6) Finanzsysteme in Entwicklungsländern 6.1) Eine Einführung in die Funktionen des Finanzsystems • Finanzsystem bringt Spar- und Investitionspläne einer Volkswirtschaft in Übereinstimmung Sparen Finanzsystem: - Wertpapiermärkte - Bankensystem - sonstiges Investitions -projekte Kapitalakkumulation Î Wirtschaftswachstum • Zur Vereinfachung betrachten wir eine geschlossene Volkswirtschaft; • Grundproblem: diejenigen, die Geld haben, haben keine guten Investitionsprojekte; diejenigen, die gute Investitionsprojekte haben, haben kein Geld; Î externe Finanzierung wird notwendig • Aufgaben des Finanzsystems: a) Allokation der Sparmittel auf die rentabelsten Investitionsprojekte: Optimale Investitionsregel: investiere nur wenn und nur so viel, daß der erwartete Ertrag aus dem Investitionsprojekt mindestens so groß ist, wie die FinanzierungskostenÎ schlechte Investitionsprojekte werden unterlassen (Problem: Renditen sind ex ante nicht bekannt – es gibt unterschiedliche Informationen über den Ertrag auf Seite des Kreditgebers und auf Seite des Unternehmers = asymmetrische Informationsverteilung Î Informationsproblem)1 b) Effiziente Allokation von Risiko/Risikodiversifikation Î Versicherungsmarkt Beispiel: es gebe 2 Personen in einer Ökonomie mit je einem Investitionsprojekt, das jeweils die Investitionssumme 1 Geldeinheit erfordert, einen erwarteten Ertrag ē und eine Varianz v hat; Die beiden Investitionsprojekte haben aber einen Korrelationskoeffizienten K mit K<1 und die unsicheren Erträge seien mit ei (i=1,2) bezeichnet. Wenn beide Personen je die Hälfte der beiden Investitionsprojekte halten ergibt sich ebenfalls ein Ertrag ē, aber eine Portfolio-Varianz V(0.5*e1+0.5*e2)=0.25v+0.25v+2*0.5*0.5*K*v=0.5*v+0.5*K*v<v, weil 1 Man beachte: das Solow-Wachstumsmodell nimmt unterschwellig an, daß das Problem der optimalen Allokation des Sparens auf die rentabelsten Investitionsprojekte gelöst ist. Dann ist für das Wirtschaftswachstum wichtig, wie viel gespart wird. In diesem Kapitel wird eine gegebene Sparsumme vorausgesetzt und gefragt, wie diese am rentabelsten verwendet wird. Man beachte, daß eine Steigerung des Sparens nicht zu mehr Wirtschaftswachstum führt, wenn das Finanzsystem ineffizient ist. Wenn EL schlechte Finanzsysteme haben, ist die Zuführung von Geld zum Finanzmarkt (etwa Entwicklungshilfeleistungen) unproduktiv und führt nicht zu Wirtschaftswachstum, weil die Finanzmittel nicht in rentable Verwendungen fließen. K<1ÎRisiko wird wegdiversifiziert! Î Diversifikation erfordert aber Handelbarkeit/Teilbarkeit von Investitionsprojekten ba) der Wertpapiermarkt leistet die Teilbarkeit durch die Aufteilung des Investitionsprojektes in handelbare Anteilsscheine (Aktien oder Anleihen) bb) Banken leisten die Diversifikationsfunktion dadurch, daß alle Sparer ihre Sparbeträge bei Banken einlegen und Banken die Bankeinlagen in Bankkredite für viele Kreditnehmer umwandeln; Kreditnehmer Einleger: Bankbilanz K1 Aktiva Passiva E1 K2 E2 Kredite Einlagen … … Kn En • Es gibt 4 Formen von Risiko: a) Liquiditätsrisiko: ein Unternehmen hat ein aussichtsreiches Investitionsprojekt; erwartet aber erst in der Zukunft daraus Zahlungen, die dieses Unternehmen aber nicht glaubhaft machen kann; außerdem hat es heute einen Zahlungsbedarf, den es selbst nicht decken kann Î Illiquidität (asymmetrische Informationsverteilung) Î ex ante profitable Investition, aber ex post nicht b) Bonitätsrisiko: ein Investitionsprojekt bringt ex ante über gesamte Laufzeit des Projektes geringeren Ertrag als die Zahlungsverpflichtung des Unternehmens über die gesamte Laufzeit des Projektes beträgtÎ Bankrott c) Verhaltensrisiko/ Betrugsrisiko (moral hazard): Kreditnehmer schädigt Kreditgeber, indem er die ex ante vom Kreditgeber erwartete Wahrscheinlichkeitsverteilung des Investitionsertrages zu seinen Gunsten verändert. (asymmetrische Informationsverteilung) d) Selbstselektionsrisiko (adverse selection): Risiko, das dadurch entsteht, daß eine Handlung einer Person dazu führt, daß sie nur mit unvorteilhaften Geschäftspartnern zu Geschäftsabschlüssen kommt. Beispiel Kreditvertrag: Wenn die Bank die Zinsen erhöht laufen alle davon, die ehrlich die höheren Zinsen zurückzahlen und es bleiben die übrig, die wissen, daß sie sowieso die Zinsen nicht zurückzahlen werden. (asymmetrische Informationsverteilung) • Fremdfinanzierte Investitionsprojekte unterliegen insbesondere dem Verhaltensrisiko und dem Selbstselektionsrisiko, wenn a) Verträge nicht einklagbar sind (fehlender Rechtsstaat Î siehe EL) oder b) Verträge nicht vollständig sind (incomplete contract theory) Î Dies führt zu Zusammenbruch des Kreditmarktes oder zumindest zu Kreditrationierung (= zum Marktzins gibt es größere Kreditnachfrage als Angebot) • Ausweg des Problems ist Abbau der Informationsasymmetrie durch Kreditwürdigkeitsprüfung und Überwachung des Investitionsprojektes (Monitoring) • Banken haben einen Transaktionskostenvorteil beim Monitoring aus 2 Gründen: a) Skaleneffekte des Bankbetriebs Beispiel: es gebe n Sparer mit je einer Geldeinheit. Es gebe ein Investitionsprojekt, das mit n Geldeinheiten zu finanzieren ist. Wenn eine Kreditwürdigkeitsprüfung erfolgt, sind Kosten p erforderlich, dafür wird der Investitionsertrag pro Geldeinheit aber mit Sicherheit bekannt (ē). Andernfalls wird der Investitionsertrag eine Zufallsvariable mit einer Varianz v sein. Die Erwartungsnutzenfunktion E[U] sei für jeden Privatanleger identisch: E[U]=ē-a*v mit a>0 (a=Risikoaversionsparameter). Der Privatanleger wird nur Kreditwürdigkeitsprüfung betreiben, wenn ē-a*v<ē-p (1) (Riskanter Ertrag stiftet geringeren Nutzen als sicherer Ertrag abzüglich Kontrollkosten.) Jetzt gebe es eine Bank, die n Geldeinheiten von ihren Einlegern erhalte und n Geldeinheiten an Kredit an das Investitionsprojekt weitergibt. Wir nehmen weiter zur Vereinfachung an, daß die Bank den Einlegern gehört (Genossenschaftsbank). Dann wird die Bank dieselbe Nutzenfunktion maximieren. Allerdings reduzieren sich die Kontrollkosten pro Geldeinheit auf p/n, weil die Bank nur einmal eine Kreditwürdigkeitsprüfung anstelle eines jeden der n Einleger vornimmt und die einmaligen Kosten p auf alle Einleger n umgelegt werden. Damit spart die Bank Transaktionskosten ein aufgrund ihres Größenvorteils (Skalenertragsvorteil) (Verwaltung von n Geldeinheiten anstelle von 1 Geldeinheit). Die Bank wird Kreditwürdigkeitsprüfung einführen, wenn ē-a*v<ē-p/n. (2) Damit wird durch die Existenz der Bank die Kreditwürdigkeitsprüfung wahrscheinlicher (nach Vergleich von (2) und (1)) und die gesellschaftliche Wohlfahrt steigt, weil das Risiko sinkt. b) Kostenfreie Informationen aus Einlagengeschäft (reusability of information) Informationen über Zahlungsströme der Unternehmen stehen Banken, aber nicht anderen Kreditgebern als freies Gut zur Verfügung, weil Banken auch das Kontenführungsgeschäft (Einlagengeschäft) des Kreditnehmers duchführen (Hausbankprinzip). c) Diesen Vorteilen des Bankbetriebs stehen die höheren BankOverheadkosten (Verwaltungskosten) im Vergleich zum Wertpapiermarkt gegenüber. • Kreditfinanzierung erfolgt über den Wertpapiermarkt, wenn die Verhaltensrisiken und Selbstselektionsrisiken gering sind, Privatvermögen im Durchschnitt sehr groß ist und Investitionsprojekte sehr groß sind. Andernfalls erfolgt externe Finanzierung über Banken Î EL sind überwiegend auf Bankensystem zur externen Finanzierung angewiesen. • Bankeneinlagengeschäft erlaubt Diversifikation von Liquiditätsrisiko und birgt die Gefahr eines „bank run“ (Bankenzusammenbruch). Beispiel (Diamond und Dybvig, 1983) Î Es gebe die Zeitperioden t=0,1,2. Î Es gebe n identische (potentielle) Einleger (n sehr groß), die in t=0 eine Einheit sparen wollen und mit Wahrscheinlichkeit p in Periode t=1 konsumieren wollen und mit Wahrscheinlichkeit (1-p) in Periode t=2 konsumieren wollen (Liquiditätsrisiko). Die Wahrscheinlichkeiten z i der einzelnen Individuen i seien statistisch unabhängig voneinander. Die potentiellen Einleger seien Risikoavers. Formal kann mit z i das Zufallsereignis benannt werden, daß ein potentieller Einleger vorzeitig Liquidität benötigt: mit Wahrscheinlichkeit p 1 zi = 0 mit Wahrscheinlichkeit (1 − p) Analog ist (1-z i) das Zufallsereignis des späten Konsums. Die Zufallsvariable z i hat den Erwartungswert E[z i]=p und die Varianz Var[z i]=p(1-p)2+(1-p)(0-p)2=(1-p)[p(1-p)+p2]=(1-p)p. (3) Die Kovarianz Cov[z i, z j]=0 für alle i ungleich j. Î Es gebe Investitionsmöglichkeiten wie folgt: t=0 t=1 t=2 Liquide Investition -1 r r (Geldhaltung) Illiquide -1 x R Sachinvestition mit R>r>x. In Worten: Es gebe eine liquide Investition, die geringen Ertrag erwirtschaftet (r), aber jederzeit in ein Konsumgut umwandelbar ist. Oder es gebe eine hoch-rentierliche Sachinvestition (R), die aber bei vorzeitigem Abbruch des Investitionsprojektes nur einen Schrottwert (x) erlöst. Î Jeder private potentielle Einleger hat also trade-off zwischen rentierlichem unsicherem Einkommen und unrentierlichem sicheren Einkommen und wird für sich eine optimale Mischung finden. Entweder wird auf die rentierliche Investition völlig verzichtet, oder es wird zumindest ein Teil Liquiditätsrisiko akzeptiert. Î Wenn es eine Bank gibt, erhält die Bank n Geldeinheiten als Einlagen. Sie kann die erhaltenen Geldeinheiten wie folgt disponieren: t=0 n*l t=1 -n*l*r t=2 0 Liquide Geldhaltung Kredit n*(1-l) 0 -n*(1-l)*R Die Bank muß wählen, welchen Anteil l sie an ihren Einlagen der Periode t=0 in liquiden Mitteln mit Einlagenzins r halten will und welchen Anteil (1-l) sie in langfristige Kredite mit sicherem Kreditzins R investieren will. Die Bank möchte möglichst viel in Kredit investieren, da der Ertrag höher ist, muß dabei aber beachten, daß sie in t=1 auch den Abzug von Einlagen gewährleisten muß, da sie sonst illiquide ist und die Kredite zum Schrottwert x zurückgefordert werden müssen. Î Entsprechend der Annahmen wird für eine durchschnittliche Einheit Einlage in t=0 die Summe 1 n ∑ zi ⋅ r n i =1 von der Bank an Einlagen in t=1 abgezogen. Wie unsicher ist dieser Betrag? 1 n r2 Var ∑ z i ⋅ r = 2 n i =1 n n ∑Var[ z i ] = i =1 r2 r2 ⋅ n ⋅ p ( 1 − p ) = ⋅ p (1 − p ) , n n2 wobei das 2. Gleichheitszeichen aus der Annahme folgt, daß die Zufallsvariablen unabhängig voneinander sind, also Cov[z i, z j]=0. Wenn nun die Anzahl der Einleger besonders groß ist (unendlich groß), dann gilt: 1 n lim Var ∑ z i ⋅ r = 0 n→∞ n i =1 Das Liquiditätsrisiko der Bank wird vollständig beseitigt! Damit reduziert sich das Problem der Bank darauf, die richtige Quote l so zu finden, daß die erwartete(= der tatsächlichen) Rückflußquote E[nrz i] genau gleich den liquiden Mitteln der Bank im Zeitpunkt t=1 (also: lrn) ist. Wenn eine Bank geringere liquide Mittel hielte, wäre sie bankrott, wenn sie höhere liquide Mittel hielte, dann würden ihr zusätzliche Erträge aus illiquiden Mitteln (hochverzinsliche langlaufende Kredite) entgehen. Also: E[nrz i]=lrn Da aber E[z i]=p gilt, muß l=p sein. Ergebnis 1: Es gibt ein Gleichgewicht bei dem die Bank das Liquiditätsrisiko vollständig beseitigen kann, indem sie gerade eine Quote gleich der Wahrscheinlichkeit des vorzeitigen Abzugs von Einlagen eines einzelnen durchschnittlichen Einlegers in liquiden Mitteln hält (l=p). Dies ist gesellschaftlich vorteilhaft, weil nun ohne jegliches Liquiditätsrisiko langfristige, illiquide, aber ertragreiche Investitionen möglich sind. Î Liquiditätsrisikodiversifikation durch Banken Î Es gibt aber auch ein anderes Gleichgewicht, daß in einem Bank-Run besteht (Bank-Run=sofortiger Abzug aller Einlagen einer Bank zum Zeitpunkt t=1): Es gelte nun folgende Regel für den Fall der Illiquidität der Bank: die ersten Einleger, die ihre Einlagen abziehen, erhalten r als Rückzahlung, bis die liquiden Mittel aufgebraucht sind; Danach muß die Bank ihre illiquiden Mittel (Kredite) zum Schrottwert veräußern, um weiteren Einlegern den Betrag r zurückzuzahlen. Wenn auch diese Einnahmen aufgebraucht sind, erhalten weitere Einleger nur noch die Rückzahlung 0. Î Nun haben Einleger, die eigentlich erst zum Zeitpunkt t=2 Geld abziehen wollen, einen Anreiz dieses schon zum Zeitpunkt t=1 zu tun: Wenn nämlich die Bank prn liquide Mittel in t=1 unterhält und einen Veräußerungsgewinn der langfristigen Investitionen (Kredite) von x(1p)n<r(1-p)n erzielen kann, dann wird die Bank nicht in der Lage sein, jedem Einleger n zum Zeitpunkt t=1 die Einlagen zum Zins r zurückzuzahlen. Die letzten Einleger, die versuchen ihr Geld von der Bank zum Zeitpunkt t=1 abzuziehen, werden 0 erhalten. Daher möchte niemand der letzte sein und alle Einleger werden in Panik ihre Bankeinlagen abziehen, sobald sich abzeichnet, daß alle anderen es tun Î Bank-Run und Bankilliquidität Î hätten alle Einleger auf die Bank zum Zeitpunkt t=1 vertraut und nicht vorzeitig ihre Einlagen abgezogen, wäre die Bank zum Zeitpunkt t=2 nicht zahlungsunfähig gewesen. Ergebnis 2: Es gibt auch ein Gleichgewicht bei dem ein Bank-Run eintritt und die Bank illiquide wird, obwohl sie ex ante nicht bankrott ist. • Wenn ein Bank-Run Risiko existiert kann dieses durch eine staatliche Einlagenversicherung beseitigt werden Î die letzten Einleger, die keine Rückzahlung mehr von der Bank erhalten, erhalten diese nun von der Einlagenversicherung; dann besteht aber kein Grund mehr, vorzeitig Einlagen abzuziehen und ein Bank-Run unterbleibt. • Das unten eingezeichnete Diagramm stellt eine (symmetrische) Wahrscheinlichkeitsverteilung F(K) über die Rückzahlung aus einem Bankkredit dar und welchen Anteil davon die Bank als Gewinn einbehält. Wenn die Wahrscheinlichkeits-verteilung des Kredites sich nach F’(K) verschiebt (gleicher Erwartungswert, aber höhere Varianz), dann erhält die Bank einen Vorteil. Bei höherer Varianz steigt das Verlustrisiko und die Gewinnchance. Aber die Einlagenversicherung trägt vollständig das höhere Verlustrisiko, während die höhere Gewinnchance alleine der Bank zugute kommt Î Banken werden bei Einlagensicherungssystem zu hohe Risiken eingehen (Moral-Hazard Problem der Banken bei Einlagensicherung) Bankgewinn F(K) F’(K) Kredit -zins Kreditbetrag plus Einlagenversicherungsprämie Erwartungswert der Bankkreditrückzahlung Rückzahlung des BankKredites K • Eine staatliche Einlagenversicherung führt aber zu einem neuen Problem: Banken bekommen Anreiz, zu riskante Kredite zu vergeben. • Moral-Hazard Problem der Banken bei Einlagensicherung kann gelöst werden durch gut organisierte Bankenaufsichtsbehörde und Bankenregulierung. Î komplexe, gut funktionierende Institutionen notwendig • Selbst wenn keine Einlagenversicherung existiert (eher eine Ausnahme in Entwicklungsländern), existiert ein Anreiz der Banken, zu riskant zu investieren; Dies kann aus einem Domino-Effekt und dem „too big to fail“Argument hergeleitet werden. • Domino-Effekt: Bank 1 Bank 2 Bank 3 „fauler“ EK Kredit EK Kredit EK Kredit PrivatBank 2 Einlage Bank 3 Privateinlagen Bank 3 einlagen „guter Einlage „guter“ Privat„guter“ Kredit“ Bank 2 Kredit einlagen Kredit • Bank 1 hat einen Kredit, der nicht zurückgezahlt wird (fauler Kredit), der die Höhe des Eigenkapitals (EK) übersteigt. Daher ist Bank 1 bankrott. Bank 1 hat aber außer Einlagen von Konsumenten auch Einlagen der Bank 2, weil Bank 1 bei Bank 2 einen Kredit aufgenommen hat. Da aber Bank 1 bankrott ist, fällt der Kredit für Bank 2 aus. Weil die Höhe dieses Kredites höher ist als das Eigenkapital der Bank 2, ist auch Bank 2 bankrott. Aber Bank 2 hat ihrerseits einen Kredit aufgenommen bei Bank 3, dessen Höhe das Eigenkapital von Bank 3 übersteigt. Damit ist auch Bank 3 bankrott. Î Ein Domino-Effekt führt dazu, daß eine Bank den Bankrott anderer Banken nach sich zieht, obwohl diese ohne den Bankrott der ersten Bank solvent wären Î systemisches Risiko • „Too big to fail“ Argument: Im Gegensatz zum Zusammenbruch einer Bank, führt der Zusammenbruch eines gesamten Bankensystems zu schwerwiegenden Folgen für das gesamte Wirtschaftssystem: eine schwere Wirtschaftskrise ist die Folge. Um diesen externen Effekt einer Bankenkrise zu vermeiden, wird der Staat vorsorglich eine bankrotte Bank ab einer kritischen Größe („too big to fail“) subventionieren oder verstaatlichen. Î Die Anreizwirkung ist identisch zu einer Einlagenversicherung Î Banken gehen zu hohe Risiken ein, wenn sie nicht überwacht werdenÎ Bankensystem ohne Bankenüberwachung funktioniert nicht. Implikationen für Entwicklungsländer 1) Kreditmärkte reagieren besonders empfindlich auf fehlende Rechtsstaatlichkeit, weil Kreditgeschäft kein Zug-um-Zug-Austausch ist, sondern erst eine Seite eine Leistung erbringt (Kreditvergabe) und erst in der Zukunft die Gegenleistung erfolgt (Kreditrückzahlung). Damit besteht immer ein Anreiz, die Gegenleistung nicht zu erbringen, wenn es keine Einklagbarkeit und Durchsetzung von Kreditverträgen gibt. Der Kreditgeber antizipiert dieses Verhalten und vergibt erst gar keinen Kredit. 2) Die Fristentransformation des Kapitalmarktes gelingt bei hohem Inflationsrisiko nicht. Es ist nicht möglich, langfristige Investitionsprojekte langfristig zu finanzieren, weil Kreditverträge (oder Wertpapieranleihen) auf nominale Werte lauten. Zwar ist der Nominalzins gleich dem Realzins plus erwarteter Inflationsrate plus Risikoprämie. Bei überraschend hoher Inflation verliert aber der Kreditgeber, weil er in realen Werten weniger zurückbekommt als er bezahlt hat. Bei überraschend niedriger Inflation wird der Kreditnehmer geschädigt, weil er einen übermäßig hohen Kreditzins gezahlt hat, der eine zu hohe Inflationsrate einkalkuliert hat. Bei unkalkulierbarem Inflationsrisiko werden die Risikoprämien des Inflationsrisikos so hoch, daß langfristige Verträge durch kurzfristige prolongierende Verträge ersetzt werden. Damit bricht der langfristige Kreditmarkt in Ländern mit hohen Inflationsraten zusammen. Dadurch entsteht aber das Liquiditätsrisikoproblem von Diamond und Dybvig (1983), weil nun kurzfristige Finanzierung für langfristige Projekte erforderlich wird Î verschärfte Bank-Run Gefahr (häufige Bankenkrisen)! 3) Bankensystem nimmt in EL zentrale Stellung im Finanzsystem als Finanzintermediär ein. 4) Das Fehlen unabhängiger Institutionen zur Überwachung des Bankensystems (Bankenaufsicht) führt auch zu häufigen Bankenkrisen. 6.2) „Financial Repression“ • Finanzsysteme in Entwicklungsländern waren bis in die 80er Jahre durch „financial repression“ charakterisiert. Darunter versteht man die Unterdrückung der Entwicklung eines Finanzsystems durch die Wirtschaftspolitik. • In der Praxis gab es 2 Mechanismen, durch die das Finanzsystem an der Entfaltung gestört wurde. a) Höchstzinssätze bzw. Zinsverbot (Karl Marx: Kapital ist kein eigenständiger ProduktionsfaktorÎ kein Zins) b) Hohe Mindestreserve-Pflicht der Geschäftsbanken2 • Höchstkreditzinsen werden häufig damit begründet, daß den „Armen“ günstige Kreditkonditionen ermöglicht werden soll. Höchstzinssätze führen aber zu Kreditrationierung: Zins Kreditangebot Marktzins Höchstkreditzins Kreditrationierung Kreditnachfrage Investitionsvolumen Bindende Kredithöchstzinssätze führen dazu, daß das Kreditangebot zurück geht und Kreditnachfrage unbedient bleibt (Kreditrationierung). Dann ist aber das Investitionsvolumen bei Höchstkreditzins NIEDRIGER als bei Marktzins. Die günstigen Kreditkonditionen werden häufig nur den „Freunden“ gewährt, während andere keinen Kredit erlangen Î Vetternwirtschaft wird Tür und Tor geöffnet • Polit-ökonomische Interpretation auf Basis von Kapitel 4: Die Oberschicht verhindert durch die Zinsobergrenze, daß der Unterschicht Zugang zu Kredit gewährt wird und dadurch eine eigene 2 Des weiteren waren Banken häufig verstaatlicht: Bankkredit wurde direkt nach den Wünschen der Politik vergeben! • • • • • • • unternehmerische Erwerbsbasis geschaffen wird. Damit sichert die Oberschicht ihre politische Macht ab, die sie verwendet, um möglichst viele Ressourcen des Landes in die eigene Tasche zu wirtschaften. Die Oberschicht hat Zugang zum internationalen Kapitalmarkt mit hohen Zinsen, während der Unterschicht, die auf einheimische Banken angewiesen ist, alle Anreize zur Kapitalakkumulation genommen werden, weil Sparen unrentabel für sie ist. Niedrige Zinsen führen dazu, daß Bargeldhaltung relativ attraktiver wird zum Halten von Einlagen in Banken. Dadurch steigt aber die Steuerbasis der Inflationssteuer. Damit kann der Staat mehr Ressourcen aus der Gesellschaft über die Inflationssteuer heraussaugen. Hohe Mindestreservepflicht der Banken (Agenor und Montiel, 1996, S. 153-159) Erweiterung des Modells zur „Inflation Tax“, Kapitel 5.1 Geschlossene Volkswirtschaft mit konstantem Output normalisiert zu 1 Private Wirtschaftssubjekte können Bargeld mt halten oder aber Einlagen bei Geschäftsbanken dt. Bargeldhaltung ist unverzinst, während Banken einen Einlagenzins idt zahlen. Die Bilanz des konsolidierten Bankensystems sieht wie folgt aus: Aktiva Passiva MRt Kt dt Kt ist das Kreditvolumen. Für Kredite gebe es einen langfristigen Zins it und das Kreditvolumen reagiere nicht endogen auf diesen Zins. Außerdem sei dieser Zins exogen bestimmt dadurch daß der Nominalzins gleich dem Realzins ist. Der Realzins sei normalisiert auf den Wert 0 zur Vereinfachung. MRt sind die Mindestreserven, die eine Geschäftsbank per Dekret in Bargeld unterhalten muß. Genauer gelte eine Mindestreserveregelung wie folgt: MRt ≥ µ ⋅ d t (4) wobei µ (0< µ<1) die Mindestreservequote ist. Mindestreserven sind zinslos bei der Zentralbank zu unterhalten. Daher möchte eine Geschäftsbank möglichst wenige Mindestreserven unterhalten, weil sie einen Depositenzins zahlen muß, um diese Einnahmen selbst zinslos bei der Zentralbank zu hinterlegen. (Ungleichung (4) wird zur Gleichung.) • Nehmen wir an, daß Bargeld und Bankeinlagen in unterschiedlichem Ausmaß die Zahlungsmittelfunktion erfüllen. Allerdings sind beide imperfekte Substitute. Dann ergibt sich die Nachfrage nach Bargeld und Bankeinlagen wie folgt: ( ) −α mt = m(itd ) = itd − ( ) d t = d (itd ) = itd + • • • • (5) α Je höher die Opportunitätskosten der Bargeldhaltung (Einlagenzins), um so niedriger ist die Bargeldhaltung. Je höher der Zinsvorteil bei Bankeinlagen, um so höher deren Nachfrage. Zur Vereinfachung wird eine exponentiale funktionale Form mit Zinselastizitätsparameter α (α>0) unterstellt. Es gebe kein Ausfallrisiko für Banken. Vollständige Konkurrenz sorge dafür, daß Bankgewinne auf null herunterkonkurriert werden. Dann itd = (1 − µ )it . (6) Linke Seite stellt Finanzierungskosten der Bank dar und die rechte Seite die Erträge jeweils pro Einheit Einlagen. (Man beachte: Für einen Teil µ der Einlagen (MR) werden keine Zinsen gezahlt, sondern nur ein Teil (1µ) kann Kreditzinserträge erwirtschaften!)Î Sollzins < Habenzins! Der reale Kreditzins sei im langfristigen Gleichgewicht exogen und auf null normiert. Dann gilt: it = π t nach der Fisher-Parität. Der Seignorage-Gewinn der Regierung erstreckt sich jetzt nicht nur auf die Bargeldhaltung wie in Kapitel 5.1, sondern auch auf die zinslos zu unterhaltenden Mindestreserven µdt. Damit ergibt sich die Gleichung für den Seignorage-Gewinn S (im langfristigen Gleichgewicht) wie folgt: S = π [m + µ ⋅ d ] (7) Das Ziel der Regierung sei es, möglichst viele Ressourcen aus der Ökonomie herauszuziehen (Maximierung des Seignorage-Gewinns), indem eine optimale Inflationsrate π und eine optimale Mindestreservenquote µ gewählt werden. Hierzu werden die Gleichungen (5) und (6) in (7) eingesetzt und die Bedingungen erster Ordnung für ein Maximum aufgeschrieben. [ S = π ((1 − µ )π ) [ −α + µ ⋅ ((1 − µ )π ) α ] ] (8) ∂S µ 1 α α −α −α = ((1 − µ )π ) + µ ⋅ ((1 − µ )π ) + π − (1 − µ ) π −α −1 + π α −1 (1 − µ ) = 0 ∂π α α (9a) ∂S πµ π −α −1 = π [(1 − µ )π ] + [(1 − µ )π ]α −1 + [(1 − µ )π ]α = 0 (9b) ∂µ α α Wenn das Gleichungssystem (9a) und (9b) nach π und µ aufgelöst wird erhält man (Hausaufgabe: Nachrechnen!): µ= 1−α 1+ α − 2α (10) 1+ α 1−α π= ⋅ 2α 1 + α Wichtig ist, daß die optimale Mindestreservequote µ größer als 0 ist. • Je größer aber die Mindestreservequote µ ist, um so kleiner wird bei gegebener Zentralbankgeldmenge (Geldbasis) B der Anteil der Kredite relativ zur Geldbasis bzw. Geldmenge. Beweis: α K = d - MR = d(1 - µ) = (1 − µ )[(1 − µ )π ] , (11) wobei das erste Gleichheitszeichen aus der Bankbilanz folgt (siehe oben), das zweite aus der Mindestreserveregel (4) zuzüglich der Annahme, daß Banken keine freiwilligen Zentralbankgeldbestände halten; das 3. Gleichheitszeichen folgt aus (5) und (6). Î Gleichung (11) zeigt, daß das Kreditvolumen bei gegebener Inflationsrate mit steigender Mindestreservequote µ fällt. • Schlußfolgerung: 1) Wenn man das Kreditvolumen als Indikator für den Entwicklungsstand des Finanzsystems nimmt, dann führt eine hohe Mindestreservequote zu einem unterentwickelten Finanzsystem; 2) Eine hohe Mindestreservequote wird sich ergeben, wenn das Ziel der Regierung (bzw. Zentralbank als verlängerter Arm der Regierung) darin besteht, den Seignorage-Gewinn zu maximieren. Die hohe Mindestreservequote zwingt Banken zur Haltung von Zentralbankgeld Î die Steuerbasis der Inflationssteuer steigt! 6.3 Moral Hazard Probleme – „Too big to fail” • Diaz-Alejandro, Carlos, 1985, Good-bye financial repression, hello financial crash, Journal of Development Economics, Bd. 19, S. 1-24. • IWF-Reformprogramm mit Finanzmarkt-Liberalisierung in Chile 1981 • Disinflationsprogramm mittels fester Wechselkurse (vgl. Kapitel 5.2) plus Privatisierung der Banken plus freie Zinssätze, aber keine Bankenaufsicht; keine Depositenversicherung • Banken werden vornehmlich von großen Industrie-Konglomeraten aufgekauft. • Banken geben vornehmlich Kredit an diese Industrie-Konglomerate (Eigentümer der Banken); • Industrie-Konglomerate verwenden Kredite zu riskanten Währungsspekulationen, einige verlieren Geld und zahlen den Kredit nicht zurückÎ Bank bankrottÎ Staat muß Banken stützen, um den Zusammenbruch des Finanzsystems zu verhindern, und verstaatlicht die Banken wieder, nachdem er für die Verluste aufgekommen istÎ hohe Zunahme der StaatsverschuldungÎ Vermutung der Finanzmärkte, daß Staatsverschuldung durch Erhöhung des Seignorage-Gewinns abgebaut werden sollÎ InflationserwartungÎ Löhne steigen in Erwartung höherer Preise, was über den Kostendruck zu einer tatsächlich höheren Inflation führtÎPreise steigen, während Wechselkurs fixiert ist Î reale AufwertungÎ Leistungsbilanzdefizit steigt kontinuierlich an Î Währungskrise und Zusammenbruch des Festkurssystems („twin crisis“) Literatur: Diamond, Douglas W., und Philip H. Dybvig, 1983, Bank Runs, Deposit Insurance, and Liquidity, Journal of Political Economy, Bd. 91, S. 401-19.