Simulation der Diamantabscheidung aus der Gasphase in Flammen- und Heißdrahtreaktoren INAUGURAL - DISSERTATION zur Erlangung der Doktorwürde der Naturwissenschaftlich - Mathematischen Gesamtfakultät der Ruprecht - Karls - Universität Heidelberg vorgelegt von Bernhard Ruf aus Pforzheim Gutachter: Prof. Dr. Dr. h. c. Jürgen Warnatz Prof. Dr. Bernhard Schramm Tag der mündlichen Prüfung: . . . Interdisziplinäres Zentrum für Wissenschaftliches Rechnen Ruprecht - Karls - Universität Heidelberg 1998 INAUGURAL-DISSERTATION zur Erlangung der Doktorwürde der Naturwissenschaftlich - Mathematischen Gesamtfakultät der Ruprecht - Karls - Universität Heidelberg vorgelegt von Diplom-Physiker Bernhard Ruf aus Pforzheim Tag der mündlichen Prüfung: . . . Thema Simulation der Diamantabscheidung aus der Gasphase in Flammen- und Heißdrahtreaktoren Gutachter: Prof. Dr. Dr. h. c. Jürgen Warnatz Prof. Dr. Bernhard Schramm Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung 6 2 Grundlagen 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 11 Erhaltungsgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 2.1.1 Kontinuitätsgleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 2.1.2 Bilanz für die Teilchenmassen . . . . . . . . . . . . . . . . 12 2.1.3 Impulserhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 2.1.4 Energieerhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 2.1.5 Zustandsgleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Erhaltungsgleichungen an der Phasengrenze . . . . . . . . . . . . 14 2.2.1 Massenströme an der Phasengrenze . . . . . . . . . . . . . 15 2.2.2 Temperatur an der Phasengrenze . . . . . . . . . . . . . . 16 2.2.3 Oberflächenbedeckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Transportprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 2.3.1 Diffusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 2.3.2 Viskosität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 2.3.3 Energietransport . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 2.3.4 Energietransport am Festkörper . . . . . . . . . . . . . . . 20 Thermodynamische Größen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 2.4.1 Thermochemie in der Gasphase . . . . . . . . . . . . . . . 20 2.4.2 Thermochemie an der Oberfläche . . . . . . . . . . . . . . 21 Reaktionskinetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 2.5.1 Reaktionen in der Gasphase . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 2.5.2 Heterogene Reaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 2.5.3 Reaktionsmechanismen an Oberflächen . . . . . . . . . . . 26 Staupunktströmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 5 6 INHALTSVERZEICHNIS 2.6.1 Randbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 2.6.2 Ortsdiskretisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 2.6.3 Lösungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 2.6.4 Sensitivitätsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 2.6.5 Struktur des Programmpaketes . . . . . . . . . . . . . . . 33 3 Diamantoberfläche 36 3.1 Oberflächenstrukturen von Diamant . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 36 3.1.1 (100)-Oberfläche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 3.1.2 (110)-Oberfläche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 3.1.3 (111)-Oberfläche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 3.1.4 Polykristalline Diamantoberfläche . . . . . . . . . . . . . . 38 3.1.5 Die Rolle von atomarem Wasserstoff . . . . . . . . . . . . 39 Wachstumsmechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 3.2.1 CH3 -Mechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 3.2.2 CH2 -, CH- und C-Mechanismus . . . . . . . . . . . . . . . 47 3.2.3 Oxidationsmechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 4 Heißdrahtreaktor 51 4.1 Formulierung des Modells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 4.2 Gasphase und polykristallines Wachstum . . . . . . . . . . . . . . 54 4.2.1 Temperaturprofile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 4.2.2 Speziesprofile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 4.2.3 Molenbrüche als Funktion der Drahttemperatur . . . . . . 57 4.2.4 Molenbrüche als Funktion der Substrat-Temperatur . . . . 60 4.2.5 Diamant-Wachstumsgeschwindigkeiten . . . . . . . . . . . 63 Homoepitaktisches Diamantwachstum . . . . . . . . . . . . . . . . 64 4.3.1 67 4.3 Sensitivitätsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Flammenreaktor 70 5.1 Formulierung des Modells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 5.2 Acetylen-Sauerstoff-Flammen bei niedrigem Druck . . . . . . . . 73 5.2.1 Flammenstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 5.2.2 Diamantwachstum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 CH4 /O2 -, C2 H4 /O2 - und C3 H6 /O2 -Flammen . . . . . . . . . . . . 81 5.3 INHALTSVERZEICHNIS 5.4 Acetylen-Sauerstoff-Flammen bei Normaldruck . . . . . . . . . . . 7 82 6 Zusammenfassung 86 Literaturverzeichnis 89 Kapitel 1 Einleitung Diamant ist eine Kohlenstoffmodifikation, die die Menschen seit jeher fasziniert. Einerseits ist er als Edelstein begehrt, andererseits besitzt er herausragende Materialeigenschaften (siehe Tabelle 1.1). Diamant hat die größte Härte und die größte Wärmeleitfähigkeit aller Stoffe1 . Durch die große Bandlücke ist er ein sehr guter Isolator und durchsichtig über weite Wellenlängenbereiche. Er ist resistent gegenüber Säuren und Basen und zeigt Gleiteigenschaften vergleichbar mit Teflon. Diese einzigartigen Eigenschaften machen Diamant interessant für eine Vielzahl von Anwendungen. Es bestand und besteht daher ein großes Interesse, künstliche Diamanten herzustellen. Der Durchbruch gelang in den fünfziger Jahren mit der Hochdruckhochtemperatursynthese (HPHT-Synthese) von Diamant. Das Verfahren beruht auf dem Phasendiagramm von Kohlenstoff (Abbildung 1.1). Man erkennt, daß Diamant nur bei sehr hohen Drücken (> 20 kbar) die thermodynamisch stabile Phase darstellt. Bei Standardbedingungen ist Diamant metastabil2 , d. h. die Aktivierungsenergie für die Phasenumwandlung ist so groß, daß sich Diamant nicht spontan in Graphit umwandelt. Bei der HPHT-Synthese wird Graphit bei Drücken zwischen 50 und 100 kbar und Temperaturen zwischen 1800 und 2300 K in Anwesenheit von Metallkatalysatoren in Diamant umgewandelt [1]. Auf diese Weise wurden 1990 weltweit etwa 60 Tonnen Diamant hergestellt [1]. Parallel zur HPHT-Synthese wurden Anstrengungen unternommen, Diamant 1 4,5 mal so groß wie Kupfer Bei Standardbedingungen beträgt die Differenz der molaren freien Enthalpien zwischen Diamant und Graphit 2900 kJ/mol [2]. 2 8 9 Kristallstruktur Härte Dichte optische Eigenschaften Bandlücke spezifischer Widerstand thermische Leitfähigkeit kfz-Gitter (kubisch flächenzentriert) Gitterkonstante a = 3,57 Å Abstand zwischen nächsten Nachbarn d = 1,55 Å 3000–12000 kg/mm2 3,52 g/cm3 Brechungsindex n = 2,42 transparent im sichtbarem und infrarotem Bereich 5,5 eV > 109 Ω·cm 18 W/(cm·K) Tabelle 1.1: Eigenschaften von Diamant (siehe Ref. [3]). direkt aus der Gasphase bei Drücken (< 1 bar) und Temperaturen abzuscheiden, bei denen Graphit thermodynamisch stabil ist. Wegen der geringen Abscheidungsgeschwindigkeiten [3] (< 0,1 µm/h) wurden diesen Versuchen wenig Beachtung geschenkt. Das änderte sich in den achtziger Jahren, in denen entscheidende Fortschritte in der Abscheidungsgeschwindigkeit (≈ 1 µm/h) erzielt wurden [4]. Die Aussicht, daß die Diamantabscheidung aus der Gasphase (Diamant-CVD3 ) eine Alternative zum Hochdruckverfahren sein könnte, und vor allem die neuen Möglichkeiten, die die CVD-Methode für die Beschichtungen großer Flächen auf den unterschiedlichsten Materialien bietet, hat zu intensiver Forschung in allen Bereichen der Diamant-CVD geführt (Übersicht in Referenzen [1, 3, 5–7]). Anwendungen ergeben sich in der Werkzeugbeschichtung, der Mikroelektronik und der Optik. Diese Anwendungen erfordern hohe Abscheidungsgeschwindigkeiten und die Erzeugung möglichst großer homogener Schichten. In der Mikroelektronik werden außerdem Einkristalle verlangt, die bisher ausschließlich auf Diamantsubstraten hergestellt werden können. Nur mit einem detaillierten Verständnis der physikalischen und chemischen Prozesse bei der Diamantabscheidung ist es möglich, das Abscheidungsverfahren zu verbessern und den oben genannten Anforderungen gerecht zu werden. Die Simulation stellt dabei ein wichtiges Hilfsmittel dar. Durch Vergleich mit Experimenten können Modelle entwickelt und getestet werden, wobei das Ziel darin besteht, ein Modell zu besitzen, das möglichst viele Experimente rich” tig“ beschreibt. Mit diesem Modell lassen sich dann Vorhersagen über optimale 3 Chemical Vapour Deposition 10 KAPITEL 1. EINLEITUNG Druck [kbar] 80 Diamant 60 40 Graphit 20 0 0 1000 2000 Temperatur [K] 3000 Abbildung 1.1: Phasendiagramm von Kohlenstoff (siehe Referenz [3]). Abscheidungsbedingungen treffen. Das Prinzip des Diamant-CVD-Verfahrens veranschaulicht Abbildung 1.2. Das Frischgas, ein Gemisch aus Kohlenwasserstoff, Wasserstoff und Sauerstoff, strömt auf ein Substrat, auf dem sich Diamant abscheidet. Zur Abscheidung muß die Gasphase aktiviert werden. Dies kann durch unterschiedliche Verfahren geschehen [1, 5, 8]. Die vier wichtigsten sind Heißdraht-CVD (HFCVD4 ), Flammen-CVD (CACVD5 ), Mikrowellen-CVD (MWCVD6 ) und Plasmajet-CVD. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Heißdraht-CVD und der Flammen-CVD, die in den Kapiteln 4 und 5 ausführlich behandelt werden. Alle Verfahren arbeiten bei Substrat-Temperaturen von ungefähr 1000 K und Drücken zwischen 20 mbar und 1 bar. Durch die Aktivierung der Gasphase werden Radikale erzeugt, die zum Substrat diffundieren und das Diamantwachstum bewirken. Beim Heißdraht-, Mikrowellen- und Plasmajetverfahren besteht das Frischgas überwiegend aus Wasserstoff (≈ 99 Vol.%), auf dessen Rolle näher in Kapitel 3 eingegangen wird, und nur zu einem geringen Anteil (≈ 1 Vol.%) aus Kohlenwasserstoffen (meistens CH4 ). Bei der Flammen-CVD setzt sich das Frischgas aus Sauerstoff und Brennstoff (meistens C2 H2 ) zusammen. Die Flammen sind 4 Hot Filament CVD Combustion Assisted CVD 6 Microwave CVD 5 11 H2, CH4, C2H2, O2 Frischgas p ≈ 20 mbar–1 bar Heißdraht, Flamme Grenzschicht Aktivierung T ≈ 2000–5000 K H O C CH3 O2 Mikrowelle, Plasmajet Substrat (T ≈ 1000 K, Wachs. ≈ 1–1000 µm/h) Diamant, Silizium, Molybdän, Platin, etc. Abbildung 1.2: Prinzip der Diamantabscheidung aus der Gasphase. brennstoffreich, das Äquivalenzverhältnis7 liegt zwischen 1,5 und 2,5. Das Diamantwachstum beginnt mit der Nukleationsphase, in der sich auf dem Substrat die ersten isolierten Diamantkeime bilden. Diese Keime wachsen mit der Zeit zusammen, und es bildet sich ein kontinuierlicher Diamantfilm. Danach beginnt die zweite Phase, in der Wachstum von Diamant auf Diamant stattfindet. Über die Nukleationsphase ist wenig bekannt, obwohl sie Gegenstand intensiver Forschung ist (Übersicht in Ref. [1,6,7,9]). Auch von einem detaillierten Verständnis der zweiten Phase ist man weit entfernt. Es ist viel über den sogenannten Pre” cursor“, d. h. über diejenige Spezies in der Gasphase, die zum Diamantwachstum führt, spekuliert worden. Es wurden verschiedene Wachstumsmechanismen mit CH3 [10–15] und Acetylen [16–19] vorgeschlagen; allerdings gibt es starke experimentelle Hinweise [20–27], daß eine C1 -Spezies die Wachstumsspezies darstellt. Diese Arbeit beschäftigt sich nur mit der zweiten Phase des Diamantwachstums; es wird also ein Diamantsubstrat angenommen. Basierend auf Vorschlägen aus der Literatur wird ein Modell des Diamantwachstums entwickelt, das die Anlagerung einer C1 -Spezies an das Diamantgitter beschreibt. Die durch das Modell erhaltenen Wachstumsgeschwindigkeiten werden mit Experimenten im 7 Äquivalenzverhältnis Φ = (Volumenanteil Brennstoff/Volumenanteil Sauerstoff) (Volumenanteil Brennstoff/Volumenanteil Sauerstoff)stöchiometrisch 12 KAPITEL 1. EINLEITUNG Heißdrahtreaktor und im Flammenreaktor verglichen. Das mathematische Modell, das der Modellierung dieser Reaktoren zugrunde liegt, ist eine Staupunktströmung auf eine chemisch reaktive Platte (siehe Kapitel 2). Die auftretende Strömung ist laminar und kann räumlich eindimensional beschrieben werden. Die chemischen Prozesse in der Gasphase als auch auf der Oberfläche werden durch Elementarreaktionen [28] beschrieben. Der Stofftransport in der Gasphase und zwischen Gas und Oberfläche wird durch ein molekulares Transportmodell erfaßt. Kapitel 2 Grundlagen 2.1 Erhaltungsgleichungen Mathematisch werden reaktive Strömungen durch ein System von Erhaltungsgleichungen beschrieben [28, 29]. Erhaltungsgleichungen für extensive Größen lassen sich durch Aufstellung von Bilanzen der entsprechenden physikalischen Größen für ein Volumengebiet herleiten und haben deshalb eine einheitliche Struktur, die im folgenden entwickelt wird. Betrachten wir eine beliebige extensive (mengenartige) Größe F (z. B. Masse, Impuls, Energie) im Volumenelement Ω, das durch den Rand ∂Ω begrenzt wird (Abb. 2.1). Die Menge von F im Volumenelement Ω läßt sich aus der zugehörigen Dichte f (~r, t) durch Integration berechnen: Z F (t) = f (~r, t) dV . (2.1) Ω Eine Änderung von F im Volumenelement Ω kann durch drei Prozesse erfolgen: n qf sf f Abbildung 2.1: Änderung der extensiven Größe F im Volumenelement Ω. 13 14 KAPITEL 2. GRUNDLAGEN ~f ~n dA durch die Oberfläche ∂Ω; dabei ist ~n • Änderung durch einen Fluß Φ der Normalenvektor auf die Oberfläche des Volumenelements und dA ein differentielles Oberflächenelement, • Änderung durch Produktion qf im Innern des Volumenelements Ω, • Änderung durch Fernwirkung sf von außerhalb des Volumenelements Ω. Für die zeitliche Änderung von F ergibt sich damit Z Z Z Z ∂F ∂f ~f ~n dA + qf dV + sf dV = dV = − Φ ∂t ∂t Ω Ω Ω ∂Ω Z Z Z ~ = − div Φf dV + qf dV + sf dV . Ω Ω (2.2) Ω Hierbei wurde der Gaußsche Integralsatz verwendet. Die lokale Änderung von f (r, t) ist dann gegeben durch ∂f ~f + qf + sf . = − div Φ ∂t (2.3) Als Erhaltungsgrößen bezeichnet man solche Größen, bei denen keine Produktionsterme auftreten (qf = 0). 2.1.1 Kontinuitätsgleichung Die Gesamtmasse m ist eine Erhaltungsgröße, und damit verschwindet der Quell~ m = ρ~v ergibt sich aus dem term q in Gleichung (2.3). Die Massenstromdichte Φ Produkt der Massendichte ρ und der lokalen Strömungsgeschwindigkeit ~v . Fernwirkungsterme treten nicht auf. Man erhält damit aus Gleichung (2.3) die Kontinuitätsgleichung 2.1.2 ∂ρ + div(ρ~v ) = 0. ∂t (2.4) Bilanz für die Teilchenmassen Stellt man mit Gleichung (2.3) eine Bilanz für die Teilchenmassen mi der im Reaktionssystem vorhandenen Spezies auf, so ist durch ρi = ρYi die zugehörige Massendichte der Teilchensorte i mit dem Massenbruch Yi gegeben. Die lokale Strömungsgeschwindigkeit ~vi setzt sich aus der Strömungsgeschwindigkeit des 2.1. ERHALTUNGSGLEICHUNGEN 15 Massenschwerpunktes ~v und der Diffusionsgeschwindigkeit V~i der Spezies i zu~ m = ρYi (~v + V~i ) geschrieben werden. sammen. Die Stromdichte kann damit als Φ i Ein Fernwirkungsterm tritt nicht auf. Im Gegensatz zu der Gesamtmasse sind die Einzelmassen mi keine Erhaltungsgrößen; es tritt ein chemischer Quellterm qmi = ω̇i Mi auf. Er beschreibt die Umwandlung von Spezies aufgrund chemischer Reaktionen; ω̇i ist dabei die molare Bildungsgeschwindigkeit und Mi die Molmasse der Teilchensorte i. Mit ~ji = ρi V~i folgt mit Gleichung (2.3) ∂ρi + div(ρi~v ) + div ~ji = ω̇i Mi . ∂t 2.1.3 (2.5) Impulserhaltung Der Impuls m~v mit der zugehörigen Impulsdichte ρv ist eine Erhaltungsgröße; der Produktionsterm in Gleichung (2.3) verschwindet. Gravitation verursacht einen Fernwirkungsterm, der durch sm~v = ρ~g gegeben ist, wobei ~g die Fallbeschleuni~ m~v setzt sich aus Konvektion ρ~v ⊗ ~v und aus gung ist. Die Impulsstromdichte Φ einem Anteil p zusammen, der durch Druck- und Reibungskräfte hervorgerufenen wird [28–30]: ~ m~v = ρ~v ⊗ ~v + p. Φ (2.6) Dabei ist ~v ⊗ ~v als dyadisches Produkt zweier Vektoren zu verstehen. Der Drucktensor p läßt sich in zwei Anteile zerlegen, einen für den hydrostatischen Druck p und einen viskosen Anteil Π, der den Impulsfluß von einem Ort höherer zu einem Ort niedriger Geschwindigkeit aufgrund der Zähigkeit des Fluids beschreibt, p = pE + Π, (2.7) mit E als Einheitstensor. Mit Gleichung (2.3) folgt dann die Impulserhaltungsgleichung ∂(ρ~v ) + div(ρ~v ⊗ ~v ) + div p = ρ~g . ∂t 2.1.4 (2.8) Energieerhaltung Die Gesamtenergie E des Systems ist eine Erhaltungsgröße. Sie setzt sich aus innerer, kinetischer und potentieller Energie zusammen, 1 ρe = ρu + ρ|~v |2 + ρG, 2 (2.9) 16 KAPITEL 2. GRUNDLAGEN mit u als spezifischer innerer Energie und G als Gravitationspotential. Die Ge~ E besteht aus einem konvektiven Term ρe~v , einem dissamtenergiestromdichte Φ sipativen Term p~v und der Wärmestromdichte ~jq : ~ E = ρe~v + p~v + ~jq . Φ (2.10) Aufgrund der Erhaltungseigenschaft der Energie treten keine Produktionsterme auf. Strahlung verursacht einen Fernwirkungsterm sr . Es folgt die Erhaltungsgleichung für die innere Energie [31], ∂(ρu) + div(ρu~v + ~jq ) + p : grad ~v = sr , ∂t (2.11) wobei das Symbol :“ die doppelte Verjüngung zweier Tensoren bedeutet. Mit der ” Beziehung ρh = ρu+p kann Gleichung (2.11) in eine Gleichung für die spezifische Enthalpie h umgeformt werden [28]: ∂(ρh) ∂p − + div(ρ~v h + ~jq ) + p : grad ~v − div(p~v ) = sr . ∂t ∂t 2.1.5 (2.12) Zustandsgleichung Zur Schließung der Erhaltungsgleichungen müssen die Zustandsvariablen Druck, Dichte und Temperatur verknüpft werden. In dieser Arbeit können die Reaktionssysteme mit hinreichender Genauigkeit als ideale Gase betrachtet und die ideale Gasgleichung als Zustandsgleichung verwendet werden: p=ρ R T. M̄ (2.13) Dabei ist R die universelle Gaskonstante und M̄ die mittlere molare Masse der PNg Yi Mischung (M̄ = 1/ i=1 mit Ng als Anzahl verschiedener Spezies). Mi 2.2 Erhaltungsgleichungen an der Phasengrenze Oberflächenprozesse spielen in dieser Arbeit eine zentrale Rolle. Allerdings wird die Oberfläche nicht isoliert betrachtet. Gasphase und Oberfläche bilden ein heterogenes System. Die Untersuchung derartiger Systeme erfordert eine Kopplung der Phasen. Diese Kopplung erfolgt wiederum durch Erhaltungsgleichungen, die analog zur Gasphase hergeleitet werden können [32]. Dazu wird ein kleines an 2.2. ERHALTUNGSGLEICHUNGEN AN DER PHASENGRENZE 17 Gasphase + + f x+ qf g sf Phasengrenze Festk örper g f Abbildung 2.2: Änderung der extensiven Größe F an der Phasengrenze. der Festkörperoberfläche anliegendes Volumenelement Ω betrachtet. Der Rand von Ω wird in zwei Teile zerlegt: die Phasengrenze Gas-Festkörper ∂Ω g des Volumenelements und den Rand ∂Ω + von Ω bezüglich der Gasphase (Abb. 2.2). Die Bilanzgleichung (2.2) für Ω läßt sich damit schreiben als Z Z Z Z Z ∂F ∂f g + ~ ~n dA − ~ ~n dA + qf dV + sf dV = dV = − Φ Φ f f ∂t ∂t Ω ∂Ω + ∂Ω g Ω (2.14) Ω ~ + als Fluß durch die Oberfläche ∂Ω + und Φ ~ g als Fluß durch die Phasengrenze mit Φ f f ∂Ω g . 2.2.1 Massenströme an der Phasengrenze Die Bilanz für die Teilchenmassen der Gasphasenspezies im Volumenelement Ω ergibt sich aus Gleichung (2.14): Z Z Z Z ∂Yi ρ dV = − (~ji + ρ~uYi )~n dA + ṡi Mi dA + ω̇i Mi dV . ∂t Ω ∂Ω + ∂Ω g (2.15) Ω Der Term (~ji + ρYi~u) bezeichnet die Diffusions- und Konvektionsströme in der Gasphase, ṡi Mi~n ist der Teilchenfluß an der Phasengrenze aufgrund von Adsorption und Desorption und ω̇i Mi ist der chemische Quellterm aufgrund von Gasphasenreaktionen. Verhält sich das System an der Phasengrenze stationär und führt man in (2.15) den Grenzübergang ∆x+ → 0 durch, so gelangt man zu (~ji + ρ~uYi )~n = ṡi Mi . (2.16) 18 KAPITEL 2. GRUNDLAGEN Dieser Grenzübergang läßt sich auch für instationäre Prozesse durchführen, allerdings nur wenn man voraussetzt, daß Diffusionsprozesse einerseits und Adsorptions- und Desorptionsprozesse andererseits gleiche Zeitskalen besitzen. Summiert man Gleichung (2.16) über alle Ng Gasphasenspezies, so erhält man Ng 1X ṡi Mi . ~n~u = ρ i=1 (2.17) Diese Gleichung sagt aus, daß die Konvektionsgeschwindigkeit an festen Wänden nicht notwendigerweise verschwindet. Tritt aufgrund von Adsorption oder Desorption ein Netto-Massenstrom an der Oberfläche auf, so induziert dies eine Strömungsgeschwindigkeit ~u normal zur Oberfläche, die sogenannte Stefan-Geschwindigkeit. 2.2.2 Temperatur an der Phasengrenze In dieser Arbeit werden stationäre Prozesse betrachtet, und die Temperatur an der Phasengrenze wird als bekannt vorausgesetzt. Diese Temperatur geht als Randbedingung für das zu lösende partielle Differentialgleichungssystem ein, wobei Gas und Festkörper im thermischen Gleichgewicht stehen. Der Vollständigkeit wegen soll hier die Bestimmungsgleichung für die Temperatur für den Fall angegeben werden, daß diese nicht bekannt ist [32]: ~jq ~n − Ng X i=1 Ng +Ns hi~ji~n + ~jrad + X ṡi Mi hi − Q̇ext − ~jl~n = 0. (2.18) i=1 Dabei ist ~jq der Wärmefluß in der Gasphase, ~jrad stellt den Wärmestrom aufgrund von thermischer Strahlung der Oberfläche dar, Q̇ext bezeichnet den Quellterm durch äußere Energiequellen und ~jl ist ein weiterer Energieverlustterm, der zur Beschreibung der Wärmeleitung ins Festkörperinnere dient. 2.2.3 Oberflächenbedeckung Die maximale Anzahl der zur Adsorption zur Verfügung stehenden Plätze pro Fläche ist durch die Oberflächenplatzdichte Γ mit z. B. der Einheit [mol·m−2 ] gegeben. Durch Adsorption können die Oberflächenplätze belegt werden, und es entstehen sogenannte Oberflächenspezies. Allen Oberflächenspezies, wobei auch 2.3. TRANSPORTPROZESSE 19 freie Plätze als Oberflächenspezies definiert werden, läßt sich ein Bedeckungsgrad Θi zuordnen, der angibt, welcher Anteil der Oberfläche mit der Oberflächenspezies i bedeckt ist. Offensichtlich muß dann immer die Bedingung Ns X Θi = 1 (2.19) i=1 erfüllt sein, mit Ns als Anzahl der Oberflächenspezies. Durch die Bedeckungen Θi ist der chemische Zustand der reaktiven Oberfläche definiert. In dieser Arbeit wird die Oberfläche nulldimensional modelliert und die Bedeckungsgrade stellen Mittelwerte über die gesamte Oberfläche dar (mean field approximation). Die zeitliche Änderung der Bedeckungsgrade ist durch ṡi σi ∂Θi = ∂t Γ (2.20) gegeben. Hierbei ist ṡi die molare Bildungsgeschwindigkeit der Oberflächenspezies i und σi bezeichnet die Anzahl der Oberflächenplätze, die die Spezies i belegt. Dadurch wird berücksichtigt, daß eine Spezies auf der Oberfläche mehr als einen Platz belegen kann. 2.3 Transportprozesse In den Erhaltungsgleichungen (2.4–2.12) treten die Transportgrößen ~ji , Π und ~jq auf, welche als Funktionen der abhängigen Variablen bekannt sein müssen, um das Gleichungssystem zu schließen. Diese Schließung erfolgt mit empirischen Gesetzen (Ficksches Diffusionsgesetz, Newtonsches Schubspannungsgesetz und Fouriersches Wärmeleitungsgesetz); die zugehörigen Transportkoeffizienten werden mit Hilfe der kinetischen Gastheorie aus molekularen Daten abgeleitet. 2.3.1 Diffusion Diffusion von Masse aufgrund eines Konzentrationsgradienten bezeichnet man als Ficksche Diffusion. Massendiffusion ist aber nicht nur an Konzentrationsgradienten gekoppelt. Auch Gradienten von Temperatur und Druck erzeugen einen Massendiffusionsstrom, der im allgemeinen klein gegenüber der Fickschen Diffusion ist. Druckdiffusion spielt für Systeme mit annähernd konstantem Druck, wie sie 20 KAPITEL 2. GRUNDLAGEN in dieser Arbeit betrachtet werden, keine Rolle und wird deshalb vernachlässigt. Die Diffusionsstromdichte setzt sich somit aus zwei Anteilen zusammen: ~ji = ~jid + ~jiT . (2.21) Ficksche Diffusion ~jid und Thermodiffusion ~jiT lassen sich mit der kinetischen Theorie verdünnter Gase schreiben als [29, 33] X P ~jid = ρMi Dij Mj grad Xj , 2 M̄ j6=i (2.22) T ~jiT = − Di grad T. T (2.23) Dabei ist Xj = M̄ Yj /Mj der Molenbruch von Spezies j und DiT der ThermodiffuP sionskoeffizient von Spezies i. Die polynären Diffusionskoeffizienten Dij sind von den Konzentrationen der einzelnen Spezies abhängig, und die Berechnung aus den binären Diffusionskoeffizienten Dij ist numerisch aufwendig. Deshalb wird eine Nährungsformel zur Berechnung von ~jid verwendet [33], ~jid = ρ Yi DiM grad Xi , Xi (2.24) mit den effektiven Diffusionskoeffizienten DiM von Spezies i in der Gasmischung, die sich aus der Zusammensetzung und den binären Diffusionskoeffizienten berechenen lassen [33]: 1 − Yi . j6=i Xj /Dij DiM = P (2.25) Man muß bei dieser Nährung beachten, daß sich die Diffusionsströme nicht mehr notwendigerweise zu Null addieren. Dies wird mit einem Korrekturterm ~jcorr = P − i ~ji kompensiert. Zur Berechnung der binären Diffusionskoeffizienten Dij wird die Theorie verdünnter Gase von Chapman und Enskog [29, 34] herangezogen. Mit ihr lassen sich die Transportkoeffizienten in Abhängigkeit von intermolekularen Potentialen Φ(r) berechnen. Als Nährung von Φ(r) wurden bisher Lennard-Jones-(6-12) Potentiale verwendet. Es zeigt sich aber bei einigen Spezies (z. B. H, H2 , O, O2 ), die in [35] aufgeführt sind, daß die aus den Lennard-Jones-Potentialen berechneten Diffusionskoeffizienten bei hohen Temperaturen von den experimentellen Werten abweichen. Für diese Spezies werden bei hohen Temperaturen die besser geeigneten Born-Maier -Potentiale verwendet [35, 36]. 2.3. TRANSPORTPROZESSE 2.3.2 21 Viskosität Geschwindigkeitsgradienten in einem Gas verursachen Impulsstromdichten, die zu diesen proportional sind (Newtonsches Schubspannungsgesetz). Der viskose Drucktensor Π beschreibt diesen Impultransport und läßt sich mit der kinetischen Gastheorie schreiben als [29, 30] · ¸ 2 Π = −µ (grad ~v ) + (grad ~v ) − (div ~v )E , 3 T (2.26) wobei µ die mittlere dynamische Viskosität der Mischung und (grad ~v )T die zu (grad ~v ) transponierte Matrix bezeichnet. Die Viskositätskoeffizienten µi der einzelnen Spezies werden wiederum mit der Chapman-Enskog-Theorie aus den intermolekularen Potentialen berechnet. Der mittlere Viskositätskoeffizient µ der Gasmischung ergibt sich dann aus der empirischen Nährung à !−1 X Xi 1 X . Xi µi + µ= 2 µ i i i 2.3.3 (2.27) Energietransport Unter Vernachlässigung des Dufour -Effektes setzt sich die Wärmestromdichte ~jq aus zwei Anteilen zusammen, ~jq = −λ grad T + X hi~ji , (2.28) i wobei der Term (−λ grad T ) die Fouriersche Wärmeleitung beschreibt, während P der Term ( i hi~ji ) durch Diffusion von Teilchen unterschiedlicher Enthalpie hervorgerufen wird. Die Wärmeleitfähigkeit eines Gasgemisches wird analog zur Viskosität mit der empirischen Formel à !−1 X X 1 Xi Xi λi + λ= 2 λ i i i (2.29) bestimmt. Die Wärmeleitfähigkeitskoeffizienten λi der einzelnen Spezies werden wie die binären Diffusionskoeffizienten und die Viskositätskoeffizienten mit der Chapman-Enskog-Theorie aus den intermolekularen Potentialen berechnet. 22 2.3.4 KAPITEL 2. GRUNDLAGEN Energietransport am Festkörper In der Energiebilanz an der Festkörperoberfläche (2.18) treten neben den eben diskutierten Transportgrößen noch weitere Terme (~jrad , ~jl und Q̇ext ) auf. Da in dieser Arbeit die Oberflächentemperatur fest vorgegeben und Gleichung (2.18) nicht gelöst wird, sei zur Modellierung dieser Terme auf die Dissertation von Deutschmann [32] verwiesen. 2.4 Thermodynamische Größen 2.4.1 Thermochemie in der Gasphase Für ideale Gase ist die spezifische Enthalpie h und die spezifische Entropie s der Gasmischung durch h= X hi Yi , i s= X s i Yi (2.30) i gegeben. Die Änderungen der spezifischen Enthalpie hi bzw. der spezifischen Enthalpie si des Stoffes i beschreiben die totalen Differentiale µ ¶ ¶ µ ∂hi ∂hi dT + dp, dhi = ∂T p ∂p T µ µ ¶ ¶ ∂si ∂si dT + dp . dsi = ∂T p ∂p T (2.31) (2.32) Für ideale Gase ist die spezifische Enthalpie und damit auch die spezifische Wärmekapazität bei konstantem Druck cp,i unabhängig vom Druck. Es gelten die thermodynamischen Beziehungen µ µ µ ¶ ¶ ¶ ∂hi ∂hi ∂si cp,i = cp,i , = 0, = , ∂T p ∂p T ∂T p T µ ∂si ∂p ¶ =− T 1 . ρi T (2.33) Sind die Werte der spezifischen Enthalpie und Entropie bei den Standardbedingungen (T 0 = 298,15 K, p0 = 105 Pa) bekannt, dann lassen sich Absolutwerte dieser Größen berechnen: ZT hi (T ) = h0i,T 0 cp,i (T 0 ) dT 0 , + T0 ZT si (T, pi ) = s0i,T 0 + T0 cp,i (T 0 ) R dT 0 − ln 0 T Mi (2.34) µ pi p0 ¶ . (2.35) 2.4. THERMODYNAMISCHE GRÖSSEN 23 Dabei bezeichnet pi den Partialdruck der Spezies i im Gasgemisch. Zur numerischen Berechnung der thermodynamischen Größen werden experimentelle Daten aus den JANAF-Tabellen [37] oder abgeschätzte Werte [38] durch Polynomansätze genähert. Man muß beachten, daß die folgenden Polynomansätze nicht für die spezifischen, sondern für die entsprechenden molaren Größen Cp,i , Hi , Si gelten: ¡ ¢ Cp,i (T ) = R a1 + a2 T + a3 T 2 + a4 T 4 + a5 T 5 , ³ a2 a3 2 a4 3 a5 4 a6 ´ Hi (T ) = RT a1 + T + T + T + T + , 2 3 4 5 T ³ ´ a3 a4 a5 Si0 (T ) = R a1 ln(T ) + a2 T + T 2 + T 3 + T 4 + a7 . 2 3 4 (2.36) (2.37) (2.38) 0 Die Koeffizienten a1 bis a5 , die Standardbildungsenthalpie Hi,T 0 und die Stan0 dardentropie Si,T 0 bestimmen die zwei restlichen Koeffizienten a6 und a7 : Hi,T 0 a2 2 a3 3 a4 4 a5 5 − a1 T 0 − T 0 − T 0 − T 0 − T 0 , R 2 3 4 5 Si,T 0 a a a5 4 2 3 3 4 a7 = − a1 ln(T 0 ) − a2 T 0 − T 0 − T 0 − T 0 . R 2 3 4 a6 = (2.39) (2.40) Größere Temperaturbereiche werden in zwei Temperaturintervalle mit jeweils unterschiedlichen Koeffizienten eingeteilt, so daß man 14 thermodynamische Koeffizienten pro Spezies benötigt. 2.4.2 Thermochemie an der Oberfläche Thermodynamische Größen für Oberflächenspezies lassen sich mit Hilfe der experimentell zugänglichen Größen Adsorptionsenthalpie und Adsorptionsentropie definieren. Die Adsorptionsenthalpie oder isosterische Adsorptionswärme ∆Hads wird definiert als Differenz der molaren Enthalpie des Gases Hg und der partiellen molaren Enthalpie des Adsorbates Hs . Falls Gas und Festkörper im chemischen Gleichgewicht stehen, gilt [39]: µ ¶ ∆Hads. ∂ ln p Hg − Hs = . = 2 ∂T Θ RT RT 2 (2.41) Damit kann man ∆Hads über eine Messung des Gleichgewichtsdruckes p in Abhängigkeit der Temperatur bei konstanter Bedeckung bestimmen. Die Entropie ist definiert als die reversibel ausgetauschte Wärme, geteilt durch die Temperatur. 24 KAPITEL 2. GRUNDLAGEN Also ist die partielle molare Adsorptionsentropie ∆Sads gegeben durch ∆Sads = ∆Hads . T (2.42) In der Regel ist die Adsorptionsenthalpie und damit auch die partielle molare Enthalpie und Entropie des Adsorbates bedeckungsabhängig [39]. Diese Bedeckungsabhängigkeit spiegelt die Adsorbat-Adsorbat Wechselwirkung wider. Allerdings sind für Oberflächen die thermodynamischen Eigenschaften nur für wenige ausgewählte Systeme untersucht worden, so daß in vielen Fällen keine experimentellen Daten vorliegen. Deshalb ist man auf Schätzungen mit Hilfe der Grup” pentheorie“ von Benson [38] oder auf theoretisch berechnete Werte angewiesen. In Anbetracht dieser Tatsachen werden in der vorliegenden Arbeit die partiellen molaren Enthalpien und Entropien der Oberflächenspezies mit den entsprechenden molaren Werten gleichgesetzt und somit eine mögliche Adsorbat-Adsorbat Wechselwirkung vernachlässigt. Für die thermodynamischen Daten der Oberflächenspezies kann somit der gleiche Formalismus ((2.36)–(2.38)) wie für die Gasphasenspezies verwendet werden. 2.5 Reaktionskinetik Die chemische Reaktionskinetik in der Gasphase und auf der Oberfläche beruht auf dem Konzept der Elementarreaktionen. Unter einer Elementarreaktion versteht man eine Reaktion, die auf molekularer Ebene genauso abläuft, wie es die Reaktionsgleichung beschreibt [28]. Der Vorteil dieses Konzepts ist, daß die Reaktionsordnung von Elementarreaktionen unabhängig von den Versuchsbedingungen ist und sich die Zeitgesetze leicht ableiten lassen. Globalreaktionen besitzen i. a. eine nicht ganzzahlige Reaktionsordnung und komplizierte Zeitgesetze, die von den Versuchsbedingungen (Druck, Temperatur und Zusammensetzung) abhängen können. 2.5.1 Reaktionen in der Gasphase Ein Reaktionsmechanismus in der Gasphase bestehend aus Elementarreaktionen läßt sich in allgemeiner Form schreiben als Ng X i=1 νil0 χi → Ng X i=1 νil00 χi (l = 1, . . . , Kg ) (2.43) 2.5. REAKTIONSKINETIK 25 mit den stöchiometrischen Koeffizienten νil0 und νil00 des Stoffes i in der Reaktion l, den Teilchensymbolen χi und Kg als Gesamtzahl der Elementarreaktionen. Die Bildungsgeschwindigkeit ω̇i der Spezies i ergibt sich dann zu Kg X ω̇i = νil kfl Ng Y 0 [χj ]νjl (2.44) j=1 l=1 mit νil = νil00 − νil0 und [χj ] als Konzentration der Spezies j. Die Geschwindigkeitskoeffizienten kfl sind temperaturabhängig und können durch ein modifiziertes Arrheniusgesetz beschrieben werden [28]: · ¸ Eal kfl = Al T exp − . RT βl (2.45) Dabei bezeichnet Al den präexponentiellen Faktor, βl den Temperaturexponenten und Eal die Aktivierungsenergie der Reaktion l. Aufgrund der mikroskopischen Reversibilität existiert zu jeder Elementarreaktion eine Rückreaktion, deren Geschwindigkeitskoeffizient krl sich aus dem Geschwindigkeitskoeffizienten kfl der Hinreaktion und aus der Gleichgewichtskonstanten Kcl berechnen läßt: krl (T ) = kfl . Kcl (2.46) Die Gleichgewichtskonstante Kcl wird bestimmt aus der molaren freien Reaktionenthalpie ∆R G0l bei einem Druck von p0 = 105 Pa: µ Kcl = 2.5.2 p0 RT g ¶PNi=1 νil · ¸ ∆R G0l . exp − RT (2.47) Heterogene Reaktionen Die Reaktionskinetik auf der Oberfläche wird analog zur Gasphase durch Elementarreaktionen beschrieben. Man muß allerdings beachten, daß die chemischen Symbole χi in Gleichung (2.43) für Gasphasenspezies, für Oberflächenspezies und für Spezies in der festen Phase – sogenannte Bulkspezies – stehen. Oberflächenspezies sind sowohl adsorbierte Spezies aus der Gasphase als auch unbedeckte Oberflächenplätze. Oberflächenspezies können einen oder mehrere Oberflächenplätze belegen, Bulkspezies belegen hingegen keinen Oberflächenplatz (σb = 0). Es wird angenommen, daß die Oberflächenplatzdichte Γ konstant ist; 26 KAPITEL 2. GRUNDLAGEN dann müssen in jeder der Ks Oberflächenreaktionen die Anzahl der Plätze konstant bleiben: Ng +Ns X νil σi = 0 (l = 1, . . . , Ks ). (2.48) i=Ng +1 Analog zu Gleichung (2.44) ist die Bildungsgeschwindigkeit ṡi von Spezies i durch Oberflächenreaktionen gegeben durch ṡi = Ks X l=1 Ng +Ns +Nb νil kfl Y 0 [χj ]νjl (i = 1, . . . , Ng + Ns + Nb ), (2.49) j=1 mit Nb als Anzahl der Bulkspezies. Die Konzentrationen der Gasphasenspezies sind in [mol·m−3 ] gegeben, die der Oberflächenspezies in [mol·m−2 ]. Für Bulkspezies müssen an Stelle der Konzentrationen Aktivitäten definiert werden [40], wobei die Aktivität ai der Bulkspezies i folgendermaßen mit dem chemischen Potential der festen Phase verknüpft ist: µi (T, p, XNg +Ns +1 , . . . , XNg +Ns +Nb ) = £ ¤ µ0i (T ) + RT ln ai (T, p, XNg +Ns +1 , . . . , XNg +Ns +Nb ) . (2.50) Die einheitslosen Aktivitäten (0 ≤ ai ≤ 1) hängen von der Zusammensetzung der festen Phase ab, die durch die Molenbrüche (XNg +Ns +1 , . . . , XNg +Ns +Nb ) charakterisiert ist. Für die Systeme, die in dieser Arbeit behandelt werden, liegt immer nur eine feste Phase vor, deren Aktivität auf den Wert 1 gesetzt wird. Die Bildungsgeschwindigkeit ṡi mit der Einheit [mol·m−2 ·s−1 ] entspricht für Gasphasenspezies einem Fluß, der durch Adsorptions- und Desorptionsprozesse hervorgerufen wird. Für Bulkspezies bedeutet ṡi einen Abscheidungs- oder Abtragungsprozeß. Man kann entsprechend eine Wachstums- oder Ätzgeschwindigkeit mit der Einheit [m·s−1 ] definieren, die im Falle einer einzigen Bulkspezies gegeben ist durch G= ṡb Mb . ρb (2.51) Dabei beschreibt ṡb die Bildungsgeschwindigkeit, Mb die molare Masse und ρb die Dichte der Bulkspezies. Die Geschwindigkeitskoeffizienten kfl hängen neben der Temperatur häufig noch vom Bedeckungsgrad der Oberfläche ab [39]. Wie schon in Abschnitt 2.4.2 erwähnt, können zwischen adsorbierten Teilchen Wechselwirkungen auftreten. 2.5. REAKTIONSKINETIK 27 Diese Adsorbat-Adsorbat Wechselwirkungen beeinflussen die Enthalpie und die Entropie des Adsorbates, was letzendlich die Adsorptions- und Desorptionswahrscheinlichkeit beeinflussen kann. Die daraus resultierende Bedeckungsabhängigkeit wird durch einen zusätzlichen Faktor f im Arrheniusansatz wiedergegeben [32]: · ¸ Eal kfl = Al T exp − fl (Θ1 , . . . , ΘNs ). RT βl (2.52) In dieser Arbeit werden die Bedeckungsabhängigkeiten vernachlässigt (f = 1), da keine ausreichenden experimentellen Daten zur Verfügung stehen. Die Geschwindigkeitskoeffizienten der Rückreaktionen werden entsprechend den Gleichungen (2.46–2.47) bestimmt. Allerdings muß eine mögliche Änderung der Anzahl der Oberflächenspezies in der Berechnung der Gleichgewichtskonstanten berücksichtigt werden [40]: · ∆R G0l Kcl = exp − RT ¸µ p0 RT g ¶PNi=1 νil Γ PNg +Ns i=Ng +1 Ng +Ns νil Y (σi )νil0 00 . νil (σ ) i i=N +1 (2.53) g Bei Adsorptionsprozessen verwendet man häufig anstatt den Geschwindigkeitskoeffizienten kfl sogenannte Haftkoeffizienten Sl . Der Haftkoeffizient gibt die Wahrscheinlichkeit (0 ≤ Sl ≤ 1) an, mit der ein Teilchen l, das mit der Oberfläche kollidiert, adsorbiert wird. Haftkoeffizienten sind im allgemeinen temperatur- und bedeckungsabhängig. Die Bedeckungsabhängigkeit von Sl ist durch Sl = Sl0 gl (Θ1 , . . . , ΘNs ) (2.54) gegeben. Der Anfangshaftkoeffizient Sl0 ist die Adsorptionswahrscheinlichkeit bei völlig unbedeckter Oberfläche. Die Funktion gl (Θ1 , . . . , ΘNs ) spiegelt die Bedekkungsabhängigkeit wieder. Bei sogenanntem Langmuirschen Verhalten [39] hat sie die Form gl (Θ1 , . . . , ΘNs ) = (Θfrei )τl , (2.55) wobei Θfrei die Bedeckung der Oberfläche mit freien Plätzen darstellt und τl definiert ist durch Ng +Ns τl = X νil0 . (2.56) i=Ng +1 Das heißt, bei molekularer Adsorption ist τl = 1 und bei dissoziativer Adsorption gilt τl = 2. Man kann die Haftkoeffizienten entsprechend der kinetischen 28 KAPITEL 2. GRUNDLAGEN Adsorption Desorption dissoziative Adsorption assoziative Desorption Abbildung 2.3: Adsorptions- und Desorptionsprozesse. Gastheorie in Geschwindigkeitskoeffizienten transformieren: r Sl0 1 RT ads kfl = . τ Sl0 l 2πMl 1 − (Θfrei )τl (Γ ) (2.57) 2 Diese Formel gilt nur bei Langmuirschen Verhalten. Der Term 1 − Sl0 (Θfrei )τl 2 ist eine Korrektur aufgrund der nicht-Maxwellschen Geschwindigkeitsverteilung nahe der Oberfläche [41]. 2.5.3 Reaktionsmechanismen an Oberflächen Die zwei grundlegenden Prozesse auf Oberflächen sind Adsorptions- und Desorptionsprozesse (Abb. 2.3). Bei der Adsorption spricht man von Physisorption oder von Chemisorption, je nach Art der Wechselwirkung des Gasteilchens mit der Oberfläche [2, 39]. Die Physisorption kommt durch schwache Van-der-WaalsWechselwirkungen zustande. Die Adsorptionsenthalpie ist gering (8–30 kJ/mol), weshalb man physisorbierte Spezies nur bei sehr tiefen Temperaturen (< 200 K) beobachtet. Bei höheren Temperaturen überwiegt entweder die Desorption aus dem physisorbierten Zustand, oder das physisorbierte Teilchen geht in einen chemisorbierten Zustand über. Bei der Chemisorption geht das adsorbierte Molekül eine chemische Bindung mit dem Festkörper ein. Die Adsorptionsenthalpie liegt zwischen 40 und 800 kJ/mol. Sie ist groß genug, um Bindungen im adsorbierten Molekül aufzubrechen. In diesem Fall spricht man von dissoziativer Adsorption. In der vorliegenden Arbeit spielen nur Oberflächentemperaturen größer als 600 K eine Rolle. Die Bedeckungen der Oberfläche mit physisorbierten Spezies kann man somit vernachlässigen. Unter Oberflächenspezies werden nur chemisorbierte Teilchen verstanden. 2.6. STAUPUNKTSTRÖMUNG 29 Abbildung 2.4: Schematische Darstellung des Langmuir-Hinshelwood-Mechanismus (links) und des Eley-Rideal-Mechanismus (rechts). Die Desorption kann auf zwei Arten erfolgen: durch die einfache Desorption oder durch die assoziative Desorption. Die Aktivierungsenergie der Desorption ist für den Fall verschwindender Aktivierungsenergie für die Adsorption gleich der Adsorptionsenthalpie. Bei den Reaktionsmechanismen an Oberflächen unterscheidet man zwischen Langmuir-Hinshelwood - und Eley-Rideal -Mechanismus (Abb. 2.4). Beim Langmuir-Hinshelwood -Mechanismus reagieren zwei auf der Oberfläche adsorbierte Teilchen miteinander. Beim Eley-Rideal -Mechanismus reagiert ein Teilchen aus der Gasphase mit einem auf der Oberfläche adsorbierten Teilchen bei anschließender Desorption. 2.6 Staupunktströmung Grundlage der numerischen Simulation in dieser Arbeit bildet die Staupunktströmung auf eine chemisch reaktive Platte (Abb. 2.5). Das dazugehörige Programmpaket wurde ursprünglich von Behrendt [42] zur Simulation laminarer Gegenstromdiffusionsflammen entwickelt und von Behrendt und Deutschmann [32] für die obige Konfiguration erweitert. Falls der Durchmesser der Platte und des Gaseinlasses groß (Faktor 4–6 [43]) gegenüber dem Abstand L zwischen Platte und Gaseinlaß sind, kann man das zweidimensionale Problem auf ein eindimensionales zurückführen [44, 45]. Die Gleichungen (2.58)–(2.61) sind die entsprechenden Bilanzgleichungen für Masse: ∂(ρu) ∂ρ =− − 2ρV, ∂t ∂x (2.58) 30 KAPITEL 2. GRUNDLAGEN x= L x,u r,v = V r x= 0 Abbildung 2.5: Staupunktströmung auf eine chemisch reaktive Platte. radialen Impuls: ∂V ∂ ρ = ∂t ∂x Spezies: ρ µ ∂V µ ∂x ¶ − ρu ∂V − ρV 2 − Λ, ∂x ∂Yi ∂ji ∂Yi =− − ρu + Mi ω̇i ∂t ∂x ∂x (i = 1, . . . , Ng ) (2.59) (2.60) und Energie: ∂T ∂ = ρcp ∂t ∂x µ ¶ Ng Ng ∂T ∂T X ∂T X − cpi ji − λ − ρucp ω̇i Mi hi . ∂x ∂x ∂x i=1 i=1 (2.61) Das partielle Differentialgleichungssystem wird durch die Gleichungen für den diffussiven Massenfluß, ji = −ρDiM Yi ∂Xi DiT ∂T − , Xi ∂x T ∂x (2.62) für den radialen Druckgradienten, Λ= 1 ∂p , r ∂r ∂Λ =0 ∂x (2.63) und die ideale Gasgleichung ρ RT (2.64) M̄ geschlossen. Die zeitliche Entwicklung der Oberflächenbedeckungen ist durch p= ṡi σi ∂Θi = ∂t Γ (i = Ng + 1, . . . , Ng + Ns ) (2.65) 2.6. STAUPUNKTSTRÖMUNG 31 gegeben. Der Abstand zur Platte x und die Zeit t bilden die unabhängigen Variablen im obigen Gleichungssystem. Die abhängigen Variablen sind die axiale Massenstromdichte ρu, die skalierte radiale Geschwindigkeit V = v/r, die Temperatur T , die Massenbrüche Yi , der radiale Druckgradient Λ und die Oberflächenbedeckungen Θi . Der thermodynamische Druck p wird räumlich konstant angenommen; allerdings erfordert die Impulserhaltungsgleichung einen kleinen radialen Druckgradienten Λ. Die Annahme eines annähernd konstanten thermodynamischen Druckes p gilt also für 12 r2 Λ ¿ p. 2.6.1 Randbedingungen Die Gleichungen 2.59–2.61 sind zweiter Ordnung. Für diese Gleichungen müssen somit 2Ng + 4 Randbedingungen spezifiziert werden. Die Gleichungen 2.58 und 2.63 sind erster Ordnung, was zu zwei zusätzlichen Randbedingungen führt. Mit diesen zwei Randbedingungen wird der axiale Massenfluß am Einströmrand und an der reaktiven Oberfläche festgelegt. Für den radialen Druckgradienten muß keine zusätzliche Randbedingung mehr angesetzt werden. Insgesamt sind damit 2Ng + 6 Randbedingungen für das obige System zu spezifizieren: Ng + 3 am Einströmrand und Ng + 3 an der reaktiven Oberfläche. Randbedingungen am Einströmrand Für die Massenbrüche Yi gibt es je nach physikalischer Problemstellung folgende Möglichkeiten der Randbedingungen: • konstante Massenbrüche: Yi |x=L = Yi,L (2.66) • konstante Speziesmassenströme: Yi |x=L = Yi,L − ji |x=L , (ρu)L (2.67) wobei ji |x=L den Diffusionsfluß von Spezies i und (ρu)L den axialen Massenfluß am Gaseinlaß darstellt. Mit dieser Randbedingung wird berücksichtigt, daß Spezies zum Einströmrand zurückdiffundieren können 32 KAPITEL 2. GRUNDLAGEN • konstante Speziesmassenströme mit H-Rekombination: YH |x=L = 0 (2.68) jH2 |x=L jH |x=L − , (ρu)L (ρu)L ji |x=L für i 6= H, H2 . = Yi,L − (ρu)L YH2 |x=L = YH2 ,L − Yi |x=0 (2.69) (2.70) Dies bedeutet, daß H-Atome, die zum Gaseinlaß zurückdiffundieren zu H2 Molekülen rekombinieren (z. B. bei brennerstabilisierten Flammen [46,47]). Für die restlichen Variablen werden am Einstömrand folgende Randbedingungen gewählt: (ρu)|x=L = (ρu)L , (2.71) V |x=L = 0, (2.72) T |x=L = TL . (2.73) Randbedingungen an der Phasengrenze Für die Massenbrüche Yi an der Phasengrenze werden gemäß Gleichung (2.15) und Abbildung 2.2 Ng gewöhnliche Differentialgleichungen gelöst [32]: ¶¯ µ ∂Yi ¯¯ ∆x+ = −ji |x=0 − (ρuYi )|x=0 + ṡi Mi + ω̇i Mi ∆x+ . ρ ∂t ¯x=0 (2.74) Der axiale Massenfluß an der reaktiven Platte wird der Stefan-Geschwindigkeit (2.17) gleichgesetzt: (ρu)|x=0 = Ng X ṡi Mi . (2.75) i=1 Die radiale Geschwindigkeit verschwindet an der Festkörperoberfläche: V |x=0 = 0. (2.76) Die Temperatur an der Phasengrenze wird in der vorliegenden Arbeit fest vorgegeben: T |x=0 = T0 . (2.77) 2.6. STAUPUNKTSTRÖMUNG 2.6.2 33 Ortsdiskretisierung Die Ortsdiskretisierung erfolgt mit der Methode der finiten Differenzen. In das Integrationsintervall [0, L] werden eine Anzahl von ng Stützstellen gelegt. Die Lösung des partiellen Differentialgleichungssystems wird durch die Lösung des diskreten Problems genähert. Die in den Gleichungen enthaltenen Ortsableitungen werden durch eine Differenzenapproximation ersetzt. Nach der Diskretisierung ergibt sich ein System aus ng (Ng + 4) + Ns gewöhnlichen Differentialgleichungen und algebraischen Gleichungen. In dem verwendeten Programmpaket ist eine nicht äquidistante, statische Gitteranpassung implementiert [42]. Bei Bedarf, d. h. bei großen bzw. kleinen Gradienten und Krümmungen der abhängigen Variablen, wird das alte Gitter durch Hinzufügen bzw. Entfernen von Gitterpunkten modifiziert. Die Lösung des letzten Zeitschrittes wird auf das modifizierte Gitter interpoliert und die Integration neu gestartet. 2.6.3 Lösungsverfahren Die numerische Lösung des nach der Diskretisierung erhaltenen Systems aus gewöhnlichen Differentialgleichungen und algebraischen Gleichungen erfolgt mit einem semi-impliziten Extrapolationsverfahren, das von Deuflhardt, Hairer, Nowak und Zugk entwickelt und im Programmpaket LIMEX realisiert wurde [48,49]. Sei das differentiell-algebraische Gleichungssystem gegeben durch B ∂~y = F~ (~y ). ∂t (2.78) In der vorliegenden Arbeit ist B eine Diagonalmatrix mit den Einträgen 1 für eine gewöhnlich Differentialgleichung bzw. 0 für eine algebraische Gleichung. Die Komponenten von ~y bilden die abhängigen Variablen. F~ (~y ) ist die zugehörige rechte Seite des Systems. Zur Lösung von (2.78) wird eine semi-implizite EulerDiskretisierung verwendet: µ ¶ ¡ ¢ ~y (t0 + h) − ~y (t0 ) B = F~ ~y (t0 + h) h ¡ ¢¡ ¢ ¡ ¢ = F~ ~y (t0 ) + Fy ~y (t0 ) ~y (t0 + h) − ~y (t0 ) ¡ ¢¤−1 ¡ ¢ £ F~ ~y (t0 ) . ~y (t0 + h) = ~y (t0 ) + h B − hFy ~y (t0 ) (2.79) 34 KAPITEL 2. GRUNDLAGEN Hierbei ist Fy die Jacobi-Matrix : ∂F 1 ∂y1 ∂F2 ∂y1 Fy = .. . ∂Fn ∂y1 ∂F1 ∂y2 ∂F2 ∂y2 ··· ∂Fn ∂y2 ··· .. . ∂F1 ∂yn ∂F2 ∂yn ··· .. . .. . . (2.80) ∂Fn ∂yn Im Programmpaket LIMEX wird die Gleichung (2.79) gelöst. Zur Erhöhung der Genauigkeit wird dabei die Extrapolationsmethode angewandt. Dazu wird das Zeitintervall h in n Teilintervalle hn = h/n unterteilt. Eine Nährungslösung für ~y (t0 + h) erhält man durch die sukzessive Berechnung von ~y (t0 + hn ), ~y (t0 + 2hn ), . . . , ~y (t0 +nhn ) mit Gleichung (2.79). Für 1, 2, . . . , n Teilintervalle ergibt sich eine Folge von Nährungslösungen, die gegen die exakte Lösung für n → ∞ konvergiert. Man bricht die Berechnung bei einem vorgegebenen Maximalwert von n ab und extrapoliert mit 2.6.4 1 n → 0, was i. a. eine gute Nährungslösung für ~y (t0 + h) ergibt. Sensitivitätsanalyse Ein wichtiges Hilfsmittel bei der Simulation chemischer Reaktionssysteme stellt die Sensitivitätsanalyse dar [28]. Bei der Sensitivitätsanalyse wird untersucht wie die Lösung des Differentialgleichungssystems von den Parametern des Systems abhängt. Dies ist insbesondere dann von Interesse, wenn das System Parameter beinhaltet, die nicht genau bekannt sind. Bei chemischen Reaktionsmechanismen sind dies Geschwindigkeitskoeffizienten von Reaktionen. Gegeben sei das Differentialgleichungssystem ∂~y = F~ (~y ; p~). (2.81) ∂t Der Vektor ~y stellt die n abhängigen Variablen des Systems und p~ die m SystemB parameter dar. Die Sensitivitätskoeffizienten sij sind definiert als sij = ∂yi ∂pj und bilden die Sensitivitätsmatrix s11 s12 · · · s21 s22 · · · S = .. . . .. . . . sn1 sn2 · · · (2.82) s1m s2m .. . . snm (2.83) 2.6. STAUPUNKTSTRÖMUNG 35 Durch partielle Ableitung von Gleichung (2.81) nach den Systemparametern p~ erhält man ein gewöhnliches, lineares Differentialgleichungssystem für die Sensitivitätskoeffizienten [28] B ∂S (t) = Fy S (t) + Fp ∂t (2.84) mit Fy als Jacobi-Matrix und der Matrix Fp als Ableitung der Funktion F~ nach den Systemparametern. Die Jacobi-Matrix Fy wird bei der Lösung der Erhaltungsgleichungen benötigt und kann somit gleichzeitig zur Berechnung der Sensitivitätskoeffizienten verwendet werden, was den zusätzlichen Rechenaufwand zur Integration von (2.84) in vertretbaren Grenzen hält. In der vorliegenden Arbeit wird die Sensitivität der Diamantbildungsgeschwindigkeit bezüglich den Geschwindigkeitskoeffizienten kj der Oberflächenreaktionen diskutiert. Die Bildungsgeschwindigkeit ist keine abhängige Variable des Systems, weshalb die gesuchten Sensitivitätskoeffizienten nicht mit Gleichung (2.84) berechnet werden. Da aber die Bildungsgeschwindigkeit als Funktion der Variablen des Systems bekannt ist, können die gesuchten Sensitivitätskoeffizienten in Abhängigkeit der durch Gleichung (2.84) berechneten Sensitivitätskoeffizienten bestimmt werden. Die Bildungsgeschwindigkeit ṡb (c1 , . . . , cNg +Ns ; k1 , . . . , kKs ) einer Bulkspezies ist eine Funktion der Konzentrationen ci der Oberflächenspezies, der Gasphasenspezies an der Oberfläche und der Geschwindigkeitskoeffizienten kj der Oberflächenreaktionen. Die Sensitivitätskoeffizienten von ṡb bezüglich der Geschwindigkeitskoeffizienten der Oberflächenreaktionen kj sind dann durch folgende Formel gegeben: Ng +Ns X ∂ṡb ∂ci ∂ṡb dṡb = + . dkj ∂kj ∂c ∂k i j i=1 (2.85) Die Terme ∂ṡb /∂kj und ∂ṡb /∂kj können direkt aus der Bildungsgeschwindigkeit ṡb berechnet werden. Die Werte für ∂ci /∂kj werden in Abhängigkeit von den mit Gleichung (2.84) berechneten Sensitivitätskoeffizienten bestimmt. Formel (2.85) ist im Unterprogramm BBSENS implementiert. Ausgegeben werden die relativen Sensitivitätskoeffizienten srel bj der Wachstumsgeschwindigkeit einer Bulkspezies bezüglich den Geschwindigkeitskoeffizienten kj der Oberflächenreaktionen: srel bj = kj dṡb . ṡb dkj (2.86) 36 KAPITEL 2. GRUNDLAGEN Eingabedatei Gasphase Reaktionsmech. Gasphase Eingabedatei Oerfläche molekulare Daten Gasphase DIFINP Reaktionsmech. Oberfläche thermodyn. Daten Gasphase thermodyn. Daten Oberfläche SURFINP Zwischendatei Oberfläche Zwischendatei Gasphase DIFRUN LIMEX Ergebnisdatei Dateien zur Auswertung Abbildung 2.6: Struktur des Programmpakets. Anschaulich heißt das: Ändert man den Geschwindigkeitskoeffizienten kj um 1 % so ändert sich die Wachstumsgeschwindigkeit relativ um 1 %·srel j . 2.6.5 Struktur des Programmpaketes Die zur Simulation benötigten Eingabedateien und die Verbindungen zwischen den einzelnen Programmteilen sind in Abbildung 2.6 schematisch wiedergegeben. Im Programmteil DIFINP werden die physikalischen Bedingungen, der Reaktionsmechanismus in der Gasphase und die thermodynamischen bzw. molekularen Daten für die Gasphasenspezies eingelesen. Die Daten werden auf Vollständigkeit und Konsistenz überprüft. Außerdem berechnet DIFINP die Geschwindigkeitskoeffizienten der Rückreaktionen und Polynomfits für die Transportkoeffizienten. Schließlich wird eine Zwischendatei ausgegeben, die direkt als Eingabe für das eigentliche Simulationsprogramm DIFRUN dient. Der Programmteil SURFINP ist ähnlich aufgebaut wie DIFINP. Es werden die physikalischen Bedingungen der Oberfläche, der Reaktionsmechanismus auf 2.6. STAUPUNKTSTRÖMUNG 37 der Oberfläche und die thermodynamischen Daten für die Oberflächenspezies eingelesen. Die Geschwindigkeitskoeffizienten der Rückreaktionen werden berechnet. Dabei benötigt SURFINP auch die thermodynamischen Daten der an den Oberflächenreaktionen beteiligten Gasphasenspezies. Zum Schluß wird eine Zwischendatei angelegt, die als Eingabe für DIFRUN dient. In DIFRUN werden die Zwischendateien eingelesen, die Anfangs- und Randbedingungen festgelegt und die Erhaltungsgleichungen numerisch gelöst. In diesem Programmteil ist das Programmpaket LIMEX implementiert. Die Ergebnisse werden in Dateien geschrieben, die auch als Anfangsbedingungen für einen erneuten Programmstart dienen können. Die Pakete sind in FORTRAN77 geschrieben. Eine typische Berechnung der Heißdraht-Diamantabscheidung dauert ohne Sensitivitätsanalyse ca. 10 CPUMinuten auf einer SGI Workstation, mit Sensitivitätsanalyse ungefähr eine CPUStunde. Bei dem komplexeren Problem der Diamantabscheidung mit laminaren Vormischflammen kann die Rechenzeit, je nachdem ob eine stationäre Lösung bei ähnlichen Bedingungen vorliegt, von der gestartet werden kann, zwischen einer und 20 CPU-Stunden auf einer SGI Workstation betragen. Kapitel 3 Diamantoberfläche 3.1 Oberflächenstrukturen von Diamant Diamant kann, je nach Schnitt durch das Kristall, unterschiedliche Oberflächenstrukturen aufweisen. Die wichtigsten Strukturen sind in Abbildung 3.1 dargestellt. Unter typischen CVD-Bedingungen, d. h. großer Konzentration von atomarem Wasserstoff in der Gasphase, ist die Diamantoberfläche mit Wasserstoffatomen abgesättigt. Es gibt dafür zwar keine direkten experimentellen Beweise, jedoch lassen Adsorptions-Desorptionsexperimente unter UHV-Bedingungen diesen Schluß zu [1, 50–53]. 3.1.1 (100)-Oberfläche Die (100)-Oberfläche kann in der rekonstruierten (2×1)-Struktur und in der nichtrekonstruierten (1×1)-Struktur vorkommen [54]. Bei der rekonstruierten Form bilden sich Bindungen zwischen zwei benachbarten Kohlenstoffatomen an der Oberfläche aus, und zwar als sogenannte Dimerbindungen. Es entstehen Fünfringe aus Kohlenstoff (siehe Abbildung 3.1). Jedes Kohlenstoffatom an der Oberfläche hat eine freie Valenz, die in Abbildung 3.1 durch ein Wasserstoffatom abgesättigt ist. Die Oberflächenplatzdichte beträgt 2,61·10−9 mol/cm2 . In der nicht-rekonstruierten Form hat jedes Kohlenstoffatom an der Oberfläche zwei freie Valenzen. Die Oberflächenplatzdichte beträgt 5,22·10−9 mol/cm2 . Bei dieser Struktur beträgt der Abstand zwischen zwei adsorbierten Wasserstoffatomen 0,63 Å; das ist geringer als der Abstand im H2 -Molekül (0,74 Å). Deshalb ist zu vermuten, daß Abstoßungen zwischen den adsorbierten H-Atomen diese Struktur instabil machen. In der Tat gibt es theoretische [55] und expe38 3.1. OBERFLÄCHENSTRUKTUREN VON DIAMANT 39 • (100)-Oberfläche (2 × 1)-Struktur • Γ = 2,61·10 –9 mol/cm2 • (100)-Oberfläche (1 × 1)-Struktur • Γ = 5,22·10 –9 mol/cm2 • H-H-Abstand = 0,63 Å —> Struktur ist instabil • (110)-Oberfläche (1 × 1)-Struktur • Γ = 3,69·10 –9 mol/cm2 • (111)-Oberfläche (1 × 1)-Struktur • Γ = 3,02·10 –9 mol/cm2 Abbildung 3.1: Oberflächenstrukturen von Diamant; die freien Valenzen der C-Atome an der Oberfläche sind durch H-Atome (Kugeln) abgesättigt. 40 KAPITEL 3. DIAMANTOBERFLÄCHE rimentelle [56–59] Studien, die zeigen, daß die (100)-Oberfläche unter typischen CVD-Bedingungen mindestens zum Teil in der rekonstruierten (2×1)-Form vorliegt. 3.1.2 (110)-Oberfläche Über die (110)-Oberfläche ist wenig bekannt. Die Untersuchungen von Lurie und Wilson [54] unter UHV-Bedingungen zeigen nur die (1×1)-Struktur. Eine Rekonstruktion konnte nicht beobachtet werden. Es liegt daher nahe zu vermuten, daß auch bei CVD-Bedingungen die (1×1)-Form vorliegt [1]. Die Oberflächenplatzdichte für diese Struktur beträgt 3,69·10−9 mol/cm2 . 3.1.3 (111)-Oberfläche Die (111)-Oberfläche ist am häufigsten untersucht worden [54, 60, 61]. Sie zeigt unter CVD-Bedingungen die nicht-rekonstruierte (1×1)-Struktur [63]. Jedes CAtom an der Oberfläche hat eine freie Valenz, die in Abbildung 3.1 mit einem H-Atom abgesättigt ist. Die Oberflächenplatzdichte beträgt 3,02·10−9 mol/cm2 . Die (111)-Oberfläche kann auch in der (2×1)-Form vorkommen [54, 60–62]. Diese Rekonstruktion wird unter UHV-Bedingungen nach Erhitzen auf 1400 K nach vollständiger Wasserstoffdesorption beobachtet [50, 51, 61]. Wird die (2×1)rekonstruierte (111)-Oberfläche atomarem Wasserstoff ausgesetzt, so tritt schon bei einer Oberflächenbedeckung von 5 % eine Umwandlung in die nicht-rekonstruierte (1×1)-Form ein [50, 51]. Deshalb liegt die (111)-Oberfläche unter CVDBedingungen nur in der (1×1)-Form vor (s. o.), da in diesem Fall genügend atomarer Wasserstoff vorhanden ist. 3.1.4 Polykristalline Diamantoberfläche Polykristalline Diamantoberflächen, die mit Hilfe der CVD-Methode erzeugt wurden, bestehen aus (100)- und (111)-Facetten [64–73]. Selbst bei polykristallinen Filmen mit vorwiegender (110)-Ausrichtung, besteht die Oberfläche, mikroskopisch betrachtet, aus (100)- und (111)-Facetten [67, 70]. Dadurch sind die rekonstruierte (100)-Oberfläche und die nicht-rekonstruierte (111)-Oberfläche die beiden wichtigsten Oberflächenstrukturen für die Diamantabscheidung. 3.2. WACHSTUMSMECHANISMUS 41 Abbildung 3.2: Auschnitt aus der rekonstruierten (100)-Oberfläche; links: sp3 -Hybridisierung durch H-Atome (kleine Kugeln); rechts: Fehlen von H-Atomen bewirkt sp2 -Hybridisierung. Der in dieser Arbeit enwickelte Wachstumsmechanismus gilt für die rekonstruierte (100)-Oberfläche. Dieser Mechanismus wird auch für polykristallines Diamantwachstum verwendet. Es wird dabei angenommen, daß bei der (111)-Oberfläche das Wachstum an Stufen mit (100)-Charakter stattfindet [12, 74]. 3.1.5 Die Rolle von atomarem Wasserstoff Wie oben ausgeführt bewirkt atomarer Wasserstoff in der Gasphase eine Absättigung der Oberfläche mit H-Atomen, molekularer Wasserstoff reagiert hingegen nicht mit der Diamantoberfläche [52, 54, 60]. Die Kohlenstoffatome an der Oberfläche sind durch die adsorbierten H-Atome sp3 -hybridisiert. Fehlt atomarer Wasserstoff so tritt an der Oberfläche sp2 -hybridisierter Kohlenstoff auf. Dies geschieht an der (111)-Oberfläche durch die Umwandlung von der (1×1)-Form in die (2×1)-rekonstruierte Form [62]. An der rekonstruierten (100)-Oberfläche zeigt Abbildung 3.2, wie das Fehlen von H-Atomen zur sp2 -Hybridisierung führen kann. Atomarer Wasserstoff vermeidet somit graphitähnliche (sp2 -hybridisierte) Strukturen auf der Diamantoberfläche und unterdrückt dadurch Graphitwachstum. Atomarer Wasserstoff spielt auch eine aktive Rolle im Wachstumsmechanismus, der im folgenden behandelt wird. 3.2 Wachstumsmechanismus In diesem Abschnitt wird ein Wachstumsmechanismus für die (2×1) rekonstruierte C(100)-Oberfläche entwickelt. Er basiert im wesentlichen auf dem CH3 Mechanismus von Harris und Goodwin [14]. Allerdings werden Änderungen und Erweiterungen vorgenommen. So wird in dieser Arbeit Wachstum nur an monoatomaren Stufen zugelassen. Es werden zusätzlich Reaktionen eingebaut, die die Anlagerung von CH2 - und CH-Radikalen sowie Kohlenstoffatomen an die Dia- 42 KAPITEL 3. DIAMANTOBERFLÄCHE H-Abstraktion CH3-Adsorption H-Abstraktion β-Spaltung * * (a) (b) H-Abstraktion (c) Brückenbildung * (d) CH3-Adsorption (e) * (f) H-Abstraktion * (g) (h) (i) Brückenbildung H-Abstraktion * (j) * * (k) (l) Abbildung 3.3: CH3 -Mechanismus nach Harris und Goodwin [14] für die rekonstruierte C(100)-Oberfläche (große Kugeln: C-Atome; kleine Kugeln: H-Atome). Oben(a–f): Dimeröffnung nach Garrison et al. [13]; unten(g–l): Mechanismus nach Harris [11]. mantoberfläche beschreiben. Außerdem werden Reaktionen mit O2 -Molekülen und Sauerstoffatomen betrachtet, die zu einer Oxidation der Diamantschicht führen. 3.2.1 CH3 -Mechanismus Vorschlag von Harris und Goodwin Der CH3 -Mechanismus von Harris und Goodwin [14] kombiniert zwei Mechanismen: den Wachstumsmechanismus von Harris [11], der die Anlagerung von Methylradikalen an die nicht-rekonstruierte C(100)-Oberfläche beschreibt, und 3.2. WACHSTUMSMECHANISMUS 43 Abbildung 3.4: Strukturen auf der rekonstruierten C(100)-Oberfläche, nachdem der Dimeröffnungsmechanismus von Garrison et al. [13] stattgefunden hat. Durch Abstoßung zwischen den markierten H-Atomen ist diese Strukur thermodynamisch instabil. den Mechanismus von Garrison et al. [13], der das Öffnen einer Dimerbindung an der rekonstruierten C(100)-Oberfläche wiedergibt. Der Vorschlag von Garrison et al. [13] ist im oberen Teil (Schritte a–f) von Abbildung 3.3 schematisch dargestellt. Der erste Schritt besteht aus einer HAbstraktion. Das heißt, ein H-Atom aus der Gasphase reagiert mit einem adsorbierten H-Atom durch eine Eley-Rideal-Reaktion. Es entstehen ein freier Oberflächenplatz und ein H2 -Molekül in der Gasphase. Als nächstes folgt die Adsorption eines Methylradikals an dem entstandenen freien Oberflächenplatz. Nach einer weiteren H-Abstraktion von dem adsorbierten CH3 -Molekül durch ein HAtom aus der Gasphase, entsteht ein CH2 -Radikal auf der Oberfläche. Dieses Radikal kann durch eine β-Spaltung die Dimerbindung zwischen den benachbarten C-Atomen aufbrechen. Es entsteht Struktur (e). Schließlich kann sich eine C-Brücke zwischen den ursprünglich durch eine Dimerbindung verbundenen CAtomen bilden (Struktur (f)). Der zweite Teilmechanismus, der auf den Vorschlag von Harris [11] zurückgeht, ist im unteren Teil (Schritte (g)–(l)) von Abbildung 3.3 schematisch wiedergegeben. Ausgegangen wird von Struktur (g) auf der rekonstruierten (100)-Oberfläche, bei der durch den oben beschriebenen Teilmechanismus eine C-Brücke entstanden ist. Durch eine H-Abstraktion wird ein freier Platz an einem C-Atom mit Dimerbindung geschaffen. Der zweite Schritt ist eine CH3 -Adsorption an diesem freien Oberflächenplatz. Nach zwei weiteren H-Abstraktionsschritten (i)–(k), an der adsorbierten CH3 -Gruppe und am benachbarten adsorbierten H-Atom, kann sich schließlich eine zweite C-Brücke ausbilden (Struktur (l)). Das Problem mit dem Mechanismus von Harris und Goodwin [14] ist, daß der Teilmechanismus von Garrison et al. [13] viel schneller abläuft als der CH3 Mechanismus von Harris [11]. Damit würden sich auf der Oberfläche Strukturen bilden (siehe Abbildung 3.4), bei denen die gleichen Abstoßungen zwischen adsorbierten H-Atomen wie auf der nicht-rekonstruierten (100)-Oberfläche aufträten. 44 KAPITEL 3. DIAMANTOBERFLÄCHE H-Abstraktion CH3-Adsorption Brückenbildung H-Abstraktion CH3-Adsorption β-Spaltung Abbildung 3.5: Monoatomare Stufe auf der rekonstruierten C(100)-Oberfläche und die wichtigsten Reaktionsschritte, die zur Stufenfortpflanzung führen. Die Oberflächenplätze sind mit H-Atomen (kleine Kugeln) besetzt. Wie die nicht-rekonstruierte (100)-Oberfläche wären diese Strukturen thermodynamisch instabil. Um dieses Problem zu vermeiden, wird in der vorliegenden Arbeit Wachstum nur an monoatomaren Stufen erlaubt. Daß das Wachstum auf der rekonstruierten C(100)-Oberfläche tatsächlich an Stufen stattfindet, wird durch Experimente von Tsuno et al. [56,57] und Hayashi et al. [59] unterstützt, die eine relativ glatte Oberfläche während das Wachstums zeigen. Umsetzung des Vorschlags von Harris und Goodwin Abbildung 3.5 zeigt das Modell einer monoatomaren Stufe1 , an der das Wachstum stattfindet. Die wesentlichen Elemente des Reaktionsmechanismus, der die Fortpflanzung der Stufenversetzung beschreibt, sind im unteren Teil von Abbildung 3.5 schematisch wiedergegeben. Der Reaktionsmechanismus besteht aus 15 reversiblen Reaktionen, die in Tabelle 3.1 aufgeführt sind. In Tabelle 3.1 werden Oberflächenspezies durch ein s“ gekennzeichnet, r“ steht für Radikal“. Die ” ” ” 1 Ab initio-Rechnungen vo Alfonso et al. [75] zeigen, daß die monoatomare Stufe in Abbildung 3.5 unter typischen CVD-Bedingungen thermodynamisch stabil ist. 3.2. WACHSTUMSMECHANISMUS Reaktion (1) CH(s) + H ­ C(s,r) + H2 (2) C(s,r) + H ­ CH(s) (3) C(s,r) + CH3 ­ CH3 (s) (4) CH3 (s) + H ­ CH2 (s,r) + H2 (5) CH2 (s,r) + H ­ CH3 (s) (6) CH2 (s,r) + H ­ C(s,r) + CH3 (7) CH2 (s,r) + TC(s) ­ DTC(s,r) (8) DTC(s,r) ­ CH2 (s) + TC(s,r) + C(D) (9) CH2 (s) + H ­ CH(s,r) + H2 (10) CH(s,r) + H ­ CH2 (s) (11) CH(s,r) + CH2 (s) + H ­ CH(s) + CH(s) + H2 (12) TCH(s) + H ­ TC(s,r) + H2 (13) TC(s,r) + H ­ TCH(s) (14) TCH(s) + CH2 (s,r) + H ­ CH2 (s) + TC(s) + C(D) + H2 (15) TC(s,r) + CH3 (s) + H ­ CH2 (s) + TC(s) + C(D) + H2 45 kf 1,7·1014 e−44,39/RT 1,0·1013 5,0·1012 2,8·107 e−32,24/RT 1,0·1013 3,0·1013 3,8·1021 ∆H1200 −26,0 −421,2 −339,1 −33,5 −413,7 −74,5 −103,3 ∆S1200 22,3 −137,4 −176,7 28,5 −143,6 33,12 −11,4 2,0·1013 e−36,84/RT 9,0·106 T 2 e−20,93/RT 1,0·1013 −152,3 −33,5 −398,6 −18,5 39,8 −154,9 6,9·1015 T 2 e−20,93/RT 1,7·1014 e−44,39/RT 1,0·1013 −275,5 −66,8 −380,4 −10,6 27,2 −142,4 6,4·1022 e−44,39/RT −301,7 −26,8 1,1·1016 T 2 e−32,24/RT −268,4 −25,6 Tabelle 3.1: CH3 -Mechanismus für die rekonstruierte C(100)-Oberfläche. ∆H1200 und ∆S1200 bezeichnen die Reaktionsenthalpie bzw. Reaktionsentropie bei 1200 K. Einheiten: kf [cm, mol, s, kJ], ∆H1200 [kJ/mol], ∆S1200 [J/(K·mol)]. Bulkspezies“ C(D) beschreibt ein C-Atom, das in das Diamantgitter eingebun” den ist. Die Nomenklatur der Oberflächenspezies ist in Abbildung 3.6 dargestellt. Es werden zwei Arten von Oberflächenplätzen unterschieden: Dimerplätze und Stufenplätze. Dimerplätze liegen an einem C-Atom auf der Oberfläche mit einer Dimerbindung zum benachbarten C-Atom. Zum Beispiel steht CH(s) für ein an einem Dimerplatz adsorbiertes H-Atom. Bei Stufenplätzen ist das C-Atom auf der Oberfläche über eine C-Brücke an das benachbarte C-Atom gebunden. Spezies an Stufenplätzen werden mit einem T“ am Anfang gekennzeichnet2 . So bezeichnet ” TCH(s) ein adsorbiertes H-Atom an einem Stufenplatz. Durch die Definition von Stufenplätzen und Dimerplätzen ist es möglich, eine mittlere Stufenplatzdichte zu definieren. Der Mechanismus, wie er in Tabelle 3.1 gegeben ist, erhält die Anzahl der Stufenplätze. Deshalb geht als frei wählbarer Parameter in die Simulation die mittlere Stufenplatzdichte ein. Dieser Wert wur2 T“ steht für engl. trough“, zu deutsch Mulde“. ” ” ” 46 KAPITEL 3. DIAMANTOBERFLÄCHE (a) (b) CH2(s) TC(s,r) * CH2(s,r) TC(s) CH(s) * C(D) (c) (d) TC(s,r) * CH2(s) CH3(s) TC(s) C(D) Abbildung 3.6: Nomenklatur der Oberflächenspezies in Tabelle 3.1. de in allen Rechnungen auf 3 % gesetzt, d. h., es wurde angenommen, daß auf der rekonstruierten C(100)-Oberfläche 3 % aller verfügbaren Plätze Stufenplätze darstellen. Dieser Wert ist eine Abschätzung, aber Experimente [56,57,59] zeigen, daß die (100)-Oberfläche während des Wachstums relativ glatt bleibt. Reaktionen (1) und (2) in Tabelle 3.1 beschreiben die H-Atom-Abstraktion bzw. -Adsorption an einem Dimerplatz, Reaktionen (12) und (13) dasselbe für einen Stufenplatz. Reaktion (3) ist die CH3 -Adsorption an einem Dimerplatz. CH3 -Adsorption an einem Stufenplatz ist aufgrund sterischer Hinderungen verboten [14], was auch mit den Berechnungen von Skokov et al. [15] übereinstimmt3 . Reaktionen (4)–(6) stellen die H-Abstrakions- bzw. H-Additionsreaktionen an einer adsorbierten Methyl- bzw. Methylengruppe dar. Reaktion (7) ist das Öffnen einer Dimerbindung durch eine β-Spaltung (siehe Schritte (d)–(e) in Abbildung 3.3). Wie oben erwähnt, wird diese Dimeröffnung nicht überall auf der Oberfläche, sondern nur mit der benachbarten Spezies TC(s) an einem Stufen3 Die quantenmechanischen Berechnungen von Skokov et al. [15] ergeben für eine CH3 Adsorption an einen Stufenplatz eine Aktivierungsenergie von 62 kJ/mol, während die gleiche Reaktion an einem Dimerplatz ohne Aktivierungsenergie abläuft. 3.2. WACHSTUMSMECHANISMUS Spezies a1 a5 CH(s) 1,4872259· 100 7,6660243· 10−14 C(s, r) 1,6900997· 100 2,8811839· 10−14 CH3 (s) 2,2271934· 100 1,4445464· 10−13 CH2 (s, r) 1,7394471· 100 1,1763388· 10−13 DTC(s, r) 3,8251997· 100 −8,6324820· 10−13 CH2 (s) 1,7394471· 100 1,1763388· 10−13 CH(s, r) 1,4872259· 100 7,6660243· 10−14 TCH(s) 1,4872259· 100 7,6660243· 10−14 TC(s, r) 1,6900997· 100 2,8811839· 10−14 TC(s) 1,6900997· 100 2,8811839· 10−14 C(D) 1,6900997· 100 2,8811839· 10−14 a2 a6 3,3000924· 10−3 −3,8569900· 103 1,1069085· 10−3 1,9457000· 104 6,4840489· 10−3 −2,1929000· 103 5,1764320· 10−3 2,0486000· 104 2,9819900· 10−2 1,5474000· 104 5,1764320· 10−3 −1,1145230· 104 3,3000924· 10−3 9,7926800· 103 3,3000924· 10−3 −2,4215000· 103 1,1069085· 10−3 1,5981800· 104 1,1069085· 10−3 1,7230960· 104 1,1069085· 10−3 −5,7905500· 102 47 a3 a7 −2,8411702· 10−7 −1,4025900· 101 −1,2616481· 10−7 −1,3795820· 101 −5,0900690· 10−7 −1,3152410· 101 −4,2153641· 10−7 −8,2529000· 100 −1,9140160· 10−5 −4,3018900· 101 −4,2153641· 10−7 −1,6211040· 101 −2,8417020· 10−7 −1,0998800· 101 −2,8417020· 10−7 −1,1613300· 101 −1,2616481· 10−7 −1,0788870· 101 −1,2616481· 10−7 −1,2244500· 101 −1,2616481· 10−7 −1,0249900· 101 a4 −3,4383971· 10−10 −1,1996654· 10−10 −6,6263206· 10−10 −5,3463645· 10−10 6,2928330· 10−9 −5,3463645· 10−10 −3,4383971· 10−10 −3,4383971· 10−10 −1,1996654· 10−10 −1,1996654· 10−10 −1,1996654· 10−10 Tabelle 3.2: Polynomkoeffizienten für die thermodynamischen Größen der Oberflächenspezies in Tabelle 3.1. Definition siehe Gleichungen (2.36)–(2.38). Temperaturbereich: 600–1400 K. platz erlaubt. Über die Übergangsspezies DTC(s, r), die insgesamt zwei Oberflächenplätze (einen Dimerplatz und einen Stufenplatz) beansprucht, findet eine Brückenbildung4 statt, was zur Konfiguration (b) in Abbildung 3.6 führt. Reaktionen (9)–(11) stellen die Bildung neuer Dimerbindungen zwischen zwei benachbarten Kristallebenen senkrecht zur Zeichenebene in Abbildung 3.6 dar. Dadurch erreicht man Struktur (c) in Abbildung 3.6. Schließlich beschreiben Reaktionen (14) und (15) die Brückenbildung von einer adsorbierten Methylen- bzw. Methylgruppe an einem Dimerplatz zu einem benachbarten Stufenplatz. Struktur (d) in Abbildung 3.6 ist äquivalent zu Struktur (a), und der Kreis ist damit geschlossen. Die meisten Reaktionsgeschwindigkeiten in Tabelle 3.1 sind von Harris und Goodwin [14] übernommen, die diese Koeffizienten aus analogen Gasphasenreaktionen von Alkanen ableiteten. Die einzigen Ausnahme ist die H-Abstraktion 4 siehe Schritte (e)–(f) in Abbildung 3.3 48 KAPITEL 3. DIAMANTOBERFLÄCHE Reaktion (16) C(s,r) + CH2 ­ CH2 (s,r) (17) C(s,r) + TC(s,r) + CH2 ­ CH2 (s) + TC(s) + C(D) (18) C(s,r) + TCH(s) + CH ­ CH2 (s) + TC(s) + C(D) (19) C(s,r) + TCH(s) + C ­ CH(s,r) + TC(s) + C(D) kf 1,0·1013 ∆H1200 −393,1 ∆S1200 −164,0 3,8·1021 −628,0 −218,0 3,8·1021 −675,4 −197,5 7,6·1021 −634,9 −144,7 Tabelle 3.3: Reaktionen von CH2 -, CH-Radikalen sowie C-Atomen mit der rekonstruierten C(100)-Oberfläche. Einheiten und Bezeichnungen wie in Tabelle 3.1. von tertiären H-Atomen (Reaktionen (1), (12) und (14)), bei der der von Chang et al. [76] berechnete Geschwindigkeitskoeffizient für die H-Abstraktion von HAtomen auf der C(111)-Oberfläche benutzt wurde. Jeder Geschwindigkeitskoeffizient wurde mit dem Faktor Γ (n−1) skaliert, um die richtige Dimension sicherzustellen. Dabei stellt n die Anzahl der Oberflächenspezies auf der Eduktseite jeder Reaktionsgleichung dar. Für die Oberflächenplatzdichte Γ wurde der Wert für die rekonstruierte C(100)-Oberfläche eingesetzt (siehe Abbildung 3.1). Die Geschwindigkeitskoeffizienten der Rückreaktionen in Tabelle 3.1 werden mit Hilfe der freien Reaktionsenthalpie und der Gleichungen (2.46) und (2.53) bestimmt. Zu diesem Zweck benötigt man thermodynamische Daten der Oberflächenspezies. Harris und Goodwin [14] haben die Enthalpie und Entropie für Modellcluster, die die rekonstruierte C(100)-Oberfläche repräsentieren, mit den empirischen Kraftfeldern MM2 [77] und MM3 [78] berechnet. Diese Daten wurden in der vorliegenden Arbeit benutzt, um die Enthalpie und die Entropie der Oberflächenspezies bei einer Temperatur von 1200 K zu berechnen. Die temperaturabhängigen Wärmekapazitäten wurden direkt aus den Daten von Coltrin und Dandy [79] übernommen5 . Die Ergebnisse sind in Tabelle 3.2 dargestellt. Die thermodynamischen Größen der Oberflächenspezies lassen sich dann mit den Gleichungen (2.36)–(2.38) berechnen. 3.2. WACHSTUMSMECHANISMUS 49 C CH(s,r) Adsorption und H-Umlagerung * TCH(s) C(s,r) C(D) TC(s) Abbildung 3.7: Prinzip der direkten Anlagerung von C-Atomen an einer Stufe auf der rekonstruierten C(100)-Oberfläche. 3.2.2 CH2 -, CH- und C-Mechanismus In diesem Abschnitt soll der CH3 -Mechanismus, wie er in Tabelle 3.1 beschrieben ist, erweitert werden, so daß er generell die Anlagerung von C1 -Spezies an die rekonstruierte C(100)-Oberfläche beschreibt. Es werden dazu Reaktionen mit CH2 - und CH-Radikalen sowie C-Atomen eingeführt, die in Tabelle 3.3 aufgelistet sind. Reaktion (16) stellt die Adsorption von Methylenradikalen dar, die dann durch Folgereaktionen, wie sie in Tabelle 3.1 aufgeführt sind, weiterreagieren können. Reaktionen (17)–(19) beschreiben die direkte Anlagerung von CH2 - und CH-Radikalen sowie C-Atomen an einer Stufe auf der rekonstruierten C(100)-Oberfläche. Das Prinzip dieser Anlagerung veranschaulicht Abbildung 3.7 am Beispiel von C-Atomen. Ein C-Atom kann an einem freien Dimerplatz mit einem benachbarten H-Atom an einem Stufenplatz adsorbieren. In einem zweiten Schritt findet eine H-Umlagerung vom Stufenplatz zum adsorbierten C-Atom statt. Es entsteht ein adsorbiertes CH-Radikal und ein freier Stufenplatz, die schließlich zu einer C-Brücke rekombinieren. Analog geschieht die Anlagerung von CH-Radikalen. Bei der direkten Anlagerung von CH2 -Radikalen fällt hingegen die H-Umlagerung weg, da in diesem Fall schon zwei benachbarte, freie Oberflächenplätze vorhanden sein müssen. Durch die obige Diskussion der C-Anlagerung an einer Stufe wird deutlich, daß sie viel effektiver abläuft als die CH3 -Anlagerung. Würde sich ein Methyl5 Die in dieser Referenz berechneten Wärmekapazitäten wurden aus den Schwingungsfrequenzen verschiedener Kohlenwasserstoffe mit Formeln aus der statistischen Thermodynamik [2] berechnet. 50 KAPITEL 3. DIAMANTOBERFLÄCHE radikal an der Stufe in Abbildung 3.7 anlagern, so müßten zwei zusätzliche HAbstraktionreaktionen erfolgen, um die Stufe fortzusetzen. Bei der C-Anlagerung fallen diese Reaktionen weg, und die Anlagerung ist somit viel effektiver. Zum Vergleich: Eine gegenüber der CH3 -Konzentration um den Faktor 10 geringere CAtom-Konzentration an der Substratoberfläche ergibt den gleichen Beitrag zum Diamantwachstum wie den der Methylradikale (siehe Abschnitt 5.2.2). Für die Geschwindigkeitskoeffizienten der Reaktionen (17)–(19) wurde angenommen, daß die H-Umlagerung bzw. Brückenbildung viel schneller abläuft als der Adsorptionsschritt. Die Geschwindigkeitskoeffizienten der Adsorptionsreaktionen sind grob abgeschätzt worden. Die Aktivierungsenergie wurde gleich Null gesetzt, was typisch ist für Radikal-Radikal-Rekombinationen. Für die präexponentiellen Faktoren wurden Werte von 1·1013 für die Adsorption von CH2 - und CHRadikalen bzw. 2·1013 für die Adsorption von C-Atomen angenommen6 . Diese Werte sind typisch für Adsorptionreaktionen [80]. 3.2.3 Oxidationsmechanismus Über die Wechselwirkung von Sauerstoff mit der Diamantoberfläche gibt es weniger Untersuchungen als über die von Wasserstoff. Thomas et al. [53] konnten bei Zimmertemperatur und bei einem Druck von 10−6 mbar keine O2 -Adsorption beobachten. Lurie und Wilson [54] berichten von einen sehr kleinen Haftkoeffizienten bei Zimmertemperatur im Bereich von 10−7 von molekularem Sauerstoff auf der Diamantoberfläche. Oxidation von Diamant konnte unter Anwesenheit von molekularem Sauerstoff bei Normaldruck und bei einer Temperatur größer als 800 K festgestellt werden [81–84]. Adsorption von O2 -Molekülen ist also im Prinzip möglich, besitzt aber eine Aktivierungsbarriere, so daß bei Zimmertemperatur der Haftkoeffizient sehr klein ist. Molekulardynamische Studien von Skokov et al. [85] zeigen, daß die Adsorption von O2 dissoziativ erfolgt. Atomarer Sauerstoff adsorbiert schon bei Zimmertemperatur auf der rekonstruierten C(100)-Oberfläche. Dabei wurde eine Umstrukturierung von der (2×1)Struktur hin zur nicht-rekonstruierten (1×1)-Struktur beobachtet [53]. Dies zeigt, daß adsorbierter Sauerstoff in der Lage ist, auf der Diamantoberfläche Bindungen aufzubrechen. Prinzipiell sind zwei Konfigurationen des adsorbierten Sauerstoffs 6 Die Werte für Reaktionen (17)–(19) wurden aus Dimensionsgründen jeweils mit dem Faktor Γ −1 skaliert. Der Wert für die C-Atome entspricht einem Haftkoeffizienten von 0,8 bei 1000 K. 3.2. WACHSTUMSMECHANISMUS Reaktion (20) C(s,r) + O → CO(s) (21) C(s,r) + C(s,r) + O2 → CO(s) + CO(s) (22) CO(s) + C(D) → C(s,r) + CO (23) CH(s) + OH ­ C(s,r) + H2 O (24) TCH(s) + OH ­ TC(s,r) + H2 O 51 kf 1,0·1013 3,8·1022 e−52,0/RT 2,8·1011 e−188,0/RT 5,7·1010 T 0,5 e−0,3/RT 5,7·1010 T 0,5 e−0,3/RT ∆H1200 ∆S1200 −89,3 −130,1 9,2 14,2 Tabelle 3.4: Reaktionen von O2 -Molekülen sowie O- und OH-Radikalen mit der rekonstruierten C(100)-Oberfläche. Die Rückreaktionen von (20)–(22) werden vernachlässigt. Einheiten und Bezeichnungen wie in Tabelle 3.1. CO O Adsorption * * C(s,r) ß-Spaltung Desorption * * CO(s) Abbildung 3.8: Oxidationsmechanismus für die rekonstruierte C(100)-Oberfläche. auf der C(100)-Oberfläche möglich: die On-top“- und die Bridge“-Position. Die ” ” Untersuchungen von Skokov et al. [85] zeigen, daß oberhalb von 600 K die On” top“-Konfiguration dominiert. Das Hauptoxidationsprodukt bei Thermodesorptionsexperimenten [53] ist Kohlenmonoxid. Kohlendioxid konnte nur in geringen Mengen festgestellt werden [53]. Aufgrund obiger Überlegungen werden die Reaktionen (20)–(24) eingeführt, wie sie in Tabelle 3.4 gegeben sind. Die Reaktionen (20)–(22) stellen die Oxidation der rekonstruierten C(100)-Oberfläche mit dem Oxidationsprodukt CO dar. Reaktionen (23) und (24) sind Eley-Rideal-Reaktionen der Diamantoberfläche mit OH-Radikalen, die zu H-Abstraktionen analog zu Reaktionen (1) und (12) führen. Das Prinzip der Oxidation veranschaulicht Abbildung 3.8 am Beispiel von O-Atomen. O-Atome adsorbieren an einem freien Dimerplatz (Reaktion (20)). Es entsteht ein CO-Radikal auf der Oberfläche. Dieses Radikal kann durch βSpaltung die Dimerbindung an der Oberfläche aufbrechen. Anschließend kann das adsorbierte CO-Molekül desorbieren (Reaktion (22)). Die O2 -Oxidation verläuft 52 KAPITEL 3. DIAMANTOBERFLÄCHE analog, jedoch mit dem Unterschied, daß die Adsorption dissoziativ erfolgt (Reaktion (21)). Die Rückreaktionen von Reaktion (20)–(22) werden vernachlässigt, da keine zuverlässigen thermodynamischen Daten für adsorbierten Sauerstoff auf der rekonstruierten C(100)-Oberfläche vorliegen7 . Die Geschwindigkeitskoeffizienten der Reaktionen (20) und (21) werden grob abgeschätzt. Für den präexponentiellen Faktor der Adsorption von atomarem Sauerstoff ist ein typischer Wert eingesetzt worden (siehe Abschnitt 3.2.2). Die Aktivierungsenergie von Reaktion (20) wurde, bezeichnend für eine Radikal-RadikalRekombination, auf Null gesetzt. Da keine Daten für die Aktivierungsenergie der dissoziativen O2 -Adsorption auf der Diamantoberfläche vorliegen (Reaktion (21)), wurde der experimentell bestimmte Wert [87] von 52 kJ/mol für die dissoziative O2 -Adsorption auf der Graphitoberfläche verwendet. Der präexponentielle Faktor von Reaktion (21) ist mit 3,8·1022 so gewählt werden, daß sich bei einer Temperatur von 600 K ein Haftkoeffizient von 5·10−4 ergibt. Experimentell wurde bei 600 K ein Wert von 10−3 für Graphit [87] und 10−4 für amorphen Kohlenstoff [88] festgestellt. Der hier gewählte Wert für Diamant stellt den Mittelwert beider Werte dar. Bei einer Temperatur von 300 K ergibt sich ein Haftkoeffizient von 2·10−8 , etwas kleiner als der von Lurie und Wilson [54] beobachtete Haftkoeffizient von ≈ 10−7 . Der Geschwindigkeitskoeffizient der CO-Desorption (Reaktion (22)) stammt aus einem Thermodesorptionsexperiment [89]. Die Geschwindigkeitskoeffizienten für die Reaktionen (23) und (24) wurden anhand der analogen Gasphasenreaktion i-C4 H10 + OH → t-C4 H9 + H2 O abgeschätzt [90]. 7 Skokov et al. [85] berechneten für die Chemiesorptionsenergie von atomarem Sauerstoff auf der nicht-rekonstruierten C(100)-Oberfläche für die On-top“-Position 786,5 kJ/mol; für die ” gleiche Konfiguration berechneten Zheng und Smith [86] 562,6 kJ/mol. Kapitel 4 Heißdrahtreaktor Das Prinzip eines Heißdrahtreaktors mit typischen Reaktorparametern und das zugrunde liegende Simulationsmodell sind in Abbildung 4.1 schematisch dargestellt. Ein Gasgemisch aus Wasserstoff und einem Kohlenwasserstoff strömt über einen heißen Metalldraht auf ein Substrat, auf dem Diamant abgeschieden wird. Am Draht und in der Gasphase zwischen Draht und Substrat werden reaktive Teilchen (H-Atome und CH3 -Radikale) erzeugt. Diese diffundieren zum Substrat, wo sie zum Diamantwachstum führen. Die genaue Wirkung des Drahtes auf das Gasgemisch ist nicht bekannt. Es sind folgende Punkte zu bemerken: • Die Wirkung des Drahtes geht über ein Aufheizen des Gasgemischs und daraus resultierende homogene Gasphasenchemie hinaus. Der Draht hat eine katalytische Wirkung. Er dissoziiert molekularen Wasserstoff [91–95]. Außerdem gibt es deutliche Hinweise auf Reaktionen von Kohlenwasserstoffen mit der Drahtoberfläche [93, 96, 97]. • Der Dissoziationsgrad von molekularem Wasserstoff am Draht ist von der Temperatur und Dicke des Drahtes, vom Drahtmaterial und vom Anteil der Kohlenwasserstoffe im Gasgemisch abhängig [93, 94]. Die einfachste Annahme, die man treffen kann ist, daß der Draht die Gasphasenreaktion H + H ­ H2 ins partielle Gleichgewicht bringt [94, 98, 99]. • Steigt der Volumenanteil der Kohlenwasserstoffe im Gasgemisch über 1 % so geht die katalytische Wirkung des Drahtes auf Wasserstoff drastisch zurück [93, 96, 100, 101]. Es ist anzunehmen, daß dies auf Graphitbildung auf der Drahtoberfläche zurückzuführen ist [93,96,100]. Die Oberfläche wird dadurch vergiftet“. ” 53 54 KAPITEL 4. HEISSDRAHTREAKTOR DC Heißdraht Frischgas H2, CH4 x=L x=0 Substrat zur Vakuumpumpe Abbildung 4.1: Skizze eines Heißdrahtreaktors (rechts) und der dazugehörigen Staupunktströmung (links), auf der die Simulation beruht. Typische Reaktorparameter: Frischgaszusammensetzung: 0,5 Vol.% CH4 in Wasserstoff, Druck p = 30 mbar, L = 5 mm, Drahttemperatur TF = 2400 K, Substrat-Temperatur TS = 1000 K, Konvektionsgeschwindigkeit am Draht vF = 10 cm/s. Wegen des relativ einfachen experimentellen Aufbaus wird die Heißdraht-Methode häufig benutzt, um Diamantabscheidung zu studieren. Ein wichtiger Schritt zum Verständnis des Diamantwachstums ist die Untersuchung der Gasphase. Es existieren zahlreiche experimentelle [93, 97, 100–114] und numerische Studien [114– 120] zu diesem Thema. Allerdings ist es, trotz des geringen experimentellen Aufwandes, sehr schwierig, die Gasphase des Systems zu modellieren. Diese Schwierigkeit beruht darauf, daß es im Heißdrahtreaktor zwei reaktive Oberflächen gibt – die Drahtoberfläche und die Substratoberfläche –, die beide die Gasphase beeinflussen. Es gibt, sowohl auf experimenteller [121–123] als auch auf numerischer Seite [117,124,125], nur wenige systematische kinetische Wachstumsstudien im Heißdrahtreaktor. Das liegt zum einen daran, daß experimentelle Wachstumsstudien wegen der geringen Wachstumsgeschwindigkeiten im Bereich von µm/h extrem langwierig sind, zum anderen ist man auf theoretischer Seite von einem detaillierten Verständnis der Vorgänge im Heißdrahtreaktor noch weit entfernt. Auch diese 4.1. FORMULIERUNG DES MODELLS 55 Arbeit kann nur erste Ansätze liefern. Im folgenden wird, nach der Formulierung des Modells, zunächst die Gasphase und dann das Wachstum im Heißdrahtreaktor numerisch untersucht und experimentellen Befunden gegenübergestellt. 4.1 Formulierung des Modells Die Simulation des HFCVD-Reaktors basiert auf der Staupunktanordnung wie sie in Abschnitt 2.6 beschrieben ist. Das Modell beschreibt die Region zwischen Draht und Substrat (siehe Abbildung 4.1). Die Integration wird bis zum Erreichen des stationären Gleichgewichts durchgeführt. Das Reakionsschema in der Gasphase wird direkt aus Arbeiten zur Modellierung der Gasphasenchemie in Flammen übernommen [28, 126, 127]. Betrachtet man die Reaktionen im C1 -C2 System für eine Mischung aus Methan und Wasserstoff, so besteht der detaillierte Reaktionsmechanismus aus 55 Elementarreaktionen mit 13 Spezies. Höhere Kohlenwasserstoffe werden vernachlässigt, da sie keine Rolle im HFCVD-Reaktor spielen. Die detaillierte Einbeziehung der heterogenen Chemie am Draht, die, wie oben erwähnt, weitgehend unverstanden ist, würde über den Rahmen dieser Arbeit hinausgehen. Deshalb muß die Gaszusammensetzung am Draht, die als Randbedingung in die Simulation eingeht, abgeschätzt werden. Es wird angenommen, daß der Draht die partiellen Gleichgewichte der Gasphasenreaktionen H+H ­ H2 und CH3 + H ­ CH4 bei der Drahttemperatur einstellt. Die so erhaltene Gaszusammensetzung1 wird isotherm bei der Gastemperatur am Draht für die Dauer von 10−4 s als homogenes chemisch reagierendes System angesehen. Die sich durch diesen Prozeß ergebende Gasmischung geht als Randbedingung am Draht in das Differentialgleichungssystem ein (siehe Gleichung 2.66). Die Einführung einer Verweilzeit von 10−4 s bewirkt eine erhöhte Umsetzung von Methan zu Acetylen; man erreicht damit eine bessere Übereinstimmung mit den Messungen (siehe Abschnitt 4.2.3). Als weitere Randbedingung am Draht geht die Gastemperatur ein (Gleichung 2.73), die in der vorliegenden Arbeit aus CARS-Temperaturmessungen bestimmt wurde. Für den axialen Massenfluß am Draht (Gleichung 2.71) muß die Gasge1 bei TF = 2400 K und 0,5 Vol.% CH4 : 8,7 Vol.% H, 90,8 Vol.% H2 , 0,33 Vol.% CH3 und 0,15 Vol.% CH4 . 56 KAPITEL 4. HEISSDRAHTREAKTOR Frischgaszusammensetzung Druck Abstand Draht-Substrat Draht Drahttemperatur Substrat Substrat-Temperatur 0,5 Vol.% CH4 , 99,5 Vol.% H2 30 mbar 5 mm Wolfram 1400–2400 K Silizium 600–1200 K Tabelle 4.1: Bedingungen für das Experiment von Zumbach et al. [114]. schwindigkeit abgeschätzt werden. Es wurde ein Wert von 10 cm/s angenommen. Eine zehnfach erhöhte Gasgeschwindigeit am Draht ergibt identische Speziesprofile. Dies ist auf die Tatsache zurückzuführen, daß im HFCVD-Reaktor die Diffusion gegenüber der Konvektion dominiert, so daß Spezies- und Geschwindigkeitsprofile entkoppelt sind [99, 115]. Als Reaktionsmechanismus auf der Substratoberfläche wird der in Tabelle 3.1 aufgeführte CH3 -Mechanismus benutzt. Die Reaktionen von CH2 -, CH- und C-Radikalen (siehe Tabelle 3.3) mit der Diamantoberfläche werden im HFCVDReaktor vernachlässigt. Die Simulationen zeigen, daß die Konzentrationen dieser Radikale mindestens um den Faktor 100 niedriger liegen als die der CH3 -Radikale. Bei diesen niedrigen Konzentrationen ist der Beitrag zum Diamantwachstum vernachlässigbar. 4.2 Gasphase und polykristallines Wachstum In diesem Abschnitt liegt das Hauptaugenmerk auf der Gasphase des Systems. Es werden die berechneten Konzentrationen verschiedener Spezies an der Substratoberfläche mit Experimenten von Zumbach und Schäfer vom Physikalisch Chemischen Institut der Universität Heidelberg verglichen. Im Experiment wurde auf dem Siliziumsubstrat eine polykristalline Diamantschicht abgeschieden [128], aber keine Wachstumsgeschwindigkeit bestimmt. Deshalb werden die simulierten Diamant-Wachstumsgeschwindigkeiten polykristallinen Wachstumsexperimenten aus der Literatur unter ähnlichen Bedingungen gegenübergestellt. Das Experiment besteht aus einem Heißdrahtreaktor, dessen Reaktorparameter in Tabelle 4.1 aufgeführt sind. In der Mitte des Substrats befindet sich ein kleines Loch von etwa 150 µm Durchmesser, durch das ein Molekularstrahl 4.2. GASPHASE UND POLYKRISTALLINES WACHSTUM 57 dat.tempprof(1000K) Temperatur [K] 2500 2000 1500 1000 500 0 1 2 3 4 Abstand vom Substrat [mm] 5 Abbildung 4.2: CARS-Temperaturprofile bei Substrat-Temperaturen von 800 K (2), 900 K (◦) und 1000 K (4). Gefüllte Symbole: Substrat-Temperatur (Thermoelement), Drahttemperatur (Pyrometer). Linie: Simulation bei einer Substrat-Temperatur von 900 K. abgesaugt wird. Durch diesen Strahl läßt sich die Gaszusammensetzung direkt über dem Substrat bestimmen. Quantitative Messungen der stabilen Spezies, wie CH4 , C2 H2 und C2 H4 , erfolgen durch Quadrupolmassenspektroskopie. Methylradikale und Wasserstoffatome werden durch Quadrupolmassenspektroskopie und REMPI2 -Flugzeitmassenspektroskopie nachgewiesen. Dreier und Tobai bestimmten Temperaturprofile im Reaktor mittels CARS3 -Spektroskopie. Einzelheiten über den experimentellen Aufbau und die verwendeten spektroskopischen Nachweismethoden finden sich in [114, 128, 129]. 4.2.1 Temperaturprofile Abbildung 4.2 zeigt die gemessenen Temperaturprofile bei einer Drahttemperatur von 2400 K und die dazugehörige Simulation. Als erstes fällt auf, daß die Gastemperatur in unmittelbarer Nähe des Drahts um etwa 400 K niedriger liegt als die mittels eines Pyrometers gemessene Temperatur der Drahtoberfläche. Dieser scheinbare Temperatursprung in der Nähe des Drahtes wurde auch von anderen 2 3 Resonance Enhanced Multi Photon Ionization Coherent Anti-Stokes Raman Spectroscopy 58 KAPITEL 4. HEISSDRAHTREAKTOR Gruppen beobachtet [98,106,113]. Eine mögliche Erklärung für diese Tatsache ist das relativ große CARS-Probenvolumen (200 µm Durchmesser auf einer Länge von 2 mm), so daß längs der Drahtspirale vorhandene Temperaturgradienten weggemittelt werden. In der Simulation wurde als Randbedingung für die Gastemperatur am Draht (Gleichung 2.73) der durch die CARS-Messungen bestimmte Wert von 2000 K benutzt4 . Man erkennt in Abbildung 4.2 eine gute Wiedergabe des nahezu linearen Temperaturverlaufs durch die Simulation. Dieses lineare Temperaturprofil, das generell im Heißdrahtreaktor beobachtet wird [98, 106, 113], ist darauf zurückzuführen, daß der Wärmeleitungsterm gegenüber dem Konvektionsund Reaktionsterm in der Energiegleichung (2.61) dominiert. 4.2.2 Speziesprofile Abbildung 4.3 zeigt bei einer Draht- bzw. Substrat-Temperatur von 2400 bzw. 1200 K typische Speziesprofile der wichtigsten Gasphasenspezies im HFCVDReaktor. Man erkennt eine deutliche Abnahme des Molenbruchs der H-Atome zum Substrat hin. Dies ist auf Oberflächenreaktionen zurückzuführen. Reaktionen (1) und (2) in Tabelle 3.1 ergeben als Nettoreaktion eine Rekombination von H-Atomen auf der Oberfläche. Berechnet man den dazugehörigen Rekombinationskoeffizienten, der angibt, welcher Anteil der H-Atome, die auf die Oberfläche treffen, zu H2 -Molekülen rekombiniert, so ergibt sich ein Wert von 0,06 [120]. Dieser Wert ist in Einklang mit Experimenten von Harris und Weiner [130], Krasnoperov et al. [131] und Connell et al. [113], die Werte von 0,12, 0,16 und 0,02 – jeweils mit einer Unsicherheit von einem Faktor zwei – gemessen haben. Das H-Atom-Profil ist also durch den Wert am Draht, Diffusion und den Rekombinationskoeffizienten am Substrat bestimmt. Rekombination in der Gasphase spielt bei diesem niedrigem Druck keine Rolle [120]. Die Profile der Kohlenwasserstoffe sind an das Profil der H-Atome durch fol- 4 Bei Drahttemperaturen kleiner als 2400 K wurde angenommen, daß der scheinbare Temperatursprung am Draht proportional zur Temperaturdifferenz zwischen Draht und Substrat ist. 4.2. GASPHASE UND POLYKRISTALLINES WACHSTUM 59 Abbildung 4.3: Speziesprofile bei einer Draht- bzw. Substrat-Temperatur von 2400 bzw. 1200 K. Die gestrichelten Linien stellen C2 H2 bzw. C2 H4 dar. gende Gasphasenreaktionen gekoppelt: CH4 + H ­ CH3 + H2 , (4.1) CH3 + H + M ­ CH4 + M, (4.2) CH3 + CH3 + M ­ C2 H6 + M. (4.3) Die schnelle Reaktion 4.1 befindet sich im partiellen Gleichgewicht, mit Ausnahme eines Gebiets ungefähr 1 mm von der Substratoberfläche entfernt. Hier ist das partielle Gleichgewicht der Reaktion durch die Rekombination der H-Atome auf der Substratoberfläche gestört [120]. Reaktion 4.2 spielt bei einer SubstratTemperatur von 1200 K keine Rolle. Nur bei niedrigen Substrat-Temperaturen bewirkt diese Reaktion ein starkes Absinken der CH3 -Konzentration in der Nähe des Substrats (siehe Abschnitt 4.2.4). Reaktion 4.3 und weitere H-Abstraktionen bewirken den Anstieg der Acetylenkonzentration vom Draht zum Substrat. 4.2.3 Molenbrüche als Funktion der Drahttemperatur In Abbildung 4.4 ist ein Arrheniusdiagramm der Molenbrüche der Wasserstoffatome und Methylradikale am Substrat in Abhängigkeit von der Drahttemperatur dargestellt. Die H-Atome werden von der Simulation bei Drahttemperaturen kleiner als 1900 K unterschätzt bzw. oberhalb von 2100 K überschätzt. 60 KAPITEL 4. HEISSDRAHTREAKTOR Abbildung 4.4: Arrheniusdiagramm der Molenbrüche der H-Atome (◦) und der CH3 -Moleküle (2) am Substrat in Abhängigkeit der Drahttemperatur. Substrat-Temperatur = 1000 K. Symbole: Experiment. Linien: Simulation. Gestrichelte Linien: Simulation mit an das Experiment angepaßter H-Atomkonzentration. Berechnet man die Aktivierungsenergien für die Dissoziation von Wasserstoffmolekülen am Draht, so ergeben sich deutliche Unterschiede zwischen Simulation (Ea ≈ 200 kJ/mol) und Experiment (Ea ≈ 100 kJ/mol). Die Diskrepanz zwischen Simulation und Experiment läßt sich dadurch erklären, daß das einfache Modell der Dissoziation von Wasserstoff am Heißdraht, nicht ausreicht, um den katalytischen Effekt des Heißdrahts auf Wasserstoff zu beschreiben. Das Modell kann lediglich die Größenordnung der H-Atomkonzentration am Substrat wiedergeben. Die Simulation ist in der Lage, die CH3 -Radikale ab einer Drahttemperatur von 1800 K gut wiederzugegeben. Bei Temperaturen unterhalb von 1800 K unterschätzt das Modell die Methylradikale. Diese Tatsache könnte direkt auf die Unterschätzung der H-Atomkonzentration unterhalb von 1800 K zurückzuführen sein. Um diese Hypothese zu testen, wurden Simulationen mit einer an das Experiment angepaßter H-Atomkonzentration durchgeführt. Das heißt, bei Drahttemperaturen kleiner als 2000 K wurde die H-Atomkonzentration am Draht entsprechend erhöht, bei höheren Temperaturen entsprechend erniedrigt, so daß die experimentell bestimmten Konzentrationen der H-Atome am Substrat mit der Simulation übereinstimmen. Die Ergebnisse sind als gestrichelte Linien in Ab- 4.2. GASPHASE UND POLYKRISTALLINES WACHSTUM 61 Abbildung 4.5: Molenbrüche am Substrat von CH4 , C2 H2 und C2 H4 in Abhängigkeit von der Drahttemperatur. Substrat-Temperatur = 1000 K. Symbole: Experiment. Linien: Simulation. Gestrichelte Linien: Simulation mit an das Experiment angepaßter H-Atomkonzentration. bildung 4.4 eingetragen. Man erkennt, daß – mit an das Experiment angepaßter H-Atomkonzentration – die CH3 -Konzentration von der Simulation im gesamten Temperaturbereich5 gut wiedergegeben wird. Der Unterschied zwischen Experiment und Simulation bei den Methylradikalen ist also direkt auf die Diskrepanz bei den H-Atomen zurückzuführen. In Abbildung 4.5 sind die Molenbrüche von CH4 , C2 H2 und C2 H4 als Funktion der Drahttemperatur dargestellt. Man erkennt mit steigender Temperatur eine zunehmende Umsetzung von CH4 in C2 H2 . Im Experiment beginnt diese Umsetzung bei 1800 K, was auch von anderen Gruppen beobachtet wird [97, 103, 109]. Bei der Simulation setzt erst ab 2000 K eine merkliche Konversion zu Acetylen ein. Bei einer Temperatur von 2400 K stimmen Experiment und Simulation gut überein. Dies wurde durch die Einführung einer Verweilzeit am Draht von 10−4 s erreicht (siehe Abschnitt 4.1). Physikalisch ist die Verweilzeit auf die schnelle Diffusion der H-Atome zurückzuführen. Dadurch setzt sich Methan schon vor dem Draht teilweise in Acetylen um. Eine Abschätzung der Diffusionszeit von atomarem Wasserstoff für eine Strecke von 5 mm in diesem Reaktor ergibt 0,15 ms. Die 5 Das heißt von 1600 bis 2400 K, wo Messungen der H-Atomkonzentration vorliegen. 62 KAPITEL 4. HEISSDRAHTREAKTOR eingeführte Verweilzeit von 10−4 s liegt in der gleichen Größenordnung. Die Umsetzung von Methan zu Acetylen ist durch H-Atom-Abstraktionsreaktionen an die Konzentration von atomarem Wasserstoff gekoppelt. Das Experiment zeigt eine höhere H-Atomkonzentration im Vergleich zur Simulation bei Drahttemperaturen kleiner als 2000 K (siehe Abbildung 4.4) und damit auch einen höheren Konversionsgrad von Methan zu Acetylen bei diesen Bedingungen. Es stellt sich die Frage, ob dies der alleinige Grund für die Abweichung von Simulation und Experiment ist. Um dies zu testen, wurden Simulationen mit einer an das Experiment angepaßter H-Atomkonzentration (siehe oben) durchgeführt. Bei diesen Simulationen war eine Erhöhung der Verweilzeit am Draht auf 4·10−4 s notwendig, um die beobachtete Acetylenkonzentration bei einer Drahttemperatur von 2400 K wiedergeben zu können. Die Ergebnisse für CH4 und C2 H2 sind als gestrichelte Linien in Abbildung 4.5 dargestellt. Man erkennt, daß eine an das Experiment angepaßte H-Atomkonzentration nicht zu einer befriedigenden Übereinstimmung zwischen Experiment und Simulation führt. Dies deutet darauf hin, daß zumindest teilweise eine heterogene Umsetzung von Methan zu C2 -Spezies am Draht stattfindet, die mit einer Einführung einer Verweilzeit nicht vollständig erfaßt werden kann. 4.2.4 Molenbrüche als Funktion der Substrat-Temperatur Abbildung 4.6 zeigt die Molenbrüche der H-Atome und der CH3 -Radikale am Substrat in Abhängigkeit der Substrat-Temperatur bei einer konstanten Drahttemperatur von 2400 K. Die Simulation überschätzt die Konzentration der HAtome etwa um einen Faktor Zwei im Vergleich zum Experiment. Dies hängt mit der Überschätzung der H-Atome in der Simulation bei Drahttemperaturen größer als 2100 K zusammen (siehe Abbildung 4.4). Qualitativ wird der Abfall der H-Atomkonzentration mit steigender Substrat-Temperatur zwischen 600 und 850 K von der Simulation wiedergegeben. Die Ursache dieses Abfalls liegt in der Zunahme der H-Atom-Rekombination an der Diamantoberfläche mit steigender Substrat-Temperatur [120, 131]. Oberhalb von 850 K ist die Konzentration der Wasserstoffatome am Substrat im Experiment konstant, im Gegensatz zur Simulation, die einen weiteren Abfall vorhersagt. Der Unterschied im qualitativen Verhalten zwischen Simulation und Experiment kann folgende Ursachen haben: • Der Rekombinationskoeffizient der H-Atome an der Diamantoberfläche ist 4.2. GASPHASE UND POLYKRISTALLINES WACHSTUM 63 Abbildung 4.6: Molenbrüche der H-Atome (◦) und der CH3 -Moleküle (2) am Substrat in Abhängigkeit der Substrat-Temperatur. Drahttemperatur = 2400 K. Symbole: Experiment. Linien: Simulation. bei Substrat-Temperaturen größer als 850 K konstant, • es erfolgt Transport von H-Atomen in radialer Richtung (parallel zum Substrat), der in der Simulation nicht berücksichtigt wird. Gegen die erste Hypothese sprechen die Messungen von Krasnoperov et al. [131], bei denen ein exponentieller Anstieg der H-Atom-Rekombination an der Diamantoberfläche zwischen 300 und 1100 K beobachtet wird. Allerdings haben diese Messungen eine große Streuung (Faktor Zwei), so daß man einen konstanten Rekombinationskoeffizienten oberhalb von 850 K nicht ausschließen werden kann. Transport von H-Atomen in radialer Richtung und Rekombination an den Reaktorwänden ist eine Möglichkeit, die McMaster et al. [105] diskutiert haben, um die Konstanz der H-Atom Konzentration mit zunehmender Substrat-Temperatur zu erklären. Allerdings ist so nicht zu verstehen, warum im Experiment der Anteil der H-Atome am Substrat zwischen 600 und 850 K zurückgeht, da der Transport in radialer Richtung unabhängig von der Substrat-Temperatur sein sollte. Das heißt, beide obigen Erklärungen für die Diskrepanz im qualitativem Verhalten der Abhängigkeit der H-Atomkonzentration von der Substrat-Temperatur sind unbefriedigend. Die Beobachtung des nahezu konstanten Verlaufs der H- 64 KAPITEL 4. HEISSDRAHTREAKTOR Abbildung 4.7: Molenbrüche am Substrat von CH4 , C2 H2 und C2 H4 in Abhängigkeit von der Substrat-Temperatur. Drahttemperatur = 2400 K. Symbole: Experiment. Linien: Simulation. Atomkonzentration oberhalb von 850 K bleibt also ungeklärt. Der experimentelle Verlauf der CH3 -Konzentration an der Substratoberfläche in Abhängigkeit von der Substrat-Temperatur wird von der Simulation gut wiedergegeben. Berechnet man in Abbildung 4.6 die Aktivierungsenergie für den Anstieg der Methylradikalkonzentration bis zu einer Temperatur von 1000 K, so erhält man – in Übereinstimmung mit den Messungen von McMasters et al. [105], Corat und Goodwin [99] und Wahl et al. [111] – ca. 17 kJ/mol. Der Anstieg der CH3 -Konzentration mit zunehmender Substrat-Temperatur ist ein reiner Gasphaseneffekt. Er ist auf die Reaktion 4.2, d. h. die Rekombination von Methylradikalen und H-Atomen, zurückzuführen [120]. Diese Reaktion hat einen negativen Temperaturexponenten und läuft deshalb bei niedrigen Temperaturen schneller ab. Bei Substrat-Temperaturen kleiner als 1000 K bewirkt die Reaktion ein Absinken der CH3 -Konzentration in der Nähe (≈ 2 mm) des Substrats, während bei einer Substrat-Temperatur von 1200 K der Einfluß der Reaktion 4.2 auf die Methylradikale gegenüber Reaktion 4.1 vernachlässigbar ist [120]. Der Einbau der Methylradikale in das Diamantgitter durch den Reaktionsmechanismus in Tabelle 3.1 hat auf die Gasphase keinen Einfluß, da der effektive Haftkoeffizient für diesen Prozeß bei ca. 1·10−3 liegt (siehe 4.2.5). 4.2. GASPHASE UND POLYKRISTALLINES WACHSTUM Frischgaszusammensetzung Druck Abstand Draht-Substrat Draht Drahttemperatur Substrat Substrat-Temperatur 65 0,5 Vol.% CH4 , 99,5 Vol.% H2 40 mbar 6 mm Wolfram 2320 K Silizium 900–1300 K Tabelle 4.2: Bedingungen für das Experiment von Kondoh et al. [123]. Abbildung 4.7 stellt die Molenbrüche von Methan, Acetylen und Ethylen als Funktion der Substrat-Temperatur dar. Im Experiment erkennt man mit steigender Substrat-Temperatur eine zunehmende Umsetzung von Methan zu Acetylen, in qualitativer Übereinstimmung mit der Simulation. Der Molenbruch von C2 H4 wird von der Simulation weder quantitativ noch qualitativ richtig wiedergegeben. Im Vergleich zum Experiment ist die vorhergesagte C2 H4 -Konzentration etwa um den Faktor drei zu niedrig und auch das experimentelle Maximum bei 700 K ist in der Simulation nicht vorhanden. Dies deutet darauf hin, daß mehr heterogene Reaktionen am Substrat eine Rolle spielen als im Modell implementiert sind. Eine Möglichkeit wäre die Rekombination von CH2 -Radikalen auf der Oberfläche. In Tabelle 3.1 werden CH2 -Radikale auf der Oberfläche durch H-Abstraktion an adsorbierten CH3 -Molekülen erzeugt (Reaktion (4)). Die CH2 -Radikal-Konzentration auf der Oberfläche steigt bis zu einer Oberflächentemperatur von ca. 1100 K an (siehe Abbildung 4.11). Bei diesem Verlauf würde sich das Maximum der C2 H4 -Konzentration bei 700 K durch eine Rekombinationsreaktion von CH2 -Radikalen auf der Oberfläche nicht erklären lassen. Ein möglicher Bildungsmechanismus von Ethylen durch Oberflächenreaktionen müßte komplexer sein. 4.2.5 Diamant-Wachstumsgeschwindigkeiten In Abbildung 4.8 sind die simulierten Wachstumsgeschwindigkeiten in Abhängigkeit von der Substrat-Temperatur (unter den Bedingungen von Tabelle 4.1) polykristallinenen Wachstumsexperimenten von Kondoh et al. [123] unter ähnlichen Bedingungen (siehe Tabelle 4.2) gegenübergestellt. Man sieht, daß die Abhängigkeit der Wachstumsgeschwindigkeit von der Substrat-Temperatur vom Modell gut wiedergegeben wird. Die Aktivierungsenergie der Wachstumsgeschwindigkeit unterhalb von 1150 K beträgt in Übereinstimmung mit dem Experiment 66 KAPITEL 4. HEISSDRAHTREAKTOR Abbildung 4.8: Wachstumsgeschwindigkeit in Abhängigkeit der Substrat-Temperatur. Symbole: Experiment von Kondoh et al. [123] (Bedingungen siehe Tabelle 4.2). Linie: Simulation (Bedingungen siehe Tabelle 4.1 (Drahttemperatur = 2400 K)). ca. 80 kJ/mol, und das Maximum bei etwa 1250 K wird qualitativ vorhergesagt. Im nächsten Abschnitt wird dieser Verlauf näher diskutiert. Berechnet man in Abbildung 4.8 den effektiven Haftkoeffizienten von CH3 für die Anlagerung an das Diamantgitter bei einer Substrat-Temperatur von 1200 K, erhält man einen Wert von 7·10−4 . Dies zeigt, daß der Prozeß der Diamantabscheidung nicht transportlimitiert ist, obwohl im Heißdrahtreaktor die Speziesprofile durch Diffusion und nicht durch Konvektion bestimmt sind (siehe Abschnitt 4.1). 4.3 Homoepitaktisches Diamantwachstum In diesem Abschnitt liegt das Hauptaugenmerk auf der Diamantoberfläche. Die simulierten Diamant-Wachstumsgeschwindigkeiten werden mit den homoepitaktischen Wachstumsexperimenten von Chu et al. [121] auf der C(100)-Oberfläche verglichen. Die experimentellen Bedingungen sind in Tabelle 4.3 aufgelistet. Das zugrunde liegende Modell für die Simulation ist in Abschnitt 4.1 beschrieben. Die Ergebnisse der Simulation mit dem Oberflächenreaktionsschema in Tabelle 3.1 sind in den Abbildungen 4.9 und 4.10 dargestellt. Abbildung 4.9 zeigt die Diamant-Wachstumsgeschwindigkeit als Funktion der Substrat-Temperatur 4.3. HOMOEPITAKTISCHES DIAMANTWACHSTUM Frischgaszusammensetzung Druck Abstand Draht-Substrat Draht Drahttemperatur Substrat Substrat-Temperatur 67 0,1–0,8 Vol.% CH4 , in H2 33,3 mbar 10 mm Wolfram 2430 K Diamant ((100)-Oberfläche) 800–1250 K Tabelle 4.3: Bedingungen für das Experiment von Chu et al. [121]. Abbildung 4.9: Diamantwachstum als Funktion der Substrat-Temperatur bei 0,4 Vol.% CH4 in H2 . Symbole: Experiment von Chu et al. [121]. Linie: Simulation. bei einer festen Frischgaszusammensetzung von 0,4 Vol.% CH4 in H2 . Man sieht, daß das Modell homoepitaktisches Wachstum auf der C(100)-Oberfläche qualitativ wiedergibt. In Übereinstimmung mit dem Experiment kann das Ansteigen der Diamant-Wachstumsgeschwindigeit bis zu einer Substrat-Temperatur von 1150 K mit einer Aktivierungsenergie von etwa 80 kJ/mol beschrieben werden. Das Absinken der Wachstumsgeschwindigkeit für Substrat-Temperaturen größer als 1250 K wurde von Chu et al. [121] nicht gemessen, jedoch bei polykristallinem Diamantwachstum in einem Heißdrahtreaktor beobachtet (siehe Abbildung 4.8). In Abbildung 4.10 ist die Diamant-Wachstumsgeschwindigkeit in Abhängigkeit von der Frischgaszusammensetzung bei einer festen Substrat-Temperatur von 1240 K dargestellt. Der Anstieg der Wachstumsgeschwindigkeit mit steigen- 68 KAPITEL 4. HEISSDRAHTREAKTOR out.rate.0.1-0.8 Wachstum [µm/h] 3 2 1 0 0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 Vol.% CH 0,6 0,7 0,8 4 Abbildung 4.10: Diamantwachstum als Funktion der Frischgaszusammensetzung bei einer Substrat-Temperatur von 1240 K. Symbole: Experiment von Chu et al. [121]. Linie: Simulation. dem Methangehalt ist in der Simulation kleiner als im Experiment. Dies könnte darauf zurückzuführen sein, daß im Modell eine feste Stufenplatzdichte von 3 % angenommen wird (siehe Abschnitt 3.2.1). Es gibt experimentelle Hinweise [57] darauf, daß die Anzahl der Stufen mit steigendem Methangehalt zunimmt. Da die Diamant-Wachstumsgeschwindigkeit proportional zur Stufenplatzdichte ist, würde dies die Übereinstimmung von Modell und Experiment verbessern. Generell ist aber zu sagen, daß bei den Unsicherheiten des Modells in der Gasphase, insbesondere in der Vorhersage der H- und CH3 -Konzentration, der Fehler in der Diamant-Wachstumsgeschwindigkeit mindestens einen Faktor Zwei beträgt. Die Bedeckungen der wichtigsten Spezies auf der Oberfläche in Abhängigkeit von der Substrat-Temperatur sind in Abbildung 4.11 dargestellt. Man erkennt, daß für alle Oberflächentemperaturen Wasserstoff die dominierende Spezies auf der Diamantoberfläche ist. Die Bedeckung der freien Oberflächenplätze steigt mit zunehmender Substrat-Temperatur bis zu einem Anteil von ca. 20 % bei 1400 K an. Die CH3 (s)-Bedeckung hat ein Maximum von ungefähr 2 % bei einer Oberflächentemperatur von 1150 K. Dieses Maximum ist auch für das Maximum der Diamant-Wachstumsgeschwindigkeit in Abbildung 4.9 verantwortlich, was durch die Sensitivitätsanalyse im nächsten Abschnitt deutlich wird. Nicht eingezeichnet 4.3. HOMOEPITAKTISCHES DIAMANTWACHSTUM 69 Abbildung 4.11: Bedeckungen einiger Oberflächenspezies in Abhängigkeit von der Substrat-Temperatur für die Bedingungen von von Chu et al. [121]. in Abbildung 4.11 sind die Bedeckungen der Spezies an Stufenplätzen: TCH(s) und TC(s, r). Diese Bedeckungen folgen den Bedeckungen der entsprechenden Spezies CH(s) bzw. C(s, r) an Dimerplätzen, wenn man diese auf einen Wert von 3 % skaliert. Dies entspricht gerade der Stufenplatzdichte. 4.3.1 Sensitivitätsanalyse In diesem Abschnitt sollen die geschwindigkeitsbestimmenden Schritte für die Diamantbildung ermittelt werden. Dazu wurde eine Sensitivitätsanalyse (siehe Abschnitt 2.6.4) durchgeführt. Abbildung 4.12 zeigt die relativen Sensitivitäten der Diamant-Wachstumsgeschwindigkeit bezüglich der Geschwindigkeitskoeffizienten kj des Oberflächenreaktionsmechanismus in Tabelle 3.1. Es sind nur diejenigen Reaktionen mit relativen Sensitivitäten größer als 5 % dargestellt. Man sieht, daß von den 30 Oberflächenreaktionen nur 12 geschwindigkeitsbestimmend für das Diamantwachstum sind. Im Oberflächenreaktionsmechanismus in Tabelle 3.1 gibt es drei Möglichkeiten Diamant zu bilden: durch die Reaktionen (8), (14) und (15). Aus der Sensitivitätsanalyse folgt, daß die Reaktionen (7) und (8), d. h. das Öffnen der Dimerbindung und die anschließende Brückenbildung, sehr schnell und somit nicht 70 KAPITEL 4. HEISSDRAHTREAKTOR CH(s) + H → C(s,r) + H2 C(s,r) + H2 → CH(s) + H C(s,r) +H → CH(s) C(s,r) + CH3 → CH3(s) CH3(s) → C(s,r) + CH3 CH3(s) + H → CH2(s,r) + H2 CH2(s,r) + H → CH3(s) CH2(s,r) + H → C(s,r) + CH3 TCH(s) + H → TC(s,r) + H2 TC(s,r) + H → TCH(s) TCH(s) + CH2(s,r) + H → CH2(s) + TC(s) + C(D) + H2 TC(s,r) + CH3(s) + H → CH2(s) + TC(s) + C(D) + H2 -1 -0,5 0 0,5 relative Sensitivität 1 Abbildung 4.12: Relative Sensitivitäten der Diamant-Wachstumsgeschwindigkeit bezüglich der Geschwindigkeitskoeffizienten kj des Reaktionsmechanismus in Tabelle 3.1. Substrat-Temperatur: 1240 K, Frischgaszusammensetzung: 0,4 Vol.% CH4 in H2 . Nur diejenigen Reaktionen mit relativen Sensitivitäten größer als 5 % sind dargestellt. geschwindigkeitsbestimmend sind. Reaktion (14), die H-Abstraktion eines adsorbierten H-Atoms und anschließende Brückenbildung durch ein adsorbiertes CH2 Radikal, ist zwar langsam, aber nur 10 % des Diamants wird durch diese Reaktion gebildet. Also ist Reaktion (15), die H-Abstraktion an einem adsorbierten CH3 Molekül mit anschließender Brückenbildung, der geschwindigkeitsbestimmende Schritt der Diamantbildung. Durch diese geschwindigkeitsbestimmende Reaktion ist auch die Abhängigkeit der Diamant-Wachstumsgeschwindigkeit von der Substrat-Temperatur bestimmt. Die Aktivierungsenergie von etwa 80 kJ/mol der Wachstumsgeschwindigkeit bis zu einer Substrat-Temperatur von 1150 K setzt sich aus den Aktivierungsenergien der Edukte6 und der Aktivierungsenergie von 6 Die Abhängigkeiten der Spezieskonzentrationen der Edukte von Reaktion (15) von der Substrat-Temperatur können jeweils durch eine Aktivierungsenergie charakterisiert werden. Diese Tatsache wird hier kurz mit Aktivierungsenergien der Edukte“ bezeichnet. ” 4.3. HOMOEPITAKTISCHES DIAMANTWACHSTUM 71 Abbildung 4.13: Relative Sensitivitäten der Diamant-Wachstumsgeschwindigkeit bezüglich der CH3 -Adsorption und Desorption (Reaktion (3) und die Rückreaktion von Reaktion (3)) als Funktion der Substrat-Temperatur. Frischgaszusammensetzung: 0,4 Vol.% CH4 in H2 . Reaktion (15) selbst zusammen [125]. Das Maximum der Wachstumsgeschwindikeit in den Abbildungen 4.8 und 4.9 ist eine direkte Folge des Maximums der CH3 -Bedeckung (siehe Abbildung 4.11). Abbildung 4.13 zeigt die Sensitivitätsanalyse der Wachstumsgeschwindigkeit bezüglich der CH3 -Adsorption und Desorption in Abhängigkeit der SubstratTemperatur. Man sieht, daß oberhalb von 1200 K die direkte CH3 -Desorption bedeutend wird; unterhalb dieser Temperatur spielt diese Reaktion keine Rolle für das Diamantwachstum. Daraus kann geschlossen werden, daß die direkte Desorption der CH3 -Moleküle von der Diamantoberfläche für das Maximum der Diamant-Wachstumsgeschwindigkeit bei 1250 K und den Rückgang bei höheren Substrat-Temperaturen verantwortlich ist. Kapitel 5 Flammenreaktor In diesem Kapitel werden die Simulationsergebnisse für die Diamantabscheidung aus laminaren, flachen Vormischflammen präsentiert. Das Hauptaugenmerk liegt auf Acetylen-Sauerstoff-Flammen, es werden aber auch Simulationen mit anderen Brennstoffen gezeigt. Diamantabscheidung durch Flammen ist ein Phänomen, welches wahrscheinlich seit der Entwicklung der ersten Brenner existiert. Man hat nur nicht mit der Möglichkeit gerechnet, daß sich zwischen dem Ruß, den man abscheidet, auch Diamant befinden könnte. Erstmals hat im Jahr 1989 die Gruppe um Hirose [132] demonstriert, daß es möglich ist, mit einem konventionellen Acetylen-SauerstoffSchweißbrenner Diamantschichten zu erzeugen. In den folgenden Jahren wurde dieser Ansatz weiterverfolgt [133–137]. Dabei konnten Abscheidungsgeschwindigkeiten von bis zu 100 µm/h erreicht werden [133]. Trotz der hohen Abscheidungsgeschwindigkeiten hat diese Methode entscheidende Nachteile. Zum einen ist wegen der großen Wärmeflüsse eine aufwendige Kühlung des Substrats notwendig, zum anderen ist der Durchmesser der erzeugten Diamantschichten auf wenige Millimeter begrenzt. Das liegt daran, daß nur unter brennstoffreichen Bedingungen1 – im Bereich der sogenannten Acetylen-Feder“ – Diamantabschei” dung stattfindet. Dabei besteht die Flamme aus einer inneren Vormischflamme, der Acetylen-Feder, und einer äußeren Diffusionsflamme. Wesentlich größere Durchmesser der Diamantschichten erzielt man mit substratstabilisierten laminaren flachen Acetylen-Sauerstoff-Flammen [138–140]. In diesen Experimenten konnten bei Atmosphärendruck homogene Diamantschichten mit einem Durchmesser von bis zu 20 mm abgeschieden werden. Die Nachteile 1 Das Äquivivalenzverhältnis liegt zwischen 2,3 und 2,8 [133]. 72 5.1. FORMULIERUNG DES MODELLS 73 dieser Methode bleiben die aufwendige Kühltechnik für Substrat und Brenner und die relativ großen Flußgeschwindigkeiten von ca. 50 m/s. Ein anderer Ansatz, um möglichst große homogene Schichten herzustellen, sind laminare flache C2 H2 /O2 -Vormischflammen im Niederdruckbereich [141,142]. Mit diesen Flammen lassen sich Diamantschichten mit einer Fläche von bis zu 20 cm2 abscheiden. Außerdem kann die Substrat-Temperatur (wegen der geringeren Wärmeflüsse) im Vergleich zu Flammen bei Atmosphärendruck, leichter konrolliert werden. Die Abscheidungsgeschwindigkeiten liegen bei maximal 5 µm/h, d. h., um einen Faktor 10 niedriger als bei Atmosphärendruck. 5.1 Formulierung des Modells Die Simulation der Diamantabscheidung durch eine laminare flache Vormischflamme beruht auf der Staupunktanordnung mit chemisch reaktiver Platte (siehe Abschnitt 2.6). Das Modell beschreibt die Region zwischen Gaseinlaß und Substrat. Die Integration wird bis zum Erreichen des stationären Gleichgewichts durchgeführt. Das Reaktionsschema in der Gasphase wird, bis auf eine Veränderung die C-Atome und CH-Radikale betreffend, direkt aus Arbeiten zur Modellierung der Gasphasenchemie in Flammen übernommen [28, 126, 127, 143, 144]. Der detaillierte Reaktionsmechanismus, der die Oxidation von Kohlenwasserstoffen bis C4 beschreibt, besteht aus 638 Elementarreaktionen mit 54 Spezies. Wie oben erwähnt, werden zusätzliche Gasphasenreaktionen mit C-Atomen und CH-Radikalen eingeführt. Dies ist dadurch motiviert, daß der Mechanismus, wie er in [143, 144] dargestellt ist, lediglich zwei reversible Reaktionen mit CAtomen beinhaltet: CH + H ­ C + H2 , C + O2 ­ CO + O. Während die Übereinstimmung zwischen Experiment und Simulation bei den CHRadikalen befriedigend ist [143], liegt die theoretisch berechnete Konzentration der C-Atome um einen Faktor drei zu hoch (siehe Abbildung 16 in [143]) und damit außerhalb des Meßfehlers. Bei Verwendung des Originalmechanismus [143, 144] würden bei AcetylenSauerstoff-Flammen im Niederdruckbereich, wie sie im nächsten Abschnitt diskutiert werden, C-Atome den Hauptbeitrag zum Diamantwachstum liefern. Dies 74 KAPITEL 5. FLAMMENREAKTOR Reaktion CH + CH2 O ­ CH2 CO + H CH + 3 CH2 ­ C2 H2 + H CH + CH3 ­ C2 H3 + H C + OH ­ CO + H C + CH3 ­ C2 H2 + H C + 3 CH2 ­ C2 H + H CH + OH ­ C + H2 O kf 9,5·1013 e2,2/RT 4,0·1013 3,0·1013 5,0·1013 5,0·1013 5,0·1013 4,0·107 T 2 e−12,6/RT Ref. [145] [145] [145] [145] [145] [145] [45] Tabelle 5.1: Zusätzliche Reaktionen im Reaktionsmechanismus in der Gasphase. Einheiten: kf [cm, mol, s, kJ]. könnte darauf zurückzuführen sein, daß der Mechanismus zu wenig Reaktionen mit C-Atomen und CH-Radikalen beinhaltet. Deshalb wurden zusätzliche Reaktionen eingeführt, die in Tabelle 5.1 aufgeführt sind. Es stellt sich die Frage, wie die Einführung der zusätzlichen Reaktionen in Tabelle 5.1 die Flamme verändert. Dazu sind in Abbildung 5.1 für die AcetylenSauerstoff-Flamme von Kim und Cappelli (siehe Tabelle 5.2) die Speziesprofile von CH3 , 3 CH2 , CH und C dargestellt. Die durchgezogenen Linien sind die Simulationsergebnisse bei Verwendung des Orginalmechanismus [143, 144], die gestrichelten Linien stellen die Ergebnisse nach der Erweiterung des Mechanismus dar. Man erkennt, daß sich die zusätzlichen Reaktionen in der Gasphase nur auf die C-Atome und die CH-Radikale auswirken. Das Profil der CH3 - und 3 CH2 -Radikale bleibt unverändert. Auch auf das Temperaturprofil wirken sich die zusätzlichen Reaktionen nicht aus. Die Erweiterung greift somit nur lokal in den Mechanismus ein, was auch durch Kontrollrechnungen die Flammengeschwindigkeit betreffend bestätigt wird. Bei Verwendung des erweiterten Mechanismus konnte keine Änderung der Flammengeschwindigkeit bei Acetylen-Sauerstoff-Flammen festgestellt werden [146]. Durch die Erweiterung wird die Konzentration der C-Atome am Substrat um einen Faktor drei erniedrigt. Der nächste Abschnitt zeigt, daß die C-Atome bei dieser Konzentration einen Beitrag zum Diamantwachstum leisten, der mit dem der CH3 -Moleküle vergleichbar ist. Als Reaktionsmechanismus auf der Substratoberfläche wird der in den Tabellen 3.1, 3.3 und 3.4 aufgeführte Mechanismus benutzt. Er beinhaltet neben der 5.2. ACETYLEN-SAUERSTOFF-FLAMMEN BEI NIEDRIGEM DRUCK 75 Abbildung 5.1: Speziesprofile von CH3 , 3 CH2 , CH und C in der Acetylen-SauerstoffFlamme von Kim und Cappelli (siehe Tabelle 5.2) bei einem Äquivalenzverhältnis von 2,34 und einer Substrat-Temperatur von 1100 K. Durchgezogene Linien: Simulation mit Verwendung des Orginalmechanismus [143, 144]. Gestrichelte Linien: Simulation mit erweitertem Mechanismus (zusätzliche Reaktionen siehe Tabelle 5.1). CH3 -Anlagerung auch die Anlagerung von CH2 -, CH-Radikalen und C-Atomen. Außerdem wird die Oxidation der Diamantschicht durch O2 -Moleküle und OAtome berücksichtigt. Die Randbedingungen am Einströmrand sind durch die Gleichungen 2.68–2.73 gegeben. Es wird also die Rückdiffusion der Spezies zum Brenner berücksichtigt und angenommen, daß auf der Brenneroberfläche H-Atome zu H2 -Molekülen rekombinieren. 5.2 Acetylen-Sauerstoff-Flammen bei niedrigem Druck Die in diesem Abschnitt vorgestellten laminaren, flachen Acetylen-SauerstoffFlammen im Niederdruckbereich beruhen auf zwei Experimenten aus der Literatur [43,142]. Die Bedingungen dieser Experimente sind in Tabelle 5.2 aufgeführt. Beide Gruppen verwenden ähnliche Bedingungen zur Diamantabscheidung. Der Hauptunterschied liegt in der Größe des Abstands zwischen Brenner und Substrat, der einen großen Einfluß auf die beobachtete Diamant-Wachstumsgeschwin- 76 KAPITEL 5. FLAMMENREAKTOR Druck Äquivalenzverhältnis vu Tu L Substrat Substrat-Temperatur Kim und Cappelli [142] 53 mbar 2,17–2.58 4,3 m/s 300 K 5 mm Molybdän 1000–1350 K Goodwin et al. [43] 40 mbar 2,10 8,3 m/s 560 K 10 mm Silizium 1070–1140 K Tabelle 5.2: Bedingungen für die Experimente von Kim und Cappelli [142] und Goodwin et al. [43]. vu bezeichnet die Gasgeschwindigkeit am Brenner, Tu die Gastemperatur am Brenner und L den Abstand zwischen Brenner und Substrat. digkeit hat. Darauf wird in Abschnitt 5.2.2 näher eingegangen. Zunächst erfolgt die Vorstellung und Diskussion von typischen Temperatur- und Speziesprofilen in diesen Flammen. 5.2.1 Flammenstruktur Abbildung 5.2 zeigt das Temperaturprofil und die Profile der wichtigsten Spezies in der Flamme von Kim und Cappelli. Hauptoxidationsprodukt in dieser Flamme ist CO. Am Substrat sind ca. 0,3 Vol.% CH3 -Moleküle und ungefähr 0,02 Vol.% C-Atome vorhanden. Bei diesen Konzentrationen leisten beide Spezies einen vergleichbaren Beitrag zum Diamantwachstum (siehe Abschnitt 5.2.2). Die um den Faktor 10 geringere C-Atom-Konzentration wird durch den effektiveren Anlagerungsmechanismus ausgeglichen (siehe Abschnitt 3.2.2). Der Molenbruch der O-Atome am Substrat ist mit ca. 2·10−5 relativ klein, trotzdem spielen die OAtome im Oxidationsprozeß eine entscheidende Rolle (siehe Abschnitt 5.2.2). Das Temperaturprofil spiegelt die Brennerstabilisierung der Flamme wider. Die maximale Flammentemperatur von 3628 K liegt 654 K über der adiabatischen Flammentemperatur von 2974 K. Der Grund für diese sogenannte superadiabatischen Flammentemperatur liegt in der Tatsache, daß im thermodynamischen Gleichgewicht ein sehr hoher Dissoziationsgrad von H2 vorliegt. Eine Rechnung für eine homogene, adiabatische Mischung der Eingangsgase bei einen Druck von 53 mbar mit dem Programmpaket HOMRUN [31] ergibt im thermodynamischen Gleichgewicht 24 Vol.% H und 15 Vol.% H2 bei der adiabatischen Flammentemperatur von 2974 K. Abbildung 5.2 zeigt hingegen nur maximal 3 Vol.% Wasser- 5.2. ACETYLEN-SAUERSTOFF-FLAMMEN BEI NIEDRIGEM DRUCK 77 Abbildung 5.2: Temperaturprofil (dicke Linie) und Speziesprofile in der AcetylenSauerstoff-Flamme von Kim und Cappelli (siehe Tabelle 5.2) bei einem Äquivalenzverhältnis von 2,34 und einer Substrat-Temperatur von 1100 K. stoffatome. Dies liegt daran, daß die druckabhängige Reaktion H2 + M ­ H + H + M (5.1) bei diesen Flammen zu langsam abläuft, um den Dissoziationsgrad im Gleichgewicht zu erzielen. Da Reaktion 5.1 endotherm ist, resultiert daraus eine höhere Flammentemperatur als die adiabatisch berechnete. Es stellt sich die Frage, ob diese Hypothese für das Erreichen superadiabatischer Flammentemperaturen, die von Goodwin et al. [43] stammt, richtig ist. Dazu wurde eine Simulation mit einem künstlich um einen Faktor 104 erhöhten Geschwindigkeitskoeffizienten von Reaktion 5.1 ausgeführt. Damit wurde der Dissoziationsgrad von H2 in der Flamme künstlich erhöht. In dieser Simulation wurde eine maximale Flammentemperatur von 2890 K erreicht. Dies zeigt, daß in der Tat der gegenüber dem thermodynamischen Gleichgewicht zu niedrige Dissoziationsgrad von H2 der Grund für die superadiabatische Flammentemperatur ist. Superadiabatische Flammentemperaturen wurden auch in Acetylen-SauerstoffFlammen bei Atmosphärendruck vorhergesagt [45] und experimentell bestätigt [147]. Auf diese Flammen wird in Abschnitt 5.4 noch näher eingegangen. 78 KAPITEL 5. FLAMMENREAKTOR Abbildung 5.3: Wachstumsgeschwindigkeit in Abhängigkeit vom Äquivalenzverhältnis für zwei verschiedene Bedingungen (Tabelle 5.2). Substrat-Temperaturen: TS = 1100 K (Kim und Cappelli) bzw. TS = 1140 K (Goodwin et al.). Durchgezogene Linien: Simulation mit vollständigem Oberflächenreaktionsmechanismus (Tabellen 3.1, 3.3 und 3.4). Gestrichelte Linie: Simulation ausschließlich mit CH3 -Mechanismus (Tabelle 3.1) für die Bedingungen von Kim und Cappelli. Symbole: Experiment. 5.2.2 Diamantwachstum Wachstum in Abhängigkeit vom Äquivalenzverhältnis In Abbildung 5.3 sind die Diamant-Wachstumsgeschwindigkeiten für AcetylenSauerstoff-Flammen unter den Bedingungen von Tabelle 5.2 als Funktion des Äquivalenzverhältnisses aufgetragen. Die Substrat-Temperatur ist dabei konstant und beträgt 1100 K für die Flamme von Kim und Cappelli bzw. 1140 K für die Flamme von Goodwin et al. Man erkennt, daß die Simulation die experimentellen Wachstumsgeschwindigkeiten bis auf einen Faktor Zwei wiedergibt. Kim und Cappelli [142] beobachteten bei Äquivalenzverhältnissen kleiner als 2,17 kein Diamantwachstum mehr, während sie für größere Äquivalenzverhältnisse einen starken Anstieg des Diamantwachstums feststellten. Dieses Verhalten kann das Modell qualitativ wiedergeben. Die experimentelle Tatsache des drastischen Wachstumsabfalls ab einem Äquivalenzverhältnis von ca. 2,2 ist nur mit dem vollständigen Oberflächenreaktionsmechanismus, der auch die Oxidation der Diamantschicht beinhaltet, zu erklären. Eine Simulation mit einem Oberflächen- 5.2. ACETYLEN-SAUERSTOFF-FLAMMEN BEI NIEDRIGEM DRUCK 79 Abbildung 5.4: Molenbrüche der wichtigsten Gasphasenspezies an der Substratoberfläche als Funktion des Äquivalenzverhältnisses. Bedingungen: Kim und Cappelli (Tabelle 5.2). Substrat-Temperatur: TS = 1100 K. reaktionsmechanismus, der nur die CH3 -Anlagerung beschreibt (gestrichelte Linie in Abbildung 5.3), ergibt erst einen Abfall des Wachstums ab einem Äquivalenzverhältnis von ca. 1,9 in qualitativem Widerspruch zum Experiment. Es stellt sich die Frage, welche Spezies in der Gasphase den dramatischen Abfall der Diamant-Wachstumsgeschwindigkeit in Abbildung 5.3 verursachen. Dazu sind in Abbildung 5.4 die Molenbrüche der wichtigsten Gasphasenspezies an der Substratoberfläche als Funktion des Äquivalenzverhältnisses für die Bedingungen von Kim und Cappelli (Tabelle 5.2) dargestellt. Während die Wachstumsspezies CH3 und C nur schwach vom Äquivalenzverhältnis abhängen, zeigen die O-Atome einen Rüchgang um etwa einen Faktor Sechs bei Erhöhung des Äquivalenzverhältnisses von 2,0 auf 2,6. Da auch die Konzentrationen der O2 -Moleküle, OH-Radikale und H-Atome im Bereich des Äquivalenzverhältnisses von 2,0 bis 2,6 weitestgehend konstant sind, kommen als Ursache für die sehr starke Abhängigkeit der Diamant-Wachstumsgeschwindigkeit vom Äquivalenzverhältnis nur die O-Atome in Frage. Nicht auszuschließen ist die Hypothese, daß der steile Anstieg der Acetylenkonzentration mit steigendem Äquivalenzverhältnis bei einem Wachstumsmechanismus, in dem Acetylen die entscheidende Rolle spielt, die Abhängigkeit des 80 KAPITEL 5. FLAMMENREAKTOR Abbildung 5.5: Beitrag der einzelnen Spezies zum Diamantwachstum in Abhängigkeit vom Äquivalenzverhältnis. Das Wachstum aufgrund der CH- und 3 CH2 -Radikale beträgt jeweils etwa 0,15 µm/h und ist hier nicht eingezeichnet. Bedingungen: Kim und Cappelli (Tabelle 5.2) bei einer Substrat-Temperatur von 1100 K. Diamantwachstums vom Äquivalenzverhältnis verursacht. Allerdings sprechen experimentelle Befunde (siehe Einleitung) gegen Acetylen als Wachstumsspezies. In Abbildung 5.5 ist der Beitrag der einzelnen Spezies zum Diamantwachstum in Abhängigkeit vom Äquivalenzverhältnis dargestellt. Der Oxidationsbeitrag der O-Atome steigt mit sinkendem Äquivalenzverhältnis stark an. Dies ist eine direkte Folge des Verlaufs der O-Atome in Abbildung 5.4. Ab einem Äquivalenzverhältnis von 2,1 überwiegt der Oxidationsbeitrag der O-Atome das Wachstum, so daß zu kleineren Äquivalenzverhältnissen hin eine Netto-Oxidation der Diamantschicht stattfindet (siehe Abbildung 5.3). Der Oxidationsbeitrag der O2 -Moleküle ist annähernd konstant. Der Beitrag der CH3 -Moleküle und der C-Atome zum Diamantwachstum ist vergleichbar. Das Wachstum aufgrund der CH- und 3 CH2 -Radikale ist etwa um den Faktor 10 kleiner und liegt im Bereich von jeweils 0,15 µm/h. Mit den obigen Betrachtungen läßt sich auch verstehen, warum bei den Bedingungen von Goodwin et al. bei einem Äquivalenzverhältnis von 2,1 noch Diamantwachstum stattfindet, während Kim und Cappelli bei dem gleichem Äquivalenzverhältnis kein Wachstum mehr feststellten. Dies erklärt sich durch den 5.2. ACETYLEN-SAUERSTOFF-FLAMMEN BEI NIEDRIGEM DRUCK 81 Abbildung 5.6: Wachstumsgeschwindigkeit in Abhängigkeit von der Substrat-Temperatur für zwei verschiedene Bedingungen (Tabelle 5.2). Äquivalenzverhältnisse: Φ = 2,34 (Kim und Cappelli) bzw. Φ = 2,1 (Goodwin et al.). Durchgezogene Linien: Simulation mit vollständigen Oberflächenreaktionsmechanismus (Tabellen 3.1, 3.3 und 3.4). Gestrichelte Linie: Simulation auschließlich mit CH3 -Mechanismus (Tabelle 3.1) für die Bedingungen von Kim und Cappelli. Symbole: Experiment. größeren Abstand bei Goodwin et al. im Vergleich zu Kim und Cappelli. Je geringer der Abstand zwischen Brenner und Substrat gewählt wird, desto größer ist die Konzentration der O-Atome am Substrat. Da die O-Atome für den drastischen Wachstumabfall in Abbildung 5.3 veranwortlich sind, benötigt man bei geringerem Abstand ein größeres Äquivalenzverhältnis, um ein Netto-Diamantwachstum zu beobachten. Wachstum in Abhängigkeit von der Substrat-Temperatur Abbildung 5.6 zeigt die Wachstumsgeschwindigkeit als Funktion der SubstratTemperatur unter den Bedingungen von Tabelle 5.2. Das Äquivalenzverhältnis ist dabei konstant und beträgt 2,34 für die Flamme von Kim und Cappelli bzw. 2,1 für die Flamme von Goodwin et al. Man erkennt, daß die Simulation die beobachteten Wachstumsgeschwindigkeiten größenordnungsmäßig wiedergibt. Kim und Cappelli [142] beobachteten einen Rückgang der Diamant-Wachstumsgeschwindigkeit ab einer Substrat-Temperatur von ca. 1240 K zu höheren Substrat-Temperaturen hin. Ab einer Substrat-Temperatur von ca. 1350 K konn- 82 KAPITEL 5. FLAMMENREAKTOR Abbildung 5.7: Beitrag der einzelnen Spezies zum Diamantwachstum in Abhängigkeit von der Substrat-Temperatur. Durchgezogene Linien: Bedingungen von Kim und Cappelli (Tabelle 5.2) bei einem Äquivalenzverhältnis von 2,34. Gestrichelte Linien: Bedingungen von Goodwin et al. (Tabelle 5.2) bei einem Äquivalenzverhältnis von 2,1. te in diesem Experiment kein Diamantwachstum mehr festgestellt werden. Dieser Verlauf wird von der Simulation qualitativ wiedergegeben. Das Maximum und die Temperatur, ab der kein Diamantwachstum mehr stattfindet, liegen in der Simulation bei 1150 K bzw. 1280 K, d. h., 50–100 K niedriger als im Experiment. In Anbetracht der Tatsache, daß die Spezieskonzentrationen wichtiger Radikale wie der C- oder O-Atome im Modell mit einer Unsicherheit von bis zu einem Faktor Zwei behaftet sind, ist diese Diskrepanz vertretbar. Die experimentelle Tatsache des drastischen Abfalls der Wachstumsgeschwindigkeit für Substrat-Temperaturen größer als 1240 K ist qualitativ nur mit dem vollständigen Oberflächenreaktionsmechanismus zu erklären. Eine Simulation mit einem reinem CH3 -Mechanismus würde selbst bei einer Substrat-Temperatur von 1400 K noch ein Diamantwachstum von ca. 5 µm/h vorhersagen (gestrichelte Linie in Abbildung 5.6), was dem Experiment widerspricht. Der starke Abfall der Wachstumsgeschwindigkeit für Substrat-Temperaturen größer als 1200 K unter den Bedingungen von Kim und Cappelli ist auf die zunehmende Oxidation der Diamantschicht durch O2 -Moleküle zurückzuführen. Dies wird aus Abbildung 5.7 ersichtlich, in der die Beitäge zum Wachstum der einzelnen Spezies in Abhängigkeit der Substrat-Temperatur dargestellt sind. 5.3. CH4 /O2 -, C2 H4 /O2 - UND C3 H6 /O2 -FLAMMEN 83 Man erkennt bei den Bedingungen von Kim und Cappelli eine starke Zunahme des Oxidationsbeitrages der O2 -Moleküle mit steigender Substrat-Temperatur. Dies liegt in der Tatsache begründet, daß die O2 -Adsorption mit einer Aktivierungsenergie von 52 kJ/mol behaftet ist (siehe Tabelle 3.4). Bei den Bedingungen von Goodwin et al. spielt die Oxidation durch O2 hingegen keine so große Rolle. Der größere Abstand im Vergleich zu den Bedingungen von Kim und Cappelli bewirkt eine um den Faktor 10 geringere O2 -Konzentration an der Oberfläche und damit einen entsprechend kleineren Beitrag zur Oxidation der Diamantschicht. In Abbildung 5.6 fällt auf, daß bei den Bedingungen von Goodwin et al. im Gegensatz zu denen von Kim und Cappelli bei Substrat-Temperaturen zwischen 800 und 1000 K eine Netto-Oxidation vorhergesagt wird. Der Grund für diese Netto-Oxidation verdeutlicht Abbildung 5.7. Vergleicht man die beiden Bedingungen, so stellt man bei der Flamme von Goodwin et al. (gestrichelte Linien) zwischen 800 und 1000 K einen höheren Oxidationsbeitrag durch O-Atome und einen verminderten Wachstumsbeitrag der CH3 -Moleküle und C-Atome fest. Dies bewirkt bei Goodwin et al. zwischen 800 und 1000 K in der Summe eine NettoOxidation, während bei Kim und Cappelli ein Netto-Wachstum stattfindet. 5.3 CH4/O2-, C2H4/O2- und C3H6/O2-Flammen In den letzten Jahren wurden erfolgreich Versuche unternommen, auch mit anderen Brennstoffen als Acetylen Diamant abzuscheiden [148–150]. Als Brennstoffe in diesen laminaren, flachen Vormischflammen wurden Methan, Ethylen und Propylen verwendet. Aufgrund der geringeren Wachstumsgeschwindigkeiten im Vergleich zu Acetylen spielen diese Brennstoffe bisher eine untergeordnete Rolle in der Flammen-CVD. Deshalb werden hier nur kurz die wichtigsten Ergebnisse in Tabelle 5.3 vorgestellt. Der obere Teil von Tabelle 5.3 listet die experimentelle Bedingungen und die beobachteten Wachstumsgeschwindigkeiten auf. Im unteren Teil sind die simulierten Wachstumsgeschwindigkeiten, die maximale Flammentemperatur in der Simulation, die adiabatische Flammentemperatur und die Molenbrüche einiger Spezies am Substrat dargestellt. Die Simulation gibt die beobachteten Wachstumsgeschwindigkeiten bis auf einen Faktor 2–3 wieder. Bei den Ungenauigkeiten des Modells in der Vorhersage von Spezieskonzentrationen am Substrat ist diese 84 KAPITEL 5. FLAMMENREAKTOR p Φ vu L TS Wexp. Wsim. Tmax. Tadiab. XH XCH3 XC XO XO2 CH4 /O2 [149] 147 mbar 1,7 0,57 m/s 8 mm 1150 K 0,23 µm/h 0,47 µm/h 2397 K 2717 4,3·10−4 2,0·10−4 2,8·10−8 1,0·10−8 5,8·10−6 C2 H4 /O2 [148] 67 mbar 2,4 1,9 m/s 7,5 mm 990 K 1,3 µm/h 0,42 µm/h 2579 K 2517 3,0·10−3 1,1·10−3 5,0·10−6 5,4·10−7 5,1·10−4 C3 H6 /O2 [150] 240 mbar 2,1 1,3 m/s 4,25 mm 1070 K 0,9 µm/h 1,35 µm/h 2837 K 2766 1,2·10−3 4,2·10−4 4,1·10−7 5,3·10−8 3,2·10−6 Tabelle 5.3: Bedingungen und Simulationsergebnisse für die Experimente von Kim und Cappelli [148,149] sowie Shin und Goodwin [150]. p = Druck, Φ = Äquivalenzverhältnis, vu = Gasgeschwindigkeit am Brenner, L = Abstand zwischen Brenner und Substrat, Wexp. = experimentelle Wachstumsgeschwindigkeit, Wsim. = simulierte Wachstumsgeschwindigkeit, Tmax. = maximale Flammentemperatur, Tadiab. = adiabatische Flammentemperatur, XA = Molenbruch am Substrat von Spezies A. Übereinstimmung zufriedenstellend. Unter allen Bedingungen in Tabelle 5.3 kommt das Diamantwachstum nur durch die CH3 -Moleküle zustande. Die Molenbrüche der C-Atome bzw. der OAtome und O2 -Moleküle am Substrat sind so gering, daß sie für das Wachstum bzw. für die Oxidation der Diamantschicht keine Rolle spielen. Die maximalen Flammentemperaturen in der Simulation liegen, im Gegensatz zu den Acetylen-Sauerstoff-Flammen in Abschnitt 5.2, deutlich unterhalb (CH4 /O2 -Flamme) oder nur knapp oberhalb (C2 H4 /O2 - und C3 H6 /O2 -Flamme) der adiabatischen Flammentemperatur. 5.4 Acetylen-Sauerstoff-Flammen bei Normaldruck Die in diesem Abschnitt vorgestellte laminare flache Acetylen-Sauerstoff-Flamme bei Normaldruck beruht auf einem Experiment von Murayama und Uchida [138]. Die Bedingungen dieses Experiments sind in Tabelle 5.4 aufgeführt. In Abbil- 5.4. ACETYLEN-SAUERSTOFF-FLAMMEN BEI NORMALDRUCK Druck Frischgas vu L Substrat Substrat-Temperatur Wexp. Wsim. 85 1,0 bar 40,7 Vol.% C2 H2 , 39,5 Vol.% O2 und 19,8 Vol.% H2 47,8 m/s 4,5 mm Molybdän 1180 K 40 µm/h 23 µm/h Tabelle 5.4: Bedingungen für das Experiment von Murayama und Uchida [138]. vu bezeichnet die Gasgeschwindigkeit am Brenner, L den Abstand zwischen Brenner und Substrat, Wexp. die beobachtete und Wsim. die simulierte Wachstumsgeschwindigkeit. dung 5.8 ist das dazugehörige Temperaturprofil der substratstabilisierten Flamme dargestellt (durchgezogene Linie). Die Breite des simulierten Profils ist im Vergleich zu den CARS-Temperaturmessungen von Bertagnolli und Lucht [147] zu groß. Auch das von Meeks et al. [45] berechnete Temperaturprofil für diese Flamme zeigt ein im Vergleich zum Experiment von Bertagnolli und Lucht zu breites Temperaturprofil. Bertagnolli und Lucht [147] vermuteten als Ursache Unterschiede zwischen simuliertem und experimentellem Geschwindigkeitsprofil. Eine Veränderung des simulierten Geschwindigkeitsprofils durch eine künstliche Erhöhung der Frischgasgeschwindigkeit auf 85 m/s ergibt eine bessere Übereinstimmung mit dem Experiment (gestrichelte Linie in Abbildung 5.8). Das heißt, eine mögliche Diskrepanz zwischen simuliertem und experimentellem Geschwindigkeitsprofil kommt als Ursache für das in der Simulation zu breite Temperaturprofil durchaus in Betracht. Ein weiterer bemerkenswerter Punkt ist die von der Simulation vorhergesagte und vom Experiment bestätigte superadiabatische Flammentemperatur von ca. 3400 K, die ungefähr 300 K über der adiabatischen Flammentemperatur liegt. Der Grund für diese Tatsache liegt wieder in dem zu niedrigem Dissoziationsgrad von H2 in der Flamme im Vergleich zum thermodynamischen Gleichgewicht (siehe Abschnitt 5.2.1). Abbildung 5.9 zeigt die simulierten Profile der wichtigsten Spezies für die Bedingungen von Tabelle 5.4 für die unveränderte Frischgasgeschwindigkeit. Das Hauptoxidationsprodukt in dieser Flamme ist CO. Die Konzentration der CAtome, O-Atome und O2 -Moleküle am Substrat liegt in einem Bereich, in dem sie für das Wachstum keine Rolle spielen. Die simulierte Wachstumsgeschwin- 86 KAPITEL 5. FLAMMENREAKTOR out.kal.x.1180.neu 4000 Temperatur [K] 3500 Tadiabatisch 3000 2500 85,0 m/s 2000 47,8 m/s 1500 1000 500 0 0 0,5 1 1,5 Abstand vom Substrat [mm] 2 Abbildung 5.8: Temperaturprofil für die Bedingungen von Tabelle 5.4. Linien: Simulationen mit zwei unterschiedlichen Frischgasgeschwindigkeiten. Symbole: CARSTemperaturmessungen [147]. Abbildung 5.9: Simulierte Speziesprofile für die Bedingungen von Tabelle 5.4. 5.4. ACETYLEN-SAUERSTOFF-FLAMMEN BEI NORMALDRUCK 87 digkeit von 23 µm/h kommt einzig durch die CH3 -Moleküle zustande. Sie ist – im Vergleich zu der von Murayama und Uchida [138] beobachteten Wachstumsgeschwindigkeit von 40 µm/h – um einen Faktor Zwei zu niedrig. Da die Spezieskonzentrationen bei diesen brennstoffreichen Bedingungen mit einer sehr großen Ungenauigkeit behaftet sind, kann man keine bessere Übereinstimmung in der Wachstumsgeschwindigkeit erwarten. Kapitel 6 Zusammenfassung Die vorliegende Arbeit behandelt die Simulation der Dimantabscheidung aus der Gasphase. Es werden zwei verschiedene Verfahren modelliert: die HeißdrahtCVD- und die Flammen-CVD-Methode. Als numerisches Modell für die Simulation dieser Reaktoren dient die Staupunktströmung auf eine chemisch reaktive Platte [32, 42]. Die Dynamik der reaktiven Strömung wird durch die Bilanzgleichungen für Gesamtmasse, Speziesmassen, Impuls und Energie komplettiert durch die ideale Gasgleichung beschrieben. Die auftretende Strömung ist laminar und kann räumlich eindimensional beschrieben werden. Der Zustand der Oberfläche ist durch die Temperatur und den Bedeckungsgrad mit adsorbierten Spezies charakterisiert. Diese Variablen stellen Mittelwerte über die gesamte Oberfläche dar ( mean field approximation“). Die chemischen Prozesse in der Gasphase als ” auch auf der Oberfläche werden durch Elementarreaktionen [28] beschrieben. Der Stofftransport in der Gasphase und zwischen Gas und Oberfläche wird durch ein molekulares Transportmodell erfaßt. Mathematisch ergibt sich ein partielles Differentialgleichungssystem mit der Zeit t und dem Abstand x von der reaktiven Platte als unabhängigen Variablen. Nach einer Ortsdiskretisierung erhält man ein System von gewöhnlichen Differentialgleichungen, das mit einem semi-impliziten Extrapolationsverfahren [48] gelöst wird. Es ist außerdem eine Sensitivitätsanalyse integriert, die es ermöglicht, die Abhängigkeit der Lösung von den Geschwindigkeitskoeffizienten der Oberflächenreaktionen zu untersuchen. Für den Prozeß der Diamantabscheidung wird ein chemischer Reaktionsmechanismus auf der Oberfläche aufgestellt. Er basiert auf dem CH3 -Mechanismus von Harris und Goodwin [14]. In der vorliegenden Arbeit wird der Mechanismus 88 89 modifiziert und erweitert. So wird Wachstum nur an monoatomaren Stufen zugelassen. Zusätzlich werden Reaktionen eingebaut, die die Anlagerung von CH2 und CH-Radikalen sowie Kohlenstoffatomen an die Diamantoberfläche beschreiben. Außerdem werden Reaktionen mit O2 -Molekülen und Sauerstoffatomen betrachtet, die zu einer Oxidation der Diamantschicht führen. Die durch das Modell erhaltenen Wachstumsgeschwindigkeiten werden mit Literaturexperimenten im Heißdrahtrektor und im Flammenrektor verglichen. Das Modell ist in der Lage, die Abhängigkeit der Diamant-Wachstumsgeschwindigkeit von der Substrat-Temperatur und der Frischgaszusammensetzung qualitativ zu beschreiben. Während im Heißdrahtreaktor nur CH3 -Radikale als Wachstumsspezies eine Rolle spielen, liefern in Acetylen-Sauerstoff-Flammen bei niedrigem Druck CH3 -Radikale und C-Atome einen vergleichbaren Beitrag zum Diamantwachstum. Außerdem tritt eine Oxidation der Diamantschicht durch O-Atome und O2 -Moleküle in diesen Flammen auf. Der effektive Haftkoeffizient für die Anlagerung von CH3 -Molekülen bzw. CAtomen an die Diamantschicht liegt bei maximal 7·10−4 bzw. 6·10−3 . Das heißt, nur ein Anteil von 7·10−4 bzw. 6·10−3 der CH3 -Moleküle bzw. C-Atome, die mit der Diamantoberfläche kollidiert, wird in das Diamantgitter eingebaut. Daher ist der Prozeß der Diamantabscheidung nicht transportlimitiert. Der geschwindigkeitsbestimmende Schritt bei der CH3 -Anlagerung ist die H-Abstraktionsreaktion von einem adsorbierten CH3 -Molekül. Bei der C-Anlagerung ist die Adsorptionsreaktion geschwindigkeitsbestimmend. Im Heißdrahtreaktor werden zusätzlich zu den Diamant-Wachstumsgeschwindigkeiten auch die Konzentrationen der wichtigsten Gasphasenspezies direkt über der Substratoberfläche mit Experimenten von Zumbach und Schäfer vom Physikalisch-Chemischen Institut der Universität Heidelberg verglichen. Bei den CH3 -Molekülen zeigt sich eine gute Übereinstimmung von Experiment und Simulation. Auch die CH4 - und C2 H2 -Konzentration werden vom Modell qualitativ wiedergegeben. Die Unzulänglichkeiten des Modells zeigen sich bei den Konzentationen der C2 H4 -Moleküle und H-Atome an der Substratoberfläche. Die absolute Ethylenkonzentration am Substrat wird vom Modell um den Faktor 2–3 unterschätzt. Der experimentelle Verlauf der C2 H4 -Konzentration in Abhängigkeit von der Substrat-Temperatur zeigt bei ca. 700 K ein Maximum, das von der Simulation nicht wiedergegeben wird. Bei den H-Atomen überschätzt das Modell 90 KAPITEL 6. ZUSAMMENFASSUNG die absolute Konzentration am Substrat um etwa den Faktor 2. In der Simulation sinkt die H-Atomkonzentration am Substrat mit steigender Substrat-Temperatur, während im Experiment ab 850 K eine nahezu konstante H-Atomkonzentration am Substrat beobachtet wird. Es läßt sich in der vorliegenden Arbeit nicht klären, ob die oben genannten Unzulänglichkeiten des Modells auf nicht berücksichtigte Oberflächenreaktionen des Substrates, oder auf den Einfluß des Drahtes zurückzuführen sind. Substratoberfläche und Drahtoberfläche beeinflussen die Gasphase des Heißdrahtreaktors gleichermaßen. Ein mindestens zweidimensionales Modell und die derzeit nicht mögliche detaillierte Einbeziehung der heterogenen Prozesse auf der Drahtoberfläche sind für ein besseres Verständnis der Gasphase des Heißdrahtreaktors notwendig. Literaturverzeichnis [1] F.G. Celii und J.E. Butler. Diamond Chemical Vapor Deposition. Annu. Rev. Phys. Chem. 42, 643, 1991. [2] P.W. Atkins. Physikalische Chemie. VCH Verlagsgesellschaft mbH, Weinheim, 1990. [3] R.C. DeVries. 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Danksagung An dieser Stelle möchte ich all denjenigen herzlich danken, die zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen haben. Mein besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. Jürgen Warnatz für die Aufnahme in seinen Arbeitskreis sowie für die Betreuung und Unterstützung, die er mir gab, Herrn Prof. Dr. Schramm für die freundliche Übernahme der Begutachtung und für seine Hilfe in einer besonderen Situation, Herrn Dr. Frank Behrendt für die Bereitstellung des Computerprogramms, das in dieser Arbeit verwendet wurde sowie für die ständige Hilfsbereitschaft, insbesondere beim Umgang mit Computern, Herrn Prof. Dr. Jürgen Wolfrum für sein Interesse an dieser Arbeit und für die gute Zusammenarbeit im SFB 359 Reaktive Strömungen, Diffusion und Trans” port“, den Herren Dr. Volker Zumbach und Dipl.-Chem. Jörg Schäfer für die interessanten experimentellen Ergebnisse und die bereichernde Zusammenarbeit, Herrn Dr. Olaf Deutschmann für viele interessante Diskussionen und Anregungen, insbesondere zu Reaktionen an Oberflächen, den Herren Dipl.-Chem. Markus Wolf, Dipl.-Phys. Ralf Kissel-Osterrieder, Dr. Philipp Klaus, Dipl.-Phys. Jürgen Soijka, sowie den Frauen Dipl.-Ing. Maria Nehse und Dipl.-Math. Maren Thiele für ihre Hilfsbereitschaft und für gemeinsames Diskutieren und allen Mitarbeitern der FG Reaktive Strömung des IWR der Universität Heidelberg und des ITV der Universität Stuttgart für das angenehme Arbeitsklima. Mein größter Dank gilt meinen Eltern und meiner Lebensgefährtin Kirsten.