Institut für Slavistik der Universität Potsdam Hausarbeit zum Proseminar Jak mówi młodzież? Gruppensprachen, Soziolekte und Konversation Leitung: Prof. Dr. Peter Kosta SS 2003 Die Gaunersprache in Polen und ihre Entwicklung zum Gefängnisjargon vorgelegt von: Agnieszka Twardak Magister Slavistik (Polonistik)/Osteuropastudien Zossener Strasse 47 10961 Berlin Berlin, 27. Oktober 2003 Inhaltsverzeichnis 1.Einleitung ......................................................................................................... 3 2.Die Entwicklung der Gaunersprache vom 16. Jahrhundert bis 1945 ............... 4 3.Die Entwicklung des Gefängnisjargons ........................................................... 5 3.1 Regeln und Normen der Gitowscy ................................................................ 6 3.1.1 Die Bedeutung der „grypsera“ für die „Gitowcy“........................................................ 7 3.1.2 Die Funktion tabuisierter Normen im Gefängnisjargon............................................... 7 4.Verbrechersprache als Soziolekt und als Einfluss auf die Jugendsprache ....... 9 5. Schlussbemerkung ......................................................................................... 11 Literaturverzeichnis ........................................................................................... 12 2 1.Einleitung Angehörige von Gruppen, die der Gauner- oder Gefängnissprache mächtig sind, bildeten seit jeher eine eigene Subkultur. Schon im 16. Jahrhundert entwickelte sich ein eigener Gaunerjargon, der in der Nachkriegszeit von der „grypsera“, dem Slang der Verbrecher und Gefängnisinsassen, ersetzt wurde. Die drei wichtigsten Kriterien der Subkultur der Gefängnisinsassen sind das Normensystem, die Tätowierungen und eben der Gefängnisslang. Diese Subkultur der Gefängnisinsassen ist eine Reaktion auf den Verlust der Freiheit, auf materielle Defizite, auf fehlende heterosexuelle Kontakte sowie auf den Verlust des Sicherheitsgefühls. Je grösser die Isolation ist, je weniger der Gefängnisinsasse sich dem formalen System in der Strafanstalt anpassen kann oder will, desto mehr fühlt er sich zu inoffiziellen Organisationen hingezogen. Dieser Prozess nennt sich „prizonizacja“1. Nach Prof. Andrzej Balandynowicz ist das System der „prizonizacja“ selbstdestruktiv und führt nicht zur Resozialisierung, nach der Freilassung werden die erlernten Verhaltensweisen in zwischenmenschlichen Kontakten weitergegeben. In den folgenden Ausführungen werde ich versuchen, die Gaunersprache sowie den Gefängnisjargon zu untersuchen. Dazu ist es notwendig, zuerst die historische Entwicklung zu beleuchten, um dann die verschiedenen Jargons zu verschiedenen Zeiten zu benennen. Im Anschluss daran werde ich die Subkultur der Gefängnisinsassen, ihre Regeln und Normen sowie die Bedeutung des Gefängnisjargons für die Häftlinge erklären. Zum Schluss gehe ich auf Soziolekte allgemein und den Einfluss der Verbrechersprache auf Jugendliche ein. Meine Ausführungen stütze ich vor allem auf folgende Literatur: Grabias, Stanisław (2001): Język w zachowaniach społecznych und Oryńska, Anna (1986): Zasady komunikowania w gwarze więziennej – tabu i eufemizmy. 1 1940 zum ersten Mal so von Clemmer formuliert 3 2. Die Entwicklung der Gaunersprache vom 16. Jahrhundert bis 1945 Das Wissen über polnische Soziolekte reicht bis ins 16. Jahrhundert zurück. Sebastian Klonowic, der in seinem Buch Flis2 Bilder aus dem Leben dieser Zeit vorstellte, bemerkte, dass jedes Handwerk seine eigenen Sitten und Bezeichnungen hatte. Er behauptete, dass es eine geheime Sprache der Flösser, der Jäger und des Verbrechermilieus gab. Leider liefern uns das siebzehnte und achtzehnte Jahrhundert nicht genug sprachliches Material, um uns eine Rekonstruktion dieser Soziolekte zu ermöglichen. Die bewegte Entwicklung des gesellschaftlichen Lebens in der Jagiellonenmonarchie und später im wirtschaftlich und politisch untergehendem Polen des 17. Jahrhunderts war günstig für die Tätigkeiten verschiedener Wandergruppen. Es entstanden unterschiedliche kleine Vereinigungen von Kaufleuten, die man in der Ukraine „ofenie“ und in Polen „ochwesniki“ nannte. Das religiöse Leben ermöglichte die Bildung von Gruppen wandernder Bettler, die von Kirche zu Kirche zogen. Im 17. Jahrhundert entstand eine Bettlerorganisation, die neue Mitglieder nur unter der Bedingung aufnahm, dass sie ein Instrument spielen konnten3, kirchliche und weltliche Lieder kannten, und die Geheimsprache beherrschten. In der Ukraine hiess diese Geheimsprache „język libijski“ oder „lirnicki“, in Weissrussland „język lubecki“. Auf Jahrmärkten konnte man oft wandernden Künstlern begegnen, von denen ein grosser Teil Diebesgruppen waren, die auch eine geheime Art der Kommunikation hatten, den „język waltarski“. All diese Gruppen benutzten , laut Klonowic, nur für sie verständliche Sprachen, da ihre Tätigkeiten entweder illegal waren oder nahe an die Illegalität grenzten.4 Die Entwicklung der Industrie führte zur Entstehung neuer Gesellschaften. Es entstand eine Sprache des Grossindustrie – Proletariates, zum Beispiel die „gwara warszawska“, die die Soziolekte der damaligen wandernden Kaufleute verdrängte. Noch bis in die vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts blühte der Wanderhandel, es veränderte sich nur das Sortiment, die Kodierung der Sprache wurde weiterhin streng gehütet. Im Gaunermilieu , vor allem bei den Dieben, wurden die Traditionen sowie die Geheimsprache gepflegt und bis heute nicht viel verändert. Die Sprache der Diebe beherrschen hiess „balakać“, „ciachać“ oder „kumać kmine“.5 2 Klonowic, Sebastian Fabian (1984): Flis. Warszawa Hauptinstrument war die Lira, sie wurde meistens von Blinden gespielt 4 Grabias, Stanisław (2001): Język w zachowaniach społecznych. Lublin. S.143 5 vgl. Grabias (2001) S.144 3 4 3. Die Entwicklung des Gefängnisjargons In der Nachkriegszeit entwickelte sich bereits der Soziolekt von Jugendlichen aus dem Gaunermilieu, der stark mit dem Gefängnisjargon verbunden war. - grypsera, cynkówka, balanda – Gefängnisjargon - grypsera na witkach – Kommunikation durch Gesten - jargać, klechtać – den Gaunerjargon sprechen6 Die erste bedeutende informelle Gruppe von Gefängnisinsassen, die einen geheimen Jargon sprach, waren die „urkowie“. Sie zeichneten sich durch eine besondere Brutalität, eine starke Solidarität untereinander sowie durch eine eintätowierte Schwalbe auf der Schläfe aus. Mitte der 60er Jahre ersetzte „charakterniak“ den Namen „urkowie“. Das Wort „charakternie“ bedeutete in der Gefängnissprache Ehrenwort oder absolute Wahrheit. Auf die Frage: „kopsnij zajarać“, antwortete man z.B. „charakternie nie mam“; damit drückte man aus , dass man wirklich nichts zu rauchen hatte. Die Subkultur der sogenannten „Gitowcy“ 7 entwickelte sich Anfang der siebziger Jahre aus der Bewegung „drugie życie“ 8, die 1955 in Erziehungs und Strafanstalten ihren Anfang nahm. Angehörige der „git – ludzie“, die in Gefängnissen verweilen, pflegen informelle Kontakte zu den Wärtern, sowie zu den Mitgefangenen. Die Formalität des „ersten Lebens“ veränderte sich in dem Fall zum inoffiziellen „zweiten Leben“9. Der „git – człowiek also der „człowiek w porządku“ steht auf einem höheren Rang als die „nieludzie“, diejenigen die den „gitowscy“ nicht angehören. Nicht dazu gehören auch die „apropacy“, die durch die „grypserzy“ 10 so genannt wurden, weil sie Ausdrücke wie „apropos“ oder „de facto“ benutzten. Trotz dessen erfreuten sie sich eines gewissen Respekts, da sie gebildeteren Schichten angehörten und den „gitowscy“ nützlich sein konnten. Heutzutage wird die Bezeichnung „apropacy“ nicht mehr gebraucht. Die „Gitowscy“ sind in eine bestimmte Hierarchie unterteilt, es existiert die Elite, die aus denjenigen besteht, die routiniert und aktiv sind. Aus dieser Elite bildet sich der Anführer, der die anderen durch seine besonderen Fähigkeiten und Charaktereigenschaften überzeugt. Er vermittelt in Auseinandersetzungen, führt Revolten an und entscheidet „kogo posłać w dół“.11Es gibt Gruppenangehörige, die ihren Anführer noch nie gesehen oder gesprochen haben, seine 6 vgl. Grabias (2001) S.144 auch Git – Ludzie genannt; Bewegung von Jugendlichen, die aus dem Verbrechermilieu stammen 8 System von Werten und Verhaltensnormen im Gaunermilieu 9 drugie życie 10 die geheime Gefängnissprache sprechenden git - ludzie 11 ein Mitglied in der Hierarchie runterstufen 7 5 Autorität ist aber so gross, dass sie trotz dessen jegliche seiner Anweisungen bedingungslos ausführen12. 3.1 Regeln und Normen der Gitowscy Es gelten bestimmte Regeln und Normen, die von den Mitgliedern einzuhalten sind: - „grypsuj twardo“13 - Nichtangehörige dürfen Lebensmittel Angehöriger nicht berühren und den Tisch decken, das betrifft vor allem die „cwele“14 - „nie kapuj“, „nie chlej“, „nie kabluj“, nie chlap“, nie syp“, „nie sprzedawaj“15 - ein Gruppenangehöriger darf nicht Sohn eines Polizisten sein - ein Handschlag mit einem „klawisz“16 oder „frajer“17 ist verboten - es ist verboten, den Schlüssel einer Zelle zu berühren - es ist angebracht, die „frajer“ zu ignorieren, schikanieren, erniedrigen, lächerlich zu machen - es gehört sich, alles zu machen, was „cwele“ und „kapusie“ erniedrigen könnte, d.h. schlagen, vergewaltigen, sie bestehlen und ihnen befehlen Eine der wichtigsten Normen ist die Solidarität untereinander, einerseits die materielle Solidarität, es gilt das „herbatnikowanie się“, man teilt alles untereinander z.B. seine „Rakieta“18; andererseits die kriminelle Solidarität, strafbare Handlungen wie Vergewaltigungen und Revolten werden zusammen begangen. Die höchste Form der Solidarität bilden die „bracia więzienni“, sie schliessen eine Blutsbrüderschaft und schwören sich ewige Treue. Zu bemerken ist, dass auf echte Solidarität vor allem nur hochrangige Gruppenmitglieder zählen können. Verstösse gegen die Regeln und Normen ziehen tiefgreifende Konsequenzen nach sich. Schon das Berühren des Schlüssels einer Zelle führt dazu, dass man „przecwelony“19 wird. Symbolisch wird dieser Prozess vollzogen, indem man z.B. den Kopf des „Verräters“ in eine Toilettenschüssel steckt und die Spülung betätigt20. 12 vgl. www.rostok.3-e.pl/czarnoziem/var/grypsera.pdf d.h. das Benutzen des Gefängnisjargons ist verpflichtend 14 aktive Homosexuelle 15 alle diese Begriffe beziehen sich auf das Denunzieren von Gruppenangehörigen 16 Gefängniswärter 17 Nichtangehörige der Gruppe, Denunzianten, Homosexuelle 18 Paket 19 die Degradierung zu einem „cwel“, also Homosexuellen 20 vgl. www.rostok.3-e.pl/czarnoziem/var/grypsera.pdf 13 6 3.1.1 Die Bedeutung der „grypsera“ für die „Gitowcy“ Laut Milewski spiegelt sich in der Verbrechersprache die moralische Einstellung ihrer Benutzer sowie das negative Verhältnis zu allgemein anerkannten gesellschaftlichen Normen wieder.21Der Besitz eines eigenen Kommunikationsmodells ist erforderlich für das psychische Wohlbefinden des Gefängnisinsassen, dazu zählen vor allem die für die menschliche Psyche wichtigen Bedürfnisse wie Sicherheit und Zugehörigkeit. Der Jargon, zudem die Gefängnissprache gehört, ist ein bewusst und gezielt geschaffenes Produkt, dass die Abgrenzung der Gruppe zu der zivilen Gesellschaft bewirkt22.Die Kenntnis der Gefängnissprache ist wie die Tätowierung ein äusseres Zeichen für die Zugehörigkeit zur Gruppe. Der Wortschatz der Gefängnissprache ist äusserst brutal und vulgär, insbesondere werden oft Wörter mit erotischem Bezug gebraucht. Einfluss darauf hat hauptsächlich die Isolation vom anderen Geschlecht. Einen ähnlichen, doch geringeren Einfluss hat diese Isolation auf den Soldatenjargon. Die sprachliche Kommunikation spielt in der Subkultur der Gefängnisinsassen eine wichtige Rolle. Das Sprechen ist wahrscheinlich der einzige aktive Bereich, der vom formalen System nicht verhindert werden kann. Der Grundstein dieser Subkultur ist also die Kreation von spezifischen Kommunikationsmodellen, d.h. mit wem kann man wann und wo sprechen. Bernalewski behauptet, der Gefängnisjargon eröffne die Möglichkeit der eigenen Persönlichkeitsrealisierung sowie des Zusammengehörigkeitsgefühls auf primitivster Ebene23. 3.1.2 Die Funktion tabuisierter Normen im Gefängnisjargon Die sprachliche Tabuisierung in der Subkultur der Gefängnisinsassen hat folgende Ziele: I. das Gefühl der Gefährdung zu eliminieren, II. die Ausgrenzung der Sphäre Impurum24, III. Schutz der Sphäre Sacrum25, IV. die gesellschaftliche Schichtung der Gefangenen V. die sprachliche Etikette I. Es ist in der menschlichen Psyche verankert, Ausdrücke, die in einem Angst hervorrufen zu vermeiden. Eine der ältesten tabuisierten Normen ist die Vermeidung von Wörtern, die an den Milewski, Stefan (1971): Gwara przestępcza i jej przenikanie do języka ogólnego, „ Poradnik językowy “ S.93 Geremek, B (1980): O językach tajemnych, „Teksty“ S.13 23 Bernalewski, Stefan (1974): Podkultura „ git-ludzi”, „ Więź” nr. 5, S.47 24 unreine Sphäre 25 heilige Sphäre 21 22 7 Tod erinnern. Im Gefängnisjargon werden deshalb oft Euphemismen, die auch scherzhaft sein können, benutzt: - wyjechać bramą gospodarczą z kartką u nogi: sterben - rzucić się na linę: sich aufhängen - wyhuśtanie: Todesstrafe Auch andere Gefahren werden sprachlich bagatellisiert: - załapać sie na oklep: zusammengeschlagen werden - zapudłować, zapuszkować, brać na przechowanie: jemanden verhaften II. Im Gefängnisjargon versucht man wie in der normalen Umgangssprache, Wörter zu vermeiden, die mit physischen Bedürfnissen, mit dem Geschlechtsleben, sowie mit Geschlechtsorganen zu tun haben. Deshalb existieren z.B. viele verschiedene Namen, die die Toilette bezeichnen: bardacha, dzban, kibel, skuter, ślepy, tron, wojtek. Während des Benutzens der Toilette darf der Gefangene mit niemandem reden, und diejenigen, die sich zeitgleich in der gleichen Zelle befinden, dürfen weder rauchen noch essen. Natürlich muss der Toilettenbenutzer vorher sein Bedürfnis signalisieren: „nie szamać, nie jarać, bardacha“26. Bei einem Verstoss gegen diese Regeln droht das schon vorher beschriebene „przecwelowanie“. Die Toilette ist also eine Sphäre Impurum und stellt einen Ort dar, an dem man „frajery“ erniedrigen kann, z.B. durch ständiges Verweilen an diesem Ort. Ebenso wird das männliche Geschlechtsorgan umschrieben mit Ausdrücken wie, kindybał, łysy, kodżak. Zu erwähnen wären noch sogenannte „bluzgi“27, mit deren Hilfe der „człowiek“28 dem „frajer“ seine Überlegenheit zeigt und in sprachlichen Duellen unter Gruppenangehörigen anwendet29. III. Zu dem Begriff sacrum zählen die „gitowscy“ an sich, sowie Bedürfnisse wie Essen, Rauchen und Materielles wie der Speiseplatz und das Geschirr. Diese Werte zählt es zu beschützen und jegliche „bluzgi“ abzuwehren. Dies geschieht durch das „kiciorowanie“, d.h., die Übertragung der negativen Folgen der „bluzgi“ auf den Sender. Es gilt dabei Wörter der „bluzgi“ tunlichst zu vermeiden. Man glaubt dabei an einen magischen Einfluss den die „bluzgi“ und das „kiciorowanie“, welches dem entgegenwirkt, haben. Eine gut ausgeprägte Fähigkeit des „kiciorowania“ beweist die Zugehörigkeit zu der Gruppe. Ausserdem wird die Sphäre sacrum unter anderem geschützt durch Verfluchungen und Eide, die man in 26 nicht essen, nicht rauchen, Toilette „unreine Wörter“, in Verbindung mit homosexuellen Kontakten oder dem Justizapparat (Gericht, Polizei, Gefängniswärter) 28 Mitglied der Git-ludzie 29 Oryńska, Anna (1986): Zasady komunikowania w gwarze więziennej – tabu i eufemizmy. Wrocław S.197 27 8 Konfliktsituationen sowie bei feierlichen Anlässen gebraucht. Sie gewährleisten das Einhalten des gegebenen Wortes und werden durch Redewendungen wie, prawilnie nawijam, prawie bez kicioru, jak pragnę wolności bekräftigt30. IV. Die Gefängnisinsassen sind, wie bereits erwähnt, informell in zwei Gruppen aufgeteilt, die „ludzie“ und die „frajery“. Anhand des Jargons schaffen die „ludzie“ ein völlig eigenes Ordnungssystem. Die vorher behandelten „bluzgi“ haben die Macht, jemanden zu degradieren, vorausgesetzt, sie werden von einem Angehörigen der „ludzi“ ausgesprochen. Werden sie von einem „frajer“ angewandt, haben sie keinerlei Wirkung. Die „frajer“ und erst recht die „cwele“ haben nicht das Recht, die „ludzie“ anzusprechen, sie dürfen nur auf ihnen gestellte Fragen antworten. VI. Die Bedeutung der sprachlichen Etikette wird deutlich, wenn man sich die Kommunikation zwischen Häftling und Wärter anschaut. Der Wärter wird vom Häftling formal angesprochen mit Anreden wie „panie oddziałowy“, oder auch absichtlich übertriebener mit „panie dowódco“ oder „wodzu“. Bei Gesprächen untereinander jedoch heisst der Gefängniswärter „klawisz“ oder „gad“. In der normalen Umgangssprache verhält man sich übrigens genauso, ein Polizist wird mit „panie władza“ angesprochen, während er inoffiziell „glina“ genannt wird31. 4. Verbrechersprache als Soziolekt und als Einfluss auf die Jugendsprache Zu den Soziolekten gehört natürlich nicht nur der Gefängnisjargon, sondern auch Sprachen, die sich mehr Achtung erfreuen und ebenfalls lange Tradition haben, wie der Soziolekt der Jäger, Ärzte, Reiter oder Segler. Einen wichtigen Platz nehmen Soziolekte von Jugendlichen ein, sie entstehen oft im sportlichen oder schulischen Bereich. Anhand von Soziolekten drücken Jugendliche meistens eine kreative Behandlung der Wirklichkeit aus. Die Entstehung von Soziolekten ist stark mit gesellschaftlichen Veränderungen und Erscheinungen verbunden, denn zwischen Soziolekten und gesellschaftlichen Phänomenen besteht eine Wechselbeziehung. Die Soziologie unterscheidet drei Typen von gesellschaftlichen Kontakten: 1. Struktur der Kultur in direkten Kontakten, also persönliche und individuelle Kontakte in der Familie und zwischen Gleichaltrigen 30 31 vgl. Oryńska (1986 ) S.200 vgl. Oryńska (1986 ) S.201 9 2. Institutionelle Struktur, teilweise formal, also geprägt durch gesellschaftliche Normen; wichtig sind hier die zwischenmenschlichen Kontakte innerhalb einer Gruppe, die die gleichen Ziele hat 3. Struktur der Massenkultur, also der Kontakte aller Gruppen untereinander; das Mittel für die Massenkommunikation ist in dem Fall das Polnische in Schrift und Sprache. Soziolekte funktionieren in den zwei ersten Bereichen: Z. B. in Gesellschaftskreisen, die der Unterhaltung und Zerstreuung dienen (Schachspielersprache, Computerspielersprache, o.ä.), in der Sprache von Gleichaltrigen (Slang der Skins, der Hippies, der Punks etc.) und bei der Sprache innerhalb bestimmter Berufsgruppen , deren Tätigkeiten legal (bspw. die Sprache der Jäger und Soldaten) oder illegal (Jargon der Diebe) sind. Forschungen haben ergeben, dass eigentlich jeder Mensch- da Mitglied verschiedener GesellschaftsgruppenTräger unterschiedlicher Soziolekte ist. In einer festen Gruppe, z.B. im Beruf, verharrt man jahrzehntelang, in einer anderen verweilt man nur kurz, z.B. als Fan einer Musikgruppe. Deswegen sind auch Soziolekte von Jugendlichen so veränderbar und von Menschen, die fest im Berufsleben stehen eher beständig. Arten von Soziolekten, die in direkten zwischenmenschlichen Kontakten entstehen, sind ständig veränderbar, beständig sind nur die Mechanismen der Schaffung neuer Wörter. Die Grenzen zwischen den verschiedenen Gesellschaftsgruppen sind genauso wie bei den Soziolekten oft verwischt. Diese Situation ist für gegenseitige Einflüsse günstig, und führt zwangsläufig dazu, dass Teile des Wortschatzes der Verbrechersprache, deren oberste Priorität ursprünglich die Geheimhaltung war, durch Jugendliche übernommen werden, obwohl diese nicht durch illegale Tätigkeiten auffallen.32 vgl. Grabias, Stanisław (2001): Środowiskowe i zawodowe odmiany jezyka “Współczesny Język Polski” Lublin, S.251 32 10 5. Schlussbemerkung Die Entstehung einer Subkultur im Gefängnis hat, wie schon festgestellt, bestimmte Gründe, und zwar Ängste und Bedürfnisse die sich psychologisch, soziologisch sowie biologisch äussern. Wichtig ist auch zu erwähnen, dass ob und wie sehr ein Gefängnisinsasse sich in so eine Gruppe einlebt, und ihre Regeln und Normen, sowie ihre spezifische Sprache annimmt, davon abhängt wie seine eigene Persönlichkeit ist, für welche Straftat er eingesperrt wurde, und wie lange er diese Strafe absitzen muss. Denn je länger der Sträfling im Gefängnis verweilt, desto besser beherrscht er den Gefängnisslang, die Regeln und Normen, und desto höher ist seine Position in der Gruppenhierarchie. Der Grundstein dieser Subkultur sind zweifelsohne die verbalen und auch nonverbalen Kommunikationsmodelle. Insbesondere der Grundsatz der Tabuisierung spielt eine wichtige Rolle: die Existenz von informellen Gruppen wird dadurch verteidigt, das Problem der räumlichen Einschränkung wird gelindert, Aggressionen werden kanalisiert, ein Sicherheitsgefühl wird vermittelt und die Zugehörigkeit zu einer Gruppe wird gewährleistet. Der Gefängnisjargon änderte sich oft auf grund historischer Ereignisse, denn so wie der jeweilige Zeitabschnitt anders war, waren auch die Menschen und somit die Gefängnisinsassen anders. Aus Erzählungen habe ich z.B. erfahren dass während des Stalinismus eine andere Art von Gefangenen andere Normen, Regeln und Sprachausdrücke hatte als z.B. in den Jahren 1981-83 die Mitglieder der Solidarność, obwohl beide Gruppen nicht aus kriminellen, sondern aus politischen Gründen eingesperrt waren. Der Unterschied war, dass die Mitglieder der Solidarnosc nicht in Gefängnissen waren, sondern in sogenannten Internierungslagern, wo die Bedingungen um einiges besser waren als in den Strafanstalten während des Stalinismus. Diese Lager hiessen bei den Gefangenen „Internat“, eine Bezeichnung die ihren Ursprung im Wort „internować“ hat. Andere Gefangene, die während des Kriegsrechts verhaftet wurden, kamen jedoch in normale Gefängnisse. Da die Subkultur der Gefängnisinsassen und ihr Jargon sehr facettenreich sind, ist es leider nicht möglich, hier auf alle Details einzugehen daher habe ich versucht, die wichtigsten Aspekte und Wechselwirkungen zwischen sozialen Umfeld und Umgang mit der Sprache darzustellen. Gerade hierfür stellt der Gefängnisjargon ein aufschlussreiches Forschungsgebiet dar, da es sich hier um einen Soziolekt handelt, der sich in räumlicher und weitgehend gesellschaftlicher Isolation zu einer fast eigenständigen Sprache und Umgangsform entwickelt hat. 11 Literaturverzeichnis Bernalewski, Stefan (1974): Podkultura „git-ludzi“ , „Więź“ nr.5 Geremek, B (1980): O językach tajemnych, “Teksty“ Grabias, Stanisław (2001): Język w zachowaniach społecznych. Lublin. Grabias, Stanisław (2001): Środowiskowe i zawodowe odmiany języka “Współczesny Język Polski” Lublin Klonowic, Sebastian Fabian (1984): Flis. Warszawa Milewski, Stefan (1971): Gwara przestępcza i jej przenikanie do języka ogólnego, “Poradnik językowy” Oryńska, Anna(1986): Zasady komunikowania w gwarze więziennej – tabu i eufemizmy. Wrocław Internetquellen www.rostok.3-e.pl/czarnoziem/var/grypsera.pdf 12