1.8 Endlich erzeugte kommutative Gruppen 1.8 23 Endlich erzeugte kommutative Gruppen Im folgenden sei (G, +) stets eine endlich erzeugte kommutative Gruppe. G ist direkte Summe der Untergruppen H1 , . . . , Hr , wenn sich jedes x ∈ G eindeutig in der Form x = h1 + . . . + hr mit hi ∈ Hi für i = 1, . . . , r darstellen lässt. Man schreibt dann G = H1 ⊕ . . . ⊕ Hr . Notiz 1.8.1 Es gilt G = H1 ⊕. . .⊕Hr genau dann, wenn H1 , . . . , Hr Untergruppen von G sind, so dass gilt 1. G = H1 ∪ . . . ∪ Hr 2. H1 ∪ . . . ∪ Hi ∩ Hi+1 = {0} für i = 1, . . . , r − 1 . ∼ Eine endlich erzeugte kommutative Gruppe G heißt frei, wenn G = Zr ist. Die Zahl r ist dann eindeutig bestimmt und heißt der Rang von G ; das wird aus Satz 1.8.3 folgen. Lemma 1.8.2 Es sei ϕ : G → Zr ein surjektiver Homomorphismus von Gruppen und weiterhin sei G := Ker(ϕ) . Dann existiert eine Untergruppe G von G , so dass G = G ⊕ G gilt und ϕ|G : G → Zr ein Isomorphismus ist. Beweis. Seien e1 , . . . , er die Einheitsvektoren von Zr . Da ϕ surjektiv ist, gibt es Elemente x1 , . . . , xr ∈ G mit ϕ(xi ) = ei für i = 1, . . . , r . Setze nun G := x1 , . . . , xr . Dann ist ϕ : G → Zr offenbar surjektiv und auch injektiv. Ist mit ϕ(g) = 0 , so folgt 0 = ϕ(g) = r ni ϕ(xi ) = i=1 r r i=1 ni xi =: g ∈ G ni e i . i=1 also folgt n1 = . . . = nr = 0 und damit g = 0 . Somit ist ϕ|G ein Isomorphismus.Insbesondere ist G ∩ G ={0} . Ist g ∈ G , so hat ϕ(g) die Form r r ϕ(g) = i=1 ni ei . Setzt man g := i=1 ni xi , so ist ϕ(g) = ϕ(g ) und damit ist g := g − g in Ker(ϕ) = G enthalten, also ist G = G ∪ G und somit G = G ⊕ G . 2 Satz 1.8.3 Es sei G eine endlich erzeugte freie kommutative Gruppe mit r freien Erzeugern. Ist G < G eine Untergruppe, so ist G auch frei mit r freien Erzeugern und es gilt r ≤ r . Beweis. Ohne Einschränkung ist G = Zr mit der kanonischen Basis e1 , . . . , er . Wir machen nun Induktion nach r . Der Induktionsanfang r = 1 gilt nach Satz 1.7.3. Sei also nun r ≥ 2 und G < G = Zr . Dann betrachte den Gruppenhomomorphismus r n i e i = n1 . ϕ : G −→ Z , ϕ i=1 24 1. Elementare Gruppentheorie Setze dann G1 := Ker(ϕ|G ) ⊂ Ze2 ⊕ · · · ⊕ Zer . Nach Induktionsvoraussetzung ist G1 frei vom Rang ≤ (r − 1) . Weiterhin ist ϕ(G ) = Zm < Z nach Induktionsanfang. Mit dem Lemma 1.8.2 folgt dann ∼ G = G1 ⊕ ϕ(G ) . Also ist G frei vom Rang ≤ r . 2 Definition 1.8.4 Für eine kommutative Gruppe G bezeichnet T (G) := {g ∈ G ; es gibt n ≥ 1 mit ng = 0} die Torsionsuntergruppe von G . Man nennt G torsionsfrei, wenn T (G) = {0} gilt. Man bezeichnet mit AnnZ (G) := {n ∈ Z ; n · g = 0 für alle g ∈ G } den Annullator von G . Ist x ∈ G ein Element, so heißt AnnZ (x) := AnnZ (< x >) der Annullator von x . Satz 1.8.5 Es sei G eine endlich erzeugte kommutative Gruppe. Ist G torsionsfrei, so ist G frei. Beweis. Sei S ein endliches Erzeugendensystem von G . Es sei {x1 , . . . , xr } eine maximal linear unabhängige Teilmenge von S ; d.h. 1. Ist n1 x1 + . . . + nr xr = 0 , so folgt n1 = . . . = nr = 0 . 2. Für jedes s ∈ S ist (s, x1 , . . . , xr ) linear abhängig. Somit gibt es zu jedem s ∈ S eine nichttriviale Kombination m(s) · s + m1 (s)x1 + . . . + mr (s)xr = 0 . Wegen 1. ist m(s) = 0 . Insbesondere gilt ∼ m(s) · s ∈ F := x1 , . . . , xr = Zr . Weil S endlich ist, ist m := s∈S m(s) ∈ Z wohldefiniert und m = 0 . Insbesondere ist m · s ∈ F für alle s ∈ S und somit auch m · g ∈ F für alle g ∈ G . Nach Satz 1.8.3 ist m·G ⊂ F als Untergruppe der freien Gruppe F auch frei. Wegen T (G) = 0 ist die Abbildung ϑm : G −→ mG , g → mg , ein Isomorphismus, also ist G frei. 2 1.8 Endlich erzeugte kommutative Gruppen 25 Satz 1.8.6 Es sei G eine endlich erzeugte, freie, kommutative Gruppe und G < G eine Untergruppe. So existieren eine Basis x1 , . . . , xr von G und natürliche Zahlen m1 , . . . , mr ∈ N mit folgenden Eigenschaften 1. G = Zx1 ⊕ . . . ⊕ Zxr 2. G = Zm1 x1 ⊕ . . . ⊕ Zmr xr 3. m1 |m2 , . . . , mr−1 |mr Beweis. Nach Satz 1.8.3 gibt es ein Erzeugendensystem y1 , . . . , yr von G , so dass y1 , . . . , yr eine Basis von G und yr +1 = 0, . . . , yr = 0 gilt. Dann hat man ganzzahlige Relationen r yj = aij xi , i=1 wobei x1 , . . . , xr eine Basis von G ist. Sei δ : Z − {0} −→ N , a → δ(a) := |a| , die Betragsabbildung. Ohne Einschränkung sei A := (aij ) ∈ M (n, Z) ungleich Null. Dann betrachte δ(A) := Min{δ(aij ) ; aij = 0} . Ebenso betrachten wir für S, T ∈ GL(r, Z) die Matrix B := SAT und dazu die Zahl δ(SAT ) . Dann existieren S, T , so dass δ(SAT ) das absolute Minimum für alle transformierten Matrizen B := SAT ist. Ohne Einschränkung gilt δ(b11 ) = δ(B) . Dann teilt b11 alle übrigen Einträge bij von B , wie man mittels elementaren Zeilen- und Spaltenumformungen und Division mit Rest sieht. Ebenso kann man dann annehmen, dass bij = 0 für alle (i, j) = (1, j) oder (i, j) = (i, 1) gilt. Nun kann induktiv die Untermatrix B := (bij ) , die aus B durch streichen der ersten Zeile und Spalte entsteht, gebildet werden. Insgesamt erreicht man so, dass es also S, T ∈ GL(n, Z) gibt, so dass B = SAT Diagonalmatrix mit Einträgen m1 |m2 , . . . , mr−1 |mr teilen. Über folgende Setzungen yj = r tlj yl und xk = r sik xi , i=1 l=1 wobei T = (tlj ) und S = (sik ) die obigen Matrizen sind, erhält man eine Basis (x1 , . . . , xr ) von G und ein Erzeugendensystem (y1 , . . . , yr ) von G . Weiterhin gilt yj = r tlj yl = l=1 = r r r r r sik akl tlj xi l=1 k=1 i=1 = r i=1 tlj akl xk l=1 k=1 mi δij xi . 26 1. Elementare Gruppentheorie Die Systeme x = (x1 , . . . , xr ) und y = (y1 , . . . , yr ) erfüllen also die Behauptungen. 2 Korollar 1.8.7 Es sei T eine endlich erzeugte kommutative Torsionsgruppe; d.h. zu jedem x ∈ T gibt es n ∈ N mit n = 0 und nx = 0 , und es sei T = 0 . Dann gibt es eindeutig bestimmte Zahlen m1 , . . . , mr ∈ N mit mi ≥ 2 und ∼ 1. T = Z/Zm1 × . . . × Z/Zmr . 2. m1 |m2 , . . . , mr−1 |mr Beweis. Sei (x1 , . . . , xr ) ein endliches Erzeugendensystem von T . Dann ist die Abbildung r r ϕ : Zr −→ T , ϕ ni e i = ni x i . i=1 i=1 ein surjektiver Gruppenhomomorphismus. Nach Satz 1.8.6 gibt es eine Basis (f1 , . . . , fr ) von Zr und Zahlen mi ∈ N wie in 2., so dass Ker(ϕ) = Zm1 f1 ⊕ . . . ⊕ Zmr fr gilt. Indem man eventuell alle mi mit mi = 1 weglässt, erhält man die Existenz der Darstellung wie gefordert. Die Zahlen mi sind ungleich 0 , weil T eine Torsionsgruppe ist. Nun zur Eindeutigkeitsaussage: Fixiere einen Isomorphismus μ : T −→ ˜ Z/Zm1 × . . . × Z/Zmr . Wegen der Eindeutigkeit der Primfaktorzerlegung müssen wir nur zeigen, dass für jede vorgegebene Primzahl p die Primzahlpotenz pαi , die in der Zahl mi exakt aufgeht, durch die Gruppe T bestimmt wird. Wegen mi | mi+1 gilt 0 = α1 = . . . = αt < αt+1 ≤ αt+2 ≤ . . . ≤ αr . Setze s := αr . Für 1 ≤ σ ≤ s bezeichne Ci (pσ ) ⊂ Z/Zmi die eindeutig bestimmte Untergruppe der Ordnung pmin{αi ,σ} ; diese ist auch zyklisch, vgl. 1.7.7. Dann setze C(pσ ) := C1 (pσ ) × . . . × Cr (pσ ) ⊂ C(pσ+1 ) . Dann gilt (1) card C(pσ ) = r pmin{αi ,σ} . i=1 Für x ∈ T gilt pσ · x = 0 , wenn μ(x) ∈ C(pσ ) . Daher gilt ord(x) = pσ ⇐⇒ μ(x) ∈ C(pσ ) − C(pσ−1 ) . 1.8 Endlich erzeugte kommutative Gruppen 27 Folglich gilt card{x ∈ T ; ord(x) = pσ } = card C(pσ ) − card C(pσ−1 ) . (2) Die Gleichungen (1) und (2) für σ = 1, . . . , s bestimmen nun die Exponenten 1 ≤ αt+1 ≤ . . . ≤ αr eindeutig. Für σ ≥ 1 ist logp (card C(pσ ))−logp (card C(pσ−1 )) die Anzahl der i ∈ {1, . . . , r} mit αi ≥ σ . 2 Theorem 1.8.8 (Hauptsatz über endlich erzeugte abelsche Gruppen) Es sei G eine endlich erzeugte, kommutative Gruppe und T (G) ihre Torsionsuntergruppe. Dann gilt ∼ 1. G = T (G) × G/T (G) ∼ 2. G/T (G) = Zr ∼ 3. T (G) = Z/Zm1 × . . . × Z/Zms mit mi ∈ Z , mi ≥ 2 und mi |mi+1 für i = 1, . . . , s − 1 . Der Rang r und die Zahlen m1 , . . . , ms sind eindeutig durch G bestimmt. Beweis. Betrachte den kanonischen Epimorphismus : G −→ G/T (G) . ∼ Nach Satz 1.8.5 ist G/T (G) = Zr frei und nach Lemma 1.8.2 gibt es die Isomorphie ∼ G = T (G) × G/T (G) . Die Behauptung 3. folgt aus Korollar 1.8.7. Den Beweis der Eindeutigkeitsaussage kann man auch durch den Nachweis der folgenden Behauptungen herleiten, die dem Leser als Übungsaufgabe überlassen seien. 1. Es sei N ≥ 2 eine natürliche Zahl mit der Primfaktorzerlegung N = pr11 . . . prnn . Die kanonische Abbildung Z/ZN −→ Z/Zpr11 × . . . × Z/Zprnn , x → (x mod pr11 , . . . , x mod prnn ), ist ein Isomorphismus von Gruppen. Mit der Eindeutigkeit der Primfaktorzerlegung natürlicher Zahlen 2.6.7 folgt die Injektivität der Abbildung und dann die Surjektivität durch Vergleich der Kardinalitäten der beiden Mengen. 2. Sei G eine endliche, kommutative Gruppe mit neutralem Element 0 . Für eine Primzahl p nennt man G eine p -Gruppe, falls die Anzahl der Elemente von G eine Potenz von p ist. Für n ∈ N mit n ≥ 1 sei G(n) := {x ∈ G ; es gibt ein r ∈ N mit nr · x = 0} . 28 1. Elementare Gruppentheorie (a) G(n) ist eine Untergruppe von G . (b) Für jedes x ∈ G(n) teilt ord(x) eine Potenz von n . (c) Sind n1 , n2 ∈ Z und teilerfremd, so gilt G(n1 ) ∩ G(n2 ) = {0} . (d) Für jedes x ∈ G(n) gilt G/x (n) = G(n)/x . (e) Es gilt card G(n)|nr für ein r ≥ 1 . (f) Ist p eine Primzahl, so ist G(p) eine p -Gruppe. 3. Sei G eine endliche, kommutative Gruppe mit neutralem Element 0 . Es seien p eine Primzahl und r1 , . . . , rn natürliche Zahlen mit rn ≥ . . . ≥ r2 ≥ r1 ≥ 1 . Dann heißt G vom Typ (pr1 , . . . , prn ) , wenn gilt G∼ = Z/Zpr1 × . . . × Z/Zprn (a) Setzt man G[pα ] := {x ∈ G ; pα · x = 0} , so ist G[pα ] eine Untergruppe und es gilt n α card(G[p ]) = pmin{α,ri } i=1 (b) Der Typ einer endlichen kommutativen p -Gruppe ist eindeutig bestimmt. 4. Es sei G eine endliche, kommutative Gruppe. Nach Teil 3. ist G isomorph zu einem Produkt zyklischer Gruppen G∼ = Z/Zm1 ⊕ . . . ⊕ Z/Zms , wobei m1 , . . . , ms natürliche Zahlen ≥ 1 sind, die sich sukzessiv teilen; also m1 |m2 , . . . , ms−1 |ms gilt. (a) Hat G die Kardinalität N und hat N die Zerlegung N = pr11 , . . . , prnn in Primzahlpotenzen, so gilt nach 1. und 2. G = G(p1 ) ⊕ . . . ⊕ G(pn ) (b) Die Zahlen (m1 , . . . , ms ) stehen zu den Gruppen G(p1 ), . . . , G(pn ) in eineindeutiger Beziehung. (c) Die Zahlen m1 , . . . , ms sind eindeutig bestimmt. 1.9 Auflösbare Gruppen Im folgenden sei G stets eine Gruppe. Ist N G ein Normalteiler, so ist G/N auf kanonische Weise eine Gruppe und der kanonische Epimorphismus : G → G/N ist ein Gruppenmorphismus; vgl. 1.5.5.