Interview zu „Konferenz der Tiere“

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Wie entsteht ein Filmhörspiel?
Interview zu „Konferenz der Tiere“
Wie muss man sich das vorstellen, wie entsteht ein Filmhörspiel? Ist das nicht ganz
einfach? Man nimmt die Tonspur des Films und setzt noch einen Erzähler drauf…
Barbara van den Speulhof: Das wäre schön. Aber ganz so einfach ist es nicht. Jeder
Film besteht aus vielen verschiedenen Tonspuren, die in Gruppen zusammengefasst
sind. Wir haben z. B. Dialoge, Atmo, Musik, Soundeffekte usw.
Kay Poppe: Bei aktuellen Kinofilmmischungen wird mit 200 Spuren und mehr
gearbeitet. Unser Ausgangspunkt sind so genannte „stems“, das sind vorgemischte
Tonspur-Gruppen die zusammen bei gleicher Lautstärke abgespielt den Haupt-Mix
ergeben.
Durch die Zusammenfassung zu „stems“ werden die 200 Spuren auf 24 Spuren
reduziert. Große Teile der Mischung sind dadurch zwar grundsätzlich vorgegeben, es
bleiben uns aber immer noch viele Möglichkeiten auf der Zeit- oder Lautstärke-Ebene in
den bestehenden Mix einzugreifen um ihn für unsere Aufgabe neu einzustellen. Wir
haben z.B. die Möglichkeit Geräusche an andere Stellen zu legen, Musiken oder ganze
Sequenzen so zu verlängern oder zu verkürzen, dass sie mit unserem Erzähler
übereinstimmen.
Barbara van den Speulhof: Genau. Und um es kurz in einem Bild zusammenzufassen:
Wir haben ein Puzzle, das ziemlich viele Teile enthält und das wir - um einen Erzähltext
angereichert - wieder neu zusammensetzen. Der Erzähler wird damit Bestandteil der
Geschichte. Er berichtet, kommentiert und ist sprachlich wie emotional in das
Geschehen eingebunden.
Also wenn Büffel und Nashorn kämpfen, dann steht der Erzähler direkt am Rand dabei
und die Geräusche oder auch die Musik sind unter seine Stimme gelegt?
Barbara van den Speulhof: Ja. In dieser Szene ist es so gelöst. Ähnlich einer LiveBerichterstattung. In anderen Szenen, den ruhigeren, besinnlicheren oder in den
witzigen Passagen, nimmt der Erzähler mitunter eine andere Position ein. Die
Entscheidung wird praktisch für jede Szene neu getroffen.
Treffen Sie diese Entscheidung bereits beim Schreiben des Drehbuchs oder spontan im
Tonstudio?
Barbara van den Speulhof: Im Vorfeld, also während des Schreibens des Erzähltextes
und der Audiodrehbucherstellung entscheidet sich schon ziemlich viel. Ich passe den
sprachlichen Ausdruck des Erzählers der Tonalität der Geschichte an, entscheide, ob
der Erzähler aus unbeteiligter Position oder mit emotionaler Beteiligung erzählt. Das ist
immer abhängig vom jeweiligen Film. Im Studio werden dann die Feinheiten
entschieden, die jenseits des eigentlichen Erzähltextes liegen, aber dennoch für das
gesamte Hörspiel wichtig sind.
Oetinger Audio Poppenbütteler Chaussee 53 22397 Hamburg www.oetinger-audio.de
Presse: Judith Kaiser Tel: 040/607 909-765 Fax: 040/607 909-556 [email protected]
Der Erzähltext erklärt praktisch das, was man im Film nicht sieht. Wie gehen Sie da
vor? Was soll der Erzähler erklären?
Barbara van den Speulhof: Klar, in erster Linie erzählt er, was man beim Hören nicht
sieht, aber es soll natürlich keine reine Beschreibung sein. Das wäre ja stinklangweilig.
Der Erzähltext soll, so denke und hoffe ich, den Hörer dazu anregen, seine eigenen
Bilder entstehen und sich davon anregen lassen.
Und was für einen Erzähler haben wir jetzt bei „Konferenz der Tiere“?
Barbara van den Speulhof: Das ist natürlich einer, der ganz klar auf der Seite der Tiere
steht. Reinhard Klooss, der Regisseur und Produzent des Films, hat sich vom Buch
„Konferenz der Tiere“ von Erich Kästner inspirieren lassen und hat das Kernthema des
Buchs, wie ich meine, sehr gut in die heutige Zeit transferiert.
Diesen Transfer habe ich versucht, im Erzähltext wiederzuspiegeln. In Form und Farbe.
Die Fragen der Tiere klingen vordergründig einfach: „Warum haben wir in der Savanne
kein Wasser mehr? Wer hat es gestohlen? Was können wir tun?“ Und die Tiere tun
wirklich etwas. Ganz praktisch. Sie holen sich das Wasser zurück.
Neben diesen Begebenheiten geht der Erzähler auf die Besonderheiten der Tiere ein,
die Macken, die sie haben, die Eigenarten.
Natürlich geht es beim Erzählen auch und vor allem darum, die Figuren so zu
beschreiben, dass sie eine Chance haben, im Herz der Hörer einen Platz zu finden.
Andreas Fröhlich hat das in unserem Hörspiel hier ganz wunderbar gemacht.
Sehen Sie im Tonstudio parallel noch mal den Film an, um zu sehen, ob alles stimmt?
Barbara van den Speulhof: Nein, das wäre vermutlich kontraproduktiv. Wir sind ja
sozusagen die Ersten, die testen, wie die Geschichte ohne Bilder funktioniert und wie
wir ihr einen zusätzlichen Reiz beim Hören verleihen können.
Dazu nehmen wir mitunter noch Korrekturen an den ursprünglichen Tonspuren vor. Oft
hören wir zum Beispiel Geräusche oder Soundeffekte, die im Film zwar absolut Sinn
machen, aber beim Hören irritieren würden. Diese entfernen wir dann oder platzieren
sie dorthin, wo man sie gut zuordnen kann.
Werden manchmal auch ganze Szenen herausgeschnitten?
Barbara van den Speulhof: Es gibt selten Filme, bei denen das überhaupt möglich ist,
denn in der Regel ergibt wirklich eine Szene die nächste. Sonst wäre es so, als wolle
man bei einem gestrickten Pullover eine Ecke rausschneiden und hoffen, dass der Rest
hält. Und auch hier, bei der „Konferenz der Tiere“, ist alles so organisch und
harmonisch miteinander verwoben, dass sich das Streichen von selbst verbietet.
Sie hatten ja vorhin erzählt, dass Geräusche manchmal herausgeschnitten, aber dann
an anderer Stelle eingesetzt werden. Insofern ist so ein Filmhörspiel ja noch mal ein
ganz neues Gesamtkunstwerk, aus den einzelnen Bestandteilen. Kann man das so
sagen?
Kay Poppe: Ja das ist treffend ausgedrückt. Unser Ziel ist nicht die simple
Reproduktion, wir wollen aus dem angelieferten Original und dem von uns
Aufgenommenen etwas Neues entstehen lassen und den Film so gut wie möglich in die
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Hörspiel-Welt übertragen. Auch jemand der den Film schon zwei Mal gesehen hat, soll
sich beim Filmhörspiel nicht langweilen, sondern neue Details entdecken und die
Geschichte anders
erleben. Die bunten Bilder entstehen bei uns nicht auf der Leinwand sondern im Kopf.
Erzähler und Erzähltext haben bei der Aufgabe die Bilder neu entstehen zu lassen sehr
wichtige Anteile. Den Rest müssen wir durch Schnitt und eine spezielle HörspielMischung erreichen. Man darf in keiner Sekunde das Gefühl haben, dass man etwas
nicht versteht nur weil das Bild fehlt. Nehmen wir z. B. eine rasante Actionszene ohne
Dialog, im Kino ist die nach 30 Sekunden vorbei. Nur die schnell geschnittenen Bilder
erklären, was passiert.
Das müssen wir anders lösen, denn in der Zeit in der wir mittels Erzähler erklärt haben,
wer alles im Flugzeug sitzt, ist es auf der Leinwand schon lange abgestürzt. Wir
müssen die Szene also schlüssig verlängern,
damit der Erzähler die Zeit bekommt, uns die Handlung darzustellen. Das unterstützen
wir dann mit Geräuschen und Musik.
Unsere Action Szene ist dann 2 Minuten lang, muss aber die gleiche Rasanz und den
gleichen Esprit wie die 30 Sekunden Szene im Kino haben.
Wird dann das Filmhörspiel länger als der Film, weil man mehr Zeit braucht?
Kay Poppe: Das könnte passieren, ja.
Barbara van den Speulhof: Genau. Das kann passieren. Und das ist auch gut so. Wenn
wir beim Anschauen des Films häufig in einer Bilderflut segeln, dann haben wir beim
Hören die Aufmerksamkeit auf das Hören von Wind, Wetter, Rhythmus, Stimmen und
Stimmungen. Und wir produzieren gleichzeitig eigene Bilder. Die will der Kopf
anschauen. Dafür braucht er Zeit.
Vorhin hatten Sie schon einmal erklärt, dass Geräusche, die nicht direkt zur Handlung
gehören, rausgeschnitten werden. Wie z.B. in der Szene, in der das Erdmännchen mit
der Mutter spricht und es stehen Freunde dabei und kichern. Da müsste man im
Hörspiel das Kichern erklären.
Barbara van den Speulhof: Genau. Das besagte Kichern ist zwar sehr schön, aber
eigentlich nicht entscheidend für das Verständnis der Szene. Es ist gut im Film, Juniors
Freunde am Rande zu sehen. Aber für uns, die wir Töne produzieren oder eben übers
Ohr arbeiten, wirkt das Kichern ohne Bild eher störend. Man könnte darüber stolpern
und überlegen, wer denn jetzt gelacht hat und warum.
Was war das Besondere an „Konferenz der Tiere“?
Barbara van den Speulhof: Zum einen finde ich die Auswahl der Synchronsprecher sehr
gelungen. Nicht nur die Promis, sondern auch die in der Öffentlichkeit weniger
bekannten Stimmen sind toll besetzt. Durch ihre Unterschiedlichkeit lassen sie sich sehr
schnell den Figuren zuordnen. Das gibt uns Hörspiel-Machern ein gutes Gefühl, dass
sich die Hörer schnell zurechtfinden in der Geschichte. Jede Rolle ist perfekt besetzt.
Zum anderen finde ich die Filmmusik wirklich fantastisch. Sehr emotional und auf den
Punkt komponiert.
Ja, und jenseits aller professionellen Überlegungen, bin ich nach wie vor von einigen
Szenen immer wieder sehr gerührt. Kaum zu glauben, aber an einer ganz bestimmten
Stelle, kriege ich doch immer noch – obwohl ich den Film dutzende Mal in der
Bearbeitung und beim Schreiben angeschaut habe - eine Pfütze in die Augen.
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Für alle, die den Film gesehen haben, ist es eine schöne Gelegenheit, den Film
wiederzuerleben, aber auch wer den Film nicht gesehen hat, hat keinen Nachteil.
Barbara van den Speulhof: Ja, das ist unser Anspruch: Ich kenne und verstehe die
ganze Geschichte, auch wenn ich den Film nicht gesehen habe. Außerdem mögen es
Kinder und Jugendliche erfahrungsgemäß, sich ihre Lieblingsgeschichten wieder und
wieder anzuhören. Das ist natürlich mit einer CD zu Hause recht einfach. Und was ist
schöner als die Anregung, zu einer Geschichte eigene Bilder zu entwickeln? Diese
Bilder sind quasi unbezahlbar.
Vielen Dank. Das war jetzt so ein schönes Schlussplädoyer. Ich habe noch eine Frage:
Kann es auch sein, dass das Hörspiel besser wird, als der Film?
Barbara van den Speulhof: Ich hätte auf keinen Fall etwas dagegen, wenn es unsere
Hörer oder Hörerinnen es so beurteilen würden.
Kay Poppe: Das ist natürlich unser Ziel. Das darf gar nicht anders sein.
Das Gespräch führte Judith Kaiser am 6. August 2010 in Hamburg
Abdruck genehmigt. Belege erbeten.
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