4.8 Nachhaltigkeit in Produktion und Verbrauch

Werbung
Nachhaltigkeit in Produktion und Verbrauch
4.8
Nachhaltigkeit in Produktion und Verbrauch
4.8.1 Herausforderungen
Der Ökologische Fußabdruck Europas95 ist weltweit einer der größten. Eine
wesentliche Ursache dafür ist die Wachstumsorientierung unseres Produktions- und
Konsumverhaltens. Neben Effizienz muss auch sinnvolle Suffizienz96 in Zukunft eine
wesentliche Rolle spielen.
Würde der Rest der Menschheit auf europäischem Wohlstandsniveau leben, bräuchte es
zwei Planeten zur Versorgung aller Menschen. Eine wesentliche Ursache dafür ist die
Wachstumsorientierung unseres Produktions- und Konsumverhaltens. Immer mehr und
immer „bessere“ Produkte und Dienstleistungen münden in einen stetig steigenden
Ressourcen- und Energieeinsatz.
Steigender Konsum-Wohlstand stellt eine Belastung dar
Unser Konsum- und Produktionsverhalten hat schwerwiegende Konsequenzen. Was wir
als steigenden Wohlstand wahrnehmen, mündet anderswo in Belastungen für die
arbeitenden Menschen, in globale Verteilungsprobleme und -ungerechtigkeiten sowie in
eine voranschreitende Erschöpfung wichtiger Rohstoffe und Lebensgrundlagen.
Klimawandel, globale Erwärmung, Ausbeutung der natürlichen Ressourcen, Verlust der
Artenvielfalt, steigende Abfallmengen, Nahrungsmittelknappheit, Verlust von fruchtbarem
Boden oder menschenunwürdige Arbeit sind nur einige Auswirkungen nicht-nachhaltiger
Verbrauchs- und Produktionsweisen. Dies zu ändern, liegt nicht nur in der Verantwortung
der Wirtschaft, sondern ebenso bei den KonsumentInnen und öffentlichen
AuftraggeberInnen. Das Land Tirol und die Tiroler Gemeinden haben als Einkäufer für die
eigenen Einrichtungen und Betriebe die Möglichkeit, eine Vorreiterrolle einzunehmen,
indem regionale, fair gehandelte und Bio-Produkte sowie nachhaltige Dienstleistungen
gezielt nachgefragt und bezogen werden.
Auch wenn es sich hier um ein Problem von globaler Dimension handelt, liegt der
Schlüssel zu seiner Lösung auch auf der regionalen und lokalen Ebene, ja letztlich bei
jedem einzelnen Menschen. Wir sind daher auch in Tirol aufgefordert, uns damit
auseinanderzusetzen.
95
Die Europäische Union macht weniger als 10% der Weltbevölkerung aus, verbraucht aber z. B. die Hälfte
des weltweit erzeugten Fleisches und 15% der Energie.
96
Siehe: FN 8
124
Nachhaltigkeit in Produktion und Verbrauch
Um auch künftigen Generationen Lebensqualität, Wohlstand und wirtschaftliches
Wachstum zu ermöglichen, müssen Produkte aus dem Blickwinkel begrenzt zur Verfügung
stehender Ressourcen entwickelt, hergestellt, genutzt und entsorgt werden.
Nachhaltigkeit bedeutet in diesem Zusammenhang
a. Produkte und Dienstleistungen weisen weniger negative Umweltauswirkungen auf
b. Forschung und Entwicklung basieren auf dem Prinzip der Ressourceneinsparung
c. Produktion und Handel handeln sozial und monetär fair
d. Konsumenten sind umfassend über nachhaltigen Konsum und Verbrauch informiert
e. Die Öffentliche Hand als Verbraucher und Vorbild
Zur Umsetzung energiesparender, sozial verträglicher und Ressourcen schonender
Lösungen sind alle Handlungsebenen gleichermaßen angesprochen: Einzelpersonen,
Haushalte, Unternehmen, Forschung, Verwaltung wie Politik.
Zu a./b.) Umweltauswirkungen sowie Forschung und Entwicklung
Umweltverträgliche(re) Produkte und Dienstleistungen legen den allgemein anerkannten
Standard
fest.
Energieund
ressourcenintensive,
schadstoffhaltige
oder
emissionsbelastete Produkte laufen sukzessive aus.
Auf Ebene der Europäischen Union wurde der Wechsel zu nachhaltigeren
Wirtschaftssystemen und Lebensstilen bereits eingeleitet97: Aspekte wie Rohstoffeinsatz,
Wasserverbrauch,
Emissionen,
Energieverbrauch,
Abfallentsorgung
oder
Wiederverwendbarkeit sind vom Hersteller in den gesamten Lebenszyklus eines Produktes
einzubeziehen, vor allem aber bereits bei der Produktentwicklung zu berücksichtigen.
Zu c.) Soziale und monetäre Fairness
Nachhaltige Produkte und Dienstleistungen reduzieren nicht nur ökologische
Auswirkungen (z. B. weniger Energie- und Ressourcenverbrauch, verringertes
Abfallaufkommen), sie setzen auch auf soziale Gerechtigkeit und sozialen Ausgleich.
Nachhaltige Produktion und nachhaltiger Konsum berücksichtigen und forcieren regionale
Wirtschaftskreisläufe sowie soziale und ethische Aspekte in der Wertschöpfungskette wie:
97
Aktionsplan für Nachhaltigkeit in Produktion und Verbrauch und für eine nachhaltige Industriepolitik: COM
(2008) 397 vom 16. Juli 2008; Ökodesign-Richtlinie 2009/125/EG vom 21. Oktober 2009 zur Schaffung eines
Rahmens für die Festlegung von Anforderungen an die umweltgerechte Gestaltung
energieverbrauchsrelevanter Produkte; in Österreich erfolgte die Umsetzung in Form der ÖkodesignVerordnung 2007 (ODV 2007, BGBl. II Nr. 126/2007).
125
Nachhaltigkeit in Produktion und Verbrauch
•
Soziale Standards bei der Herstellung von Produkten und bei der Erbringung von
Dienstleistungen, wie z. B. die ILO-Mindeststandards (insbes. Verbot von
Kinderarbeit)
•
Menschenwürdige Arbeit
•
Soziale Eingliederung: Chancengleichheit
Jugendliche, Langzeitarbeitslose
•
Gerechtigkeit: z. B. gleicher Lohn für gleiche Arbeit
•
Unterstützung eines ethischen und fairen Handels
•
Unterstützung für Klein- und Mittelunternehmen, insbesondere
Implementierung von Corporate Social Responsibility98 (CSR)
für
Menschen
mit
Behinderung,
bei
der
Zu d.) Konsumenteninformation
Zukunftsverträglichkeit im Konsum konzentriert sich auf den Lebensstil der Menschen, auf
ihr Kauf-, Nutzungs- und Entsorgungsverhalten bei Produkten wie Dienstleistungen.
KonsumentInnen tragen über ihr Kaufverhalten wesentlich zur Nachhaltigen Entwicklung
bei. Das Problembewusstsein nimmt zwar zu, viele Menschen erkennen jedoch nicht den
Zusammenhang zwischen ihren persönlichen Verbrauchsgewohnheiten und deren Folgen,
wie z. B. dem Klimawandel oder unfairen Arbeitsbedingungen.
Eine Änderung der Konsumgewohnheiten setzt Wissen darüber voraus, wo und wie
nachhaltig eingekauft oder eine nachhaltige Dienstleistung in Anspruch genommen werden
kann. Zur Änderung von Konsumgewohnheiten ist Ehrlichkeit und Transparenz in
Produktionsprozessen sowie im Handel nötig. Konkret muss eine nachhaltige
Produktionsweise vom Konsumenten einfach nachvollzogen werden können. Um einen
sinnvollen Preisvergleich anstellen zu können, bedarf es zudem einer ehrlichen
Bepreisung (somit auch von nicht-nachhaltig produzierten Waren; siehe Maßnahme Kapitel
4.9) oder zumindest einer klaren Differenzierungsmöglichkeit.
98
CSR oder Corporate Social Responsibility ist ein aus dem Anglo-Amerikanischen stammendes Konzept für
Unternehmensethik. Es befasst sich mit der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen und umfasst
„die Gesamtheit an potenziellen Maßnahmen zur Sicherung der gesellschaftlichen Legitimität von
Unternehmen“ (. www.wirtschaftslexikon.gabler.de Definition corporate social responsibility). Diese beziehen
sich auf die Unternehmenskultur, auf die Produkte, die Produktion bis hin zur Beziehung zu den
Zulieferbetrieben. Eine zentrale Rolle spielt dabei der Aufbau immaterieller Vermögenswerte wie
Glaubwürdigkeit, Vertrauenswürdigkeit, Integrität oder Reputation. CSR ist ein strategisches Konzept, das –
vor allem auch auf Grund zunehmender gesellschaftlicher Nachfrage – soziale und ökologische
Verantwortung und damit einhergehende unternehmerische Maßnahmen in die Unternehmensstrategie
integriert.
126
Nachhaltigkeit in Produktion und Verbrauch
Zur Frage „Was kann ich persönlich tun?“ bietet der Tiroler Gemeindekatalog99 eine
Hilfestellung an. Jede und jeder einzelne kann die Herkunft von Lebensmitteln oder den
persönlichen Ressourcenverbrauch hinterfragen, Zusammenhänge zwischen dem eigenen
Konsumverhalten und menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen in anderen Teilen der
Welt erkennen oder eigene Lebensgewohnheiten verändern. Positive Handlungsbeispiele,
wie die verstärkte Verwendung regionaler Produkte unter gleichzeitiger Verminderung von
Transportwegen, Energieverbrauch und Ausstoß an Treibhausgasen zeigen anschaulich,
wie sich Aktivitäten auf globaler und lokaler Ebene sinnvoll ergänzen können.
Um VerbraucherInnen eine Entscheidung zu ermöglichen, gibt es bereits eine kaum mehr
überschaubare Vielzahl an Kennzeichnungssystemen. Nachdem auch im Handel
Nachhaltigkeit zunehmend als Umsatzfaktor erkannt wird, spielt die sachlich fundierte
Information über nachhaltige Produkte und Dienstleistungen eine wichtige Rolle. Darin ist
die gesamte Produktions- und Lieferkette einzubeziehen.
Zu e.) Die Öffentliche Hand als Verbraucher und Vorbild
Nicht zu vernachlässigen ist auch die Rolle der öffentlichen Hand als einflussreicher
Verbraucher und Vorbild für Unternehmen und private KonsumentInnen. Ein nachhaltiges
öffentliches Beschaffungswesen soll und kann zur Entwicklung von neuen Produkten,
Ressourcen schonenden Technologien und der Förderung von Innovationen beitragen. In
Ausschreibungsverfahren sollen daher neben ökologischen Kriterien (z. B. ökologische
Lebensmittel) zusätzlich soziale Belange wie menschenwürdige Arbeit, fairer Handel oder
die Einhaltung von Sozialstandards in der gesamten Produktions- und Handelskette
berücksichtigt werden. Mit dem „Österreichischen Aktionsplan zur nachhaltigen
öffentlichen
Beschaffung“100
wurde
auf
Bundesebene
dazu
ein
erstes
Maßnahmenprogramm erstellt.
Die Stärkung der regionalen Wirtschaft erhöht die Wertschöpfung im Land, sichert
Arbeitsplätze, verbessert die Lebensqualität und sorgt für kurze Transportwege, was als
positiver Nebeneffekt zudem den CO2-Ausstoß verringert.
Regionale Produkte und Bio-Produkte bieten darüber hinaus eine Chance für die Tiroler
Landwirtschaft, sich auf einem zunehmend preisorientierten globalen Lebensmittelmarkt
über das Alleinstellungsmerkmal Qualität zu profilieren. Qualitativ hochwertige regionale
und Bio- zertifizierte Lebensmittel gewährleisten vor dem Hintergrund der zu erwartenden
99
Tiroler Gemeindekatalog 2010–2011.
(http://www.tirol.gv.at/buerger/landesentwicklung/nachhaltigkeit/publikationen/tirolergemeindekatalog/)
100
Österreichischer Aktionsplan zur nachhaltigen öffentlichen Beschaffung. NAP nachhaltige Beschaffung
(http://www.nachhaltigebeschaffung.at/).
127
Nachhaltigkeit in Produktion und Verbrauch
Kürzungen des Agrar-Förderbudgets der Europäischen Union darüber hinaus die
Wettbewerbsfähigkeit der Tiroler Landwirtschaft. Es gilt zudem, die weiteren Funktionen
der heimischen Landwirtschaft, die sie neben der Produktion hochwertiger Nahrungsmittel
erfüllt, verstärkt in den Vordergrund zu rücken (Erhalt der Kulturlandschaft, Bewahrung des
Brauchtums, Pflege der Kulturlandschaft usw.).
128
Nachhaltigkeit in Produktion und Verbrauch
4.8.2 Ziele und Maßnahmen
Ziel
Stärkung des Bewusstseins und damit der persönlichen
Verantwortung für Nachhaltigkeit im Konsumverhalten
•
Weitere Stärkung der Regionalität in Produktion und Verbrauch
▬ z.B. „Bewusst Tirol“ durch die Argrarmarketing Tirol
Maßnahmen
•
Weiterhin Ablehnung der Produktion von gentechnisch
veränderten Nahrungsmitteln in Tirol
•
Visualisierung und „Begreifbarmachen“ der Zusammenhänge
der gesamten Wertschöpfungskette für alle insitutionellen
Ebenen (Gemeinden, Institutionen Vereine, Familien, usw.)
•
Unterstützung von gemeinsamen und längerfristigen
Nutzungsformen (z. B. Produkt-sharing, Miete, Tausch, Leihe,
usw.)
Best-practiceBeispiele
Ziel
•
Förderung von Recycling in allen Produktsparten
•
Anbau alter Landsorten in Tiroler Schutzgebieten
•
Brixentaler KochArt
Mehr Transparenz und Information über Produkte und
Dienstleistungen
•
Erarbeitung und Förderung einheitlicher Standards für
Gütesiegel anhand von Kriterien wie Authentizität,
Glaubwürdigkeit und Transparenz
Maßnahmen
•
Einfachere und verständlichere Kennzeichnung von
nachhaltigen Produkten und Dienstleistungen
•
Umfassende Information der KonsumentInnen über
gentechnisch veränderte Nahrungsmittel (auch veränderte
Vorprodukte)
129
Nachhaltigkeit in Produktion und Verbrauch
Ziel
Kostenwahrheit bei Waren und Dienstleistungen
•
Maßnahmen
Einfließen externer Kosten bei Waren und Dienstleistungen
▬
Stufenweise Einführung – z. B. Angabe eines „zweiten“
Preises, welcher die Umwelt- und Sozialauswirkungen
eines Produktes oder einer Dienstleistung beinhaltet
Ziel
Förderung „sauberer“ und „schlanker“ Produktion
•
Weitere Verringerung von Umweltbelastungen und Abfällen
sowie gesteigerte Recyclingraten (abfall- und
emissionsmindernde Produktionsprozesse)
•
Verbesserung der Rohstoffeffizienz (höherwertige Produkte bei
geringerem Ressourceneinsatz)
•
Schaffung von Anreizsystemen für die Produkton und den Kauf
nachhaltiger Waren und das Angebot zukunftsverträglicher
Dienstleistungen
▬
Maßnahmen
Förderungen und Steuererleichterungen
▬ Festlegung von Mindeststandards für die Energieeffizienz
von energieverbrauchsrelevanten Produkten
▬
Forcierung von biologischen, umwelt- und tierfreundlich
erzeugten Produkten
▬
Förderung von Öko-Innovation („Green jobs“)
▬
Ankurbelung der nachfrage nach höherwertigen Waren,
Dienstleistungen und Produktionstechnologien
▬
Information, Sensibilisierung und Bewusstseinsbildung für
das Thema Nachhaltigkeit in Produktion, Dienstleistung und
Verbrauch
Best-practiceBeispiele
•
Anbau alter Landsorten in Tiroler Schutzgebieten
•
Brixentaler KochArt
•
Brennstadel Webhofer
130
Nachhaltigkeit in Produktion und Verbrauch
Ziel
Forcierung der nachhaltigen öffentlichen Beschaffung im Landesund Gemeindebereich
•
Gezielte Nachfrage und gezielter Bezug von regionalen, fair
gehandelten und Bio-Produkten sowie von nachhaltigen
Dienstleistungen durch Land und Gemeinden
•
Etablierung von verbindlichen Kriterien für ein nachhaltiges
öffentliches Beschaffungswesen
•
Berücksichtigung dieser Nachhaltigkeits- und Umweltkriterien
in Ausschreibungen und Beschaffungsverfahren
•
Förderanreize für Projekte zur nachhaltigen Beschaffung
insbesondere in den Gemeinden
Maßnahmen
131
Herunterladen