HINTERGRUNDINFORMATION Kunstherz und Herzunterstützungssysteme: Was ist das? Wenn die Pumpleistung des Herzens durch pharmakologische Unterstützung oder durch Rhythmus-Verbesserung mit einem Schrittmacher nicht mehr ausreichend gestärkt werden kann, verbleibt als letzte Möglichkeit die Unterstützung oder der Ersatz mit mechanischen Pumpen und eine Transplantation. Da das Herz aus zwei Kammern besteht (Die linke pumpt den großen Körperkreislauf bei hohem Druck, die rechte den Lungenkreislauf bei niedrigem Druck), wären zur vollständigen Unterstützung zwei Pumpen notwendig. Da aber die rechte Kammer nur gegen einen niedrigen Druck pumpt, kann man die Restfunktion des Herzens oft dahingehend ausnützen, nur die Funktion der linken Kammer zu ersetzen. Bei einem Totalherzersatz wird das Herz entnommen und statt dessen eine Doppelpumpe eingebaut. Dies erschien in der Frühzeit der Blutpumpen als einzig gangbarer Weg bei einem schwer geschädigten Herzen, hat sich aber in den meisten Fällen als unnötig großer Eingriff herausgestellt. Deshalb wird heute meist mit Unterstützungspumpen gearbeitet, die die Herzkammern wie Turbolader entlasten und den Aufbau des Blutdrucks übernehmen. Wird nur die linke Kammer unterstützt, spricht man von einem Linksherzunterstützungssystem, bei zwei Pumpen von einem biventrikulären Unterstützungssystem. Seite 1 von 7 HINTERGRUNDINFORMATION Welche Pumpen gibt es? Früher waren die Blutpumpen als Membranpumpen dem natürlichen Herzen nachempfunden, mit einer pulsierenden Membran und mit Einstrom- und Ausstromklappen. Damit glaubte man das Blut möglichst schonend pumpen zu können, um Blutzerstörung und die Bildung von Gerinnseln zu vermeiden. Intensive Forschungen zur Biokompatibilität und den technischen Eigenschaften von Pumpen machten es möglich, Rotationspumpen zu entwickeln, die trotz enorm hoher Umdrehungszahlen (je nach Typ bis 30000 Umdrehungen pro Minute) das Blut schonend pumpen können. Dabei gibt es Zentrifugalpumpen, bei denen das Blut durch Zentrifugalkräfte bewegt wird, und Axialpumpen, die ähnlich wie Turbinen aufgebaut sind. Bei diesen Pumpen gibt es nur ein bewegtes Teil, das bei den neuesten Pumpen im Blut schwimmt. Damit werden Gerinnsel fast vollständig vermieden. Die Energieversorgung erfolgt über eine Leitung durch die Bauchwand, von einem Ansteuergerät mit Akkumulatoren. Die dazu notwendige Tasche ist sehr unauffällig: Mit einer Größe wie bei einem mittleren Photoapparat kann man zwischen 6 und 10 Stunden unterwegs sein, bevor die Akkumulatoren getauscht werden müssen. In der Nacht schließt man sich an einer stationären Versorgung an. Seite 2 von 7 HINTERGRUNDINFORMATION Wer profitiert von einem Kunstherz: Patienten, bei denen Pharmaka und eventuell auch besondere Schrittmacher keine ausreichende Pumpleistung des Herzens mehr bewirken und die dadurch in ihrem Alltag äußerst eingeschränkt sind (NYHA-Classification 3- und 4). Dazu gehören Patienten nach schweren Herzinfarkten und Patienten mit Herzmuskelschwäche, die aus verschiedenen Ursachen (u.a. Autoimmunerkrankungen, Herzmuskelentzündung, Nebenwirkung bei onkologischen Therapien) entstehen kann. Allerdings dürfen die anderen Organe (zum Beispiel Leber, Nieren) noch nicht bleibend von der schlechten Durchblutung geschädigt sein. Was ist heute möglich: Lebenserwartung, Lebensqualität Die Lebenserwartung mit Kunstherz hat sich in den letzten 10 Jahren massiv verbessert: Heute überleben in guten Zentren mehr als 80% der vorher todgeweihten Patienten mehr als 2 Jahre, bei uns liegt diese Zahl heute bei 85%! Anders als bei den früher verwendeten Membranpumpen gibt es von der Pumpe her so gut wie keine technische Begrenzung der Lebensdauer. Die meisten Patienten merken bereits in den ersten Tagen nach der Implantation eine deutliche Verbesserung der Kreislaufsituation, nach einem Rehabilitationsaufenthalt können sie üblicherweise den Alltag problemlos bewältigen, leichten Sport ausüben und machmal sogar wieder ihrem Beruf nachgehen. Im Alltag sind die Patienten meist nicht als solche zu erkennen. Zur Vermeidung von Blutgerinnseln müssen unsere Patienten (so wie Patienten mit künstlichen Herzklappen) blutverdünnende Mittel einnehmen. Seite 3 von 7 HINTERGRUNDINFORMATION Meilensteine der Wiener Forschung und klinischen Anwendung 1968 Prof. Navratil baut eine interdisziplinäre Forschungsgruppe auf, erste Arbeiten zur mechanischen Herzunterstützung mit einem pulsatilen Ballon in der Hauptschlagader 1974 Erster Langzeiteinsatz von Blutpumpen als Bypass am Kalb mit Namen "Esmeralda". ( Wolner, Thoma, Losert, Fasching) 1977 Entwicklung eines Total-Herz-Ersatzes 1982 Weltweit erster Einsatz eines Total-Herz-Ersatzes in Salt Lake City) 1984 Erste Herztransplantation in Wien 1986 Erster Totalherzersatz als Überbrückung zu einer Transplantation, erste erfolgreiche Überbrückung in Europa 1988 Gemeinsam mit der TU Athen weltweit erste Computersimulation der Blutzerstörung in Rotationsblutpumpen 1993 Entlassung von Patienten mit elektromagnetischen Systemen nach Hause 1997 Gemeinsam mit dem Baylor-College in Houston weltlängster Einsatz von Rotationsblutpumpen im Experiment 1998 Gemeinsam mit Berlin weltweit erste klinische Einsätze von Rotationsblutpumpen 1999 Weltweit erste Entlassung eines Patienten mit Rotationsblutpumpe nach Hause 2003 Weltweit erste klinische Studie zur physiologisch angepassten Regelung von Rotationsblutpumpen 2006 Weltweit erster Einsatz einer Rotationsblutpumpe mit hydromagnetischer berührungsloser Lagerung (Heartware HVAD) 2009 Nichtinvasive kontinuierliche Beobachtung der Wechselwirkung zwischen Herz und Blutpumpe 2010 Langzeit-Evaluierung einer daumengroßen hydromaggnetisch gelagerten Blutpumpe für minimal-invasive Implantation mit Wiener Kanülenentwicklung Seite 4 von 7 HINTERGRUNDINFORMATION Wiener Forschungsschwerpunkte heute: Implantation unter maximaler Schonung der Restherzfunktion: Durch besondere Strategien bei der Implantation und in der ersten postoperativen Phase wird eine maximal schonende Adaptierung des Herzens, insbesondere der rechten Seite, an die neue Situation vorgenommen. Damit ist es möglich, in praktisch allen Fällen nur mit einer Pumpe zur Unterstützung der linken Seite, also des Körperkreislaufes auszukommen, und so dem Patienten große Systeme zu ersparen. Miniaturisierung der Systeme: Eine Kunstherz-Implantation stellt heute noch einen sehr großen Eingriff dar. Gemeinsam mit Firmen wird an einer nächsten Generation von Systemen gearbeitet, die mit wesentlich kleineren chirurgischen Eingriffen eingebaut werden können. Die Wiener Gruppe beschäftigt sich dabei insbesondere mit der Entwicklung von Kanülen, die das Blut aus dem Herzen aufnehmen und keine Blutgerinnsel verursachen dürfen. Automatische Regelung mit Anpassung an den physiologischen Bedarf: Heute werden die Pumpen auf eine konstante Drehzahl eingestellt, die einen Kompromiß zwischen der Unterstützung in Ruhe und bei körperlicher Tätigkeit darstellt. Die Anpassung wird dabei durch die Restfunktion des Herzens übernommen. Um eine noch bessere Adaptierung insbesondere auch an erhöhte körperliche Aktivität zu erreichen, werden Methoden zur automatischen Regelung der Drehzahl entwickelt. Die Wiener Gruppe hat dazu die weltweit erste klinische Studie erfolgreich durchgeführt. Kontinuierliche Überwachung und Optimierung der verbleibenden Herzfunktion: Um die Versorgung des Patienten über viele Jahre sicherzustellen, ist es wichtig, die verbleibende Funktion insbesondere der rechten Herzkammer sicherzustellen. Dazu werden die von der Pumpe erhaltenen Daten ausgewertet, die wichtige Informationen über die Wechselwirkung zwischen Implantat und Organismus enthalten. Anwenderfreundlichkeit: - Sicherheit und Alltags-Tauglichkeit: Gerade bei lebenserhaltenden Systemen ist die Klarheit und Selbstverständlichkeit der Bedienbarkeit von wesentlichster Bedeutung. Fehlbedienungen oder Irrtümer könnten zu lebensbedrohenden Zuständen führen. Eine Pumpe sollte so selbstverständlich zu bedienen sein wie ein guter Photoapparat. Die Wiener Gruppe ist daher seit zehn Jahren besonders um diese Fragen bemüht, hat Informationsmaterial und Übungssysteme entwickelt. Derzeit leiten wir eine europaweite Multi-Center-Studie, die weitere Verbesserungen in der Gestaltung der Komponenten und des Trainings bringen soll. Seite 5 von 7 HINTERGRUNDINFORMATION Der Boltzmann-Cluster für Kardiovaskuläre Forschung Der Ludwig Boltzmann Cluster (LBC) für kardiovaskuläre Forschung entstand 2006 im Zuge der Restrukturierung der Ludwig Boltzmann Institute (LBI) aus drei bis dahin eigenständigen Instituten, dem LBI für Interventionelle Kardiologie und Rhythmologie am Wiener Wilhelminenspital, dem LBI für herzchirurgische Forschung am AKH Wien und dem LBI für kardiovaskuläre Forschung am AKH Wien. Die im LBC für kardiovaskuläre Forschung arbeitenden WissenschaftlerInnen haben die Cluster-Bildung von Anfang an als Chance gesehen, durch die „Fusion“ dreier thematische verwandter Institute Synergien auf verschiedenen Gebieten der kardiovaskulären Medizin nutzen zu können. Der LBC für kardiovaskuläre Forschung stellt sich daher die Aufgabe mit einem interdisziplinären Ansatz die klassische Trennung zwischen Innerer Medizin und Chirurgie im Bereich der kardiovaskulären Medizin zu überwinden, um sich der aktuellen Problemstellungen der kardiovaskulären Forschung anzunehmen. Durch die Zusammenarbeit von ForscherInnen aus dem Grundlagenbereich und aus dem klinischen Umfeld fließen Ideen aus diesen beiden Bereichen in die Forschung des LBC für kardiovaskuläre Forschung ein. Ein weiterer Vorteil der Clusterbildung ist es, dass aufgrund der verschiedenen Arbeitsansätze auch ein breites Spektrum an Methoden verwendet und verschiedene Geräte und Techniken und die damit verbundene Expertise genützt werden. Das spielt beispielsweise bei der gemeinsamen Nutzung teurer Großgeräte eine wichtige Rolle. Der dritte Vorteil liegt in der Positionierung des Clusters am Übergang von Grundlagenforschung und Klinischer Forschung. Das bringt die MitarbeiterInnen des Clusters in die beneidenswerte Position, direkten und raschen Zugang zu biologischem Material von PatientInnen wie beispielsweise Blut- oder Plasmaproben bzw. Gewebeproben zu haben. Die Hauptforschungsgebiete des Clusters liegen im Bereich Kunstherz und Kreislaufunterstützung, im Bereich Postinfarkt Remodeling mit Schwerpunkt geschlechtsspezifische Unterschiede und auf dem Gebiet der Gefäßerkrankungen. Klinisch besonders relevant sind dabei die Erforschung neuer Kunstherzmodelle und der Verlauf von Patienten mit Diabetes mellitus nach Koronarinterventionen mit Stents. In der Grundlagenforschung werden die Assoziation des Fettgewebes mit Herzkreislauferkrankungen, der Schutz des Herzens während einer Herzoperation, und der mögliche Einsatz von Stammzellen in der Therapie von Herz- und Gefäßerkrankungen sowie der Bau neuer kleinkalibriger Gefäßprothesen untersucht. Seite 6 von 7 HINTERGRUNDINFORMATION Gesprächspartner Univ. Prof. Dr. med. Günther. Laufer Leiter der Klinischen Abteilung für Herzchirurgie der MedUni Wien am AKH, Zahlreiche Funktionen in internationalen Gesellschaften. Univ.Prof. Dipl.Ing. Dr. techn. Heinrich Schima Zentrum für medizinische Physik und Biomedizinische Technik der MedUni Wien Technischer Leiter des Wiener Kunstherzprogramms. Mehrere internationale Preise und eines österreichischen Staatspreises. Präsident der Europäischen Gesellschaft für Künstliche Organe, Vorstandsmitglied internationaler Gesellschaften. Univ.Prof. Dr. med. Georg Wieselthaler Klinische Abteilung für Herzchirurgie der MedUni Wien am AKH, Medizinischer Leiter des Wiener Kunstherzprogramms. Träger internationaler Preise, Vizepräsident der Internationalen Gesellschaft für Rotationsblutpumpen. Univ. Prof. Dr. Johann Wojta Koordinator des Ludwig-Boltzmann-Clusters für Kardiovaskuläre Forschung. Koordinator des Center of translational Research der MedUni Wien. Leiter des Forschungslabors der Abt. Kardiologie. Mehrere internationale Preise. Seite 7 von 7