keine Frage, aber ich sehe die persönlich auch nicht als Psychobilly an. Es ist ne tolle Musikrichtung und ich kann auch nicht beschreiben, was es ist. Aber es ist schön. Aber es ist für mich kein Psychobilly. Es ist zu seicht, und auch von den Texten her gibt mir das nicht den Psychobillykick. […] Es ist alles sehr romantisch, sehr theatralisch und traurig. Aber es hört sich wirklich schön an. Aber nicht Psychobilly.“ (J.) T. schätzt das Böse, welches im Psychobilly oft besungen und zelebriert wird und liebt auch den unterschiedlichen Sound der verschiedenen Bands, die mal mehr nach Punk und mal mehr nach Rock’n’Roll klingen. „[…] Psychobilly, es gibt ja Millionen, es gibt ja Millionen, es gibt ja tausende Bands da. Und alle unterschiedlich. Jede hört sich anders an. Eigentlich müssteste Psychobilly auch noch unterteilen in mehr Richtung Rock’n’Roll und mehr das punkige. […] Aber für mich ist halt Psychobilly dieses Böse. Für mich muss es böse sein, Psychobilly, und deshalb kann ich mit diesem, sag ich mal eher schönen Rock’n’Roll oder Rockabilly, nicht so viel anfangen, weil ich mehr auf diese bösen Sachen stehe. Komm für mich halt geiler und krasser rüber und da krieg ich mehr Gänsehautgefühl dabei.“ (T.) 114 K. glaubt, dass es auch an den vielen unterschiedlichen Einflüssen liegt, dass es Psychobilly immer noch gibt und sich immer wieder neue Bands gründen, die Psychobilly auch immer wieder verändern. „Wie sich das entwickelt hat, wird Psychobilly weitergehen. Wird nicht irgendwann vorbei sein. Weil das ist, auch glaub ich, auch der Vorteil von Psychobilly. Aufgrund seiner verschiedenen Einflüsse sich immer weiterentwickelt und immer neue Bands kommen. Und du kannst immer Ideen haben, eigentlich. Und ich seh, das geht weiter.“ (K.) Zudem mag K. es, dass Psychobilly sich nach keinen Regeln richtet und die Bands sehr vielfältig sind. Genau wie T. beschreibt er, dass sich Psychobands sehr vom Sound unterscheiden, da alle Psychobilly anders spielen. „Aber Psychobilly, jede Band ist anders. Jede Band spielt Psychobilly anders. Und hat n anderen Sound und Psychobilly kannste viel mehr reinpacken. […] Jede Band packt irgendwie was anderes rein. Spielt jetzt n bisschen härter, mal n bisschen seichter und mal n bisschen spaßiger. Mal aggressiver. […] Weil die Leute sich in der Psychobillymusik find ich eigentlich, das wiedergeben können, richtig ohne irgendwelche Limits.“ (K.) Auch L. hat beobachtet, wie Pschobilly im Laufe der Jahre immer heterogener wurde, und sich die unterschiedlichsten Einflüsse bemerkbar gemacht haben. „Ja, ich denk die Szene ist auch musikalisch vielfältiger geworden. Also es gibt viele Bands. Jede hat irgendwie ihren eigenen Musikstil. Und das geht ja von ja mehr Rockabilly beeinflusst, bis so ziemlich Hardcorepunk beeinflusst oder auch so Sachen, die keine Ahnung, n bisschen poppiger sind. Tiger Army wären da vielleicht zu nennen.“ (L.) Wrecking „Und dann richtig einen mitgeben und so.“ (D.) Wrecking nennt sich der Tanz der Psychobillies. „To wreck“ kommt aus dem Englischen und bedeutet übersetzt so viel wie zertrümmern, zerstören und zugrunde richten. Wer mal auf einem Meteors Konzert das Publikum bei Wrecking beobachtet hat, weiß, dass dieser Begriff sehr passend ist. Die Psychobillysubkultur ist schon lange keine Jugendsubkultur mehr. Es sieht schon sehr brachial aus, wenn sich 30-40 jährige, völlig zutätowierte Männer, die öfter mehr als 100 KG wiegen, durch die Gegend schubsen. Beim Wrecking gibt es, wie beim Pogo in der Punkszene, den Ehrenkodex, dass Leuten, die beim Wrecking umfallen, wieder aufgeholfen wird. Das kommt 115 relativ oft vor, da beim Wrecking nicht gerade zimperlich miteinander umgegangen wird. Das Wrecking gehört zu den festen Ritualen in der Psychobillysubkultur. So hat auch der Psychobillyautor Craig Brackenridge sein Buch „Let’s Wreck!“ genannt, nach dem gleichnamigen Song der Psychoband „the Coffin Nails“. Auch einige Bands haben sich nach dem Tanz benannt, wie z.B. „the Wrecking Dead“ und die „Wreck Kings“. Auch die berüchtigten Fans der Meteors, haben sich nach dem Wrecking benannt und nennen sich Wrecking Crew. Einer der beliebtesten Songs der Meteors heißt ebenfalls Wrecking Crew. D. beschreibt, wie die Musik eine aggressive Stimmung aufbaut, die die Psychos zum Wrecken animiert und in der man dann völlig eintaucht und Aggressionen abbaut. D. erlebt Glücksgefühle, wenn er andere Leute beim Wrecking wegschubst und erlebt in dieser Situation voller Adrenalin und Gefahr, geradezu einen Rausch. „Die Musik ist die Hauptursache. Dieses schnelle, aber gewalttätige. Hah? Wie soll man sagen? So Hassaufbauend. Dann im Pit so richtig abgehen. Das ist schon geil. […] Ja, also im Pit. Klar, den anderen so richtig einen mitgeben. Aber man übertreibt es nicht. Man passt schon auf, wenn einer auf den Boden fällt. Aufheben. Einfach geile Stimmung. Die Leute so in Ekstase, ist man schon fast. Und dann richtig einen mitgeben und so.“ (D.) Diese ritualisierte Gewalt, mit gewissen Spielregeln, ist in der Subkultur allen bekannt und es werden normalerweise keine Leute ins Wrecking einbezogen, die das nicht wollen. Die Leute, die da mitmachen, sind sich völlig bewusst, auf was sie sich einlassen. „Hm, also im Wrecking Pit ist schon ordentlich. Aber das ist ja alles abgeklärt. Und da kann man sich ruhig aufs Maul haun. Man will das dann ja auch nicht anders.“ (J.) J. empfindet die Aggressionen, die im Wrecking ausgelebt werden, als nicht als zu dramatisch und sie vertritt die Meinung, dass man das nicht überbewerten sollte. „Na ja, wir sind keine Hippies. Klar steht irgendwo ne gewisse, aggressive Haltung im Hintergrund. Ist ja auch in der Musik. Ist ja auch n bisschen schneller, n bisschen kräftiger im Ausdruck. Genau so wie die Punkszene auch. Das ist ja, das hängt ja irgendwo alles zusammen. Klar ist das ne gewisse Grundaggressivität da, aber die man allerdings glaub ich, nicht zu doll werten sollte.“ (J.) T. sieht das Wrecking auch nicht als etwas wahnsinnig Gefährliches an. Für ihn ist es der normale Tanz der Psychos. Allerdings findet er es gut, dass kaum Frauen beim Wrecking mitmachen, da er sonst eine hohe Verletzungsgefahr für diese fürchtet. 116 „Wildes Tanzen und rumspringen. Quasi Pogo. Also Pogo ist, glaub ich, für viele Leute n eherer Begriff. Nur halt der Wrecking Pit ist halt noch n kleines bisschen härter. Kleines bisschen härter. Wreck heißt auch auf Deutsch auch übersetzt, irgendwie alles kaputtschlagen. Also im übertragenen Sinne. […] Aber vielleicht ist das auch gar nicht mal so verkehrt, weil im Wrecking Pit will man ja nicht unbedingt ner hübschen Frau irgendwie was brechen oder so.“ (T.) Texte der Psychobillybands „Psychobilly ist schon so ne eigene Welt, find ich.“ (K.) Sehr viele Texte von Psychobillybands handeln über Horror. Allerdings gibt es auch andere Themenfelder und eine Psychobillyband singt nicht zwangsläufig über Monster oder Untote. „Es geht bei vielen Bands, geht’s dann so n bisschen um Horror und Grusel und Monster. Das kann man jetzt auch nicht so pauschal sagen. Ich denke mal, da macht auch jede Band ihr eigenes Ding. Wie gesagt, so was mit Monstern und so die dunkle Seite oder so was in der Art. Das ist bei vielen vorherrschend, aber auch nicht bei allen, ne? Es gibt auch Bands, wie was weiß ich, Long Tall Texans, da ist so was gar kein Thema. Das ist mehr so ne gute Laune, gute Laune Texte oder wie auch immer. Und ja ist eigentlich auch relativ vielfältig.“ (L.) Spaß spielt bei Psychobilly immer eine große Rolle, und Politik ist fast nie ein Thema. Alkohol und Sex sind ebenfalls beliebte Themen. J. schätzt den Spaßfaktor bei Psychobilly und ganz besonders die Horrorthematik. „Yo, so es ist glaub ich nicht so ernst. Es ist ja auch wenig politischer Hintergrund dabei. Es ist einfach witzig. Es geht um Zombies, Splatter, Horrorsachen, Horrorfilme, Party, Saufen, Fickerei, alles was eigentlich witzig ist, was Spaß macht. Aber halt immer n bisschen mit dem Horrorkontext. Was mir eigentlich ganz gut gefällt.“ (J.) Auch wenn viele Songs sich um die Hölle, den Teufel und die Sünde drehen, haben Psychobillies normalerweise keinen Hang zum Okkulten oder gar zu Satanismus. Die Texte werden nicht all zu ernst genommen und es wird auch nicht groß reflektiert. Erlaubt ist, was Spaß macht. „Viele verstehen vielleicht auch nicht richtig, was einen dazu bewegt, zu Zombieliedern zu tanzen, ohne da irgendwie einen satanistischen 117 Hintergrund zu sehen. Ich glaub, wir sehen das alle ganz lustig. Und finden unsere Musik einfach nur lustig.“ (J.) K. gefällt es, dass bei Psychobilly oft über sehr verrückte Leute gesungen wird, die einfach nicht normal sind oder über Dinge, die es gar nicht gibt. Psychobilly bedeutet für K. auch eine Flucht aus der realen Welt, in die Psychobillywelt, in der es um einiges turbulenter und verrückter zugeht, als in der Realität. „Halt über Mutanten, ausgeflippte Typen, abgedrehte Typen, Freggles, Freaks, einfach ne andere Welt. Einfach unnormal. Einfach was nicht normal ist. Dabei geht es bei Psychobilly. Du willst ja als Psychobilly nicht normal sein. Du willst dich ja abgrenzen. Und in den Texten sind immer irgendwelche Freggles, die sich ne abgrenzen, von den normalen Leuten. Die Texte sagen immer was aus, was nicht normal ist. Freak. Da ist n Freak. Der dreht voll am Rad. Das sind welche, die saufen sich die Birne zu oder was, ne? Wie soll ich das beschreiben. Einfach dieses anders sein, das wird auch in den Texten ausgesagt, indem man auch einfach über Kreaturen singt, die es gar nicht gibt, ne? Oder Monster, oder Vampire und was es nicht alles gibt. Immer irgendwie was anderes von Freaks, Freggles, ne? Doch schon einfach. Psychobilly ist schon so ne eigene Welt, find ich.“ (K.) Dieses bewusste Abgrenzen von normalen Leuten lässt auch darauf schließen, dass Psychobillies nicht viel anfangen können mit normalen Leuten, da diese einfach nicht verrückt genug sind und als langweilig empfunden werden. Dabei sind die Psychobillies auch sehr rational, da sie sich bewusst sind, dass es keine Vampire und Werwölfe in der Realität gibt. Die Psychobillies sind also nicht wirklich verrückt, sondern begeistern sich nur für ausgeflippte, verrückte Sachen, wie Psychobillymusik und Horrorfilme. T. liebt ganz besonders den Horrorkontext beim Psychobilly, da er sehr großer Fan von Horrorfilmen und allgemein von Horror in jeder Variation ist. „Da ich halt n großer Horrorfan bin, gab es eigentlich nichts Besseres für mich als Psychobilly. Horrortexte, geile Musik, dazu Punkrock, Rock’n’Roll, die Mischung also, das war für mich das Nonplusultra. Oder ist es sozusagen immer noch.“ (T.) Auch K. bescheinigt, dass es im Psychobilly oft um den Horrorkontext geht. „Auf jeden Fall. Es gibt sogar viele Songs, die einfach von diesen Filmen handeln, z.B. von den Meteors „Blue Sunshine“. Oder „Krewmen“ hat da oft auch Texte gemacht, die mit Sicherheit mit Werwölfen und so zu tun haben.“ (K.) 118 Horrorfilme „Also Horror, diese ganze Horrorfilmszene so, die beeinflussen schon den Psychobilly.“ (K.) Horrorfilme sind bei den meisten Psychobillies sehr beliebt. Sie dienen auch vielen Künstlern als Inspiration für ihre Texte, auch Peter Paul Fenech von den Meteors. „Das siehste ja an den ersten Alben von den Meteors. Das siehste an den Songs von den Meteors. Die handeln über Zombies, über Vampire, über Mutanten. Der Fenech der hat sich immer schon, also der Sänger und der Gitarist von den Meteors, der Peter Paul Fenech, der hat sich ja als Kind schon immer mit den Horrorfilmen und was weiß ich was allen beschäftigt. Der hat das geliebt. Das ist halt seine Religion sozusagen, wie er das immer sagt. Und für mich kann es eigentlich nichts besseres geben.“ (T.) Auch K. guckt sehr gerne Horrorfilme und hat auch einen Zombie tätowiert. Tätowierungen von Zombies, Monstern und Vampiren sind allgemein sehr beliebt in der Psychoszene. „Also Horror, diese ganze Horrorfilmszene so, die beeinflusst schon den Psychobilly. Auch die Musik, die Texte und die Leute, weil viele Psychobillies halt diese Filme auch gucken. Ich z.B. gucke sehr gerne Werwolffilme, Zombiefilme. Nenn mich ja selber im Internet der Superpsychozombie, ne? Ja und ich hab als Tätowierung auch n Zombie am Kontrabass. […] Weil halt das schon so Filme sind, die wieder nicht normal sind. Und da wir auch ja nicht normal sind auch die Musik nicht. Passt das ja schon da rein, denk ich.“ (K.) Hier merkt man, dass der Horrorbereich auch in vielen Lebensbereichen der Psychos eine wichtige Rolle spielt. Bei der Wahl der Tätowierungen z.B. und beim Nickname im Internet. Mit den Horrorfilmen können sich die Psychos auch sehr gut identifizieren, da Horrorfilme, von Teilen der Gesellschaft, als brutaler Müll angesehen wird, der die Jugend zu Gewalttätern macht und weil es manche Leute schockt, wird es für den Psychobilly interessant. Zudem sind Horrorfilme teilweise sehr krass und beschäftigen sich mit moralischen Tabubrüchen, mit Außenseitern, die von der Gesellschaft zu Monstern gemacht wurden und mit solchen Charakteren können sich Psychobillies vielleicht gut identifizieren, da sie auch eher Außenseiter sind und sich bewusst von der Gesellschaft abgrenzen. 119 Horror und Horrorfilme beeinflussen auch viele Bands bei ihrer Bühnenperformance und so treten viele Bands geschminkt und mit Kunstblut auf oder als Zombies und Monster verkleidet. Auch Splatterfilme werden gerne von einigen Psychos geguckt. Bei Splatterfilmen handelt es sich um Horrorfilme, die meistens fast keine Handlung haben und sich in erster Linie um die detaillierte Darstellung von möglichst blutrünstigen Tötungsritualen drehen. Bei Splatterfilmen wird viel Wert auf heraustretende Gedärme und Hirne, viel Blut und abgetrennte Körperteile gelegt. Im Prinzip drehen sich diese Filme nur um Szenen, die aus anderen Filmen rausgeschnitten werden. „Ich glaub, wir gucken alle gerne Horrorfilme und belustigen uns an Splatter und Gemetzel. Sieht man ja auch auf den Bühnenshows von diversen Bands. Ja und viele Texte orientieren sich ja auch da dran. An Jack the Ripper und wer noch? Alle möglichen Horrorgeschichten halt. […] Es hat n großen Einfluss, wie gesagt, auf die Bühnenshows von Demented Are Go z.B. oder Banane Metalik, die natürlich eher in der neuen Generation jetzt ne Rolle spielen.“ (J.) Das Auftreten von Demented Are Go als Zombies auf der Bühne, hat auch T. sehr beeindruckt. „Ja, Demented Are Go war der Hammer. Es war damals, ich hab die gesehen. Hab mich direkt verliebt, sozusagen. Dieses böse Auftreten. Dieses Krasse. Dieser, dieser Sparky, der Sänger mit seinem 3 Meter hohen Flat. Geschminkt wie so n Zombie. Einfach nur total abgewichst.“ (T.) Bei T. merkt man deutlich seine Faszination für unkonventionelle Ästhetik und den Spaß am Extremen, den Spaß am Ungewöhnlichen. Während J. auch eine Vorliebe für Splatterfilme (bei Splatterfilmen geht es, wie bereits oben erwähnt, in erster Linie um Gemetzel. Die Filme haben fast gar keine Handlung. Es geht z.B. nur darum, auf welche unterschiedlichen Arten diverse Zombies getötet werden und dabei fließen Unmengen an Blut und Gedärmen. L. sagen eher Filme mit subtileren Horrorelementen zu und auch er glaubt, dass Horrorfilme Psychobilly beeinflusst haben: „Ja, das denk ich auf jeden Fall, dass die Filme, das auch mitgeprägt haben. Ja, ich selber guck auch ganz gerne Horrorfilme. Jetzt mehr eigentlich mehr so, also so n bisschen, wie soll ich sagen, was tiefgründiges, wo sich der Horror so langsam anschleicht. So Klassiker wie so Shining oder so. Nicht so diese puren Splatterfilme. Also das ist nicht so ganz mein Ding. Oder so alte BMovie Horror Filme aus den 50er und 60ern guck ich mir auch ganz gerne mal an.“ (L.) 120 Die Exklusivität der Psychobillysubkultur Die Psychobillyszene ist deutlich toleranter und friedlicher geworden. Sie hat sich auch für andere Subkulturen geöffnet. Da Bands wie Tiger Army und Mad Sin auch über die Szene hinaus bekannt sind, hat Psychobilly in den letzten Jahren deutlich an Popularität gewonnen. Allerdings ist Psychobilly nicht mehr so groß, wie in den 80er Jahren. „Ob’s jetzt so groß ist wie früher? Hm, ja vielleicht nicht ganz so groß. Also, auf den ersten Festivals in Belgien, wo ich war, da waren schon sehr viele Leute. Und ich weiß nicht, ob das heutzutage noch so ist. Es gibt da noch die ein, zwei großen Festivals. Satanic Stomp in Speyer oder Psychomania in Potsdam. Da ist dann auch schon ziemlich viel los. Aber ich glaub, in den 80ern war das alles doch noch n Tacken größer. Ist ja, wie gesagt, zwischendurch mal geschrumpft. Da hat man schon gedacht, das wird gar nix mehr. Aber mittlerweile ist das doch wieder gewachsen.“ (L.) Im Großen und Ganzen ist Psychobilly eine relativ kleine Subkultur und auch relativ unbekannt. Doch gerade diese Exklusivität wird von den Psychobillies durchaus geschätzt. Man genießt es, Teil von etwas Besonderem zu sein und sich vom Mainstream bewusst abzugrenzen. „Das sind halt so die Subkulturen internen Sachen. Das dringt nicht unbedingt an die Außenwelt sag ich mal. Es ist ne meiner Meinung nach sehr unbekannte Szene. […] Ich find das super, weil ich, will ja nicht so wie Andere sein. Deshalb. Also Mainstream kann jeder. Und ich bin froh, dass ich auf jeden Fall was Eigenes da hab. Ich find das ganz toll so, wie es ist. […] So wie der Punkbereich oder wie der Oi, wie der Skinheadbereich. Die grenzen sich ja auch definitiv quasi von den normalen Menschen ab, weil man halt was Besonderes darstellen will und kein Langweiler sein will.“ (T.) J. genießt es ebenfalls, dass Psychobilly nicht so groß ist. „Ne, ich glaube, dass ist weltweit eher ne kleine Szene, was ich auch ganz angenehm finde. Es ist einfach nicht so populär und nicht so Mainstream wie andere Szenen mittlerweile geworden sind. Ja, ich denk mal in Berlin ist die Szene ganz ausgeprägt, im Ruhrgebiet auch. Das sind, glaub ich, so die größten Sammelbecken für die Psychobillyszene.“ (J.) Auch D. meint, dass andere Szenen größer sind, als die Psychobillysubkultur. „Ist schon ne kleine Szene im Gegensatz zu anderen Szenen.“ (D.) L. glaubt, dass durch Berichte in Magazinen wie dem „Dynamite“, Psychobilly den Leuten ein Begriff ist, die sich für Rock’n’Roll interessieren, da solche Magazine auch über Pschobillybands und Events berichten. Allerdings ist er sich auch sicher, 121 dass der normale Bürger keine Ahnung hat, was ein Psychobilly sein soll. „Und da gibt’s ja mittlerweile so Rock’n’Roll Magazine, wo dann auch über Psychobillybands berichtet wird. Ja also, ich sag mal, jemand, der sich n bisschen mit Rock’n’Roll oder so was beschäftigt, der kennt das. Aber so Otto-Normal Verbraucher, der Bürger, der hat da wahrscheinlich keine Ahnung und denkt immer noch, das sind jetzt Punks oder Skins. Wenn er überhaupt Skins und Punks kennt oder wie auch immer, ne?“ (L.) Psychobillyfestivals als Kontaktbörse/Alkoholkonsum „Das ist ja auch das, was bei Psychobilly so interessant ist. Halt diese Kontakte.“ (K.) Bei den wichtigen Szeneevents, wie dem Satanic Stomp in Speyer und der Psychomania in Potsdam, kommen hunderte bis tausende Psychobillies, teilweise aus der ganzen Welt, um zusammen zu feiern. Es spielen die größten Bands aus der Subkultur. Es wird tagelang zusammen getrunken, gewreckt und Kontake geknüpft. K. liebt es, dass er durch Psychobilly immer wieder neue Leute kennenlernt. Für ihn sind die sozialen Kontake bei den Festivals genau so wichtig wie die Bands. „Aber es geht ja nicht immer nur, dass man nur die Bands sieht, sondern auch das drumherum und das find ich in Potsdam sehr spaßig. Die Leute auch. Weil ich find das auch ganz witzig. Das ist mitten in ner Wohngegend und irgendwie stört sich da keiner drann, ne? Und von überall kommen die Leute her. Man unterhält sich. Macht Party. Spontane Partys und so. […] Das ist ja auch das, was bei Psychobilly so interessant ist. Halt diese Kontakte. Man unterhält sich. Man hat Spaß. Und lernt viele Leute kennen, was mir auch seit Jahren einfach Spaß macht. So auf Festivals gehen. Einfach Leute kennen lernen. Wo kommste her? Ja ist mir auch egal ob der jetzt 20 ist oder ob der jetzt 40 ist […].“ (K.) So ergeben sich auch viele Kontakte zwischen Psychobillies der unterschiedlichsten Altersstufen. K. freut sich auch immer, wenn er Leute auf den Festivals trifft, die er ne lange Zeit nicht gesehen hat, weil sie so weit weg wohnen. Für K. ist es auch nicht so wichtig, wie lange die Leute schon Psychobillies sind. „Und irgendwo hinzukom122 men und dann oh, dann freut man sich auf Leute, die hat man vielleicht n Jahr nicht gesehen, weil die ganz woanders wohnen, dann trifft man sich auf einmal und oh hey, wie geht’s? Schon zwanzig Jahre dabei. Manche schon dreißig. Egal. Ich finde das eigentlich auch egal, ob man jetzt ein Jahr dabei ist oder zwanzig Jahre dabei ist […].“ (K.) Für D. ist die Musik nicht das entscheidende, sondern viel mehr das Feiern und Trinken mit den anderen Psychobillies. Die Musik der Bands läuft für ihn eher im Hintergrund. „Ist so ne Mischung. Ist eher der Spaß, den du mit den Leuten hast. So, die Musik läuft im Hintergrund. Natürlich live ist noch geiler, da spürt man richtig den Bass und so. Aber eigentlich ist das eher so, mit den Leuten einen trinken, ablachen und das Konzert genießen.“ (D.) Der Alkoholkonsum gehört zum festen Ritual eines Psychobillykonzertes und D. ist der Meinung, dass fast alle Psychobillies es lieben, sich zu betrinken. „Ich denke, fast alle Psychobillies saufen gerne. Haben Spaß. Ist schon ne Spaßsubkultur.“ (D.) Hier betont D. noch mal die hedonistische Seite der Psychobillysubkultur. Auch J. liebt das Feiern, das Trinken und die vielen Kontakte auf den Konzerten und Festivals. Von Drogen hält sie nichts. Allerdings hat sie auch schon beobachtet, dass es auch Psychobillies gibt, die Drogen nehmen. „Ich glaub, wir trinken alle gern. Wir feiern alle gerne. Natürlich in einem gewissen Rahmen. Aber ich hab leider auch zunehmend erfahren müssen, dass extrem viele Drogen konsumiert werden. Vor allem chemische Sachen. Koks. […] Ich kenn mich da nicht so aus, weils einfach gar nicht mein Ding ist. […] Ich freu mich dann auch immer, Leute aus ganz Europa zu sehen. Das, wie gesagt, gerade auf dem Satanic Stomp europaweit die Leute dahinpilgern. Doch das ist ok. […] Doch es geht, glaub ich, größtenteils um das miteinander feiern, auch Leute von weiter weg mal wieder zu treffen, neue Leute zu treffen. Zusammen Party zu machen.“ (J.) 4.4. Zusammenfassende Betrachtung Die Interviews und ihre Auswertungen sind natürlich nicht repräsentativ für die Psychobillysubkultur. Sie liefern lediglich einen kleinen Einblick. Vier meiner Interviewpartner kommen aus NRW und eine Interviewte aus Hessen, somit liegen lediglich Informationen aus diesen Bundesländern vor. Eine Studie, die ein umfassendes Bild über Psychobilly liefert, muss natürlich auch Interviews mit Mitgliedern der 123 berüchtigten Wrecking Crew beinhalten. Es wäre sicherlich äußerst interessant zu erfahren, wie die Hardcore Fans der Meteors die Entwicklung der Subkultur beschreiben würden und wie sie die Gewaltsituationen erlebt haben. Ich fasse im Folgenden, die Ergebnisse der Interviews zusammen. Da die Befragten nur einen kleinen Teil der Psychobillysubkultur ausmachen, könnte es durchaus sein, dass Ergebnisse abweichen könnten, von Befragungen mit anderen Psychobillies (z.B. der Wrecking Crew). Da ich persönlich, auch seit Jahren, Psychobillyfestivals und Konzerte besuche, denke ich allerdings, dass die Ergebnisse schon einen sehr guten Eindruck über die Subkultur und ihre Anhänger geben. 1. Ist die Psychobillysubkultur politisch? Psychobilly kann grundsätzlich als unpolitisch beschrieben werden. Politik spielt in den Texten kaum eine Rolle (eine der wenigen Ausnahmen ist das Lied Politician von der Psychokultband „Frenzy“, die allerdings auch über keine spezielle politische Richtung singen, sondern legiglich über korrupte Politiker). Die Mitglieder der Psychobillysubkultur sind natürlich nicht unpolitisch, doch wird die Politik absolut außen vor gelassen. Das macht die Psychobillysubkultur auch zu einer sehr speziellen Subkultur, da die politischen Meinungen der Psychos doch stark auseinander gehen können. So feiern Psychobillies auf Konzerten, die eher nach links tendieren, zusammen mit Psychos, die eher rechts sind. Dabei muss natürlich erwähnt werden, dass sich hier lediglich um politische Einstellungen handelt. Politische Aktivisten sind in der Psychobillyszene eher eine Seltenheit. Es feiern also keine autonomen Nationalisten mit Mitgliedern der Antifa zusammen. So absurd ist die Situation auch nicht. Dennoch ist diese politische Heterogenität und die Individualität bei der politischen Meinung besonders hervorzuheben, da Politik in anderen Subkulturen immer wieder Grund für heftige Streitigkeiten und Abgrenzungen ist. In der Punkszene ist Politik ein Dauerthema. In der Skinheadsubkultur gibt es zu Zeit eine Riesendiskussion um sogenannte „Grauzonenbands“. Mit Grauzonenbands sind z.B. Bands wie die „Krawallbrüder“ oder „Condemned 84“ gemeint, die von sich behaupten, unpolitisch zu sein, und auf deren Konzerten immer wieder Rechte auftauchen und so der Eindruck entsteht, dass diese Bands durchaus rechtsoffen sind. Diesen Wirbel um Politik gibt es bei Psychobily definitiv nicht und allein diese Tatsache unterscheidet die Psychobillyszene stark von anderen Subkulturen. 124 Allerdings sind die Psychobillies in den 80er Jahren häufiger von der Gesellschaft mit Faschisten oder Punks gleichgesetzt worden. Da auch mal Skinheads zu Psychokonzerten gekommen sind, und sich der Kleidungsstil der Psychos kaum von der Skinheadszene unterschieden hat, ist es zu Verwechslungen gekommen. Viele Bürger halten Skinheads sowieso alle für Nazis und so wurden die stereotypen Vorurteile über die Skinheadszene einfach auf die Psychobillies übertragen. Wiederum andere Leute haben Psychobillies für Punks gehalten, mit denen die Psychos in den 80er Jahren aber massive Probleme hatten. So wurden die Psychobillies häufig in politische Richtungen einkategorisiert, mit denen sie nichts zu tun haben. Da sich die Kleidung der Psychobillies gewandelt hat, bleiben heutzutage die Verwechslungen meistens aus. Lediglich ältere Psychobillies, die aufgrund von Haarausfall keinen Flat mehr tragen können, haben auch heute noch Verwechslungsprobleme. Psychobilly ist allerdings auch eine recht kleine Subkultur. Vielleicht fürchten die Psychos, dass eine klare Beziehung zu einer politischen Position zu einer Spaltung der Szene führen könnte. Die Spaltung zwischen Punkabillies und der Wrecking Crew hat Psychobilly schon in den 90er Jahren stark zugesetzt, und so wäre eine erneute Spaltung aufgrund von Politik natürlich fatal. So bleibt natürlich kritisch anzumerken, dass Psychobillykonzerte auch durchaus von Faschisten besucht werden können, da die Psychobillies sich nicht klar von Rechts distanzieren. Eine Unterwanderung von Rechts ist allerdings sehr unwahrscheinlich, da alle bisherigen Versuche der Faschisten gescheitert sind. Sei es durch Einladungen zu Kammeradschaftsabenden oder durch Musikprojekte. Die Psychobillies haben sich nicht benutzen lassen und ihre unpolitische Haltung beibehalten. 2. Ist die Psychobillysubkultur friedlicher geworden? Die Psychobillysubkultur hatte in den 80er Jahren mit massiven Anfeindungen von der Gesellschaft allgemein, aber auch von anderen Subkulturen, zu kämpfen. Zudem ist Psychobilly recht unbekannt und so ist es früher zu vielen Verwechslungen gekommen. Migranten und Punks hielten Psychobillies für rechts und dadurch kam es zu Konfliktsituationen. Die normalen Bürger waren in den 80er Jahren noch lange nicht so tolerant wie heute, und so wurden die Psychos als Punks oder Asoziale tituliert. Sie wurden auf offener Straße beleidigt und bepöbelt. Es kam auch zu gewalttätigen Konflikten mit der Rockabillyszene. Die Psychobillyszene war damals eine Jugendsubkultur, mit durchaus hohem Aggressionspotential, und so wurden die Be125 leidigungen und Angriffe häufig durch reaktive Gewalt geklärt. Die Psychobillies gingen keiner Schlägerei aus dem Weg und so hatten sie schnell den Ruf als Schläger weg. Zudem trauten sich kaum andere Leute auf Psychobillykonzerte. Da die Psychobillies bei den Konzerten unter sich blieben, konnten auch keine Vorurteile abgebaut werden. Zudem war auch die Psychobillyszene viel intoleranter als heute und so wurden Konzertbesucher aus anderen Subkulturen mindestens kritisch betrachtet, wenn nicht gar angepöbelt oder schlimmeres. In den 90er Jahren kam ein größerer Punkeinfluss in die Psychobillyszene und so wandelten sich auch die Frisuren und die Musik. Der härtere und schnellere Psychobilly nennt sich Punkabilly. Dieser neue Einfluss gefiel vielen eingefleischten Meteors Fans (Wrecking Crew) nicht, und es kam zu einer Spaltung der Psychobillysubkultur. Die Wrecking Crew vertritt die Meinung, dass nur sie die echten Psychobillies sind und nur die Meteors puren Psychobilly spielen. Alle Anderen werden als Punks angesehen. In den 90er Jahren eskalierte die Gewalt zwischen Meteorsanhängern und Punkabillies. Die Gewaltsituation wurde so drastisch, dass die Szene im Ruhrpott, Mitte der 90er bis Ende der 90er Jahre, so gut wie „tot“ war, da sich keiner mehr auf die Konzerte traute. Ende der 90er Jahre wurde Psychobilly in den USA populärer. Die neue Welle der Begeisterung schwappte nach Europa zurück und es gab wieder Psychobillykonzerte. Viele der militanten Meteorsanhänger sind mittlerweile Familienväter und haben die 40 überschritten. Die Psychobillyszene ist heute definitiv keine Jugendsubkultur mehr. Mit zunehmendem Alter sind die Psychobillies deutlich friedlicher geworden. Die Szene ist allgemein auch toleranter geworden und hat sich auf für „normale“ Leute und andere Subkulturen geöffnet. Die alten Konflikte zwischen Meteorsfans und Demented Are Go Anhängern spielen bei den jüngeren Psychobillies kaum eine Rolle und es werden beide Bands gehört. Bei einem Meteorskonzert kann es auch heute noch durchaus rau und hart zugehen, aber die Zeiten der eskalierenden Gewalt sind vorbei. Die Gesellschaft ist heute allgemein toleranter geworden, im Vergleich zu den 80er Jahren. Heute werden Psychobillies nicht ständig und überall angepöbelt und provoziert. Die jungen Psychobillies kommen in eine deutlich friedlichere und tolerante Psychobillysubkultur, als die Psychos der 80er und 90er Jahre. 3. Wie verhält es sich mit dem Geschlechterverhältnis in der Psychobillysubkultur? 126 Bei der Psychobillysubkultur handelt es sich, wie bei vielen andern Subkulturen auch, um eine männerdominierte Szene. Der Frauenanteil ist schwierig zu bestimmen, dennoch kann festgehalten werden, dass Frauen deutlich in der Unterzahl sind. Es gibt Frauen, die über ihren Freund Psychobilly werden, und es gibt Frauen, die alleine auf die Subkultur aufmerksam geworden sind. Die Psychobillyszene ist emanzipiert und die Frauen werden als gleichwertige Psychobillies akzeptiert. Die Frauen haben sich in den 80er Jahren noch deutlich mehr im Hintergrund gehalten und sich auch optisch kaum von den Männern unterschieden. Sie trugen ebenfalls Bomberjacken, Flats und Domestosjeans. Heute ist das Outfit um einiges weiblicher und gewagter. Zudem haben sich die Frauen auch von den Frisuren und den Kleidern mehr an der Rockabillyszene orientiert und sehen deutlich femininer aus. Die Frauen in der Psychoszene agieren sehr selbstbewusst und schrecken auch nicht davor zurück, beim Wrecken mitzumachen. Zudem haben die Frauen auch gute Partizipationsmöglichkeiten. So gibt es heute auch viele Psychobands, bei denen Frauen mitspielen, oder die nur aus Frauen bestehen. Das war in den 80er Jahren deutlich seltener. So können die Frauen durch ihre Texte und ihre Musik die Subkultur maßgeblich mitbestimmen und prägen. Die Frauen bestimmen die Szene also durchaus mit und können Psychobilly genau so verändern, wie die Männer. 4. Gehört die Psychobillysubkultur zu den Rockabillies oder handelt es sich um eine autonome Szene? Die Psychobillies sind sich alle ihrer Rockabillywurzeln bewusst, doch sehen sie Psychobilly ganz klar als eigene Subkultur bzw. eigene Musikszene an. Rockabilly wird von einigen Interviewpartnern sehr gerne gehört. Anderen wiederum ist Rockabilly zu langsam, zu langweilig, zu eingefahren und zu brav. Die Psychos haben einige Symbole der Rockabillyszene übernommen, wie z.B. Spielkarten, Eightballs, Kirschen und Würfel, dennoch sehen sich die Psychos als rebellischer, tätowierter, punkiger und aggressiver an. Zudem haben sie mit dem Flat eine ganz eigene Frisur. Die Psychobillies schätzen den Horrorkontext beim Psychobilly und haben den Eindruck, dass die Rockabillies an viel mehr Regeln gebunden sind und immer nur über dieselben Dinge singen. Auch die Musik wird als langweilig und wenig abwechslungsreich empfunden. Psychobillies schätzen ganz besonders die Heterogenität der vielen unterschiedlichen Psychobillybands, die immer wieder neue Stile miteinander vermischen. Zudem lieben sie es, sich über moralische Grenzen 127 hingwegzusetzen und zu provozieren. Psychobilly setzt sich viel mit Tabubrüchen, Fantastischem, Krassen, Abnormalen und Perversen auseinander und das fasziniert die Psychobillies. Das Böse was in den Texten verarbeitet wird, sorgt für ein ganz besonderes Gänsehautfeeling, dass die Psychobillies im Rockabilly nicht finden. Während einige jüngere Psychobillies sich nicht sicher sind, ob sie auch in Zukunft Psychos sein werden, haben die 40 Jährigen für sich erkannt, dass Psychobilly ein eigener Lebensweg für sie ist. Hier wird Psychobilly teilweise schon als Ersatzreligion angesehen, ohne die nicht gelebt werden kann. Die Frisur, die Musik, die Wochenendbeschäftigungen, die Freundin, die Tätowierungen und der Freundeskreis: Alles hat mit Psychobilly zu tun. Psychobilly ist für Einige sehr wichtig und für Andere schon geradezu existenziell. Ohne Psychobilly fehlt etwas im Leben. Zudem kann man auch festhalten, dass die Psychobillyszene deutlich gealtert ist. Die Leute verändern teilweise ihr Outfit, weg vom Krassen, hin zu einem etwas alltagstauglicheren Look, während Andere, auch im Beruf ihren Psychobillystyle voll ausleben. Aber eins verbindet all diese Leute. Sie besuchen immer noch die Konzerte und die Festivals. Die Leute werden also alt in der Psychobillysubkultur. Vielleicht sieht man es nicht allen Psychos an, doch bleiben viele Menschen, die die 40 überschritten haben, der Subkultur treu. Die Psychobillysubkultur ist keine Jugendsubkultur. Die älteren Interviewpartner werden auch so lange Psychobillyaktivitäten nachgehen, solange es ihnen die Gesundheit erlaubt. Während andere Subkulturen ständig in Veränderung sind, wie z.B. die Punkszene, kann man bei Psychobilly und dem Publikum eine gewisse Stabilität beobachten, weil die Leute Psychobilly auch im höheren Lebensalter treu bleiben. Das sticht bei Psychobilly im Gegensatz zu anderen Subkulturen auch ganz klar heraus. Wobei zu bemerken ist, dass es durchaus auch Skinheads und Punks gibt, die über 40 Jahre alt sind. 5. Wie ist das Verhältnis zu anderen Subkulturen? Während in den 80er Jahren das Verhältnis zu anderen Subkulturen äußerst angespannt war, hat sich die Situation heute grundlegend verbessert. Es gibt heute keine Straßenschlachten mehr mit der Punk- oder Rockabillysubkultur. Psychobillybands spielen heute auf Festivals mit Ska-, Punk-, Rockabilly-, Hardcore-, und Skinbands zusammen. Die Psychobillies sind deutlich toleranter und offener geworden, und so ist auch das Publikum bei Psychobillykonzerten deutlich heterogener geworden. Reine Psychobillykonzerte sind deutlich seltener geworden und so trifft man heute auf 128 den Konzerten Anhänger diverser Subkulturen und auch „normale“ Leute an. Was bei der Psychobillyszene sehr auffällig ist, ist die Beobachtung, dass die meisten Leute, aus anderen Subkulturen zum Psychobilly gekommen sind. So kommen alle meine Interviewpartner aus anderen Subkulturen, bzw. hatten Affinitäten zu bestimmten Szenen (wie z.B. K., der zwar so gesehen kein Rockabilly war, aber großes Interesse an dieser Szene hatte). Mittlerweile gibt es auch Psychobillybands, die weit über die Psychobillysubkultur hinaus bekannt sind, wie z.B. Tiger Army und Mad Sin. Diese Bands spielen auf allen möglichen Festivals, mit den diversesten Interpreten aus den unterschiedlichsten Musikrichtungen zusammen und verhelfen Psychobilly zu einer größeren Popularität. Die Psychobillies sind, wie oben schon beschrieben, deutlich toleranter geworden und schätzen es, dass es Figurationen zwischen Psychobilly und anderen Subkulturen gibt. Gerade die jüngeren Psychos schätzen den friedlichen Zusammenhalt des Untergrundes. Allerdings hört bei einigen Psychobillies die Toleranz bei eher szenefernen Gruppierungen auf, wie z.B. den Hip-Hoppern. Allerdings gibt es auch Psychos, die auch bei Hip Hop sehr tolerant sind. Auch im Freundeskreis der Psychobillies findet man oft Anhänger von diversen anderen Subkulturen. 6. Was bedeutet Spaß in der Psychobillysubkultur? Der Spaß in der Psychobillysubkultur setzt sich aus den diversesten Faktoren zusammen. Zum einen gibt es, genau wie bei den Punks und Skinheads, gewisse Rituale. Zu den Ritualen in der Psychoszene zählen das Trinken von Alkohol vor Konzerten und Festivals. Vor der Bühne wird dann der Tanz der Psychobillies, das „Wrecking“ zelebriert. Das „Wrecking“ lässt sich mit Pogo der Punks und Skins vergleichen. Viele Psychos trinken auch während und nach dem Konzert exzessiv weiter. Einige Psychos konsumieren auch aufpuschende Drogen wie Speed und Kokain. Hierbei handelt es sich allerdings um eine Minderheit. Die Hauptdroge der Psychobillies ist Alkohol. Neben den Ritualen ist die Musik ein ganz entscheidender Spaßfaktor. Psychobilly ist meist recht anspruchsvolle, schnelle, verrückte Musik und setzt sich aus den verschiedensten musikalischen Einflüssen zusammen. Bei Psychobilly gibt es keine einschränkenden Regeln. Jede Band ihren eigenen Stil. Diese Heterogenität in der Musik wird sehr geschätzt, da sich eine große Vielfalt in der Psychobillymusik finden lässt, die keine Langeweile aufkommen lässt. Die Texte von Psychobilly sind verrückt, provozierend, grenzüberschreitend und gewagt. Die 129 düstere Seite des Lebens und Horror sind sehr gängige Themen. Allerdings gibt es, wie bereits erwähnt, keine Regeln, und so wird über alles Mögliche gesungen. Ob es sich um Serienmörder, Drogenkonsum, exzessives Trinken, Sex, Sado-Maso, Inzest, Nekrophilie, Wahnsinn, den Tod, die Hölle oder den Teufel dreht, es geht in erster Linie darum, über etwas zu singen, was von der Gesellschaft als verrückt oder ungewöhnlich angesehen wird. Die Psychobillysubkultur liebt die Provokation und das Spielen mit dem Entarteten. Dabei wird auch nicht groß über die Texte refklektiert, da die Psychobillies sich selber meistens nicht all zu ernst nehmen. Was im Vordergrund steht, ist der Spaß an Dingen, die nicht normal sind, sondern verrückt. Großen Einfluss auf die Texte nehmen Horrorfilme. Die meisten Psychobillies lieben Horrofilme, Splatterfilme und B-Movies. Viele Texte drehen sich um Horrorfilme oder um die Protagonisten aus diesen, wie z.B. Freddy Krueger oder Michael Myers. Allgemein üben Horrorfilme eine große Faszination auf die Psychoszene aus. Sehr viele Texte handeln von Horror, Außerirdischen, Vampiren, Zombies, Untoten, Monstern und Mutanten. Diese Affinität zum Horror sticht beim Psychobilly ganz klar heraus. Wärhrend der Tod ein Tabuthema in unserer Gesellschaft ist, gibt es kaum einen Meteorstext, der sich nicht mit dem Tod beschäftigt. Vielleicht setzen sich Psychobillies mehr mit dem Tod auseinander als andere Leute, da auch ihr Lebensstil sehr exzessiv ist und mehr für den Moment als für die Zukunft gelebt wird. Zudem könnte eine Faszination für Gewalt ein Grund für die vielen Horrortexte sein. Andererseits könnten auch Aggressionen, die durch ungerechte gesellschaftliche Rahmenbedingungen entstehen, durch die Horrortexte ausgelebt werden. Genau wie beim Wrecken. Ein weiter Spaßfaktor, der Psychobilly so reizvoll macht, ist die Exklusivität von Psychobilly. Obwohl es Psychobilly schon seit dreißig Jahren gibt, ist diese Musikrichtung und die Subkultur ziemlich unbekannt. Während andere Subkulturen immer mehr kommerziell ausgeschlachtet werden, kann sich Psychobilly seinen Undergroundcharme noch immer bewahren. Das übt auf viele Psychobillies einen starken Reiz aus. Man ist Teil von etwas Besonderem, was nicht jeder kennt und was nicht sofort zugeordnet werden kann. Ein anderer wichtiger Faktor der Psychobilly sehr reizvoll macht, sind die Kontakte die sich während der Konzerte und Festivals ergeben. Zu großen Konzerten und Festivals kommen Leute aus ganz Deutschland und teilweise sogar aus ganz Europa. So ist z.B. der Satanic Stomp eins der größten Psychobillyfestivals weltweit. So ergeben sich während dieser Meetings Kontakte nach ganz Deutschland und Europa. Das 130 empfinden viele Leute als spannend und aufregend. Viele Psychos lieben es, Gleichgesinnte aus den unterschiedlichsten Ländern kennenzulernen. Da die Psychoszene sehr treu ist, sehen sich viele Leute einmal im Jahr auf den großen Festivals und da ist die Wiedersehensfreude dementsprechend groß. 131 132 . . 133