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Vorwort
Souheil Thabti
Fiqh al-mu’ämalät al-mäliyya istjener Bereich des islamischen Rechts, der sich
mit ökonomischen Sachverhalten befasst und den Gegenstand des vorliegenden
Werkes ausmacht und der ebenso der Konferenz „Islamisches Wirtschaftsrecht“
vom 24. und 25.01.2014 am Institut für Islamische Theologie an der Universität
Osnabrück zugrunde lag. Recht im religiösen Kontext offenbart sich als Juris­
tenrecht mit göttlichem Ursprung. Es ist insofern das Ergebnis menschlichen
Bemühens in einem von Gott festgelegten Rahmen. Damit ist die Besonderheit
des Rechts im islamischen Sinne, das sich in seiner Statik (göttlicher Ursprung)
und (Eigen-) Dynamik (Juristenrecht) zeigt, beschrieben. Denn der Begriff des
fiqh meint in diesem Zusammenhang „verstehen“ und in der Konsequenz „Ver­
standenes entsprechend anwenden“. Die Anwendung resultiert also aus dem
Prozess des Verstehens der göttlichen Intention (die göttliche Intention und die
Intention der Scharia werden als Synonyme gehalten) hinter der offenbarten
Normierung eines (Einzel-)Falls. Das Verstehen kann also nur dann im Sinne
der Scharia fruchtbar sein, wenn der Sinn des zu verstehenden Falles in den
Quellen des islamischen Rechts ergründet und die Conclusio damit nicht allein
auf die dort beschriebene Form beschränkt, sondern die ratio erfasst wird. Ein
rein formalistischer Ansatz kann deshalb nicht zwingend zur Entsprechung der
benannten Intention führen. Die Anwendung der Norm kann ohne die Berück­
sichtigung des Kontextes insofern nicht ohne weiteres die gewünschte Entspre­
chung der göttlichen Intention hersteilen und bedarf daher der beständigen Kontextualisierung und der gegebenfalls erforderlichen Adjustierung. Daneben wird
durch den beschriebenen Prozess des Verstehens die Ambiguität des zu verste­
henden Sachverhalts hinsichtlich seiner Bedeutung hervorgehoben, weshalb die
Rolle der Intentionen als Maßstab von herausragender Relevanz ist. Die Ambi­
guität des Textes erklärt schließlich die unterschiedlichen Meinungen zwischen
den einzelnen Strömungen und Rechtsschulen, aber auch die Unterschiedlich­
keiten hinsichtlich der Auffassungen innerhalb derselben.
Die Quellen, aus denen der angesprochene Sinn entnommen wird, sind im
islamischen Recht: Koran, Prophetentradition (sunna), Konsens (igmä ') und Ana­
logieschluss (qiyäs), wobei Konsens und Analogieschluss keine eigenständigen
Quellen darstellen und der qiyäs nach Meinung einiger Rechtsgelehrte wie alGazäll weniger eine eigenständige Rechtsquelle ist, als vielmehr eine Methode,
die es erlaubt, aus den Primärquellen Urteile über neu entstandene Sachverhalte
aus bereits bestehenden Urteilen abzuleiten. Ihre Heranziehung bedarf also stets
einer der beiden Primärquellen, weshalb sie nie ohne diese als Legitimations­
grundlage dienen kann.
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Vorwort
Der wirtschaftsbezogene Rechtsbereich, also das islamische Wirtschafts­
recht, ist folglich ebenso von der bereits beschriebenen Charakteristika des fiqh
dergestalt geprägt, einen festen und einen wandelbaren Teil zu besitzen. Fest
hieran sind zwei wesentliche Elemente, die zum einen das Ziel und zum anderen
den Rahmen bestimmen, in dem das wirtschaftliche Zusammenleben stattfinden
soll. Durch die Lektüre derjenigen Normen in den Quelltexten, die sich mit wirt­
schaftlichen Beziehungen auseinandersetzen, gelangten die Rechtsgelehrten der
verschiedenen Strömungen und Rechtsschulen zum Ergebnis, dass die Scharia in
puncto Wirtschaft eine sozi-ökonomische Gerechtigkeit anstrebt, die sich zum
einen durch die Fokussierung auf die Bedarfsdeckung innerhalb der Gesellschaft
kennzeichnet und zum anderen dem individuellen Streben nach Vermögensver­
mehrung Rechnung trägt und dieses im Sinne einer das wirtschaftliche Wachs­
tum anstrebenden Gesellschaft fördert. Das von der Scharia formulierte Ziel der
Gerechtigkeitsherstellung (Koran 57:25) sucht sie durch die Aufstellung ent­
sprechender Normen, die in einem den Intentionen der Scharia dienenden Rah­
men eingebettet sind und darin eingebettet bleiben sollen, zu erreichen. Eines
der grundsätzlichen Rahmenprinzipien besagt, dass alle Verträge von der grund­
sätzlichen Erlaubtheit (al-ibäha al-asliyya), welche den Vertragsparteienjegliche
Vertragsfreiheiten erlaubt, solange die von der Scharia aufgestellten Verbote
eingehalten werden, erfasst sind. Die auf den nächsten Seiten behandelten Ver­
bote verstehen sich dabei als Grenzen dieser individuellen Vertragsfreiheit, weil
dort die Rechte der jeweiligen Vertragspartner bzw. Dritter verletzt zu werden
drohen. In allen Vertragstypen des islamischen Wirtschaftsrechts, die in einigen
Beiträgen Gegenstand der Betrachtung sein werden, sind Verbote zu beachten,
die sich aus dem unveränderlichen Rahmen ergebenden Werte, wie Gerechtig­
keit, Nachhaltigkeit, Transparenz und Fairness, gewährleisten sollen. So muss es
sich beim Vertragsgegenstand um eine erlaubte Ware bzw. Dienstleistung han­
deln. Zinsen, Wetten, Schwein, Alkohol, Drogen, Pornografie, Tabak und damit
in Zusammenhang stehende Dienstleistungen dürfen demnach nicht Gegenstand
eines Vertrages - gleich welchen Typs - sein. Auch sind Verträge, die eine un­
klare oder ungerechte Struktur aufweisen und somit wegen der Intransparenz
eine rechtliche Unklarheit für die Vertragsparteien darstellen, ebenfalls verbo­
ten; wobei eine ungerechte Struktur dann im Sinne der Scharia gegeben ist,
wenn die genannten Verbote nicht eingehalten werden. Die Ergründung der In­
tention der Vertragsparteien spielt daher insofern eine Rolle, als dass sie darüber
Auskunft gibt, ob sie der Intention der Scharia entspricht. Deshalb ist es stets die
Aufgabe des faqih, anhand der Vertragsstruktur den Kontrahentenwillen in Er­
fahrung zu bringen, worauf also das geschlossene Geschäft abzielt. Die charak­
teristische Eigenschaft der Wandelbarkeit der Normen innerhalb des statischen
Rahmens kommt immer dann zum Ausdruck, wenn sich die räumlichen und
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zeitlichen Bedingungen und die gesellschaftlichen Umstände ändern. Immer
dann, wenn sich der Kontext verändert offenbart, ist der faqih gefordert, die ein­
schlägigen Normen daraufhin zu untersuchen, ob sie weiterhin dem intendierten
Zweck der Scharia dienen oder entsprechende Änderungen vorgenommen wer­
den müssen.
Auf diesen kurz skizzierten und im weiteren Verlauf dieses Bandes ausführ­
licher behandelten Grundlagen beruhen Bank- und Versicherungsgeschäfte,
wenn sie in Konformität mit der Scharia abgewickelt werden sollen. Damit
ergibt sich für eine Bank bzw. eine Versicherung, die solche Geschäfte tätigt,
die Herausforderung, den Intentionen der Scharia zu entsprechen und ihre An­
forderungen zu erfüllen und zugleich den gegebenen Umständen (rechtlicher,
steuerlicher, regulatorischer und ökonomischer Natur), in denen sie operiert, ge­
recht zu werden. Hierin wird insbesondere im Bankgewerbe die offensichtliche
Deskrepanz hinsichtlich des Vertragszwecks zwischen der genuinen Form klas­
sischer Verträge des islamischen Wirtschaftsrechts und der abgewandelten - und
in manchen Fällen zweckentfremdeten - Form, die zur Erfüllung ökonomischer
Bedürfnisse einer auf Gewinnmaximierung ausgerichteten Bank dienen soll,
deutlich (Nienhaus).
Aus aufsichtsrechtlicher Perspektive betrachtet sei an dieser Stelle ange­
merkt, dass die Intentionen des (deutschen) Gesetzgebers und der Scharia nicht
weit voneinander liegen und darin näher sind, als man annehmen mag. Ähnlich
wie die Scharia, die entsprechend ihrer Intention durch Forderung nach Transpa­
renz, Fairness, Gleichberechtigung das Vermögen aller Beteiligten zu schützen
sucht, verfolgt die Bankaufsicht die Gefährdung der Sicherheit der an Banken
anvertrauten Vermögenswerte und die sich unter Umständen daraus ergebenden
Nachteile für die Gesamtwirtschaft entgegenzuwiken (§6 Kreditwesengesetz).
Insofern lassen sich schariakonforme Bank- und Versicherungsgeschäfte mit
dem hiesigen Recht zumindest auf der Zielsetzungsebene grundsätzlich verein­
baren. Fraglich bleibt bei dieser Feststellung jedoch die aufsichtsrechtliche Ein­
ordnung islamrechtlicher Vertragstypen wie muräbaha oder mudäraba in ihrer
klassischen Form und die damit einhergehende Fragestellung, inwiefern solche
Verträge als Grundlage für ein klassisches Bankengeschäft dienen können.
Darüber hinaus stellt sich also die Frage, wie solche Geschäfte und die da­
mit verbundenen Verträge konkret gestaltet sein sollen, um sowohl den Anfor­
derungen der Scharia als auch denen des positiven Rechts zu entsprechen, ohne
dabei an Konkurrenzfähigkeit einzubüßen. Hierfür bedarf es zunächst der Be­
trachtung des Banken und Versicherungen umspannenden regulatorischen Rah­
mens, um zu verstehen, welche Anforderungen Banken und Versicherungen, die
islamische Bank- und Versicherungsgeschäfte betreiben wollen, entsprechen
müssen (Litten) und inwieweit islamische Banken und Versicherungen aus
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Vorwort
volkswirtschaftlicher und sozialwissenschaftlicher Perspektive in diesen Rah­
men eingefügt werden können (Soylu).
Der auffällige Religionsbezug birgt in diesem Zusammenhang zudem die
Frage nach der Rolle von Religion in solchen Institutionen und welche Auswir­
kungen sie auf den einzelnen Angestellten und die Untemehmenskultur insge­
samt übt. Anders ausgedrückt fragt sich, in welchem Verhältnis Islam und Un­
ternehmertum zu einander stehen (Gümü§ay). Bankinstitute, die ihren Kunden
islamkonforme Produkte anbieten wollen, stellen also eine besondere Form der
Unternehmung dar. Ihre Angebote müssen schariakonformen Standards genügen
und festgelegte Voraussetzungen erfüllen, die mit der hiesigen Rechtsordnung in
Detailfragen eine Herausforderung darstellen können (Ebert). Eine zentrale Rol­
le spielen hierbei Einlagen, die Banken - gleich, ob konventionell oder isla­
misch - beim Publikum entgegennehmen und bei islamischen Banken auf einer
gesonderten Vertragsform, nämlich der mudäraba, gegründet wird, die sich ver­
tragstheoretisch insofern von konventionellen Einlagen unterscheidet, als dass
sie nicht garantiert werden können. Diese Vertragsform nimmt daher eine ge­
sonderte Rolle in der Betrachtung nicht nur islamischer Banken ein (Heckei).
Die Anwendung einer solchen Vertragsform auf der Passivseite, die auf dem
Prinzip der Gewinn- und Verlustbeteiligung basiert, steht in der Regel Finanzie­
rungen, die über Kauf- und Weiterverkauf mit Aufschlag (muräbaha) gestaltet
werden, auf der Aktivseite gegenüber. Diese beiden Vertragsformen werden im
konventionellen Bankwesen nicht für die Aufnahme von Kundengeldem respek­
tive Vergabe von Krediten angewandt, womit sich in Streitfällen die Frage stellt,
wie solche Fälle vor deutschen Gerichten gewürdigt werden würden (Bälz).
Banken sind neben dem Retailgeschäft auch auf den Kapitalmärkten für sich
und ihren Kunden tätig. Auf diesen Märkten werden Wertpapiere gehandelt, die
in Form von sog. sukük oder Anteile an islamischen Aktienfonds begeben wer­
den, um den Anforderungen der Scharia-Konformität zu entsprechen (Casper,
Sagargelik). Der reibungslose Ablauf solcher Geschäfte insbesondere in Bezug
auf die Beitragsleistung seitens des Kunden ist nicht immer gegeben. Es können
Umstände auftreten, die eine Erfüllung der Leistungspflicht erschweren. In sol­
chen Fällen ist es unter Umständen von Vorteil, wenn ein Dritter (Versicherun­
gen) für den entstandenen finanziellen Schaden eintritt. Die Notwendigkeit von
Versicherungen ergibt sich bereits aus der oben erwähnten Intention der Scharia,
Nutzen herbei zu führen und Schaden abzuwenden. Versicherungen im Sinne
der Scharia sind vom Prinzip der Gegenseitigkeit und Solidarität (takäful) ge­
prägt (Stiftl). Die Untemehmensstruktur einer solchen Versicherung erfordert in
bestimmten Variationen die Hinzunahme einer Stiftung (waqf); eine Einrich­
tung, die in der islamischen Tradition maßgeblich für eine sozio-ökonomische
Nachhaltigkeit und weitestgehende Gerechtigkeit gesorgt hat (Salama).
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Der vorliegende Band teilt sich grob in zwei Teile, wobei die Herausgeber
bewusst auf eine Teilung in zwei Kapitel verzichtet haben, da der Übergang
fließend ist.
Ich möchte es mir an dieser Stelle nicht entgehen lassen, allen Beteiligten
für ihre Bereitschaft, das Thema islamisches Wirtschaftsrecht (in Deutschland)
mit ihrer Expertise wissenschaftlich zu beleuchten und zu bereichern und so ein
erstes theoretisches Fundament für die Praxis zu legen, zu danken. Ein besonde­
rer Dank geht an die Lektorinnen vom Institut für Islamische Theologie an der
Universität Osnabrück: Susanne Klinger und Bettina Kruse-Schröder, die eine
großartige Arbeit geleistet haben.
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