HOMMAGE À TADEUSZ KANTOR SPEKTAKEL, KUNST UND LEBEN 29. September – 6. November 2015 © Anka Ptaszkowska, Panoramic Sea Happening", Łazy 1967, Photo: Eustachy Kossakowski Zum hundertsten Mal jährt sich 2015 der Geburtstag des »polnischen Universalgenies« Tadeusz Kantor (1915–1990) aus Krakau. Das Polnische Institut Düsseldorf ehrt den Maler, Theaterregisseur, Kunsttheoretiker, Bühnenbildner und Aktionskünstler mit einer Ausstellung, die von einem umfassenden Filmprogramm in K20 Kunstsammlung NordrheinWestfalen begleitet wird. Die ausgewählten Dokumentationen ebenso wie die Aufzeichnungen der mit dem Theater Cricot 2 realisierten Stücke zeichnen ein komplexes Bild des Theatermachers Kantor: Im Zentrum seiner künstlerischen Arbeit, die gewisse Parallelen zum Schaffen von Joseph Beuys aufweist, steht der von den Gräueln der Geschichte gezeichnete Mensch. In seinen »Spektakeln« entwirft Kantor utopische, freie, mitunter groteske Gegenwelten, die – wie auch der einzigartige Künstler und »ewige Wanderer« Tadeusz Kantor − in den Filmen zu entdecken sind. Vita Tadeusz Kantor wird 1915 in Wielopole Skrzyńskie bei Krakau geboren. Von 1934 bis 1939 studiert er an der Akademie der Schönen Künste in Krakau. Während der deutschen Besatzung gründet er ein experimentelles, unabhängiges Untergrundtheater, Cricot, in dem er damals verbotene Produktionen wie Juliusz Słowacki’s Balladyna (1943) und Stanisław Wyspiański’s The Return oft Odysseus (1944) aufführt. Für die Avantgarde in Krakau sind sie stilprägend. Mit Kollegen organisiert Kantor 1948 die erste Ausstellung Moderner Kunst in Krakau, wo er seine metaphorischen Bilder zeigt. Bis in die Mitte der 1970er Jahre entwirft er Kostüme und Bühnenbilder für die Theaterproduktionen. Aus Protest gegen die sozialistische Doktrin tritt er 1950 aus dem offiziellen Künstlerkreis aus (−1954). 1955 gründet er dann, gemeinsam mit Maria Jarema und Kazimierz Mikulski, das Theater Cricot 2. 1957 reaktiviert er mit einigen anderen Künstlern die so genannte Krakau-Gruppe, die vor dem Krieg im Untergrund tätig war. 1959 und 1977 stellt er im Rahmen der documenta 2 und 6 in Kassel aus. Im Kontext des Theaters Cricot 2, in dem er Stücke von Stanisław Ignacy Witkiewicz und später seine eigenen Dramaturgien umsetzt, entwickelt er ein Theaterlaboratorium, das vom Autonomen Theater (1956), über Theater Informel (1961) zum Zero Theater (1963), Cricotage/ Happening (1965−67) und dem Unmöglichen Theater (1973) reicht und 1975 im so genannten Theater des Todes kulminiert. Durch seine vielen Reisen ins europäische Ausland (vornehmlich Paris) und auch nach Übersee wird seine Kunst von Informel, NeoDada und Konzept Kunst beeinflusst. 1960 erfindet er eine neue Kunstform – die Emballage, das Verpacken von Objekten. Ab 1965 macht er, vor allen Dingen in Kooperation mit der berühmten Avantgarde Galerie Foksal in Warschau, mit Aktionen und Happenings von sich reden. 1975 publiziert er sein Manifest »Theater des Todes«. Die logische Folge daraus war das Stück Die Tote Klasse (Umarła klasa) aus demselben Jahr. Bis zu seinem plötzlichen Tod im Jahr 1990 produziert seine aus Laien und Künstlern bestehende Schauspielgruppe Cricot 2 insgesamt fünf eigene Stücke. Diese sind nun im Rahmen der Filmreihe zu erleben. Die Uraufführung der letzten Produktion Heute ist mein Geburtstag erlebt Tadeusz Kantor, der bei allen Stücken aktiv auf der Bühne war, nicht mehr. Er stirbt am 8. Dezember 1990. Spektakel, Kunst und Leben Filmprogramm in Kooperation mit dem Polnischen Institut Düsseldorf und der Cricoteka, Dokumentationszentrum der Kunst von Tadeusz Kantor, Krakau. ___________________________________________________________________ Kunst und Leben Drei Dokumentationen zeigen den »Impressario« bei der Arbeit. Zu sehen sind Sequenzen aus seinen frühen Emballage-Aktionen in Nürnberg 1968, der Auftritt auf der documenta 1987 und Probenszenen aus den Theaterstücken, die er selbst Spektakel nannte. Zu Wort kommen Zeitgenossen und Wegbegleiter. täglich 10.15 Uhr Kantor ist da. Der polnische Regisseur, Maler und Verpackungskünstler Regie: Dietrich Mahlow, Saarländischer Rundfunk/SWR 1968 (46‘) täglich 13.00 Uhr Tadeusz Kantor – Ein begnadeter Tyrann Regie: Andrzej Białko, Verlag für moderne Kunst Nürnberg, 1997 (40‘) täglich 16.00 Uhr Theater des Todes. Tadeusz Kantor Künstler, Ketzer, Provokateur der Welt Regie: Michael Kluth, Metrovision-Film, Bonn, im Auftrag des MDR-Fernsehens und des Polnischen Fernsehens in Zusammenarbeit mit ARTE, 1997 (59‘) Spektakel Di / Sa / So 11.15 Die Tote Klasse UA 1975, Galeria Krzysztofory in Krakau − Aufführung 1976, Regie: Andrzej Wajda (75‘) Polnisches Fernsehen/TVP, dt. UT. Das Theater des Todes, wozu auch die Produktion Die Tote Klasse gehört, markiert den Höhepunkt in Kantors Theatertheorie. In diesem ersten, 1975 in der uraufgeführten, Stück mit eigener Dramaturgie und Text ist der zentrale Bühnenraum, ein Klassenraum mit drei Glühbirnen und fünf hölzernen Schulbankreihen. Greise, mit kindlichen Puppenkörpern im Arm, betreten die Klasse und »besetzen« die alten Schulbänke mit ihrer Vergangenheit. Die Bühne wird zum Raum der kollektiven Erinnerung. Das Stück hat keine stringente Handlung, seine Chronologie wird von Kantor ständig unterlaufen. Vielmehr entwickelt es sich aus rituellen Akten, einer Dynamik aus Bewegung und Stillstand, an der der Autor (wie immer selbst mit auf der Bühne) als »Dirigent« mitwirkt. Die Puppe, als immer wiederkehrendes Zeichen für den Ausdruck der »Realität des niederen Ranges«, repräsentiert das kollektive Gedächtnis der Kindheit und wird zum Modell für die Schauspieler. In einer Mischung aus Verarbeitung von Erlebtem und düsterer Stagnation ist dieses Stück ein beklemmendes Zeugnis des Lebens: mit der Geburt beginnt der Todeskampf. Die Tote Klasse ist wohl Kantors berühmtestes Stück, das weltweit enthusiastisch aufgenommen wurde. Einige Requisiten sind als künstlerische Objekte erhalten. Di 14.00 / Fr 11.15: Wielopole, Wielopole UA 1980, Chiesa Santa Maria, Florenz – Aufführung 1983, Regie: Andrzej Sapija (68‘) Polnisches Fernsehen/TVP, engl. UT Fünf Jahre nach der Uraufführung von Die Tote Klasse bringt Kantor mit diesem Stück, das dank einer Einladung der Stadt Florenz entsteht, ganz persönliche Kindheitserinnerungen auf die Bühne. Der Zuschauer wird in das »Kinderzimmer« Kantors geführt. Nach und nach tauchen Personen auf, die das Leben des Künstlers geprägt haben: Mutter, Vater, Onkel und Tanten, Priester und Rabbis, Soldaten und Wasserträger. Diese Figuren werden später zu Prototypen des Kantor’schen Theaters und tauchen in denselben Kostümierungen in anderen Stücken wieder auf. Die Farbenwelt des Bühnenbildes und der Kostüme ist schon hier im Wesentlichen auf Schwarz, Weiß, Grau und Beige, Braun beschränkt. Mi 11.15 / Fr 14.00: Die Künstler sollen krepieren UA 1985 in einer alten Gießerei in Nürnberg − Aufführung 1986, Regie: Stanisław Zajączkowski (77‘) Polnisches Fernsehen/TVP, engl. UT Die dritte Produktion des Theaters des Todes, die Kantor offiziell eine Revue nannte, beginnt er auf Einladung der Stadt Nürnberg. Bald jedoch wird klar, dass die Stadt die nötigen finanziellen Mittel nicht aufbringen kann. Der Industrielle und Mäzen Kantors, Dr. Karl Gerhard Schmidt, übernimmt schließlich die Kosten. Inspiriert von der Lebensgeschichte des deutschen Renaissance Bildhauers Veit Stoß, der in Nürnberg lebte und arbeitete und aus dessen Werkstatt der weltberühmte fünfteilige Marienaltar in der Krakauer Marienkirche stammt, dient der Künstlertypus hier als Bild für den Schöpfer schlechthin. In der Szenerie werden die Tafeln des Marienaltars, in dem Veit Stoß den Heiligen reale, menschliche Gesichter gegeben hatte, nachempfunden. Kantor selbst beschreibt das Set in der Ankündigung von damals: »Nicht: ein definierter Ort, genannt in den Bühnenanweisungen − Aber: überlappende Erinnerungsrahmen, erinnert aus der Vergangenheit, ›posing‹ − so tun als ob es Gegenwart wäre, scheinen auf ohne gute Begründung, verschiedene Gegenstände, Menschen, Situationen und in diesem verrückten Szenario, jedwede Verbindung zur Logik verlieren, die das Leben bestimmt.« Mi / Do 14.00 Ich kehre hierher nie mehr zurück UA 1988, Piccolo Teatro Studio, Mailand – Aufführung 1990, Regie: Andrzej Sapija (81‘) Polnisches Fernsehen/TVP, engl. UT Die vorletzte Eigenproduktion von Tadeusz Kantor, ein Theaterstück über das Theater, gilt gemeinhin als autobiografisch. Auf einer sehr sparsamen schwarzen Bühne mit fünf Türen hängt mittig ein zweiseitiges Megafon, durch das Kantor zuweilen monologisiert. Er selbst wirkt erstmalig zwar aktiv mit; spricht aber nicht direkt, und steht so in Opposition zu seinen Schauspielern. Das übliche Spektakel, Festival, Drama des (seines) Lebens wird aus der Erinnerung – auch der eigenen Stücke – erzählt. Bekannte Figuren, Rollen tauchen in ihren Kostümen, mit Zitaten aus anderen Stücken auf. Die einprägsamste Bild ist wohl der als Puppe wiederkehrende tote Vater, der in Ausschwitz umkam. Do 11.15 / Sa/So 14.30 Heute ist mein Geburtstag 1991 – Posthume Uraufführung, Théatre Garonne, Toulouse, 1991, Regie: Stanisław Zajączkowski (77‘) Polnisches Fernsehen/TVP, engl. UT Während er in Krakau sein Stück Aujourd’hui c’est mon anniversaire probt, stirbt Tadeusz Kantor am 8. Dezember 1990 plötzlich. Als Hommage an Kantor lesen im Film von Stanisław Zajączkowski Mitwirkende eine kurze Einleitung und zeigen Zeichnungen des Künstlers. Der Tisch, an dem Kantor während der Proben saß, bleibt demonstrativ leer. Seine Stimme vom Tonband ist Teil des Stücks. Gemälderahmen beherrschen das Bühnenbild. In und vor ihnen findet das Geschehen statt. Ein Schauspieler »spielt« Kantor, ahmt ihn durch Gestik und Kleidung nach. Andere malerische Zitate, wie die Infantin aus Diego Velázquez‘ Las Meninas sind deutlich erkennbar. Des Künstlers Lebenskampf wird hier bis zum Tod auf der Bahre nachgespielt. Das Stück endet in einem fulminanten Menschenauflauf, in dessen Mitte sich ein stummer, weiß gekleideter Engel schiebt. Handlungen und Dialoge brechen unvermittelt ab und es entsteht ein Moment der Stille, der Künstler ist tot. In Kooperation mit: Dokumentationszentrum der Kunst von Tadeusz Kantor, Krakau